Symptomatologie, Ätiologie und Therapie des Stotterns im Kindesalter - Corinna Kühn - E-Book

Symptomatologie, Ätiologie und Therapie des Stotterns im Kindesalter E-Book

Corinna Kühn

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2008
Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Sprachwissenschaft / Sprachforschung (fachübergreifend), Note: 2,0, Technische Universität Dortmund, Veranstaltung: Naturwissenschaftliche Grundlagen von Sprache und Sprachwissenschaft, Sprache: Deutsch, Abstract: 1. Einleitung Sprechen ist akribische Präzisionsarbeit. „Innerhalb von Millisekunden steuert unser Gehirn den Sprechapparat an, damit dieser alle notwendigen Laute hervorbringt. Präzise arbeiten die Muskeln von Kehlkopf, Zunge und Lippen, während der Atem dosiert aus unseren Lungen entweicht“ (Neumann 2005, 30). Eben diese Präzisionsarbeit ist für viele Menschen mit großer Anstrengung verbunden, besitzen sie eine Redeflussstörung. Die verbreiteste Redeflussstörung ist das Stottern (vgl. z.B. Orthmann & Scholz 1975, V). In Deutschland sind derzeitig 800 000 Menschen betroffen (vgl. Neumann 2005, 30). Dabei ist Stottern bei Kindern weit aus häufiger zu diagnostizieren als bei Erwachsenen. Ungefähr 4 % aller Kinder stottern; der Anteil erwachsener Stotterer liegt bei etwa 1 % (vgl. z. B. Wirth 52000, 471; Van Riper 1971 in Fiedler & Standop 1992, 21). Das Phänomen Stottern ist seit über zweitausend Jahren bekannt. „Keine andere Sprachstörung hat zu so vielen theoretischen Ansätzen und therapeutischen Versuchen veranlaßt wie das Stottern. Es gibt kaum eine Therapieform, die nicht zur Behandlung des Stotterns herangezogen wäre“ (Braun 1997, 1). Erschwert wird die Analyse des gegenwärtigen Erkenntnisstandes über die Phänomenologie des Stotterns aufgrund des Vorhandenseins diverser und teilweise sich widersprechender Hypothesen über Kausa, Symptome und Therapie (vgl. Böhme 1977, 7). Die Phänomenologie des Stotterns ist zum „Gegenstand einer unüberschaubaren Anzahl von wissenschaftlichen, empirischen und hypothetischen Einzelarbeiten und Monographien aus der Sicht der Phoniatrie, Logopädie, Neurologie, Psychiatrie, Pädiatrie, Psychologie, Sonder-pädagogik, Heilpädagogik, Sprecherziehung und Gesangspädagogik“ (Böhme 1977, 7) gemacht worden. „Hinzu kommt, daß die Nomenklatur und die Auffassungen über das Stotter-Syndrom von Land zu Land, besonders aber von Kontinent zu Kontinent sehr stark variieren“ (ebd., 7). Viele Forscher und Therapeuten bezeichneten das Phänomen des Stotterns als eine rätselhafteste Sprachstörung (vgl. Orthmann & Scholz 1975, V; vgl. Schwartz 1977, 13).

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. DIE BEZEICHNUNGS- UND DEFINITIONSPROBLEMATIK.
3. SPRECHUNFLÜSSIGKEITEN UND STOTTERN.
3.1 FUNKTIONALE UND SYMPTOMATISCHE SPRECHUNFLÜSSIGKEITEN.
3.2.1 Wechselwirkung der Kern- und Begleitsymptome
3.2.2 Coping-Strategien
4. ZUR GESCHICHTE DER ERFORSCHUNG DES STOTTERNS
4.1 DER FORSCHUNGSSTAND BIS ZUM ENDE DES 19. JAHRHUNDERT
5. DER IDIOGRAPHISCHE, MULTIFAKTORIELLE ERKLÄRUNGSANSATZ
5.1 ORGANISCHE HYPOTHESEN
5.2 PSYCHOSOZIALE HYPOTHESEN.
5.3 PSYCHOLINGUISTISCHE HYPOTHESEN
5.3.1 Befunde auf der Kapazitätsseite.
5.3.2 Befunde auf der Anforderungsseite
6. THERAPIE
7. SCHLUSSBETRACHTUNG
8. LITERATURVERZEICHNIS

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Universität Dortmund Fachbereich 15 Wintersemester 2007/08

Seminar: Naturwissenschaftliche Grundlagen von Sprache und Sprachwissenschaft

Corinna Kühn

Studiengang: Bachelor Fachwissenschaftliches Profil Kernfach: Sozialpädagogik

5. Fachsemester Komplementfach: Germanistik

3. Fachsemester Abgabe: 30.11.2007

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1. Einleitung

Sprechen ist akribische Präzisionsarbeit. „Innerhalb von Millisekunden steuert unser Gehirn den Sprechapparat an, damit dieser alle notwendigen Laute hervorbringt. Präzise arbeiten die Muskeln von Kehlkopf, Zunge und Lippen, während der Atem dosiert aus unseren Lungen entweicht“ (Neumann 2005, 30). Eben diese Präzisionsarbeit ist für viele Menschen mit großer Anstrengung verbunden, besitzen sie eine Redeflussstörung. Die verbreiteste Redeflussstörung ist das Stottern (vgl. z.B. Orthmann & Scholz 1975, V). In Deutschland sind derzeitig 800 000 Menschen betroffen (vgl. Neumann 2005, 30). Dabei ist Stottern bei Kindern weit aus häufiger zu diagnostizieren als bei Erwachsenen. Ungefähr 4 % aller Kinder stottern; der Anteil erwachsener Stotterer liegt bei etwa 1 % (vgl. z. B. Wirth52000, 471; Van Riper 1971 in Fiedler & Standop 1992, 21).

Das Phänomen Stottern ist seit über zweitausend Jahren bekannt. „Keine andere Sprachstörung hat zu so vielen theoretischen Ansätzen und therapeutischen Versuchen veranlaßt wie das Stottern. Es gibt kaum eine Therapieform, die nicht zur Behandlung des Stotterns herangezogen wäre“ (Braun 1997, 1). Erschwert wird die Analyse des gegenwärtigen Erkenntnisstandes über die Phänomenologie des Stotterns aufgrund des Vorhandenseins diverser und teilweise sich widersprechender Hypothesen über Kausa, Symptome und Therapie (vgl. Böhme 1977, 7). Die Phänomenologie des Stotterns ist zum „Gegenstand einer unüberschaubaren Anzahl von wissenschaftlichen, empirischen und hypothetischen Einzelarbeiten und Monographien aus der Sicht der Phoniatrie, Logopädie, Neurologie, Psychiatrie, Pädiatrie, Psychologie, Sonderpädagogik, Heilpädagogik, Sprecherziehung und Gesangspädagogik“ (Böhme 1977, 7) gemacht worden. „Hinzu kommt, daß die Nomenklatur und die Auffassungen über das Stotter-Syndrom von Land zu Land, besonders aber von Kontinent zu Kontinent sehr stark variieren“ (ebd., 7). Viele Forscher und Therapeuten bezeichneten das Phänomen des Stotterns als eine rätselhafteste Sprachstörung (vgl. Orthmann & Scholz 1975, V; vgl. Schwartz 1977, 13). Heute kann Stottern trotz des vielschichtigen Wissens und der sich teilweise widersprechenden Hypothesen dennoch weitgehend systematisch beschrieben werden. Im Hinblick auf Symptomatik, Entstehung und Entwicklungsverlauf des Stotterns ist gegenwärtig innerhalb der Forschung ein breites Agrément erkennbar. Dieses wird im dritten Kapitel in der hier vorliegenden Ausarbeitung im Anschluss an

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die Ausführungen über die Bezeichnungs- und Definitionsproblematik im zweiten Kapitel dargestellt. Da die wissenschaftliche Bestrebungen die Ursachen des Stotterns zu ergründen bis heute noch keinen Konsens finden, erfolgt im vierten Kapitel eine Übersicht über die Erforschungsgeschichte des Stotterns, bevor im fünften Kapitel die Befunde über die möglichen Ursachen des Stotterns aufgeführt werden. Abschließend wird in komprimierter Form auf die sich aus den Be-funden ergebenden Konsequenzen für die Praxis der Therapie eingegangen.

2. Die Bezeichnungs- und Definitionsproblematik

Stottern stellt eine der am besten bekanntesten und am schlechtesten verstandenen Störungen der Sprache und des Sprechens dar (vgl. Kollbrunner 2004, 3). Bis heute erscheint Stottern häufig als ein Mysterium. Eisenson warf vor mehr als vierzig Jahren die Frage auf, ob die verschiedenen Forscher und Autoren überhaupt von der gleichen Störung sprechen würden (vgl. Van Riper 1970, 46). Faktisch wurde schon häufig vermutet, dass Stottern nur „eine Sammelbezeichnung für ein oberflächlich ähnliches Phänomen mit hintergründig höchst unterschiedlich Ursachen“ (Kollbrunner 2004, 3) sei. Zum Beispiel wird Stottern als neurogen, traumatisch, (vgl. Fer-nau-Horn21969), psychogen (vgl. Yairi 1993, 204) oder idiopathisches begriffen (vgl. Kollbrunner 2004, 4).

Das Stottern [jedoch], um das es den Fachleuten und fast allen Betroffenen geht - Johannsen nennt es das ´Stottern im eigentlichen Sinn` ist ein Stottern, das bereits in der frühen Kindheit, oft relativ kurze Zeit nach erfolgreichen ersten Schritten des Spracherwerbs im zweiten oder dritten Lebensjahr, bei 50 % der stotternden Kinder im Alter von vier Jahren, bei 75 % vor sechs und bei 95 % vor sieben Jahren beginnt, und das zwei- bis dreimal häufiger Jungen als Mädchen betrifft (Kollbrunner 2004, 4; Zus. v. C.K.).

Für das Phänomen des Stotterns liegt eine Vielfalt von lateinischen und griechischen Bezeichnungen vor. Exemplarisch seien hier Balbuties, Psellismus und Laloneurose genannt. Des Weiteren existiert bis heute keine einheitliche Definition des Phänomens Stotterns, unter anderem auf-grund von verkürzten Ursacheninterpretationen und der Tatsache, dass das Stottern verschiedener Personen starke Differenzen aufweist. „Jedes Stottern ist anders“ formulierte Grohnfeldt (1992,

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5). Aus der Vielzahl der Beschreibungsversuche sei hier exemplarisch eine Zusammenfassung der „Standart Definition of Stuttering“ von Wingate aufgeführt:

Stottern ist eine Unterbrechung im Fluß des verbalen Ausdrucks, die charakteristisch ist durch willentliche, hörbare oder stille Wiederholungen und Dehnungen bei der Äußerung kurzer Sprachelemente, insbesondere: Laute, Silben und Wörter mit einer Silbe. Diese Unterbrechungen geschehen in der Regel häufig oder sind deutlich ausgeprägt und sind nicht ohne weiteres kontrollierbar (vgl. Wingate 1964, 488; zit. n. Sandrieser & Schneider 2001, 2)1.

In der Zeit von 1955 bis 1965 wurden Sprachstörungen weitestgehend synonymisiert „mit dem Störungsbild Stottern oder den Sprachentwicklungsstörungen inklusive der ‚Stammelfehler’“ (Maihack 2001, 131). Wie durch den Beschreibungsversuch von Wingate deutlich geworden sein sollte, ist die Bezeichnung des Stotterns als eine Sprachstörung insofern unscharf, dass das Problem des Stotterers eben nicht in den sprachlichen Anforderungen (Language), sondern im Sprechen selbst (Speech) liegt. Das Phänomen des Stotterns ist daher den Sprachverwendungsstörungen zuzuordnen (vgl. Neumann 2005, 30). Homburg unterschied daher im Jahre 1978 zwischen Störungen der Sprachverwendung und Sprachstörungen des Sprachsystems. Im Falle einer Sprachsystemstörung ist das Zeichensystem der Hör/Sprech-Schriftsprache in Kodierung und Dekodierung gestört. Als Beispiel für eine solche Sprachsystemsstörung führt er unter anderem die Aphasie und den Dysgrammatismus auf. Die Sprachverwendungsstörung determiniert Homburg als das Unvermögen die Hör/Sprech-Schriftsprache wirksam und selbstverständlich zu gebrauchen, da der Zugriff auf das Sprachsystem aufgrund von undifferenzierten Faktoren Störungen aufweist (vgl. Homburg 1978).

Wendlandt bezeichnet das Stottern als eine „Störung[..]des Sprechablaufs“(Wendlandt 2001, 42; Hervorh. v. C.K.), bei der vermehrt Sprechunflüssigkeiten wahrzunehmen sind. Da aufgrund des

1„Die ´inzwischen als allgemeingültig anzusehende Erkenntnis: Jedes Stottern ist anders` verhindert grundsätzlich die Formulie-

rung einer Definition, die das Problem des Stotterns über dessen äußerste Oberfläche (den zeitweise gestörten Redefluss) hinaus

so beschreiben könnte, dass erkennbar wird, welche Kräfte auf welche Art zusammenwirken müssen, damit das Oberflächenphä-nomen entsteht. Deshalb wird Stotterns meist nur deskriptiv definiert, zwar unterschiedlich differenziert, […] aber doch meist an

der Oberfläche des Phänomens verharrend“ (Kollbrunner 2004, 85 f.).

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Stotterns aber oft „die gesamte Kommunikation (auch das Verhalten des Gesprächpartners) beeinträchtigt“ (ebd., 40) ist, betrachtet er das Stottern zudem auch als eineKommunikationsstörung(vgl. ebd., 42)2.

3. Sprechunflüssigkeiten und Stottern

Die Fähigkeit zum flüssigen Sprechen ist in den Prozess der Sprachentwicklung eingebettet (vgl. Baumgartner 1994, 213; Wendlandt 1995, 48). Ebenso wie beispielsweise die Fähigkeit der adäquaten Artikulation oder der korrekten Syntax ist die flüssige Sprechfähigkeit nicht von Anfang an gegeben, sondern entwickelt sich erst allmählich. „Flüssiges Sprechen ist nur eine von vielen Variablen der gemeinsam funktionierenden sprachrezeptiven und - produktiven Vorgänge (Baumgartner 1994, 213). Um flüssig sprechen zu können, müssen Sprechbewegungen strukturiert, geplant koordiniert und geplant werden. Dazu ist es notwendig, dass sich Hör-, Bewegungs-, Lage-, Tast- und Berührungswahrnehmungen über die Rückmeldekreise laufend steigern und die Diskrimination der Spannungs-, Druck-, Kraft- und Stellungsverhältnisse der Sprechorgane zunehmend optimieren (vgl. ebd., 213). Wendlandt zieht für die Beschreibung des Erwerbs der Sprechflüssigkeit einen Vergleich zum Laufen lernen herbei. Ebenso wie sich das Kind beim Laufen an die sich entwickelnden motorischen Fähigkeiten anpassen muss, muss es auch lernen, seine sprechmotorischen Fähigkeiten mit den kontinuierlich anwachsenden linguistischen Fähigkeiten in Einklang zu bringen (vgl. Wendlandt 1995, 48).