Systemische Beratung für eine inklusivere Gesellschaft - Saskia Erbring - E-Book

Systemische Beratung für eine inklusivere Gesellschaft E-Book

Saskia Erbring

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Beschreibung

Eine inklusive Gesellschaft akzeptiert und wertschätzt Differenzen. Ihr Ziel ist die Dekonstruktion sozialer Ungleichheit bei gleichzeitiger Berücksichtigung anderer Ungleichheitskategorien wie Behinderung, Geschlecht oder Ethnizität. Inklusion erscheint so als Prozess der Vermehrung von Teilhabemöglichkeiten und der Verringerung von Barrieren. Saskia Erbring arbeitet die Synergie zwischen systemischer Beratung und der Umsetzung von Inklusion heraus. Mit Fallgeschichten, Methoden und Erkenntnissen aus der Gesundheitsforschung verbindet sie ihre lösungsorientierte Perspektive mit Prozessen inklusiver Schulentwicklung. Inklusion erscheint so nicht als utopische Zielsetzung, sondern als Komparativ – und systemische Beratung als Unterstützerin für eine inklusivere Gesellschaft.

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Leben.Lieben.Arbeiten SYSTEMISCH BERATEN

Herausgegeben vonJochen Schweitzer undArist von Schlippe

Saskia Erbring

Systemische Beratungfür eine inklusivereGesellschaft

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 14 Abbildungen und 3 Tabellen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: jjhill/stock.adobe.com

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISSN 2625-6088

ISBN 978-3-647-99380-5

Inhalt

Zu dieser Buchreihe

Vorwort von Arist von Schlippe

I Der Kontext

Fallgeschichte: »Inklusion, ja – aber …«

Die UN-Menschenrechtskonvention und die Ausgangslage schulischer Inklusion in Deutschland

Das Prinzip egalitärer Differenz

Von der Unkenntnis und Unkenntlichkeit des Inklusionsbegriffes

Sonderpädagogische Unterstützung im systemischen Verständnis

Rekontextualisierung als Stolperstein der Inklusion

II Die systemische Beratung

Fallgeschichte: »Und wenn ich nur auf die Hindernisse schaue, dann kann ich mich nicht mehr mit der Aufgabe beschäftigen«

Methode und Analyse des Beratungsprozesses

Fünf Positionen einer systemische Strukturaufstellung zur Inklusion

Kurzanalyse des Beratungsprozesses

Fallgeschichte: »Irgendwann ist mal genug«

Salutogenese und Resilienz: Anregungen der Gesundheitsforschung zur Umsetzung schulischer Inklusion

Ansatzpunkt »Comprehensability« (Verstehbarkeit)

Ansatzpunkt »Meaningfulness« (Bedeutsamkeit)

Ansatzpunkt »Manageability« (Machbarkeit)

Beratungsmethoden für Szenarien inklusiver Schulentwicklung

Das Auftragskarussell

Antreiber- und Erlaubersätze

Prozessgestaltung inklusiver Schulentwicklung

Inklusive Schulentwicklung als U-Prozess

Sieben Bausteine des U-Prozesses für die Umsetzung von Inklusion

Die Lösungsparty

Arbeit mit »Evolving Cases« in Großgruppen

III Am Ende

Inklusion als Komparativ

Inklusiv(er)e Gesellschaften berücksichtigen Interaktionen und Relationen stärker als menschliche Einzeleigenschaften und (Problem-)Zuschreibungen

Inklusiv(er)e Gesellschaften berücksichtigen Kontexte und Wechselwirkungen stärker als lineare Denkrichtungen

Inklusiv(er)e Gesellschaften berücksichtigen Beziehungsstrukturen zwischen Systemelementen stärker als Einzelelemente

Inklusiv(er)e Gesellschaften beobachten Regeln und Muster stärker als die als problematisch konnotierten Themen

Literatur

Materialien zum Thema Inklusion

Die Autorin

Zu dieser Buchreihe

Die Reihe »Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch beraten« befasst sich mit Herausforderungen menschlicher Existenz und deren Bewältigung. In ihr geht es um Themen, an denen Menschen wachsen oder zerbrechen, zueinanderfinden oder sich entzweien und bei denen Menschen sich gegenseitig unterstützen oder einander das Leben schwer machen können. Manche dieser Herausforderungen (Leben.) haben mit unserer biologischen Existenz, unserem gelebten Leben zu tun, mit Geburt und Tod, Krankheit und Gesundheit, Schicksal und Lebensführung. Andere (Lieben.) haben mit unseren intimen Beziehungen zu tun, mit deren Anfang und deren Ende, mit Liebe und Hass, mit Fürsorge und Vernachlässigung, mit Bindung und Freiheit. Wiederum andere Herausforderungen (Arbeiten.) behandeln planvolle Tätigkeiten, zumeist in Organisationen, wo es um Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Arbeit geht, um Struktur und Chaos, um Aufstieg und Abstieg, um Freud und Leid menschlicher Zusammenarbeit in ihren vielen Facetten.

Die Bände dieser Reihe beleuchten anschaulich und kompakt derartige ausgewählte Kontexte, in denen systemische Praxis hilfreich ist. Sie richten sich an Personen, die in ihrer Beratungstätigkeit mit jeweils spezifischen Herausforderungen konfrontiert sind, können aber auch für Betroffene hilfreich sein. Sie bieten Mittel zum Verständnis von Kontexten und geben Werkzeuge zu deren Bearbeitung an die Hand. Sie sind knapp, klar und gut verständlich geschrieben, allgemeine Überlegungen werden mit konkreten Fallbeispielen veranschaulicht und mögliche Wege »vom Problem zu Lösungswegen« werden skizziert. Auf unter 100 Buchseiten, mit etwas Glück an einem langen Abend oder einem kurzen Wochenende zu lesen, bieten sie zu dem jeweiligen lebensweltlichen Thema einen schnellen Überblick.

Die Buchreihe schließt an unsere Lehrbücher der systemischen Therapie und Beratung an. Unsere Bücher zum systemischen »Grundlagenwissen« (1996/2012) und zum »störungsspezifischen Wissen« (2006) fanden und finden weiterhin einen großen Leserkreis. Die aktuelle Reihe erkundet nun das »kontextspezifische Wissen« der systemischen Beratung. Es passt zu der unendlichen Vielfalt möglicher Kontexte, in denen sich »Leben. Lieben. Arbeiten« vollzieht, dass hier praxisbezogene kritische Analysen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ebenso willkommen sind wie Anregungen für individuelle und für kollektive Lösungswege. Um klinisch relevante Störungen, um systemische Theoriekonzepte und um spezifische beraterische Techniken geht es in diesen Bänden (nur) insoweit, als sie zum Verständnis und zur Bearbeitung der jeweiligen Herausforderungen bedeutsam sind.

Wir laden Sie als Leserin und Leser ein, uns bei diesen Exkursionen zu begleiten.

Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Vorwort Arist von Schlippe

Es ist merkwürdig mit Begriffen. Manchmal schlummern sie jahrebis jahrzehntelang in geistigen Schubladen. Man kennt sie, aber man nutzt sie nur selten. Und dann entsteht plötzlich eine Bewegung, die dem Begriff neue Bedeutungshorizonte erschließt und auf einmal ist er in aller Munde, durch vermehrten, vielfach auch durch offiziellen Gebrauch geadelt. Zeitgleich kann es geschehen, dass Gruppierungen beginnen, ihn ideologisch zu besetzen, während andere danach streben, sich davon abzusetzen. Und dann wird ein an sich harmloses Wort zum Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.

Inklusion ist ein solches Wort. Eine Gesellschaft, die sich humanistischen Grundsätzen verbunden fühlt und anstrebt, das Recht auf selbstverständliche Teilhabe in den verschiedensten gesellschaftlichen Feldern von Schule über Arbeitswelt bis hin in das öffentliche Leben durchzusetzen, richtet ihre Aufmerksamkeit natürlich gerade auf die Menschen, denen all dies nicht selbstverständlich gelingt.

Es liegt dann in der Natur der Sache, dass die Verwirklichung derartiger Zielvorstellungen entsprechende Anstrengung erfordert, es geht eben nicht »wie von selbst«. Und es ist nachvollziehbar, dass diejenigen, die als Fachkräfte aufgefordert sind, diese Bemühungen auf sich zu nehmen, sich damit alles andere als leichttun. Noch eine weitere Aufgabe, eine große und schwierige zudem – und so wird der Begriff mit Mühe und Überforderung besetzt und schließlich mit Vergeblichkeit assoziiert: »Das geht nicht, das geht so nicht, das geht bei uns nicht …«

Es ist erklärtes Ziel der Autorin dieses Buchs, hier zu ermutigen. Inklusion soll kein abstrakter und damit unerreichbarer Idealbegriff sein. Das große Etikett wird durch den Komparativ handhabbarer: Wo immer man auch beginnt, es ist möglich, »inklusiverer« zu werden – und sei es nur ein wenig. Kleine Schritte führen aus Problemtrance und Stillstand heraus, wenn man beginnt loszugehen. Dann fallen Ressourcen ins Auge, dann können mit Unterstützung Hindernisse optimistisch angegangen werden, dann kann es sogar Spaß machen, neue Wege zu beschreiten.

Lassen Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser anstecken von dem optimistischen Blick auf die neuen Möglichkeiten, die ein systemischerer Zugang eröffnet. Eine solidarische Gesellschaft wird immer ein nie ganz erreichbares Ziel bleiben, doch wir können daran hier und jetzt mitwirken, dass sie solidarischer wird.

Arist von Schlippe

Der Kontext

Fallgeschichte: »Inklusion, ja – aber …«

Die Grundschulleiterin Frau Beyer nimmt an einer Fortbildung mit dem Schwerpunkt Inklusion teil. Das systemische Qualifizierungskonzept enthält regelmäßig stattfindende Beratungssitzungen in kleinen Gruppen mit zehn Personen. Die daran teilnehmenden Schulleiterinnen und Schulleiter arbeiten an unterschiedlichen Schulformen. Die Dauer der Leitungserfahrung der Teilnehmenden variiert ebenso wie deren Auseinandersetzung mit inklusionsorientierten pädagogischen und organisatorischen Schulkonzeptionen.

Frau Beyer bringt ihr Anliegen ein: »Seit acht Jahren leite ich die Grundschule am Berg1 und wir haben es jahrelang geschafft, die Inklusion von uns fernzuhalten. Wir haben einfach keine Kapazitäten dafür und die Eltern unserer Kinder sind auch dagegen. Dann hat uns die Stadt verdonnert und es waren schon direkt eine ganze Reihe Inklusionskinder2 angemeldet. Nun sind wir also inklusiv, aber es klappt vorne und hinten nicht. Wir haben überhaupt keine Sonderpädagogen. Es ist so absurd, es wurde für keines der Kinder eine Diagnostik veranlasst, die haben alle keinen offiziellen Förderbedarf. Ich habe auch schon erfahren, dass es bei uns in der Gegend sowieso kein verfügbares Sonderpädagogikpersonal gibt. Vor einiger Zeit habe ich mich mit einer Bekannten kurzgeschlossen, die an einer Förderschule arbeitet. Die hat eigentlich auch das Gleiche gesagt wie wir. Es ist total unsinnig, was sollen die Kinder bei uns ohne Fachkräfte? Und aus ihrem Kollegium wehren sich auch alle mit Händen und Füßen gegen die Inklusion, die wollen alle an der Förderschule bleiben. Und wir sollen also Inklusion machen. Ohne Förderschullehrkräfte und ohne Kapazitäten.«

Über die Frage der Supervisorin, ob sie ihr Thema mit einer bestimmten Intention oder Zielsetzung in die Beratungssitzung einbringe, denkt Frau Beyer kurz nach und äußert dann: »Ja, ich komme mit meinem Latein nicht weiter. Die Kinder sind da, ich bin die Schulleiterin und trage Verantwortung, dass der Laden läuft. Tut er aber nicht. Wenn mir jetzt die ganzen Eltern der leistungsstarken Kinder weggehen, dann habe ich nur noch die Problemkinder da.«

Nach einer weiteren kurzen Pause fährt sie fort: »Das Ziel von heute wäre für mich zunächst einmal zu klären, wo ich in Bezug auf das Thema Inklusion überhaupt stehe. Ich habe ja nichts gegen die Kinder, aber ich möchte auch kein unsinniges Konzept an meiner Schule vertreten.«

Mit Unterstützung der Gruppe formuliert Frau Beyer folgende Zielsetzung für die Beratungssitzung: »Wie kann meine Schule eine inklusive Schule werden, die ich leiten will und kann?«