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Die Exposition bzw. Konfrontation ist die wichtigste einzelne Interventionsform bei Angststörungen. Sie stellt überdies ein zentrales Therapieelement bei verschiedenen anderen Störungsbildern, z.B. Essstörungen und Alkoholabhängigkeit, dar. Obwohl die Effektivität des Verfahrens in einer Vielzahl von Studien belegt werden konnte, ist die Implementierung der Methode im klinischen Alltag nach wie vor unzureichend. Vor diesem Hintergrund fasst das Buch den aktuellen Wissensstand zu dieser Interventionsform zusammen und gibt eine konkrete Anleitung für die praktisch-therapeutische Umsetzung verschiedener Konfrontationsverfahren. Praxisbezogen wird auf die Umsetzung von interozeptiven Konfrontationen, Konfrontationen in vivo, Konfrontation in sensu und Cue-Exposure-Verfahren eingegangen. Das therapeutische Vorgehen wird anhand von Fallbeispielen illustriert. Zudem wird der Umgang mit häufigen Schwierigkeiten beleuchtet. Aktuelle Diskussionen zur Gestaltung und Wirkweise von Expositionen ergänzen die Darstellung.
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Tobias Teismann
Jürgen Margraf
Exposition und Konfrontation
Standards der Psychotherapie
Band 3
Exposition und Konfrontation
Dr. Tobias Teismann, Prof. Dr. Jürgen Margraf
Herausgeber der Reihe:
Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Kurt Hahlweg, Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief
Dr. Tobias Teismann, geb. 1975. 1996 – 2002 Studium der Psychologie in Mainz und Bochum. Psychologischer Psychotherapeut (Verhaltenstherapie). 2009 Promotion. Seit 2004 Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitseinheit für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum. Seit 2012 Geschäftsführender Leiter des Zentrums für Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Arbeit mit Ressourcen in der Psychotherapie, Depression und depressives Grübeln, Suizidalität und Suizidprävention.
Prof. Dr. Jürgen Margraf, geb. 1956. 1975 – 1983 Studium der Psychologie, Soziologie und Physiologie in München, Brüssel, Kiel und Tübingen. 1983 – 1986 Research Scholar in Psychiatry and Behavioral Sciences an der Stanford University, USA. 1986 Promotion. 1986 – 1992 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Tübingen und Hochschulassistent an der Universität Marburg. 1990 Habilitation. 1990 – 1992 Lehrstuhl-Vertretung an der Universität Münster, dann Wechsel auf eine Professur für Klinische Psychologie an der FU Berlin. 1993 – 1999 Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Technischen Universität Dresden. 1999 – 2010 Ordinarius für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Basel. Seit 2010 Alexander-von-Humboldt-Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie und Leitung des Forschungs- und Behandlungszentrums für psychische Gesundheit an der Ruhr-Universität Bochum.
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Satz: Matthias Lenke, Weimar
Format: EPUB
1. Auflage 2018
© 2018 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen
(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2825-3; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2825-4)
ISBN 978-3-8017-2825-0
http://doi.org/10.1026/02825-000
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Einführung
1 Beschreibung der Methode
1.1 Formen von Konfrontation
1.2 Ethische Aspekt der Expositionstherapie
2 Theorie
2.1 Habituation
2.2 Gegenkonditionierung
2.3 Emotionale Verarbeitung („emotional processing“)
2.4 Extinktion und inhibitorisches Lernen
2.5 Selbstwirksamkeit
2.6 Fazit
3 Diagnostik und Indikation
3.1 Beziehungsaufbau und allgemeiner Eindruck
3.2 Klassifikatorische/kategoriale Diagnose
3.3 Organische Ursachen und Komplikationen
3.4 Analyse des Problemverhaltens
3.5 Weitere diagnostische Maßnahmen vor und während der Therapie
3.6 Indikation
4 Behandlung
4.1 Exposition in vivo
4.1.1 Allgemeine Informationen
4.1.2 Kontraindikation
4.1.3 Entwicklung des Behandlungsrationals
4.1.4 Planung der Exposition
4.1.5 Durchführung der Exposition
4.1.6 Besonderheiten und Umgang mit Schwierigkeiten
4.2 Interozeptive Exposition
4.2.1 Allgemeine Informationen
4.2.2 Kontraindikation
4.2.3 Entwicklung des Behandlungsrationals
4.2.4 Planung der Exposition
4.2.5 Durchführung der Exposition
4.2.6 Besonderheiten und Umgang mit Schwierigkeiten
4.3 Exposition in sensu
4.3.1 Sorgenkonfrontation bei exzessiven Sorgen
4.3.2 Imaginatives Nacherleben traumatischer Erlebnisse
4.3.3 Besonderheiten und Umgang mit Schwierigkeiten
4.4 Cue-Exposure
4.4.1 Allgemeine Informationen
4.4.2 Kontraindikationen
4.4.3 Entwicklung des Behandlungsrationals
4.4.4 Planung der Exposition
4.4.5 Durchführung der Exposition
4.4.6 Besonderheiten und Umgang mit Schwierigkeiten
5 Neuere Entwicklungen
5.1 Exposition in virtueller Realität
5.2 Enhancement-Strategien
5.2.1 D-Cycloserine
5.2.2 Glucocorticoide
6 Effektivität und empirische Evidenz
7 Literatur
8 Anhang
Expositionstherapien haben sich als hocheffektives Verfahren in der Behandlung sowohl von Angststörungen wie spezifischen Phobien, Agoraphobie, Panikstörung, sozialer Phobie, generalisierter Angststörung, Zwangsstörungen (Ruhmland & Margraf, 2001a, 2001b, 2001c) und posttraumatischer Belastungsstörung (Bradley et al., 2005), als auch in der Behandlung von alkoholbezogenen Störungen (Conklin & Tiffany, 2002) und von Essstörungen (Jansen, 2005) erwiesen. Der Nutzen von Expositionstherapien ließ sich überdies in klinischen Studien genauso wie in der Routineversorgung nachweisen (Stewart & Chambless, 2009). Gerade im Bereich der Angststörungen scheint die Exposition der zentrale Behandlungsbaustein zu sein (Meuret, Wolitzky-Taylor, Twohig & Craske, 2012).
Trotz der erwiesenen Wirksamkeit des Verfahrens und der Tatsache, dass ein konfrontatives Vorgehen von Patienten gut akzeptiert wird, werden Expositionsverfahren in der Praxis nur selten angeboten: In diesem Sinne fanden beispielsweise Roth und Kollegen (2004) in einer anonymen Befragung von Verhaltenstherapeuten, dass lediglich 33 % Konfrontationsverfahren mit Reaktionsverhinderung regelhaft zur Behandlung von Zwangspatienten einsetzen – und dies, obwohl etwa 91 % der Verhaltenstherapeuten in ihren Kassenanträgen angeben, ein entsprechendes Vorgehen zu planen (Schubert et al., 2003). Befragt man Zwangspatienten selbst, so berichten in etwa 29 % von durchgeführten Expositionsübungen im Rahmen einer zurückliegenden Verhaltenstherapie (Böhm et al., 2008). In einer amerikanischen Praktikerbefragung ergaben sich gleichermaßen geringe Zahlen bezüglich des Einsatzes imaginativen Nacherlebens bei posttraumatischen Belastungsstörungen, so gaben gerade einmal 17 % an, mit traumatischen Erinnerungen zu konfrontieren (Becker, Zayfert & Anderson, 2004). Negative Überzeugungen bezüglich der ethischen Vertretbarkeit, der potenziellen Gefährlichkeit und der Zumutbarkeit von Expositionsverfahren sind sehr verbreitet (Deacon et al., 2013) und begründen den seltenen Einsatz von Expositionsverfahren. Ironischerweise repräsentieren viele dieser Therapeutenbefürchtungen („Die Symptome könnten schlimmer werden“, „Der Patient könnte ohnmächtig werden“ etc.) dabei genau die ungünstigen Patientenbefürchtungen, welche durch die Exposition behandelt werden sollen.
Um Unsicherheiten und Vorbehalte gegenüber der Expositionstherapie – als einer der wirksamsten Psychotherapiepraktiken überhaupt – abzubauen, ist |2|es wichtig, sich mit dem praktischen Vorgehen sehr genau vertraut zu machen, bestenfalls eigene Erfahrungen mit Expositionen zu machen und so die eigene Haltung zu klären. Zu diesem Zweck möchte das vorliegende Buch einerseits den aktuellen Wissensstand zu dieser Interventionsform zusammenfassen und andererseits eine konkrete Anleitung für die praktisch-therapeutische Umsetzung – bei verschiedenen Störungsbildern – geben. Im Einzelnen wird zunächst ein Überblick über verschiedene Arten von Expositionen und deren Entwicklung gegeben, bevor auf ethische Aspekte der Expositionsbehandlung eingegangen wird. Es folgt eine Übersicht über verschiedene theoretische Modelle zur Wirkweise von Expositionen, bevor im dritten Kapitel auf notwendige diagnostische und problemanalytische Schritte im Vorfeld einer Expositionsbehandlung eingegangen wird. Im vierten Kapitel werden sodann verschiedene Expositionsarten ausführlich dargestellt. Beschrieben wird die Planung und die Durchführung von In-vivo-Expositionen, interozeptiven Expositionen, In-sensu-Expositionen und sogenannten Cue-Expositionen. Ergänzend wird auf Kontraindikationen und potenzielle Besonderheiten oder Schwierigkeiten bei der Durchführung eingegangen. Anschließend werden neuere Entwicklungen wie die Durchführung von Virtual Reality Expositionen und die Nutzung von medikamentösen Enhancement-Strategien skizziert. Das Buch schließt mit einer Übersicht über Effektivitätsnachweise der Expositionstherapie im Rahmen verschiedener Störungsbilder.
Das zentrale Prinzip der Konfrontationsbehandlung besteht darin, dass Patienten unter therapeutischer Hilfe genau solche Situationen aufsuchen, in denen ihre psychischen Probleme – u. a. Angst, Unbehagen, Verlangen – auftreten. So werden Patienten, die an Angststörungen leiden – in Abhängigkeit von ihren jeweiligen Befürchtungen – beispielsweise angeleitet, sich Hunden anzunähern, mit Spinnen zu hantieren, mit dem Auto über Autobahnen zu fahren, hohe Türme zu besteigen, in Kaufhäuser, U-Bahnen, auf große Plätze oder in enge Räume zu gehen. Patienten mit Essstörungen lernen, sich vor dem Spiegel mit dem Anblick ihres Körpers zu konfrontieren oder sich Lebensmitteln auszusetzen, die in der Vergangenheit einen Essanfall stimuliert haben. Alkoholabhängige Patienten werden mit alkoholbezogenen Reizen konfrontiert, um die Erfahrung zu machen, dass Verlangen nach einiger Zeit abklingt und sich Versuchungssituationen ohne Rückfall bewältigen lassen. Grundsätzlich wird die Exposition zeitlich so lange ausgedehnt, bis Angst, Ekel, Unbehagen, Verlangen deutlich zurückgegangen sind, oder bis klar geworden ist, dass die vom Patienten befürchteten negativen Konsequenzen nicht eintreten.
Das Grundprinzip der Exposition war bereits lange vor der Beschäftigung der Fachwissenschaften mit diesem Thema bekannt. So beschreibt Goethe in seinem Werk Dichtung und Wahrheit, wie er sich selbst durch Konfrontation heilte.
Ein starker Schall war mir zuwider, krankhafte Gegenstände erregten mir Ekel und Abscheu. Besonders aber ängstigte mich ein Schwindel, der mich jedesmal befiel, wenn ich von einer Höhe herunterblickte. Allen diesen Mängeln suchte ich abzuhelfen, und zwar, weil ich keine Zeit verlieren wollte, auf eine etwas heftige Weise. Abends beim Zapfenstreich ging ich neben der Menge Trommeln her, deren gewaltsame Wirbel und Schläge das Herz im Busen hätten zersprengen mögen. Ich erstieg ganz allein den höchsten Gipfel des Münsterturms und saß in dem so genannten Hals, unter dem Knopf oder der Krone, wie mans nennt, wohl eine Viertelstunde lang, bis ich es wagte, wieder heraus in die freie Luft zu treten, wo man auf einer Platte, die kaum eine Elle ins Gevierte haben wird, ohne sich sonderlich anhalten zu können, stehend das unendliche Land vor sich sieht, indessen die nächsten Umgebungen und Zieraten die Kirche und alles, worauf und worüber man steht, verbergen. Es ist völlig, als wenn man sich auf einer Montgolfiere in die Luft erhoben sähe. Dergleichen Angst und Qual wiederholte ich so oft, bis der Eindruck mir ganz gleichgültig ward, und ich habe nachher bei Bergreisen und geologischen Studien, bei großen Bauten, wo ich mit den Zimmerleuten um die Wette über die |4|freiliegenden Balken und über die Gesimse des Gebäudes herlief, ja in Rom, wo man eben dergleiche Wagstücke ausüben muss, um bedeutende Kunstwerke näher zu sehen, von jenen Vorübungen großen Vorteil gezogen. Die Anatomie war mir auch deshalb doppelt wert, weil sie mich den widerwärtigsten Anblick ertragen lehrte, indem sie meine Wißbegierde befriedigte. Und so besuchte ich das Klinikum des ältern Doktor Ehrmann sowie die Lektionen der Entbindungskunst seines Sohnes, in der doppelten Absicht, alle Zustände kennenzulernen und mich von aller Apprehension gegen widerwärtige Dinge zu befreien. Ich habe es auch wirklich darin so weit gebracht, dass nichts dergleichen mich jemals wieder aus der Fassung setzen konnte. Aber nicht allein gegen diese sinnlichen Eindrücke, sondern auch gegen die Anfechtungen der Einbildungskraft suchte ich mich zu stählen. Die ahndungs- und schauervollen Eindrücke der Finsternis, der Kirchhöfe, einsamer Orte, nächtlicher Kirchen und Kapellen, und was hiermit verwandt sein mag, wusste ich mir ebenfalls gleichgültig zu machen; und auch darin brachte ich es so weit, dass mir Tag und Nacht und jedes Lokal völlig gleich war, ja dass, als in später Zeit mich die Lust ankam, wieder einmal in solcher Umgebung die angenehmen Schauer der Jugend zu fühlen, ich diese mir kaum durch die seltsamsten und fürchterlichsten Bilder, die ich hervorrief, wieder einigermaßen erzwingen konnte. (Goethe, 1970, S. 337–338)
Auch in der Fachliteratur tauchen konfrontative Methoden schon früh auf. Beispielsweise empfahl Oppenheim bereits 1911 in seinem Lehrbuch der Nervenkrankheiten, mit agoraphobischen Patienten zusammen die gefürchteten Plätze zu überqueren. Zur gleichen Zeit wies Sigmund Freud auf die Bedeutung konfrontativer Maßnahmen und die Grenzen der psychoanalytischen Therapie bei Phobien hin. In Wege der psychoanalytischen Therapie aus dem Jahr 1917 schrieb er dazu Folgendes:
Unsere Technik ist an der Behandlung der Hysterie erwachsen und noch immer auf diese Affektion eingerichtet. Aber schon die Phobien nötigen uns, über unser bisheriges Verhalten hinauszugehen. Man wird kaum einer Phobie Herr, wenn man abwartet, bis sich der Kranke durch die Analyse bewegen lässt, sie aufzugeben. Er bringt dann niemals jenes Material in die Analyse, das zur überzeugenden Lösung der Phobie unentbehrlich ist. Man muss anders vorgehen. Nehmen Sie das Beispiel eines Agoraphoben; es gibt zwei Klassen von solchen, eine leichtere und eine schwerere. Die ersteren haben zwar jedesmal unter Angst zu leiden, wenn sie allein auf die Straße gehen, aber sie haben darum das Alleingehen noch nicht aufgegeben; die anderen schützen sich vor der Angst, indem sie auf das Alleingehen verzichten. Bei diesen letzteren hat man nur dann Erfolg, wenn man sie durch den Einfluss der Analyse bewegen kann, sich wieder wie Phobiker ersten Grades zu benehmen, also auf die Straße zu gehen und während dieses Versuches mit der Angst zu kämpfen. Man bringt es also zunächst dahin, die Phobie so weit zu ermäßigen, und erst wenn dies durch die Forderung des Arztes erreicht ist, wird der Kranke jener Einfälle und Erinnerungen habhaft, welche die Lösung der Phobie ermöglichen. (Freud, 1895, S. 191)
Eine erste wissenschaftliche Arbeit, die im engeren Sinne als verhaltenstherapeutisch bezeichnet werden kann, wurde 1924 schließlich von Mary Cover |5|Jones veröffentlicht. Die Einzelfallstudie des „kleinen Peters“ beschreibt die Behandlung eines knapp Dreijährigen mit Angst vor Ratten, Kaninchen und anderen flauschigen Objekten (Pelzmäntel, Federn, Baumwolle). Jones behandelte Peter, indem sie ihn mit anderen Kindern zusammenbrachte, die keine Angst vor Kaninchen äußerten. Peter spielte jeden Tag mit drei anderen Kindern, wobei während eines Teils der Spielzeit ein Kaninchen anwesend war. Peters anfänglich starke Angstreaktion nahm kontinuierlich ab, bis er schließlich ruhig und unbeteiligt das Kaninchen anschauen konnte. Als Peter nach einer auskurierten Krankheit von einer Krankenschwester mit dem Taxi vom Krankenhaus nach Hause gebracht werden sollte, erlebte er einen Rückfall. Während sie in das Taxi einsteigen wollten, lief ein großer Hund auf sie zu und sprang sie an. Beide erschreckten sich sehr. Jones machte für den Rückfall die folgenden Variablen verantwortlich: eine fremde Umgebung, ein aversiver Stimulus (der Hund) und ein ängstliches Erwachsenen-Modell. Sie änderte ihre Therapiestrategie und konfrontierte Peter von nun an direkt mit dem Kaninchen, während er in seinem Hochstuhl saß und seine Lieblingsspeisen aß. Das Kaninchen wurde hierbei zunehmend an Peters Stuhl angenähert. Auch bei diesem Behandlungsteil wurden nicht ängstliche Kinder herangezogen, die vor den Augen Peters mit dem Kaninchen spielten. Schon bald konnte Peter ein Kaninchen auf den Arm nehmen, ohne eine Angstreaktion zu zeigen. Augenscheinlich weist die von Jones verwendete Methode große Ähnlichkeit mit der später von Wolpe (1958) beschriebenen Methode der systematischen Desensibilisierung auf.
Die Arbeiten von Wolpe (1958) zur systematischen Desensibilisierung und die Arbeiten von Stampfl und Lewis (1967) zur Implosionstherapie bildeten sodann das eigentliche Fundament der heutigen Expositionstherapie. Basierend auf tierexperimentellen Studien postulierte Wolpe (1954) in dem Artikel „Reciprocal Inhibition as the Main Basis of Psychotherapeutic Effects“ die reziproke Hemmung als allgemeingültiges Prinzip: Eine Angstreduktion wird erreicht, wenn angstauslösende Reize zusammen mit solchen Reizen vorgegeben werden, die eine dominierende antagonistische Reaktion auf Angst (die reziproke Hemmung) hervorrufen. Um sicher zu sein, dass die Hemmung stark genug war, gab er die angstauslösenden Reize stufenweise mit ansteigendem Schweregrad vor. Bei der Anwendung seiner Forschungsergebnisse auf Menschen zog Wolpe hauptsächlich drei Reaktionsbereiche in Betracht, die reziprok hemmend wirken konnten: sexuelle Reaktionen, assertive (selbstsichere) Reaktionen und Entspannungsreaktionen. Um Furchtreaktionen durch reziproke Hemmung abzubauen, brachte Wolpe seinen Patienten zunächst eine Entspannungstechnik – die progressive Muskelentspannung – bei und ermutigte sie dann, ihre gefürchteten Situationen Schritt für Schritt und unter Aufrechterhaltung der Entspannung zu durchleben. Ursprünglich benutzte Wolpe Konfrontationen in vivo, ging dann aber zu Vorstellungsübungen über, da diese besser kontrollierbar und leichter zu verwirklichen waren.
|6|Stampfl und Lewis (1967) orientierten sich bei der Entwicklung ihrer Implosionstherapie sowohl am Löschungsprinzip der klassischen Konditionierung als auch an psychodynamischen Vorstellungen Sigmund Freuds. In diesem Sinne nahmen Stampfl und Lewis (1967) an, dass die Löschung einer konditionierten Angst am ehesten dann auftreten kann, wenn die vorgegebenen auslösenden Stimuli denen der ursprünglichen Konditionierungssituation möglichst ähnlich sind. Konfrontiert wurde schrittweise in der Vorstellung; dabei nutzten sie zum Teil auch unmögliche oder übertriebene Vorstellungsbilder (z. B. von extrem hohen Türmen), um möglichst viel Angst hervorzurufen. Darüber hinaus wurde auch mit Vorstellungsbildern konfrontiert, die aus psychodynamischer Sicht dem Angsterleben zugrunde liegen sollen, wie z. B. ödipale Szenen, aggressives Verhalten den Eltern oder Geschwistern gegenüber, Ablehnungserlebnisse usw. Hogan (1968) gibt ein Beispiel für eine Implosionstherapie, bei der der Patient angeleitet wird, sich vorzustellen, wie eine Schlange über ihn kriecht, ihm in den Finger beißt, ihm ins Gesicht beißt, die Augen des Patienten isst und in die Nase des Patienten kriecht. Die Nutzung entsprechender Übertreibungen konnte sich langfristig nicht durchsetzen.
In den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde deutlich, dass die vielen verhaltenstherapeutischen Therapieprogramme zur Behandlung von Angsterkrankungen Konfrontation als gemeinsame Interventionsmethode teilen. In diesem Sinne kam beispielsweise Marks (1975) in einer systematischen Literaturzusammenfassung zu dem Schluss, dass die reine Konfrontation mit aversiven Reizen genauso effektiv sei wie die systematische Desensibilisierung. Er prägte in diesem Rahmen dann auch den Begriff der Exposition („exposure“) für die heutige gängige Form der Konfrontationsbehandlung.
In dem vorliegenden Buch werden die Begriffe Exposition und Konfrontation synonym verwendet. Der Begriff Konfrontation impliziert, im Unterschied zum Begriff der Exposition, ein aktives Patientenverhalten und sollte u. E. daher bevorzugt werden.
Konfrontationsverfahren unterscheiden sich in einer Vielzahl von Faktoren: Bei In-sensu-Verfahren konfrontiert sich der Patient in der Vorstellung mit angstauslösenden Reizen. Bei In-vivo-Verfahren setzt sich der Patient den Reizen in der Realität aus. Zunehmend werden auch Virtual Reality Konfrontationen beforscht und eingesetzt, bei denen Patienten sich computerbasiert den Furchtreizen aussetzen. Beim graduierten Vorgehen werden die Patienten zunächst mit weniger angstauslösenden Reizen konfrontiert, um dann schrittweise zu immer beängstigenderen Reizen überzugehen. Bei massierten Verfahren wird demgegenüber unmittelbar mit der schwierigsten Situation/|7|Vorstellung konfrontiert. Dieses Vorgehen wird auch Flooding oder Reizüberflutung genannt. Ein weiteres Unterscheidungskriterium ist die Art der verwendeten Reize: Es kann mit externen Reizen wie bestimmten Tieren, Situationen oder Objekten konfrontiert werden, oder mit internen Reizen, wie gefürchteten Körpersymptomen oder aufdringlichen Gedanken. Schließlich kann der Einsatz angstreduzierender Maßnahmen während der Konfrontation erlaubt sein bzw. aktiv gefördert werden, oder der Patient wird darin unterstützt, keinerlei sicherheitsspendende Strategien während der Exposition anzuwenden (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: Formen von Konfrontation
Im Folgenden wird auf die zentralen Unterschiede nochmals ausführlicher eingegangen.
In sensu vs. in vivo. Die erste Dimension, anhand derer Konfrontationsverfahren differenziert werden können, betrifft die Modalität, in der die Stimuli präsentiert werden: in der Vorstellung (in sensu) oder in der Realität (in vivo). Die In-vivo-Exposition gilt vielfach als die effektivste Form der Exposition (Marks, 1987). Hierbei konfrontiert sich der Patient mit den Situationen und Objekten, die ihm Angst einflößen, in der Realität (vgl. Kapitel 4.1). Jemand, der Angst vor Spinnen hat, wird angeleitet, mit Spinnen zu hantieren. Jemand, der Angst vor dem Autofahren hat, wird beim Autofahren begleitet. Jemand, der Ängste vor Ansteckung hat, wird angeleitet, solche Dinge anzufassen, die potenziell kontaminiert sind.