Sweet like you - Robyn Neeley - E-Book
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Sweet like you E-Book

Robyn Neeley

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Beschreibung

Warmherzig, romantisch und humorvoll – ein Buch zum Wohlfühlen Honey Springs ist eine kleine Stadt in Kalifornien, die für den dort hergestellten Honig bekannt ist. Für Cassie Wilkerson ist es der Ort, an dem sie sich das erste Mal verliebte. Doch das ist lange her. Inzwischen lebt sie in New York und kehrt nur für die Testamentseröffnung ihrer Tante zurück. Doch anstatt wie erwartet irgendeine Kleinigkeit zu erben, ist sie plötzlich Besitzerin einer Farm samt Imkerei und soll zudem noch für drei Wochen das Amt ihrer verstorbenen Tante als Bürgermeisterin übernehmen. Bitte was? Cassie kann nicht bleiben. Sie hat einen Job in New York. Und sie hat Angst vor Bienen, verdammt noch mal. Aber um ihrer Tante willen lässt sie sich auf die drei Wochen ein. Schließlich hat sie Hilfe. Zum Beispiel von Nick Porter, damals ihr erster Freund und heute der Chef-Imker ihrer Farm … Der Auftakt der zweibändigen Honey-Springs-Reihe - für alle Fans von «Redwood Love» und «Gilmore Girls»

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Seitenzahl: 393

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Robyn Neeley

Sweet like you

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Ulrike Moreno

 

Über dieses Buch

Mit Honig fängt man Liebe

 

Honey Springs ist eine kleine Stadt im Norden von Kalifornien, die für den dort hergestellten Honig bekannt ist. Für Cassie Wilkerson ist es der Ort, an dem sie sich das erste Mal verliebte. Doch das ist lange her. Inzwischen lebt sie in New York und kehrt nur für die Testamentseröffnung ihrer Tante zurück. Doch anstatt wie erwartet irgendeine Kleinigkeit zu erben, ist sie plötzlich Besitzerin einer Farm samt Imkerei und soll zudem noch für drei Wochen das Amt ihrer verstorbenen Tante als Bürgermeisterin übernehmen. Bitte was? Cassie kann nicht bleiben. Sie hat einen Job in New York. Und sie hat Angst vor Bienen, verdammt noch mal. Aber um ihrer Tante willen lässt sie sich auf die drei Wochen ein. Schließlich hat sie Hilfe. Zum Beispiel von Nick Porter, damals ihr erster Freund und heute der Chef-Imker ihrer Farm …

 

Warmherzig, romantisch und humorvoll – ein Buch zum Wohlfühlen

Der Auftakt der zweibändigen Honey-Springs-Reihe

Vita

Robyn Neeley lebt an der Ostküste der USA. Sie liebt es, kleine Städte zu erkunden und sich dort Inspiration für ihre Bücher zu holen. Kaffee und Weihnachtskekse gehören zu den Dingen, die sie glücklich machen. Reality-TV auch, aber das gibt sie nicht gern zu. «Sweet like you» ist der erste Roman von ihr, der auf Deutsch erscheint, und der Auftakt zur zweibändigen Honey-Springs-Reihe. Mehr Informationen sind auf ihrer Homepage zu finden: robynneeley.com

 

Nach einem Sprachstudium an der Fachhochschule für Dolmetscher und Übersetzer in Köln hat Ulrike Moreno drei Jahre als Reiseleiterin auf den Balearen verbracht. 1980 begann sie, als freie Literaturübersetzerin zu arbeiten, und suchte sich dazu ein «stilles Plätzchen» in den Bergen Andalusiens, wo sie heute noch mit ihrem Mann und ihren drei Hunden lebt und mit ungebrochener Freude an der Arbeit übersetzt.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel «Her Purrfect Match» bei Tule Publishing, Clemente.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Januar 2021

Copyright © 2020 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Her Purrfect Match» Copyright © 2020 by Robyn Neeley

Redaktion Gesa Weiß

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung Shutterstock

ISBN 978-3-644-00852-6

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

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Hinweise des Verlags

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Dieses eBook entspricht nicht vollständig den Vorgaben des W3C-Standards EPUB Accessibilitiy 1.1 und den darin enthaltenen Regeln des WCAG, Level AA. Die Publikation ist durch Features wie Table of Contents, Landmarks [Navigationspunkte] und semantische Content-Struktur zugänglich aufgebaut. Es sind Abbildungen enthalten, die nicht mit Alternativtext versehen sind.

 

 

www.rowohlt.de

Kapitel Eins

Cassie Wilkerson neigte den Oberkörper nach vorn, um in den herabschauenden Hund zu kommen, und atmete tief durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus. Es war eine einfache Yoga-Übung, die allerdings weit weniger komisch erschiene, wenn sie sie auf dem Boden ihrer Hochhauswohnung in Manhattan durchführen würde … und in ihrem roten Sporttop und einer Yogahose statt in einem engen schwarzen Bleistiftrock und hochhackigen Lacklederschuhen auf dem Teppich in ihrem Büro.

Dennoch nahm sie diese Haltung gerne ein, wenn sie sich beruhigen und die Kontrolle bewahren wollte. Und so drückte sie ihr Kinn an ihre Brust und atmete wieder tief durch die Nase ein. Du schaffst das … Absolute … totale … Kontrolle …

«Hey, Cassie. Interessante Vorstellung, die du da gibst.»

Sie riss den Kopf zur Seite, wobei sich ihre Hüfte gen Zimmerdecke schob und sie ins Taumeln geriet. «Oh nein!», rief sie, bevor sie auf dem Boden aufschlug und dabei einen ihrer Schuhe verlor, dessen Absatz ihrem Besucher gefährlich nahekam.

So viel zum Thema Kontrolle.

«Bist du okay?», fragte Lloyd, ihr Assistent. Trotz des gelben Päckchens, das er in den Händen hielt, bückte er sich nach ihrem Schuh und hob ihn auf. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das viel eher Belustigung verriet als Sorge, als er ihr den High Heel zurückgab.

Cassie rappelte sich auf, schlüpfte wieder in den Schuh und zog ihre Kostümjacke zurecht. «Alles in Ordnung», erwiderte sie. «Ich habe mir nur die Zeit vertrieben, während ich darauf warte, von Lorraine zu hören.»

Es war ein wichtiger Morgen für die Firma gewesen, und nun tat ihre Chefin, Lorraine Burke von Burke & Taylor Advertising, gerade ihr Bestes, um einen riesigen globalen Deal mit einer erfolgreichen Hautpflegefirma namens Skin Essentials festzuzurren.

Als Leiterin der Abteilung für Kundenakquise und Neuabschlüsse der renommierten New Yorker Werbeagentur hatte Cassie vollkommen fehlerfrei den wohl bisher größten Pitch ihrer Laufbahn hingelegt – einer Laufbahn, der sie die letzten acht Jahre ihres Lebens gewidmet hatte, in denen sie die Karriereleiter bei Burke & Taylor immer weiter emporgestiegen war.

Alles war nach Plan verlaufen. Schritt für Schritt hatte sie dem Führungsteam von Skin Essentials ihre Idee präsentiert, die Werbekampagne für die neue First Touch Skin Care Pflegeserie insbesondere auf Outdoor-Abenteurer und solche, die es werden wollten, auszurichten. Vor jedem farbenfrohen Storyboard hatte sie innegehalten und voller Stolz erläutert, warum die neue Pflegeserie in diesem Sommer von jedem echten oder potenziellen Bergsteiger, Rennradfahrer und Ozeansurfer benutzt werden würde – von den Bergen bis zum Meer.

Bei ihrem letzten Storyboard, auf dem ein Wanderer zu sehen war, der einen Kratzer an seinem Bein mit der antibakteriellen Wundsalbe von First Touch behandelte, hatte sie eine Hand an das Board gelegt, dem Firmenchef von Skin Essentials fest in die Augen geschaut und ihm versprochen, dass seine neue Linie wie eine Bombe einschlagen würde und sie diejenige wäre, die die Lunte zündete.

Und dieses Versprechen gedachte sie auch einzuhalten. Schließlich hing ihre Beförderung zur Vizepräsidentin davon ab.

Bald würde das Warten ein Ende haben, und sie würde endlich in ein schönes, großes Eckbüro umziehen können.

Von diesem Gedanken beflügelt, ließ Cassie sich in ihren Sessel fallen und richtete ihren Blick auf die kanariengelbe Schachtel, die Lloyd noch immer in den Händen hielt. «Ist das für mich?»

«Ja. Es wurde vor einer Stunde unten abgegeben», sagte er und stellte das Paket auf ihren Schreibtisch.

Interessante Farbe für ein Päckchen. Für ein Geschenk zur Feier des Tages war es noch viel zu früh, schließlich waren die hohen Tiere von Skin Essentials noch immer im Gebäude. Vielleicht hatte ihr einer der anderen Kunden von Burke & Taylor ein Produkt zum Probieren geschickt? Das war nicht ungewöhnlich. Ihr Lieblingsgeschenk war zweifellos der große Korb mit den bunten Tortilla-Chips und der köstlichen Guacamole von Guac Olé, einem gutgehenden Familienunternehmen im texanischen Sweet Ridge, gewesen.

«Steht ein Absender drauf?», fragte Cassie, als sie sich vorbeugte, um ihre E-Mails zu öffnen. Multitasking war ihre größte Stärke. Sie beantwortete die einzige Nachricht in ihrem Posteingang, schob ihren Cursor auf das Papierkorbsymbol und klickte es triumphierend an. Ja! Nichts bereitete ihr mehr Vergnügen als ein leerer Posteingang.

Ein Signalton unterbrach den kurzen Moment der Freude. «Ach, verdammt!», murmelte sie, als sie die Mail von einem der Art-Direktoren ihrer Firma öffnete und zu beantworten begann.

Lloyd sah sich das Päckchen derweil näher an. «Hier steht, dass es aus Honey Springs in Kalifornien kommt.»

Cassies Finger versteiften sich, und sie hörte mitten im Satz auf zu tippen. «Es kommt woher, was hast du gerade gesagt?»

«Aus Honey Springs in Kalifornien», wiederholte Lloyd und schob ihr die Schachtel zu. «Vom Bürgermeisterbüro, steht hier.»

«Danke.» Ein starkes Schuldgefühl ergriff sie. Unter Absender stand tatsächlich Bürgermeisterbüro. Es war über zehn Jahre her, seit sie die Bürgermeisterin der idyllischen Kleinstadt im nördlichen Kalifornien zuletzt gesehen hatte.

Und inzwischen war ein Wiedersehen unmöglich geworden.

Cassies Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken. Ihre Tante Etta St. James hatte das Amt der Bürgermeisterin vor acht Jahren übernommen und Cassie sogar zu ihrer Amtseinführungsfeier eingeladen. Aber Cassie hatte damals gerade erst bei Burke & Taylor angefangen und konnte sich die Zeit nicht freinehmen.

Und ehrlich gesagt hatte sie sich auch nicht wirklich darum bemüht, hinfahren zu können.

Ihr Magen verkrampfte sich noch mehr, und sie rieb sich mit einer Hand sachte über den Bauch. Vor etwa einem Monat war sie aus einer Fokusgruppe geholt worden, um einen Anruf aus Tante Ettas Büro entgegenzunehmen. Eine ihrer Mitarbeiterinnen hatte Cassie unter Tränen mitgeteilt, dass ihre Tante einen Herzinfarkt erlitten habe und verschieden sei.

Cassie hatte an ihrem Begräbnis teilnehmen wollen, aber da sie da schon bis zum Hals im Pitch für Skin Essentials gesteckt hatte, konnte sie sich unmöglich die Zeit nehmen, durch das halbe Land zu fliegen. Sie hatte ein Dutzend pinkfarbener Rosen an das Bestattungsunternehmen geschickt. Sie waren Tante Ettas Lieblingsblumen gewesen, und sie hatte immer gesagt, sie symbolisierten Dankbarkeit und Anerkennung.

Cassie strich ihr blondes Haar zur Seite. Sie hatte die Blumen für eine passende Geste gehalten, um ihrer Tante zu gedenken.

«Möchtest du, dass ich das Päckchen öffne?»

«Nein.» Sie winkte ab. «Meine Tante war die Bürgermeisterin der Stadt.»

«Cool!»

«Sie ist letzten Monat gestorben, kurz vor Weihnachten.»

«Oh. Das tut mir leid», sagte Lloyd. «Ich geh dann wieder an die Arbeit. Falls du mich brauchst, ich bin an meinem Schreibtisch.»

Cassie lehnte sich auf ihrem Schreibtischstuhl zurück und strich mit einer Hand über das Päckchen. In den vergangenen Jahren hatte sie nicht viel an Honey Springs gedacht …

Vor langer Zeit jedoch war sie in dieser kleinen Stadt an der Westküste zu Hause gewesen.

Wenn auch nur für eine kurze, stürmische Zeit.

Sie griff nach ihrer Schere und fuhr mit einer der Klingen über das Klebeband, das die beiden Verschlussklappen zusammenhielt. «He, Lloyd! Kannst du noch mal kurz kommen?», rief sie auf den Gang hinaus. Aus Gründen, die sie selbst nicht ganz verstand, wollte sie nicht allein sein, wenn sie das Päckchen öffnete.

Vorsichtig schob sie das weiche gelbe Seidenpapier im Inneren beiseite und zog ein Glas heraus. Als sie dessen hellbraunen, dickflüssigen Inhalt sah, musste sie lachen.

Lloyd trat an Cassies Schreibtisch und biss dabei in einen halbgegessenen Apfel, der wahrscheinlich zu dem Mittagessen gehörte, bei dem sie ihn gestört hatte. «Mochte deine Tante Honig?», fragte er.

«Sie hat damit ihren Lebensunterhalt verdient.» Erinnerungen an Ettas wunderschöne Farm mit der weitläufigen roten Scheune und den sanft ansteigenden grünen Hügeln dahinter schossen ihr durch den Kopf, als sie das Glas und die hellgelbe Schleife mit den kleinen Bienen darauf betrachtete. «Sie hatte eine Farm samt Imkerei.»

«Im Ernst?»

«Natürlich! Sie hat sich liebevoll um die Bienenstöcke gekümmert. Bienen sind sehr wichtig für unser Ökosystem. Deinen Apfel gäbe es zum Beispiel gar nicht, wenn die Blüten auf der Obstplantage nicht von Bienen bestäubt worden wären.» Mit einem Lächeln blickte sie zu ihrem Assistenten auf, einem echten New Yorker, der, soweit sie wusste, nur selten auch nur westlich des Broadways gewesen war.

«Wer hätte das gedacht?» Lloyd biss noch einmal in seinen Apfel und warf das Kerngehäuse in den Papierkorb neben ihrem Schreibtisch. «Danke, Honigbienchen. Das war köstlich.»

«Du solltest die Farm meiner Tante einmal sehen. Sie liegt ganz oben auf einem wunderschönen Hügel, von dem aus man an klaren Tagen bis zur Pazifikküste sehen kann.»

«Das klingt sehr beeindruckend.»

«Das war es auch. Oder ist es vielmehr wohl immer noch. In der Scheune dort oben auf dem Hügel habe ich meinen ersten Kuss bekommen, bei einem Weihnachtsfest.»

Carrie unterbrach sich, um dann schnell hinzuzufügen: «Aber so was sollte ich dir gar nicht erzählen.» Sie wollte eigentlich gar nichts über ihr Leben in Honey Springs preisgeben und erst recht keine Einzelheiten darüber, wie der sechzehnjährige Nick Porter, der Sohn eines Landarbeiters ihrer Tante, ihr damals ihr junges Herz gebrochen hatte.

Sie griff nach dem Glas und hielt es in die Höhe. «Das ist Tante Ettas Honig. Ihr Geschäft lief wirklich gut, sie verkaufte im ganzen Land Gläser von diesem Zeug. Vor allem im Nordwesten.»

«Wow, das ist echt cool», sagte Lloyd.

«Ja, das war es», stimmte sie zu. Aber warum sollte ihr jemand aus dem Büro ihrer verstorbenen Tante Honig schicken? Sie stellte das Glas wieder hin und griff nach dem Umschlag in dem Päckchen. Als sie ihn aufgerissen hatte, überflog sie rasch den Inhalt und machte große Augen. «Ach du meine Güte.»

«Was ist?»

«Übermorgen findet die Testamentseröffnung meiner Tante statt. Das hier ist eine Einladung, daran teilzunehmen.» Für den Fall, dass sie Fragen haben sollte, stand auch die Telefonnummer von Matt Evans, dem Anwalt ihrer Tante, in dem Brief.

Lloyd unterdrückte ein Lachen. «Glaubst du, sie hat dir die Imkerei hinterlassen?»

Cassie blickte auf. «Das bezweifle ich.» Als sie weiterlas, schlug sie plötzlich eine Hand vor den Mund.

«Alles okay?»

«Ähm … jaja.» Sie las den Satz erneut.

Des Weiteren, Miss Wilkerson, werden Sie als einzige Verwandte der Verstorbenen als Interimsbürgermeisterin amtieren müssen.

Einzige Verwandte. Interimsbürgermeisterin? Cassie blickte zu einem gerahmten Foto von sich selbst hinüber, auf dem sie stolz eine Plakette hochhielt, die sie bei einer Branchenpreisverleihung erhalten hatte, während ihre Mutter lächelnd an ihrer Seite stand. Das Bild war in einer glücklicheren Zeit aufgenommen worden, kurz bevor ihre Mutter die Diagnose erhielt. Sie hatte sich tapfer gegen die Krankheit zur Wehr gesetzt, ihren Kampf gegen den Brustkrebs jedoch vor vier Jahren verloren.

Seit dem Tod ihrer Mutter war Cassie in der Tat die letzte lebende Verwandte ihrer Tante, was aber doch wohl kaum bedeuten konnte, dass sie als Bürgermeisterin einspringen musste?

Sie faltete den Brief und steckte ihn in sein Kuvert zurück. Natürlich nicht, dachte sie. Das musste ein Irrtum sein. Schließlich war es mehr als offensichtlich, dass sie nicht die Bürgermeisterin dieses Kaffs spielen konnte. Sie hatte einen Job, hier in New York City. Das würde sie diesem Anwalt erklären, wenn sie ihn später anrief …

Ihr Blick ruhte auf dem Honigglas. In jenem Winter, den sie auf der Farm verbracht hatte, hatte ihre Tante Etta sie jeden Morgen mit einer Schale Haferbrei plus einem großen Löffel von genau diesem Lavendelhonig in der Küche begrüßt.

Sie konnte die süße, dickflüssige Substanz fast allein aus dem Gedächtnis schmecken. Als Erwachsene hatte sie ihre Vorliebe für Honig verloren, aber damals in jener kurzen Zeit in Honey Springs hatte sie mehr als genug davon bekommen. Sie nahm das Glas, entfernte das Schmuckband und schraubte den Deckel auf. «Er ist wirklich sehr gut. Möchtest du mal probieren?»

«Klar.» Lloyd kam zu ihr herüber.

Cassie öffnete ihre Schreibtischschublade und suchte zwischen all dem Krimskrams, den sie darin aufhob, nach zwei Kaffeelöffeln. «Was du jetzt probieren wirst, ist Lavendelhonig. Er ist sehr kräftig.» Sie lachte leise, weil es genau das war, was Tante Etta ihr immer gesagt hatte. «Meine Tante hat behauptet, er würde mir besondere Kräfte verleihen, wenn ich jeden Morgen einen Löffel davon äße.»

«Was für Kräfte?»

«Was auch immer ich wollte.»

«Hast du ihr das geglaubt?», fragte Lloyd.

«Natürlich.» Cassie hielt inne und lachte leise. «Na ja, nicht wirklich. Ich war schon ein Teenager.» Sie nickte ihm aufmunternd zu und reichte ihm einen kleinen Löffel. «Welche Superkraft würdest du dir wünschen?»

Lloyd dachte eine Weile darüber nach, bevor er mit den Fingern schnippte. «Fliegen zu können! Das würde die Zeit, die ich jeden Tag für den Weg von und nach Queens brauche, um die Hälfte verkürzen», sagte er und lachte. «Und was hast du dir damals gewünscht?»

Die Kraft, Nick Porter dazu zu bringen, zuzugeben, dass er mich liebt.

«Was ziemlich Dummes, das auch nie in Erfüllung gegangen ist.» Sie schob das Glas zu Lloyd hinüber. «Aber jetzt probier mal.»

Ihr Assistent tat ihr den Gefallen und wollte sich gerade noch einen zweiten Löffel nehmen, als Lorraine hereinspazierte. Schnell stellte Lloyd das Glas wieder auf Cassies Schreibtisch zurück und entschuldigte sich.

«Du warst sensationell bei der Präsentation heute Morgen, Cassie!» Lorraine kam auf sie zu und verschränkte triumphierend ihre Arme vor der Brust. «Alle im Raum haben dir buchstäblich aus der Hand gefressen.»

«Danke. Das freut mich zu hören.» Cassie spürte die Hitze, die in ihre Wangen stieg, als sie sich erhob. Es fühlte sich gut an, von ihrer Chefin dafür gelobt zu werden, dass sie wirklich alles gegeben hatte.

«Ich habe keinerlei Zweifel, dass wir diesen Auftrag bekommen werden, und deshalb möchte ich, dass du dich schon mal daranmachst, den nächsten Kunden an Land zu ziehen. Wenn wir unsere Quote für das Quartal erreichen wollen, musst du dich unverzüglich an die Arbeit machen.»

Keine Pause für die Müden. Beim nächsten Pitch, mit dem sie betraut war, ging es um eine exklusive Damenschuhmarke, für die man während der Ferien eine neue Werbekampagne starten wollte.

Cassies Blick glitt zu dem offenen Honigglas auf ihrem Schreibtisch. Am Freitag würde Tante Ettas Testament eröffnet werden. Natürlich könnte sie die Ausrede vorbringen, dass sie in so einer wichtigen Phase für die Firma und ihre Karriere unmöglich wegkönne, aber die Wahrheit war, dass sie sich in einer Art Hamsterrad befand – es würde nie den idealen Zeitpunkt geben.

Das Herz wurde ihr schwer, als sie von dem Honigglas zu dem Foto hinüberblickte, auf dem ihre Mutter sie im Arm hielt. Cassie straffte ihre Schultern und wusste plötzlich ganz genau, was sie zu tun hatte. Sie konnte morgen früh einen der ersten Flüge nehmen und am Tag darauf mit einem Nachtflug zurückkehren. So wäre sie Montagmorgen wieder im Büro, bevor man sie auch nur vermissen würde.

«Lorraine …» Sie hielt inne, um sich zu sammeln. «Ich kann mit diesem neuen Pitch anfangen, aber ich werde für den Rest der Woche nicht im Büro sein. Ich habe ein paar Dinge zu regeln, was den Nachlass meiner Tante angeht.» Der Einfachheit halber erwähnte sie nicht, dass sie dafür quer durchs Land fliegen musste.

«Ist okay.» Lorraine klopfte ihr auf die Schulter. «Aber lass dein Handy an, falls es bei Skin Essentials etwas Dringendes zu regeln gibt und ich dich erreichen muss.»

«Klar. Natürlich.» Mit einem leisen Schuldgefühl griff Cassie nach dem Honigglas und verschloss es wieder. Es war allgemein bekannt, dass ihre Chefin gern Süßes aß. «Hier, probier mal den Honig meiner Tante. Du wirst begeistert sein. Das ist sicher eine tolle Stärkung für den Nachmittag.»

Lorraine nahm das Glas und drehte es in ihrer Hand. «Willst du ihn denn nicht?»

«Nein, danke. Lass ihn dir schmecken.» Cassie verabschiedete sich von Lorraine, packte ihren Laptop in ihre Aktentasche und griff nach ihrer Handtasche und ihrem Wollmantel. Wo sie hinwollte, würde es nicht schwer sein, guten Honig zu bekommen. Unwillkürlich stieß sie einen Seufzer aus. Möge Gott ihr beistehen!

Kapitel Zwei

Cassie öffnete ihren kleinen Klappspiegel und zog sich mit ihrem pinkfarbenen Lieblingslippenstift die Lippen nach. Das Taxi, das sie sich übers Internet bestellt hatte, war schon fast in Honey Springs.

Sie klappte den Spiegel wieder zu und schob ihn in das vordere Fach ihrer schwarzen Reisetasche. Gestern Abend war sie nach San Francisco geflogen und hatte dort die Nacht in einem Hotel nahe dem Flughafen verbracht. Die anderthalbstündige Fahrt gen Süden nach Honey Springs hatte ihr an diesem Morgen noch etwas kostbare ungestörte Zeit verschafft, um ein bisschen Arbeit zu erledigen.

Sie hatte nach wie vor die Absicht, an der Verlesung des Testaments ihrer Tante teilzunehmen, diese Bürgermeisterin-Sache zu klären und dann schnellstens wieder zurück zum Flughafen zu fahren. Dort könnte sie sich dann in einem Restaurant ein ruhiges Plätzchen suchen und mit dem neuen Pitch für die Damenschuhmarke anfangen, genau wie ihre Chefin es ihr aufgetragen hatte.

«Wo möchten Sie aussteigen, Miss?»

An meinem Upper East Side Apartment in New York City. Cassie schaute aus dem Fenster, als sie an einem großen gelben Schild am Ortseingang vorbeifuhren. Sie musste lachen, als sie die große lächelnde Biene auf dem Schild sah, auf dem geschrieben stand:

Willkommen in Honey Springs, Kalifornien

Einwohnerzahl:

5000 (4000 stechen hin und wieder)

1 Bienenkönigin

Ja, sie war definitiv nicht mehr in Manhattan. «Dort drüben, bitte», sagte sie und zeigte auf einen gelben Pavillon in einem kleinen Park. Blumen in den intensivsten Rosatönen, die sie je gesehen hatte, wuchsen rund um das kleine Gebäude. «Danke schön.»

Nachdem sie das Taxi bezahlt hatte, holte sie tief Luft und hängte sich ihre Reisetasche über die Schulter. Sie hatte nur leichtes Gepäck dabei: einen schlichten Pullover und Jeans für den Flug, eine Yogahose und ein T-Shirt zum Schlafen und den schwarzen Hosenanzug mit der rubinroten Seidenbluse, die sie jetzt trug – ein passendes Outfit für eine Testamentseröffnung.

Das hoffte sie zumindest, sie war noch nie zuvor bei einer gewesen.

Sie setzte sich auf eine nahe Parkbank und schaute auf ihrem Handy nach, wie spät es war. Matt Evans hatte sie in seinem Brief darum gebeten, um zehn Uhr morgens im Rathaus zu sein, was bedeutete, dass sie noch eine halbe Stunde totzuschlagen hatte.

Ein Händchen haltendes altes Pärchen ging an ihr vorbei und grüßte sie mit einem heiteren «Guten Morgen».

«Guten Morgen», erwiderte sie den Gruß. Hier in Honey Springs waren schon immer alle sehr freundlich gewesen. Ganz anders als in der Großstadt, wo sie auf dem belebten Weg von ihrem Apartment zu Burke & Taylor ihren Blick ständig auf ihr Telefon gerichtet hielt – genau wie die meisten New Yorker, die ihr entgegenkamen.

Tante Etta war nicht so gewesen. Cassie lachte bei dem Gedanken. Oh nein. Etta St. James hatte sich nie eine Gelegenheit entgehen lassen, zu plaudern.

Und alle hatten ihre Tante und deren überwältigende Persönlichkeit geliebt. Als Cassie kurz nach der Scheidung ihrer Eltern mit ihrer Mutter von Manhattan nach Honey Springs gezogen war, hatte Tante Etta keine Zeit verloren, sie mit – und in – der Stadt bekannt zu machen. In ihrem alten, verbeulten braunen Kombi war sie mit ihnen zur Honey Lane gefahren, die so etwas wie die Hauptstraße der Ortschaft war, und hatte sie sämtlichen Geschäftsinhabern rechts und links der von Bäumen gesäumten Allee vorgestellt.

In jenen Tagen hatte Cassie bei jedem Stadtbesuch mit ihrer Tante immer wieder höflich danebenstehen und warten müssen, während Tante Etta mit jedem ein Schwätzchen hielt, dem sie auf dem Parkplatz, im Lebensmittelladen, an der Tankstelle oder in der Post begegneten. Mit ihr Besorgungen zu machen, dauerte für gewöhnlich mehrere Stunden.

Cassies Blick glitt über die Straße zu The Book Bee. Früher hatte die Buchhandlung eine beachtliche Auswahl neuer und gebrauchter Bücher angeboten, und Cassie hatte dort viele Nachmittage mit heißer Schokolade in einem der bequemen Plüschsessel verbracht, vertieft in einen Klassiker. Neben dem Buchladen befand sich Honey’s Hair Salon, und wenn sie sich nicht irrte, hieß die Besitzerin tatsächlich Honey.

Sie bemerkte eine Biene, die eine Blüte neben ihr umkreiste und dann ganz plötzlich auf sie zuflog. Erschrocken sprang sie von der Bank auf und wich ängstlich zurück. Wo eines dieser mit Stacheln bewaffneten Insekten herumschwirrte, konnten gut noch andere lauern. Von einem Bienenschwarm angegriffen zu werden, war schon immer eine ihrer größten Ängste gewesen.

In ihrem New Yorker Hochhausapartment brauchte sie sich davor nicht zu fürchten, aber hier in Honey Springs lag die Sache anders.

Cassie griff nach ihrer Reisetasche und ging über die Straße. Es war schön, durch die Stadt zu bummeln, ohne einen dicken Wintermantel, Handschuhe und einen Schal tragen zu müssen. Für Ende Januar herrschte hier in Honey Springs mit etwa fünfzehn Grad eine wirklich angenehme Temperatur.

Als sie auf das Queen Bea Diner stieß, konnte sie fast nicht glauben, dass sie dieses Lokal vollkommen vergessen hatte. Immerhin gab es hier die besten Waffeln, die sie je gegessen hatte. Allein schon beim Gedanken an die goldbraunen, mit dickflüssigem Ahornsirup beträufelten Köstlichkeiten lief ihr das Wasser im Mund zusammen.

Sie warf einen Blick hinein. Das geräumige Lokal war dicht besetzt von Frühstücksgästen, und zwei Bedienungen mit Tellern in den Händen schlängelten sich zwischen den Tischen hindurch. Eine alte Frau mit einer stark toupierten Beehive-Frisur, wie sie in den Sechzigern modern gewesen war, stand hinter der Theke und schenkte einem jungen Mann Kaffee ein, während sie über irgendetwas lachte, was er sagte.

Cassie legte unwillkürlich eine Hand über ihr Herz. Ihre Mutter war oft mit ihr hierhergekommen, besonders wenn sie eine Auszeit von Tante Etta gebraucht hatte. Dann hatten sie an genau dieser Theke gesessen und Berge von Waffeln bei genau dieser Frau bestellt, in der Cassie sofort Bea Davis wiedererkannte, die Besitzerin des Diners.

Cassie und ihre Mutter hatten in jenem Winter geplant, bei Tante Etta zu wohnen, bis sie sich an ihr neues Leben in Honey Springs gewöhnt hätten. Doch drei Monate zusammen auf der Farm hatten den beiden Schwestern schon genügt, um heftig aneinanderzugeraten, denn sie waren so gegensätzlich, wie man nur sein konnte.

Während Cassies Tante eine überzeugte Realistin war, war ihre Mutter ein Freigeist, die an aussichtslosen Träumen festhielt. Die beiden Schwestern waren so unterschiedlich, dass sie einfach nicht in der Lage waren, einen Mittelweg zu finden. Da beide dazu noch die Sturheit ihres Vaters geerbt hatten, versuchten sie nicht einmal, miteinander auszukommen.

Ihre Mutter hatte eigentlich vorgehabt, sich Arbeit zu suchen und in Honey Springs ein neues Leben für sich und ihre Tochter aufzubauen, doch dann musste Cassie schon als Teenager lernen, dass sich selbst die besten Pläne ändern konnten. Nach drei Monaten konnte ihre Mom das Kleinstadtleben – dazu noch unter Tante Ettas Dach – nicht mehr ertragen. Am Tag nach dem Valentinstag hatte sie das Auto gepackt und mit ihrer Tochter fast fluchtartig die Farm verlassen, um an die Ostküste zurückzukehren.

Cassie warf einen weiteren Blick durch das Fenster des Diners und sah, wie Bea die Theke abwischte. Ihr hochtoupiertes Haar war deutlich grauer als früher.

Dann sah Cassie ihr eigenes Spiegelbild im Glas. Bea war nicht die Einzige, die älter geworden war. Die Frau, die Cassie entgegenblickte, war eine extrem leistungsfähige Führungskraft in der Werbebranche. Eine Frau, die nicht hierher gehörte und dringend zu ihrem Job in New York City zurückmusste.

Cassie straffte die Schultern und ging weiter. Hör auf, in Erinnerungen zu schwelgen oder deine Zeit auf der Honey Lane zu vertrödeln, sagte sie sich. Sie bog nach rechts ab und ging geradewegs zum Rathaus, wo sie die Eingangsstufen hinaufstieg und die Tür aufzog.

Im Eingangsbereich sah sie zu ihrer Rechten eine Tür, auf der in schwarzen Buchstaben Bürgermeisterin stand. Cassie blieb stehen und atmete tief durch.

Also los!

Sie trat auf die Tür zu und öffnete sie, worauf sie sofort in einem Vorhang aus pinkfarbenen und blauen Luftschlangen stand, die im Durchgang angebracht waren. Dahinter konnte sie Leute lachen hören.

War dies das richtige Büro? Schnell trat sie noch einmal einen Schritt zurück, um sich erneut das Schild an der Tür anzusehen.

Ja. Hier musste es sein.

Sie schritt durch den Papiervorhang und betrat einen Raum voller Menschen, die angeregt miteinander plauderten und aßen.

Interessant, dachte sie. War das Ganze nicht ein bisschen zu fröhlich für eine Testamentseröffnung? Waren solche Anlässe nicht eher trist und ernst?

Und waren wirklich alle diese Leute dazu eingeladen worden?

«Cassie!» Eine Frau Anfang Fünfzig, die einen Reif mit schwarzen Katzenohren im Haar trug, kam zu ihr herübergelaufen und umarmte sie stürmisch. «Wir haben den ganzen Morgen auf Sie gewartet und sind sehr froh, dass Sie gekommen sind. Ich bin Darla Fitzgibbons.» Sie drehte sich halb um und rief: «Madison, Hank! Sie ist hier. Sie ist tatsächlich hier.» Dann wandte sie sich wieder Cassie zu. «Wie war der Flug?»

«Ganz gut, danke», erwiderte Cassie höflich.

«Ich bin bisher nur ein einziges Mal geflogen, und das war, als meine Eltern mit mir in Disney World waren. Aber damals war ich noch ein kleines Mädchen. Waren Sie schon mal da?»

Cassie verzog die Lippen zu einem Lächeln. «Mit acht Jahren mal, aber seitdem nicht mehr.» Das stimmte. In glücklicheren Zeiten waren ihre Eltern einmal zu einem Urlaub mit ihr dort hingeflogen.

Darla zog einen Stuhl heran und griff nach Cassies Reisetasche, um sie darauf abzustellen.

«Danke.» Verwundert blickte sie zu den Spruchbändern an den Wänden auf, auf denen Juhu, ein Junge! und Juhu, ein Mädchen! stand. «Oh, entschuldigen Sie … Bin ich hier etwa in eine Babyparty geplatzt?»

Darlas Katzenohren hüpften auf und ab, als sie nickte. «Wir haben alle im Gebäude eingeladen, auf ein paar Donuts vorbeizukommen. Es ist eine Katzenbabyparty für Ihre Cousine.»

«Eine Katzenbabyparty für meine Cousine?», wiederholte Cassie sehr verwirrt.

«Für Belle, die Katze Ihrer Tante. Die Babys könnten jederzeit kommen.» Darla griff hinter sich und nahm einen Haarreif mit zwei weißen Katzenohren von einem Schreibtisch. «Hier, den habe ich für Sie aufgehoben.»

«Oh, das wäre doch nicht nötig gewesen …», begann Cassie zu protestieren, aber Darla war schneller und hatte ihr den Reif mit den Katzenohren schon auf den Kopf gedrückt. «Danke», sagte Cassie verlegen.

Darla grinste stolz. «Jetzt sind Sie eine von uns.»

Das bin ich ganz sicher nicht. «Ich bin mit Matt Evans verabredet. Ist er hier?»

«Er verspätet sich wohl. Kommen Sie mit mir zu Belle. Sie kann es kaum erwarten, Sie kennenzulernen.»

Die Katze will mich kennenlernen. Cassie bezweifelte das sehr, folgte der Frau aber und spürte, wie alle anderen im Raum sie ansahen.

Darla ging zu einer Zimmerecke, in der eine flauschige weiße Katze es sich auf dem Schoß eines alten Mannes bequem gemacht hatte, der ein orange-schwarz kariertes Hemd und einen Cowboyhut trug. Die Augen hatte er geschlossen.

«Hank.» Darla schüttelte ihn kräftig.

Erschrocken richtete er sich auf. «Was zum Teufel …?»

«Wach auf!», schrie sie ihm ins Ohr. «Cassie ist hier.» Dann wandte sie sich wieder Cassie zu. «Das ist Hank Fisher, Ettas Redenschreiber», sagte sie.

Der alte Mann sah Cassie an, tippte sich an den Hut und nickte ihr mit einem barschen «Hallo» zu, bevor er die Augen wieder schloss.

Hmmm … Hoffentlich zeigte Hank im Schriftlichen mehr Geschick, denn seine mündliche Kommunikation ließ doch einiges zu wünschen übrig. Allerdings war es eine recht beeindruckende Gabe, in einem Raum voller Menschen ein Schläfchen halten zu können.

«Hi, Cassie.» Eine Frau mit langem, welligem rotem Haar, die keine Katzenohren trug, kam zu ihr und gab ihr die Hand. «Ich bin Madison Porter, die Büroleiterin.»

Cassie erwiderte ihren Händedruck. Porter. Ob die Frau mit Nick verwandt war? Lebte er noch hier in Honey Springs? «Sind Sie eine Verwandte von Nick Porter?» Sie konnte es nicht lassen zu fragen.

Nicht dass es sie wirklich interessierte. Dieser Zug war schon vor Jahren abgefahren. Außerdem waren sie damals noch halbe Kinder gewesen.

«Er ist mein Cousin.»

«Wohnt er noch hier in …» Sie kam nicht dazu, ihre Frage zu beenden, weil Darla die Katze von Hanks Schoß hob und Cassie hinhielt. «Schau mal, Belle, das ist deine Cousine Cassie. Und darf ich Ihnen Belle vorstellen, Cassie?»

Cassie trat einen Schritt zurück und strich sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr. Sie war nicht sicher, ob sie belustigt oder peinlich berührt sein sollte.

Die Katze richtete ihre blauen Augen auf Cassie und begann, in Darlas Armen unruhig zu werden.

«Du möchtest Cassie richtig begrüßen, nicht?», fragte Darla und wollte die Katze an Cassie weiterreichen.

«Ach nein, das glaube ich nicht», sagte Cassie schnell und hob abwehrend die Hände. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, waren weiße Katzenhaare auf ihrem schwarzen Designer-Anzug. Die Katze schien das jedoch nicht zu kümmern. Sie sprang mit einem Satz aus Darlas Armen zu Cassie hinüber und bohrte ihr ihre scharfen Krallen in die Schulter.

«Oh, okay. Wow! Sie ist nicht gerade leicht, oder?» Cassie tat ihr Bestes, um die hochschwangere Katze richtig festzuhalten. Wie viele Kätzchen wohl in diesem enormen Bauch steckten?

Und so viel zu ihrem Wunsch, ihren teuren Anzug vor weißen Katzenhaaren zu bewahren! «Was glauben Sie, wie lange Matt noch brauchen wird?», fragte sie, als die zutrauliche Katze ihren Kopf an ihrem Gesicht rieb und ihr das Kinn mit ihren langen Schnurrhaaren kitzelte.

«Er müsste jeden Moment hier sein. Belle mag Sie, wie ich sehe», sagte Darla, und ihr Grinsen wurde noch ein bisschen breiter, woraufhin Madison die Augen verdrehte.

«Was ist?», fragte Darla sie.

«Das weißt du genau. Lass Cassie in Ruhe.» Madison entschuldigte sich, um mit einem jungen Paar zu sprechen, das am Fenster stand.

In diesem Moment klingelte Cassies Handy in ihrer Handtasche. Sie erkannte den Klingelton sofort. Sie hatte ihn speziell für Lorraine eingestellt. Während sie etwas unbeholfen die Katze festhielt, griff sie mit einer Hand in ihre Tasche. «Entschuldigen Sie, aber ich muss den Anruf kurz annehmen. Es ist meine Chefin.»

«Dann nehme ich Belle besser.» Darla streckte die Hand aus und löste die Vorderpfoten der Katze von Cassies Schulter. «Na komm schon, Mama Belle, lass uns ein paar deiner Geschenke auspacken. Ich wette, es ist auch eine Tüte Fischleber-Leckerli dabei. Mmhhh.»

Cassie fischte ihr Handy aus der Tasche, und ihr Puls begann zu rasen. Lorraine bat sie um ein Videogespräch. Konnten das die guten Nachrichten von Skin Essentials sein, auf die sie wartete?

Sie ging zum Ausgang, um einen ruhigeren Platz zu finden, schob die Luftschlangen aus dem Weg und öffnete die Tür, bevor sie den Anruf annahm. «Hi, Lorraine», sagte sie, bevor sie den kleinen Flur durchquerte und über die Eingangsstufen auf den Bürgersteig hinaustrat.

«Ich bin froh, dass du rangegangen bist, Cassie. Ich habe wich…» Sie unterbrach sich jäh. «Was hast du denn da auf dem Kopf?»

Mist. Sie hatte vergessen, den Haarreif mit den Katzenohren abzunehmen! «Nichts.» Cassie hielt das Telefon ein wenig tiefer, damit Lorraine die Ohren nicht mehr sehen konnte. «Ist alles okay?»

«Ja und nein. Ich habe heute unzählige Telefongespräche geführt. Skin Essentials zieht uns nach wie vor stark in Betracht, aber der Firmenchef findet unseren Ansatz leider weder innovativ noch interessant. Wir werden noch mal einen neuen Pitch präsentieren müssen.»

Cassie sank das Herz. Sie hatte diese Reaktion befürchtet. Aber die Wahrheit war einfach, dass der Kunde kein innovatives oder interessantes Produkt hatte. Bei den Zielgruppentests, die sie im Dezember hatten machen lassen, war herausgekommen, dass die Kosmetiklinie allenfalls mittelmäßig war. Selbst die Wundsalbe, die sie ins Zentrum ihres Pitches gestellt hatte, roch eher wie ein Mittel für arthritische Gelenke, das in Pflegeheimen benutzt wurde. Was sie wirklich brauchten, um die neue Kosmetiklinie zu lancieren, war ein besonderes Produkt, ein Must-have. Was sie hatten, war alles andere als optimal.

«Ich würde gern das ganze Team sofort zu einem Brainstorming im Konferenzraum versammeln. Wie schnell kannst du im Büro sein?»

Oh nein! Cassie zupfte an ihrem Ohrläppchen. Wenn doch nur Teleportation schon möglich wäre! «Ich, ähm … es tut mir echt leid, dass ich es dir nicht vorher schon gesagt habe, aber ich bin in Kalifornien.»

«Wo bist du?» Lorraine beugte sich so weit vor, dass Cassie auf dem Display das Beben ihrer Nasenflügel erkennen konnte.

«In Kalifornien», wiederholte sie kleinlaut. Natürlich musste sie ihrer Chefin nicht sagen, was sie in ihrer Freizeit tat, aber da sich die Firma hinsichtlich der Werbekampagne für Skin Essentials gerade in so einer kritischen Phase befand, hätte sie es vielleicht doch tun sollen. «Das Testament meiner verstorbenen Tante wird hier eröffnet.» Sie hielt inne, um dann rasch hinzuzufügen: «Aber das wird jeden Augenblick beginnen und dürfte auch nicht allzu lange dauern. Sobald die Testamentseröffnung vorbei ist, werde ich sofort zum Flughafen fahren und versuchen, eine frühere Maschine zu bekommen.»

Lorraines stoischer Gesichtsausdruck verriet wenig Verständnis. «Ich wünschte, du hättest mir gesagt, dass du auf der anderen Seite des Landes sein würdest!»

«Du hast ja recht. Und es tut mir auch schrecklich leid, Lorraine.»

«Na ja, dann muss das Meeting eben ohne dich stattfinden. Gut, dass wenigstens Tom dabei sein kann. Lass uns morgen noch mal telefonieren.»

«Unbedingt! Und glaub mir, es tut mir wirklich leid. Ich komme so bald wie möglich zurück.» Cassie beendete das Gespräch und biss die Zähne zusammen, bis sie schmerzten. Ihr Kollege Tom hatte es auf die gleiche Beförderung abgesehen wie sie. Hatte sie sie ihm gerade auf dem Silbertablett serviert?

Ganz sicher nicht, dachte Cassie und straffte ihre Schultern. Es wurde höchste Zeit, dass sie erledigte, was sie hier zu erledigen hatte, und nach Manhattan zurückkehrte! Nachdem sie ihr Telefon wieder in ihre Handtasche gesteckt hatte, fuhr sie auf dem Absatz herum – und prallte gegen etwas Hartes.

Falsch. Nicht gegen etwas, sondern gegen jemand Hartes. Ihre weißen Katzenohren rutschten ihr über das Gesicht und stießen an eine Männerbrust. «Oh, Entschuldigung», sagte sie und wich zurück, wobei sich jedoch einer ihrer Absätze in einer kleinen Rille im Bürgersteig verfing. Cassie versuchte, ihren Fuß anzuheben, aber der Schuh rührte sich nicht.

Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Nachdem sie jahrelang erfolgreich den U-Bahn-Gitterrosten auf der Sixth Avenue ausgewichen war, hätte sie Meisterkurse im Umgehen von High-Heel-Fallen geben können.

Wieder zog sie ruckartig den Fuß hoch. Als der Schuh sich auch dieses Mal nicht von der Stelle rührte, streifte sie ihn ab und bückte sich danach. Auf gar keinen Fall wollte sie riskieren, den Absatz ihrer teuren Manolo Blahniks zu ruinieren.

«Kann ich Ihnen helfen, Ma’am?»

Ma’am? Sie zog fester an dem Absatz, als es ihm vermutlich guttat. Wie alt sah sie denn aus? Sie war gerade mal einunddreißig! «Es geht schon», erwiderte sie, ohne den Blick von ihrem Absatz abzuwenden. Kaum zu glauben, wie fest er in der Rille steckte!

«Cassie, bist du das? Cassie Wilkerson?»

Sie erstarrte. Diese Stimme! Wieso hatte sie sie nicht gleich erkannt? Sie war viel tiefer, als sie sie in Erinnerung hatte, aber als er ihren Namen aussprach, war ihr sofort klar, wem die Stimme gehörte.

Cassie ließ ihren Schuh los, richtete sich langsam auf und schob sich den Reif mit den Katzenohren wieder in die Haare, damit er ihre Sicht nicht mehr behinderte. «Hi, Nick.» Sie schwankte, da sie an einem Fuß einen High Heel trug, auf der anderen Seite gar keinen Schuh, und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Schnell zog sie auch den anderen Schuh aus, um das Gleichgewicht zurückzugewinnen, und nahm den lächerlichen Haarreif endgültig ab. «Was machst du denn hier?», fragte sie, ohne ihre zitternden Knie zu beachten. Gut, dass sie von ihrer Hose verdeckt wurden.

«Tja, weißt du, ich lebe hier», erwiderte er grinsend und zog die Manschetten seines schwarzweißen Flanellhemds zurecht.

«Richtig.» Eigentlich war es nicht sehr überraschend, dass er Honey Springs nicht verlassen hatte, denn soweit sie sich erinnerte, taten das die meisten Bewohner der Stadt nicht.

Er nickte zum Rathaus hinüber. «Ich habe gehört, du bist zur Interimsbürgermeisterin ernannt worden.»

«Das ist bloß ein Gerücht, mehr nicht.» Sie schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hand. Was für ein schrecklicher Gedanke! «Ich arbeite in Manhattan.»

«Wie schön für dich. Du warst ja schon immer eher ein Stadtmensch.»

Was wollte er damit sagen? War das irgendeine Art von Anspielung auf die kurze Zeit, die sie zusammen waren?

Schon damals hatte sie die fabelhafteste Stadt der Welt auf gar keinen Fall verlassen wollen, um in diesem Honignest zu leben. In den ersten Tagen war sie sehr schlecht gelaunt und unglücklich gewesen, bis sie dann dem gutaussehenden Farmarbeiter begegnet war, der jetzt wieder vor ihr stand.

Sie schaute ihm in die Augen und sah, dass sie noch genauso blau waren, wie sie sie in Erinnerung hatte. Die unübersehbaren kleinen Fältchen um sie herum, die er mit sechzehn noch nicht gehabt hatte, unterstrichen ihren Glanz eher noch.

In diesem Moment kam ein Mann an ihnen vorbei und klopfte Nick auf die Schulter. «Tut mir leid für deine Raiders, Kumpel. Vielleicht wird’s ja im nächsten Jahr was.»

«Jajaja. Deine Broncos werden ja wohl genauso wenig Super-Bowl-Ringe kriegen.»

Cassie stand daneben und sah zu, wie die beiden Männer sich gegenseitig aufzogen. Nick war tatsächlich erwachsen geworden. Sein blondes Haar war kürzer als vor all den Jahren und schon ein bisschen grau meliert.

Auch der unübersehbare Dreitagebart um sein Kinn war neu. Und er stand ihm ziemlich gut.

Doch dann drehte Nick sich um, und sie wurde rot, weil er sie bei ihrer neugierigen Musterung ertappt hatte. «Entschuldige, Cassie, ich hätte dich vorstellen sollen. Das war Patrick Manning, ein guter Bekannter von mir und der Besitzer des Bean & Brew. Du solltest mal hingehen, solange du hier bist.»

«Ich werde nicht allzu lange bleiben.»

«Richtig», stimmte er ihr grinsend zu. «Du musst ja zurück zu diesem tollen Job in New York City.»

«Genau.»

«Aber ich freue mich wirklich, dich zu sehen.» Er strich sich mit einer Hand über das Kinn. «Und mein herzlichstes Beileid, Cassie.»

«Danke. Ich wünschte, ich hätte zu Tante Ettas Beerdigung kommen können.»

«Sie war sehr schön. Schlicht und unprätentiös, genau wie Etta es sich gewünscht hätte.» Er lachte leise. «Und mit unzähligen Bienenwitzen natürlich.»

«Das kann ich mir vorstellen.» Cassie wandte das Gesicht ab und legte eine Hand an ihren Hals. Sie hätte wirklich herkommen sollen, um ihrer Tante die letzte Ehre zu erweisen. «Aber jetzt muss ich langsam gehen … ähm … ich habe noch einen Termin. Einen wichtigen, zu dem ich nicht zu spät kommen will. Ich bin nie unpünktlich …» Herrgott noch mal, nun geh endlich, Cassie!

Nick warf ihr einen prüfenden Blick zu. Es war der gleiche Blick, mit dem er sie vor fünfzehn Jahren angesehen hatte, als sie sich das erste Mal am Teich hinter Tante Ettas Scheune begegnet waren. «Und wir wollen nicht, dass sich das jetzt ändert», sagte er und trat beiseite.

«Tschüs, Nick.» Sie ignorierte ihr wild pochendes Herz und hastete die Stufen zum Rathaus hinauf.

«He, Cassie – warte mal!»

Als sie sich umdrehte, sah sie, dass Nick mit einem breiten Grinsen auf sie zukam und ihren Schuh hochhielt. Erst da fiel ihr auf, dass sie den anderen immer noch in der Hand hatte. «Den willst du doch sicher anziehen zu deinem wichtigen Termin», sagte er mit einem süffisanten Lächeln, als er ihr den Schuh reichte.

So viel also zu einem selbstsicheren Abschied von ihrer Vergangenheit.

«Danke», murmelte sie, und ihre Wangen wurden heiß, als sie wieder in beide Schuhe schlüpfte.

«Freut mich, dass du wieder da bist, Frau Bürgermeisterin.»

«Ich bin nicht die Bürgermeisterin», sagte sie. Als sie allein in das Gebäude hineinging, fügte sie leise hinzu: «Ich bin definitiv nicht die Bürgermeisterin.»

Im Eingangsbereich nahm sie ihr Handy heraus und öffnete die Uber-App. Da die Testamentseröffnung unmöglich länger als eine Stunde dauern konnte, wäre es sicher das Beste, schon einmal einen Wagen für diese Zeit zu bestellen. So würde sie keine weitere Begegnung mit Nick Porter riskieren.

Cassie Wilkerson ist in Honey Springs. Nick sah ihr nach, als sie im Rathaus verschwand. Sie wusste es noch nicht, aber sie hatten sich gerade nicht zum letzten Mal gesehen.

Die Eingangstür des Gebäudes flog auf, und seine Cousine Madison kam die Stufen herabgeeilt. «Da bist du ja endlich! Ich wollte dir gerade eine Nachricht schicken, dass Matt unterwegs ist.»

«Das freut mich zu hören.»

«Und die Interimsbürgermeisterin ist auch schon da.»

«Ich weiß», gab er zu, als sie zusammen die Treppe hinaufstiegen. «Ich habe sie gerade zufällig getroffen.»

«Also stimmen die Gerüchte, dass ihr einmal verlobt wart?»

Er warf ihr einen raschen Seitenblick zu. Er konnte sich kaum vorstellen, dass dieses Gerücht die Runde machte, schließlich waren sie damals gerade mal auf der High School gewesen. Seine Cousine wollte ihn nur ärgern. «Cassie und ich waren mal kurz zusammen, aber das ist lange her.» Er hielt inne. «Sehr kurz», betonte er, damit seine Cousine das Thema nicht weiterverfolgte.

«Glaubst du, dass sie bleibt?»

«Um hier die Bürgermeisterin zu spielen?» Ihn hatte fast der Schlag getroffen, als er im Queen Bea erfahren hatte, dass Ettas einzige noch lebende Verwandte übergangsweise zu ihrer Nachfolgerin wurde, bis die Stadtführung eine Nachwahl abhalten konnte. «Das bezweifle ich. Sie taugte schon damals nicht für das ruhige Landleben, und ihrer Kleidung nach zu urteilen hat sich daran nichts geändert.»

Seine Cousine sah ihn mit einem durchdringenden Blick an. «Seit wann beurteilst du Leute nach ihrem Aussehen?»

«Ach, du weißt schon, was ich meine. Wir sind hier Jeans- und Flanelltypen.»

Sie verdrehte die Augen. «Du vielleicht, Nick. Aber wie lange wart ihr beide denn nun eigentlich zusammen?»

«Cassie war nur ein paar Monate hier», erwiderte er kopfschüttelnd. «Sie und ihre Mutter wohnten damals für eine Weile bei Etta, und in dieser Zeit ist sie mir überallhin nachgelaufen. Ich konnte sie einfach nicht loswerden. Sie hat mich quasi mit Beharrlichkeit rumgekriegt.»

«Bist du sicher, dass es nicht umgekehrt war?» Madison drückte seinen Arm und lachte.

Auch Nick musste lachen. Später vielleicht, aber nicht zu Anfang. Er erinnerte sich noch gut daran, wie er in jenem November aus der Scheune gekommen war und Cassie gesehen hatte, die ihren pinkfarbenen Koffer zu Ettas Haus hinaufschleppte. Sie war überhaupt nicht sein Typ gewesen mit ihren Designerjeans, den großen goldenen Kreolen-Ohrringen, den klimpernden Armreifen und ihrem mit Rüschen besetzten weißen Top.

Kurz darauf hatte er Cassie dabei ertappt, wie sie ihn heimlich dabei beobachtete, als er sein Paddelboot in Ettas Teich zu Wasser ließ. Als er aus dem Wasser gestiegen war, um hallo zu sagen, war sie feuerrot geworden und hatte so getan, als wäre sie völlig in das Buch auf ihrem Schoß vertieft.

Zwei volle Wochen lang war sie jedes Mal da, wann auch immer er nach der Schule und an den Wochenenden in der Scheune war oder zum Teich hinunterging. Immer hatte sie ein Buch unter dem Arm und tat so, als suchte sie nach einem perfekten Ort zum Lesen. Als er sie schließlich darauf ansprach, winkte sie hochmütig ab, so als wäre sie sich viel zu gut für den Sohn eines Farmarbeiters.

Ob sie sein schmutzig-weißes T-Shirt und die abgetragenen Levis nun abstoßend fand oder nicht, sie tauchte weiterhin auf, und er genoss die Aufmerksamkeit. Welcher Teenager würde sich über das Interesse einer blonden, blauäugigen Schönheit auch nicht freuen? Ein paar Wochen lang flirteten sie miteinander, und dann, bei Ettas alljährlicher Weihnachtsparty, hatten sie sich in der Scheune schließlich zum ersten Mal geküsst.

Heute hatte er Cassie, die sehr smart und erwachsen wirkte in ihrem schwarzen Hosenanzug, kaum wiedererkannt. Es sah danach aus, als hätte sie tatsächlich die Großstadtkarriere gemacht, die sie immer angestrebt hatte.

«Du glaubst also nicht, dass Cassie das Amt übernehmen wird?», riss Madisons Frage ihn aus seinen Gedanken.

«Ich bezweifle es.» Er öffnete die Tür zum Rathaus und ließ seine Cousine vorangehen. «Unter diesen Umständen würde dann wohl Ettas Katze zur vorläufigen Bürgermeisterin werden», scherzte er.

Wie Cassie wohl reagieren würde, wenn sie erfuhr, dass Etta ihm die Farm hinterlassen hatte? Er atmete tief aus und betrat das Gebäude. Ihr schicker Anzug und ihre hochhackigen Schuhe bedeuteten hoffentlich, dass es ihr nichts ausmachte …

Kapitel Drei

«Ich war die Assistentin Ihrer Tante. Und jetzt bin ich Ihre», erklärte Darla, während sie ihren Katzenohren-Haarreif abnahm und ihn auf einen Schreibtisch legte.

Cassie biss sich auf die Lippe. Diese Frau mit den langen braunen Haaren, die überall aus ihrem unordentlichen Dutt heraushingen, den baumelnden gelben Quastenohrhängern und dem knallroten Lippenstift war definitiv nicht ihre Assistentin. Sie vermisste Lloyd.

«Danke, Darla. Aber was die Bürgermeisterinnen-Sache angeht …» Sie sah sich in dem Raum um, den die Gäste von vorhin mittlerweile verlassen hatten. Dort standen drei Schreibtische sehr ordentlich in einer Reihe, die alle mit einem Computer und Telefon ausgestattet waren. Eine Uhr in Form einer Biene hing an der Wand hinter den Tischen.

In einer Ecke saß mit geschlossenen Augen und der schlafenden Belle auf dem Schoß immer noch der alte Hank.