Susen Peters ermittelt - Iris Bleeck - E-Book

Susen Peters ermittelt E-Book

Iris Bleeck

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Schon wieder hatte ein Sexualverbrecher zu geschlagen. Ausgerechnet heute, als Kommisarin Susen Peters, den smarten Maler Leander F. verführen möchte, wird sie zur Vernehmung des Opfers in die Klinik gerufen. Der Tatsache, dass Annecke Schöning zufällig zur Tatzeit eine Abkürzung mit ihrem Auto über einen dunklen Feldweg nahm, verdankt das verletzte Mädchen wahrscheinlich ihr Leben. Geistesgegenwärtig bringt Annecke das Mädchen in die nächste Klinik, erst um Mitternacht kehrt sie in ihr heimisches Dorf zurück. Dort angekommen, ist an Schlaf nicht zu denken. Vor Angst erstarrt, glaubt sie am Fenster ihres Schlafzimmers eine lachende Totenmaske zu sehen.Genau so eine, wie das Opfer den Täter beschrieben hatte.

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Seitenzahl: 215

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Iris Bleeck

Susen Peters ermittelt

Rügen Krimi

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Annekes Heimkehr

Frieda

Susen Peters

Totentanz um Götemitz

Lachende Totenmaske

Ole Sponholz

Spurensuche

Der Tatort

Der Verdacht

Traumzeit

Unsicherheit

Entspannung

Besuch

Spaziergang

Therapie

Besuch bei Frieda

Abwechslung

Psychotherapie

Tod der Eltern

Treffen im Rest Hof

Drogenverdacht

Die Wahrheit

Stillstand

Donnerstag

Enttarnung

Fahrt zum Friedhof

Jörg Päplow

Enttarnung

Annekes Entdeckung

Das wieder entdeckte Bild

Susens Erlösung

Leanders Verhaftung

Das Verhör

Samstagnachmittag

Montagmorgen

Impressum neobooks

Annekes Heimkehr

Fluchend suchte Anneke in der Dunkelheit die Abzweigung des Feldweges in Richtung Götemitz. Es war Mitte September, und die Tage waren ungewöhnlich warm und schwül auf der Insel. Anneke öffnete das Beifahrer Fenster und atmete tief durch. Nur noch wenige Kilometer, dann hatte sie es geschafft. Nicht nur sie war ungeduldig, auch ihr Onkel Alois würde sicher schon warten. In den letzten beiden Stunden zerrte die lange Fahrt von Österreich verdammt an ihren Nerven. Mein Gott, dachte sie, ich war schon ein ganzes Jahr nicht mehr auf Rügen. Die Zeit ist einfach so verflogen, wie eine Momentaufnahme. Dankbar schaute sie auf den letzten Sommer zurück, als sie ein super Job Angebot, für ein Familienhotel als Empfangschefin zu arbeiten, annahm und bis jetzt nicht bereute. Damit stand fest, ihre Zukunft plante sie in Graz. Rügen war erst einmal Geschichte. Anneke lachte, weil sie sich als Dirndl Fan outete. Die geplanten zwei Wochen Urlaub, die mussten reichen, um hier Freunde und ihren Onkel zu besuchen. Unverhofft stoppte viel Verkehr an diesem Tag ihre Fahrt. Vieles schien sich gegen sie verschworen zu haben. Bereits auf der Rügen Damm Brücke in Stralsund begann es dunkel zu werden, und die neue Straßenführung der B96 war ihr plötzlich fremd. Diverse Bauarbeiten erschwerten die Orientierung in der beginnenden Dunkelheit. An der nächsten Baustelle, entdeckte sie eine Überführung, die war ihr unbekannt. Annekes Augen wanderten suchend nach rechts. Hier musste doch diese verdammte Abfahrt sein, dachte sie zornig. Endlich, im letzten Moment sah sie das Schild GÖTEMITZ. Sie bog in den schmalen, ihr so vertrauten Weg der kaum Gegenverkehr zuließ. Nun, um diese Zeit würde sie wahrscheinlich niemanden treffen. Erst kam der asphaltierte Weg, dann die noch aus der DDR Zeit stammenden Beton- platten. Die Büsche und Bäume am Wegesrand schienen in dem Jahr ihres Fortseins gewachsen zu sein, oder ließ die Dunkelheit sie gespenstisch groß erscheinen? Anneke war ein Dorf Kind, sich zu gruseln gehörte seit ihrer Kindheit dazu. Es gab ein Gesellschaftsspiel unter den Kindern. Wer nachts auf den Friedhof in Poseritz ging, der bekam schon mal von Ole Sponholz, dem begehrtesten Jungen im Dorf, Kräheneier geschenkt. Die wurden gemeinsam auf offenem Feuer in einer alten Eisenpfanne gebraten. Interessiert betrachtet sie den hohen Bewuchs neben der Straße.Die Holunderbüsche, der Weißdorn, auch mal ein wilder Flieder oder Wildrosen, hatten sich im Laufe der Zeit vermehrt und waren nun teilweise verblüht. Alles noch wie immer, dachte sie. Rechts neben dem Weg ein hochgewachsenes Maisfeld. Es war bedauerlich, dass es noch nicht abgeerntet war. Anneke dachte an die Kraniche, die bald zu tausenden die Insel bevölkern würden. Die kamen immer um diese Zeit. Was für eine Nachlässigkeit das Feld nicht zu mähen, und einfach vergammeln zu lassen. Die Kraniche werden hier kein Futter finden, weil sie auf dem Mais nicht landen können. Sie würde mit Ole darüber reden, der war aktiv im NaBu, und könnte Auskunft geben. Vielleicht blieb der Mais auch als Biomasse stehen, damit wir Verbraucher ein besseres Gefühl beim Tanken bekommen? Anneke lachte sarkastisch, als ob sie sich damit besser fühlen würde, wenn beim Sprit das Wort BIO davor steht. In der Dunkelheit wurde Anneke bewusst, dass sie diesen provisorischen Weg noch nie so spät befahren mochte, hatte sich schon als Mädchen oft vorgestellt, dass sie hier verlorengehen, geraubt oder verschleppt werden könnte. Vielleicht, weil die Saga ging, dass sich hier nachts die Toten zu einem Stelldichein treffen? Als sich im Maisfeld etwas bewegte, drückte Anneke reflexartig den Knopf der Zentralverriegelung, drosselte die Geschwindigkeit. Sie rechnete mit einer Rotte Wildschweinen. Das brauchte sie nach fast 10 Stunden Autofahrt wirklich nicht. Im Scheinwerferlicht ihres Autos fiel plötzlich aus dem Maisfeld ein nackter Arm, dessen Hand eine winkende Bewegung machte. Anneke schrie kurz auf, überlegte die 110 anzurufen, um dann schnell weiterzufahren. Nur weg von hier. Aber, als sie auf der Höhe des Armes angekommen war, entdeckte sie ein kaum bekleidetes Mädchen, das aus dem Maisfeld kroch. Abrupt stoppte sie, vergaß für diesen Moment ihre Angst. Dann stieg sie aus, erreichte mit wenigen Schritten das Mädchen und beugte sich nieder. Das Mädchen wimmerte: »Schnell weg hier, er ist noch in der Nähe. Er ist abgehauen, als das Auto kam.« Blankes Entsetzen packte Anneke, als sie der blutüberströmten jungen Frau aufhalf, und sie bis zum Auto stützte. Als beide eingestiegen waren, bediente sie sofort wieder die Zentralverriegelung, und atmete tief durch. Was um Himmelswillen sollte sie jetzt tun? Umdrehen, um gleich nach Bergen ins Krankenhaus zu fahren? Etwas hilflos rang Anneke mit den Händen, als ob sie aus der Luft Hoffnung greifen könnte. Da es kaum möglich war auf dem engen Weg zu wenden, würde sie sich und das Mädchen in Gefahr bringen. Der Täter könnte den Weg verstellen, das Auto angreifen. Während sie weiter in Richtung Götemitz fuhr, warf sie verstohlen einen Blick auf das Opfer. Noch so jung, dachte sie, vielleicht erst fünfzehn Jahre? Mit Schrecken sah Anneke, dass das Mädchen nur mit einem Shirt bekleidet war, und am ganzen Körper zitterte. Anneke musste so schnell es ging über den Plattenweg rasen, bis zum Haus ihres Onkels. Sie konnte sich jetzt nicht auf das Mädchen konzentrieren, ihr nicht helfen. Erst in Sicherheit sein, dann kann man entscheiden, wie es weitergeht. Nur noch bis zur Töpferei, dann rechts auf das Gutsgehöft. Dort links neben einem ehemaligen Stall, wohnte Onkel Alois. Damals, als Annekes Eltern tödlich verunglückt waren, nahm Alois das Kind zu sich nach Götemitz. Weil niemand Anspruch auf das leerstehende Haus erhob, kaufte er es und richtete es nach und nach mühsam her. Seitdem wohnten beide dort, direkt am Guts Park. Im Dorf ging das Gerede, dass es in dem Haus spuken solle. Wahrscheinlich wollte es deshalb niemand, außer Alois. Vielleicht stammte das Gerücht aus der Zeit vor etwa hundert Jahren, als ein Totengräber hier lebte, dem man nachsagte, wenn es nichts zu beerdigen gab, sorgte der für die nächste Leiche. Jedenfalls hatte dessen Geist sich so lange Anneke in diesem Haus wohnte, noch nie bemerkbar gemacht. Vielleicht zollte der Verstorbene seinem Berufskollege Alois Respekt, schließlich war auch der ein Totengräber. Die Menschen im Dorf und Umland begegnete ihrem Onkel freundlich. Jedem war klar, er würde der Letzte sein, der Hand an sie legt. Wenn ihn jemand fragte: »Alois, wird dir die Arbeit nicht langsam zu schwer, immerhin bist du schon über sechzig.« Dann lachte er schelmisch und verwies auf seine Schippe: »So lange die nicht schlapp macht, bleibt es bei Handarbeit. Ich habe jedes Grab mit Respekt für den Verstorbenen ausgeschaufelt. Das ist die letzte Ehre und die sollte auch als solche angesehen werden. Auf den Friedhof gehört kein Bagger, der würde nur die Totenruhe stören.« Besonders Alois Äußeres war für dörfliche Verhältnisse etwas ungewöhnlich. Es gab Momente in ihrem Leben, vor allem, als sie noch ein Kind gewesen war, da schämte Anneke sich manchmal für sein Aussehen. Das war lange her, inzwischen fand sie es cool. Sein Schulter langes, graues Haar bändigte er mit einem Tuch um die Stirn. Vielleicht fehlten ihm inzwischen einige Zähne, und deshalb kniff er die Lippen beim Reden etwas zusammen. Sicher hoffte er, dass diesen Verlust niemand bemerkt. Anneke hatte sich vorgenommen, mit ihm darüber zu reden. Auch sein rotblonder, brustlanger Bart wurde immer lichter. Anneke bemäkelte: »Onkel Alois, dein Bart sieht aus, wie ein Huhn in der Mauser:« Er hatte ihr lachend einen Klaps auf ihren Hintern gegeben und geantwortet: »Wer mich liebt, nimmt ihn in Kauf.« Da Anneke zu diesem Zeitpunkt fest überzeugt war, dass Alois ein asexuelles Wesen sei, er nur sie liebte, versicherte sie ihm schnell, dass sie ihn trotz Mauser Bart lieben würde.

Frieda

Das Mädchen auf dem Beifahrersitz stöhnte laut und presste die Hände auf ihre blutenden Unterarme. Anneke überfielen Angst und Schrecken, das sie nicht durchhalten könnte und gab Gas, aber der Weg zog sich. Entschlossen, doch nicht im Dorf zu halten, ließ sie das Gutshaus rechts liegen und schlug den Weg nach Bergen ein. »Kennst du das Schwein?«, fragte sie, auch, um das Mädchen von ihrem Schmerz abzulenken: »Nein«, war die Antwort, »er trug eine eigenartig lachende Totenmaske. Und er sprach kaum ein Wort mit mir. Aber er muss sich hier gut auskennen, weil er mir im Dorf hinter dem Gutshaus auflauerte, mir dann ein Messer an die Kehle hielt und drohte mich gleich umzubringen, falls ich schreien sollte. Dann ist er mit mir diesen Plattenweg gegangen. Er genoss in aller Ruhe meine panische Todesangst, und zerrte mich irgendwann in das Maisfeld. Bereits auf dem Weg hierher, schnitt er mir mit einem Messer in die Arme. Wenn Sie nicht gekommen wären, ich wäre jetzt wohl schon tot.« Das Mädchen schluchzte, und Anneke wagte nicht zu fragen, ob er sie vergewaltigt hatte, stattdessen sagte sie: »Wer bist du, woher kommst du?«

»Frieda«, flüsterte das Mädchen leise und wischte sich mit einer Hand über das verweinte Gesicht: »Ich bin als Feriengast hier. Oh Gott, meine Eltern werden mich schon vermissen!«, rief sie. »Wir kommen immer in den Schulferien, besitzen ein Haus am Ortsausgang nach Datzow. Ich wollte nur noch ein bisschen spazieren gehen, SMS schreiben, ohne die Kontrolle meiner Eltern im Nacken.« Dann weinte Frieda hemmungslos. Anneke gestand sich ein, dass sie sich nicht mehr darum gekümmert hatte, wer neu zugezogen ist. Und sie wurde das Gefühl nicht los, dass es bald mehr Zugezogene als Einheimische in den Dörfern geben könnte. Rügen war IN, besonders bei den Wohlhabenden. Früher, in ihrer Kindheit, da konnte sie angstfrei abends durch die Felder laufen, gruselte sich nur ein wenig, weil es alle Kinder taten. Und nun musste sie mit allem rechnen. Sie begann, in ihrer Ablage nach Tempotaschentüchern für Frieda zu kramen. Dabei sah sie, dass das Mädchen stark blutverschmiert war: »Soll ich dich vielleicht doch erst zu deinen Eltern bringen? »Gleichzeitig verwarf sie diesen Vorschlag wieder. »Besser wäre es allerdings, sofort ins Krankenhaus zu fahren. Du siehst erbärmlich aus, so sollten deine Eltern dich nicht sehen. Und außerdem ist es wichtig seine DNA sicherzustellen.« Anneke wunderte sich über sich selbst, wie schnell sie sich beruhigt hatte und klare Entscheidungen treffen konnte. Sie war nun hellwach und würde sofort über Datzow und Poseritz Hof nach Bergen durchfahren, bloß keine Zeit mehr verlieren. »Frieda, nimm mein Handy, es liegt unter der Ablage. Ruf deine Eltern an. Sag ihnen, dass ich dich nach Bergen bringe.. Frieda suchte nach dem Telefon und tippte dann mit zitternden Fingern die Nummer ihrer Eltern ein. Als sich ihr Vater meldete, schluchzte sie, schien unfähig einen zusammen hängenden Satz zu sprechen. Entschlossen nahm Anneke ihr das Handy ab und schilderte mit kurzen Worten das Geschehen: »Wir sind beide auf dem Weg ins Krankenhaus nach Bergen und Frieda braucht etwas zum Anziehen, vor allem Unterwäsche.« Um Worte ringend versprach der Vater, dass er und seine Frau sich sofort auf den Weg machen werden. Nach diesem Telefonat raste Anneke über die engen Dorfstraßen, zurück auf die B96 bis nach Bergen. Es war ihr Glück, dass sie jede Kurve kannte, für einen Fremden wäre das leichtsinnig bis tödlich gewesen. Auf dem Parkplatz des Krankenhauses angekommen, kramte Anneke auf der Rückbank in ihrer Reisetasche nach einem Kleid für Frieda. Sie konnte das Mädchen unmöglich in diesem Zustand in die Klinik bringen. Etwas Würde wollte sie ihr zurückgeben, nach alldem, was geschehen war. Zitternd streifte Frieda das Kleid über. Dann schob Anneke ihren Arm unter den von Frieda, und begleitete sie bis zur Notfall Aufnahme. Die erfahrene Dame an der Anmeldung erfasste schnell, dass Frieda dringend medizinisch Hilfe benötigte. Eilig holte sie einen Rollstuhl und funkte den diensthabenden Arzt an. Routiniert erkläre sie Anneke den Weg zum Schockraum und strich zum Abschied flüchtig über das Haar von Frida. Dort angekommen, waren es bange Momente des Wartens, bis der diensthabende Arzt den Raum betrat und sich von Anneke über das vorangegangene Geschehen informiert ließ. „ Bitte haben sie etwas Geduld,“ bat er,“ und griff zum Handy. Anneke hörte, dass er mit einer Kollegin sprach und anschließend mit einer Kommissarin. Als er die Gespräche beendet hatte, erklärte er: »Es ist sinnvoll, dass eine erfahrene Frauenärztin und eine Polizeibeamtin so schnell wie möglich dazu kommen. »Übrigens, mein Name ist Lars Bauer, ich bin der diensthabende Arzt. Darf ich dich noch duzen?« Frieda nickte zustimmend. »Zuerst werde ich die Verletzungen an deinen Armen versorgen. Alles andere wird die Frauenärztin mit dir besprechen.« Ruhig bat er Frieda sich auf die Liege zu legen. Die mühte sich aufzustehen, aber ihre Beine versagten. Ein Weinkrampf schüttelte sie. Wahrscheinlich war es für zu viel, in dem grellen Licht der Lampen, das verkrustete Blut auf ihren verletzten Unterarmen zu sehen? In diesem Moment klopfte es an der Tür des Schockraumes. Ohne auf eine Aufforderung hereinzukommen zu dürfen, betraten Fridas Eltern eilig den Raum. Lars Bauer reagierte etwas ungehalten und bat bestimmt, draußen vor der Tür Platz zu nehmen. Im Moment war es das Wichtigste, Frieda zu versorgen, die noch immer Annekes rechte Hand umklammerte. Deren Anwesenheit schenkte dem Mädchen anscheinend ein wenig Sicherheit. Nach der Erstversorgung bat Lars Bauer Friedas Eltern herein. Er ahnte, dass würde emotional werden. Nun war seine Arbeit getan und die Frauenärztin würde jeden Moment kommen. Er war froh, als seine Kollegin den Raum betrat. Sie war in dieser Situation wohl die bessere Ansprechpartnerin als er. Als die Ärztin Frieda befragte, beteuerte diese, nicht vergewaltigt, aber misshandelt worden zu sein. Anneke war dem Täter wohl in die Quere gekommen.

Susen Peters

Die Kommissarin Susen Peters, besuchte zum Zeitpunkt des Anrufes aus der Bergener Klinik, eine Vernissage in der Orangerie in Putbus. Fluchend eilte sie nach dem Telefonat zum Parkplatz, stieg in ihren Dienstwagen, um nach Bergen zu fahren. Ausgerechnet heute gab es in der Orangerie eine, von diesen seltenen Ausstellungen des Malers Leander F. Der hatte sich als mystisch umwitterter Künstler irgendwo auf Rügen niedergelassen. Niemals nannte er seinen Nachnamen. Er verstand es, sich fast unsichtbar zu machen, Interesse zu wecken, um sich dann wieder zu verkriechen. Susen hatte sich schon eine ganze Weile vorgenommen, seinem Leben auf die Schliche zu kommen.

Als er viel zu spät zur Eröffnung der Vernissage erschien, war ein Raunen im Raum zu hören. Die Damen schienen entzückt, dass er sich doch noch herabließ, irdisch anwesend zu sein. Susen sah ihn das erste Mal, musste sich aber nach kurzer Zeit eingestehen, der Typ hatte etwas. Er war sehr schlank, durchsichtig könnte man es auch nennen, aber nicht durchschaubar. Trotzdem konnte er im Gespräch sein Gegenüber mit Blicken aus dunklen Augen fesseln. Völlig überraschend für sie, pickte er sich Susen aus all den Frauen heraus. Fast war sie geneigt sich geschmeichelt zu fühlen, weil er die vielen Verehrerinnen an sich abperlen ließ, wie Regen- tropfen auf einem Friesennerz. Wie ein Messias nutzte er seine Plattform, um Susen in das Geheimnis seiner Bilder einzuweihen. Geschickt verstand er es, sie zu seiner Mitwisserin zu machen. Erklärte ihr das Dasein der unzähligen Rechtecke, Quadrate und Kreise auf der Leinwand mit einer Begeisterung, wie sie es noch nicht bei grafischen Dingen wahrgenommen hatte. Es kam ihr vor, als ob er zu jedem gemalten Kringel eine magische Beziehung unterhielt. Susen betrachtete ihn aufmerksam, und fand ihn anziehend. Vielleicht auch, weil er sich intensiv ihr zuneigte. Leander F. war gut aussehend, seine dunklen Locken fielen bis zum Hemdkragen, den er geöffnet trug. An seinem Hals baumelte als Schmuck der Zahn eines Tieres, der an einem braunen Lederband hing. Während Susen auf Tiger oder Bär tippte, bewegte sich Leander F. geschmeidig tänzelt vor ihr. Er war sehr gepflegt, blitzsaubere Fingernägel, keine Farbreste, was ihr als Widerspruch zu anderen Malerkollegen angenehm auffiel. Susen kannte sich in der Künstlerszene aus. Ihr Bruder gehörte zu der Gruppe, die nachlässige Kleidung, einen vier Tage Bart, oder angedeutete äußerliche Verwahrlosung als Visitenkarte ihrer Berufung celebrierten. Bei Susens Vater, der aus einer alten Fischerfamilie stammte, wirkte diese Vernachlässigung an Bord seines Kutters, eher archaisch männlich. Susen lächelte, als sie an diesen brummbärigen Mann dachte, der ihr Vater ist. Der nach Fisch und Meer roch, nach Wind und Freisein. Der, wenn es hoch kam, als Zeichen seiner Zuneigung, ihr unbeholfen auf die Schulter klopfte. Plötzlich stand Leander F. nah, sehr nah bei ihr, und riss sie aus ihren Gedanken. Sie schnupperte, weil es aus seinem Hemdkragen, an dem sich die Locken kringelten, nach Moschus duftete. Susen lächelte, weil das überhaupt nicht zu seiner filigranen Erscheinung passte, ausgerechnet Moschus! Vielleicht waren es die vielen Monate des Single Daseins, seit sie sich von David getrennt hatte, die ihr jetzt Lust auf den Maler machten. Das lag sicher auch daran, dass sie schon immer ein neugieriger Mensch gewesen ist. Leander schien für Susen einen Fundus außergewöhnlicher Geschichten in sich zu bergen. Während er eindringlich mit leiser Stimme auf sie einsprach, verspürte sie ein angenehmes Kribbeln im Bauch. Ein untrügliches Zeichen, dass sie es sich durchaus vorstellen konnte, mit ihm einen heißen Flirt anzufangen.

Und nun dieser Anruf! Gerade erst hatte sie den letzten Vergewaltigungsfall erfolglos zur Seite gelegt, da hatte dieser Perverse wieder zugeschlagen. Sie schämte sich ein wenig, dass sie zu diesem Zeitpunkt, als Frieda geschändet wurde, an Sex gedacht hatte. Na, wenigstens hatte das Mädchen den Angriff überlebt. In der Aufregung hatte sie vergessen, Leander F. um seine Telefon- nummer zu bitten. Als sie sich verabschiedete, machte er einen verschnupften Eindruck, erstarrte geradezu in seiner Mimik. Viele der anwesenden Frauen hätte sich seine Aufmerksamkeit gewünscht und ausgerechnet die, die er sich heute ausgewählt hatte, ließ ihn so sang und klanglos stehen. Er konnte ja nicht ahnen, dass Susen längst seine Adresse kannte. Sie hatte recherchiert, aber nicht mehr als seine Anschrift heraus bekommen. Ein Rest Hof am Waldrand des Dorfes Neklade, unweit von Bergen. Dort hatte er sein Atelier. In Künstlerkreisen hieß es, er würde niemanden in sein Haus lassen. Da es ihr an Selbstvertrauen nicht mangelte, war Susen zuversichtlich. Sie würde sich Zugang zu Leander F. verschaffen. Auf welche Weise, darüber musste sie noch nachdenken.

Als sie nach knapp zwanzig Minuten Autofahrt ihren Wagen parkte, ballte sie die rechte Hand zur Faust. »Ich krieg dich!«, rief sie dem unbekannten Täter in der Dunkelheit zu. Am Bett von Frieda begann Susen Peters, routiniert und einfühlsam das Mädchen, soweit es ihr psychischer Zustand erlaubte, zu befragen. Frieda schilderte den Ablauf so, wie sie ihn bereits Anneke erzählt hatte. Danach gingen Susen vor allem diese Fragen durch den Kopf, was hatte der Täter vor? Sie lange zu quälen, warum so kleine Schnitte, aber keine Vergewaltigung? Trotzdem war sie fast entkleidet. Gott sein Dank war Anneke ihm zuvor gekommen. Die Kommissarin verabschiedete sich mit der Bitte, Morgen wiederkommen zu dürfen. Sie hoffte, wenn Frieda erst einmal geschlafen hat, dass ihr doch noch etwas Verwertbares einfallen könnte. Dieser Fall schien anders zu sein, als die sexuelle Straftat auf Ummanz vor vier Wochen. Damals gab es kein sadistisches Vorspiel, eben nur den sexuellen Übergriff. Auch wenn das Wort NUR, hier unpassend erschien. Allerdings traf es auch dort eine sehr junge Urlauberin. In Susen begann es zu arbeiten. Obwohl es schon spät war, entschloss sie sich ins Büro zu fahren, um den Sachverhalt vor vier Wochen noch einmal genau in den Akten nachzulesen, nach Ähnlichkeiten zu suchen, das Täterprofil zu ergründen. Dort angekommen, erinnerte sie sich. Es handelte sich um eine sechszehnjährige Urlauberin, die etwa um zwei Uhr dreißig in der Frühe die Dorfdisco verlassen hatte, um zu Fuß nach Hause zu gehen. Susen schimpfte vor sich hin; Warum um alles in der Welt, kann sich so ein junges Mädchen nicht vom Vater oder von der Mutter abholen lassen? Susens Vater oder ihr Bruder hätten sie nie zu so später Stunde allein nach Hause gehen lassen. Weiter las sie; Auf dem Weg wurde das Opfer von einem Mopedfahrer überholt. Der dann unvermittelt stoppte und das Mädchen sexistisch anpöbelte. Da er augenscheinlich angetrunken war, beschimpfte das Mädchen ihn ebenfalls. Er fühlte sich provoziert, schmiss sein Moped in den Straßengraben und verging sich anschließend an ihr. Nach der Tat fuhr er mit seinem Moped davon. Das Opfer war so geschockt, dass es sich nicht das Kennzeichen merken konnte. Nein, sagte Susen zu sich selbst, zu dem Tatvorgang vor vier Wochen gab es heute kein Parallel Verhalten. Mit der Erkenntnis, dass es sich um zwei unterschiedliche Täter handeln müsse, fuhr sie endlich, kurz nach Mitternacht, zu ihrer Wohnung. Morgen würde sie, gemeinsam mit einer Psychologin, von der Missbrauch Stelle für misshandelte Kinder und Erwachsene in Bergen, Frieda noch einmal ausführlich befragen. Auch für Anneke wurde es Zeit, nach Hause zu fahren. Lars Bauer hatte den Verbleib zur Beobachtung in der Klinik für Frieda angeordnet, und ihr dann ein Beruhigungsmittel injiziert. Er wusste, er konnte sie der Fürsorge ihrer Eltern, die nicht von ihrer Seite wichen, überlassen.

Anneke hatte er noch ein Schlafmittel in die Hand gedrückt, mit der Bemerkung: »Ich muss nicht hellsichtig sein, um Ihnen zu sagen, dass Sie in den nächsten Nächten Schlafstörungen haben werden. Hier noch die Telefonnummer einer Psychologin, die sich auf Trauma Patienten spezialisiert hat, die sollten Sie aufsuchen. Der eigentliche Schock wird Sie in den nächsten Tagen heimsuchen. Ich wünsche Ihnen alles Gute, und Danke für Ihren Mut, das hätte nicht jeder getan.« Anneke nickte: »Frieda ist gerettet und in guten Händen. Auch die Kommissarin hat einen einfühlsamen und kompetenten Eindruck hinterlassen. Nun kann ich endlich nach Hause fahren. Ihnen Herr Bauer, wünsche ich eine ruhige Nacht.« »Na, das wünsche ich mir auch.« Im Krankenhaus war es still geworden. Die Dame von der Anmeldung saß immer noch am Empfang, als Anneke mit leisen Schritten die Klinik verließ, und ihr einen ruhigen Dienst wünschte.

Totentanz um Götemitz