Systemisches Qualitätsmanagement - Paul Reinbacher - E-Book

Systemisches Qualitätsmanagement E-Book

Paul Reinbacher

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  • Herausgeber: UTB
  • Kategorie: Fachliteratur
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Das Buch bringt die soziologische und die Managementperspektive zusammen. Es zeigt in einem systemischen Ansatz, wie Organisationen einerseits betriebswirtschaftliche Qualitätsstandards und andererseits die Komplexität der Sozialstruktur und der gesellschaftlichen Beziehungen in Einrichtungen zusammenspielen können. Dabei spielt auch die Organisationsentwicklung eine Rolle. utb+: Begleitend zum Buch steht den Leser:innen ein eLearning-Kurs mit über 100 Fragen für die Prüfungsvorbereitung zur Verfügung.

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Seitenzahl: 309

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Paul Reinbacher

Systemisches Qualitätsmanagement

Grundlagen, Systemtheorie und Anwendung

UVK Verlag · München

Umschlagabbildung: XXX

 

DOI: xxx

 

© UVK Verlag 2023— ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung

 

utb-Nr. 6113

ISBN 978-3-8252-6113-9 (Print)

ISBN 978-3-8463-6113-9 (ePub)

Inhalt

Statt eines Vorworts1 Einleitung und Einladung1.1 Erfahrungsbericht zur Einstimmung1.2 Ansatzpunkte für eine Analyse1.3 Andere aktuelle AnlassfälleImpulsfragen zum Abschluss des Kapitels2 Wünsche und Warnungen2.1 Entwicklung der Gesellschaft als Steigerung der sozialen Komplexität2.2 Management als Mechanismus zur Verarbeitung von Komplexität2.3 Systembildung als Erzeugung von Eigenkomplexität durch EmergenzImpulsfragen zum Abschluss des Kapitels3 Grundlagen und Hintergründe3.1 Die systemisch-systemtheoretische Perspektive3.1.1 Soziale Systeme und ihre Funktionen3.1.2 Systemdenken im Management3.2 Das konventionelle Management von Qualität3.2.1 Qualitätsmanagement als modernes Steuerungsparadigma3.2.2 Die implizite „Grammatik“ des Qualitätsmanagement3.3 Das aktuelle Qualitätsmanagement-Paradigma und seine Grenzen3.3.1 Ausgewählte zeitliche, soziale und sachliche Aspekte3.3.2 Exkurs: ultra posse nemo obligatur?Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels4 Methoden und Techniken4.1 Planen und Analysieren4.1.1 Qualitätsvorstellungen präzisieren4.1.2 System-Umwelt-Nische analysieren4.2 Lenken und Entwickeln4.2.1 Prozesse definieren4.2.2 Mitarbeiter*innen integrieren4.3 Prüfen und Lernen4.3.1 Rückmeldungen provozieren4.3.2 Beschwerden kanalisierenImpulsfragen zum Abschluss des Kapitels5 Probleme und Lösungen5.1 Qualitätsmanagement als integrative Funktion sozialer Handlungssysteme5.1.1 Mehrdimensionalität von Organisationen5.1.2 Überwindung der integrativen Spannungen5.2 Qualitätsmanagement als kommunikative Verarbeitung von Komplexität5.2.1 Selbstorganisation von Qualitätsmanagement5.2.2 Überwindung der verkürzenden Leistungsorientierung5.3 Qualitätsmanagement als ökologischer Überlebensmechanismus5.3.1 Passung von System und Umwelt5.3.2 Überwindung der geschlossenen ZukunftImpulsfragen zum Abschluss des Kapitels6 Dos and Don’ts6.1 Todsünden und Tugenden6.2 Abwege und Auswege6.3 Kitsch und IronieImpulsfragen zum Abschluss des Kapitels7 CodaImpulsfragen zum Abschluss des KapitelsGlossarLiteratur

Statt eines Vorworts

„Qualität ist eine Frage des Umgangs mit Komplexität. Mit diesem Satz erläutert Paul Reinbacher nicht nur einen schwierigen Begriff durch einen weiteren schwierigen Begriff, sondern trifft eine wichtige Aussage: Wenn komplex all das ist, was nur auf den zweiten Blick passt, sorgt Qualität dafür, dass schon der erste Blick überzeugt.“

Univ.-Prof. Dr. Dirk Baecker, Zeppelin Universität Friedrichshafen

 

„Paul Reinbacher gelingt in diesem Buch, was selten gelingt: Eine Theorie mit hoher Flughöhe nutzbar zu machen, um ganz konkrete Managementaufgaben besser zu verstehen und einen frischen Blick auf das Thema Qualität zu werfen.“

Univ.-Prof. Dr. Michael Meyer, WU Wirtschaftsuniversität Wien

 

„Vor dem Hintergrund einer langjährigen praktischen Erfahrung gelingt es Paul Reinbacher, den Mehrwert einer systemisch-systemtheoretischen Perspektive auf Qualitätsmanagement darzulegen. Die Komplexität des Themas ist didaktisch gekonnt aufbereitet und damit einem breiteren, sowohl an Qualitätsmanagement als auch an Systemtheorie interessierten Publikum, zugänglich. Das Buch hat das Potential, zu einem Klassiker der Qualitätsmanagement-Literatur zu werden.“

Univ.-Prof. Dr. Helmut Staubmann, Universität Innsbruck

Zu diesem Buch gibt es einen ergänzenden eLearning-Kurs aus 100 Fragen.

Mithilfe des Kurses können Sie online überprüfen, inwieweit Sie die Themen des Buches verinnerlicht haben. Gleichzeitig festigt die Wiederholung in Quiz-Form den Lernstoff.

Der eLearning-Kurs kann Ihnen dabei helfen, sich gezielt auf Prüfungssituationen vorzubereiten.

Der eLearning-Kurs ist eng mit vorliegendem Buch verknüpft. Sie finden im Folgenden zu den wichtigen Kapiteln QR-Codes, die Sie direkt zum dazugehörigen Fragenkomplex bringen. Andersherum erhalten Sie innerhalb des eLearning-Kurses am Ende eines Fragendurchlaufs neben der Auswertung der Lernstandskontrolle auch konkrete Hinweise, wo Sie das Thema bei Bedarf genauer nachlesen bzw. vertiefen können. Diese enge Verzahnung von Buch und eLearning-Kurs soll Ihnen dabei helfen, unkompliziert zwischen den Medien zu wechseln, und unterstützt so einen gezielten Lernfortschritt.

1Einleitung und Einladung

Dieses Kapitel erläutert,

was es bedeuten kann, nicht nur in Unternehmen, sondern in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft, von „Qualität“ und ihrem „Management“ zu reden.

weshalb aus systemisch-systemtheoretischer Perspektive die Funktion von „Qualitätsmanagement“ vor allem in der Verarbeitung sozialer Komplexität zu suchen ist.

wie das vorliegende Buch aufgebaut ist, an wen es sich wendet und inwiefern es sich von anderen Büchern zum Thema „Qualitätsmanagement“ unterscheidet.

Die Lernfragen zu diesem Kapitel finden Sie unter:

🔗 https://narr.kwaest.io/s/1192

 

Es gibt heute kaum einen Lebensbereich, in dem nicht von Qualität die Rede ist. Einerseits ist das wenig überraschend – denn wer wünscht sich als Kund*in, Konsument*in, Schüler*in, Student*in, Klient*in oder Patient*in nicht qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen? Andererseits ist die Inflation des Begriffs vielleicht ein erstes Indiz dafür, dass Qualität nicht mehr als selbstverständlich gilt – denken wir nur an den Wunsch, in der Freizeit in Familien und Freundeskreisen „quality time“ zu verbringen. Dies mag mit ein Grund dafür sein, dass Organisationen wie Unternehmen und Universitäten, Schulen und Spitäler, Einrichtungen des Sozialbereichs oder Behörden der öffentlichen Verwaltung beinahe flächendeckend ein auf Qualität spezialisiertes Management implementieren (müssen).

Folgt man dem Mainstream der Managementlehre, so liegen die Ursachen dieser Entwicklungen vor allem in Megatrends wie Globalisierung und Digitalisierung sowie im daraus resultierenden Kosten- und Konkurrenzdruck für Unternehmen oder im technologischen und demographischen Wandel sowie im dadurch veränderten Umfeld für Einrichtungen des Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereichs – kurz: Qualitätsmanagement ist die Wirkung verschiedener Ursachen auf der Makro-, Meso- und Mikro-Ebene. Zugleich sind Konsument*innen, Student*innen oder Patient*innen heute viel häufiger als früher mit Entscheidungen konfrontiert, weil auf lokale Traditionen und regionale Selbstverständlichkeiten immer weniger Verlass ist (vgl. Willke 1982, Kap. 2, „Welt als Problem“). Zum Beispiel: Welche Produkte kaufen? Welches Restaurant besuchen? Welchen Beruf wählen? Welches Studium inskribieren? Welche Karriere anstreben? Bei welchem Arzt, welcher Ärztin behandeln lassen? Welche Beratung in Anspruch nehmen?1 Mit anderen Worten: Unser Handeln nicht nur im beruflichen, sondern auch im privaten Alltag wird zusehends komplizierter, immer vielschichtiger und vernetzter, immer schwerer zu verstehen oder gar in seinen Konsequenzen vorherzusehen. Eine sozialwissenschaftliche, insbesondere eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise2 interpretiert diesen Sachverhalt zuerst als Zunahme sozialer Komplexität. Und sie kann vor diesem Hintergrund dann die Frage formulieren, welche Funktion dabei der verbreiteten Rede von „Qualität“ sowie dem diese Rede begleitenden Ruf nach ihrem „Management“ zukommt (und welche funktionalen Äquivalente es gegebenenfalls gibt bzw. welche Alternativen denkbar wären). Kurz: Wenn Qualitätsmanagement die verbreitete und vor allem die verbreitet akzeptierte Antwort darstellt – was war dann eigentlich die ursprüngliche, nicht mehr hinterfragte Frage? Oder, anders formuliert: Wenn Qualitätsmanagement als mögliche, vielleicht sogar als naheliegende Lösung angesehen wird – was ist dann eigentlich das zugrundeliegende, nicht mehr problematisierte Problem?

Eine erste, vorsichtige Vermutung ist, dass es um Verarbeitung der steigenden sozialen Komplexität geht, die immer öfter Auswahlentscheidungen erforderlich macht – wobei diese Entscheidungen zugleich immer Risiken produzieren, weil sie ja definitionsgemäß immer hätten auch anders ausfallen können (Reinbacher 2013). Antworten auf die vorhin genannten Fragen, die zumindest auf den ersten Blick komplexitäts- und risikominimierend wirken, wären demnach: Gute Produkte kaufen! Gute Restaurants wählen! Gute Hochschulen besuchen! Gute Jobs anstreben! Gute Ärzt*innen konsultieren! Gute Beratung beanspruchen! Zunächst kann dabei nämlich noch weitestgehend offenbleiben, was jeweils mit solch einer Beschreibung bzw. Beurteilung als „gut“ genau gemeint ist. Denn die einen bevorzugen Sterne-Küche und Hauben-Lokale, andere wiederum Fastfood-Ketten, die einen streben nach breiter Bildung, andere nach anwendungsorientierter Ausbildung, die einen ziehen Grundlagenforschung, andere Anwendungsorientierung vor etc. Man mag heute nämlich zwar jeweils etwas anderes unter „Qualität“ verstehen, kann sich aber dennoch darauf verständigen, dass Qualität als solche von Bedeutung ist. Es zeigt sich damit bereits hier, dass wir es im Fall von Qualität weniger mit einer durch Management beherrschbaren, gewissermaßen „absoluten“ Eigenschaft eines Objekts, als vielmehr mit den relativen Beziehungen zwischen einem Objekt und einem Subjekt bzw. besser: zwischen einem System und seiner Umwelt zu tun haben – weshalb Qualitätsmanagement (in systemisch-systemtheoretischer Sicht) stets die Gestaltung bzw. Vermittlung inmitten eines „Komplexitätsgefälles“ zwischen System und Umwelt sowie letztlich selbst ein soziales, also ein kommunikatives und ein genuin gesellschaftliches Phänomen ist.

Aus Sicht der Managementlehre ist Qualitätsmanagement vor allem die Folge von „Megatrends“ wie zum Beispiel Globalisierung und Digitalisierung. Aus systemisch-systemtheoretischer Perspektive ist Qualitätsmanagement aber noch grundsätzlicher eine Antwort auf steigende soziale Komplexität.

Bei näherem Hinsehen stellen wir überdies fest, dass diese Verarbeitung steigender Komplexität durch eine Orientierung an Qualität sowie vor allem durch das Management von Qualität keinesfalls nur deren „Reduktion“ meint: Es sind vor allem verlockende, vorschnelle Vereinfachungen, die früher oder später zu Komplikationen führen und entsprechender Korrekturen – zum Beispiel auf Basis einer systemisch-systemtheoretischen Sichtweise – bedürfen (Reinbacher 2021). Daraus folgt, dass Qualitätsmanagement stets auch Produktion neuer komplexer (und nicht nur komplizierter) Strukturen ist bzw. sein muss. Schließlich wirft jede Antwort neue Fragen auf und bringt jede Lösung neue Probleme mit sich.

Entlang dieser „Einflugschneise“ verfolgt der hier vorgelegte, schmale Band das ehrgeizige Ziel, in systemischer Perspektive und unter Rückgriff auf ausgewählte systemtheoretische Ansätze von bekannten Vertretern wie insbesondere von Talcott Parsons und Niklas Luhmann sowie in weiterer Folge von Helmut Willke, Fritz B. Simon oder Dirk Baecker eine Einführung in das Qualitätsmanagement für verschiedene Bereiche der Gesellschaft und für verschiedene soziale Kontexte, allen voran allerdings für verschiedene Erscheinungsformen (formal) organisierter sozialer Systeme vorzulegen, um damit eine Lücke in der Literatur zu schließen. Zugleich ist der Band eine Einladung, den im Mainstream der meist normativ imprägnierten Managementlehre mit ihren oft sehr einfachen Rezepten noch immer verbreitet anzutreffenden „Brutalpragmatismus“ (© Ursula Schneider) durch sozialwissenschaftliche, gesellschafts- und organisationstheoretisch informierte Perspektiven zu korrigieren. Auf diesem Weg lassen sich einerseits einige bisher verborgene Fallstricke freilegen und andererseits Erfolgsfaktoren für das Management von Qualität extrahieren. Denn während es in der Managementliteratur an Ratgebern nicht mangelt, fehlt bislang eine explizit systemisch-systemtheoretische Sichtweise auf das Thema. Diese wird hier anhand ausgewählter Aspekte von sozialen Handlungs- und Kommunikationssystemen sowie vor allem im Kontext formaler Organisationen kritisch-konstruktiv entfaltet, sodass neben den Chancen– gewissermaßen als „Rückseite“ der Medaille – unweigerlich mögliche Risiken in den Blick kommen.

Während von der Managementlehre die Vorteile des Qualitätsmanagement betont werden, bringt eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise auch die damit einhergehenden Nachteile in den Blick, denn: Chancen sind bekanntlich nie ohne die sie begleitenden Risiken zu haben.

Den Ausgangspunkt für unser Vorhaben bilden Wünsche und Warnungen, um die Entstehung von Qualitätsmanagement als Phänomen unserer globalisierten, modernen, westlichen Industrie- bzw. mittlerweile Dienstleistungsgesellschaft zu kontextualisieren und zugleich die oft anzutreffenden Hoffnungen auf rasche Wirksamkeit vorschneller Vereinfachungen zu zerstreuen: Es wäre nämlich viel zu kurz gegriffen, sich auf einen funktionalen Bereich des Management zu beschränken und für diesen Strategien und Werkzeuge zur Trivialisierung vielschichtiger und vernetzter Verhältnisse zu entwickeln. Notwendig ist daher eine knappe Darstellung von Grundlagen und Hintergründen zu den zwei zentralen Themen – Systemdenken und Systemtheorie einerseits, Qualität und Qualitätsmanagement andererseits – um sowohl einen kompakten Überblick für Neueinsteiger*innen zu geben als auch mit kritischem Blick und durch kreative Synthese für erfahrene Expert*innen neue Aspekte darin aufzuschließen. Die in weiterer Folge vorgestellten konkreten Methoden und Techniken präsentieren keine anspruchsvollen, „technischen Tools“, sondern niederschwellige Möglichkeiten, die sich im Organisationsalltag bereits ohne große Budgets rasch umsetzen lassen. Sie sind vermutlich (teilweise) aus anderen Zusammenhängen bekannt, werden hier jedoch in ein neues Licht gerückt. Im Anschluss skizziert ein Kapitel über Probleme und Lösungen sowohl einige Grenzen des klassischen Qualitätsmanagement als auch Wege zu deren Überwindung aus systemisch-systemtheoretischer Sicht. Am Ende fassen Dos and Don’ts die zentralen Ergebnisse pointiert zusammen, um die Komplexität des Themas zwar für die Anwendung im Alltag ausreichend zu reduzieren, aber gleichzeitig ohne selbst in die unreflektierte Normativität (zu) einfacher Rezepte abzudriften. Illustriert werden die theoretisch informierten Analysen mit praktischen Beispielen und konkreten Bezugnahmen auf unterschiedliche gesellschaftliche und organisationale Felder(wie die Wirtschaft und die Wissenschaft oder den Bildungs-, den Sozial- und den Gesundheitsbereich), in denen der Autor sich in den letzten zwei Jahrzehnten seiner Berufs- und Beratungstätigkeit bewegt hat.

Der Band wendet sich nicht nur an Student*innen, Dozent*innen und Expert*innen mit Interesse an Systemdenken, soziologischer Systemtheorie und Qualitätsmanagement im Speziellen, sondern außerdem an alle, die ganz allgemein an sozialwissenschaftlichen Sichtweisen auf Management- und Organisationsfragen interessiert sind. Er adressiert nicht nur Qualitätsmanager*innen im engen Sinne und in großen Unternehmen, sondern er präsentiert außerdem eine alltagsnahe Einführung in ausgewählte Aspekte des managementsoziologischen Denkens und eine Einladung zur Reflexion des Handelns. Die interdisziplinären Überlegungen sind in Schnittmengen aus Sozial- und Wirtschaftswissenschaften bzw. Management- und Organisationslehre verortet. Sie verbinden kritische Analyse mit möglichst konkreter Anwendung. Dieser Zugang zeigt Neueinsteiger*innen den Nutzen des systemischen Denkens und der Systemtheorie für die Praxis des Managementhandelns am Beispiel „Qualität“ auf. Er verspricht aber zugleich für erfahrene Expert*innen neue Einsichten in ihr bisher gewohntes Tätigkeitsfeld. Zentral ist das Bestreben, die systemtheoretische Fundierung sowohl nachvollziehbar als auch für praktische Anwendung nutzbar darzustellen. Dieser Zuschnitt ist das „Alleinstellungsmerkmal“ des Bandes: Bisher findet nämlich im Kontext von Qualitätsmanagement der Systembegriff eher alltagssprachlich Verwendung (also zum Beispiel als Bezeichnung der Summe verschiedener Bestandteile einer Qualitätsmanagement-Architektur), und die seltenen, expliziten Rückgriffe auf Systemdenken bzw. sozialwissenschaftliche Systemtheorie machen von diesen beiden eher instrumentellen bzw. legitimatorischen Gebrauch.

Hinzu kommt, dass systemische bzw. systemtheoretische Ansätze erstens im Wissenschaftsbetrieb durch empirische und bisweilen empiristische, vorrangig nach unmittelbaren Lösungen für drängende Probleme suchende Forschung unter Druck geraten, dass sie zweitens im Unterschied dazu insbesondere in der Managementliteratur verbreitet anzutreffen sind, und drittens, dass dadurch oft eine stark verkürzte Wiedergabe gefördert wird. Der vorliegende Band ist vor diesem Hintergrund unter anderem auch eine Reaktion auf solche „Trivialisierung“ (Kühl 2015). Er reagiert angesichts der bisher vorliegenden Literatur über Qualitätsmanagement allerdings noch um einiges grundsätzlicher auf einen Mangel dieses stark von der Management-Praxis getriebenen und von Management-Ratgebern dominierten Diskurses: Es fehlen (wohl nicht zuletzt mangels Nachfrage) sowohl ein hinreichendes theoretisches Fundament als auch sozialwissenschaftliche Analysen, die zu einem solchen Fundament beitragen könnten. In diesem Zusammenhang soll daher in weiterer Folge nicht zuletzt gezeigt werden, dass fundierte theoretische Perspektiven für das Management zugleich praktisch nützlich sein können. Da für Qualitätsmanagement eine entsprechend ausgearbeitete Grundlage bis dato noch nicht vorliegt, soll mit diesem kompakten Band ein erster Beitrag zum Schließen dieser Lücke vorgelegt werden. Mit anderen Worten: Es geht hier nicht einfach um einen (weiteren) Versuch, systemische und ggf. systemtheoretische Ansätze als Hilfsmittel bzw. als Hilfswissenschaft für konventionelles (Qualitäts-)Management nutzbar zu machen und damit Probleme der Praxis zu lösen. Vielmehr geht es zunächst darum, zu rekonstruieren, was es bedeuten kann, von Qualität bzw. deren Management zu reden, auf welche Fragen bzw. für welche Probleme solchermaßen verstandenes Qualitätsmanagement eine Antwort bzw. Lösung sein kann, und welche neuen Fragen bzw. Probleme aus dieser Antwort bzw. Lösung möglicherweise resultieren.

Dies bedeutet nicht zuletzt die Kombination einer kausalen mit einer funktionalen Logik. Einerseits lässt sich nach Ursachen für die Entstehung und Einführung von Qualitätsmanagement (als Wirkung dieser Ursachen) sowie nach den von Qualitätsmanagement (als Ursache) bewirkten Wirkungen suchen und dabei zwischen intendierten, also beabsichtigten Wirkungen und nicht-intendierten, unbeabsichtigten (Neben-)Wirkungen unterscheiden. Andererseits lässt Qualitätsmanagement sich als ein Mechanismus interpretieren, der für Systeme bzw. besser für „ökologische Nischen“ aus Systemen und deren Umwelten bestimmte Aufgaben übernimmt und für den Alternativen („funktionale Äquivalente“) zur Bewältigung dieser Aufgaben, vorstellbar wären (siehe Abbildung 1 und Abbildung 44 gegen Ende des Buches).

Vergleichbar der kausal-analytischen Unterscheidung zwischen Wirkungen und Nebenwirkungen lässt sich in funktional-systemischer Hinsicht zwischen manifesten und latenten Funktionen unterscheiden. Man denke hier nur an die seit einiger Zeit die Organisationsforschung über weite Strecken dominierende Perspektive des soziologischen Neoinstitutionalismus (früh: Walgenbach 1998), aus der die Verbreitung von Qualitätsmanagement zusammen mit der dadurch entstehenden zunehmenden „Gleichgestaltigkeit“ von Organisationen (genannt „Isomorphismus“) wesentlich über Prozesse wechselseitiger Nachahmung erklärt wird. Wesentliche (latente) Funktion der Implementierung von Qualitätsmanagement ist demnach – neben der (manifesten) Funktion einer Steigerung von Effektivität und Effizienz – die Legitimierung und Risikominimierung im Handeln und Entscheiden. Denn Hand aufs Herz: Wer kann sich heutzutage leisten, gegen (oder zumindest: nicht ausdrücklich für) Qualitätsmanagement einzutreten? Bereits wer vorsichtige Bedenken anmeldet, macht sich in hohem Maße verdächtig. Außerdem trägt man durch den vorsätzlichen Verzicht auf die Implementierung von Qualitätsmanagement im Fall des Scheiterns das volle Risiko. Demgegenüber bietet die Anwendung von als legitim geltenden Mitteln, also beispielsweise von Qualitätsmanagement, einen gewissen Versicherungsschutz – denn im Fall des Scheiterns lässt sich immerhin darauf verweisen, dass man die „üblichen“ Vorkehrungen getroffen hat und zumindest in dieser Hinsicht „richtig“ gehandelt bzw. entschieden hat (wobei dieser Legitimationsdruck zuletzt im Bildungsbereich gestiegen, in anderen Bereichen hingegen gesunken ist; vgl. in diesem Sinne bereits Anm. 1).

Der (soziologische) Neoinstitutionalismus erklärt die Verbreitung von Qualitätsmanagement durch die normative Kraft des Faktischen. Als „soziale Tatsache“ gründet sich eine Institution wie Qualitätsmanagement allerdings auch auf kulturelle Werte, die zu deren Legitimation dienen.

Bleibt natürlich die Frage, weshalb Qualitätsmanagement noch vor jeder legalen Verankerung als legitimes Mittel gilt, also woraus sich die Legitimität von Qualitätsmanagement speist. Hier verweist der Neoinstitutionalismus meist mehr oder weniger auf die normative Kraft des Faktischen: Weil viele es tun, tun es immer mehr – und schließlich (fast) alle. Dies entspricht dem Dreischritt aus Normierung, Normung und Normalisierung in der „Normalisierungsgesellschaft“ (Foucault 1977).3 Bei etwas näherem Hinsehen lässt sich allerdings vermuten, dass wir es hier insofern mit einer sozialen Institution zu tun haben, als sich deren Selbstverständlichkeit abgesehen von der faktischen sozialen Verbreitung auch auf kulturelle Werte gründet, die ihrerseits eine normative legitimatorische Grundlage zur Verfügung stellen.

Abbildung 1:

Kombination kausaler und funktionaler Logik

1.1Erfahrungsbericht zur Einstimmung

Mit Fragen der Qualität und ihres Management kommen wir in modernen, westlichen Gesellschaften mehr oder weniger täglich (direkt oder indirekt) in Berührung. Insbesondere betrifft dies unsere Rolle als Kund*innen von Unternehmen bzw. als Konsument*innen von Produkten und Dienstleistungen, wo es uns meist mehr als sonst bewusst wird. So betritt man eine Bäckerei mit bestimmten Erwartungen (wie frisches Gebäck und freundliche Bedienung) und stellt man auch als Kunde eines Möbelhauses einige Anforderungen an eine neue Einbauküche: Diese soll im budgetären Rahmen realisiert, funktional und ästhetisch ansprechend ausgeführt, pünktlich geliefert und fachgemäß montiert werden. Ohne an dieser Stelle ins Detail gehen zu müssen, kann sich die Erfüllung dieser auf den ersten Blick relativ einfachen Erwartungen sogar bei einem wenig aufwändigen Modell, dessen Aufmaß im Prinzip mittels Lineal, Papier und Bleistift möglich wäre, überraschend schwierig gestalten, wie eigene Erfahrungen zeigen.

Während im konkreten Fall im Herbst 2020 (also ein Jahr vor dem avisierten Montagetermin) Planung und Vertragsabschluss rasch erledigt waren, kam es im Frühjahr 2021 zu längeren Diskussionen mit dem sogenannten „Kunden-Servicecenter“ den tatsächlichen Liefertermin betreffend, einschließlich der ersten Eskalation auf die Ebene der lokalen Gebietsleitung und des regionalen Vertriebsbüros. Denn während die Filiale eine Lieferverzögerung von mehreren Wochen in Aussicht stellte, bestätigte das Servicecenter sichtlich verwundert den schon im Kaufvertrag avisierten Montagetermin. Es trat in weiterer Folge auch keines der pandemiebedingt zu befürchtenden Probleme auf und nach der Sommerpause schien es im Herbst 2021 wie am Schnürchen zu klappen: Die Montage erfolgte termingetreu und rasch, nur die Spüle fehlte (weil sie auf dem Transportweg beschädigt worden war), aber auch sie sollte bald geliefert werden. Das machte nichts, denn die Freude überwog – was sich jedoch sehr bald als verfrüht herausstellen sollte.

Im Zuge eines zufälligen Besuchs deckte ein befreundeter Handwerker nämlich ganz beiläufig die äußerst unsachgemäße Montage auf: Es fehlten Installationen, denn das erste Montageteam hatte nicht nur schnell, sondern vielmehr vorschnell das Weite gesucht. Nichtsdestotrotz wurde ein Termin zur Mängelbehebung von Seiten des Möbelhauses rasch organisiert – immerhin. Nötig waren dann allerdings mehrere Monate, Montageteams und Termine sowie gute Nerven bis zur Behebung (fast) aller Mängel.

Außerdem brauchte es begleitendes Projektmanagement von Seiten des Kunden: Sonst ging gar nichts, und vor allem gar nichts richtig, wie es schien. Jeder Anruf im „Servicecenter“ begann mit ausführlichen Schilderungen des bisher Geschehenen, denn die Dokumentation des Projektverlaufs schien im System ebenso wenig zu klappen wir die Verfolgung der zahlreichen, zwischenzeitlich zusätzlich getroffenen Vereinbarungen zur Mängelbehebung. Im Zuge eines der folgenden Montagetermine zeigte sich: Die mittlerweile gelieferte Spüle passte nicht in die Ausnehmung in der Arbeitsplatte. Der Steinmetzbetrieb sollte das (als vermeintlicher Verursacher) lösen, doch schon beim nächsten Termin stellte sich heraus: Der Steinmetz hatte korrekt gearbeitet. Dennoch korrigierte er (obwohl nicht dafür verantwortlich) wortlos die Tischlerarbeit – während die Tischler erst verspätet auftauchten, um die wie angekündigt als Ersatz gelieferte Spüle erneut nicht anzuschließen: Im Zentrallager waren nämlich inzwischen die dafür erforderlichen Teile verloren gegangen. Es kam zum Provisorium, während die besagten Teile nochmals (und diesmal per Expresslieferung) bestellt wurden. Immerhin war nach mehreren Monaten endlich der ursprüngliche Planungsfehler identifiziert: Das erste Team hatte wohl schnell das Weite gesucht, weil die Montage mit den laut Plan vorgesehenen und vorhandenen Elementen so gar nicht funktionieren konnte. Diesen Fehler hatten weder zwei Küchenplaner noch die Küchenplanungs-Software bemerkt. Der erste Planer, bei dem der Kaufvertrag vor mittlerweile über einem Jahr abgeschlossen worden war, hatte das Unternehmen ohnehin bereits verlassen – weshalb man in der Kommunikation mit seinem Nachfolger zur Sicherheit von Beginn an den Filialleiter stets persönlich am Laufenden hielt.

Zusätzlich zu einem weiteren Montageteam waren dann beim nächsten, schon nicht mehr gezählten Montagetermin ein dritter Küchenplaner und der Filialleiter höchstpersönlich vor Ort, was fernab des Schreibtisches im Einrichtungshaus zur Erkenntnis führte: „Das gibt es nicht. So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Die Abteilungsleiter von Tourenplanung und Servicecenter waren teilweise am Telefon „live“ zugeschaltet und versicherten, dass die nötigen Teile zur Mängelbehebung erneut rasch bestellt würden.

Es folgen tatsächlich weitere Termine zur Behebung kleinerer Mängel, in deren Rahmen auch die Spüle endgültig (mit den per Expresslieferung eingelangten Teilen) angeschlossen wurde. In einem Telefonat zwecks Vorbereitung eines abschließenden Gesprächs mit allen involvierten Stellen stellte sich heraus, dass auch der Gebietsleiter mittlerweile das Unternehmen verlassen hatte. Die Teile zur Behebung der Fehlplanung waren nach weiteren Urgenzen durch das Möbelhaus tatsächlich bestellt, wie sogar die für Endkunden normalerweise nicht erreichbare Dame in der Zulieferfirma bestätigte. Das Servicecenter bot indessen unverdrossen Termine und Leistungen an, die alle anders vereinbart waren – egal, so lernte man als Kunde das Unternehmen und durch die unverblümten Schilderungen der Mitarbeiterinnen die internen Prozesse und Probleme kennen: Die Software sei alt und nicht funktional. Die durch den neuen Eigentümer vorangetriebene Zentralisierung der Logistik habe sich als nicht zielführend herausgestellt und werde derzeit ohnehin wieder rückgebaut. Insgesamt sei sowieso alles viel zu kompliziert, etc.

Um es abzukürzen: Einen allerletzten Montagetermin sollte es noch vor Jahresende 2021 geben, um die bereits beim allerersten Termin beschädigten Fronten zu tauschen und um die wegen der Fehlplanung erforderlichen alternativen Teile, die wie gesagt nach mehreren Urgenzen doch noch bei der Zulieferfirma bestellt worden waren, einzubauen. Das Montageteam kam pünktlich – allerdings ohne die alternativen Teile, denn die seien schon wieder, wie zuvor die Teile für den Anschluss der Spüle wenige Tage vor dem vereinbarten Termin im Zentrallager verloren gegangen. Konnte das sein? Man telefonierte kurz mit dem Zentrallager, erreichte eine für Endkunden normalerweise ebenfalls nicht erreichbare Mitarbeiterin, ließ sich freundlicherweise den Warenübernahmeschein faxen: Ja, wirklich, es war so. Vielleicht, so der aufkeimende Gedanke, ging es intern sogar noch chaotischer zu als in den letzten Monaten vermutet?

Jahreswechsel.

Januar 2022: Fünfzehn Monate nach dem Abschluss des Vertrags und drei Monate nach dem ersten Montagetermin werden die letzten Teile geliefert. Über kleinere Schrammen sieht man bereits hinweg.

Februar 2022: Eineinhalb Jahre nach Vertragsabschluss und ein halbes Jahr nach Montagebeginn kommt es zum Abschlussgespräch mit Filial-, (neuer) Gebiets-, und Montageleitung. Die detaillierte Dokumentation der Termine und Telefonate, Vorkommnisse und Versäumnisse durch den Kunden macht Eindruck. Gleiches gilt für die Liste jener Mitarbeiter*innen, mit denen man als Kunde in Kontakt gewesen ist. Es folgen große Augen, ungläubiges Kopfschütteln und wenig glaubwürdige Ausflüchte – sowie letztlich immerhin Gutscheine als Entschädigung. Beim nächsten und endgültig letzten Besuch im Möbelhaus (mit der Absicht, einen der Gutscheine einzulösen), kommt es zur zufälligen Begegnung mit dem Filialleiter: Es täte im leid, aber die verspätet gelieferte Spüle sei entgegen seiner eigenen Aussage im Rahmen des Abschlussgesprächs doch noch nicht fakturiert worden, die Rechnung sei also noch offen und müsste eigentlich noch bezahlt werden. Allerdings gehe er davon aus, dass daran von Kundenseite kein Interesse mehr bestehe, weshalb er sich bereits bemüht habe, intern eine Kulanzlösung zu finden.

Wie diese Möbelhauskette laut Presseaussendung nach längerer Zeit endlich wieder schwarze Zahlen schreiben kann, bleibt von aus Kundensicht nicht nur ein Rätsel, sondern löst kognitive Dissonanz aus – denn man fragt sich angesichts der Erfahrungen wohl nicht ganz zu Unrecht, wie hoch der präventive Preisaufschlag gewesen sein mag, um die zahlreichen internen Ineffizienzen kompensieren zu können.

1.2Ansatzpunkte für eine Analyse

Vielleicht kommt dem bzw. der einen oder anderen Leser*in mancher Aspekt des in Kap. 1.1 skizzierten Sachverhalts bekannt vor (während eine derartige Verkettung hoffentlich einen Ausnahmefall darstellt). Sicher aber findet sich sogar in dieser Verknappung eine Vielzahl an Facetten des hier zentralen Themas, nämlich einer systemisch-systemtheoretischen Sicht auf Qualität und ihr Management in Organisationen.

Einerseits vermittelt schon diese kurze Fallvignette einen ersten Eindruck von der Vielschichtigkeit des Begriffs „Qualität“ selbst (siehe Abbildung 2 links). Dieser kann kaum auf die Beschaffenheit des „eigentlichen“ physischen Produkts, also auf die Ausführung und Funktionalität der Einbauküche sowie auf die damit einhergehende ästhetische Erscheinung oder den praktischen Einsatz reduziert werden. Vielmehr müssen weitere Leistungsbestandteile wie Beratung vor dem Kauf, Lieferung, Montage und Service nach dem Kauf berücksichtigt werden. Außerdem stellt sich die Frage, ob der Kaufpreis von der Produkt- und Leistungsqualität als Gegenleistung kategorial zu unterscheiden ist (und ihr möglicherweise als zu erbringendes „Opfer“ diametral gegenüberliegt), oder ob er über das „Preis-Leistungs-Verhältnis“ sogar explizit in die Qualitätsbeurteilung einfließen soll (siehe Kap. 3.3). Darüber hinaus ist es legitim zu fragen, wer denn für die Beurteilung der Qualität überhaupt als qualifiziert gelten soll – sind dies die Kund*innen mit ihren Wünschen oder die Handwerker*innen mit ihrer Expertise und ihrem Ethos (Zech 2019)? Und wie soll mit etwaigen Diskrepanzen – zum Beispiel im Fall von zufriedenen Kund*innen und unglücklichen Handwerker*innen (oder natürlich auch umgekehrt) – umgegangen werden?

Andererseits wird aus der kurzen Schilderung deutlich, dass der organisationale Kontext mit vielen an der Leistungserbringung beteiligten Abteilungen und Stellen, Personen und Funktionen das Management von Qualität in der oben beschriebenen Vielschichtigkeit zusätzlich erschwert (siehe Abbildung 2 rechts). Ausdifferenzierte Arbeitsteilung in (formal) organisierten Systemen ermöglicht einerseits Spezialisierung einzelner Bereiche auf ihre Aufgaben (wie Vertrieb, Einkauf, Logistik, Montage etc.), erzeugt aber andererseits aufgrund zunehmend erforderlicher Kommunikation und Koordination an Schnittstellen neue Schwierigkeiten für das System als Ganzes. So werden Motivationsmängel oder Informationsdefizite auf der individuellen Ebene einzelner Mitarbeiter*innen durch kollektive Strukturen und Prozesse der Organisation entweder (mit konstruktiver Unternehmenskultur, funktionaler Kommunikationstechnologie etc.) kompensiert oder aber (mit destruktivem Betriebsklima, dysfunktionaler Software etc.) erst erzeugt. Meistens handelt es sich ohnehin um ein Zusammenspiel bzw. um eine Wechselwirkung zwischen der individuell-personalen Ebene und der kollektiv-organisationalen Ebene. Klar ist aber dennoch, dass solch komplizierte Strukturen und Prozesse eine systemische Komplexität hervorbringen, in der weder hierarchischer Überblick „top-down“ noch direkte, zentrale Steuerung durch „Verwaltung“ nach dem klassischen, bürokratischen Vorbild mehr möglich sind.

Abbildung 2:

Beispielhafte Aspekte von Qualität und ihrem Management

Zum einen haben wir es also nicht mit einem absoluten, sondern mit einem relativen Begriff von Qualität (von lat. qualitas … Beschaffenheit, Merkmal, Eigenschaft, Zustand) zu tun. Wir bezeichnen damit nämlich sowohl die Beschreibung der Beschaffenheit von „etwas“ (zum Beispiel eines Produkts oder einer Dienstleistung), als auch die Bewertung dieser Beschaffenheit – also die Güte dieses „etwas“ (zum Beispiel als miserabel, ausreichend oder exzellent). Dies aber bedeutet eine permanente Perspektivität und konstitutive Kontextabhängigkeit – weil schon die Beschreibung der Beschaffenheit und erst recht deren Bewertung eine Auswahl von dafür in Betracht gezogenen, als relevant erachteten Eigenschaften und zugleich ein Außerachtlassen von (derzeit) als nicht relevant erachteten Merkmalen erfordert.

Die Frage nach der Qualität eines Produkts oder einer Dienstleistung impliziert daher immer die Suche nach jenem Standpunkt, von dem aus diese Frage beantwortet wird (Garvin 1984). Beispielsweise kann die Beurteilung der Qualität ein und derselben Einbauküche von Kundin zu Kunde variieren oder es können Küchenplaner*in und Tischler*in zu verschiedenen Einschätzungen gelangen. Es kann für die Tourenplanung das mehrfache, termingerechte Aufsuchen der Baustelle ein Indiz für Servicequalität, für die Montageleitung hingegen für mangelnde Planungsqualität darstellen. Und es kann für den Kunden (= Außensicht) eine Fertigstellung innerhalb von mehr als vier Monaten das Zeichen mangelhafter Qualität sein, während die Vertriebsleitung (= Innensicht) dies im Rahmen eines Kennzahlenvergleichs als ausreichend erachtet.

Bei „Qualität“ handelt es sich um einen vielschichtigen Begriff, mit dem einerseits die Beschreibung, und andererseits die Bewertung von Sachverhalten bezeichnet wird. Aus diesem Grund ist eine Rede von „Qualität“ stets abhängig von der Perspektive und vom Kontext der Beobachter*innen.

Zum anderen sehen wir vor diesem Hintergrund zahlreicheMöglichkeiten für das Management von Qualität. Eine davon ist das Festlegen und Lenken von Prozessen der Leistungserstellung. Im genannten Beispiel sind das neben dem Zusammenspiel unterschiedlicher Abteilungen mit internen Schnittstellen (Versäumen einer Koordination zwischen Servicecenter und Tourenplanung) auch die Abläufe innerhalb einzelner Abteilungen mit Schnittstellen nach außen (Verschwinden von Teilen in der Lagerlogistik). Einen anderen Ansatzpunkt bietet das Führen und Entwickeln des Personals wie im Fall der beiden Tischler des ersten Montageteams (Verlassen der Baustelle trotz erkennbarer Ausführungsmängel). Es betrifft aber ebenso die Mitarbeiterinnen im Servicecenter (Vergessen getroffener Vereinbarungen). Ergänzend wäre es wohl erforderlich, eine Kultur der Kund*innenorientierung zu etablieren. Dies nicht nur im Kontakt mit den externen Kund*innen, sondern auch intern. Beispielsweise sollten die einzelnen Stellen eines Unternehmens sich eher gegenseitig in der Lösung von Problemen unterstützen, statt die Verantwortung wechselseitig aufeinander abzuwälzen. Damit einher ginge die Gestaltung der internen und externen Kommunikationsflüsse einschließlich einer Dokumentation der relevanten Informationen.

Für „Management“ bietet sich eine Vielzahl von Ausgangs- und Ansatzpunkten, um die Qualität eines Sachverhalts einerseits zu beschreiben und zu bewerten, andererseits zu beeinflussen. Außerdem besteht zwischen verschiedenen Strategien des Management eine Vielzahl an Wechselwirkungen.

Zugleich sehen wir – insbesondere in systemisch-systemtheoretischer Perspektive – die zahlreichen Wechselwirkungszusammenhänge mit ihren zirkulären Kausalitäten. So führen mangelhaft integrierte Prozesse zu schlecht vorbereiteten Montageterminen (wegen fehlender Teile und falscher Instruktionen). Diese strukturellen Schwierigkeiten wiederum senken auf Dauer die Motivation der Mitarbeiter*innen und due Arbeitsmoral der Montageteams. Durch die fehlende Verlaufsdokumentation und die erratischen Kommunikationsflüsse bestimmt der Zufall die Zuteilung dieser Montageteams zu den Baustellen, über die kein Wissen und zu denen kein Bezug aufgebaut werden kann (weshalb die Versuchung wächst, aufwändige Probleme lieber dem nächsten Team zu überlassen). Damit aber wird eine immer größere Anzahl an Terminen zur Mängelbehebung erforderlich, was aufgrund der mangelhaften Integration der Prozesse mittel- und vor allem langfristig zur Überlastung der Tourenplanung führt. Den daraus resultierenden Kostensteigerungen kurzfristig mit Sparprogrammen und Stellenkürzungen oder Investitionsstopps (zum Beispiel: fehlende Software) zu begegnen, erhöht den Druck langfristig weiter, womit Fehleranfälligkeit und Frustration steigen.

Umso wichtiger ist es im Qualitätsmanagement, sowohl einen Blick für Systemzusammenhänge und Systemdynamiken zu entwickeln als auch die Bedeutung eines ausbalancierten Zusammenspiels von individuell-personalen und kollektiv-organisationalen Systemeigenschaften bzw. -aspekten zu erkennen.

Abbildung 3:

Qualitätsdimensionen nach A. Donabedian

Ein verbreitet anzutreffender Versuch, die Vielschichtigkeit von Qualitäts- und Management-Aspekten zu fassen und damit für das konkrete Handeln im Alltag handhabbar zu machen, ist die von Avedis Donabedian (1919–2000) zunächst im Kontext medizinischer Leistungen eingeführte Unterscheidung von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität1 (Donabedian 1966). Dabei sollten übliche Darstellungen wie jene in Abbildung 3 nicht dazu verführen, lineare Kausalbeziehungen zu unterstellen. Demgegenüber handelt es sich in den meisten Fällen um weniger eindeutige Wirkungs- und Wechselzusammenhänge. Die zugrundeliegende Intuition ist allerdings noch immer unmittelbar plausibel: Rahmenbedingungen wie beispielsweise die Ausstattung mit Anlagen und Arbeitsmitteln, das Vorhandensein klarer Strategien, die Verfügbarkeit von Informations- und Kommunikationskanälen, von kompetentem Personal usw. ist eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen von Prozessen der Leistungserstellung, mit denen letztlich erwünschte Ergebnisse bzw. Wirkungen hervorgebracht werden können.

Bei etwas näherem Hinsehen lässt sich Strukturqualität als „Potentialqualität“ in eine interne und eine externe Komponente unterteilen (Meyer & Mattmüller 1987), was im Fall von Dienstleistungen besonders bedeutsam ist: Hier können beispielsweise Klient*innen, Patient*innen oder Schüler*innen nicht einfach nur als Kund*innen im Sinne von Konsument*innen auftreten – vielmehr ist der Erfolg von Leistungserstellungsprozessen und damit letztlich das Erzielen der erwünschten Ergebnisse bzw. Wirkungen wesentlich von der Mitwirkung dieser „externen Faktoren“ abhängig: So müssen beispielsweise Klient*innen bereit sein, Auskünfte zu erteilen, Patient*innen müssen Anordnungen befolgen und Schüler*innen müssen Aufgaben erledigen (was sich mit Parsons (2023) als Ausdruck von „Einfluss“ als Medium der Kommunikation deuten lässt). Ganz in diesem Sinne sind schon im Selbstbedienungsrestaurant einer Fastfood-Kette die Kund*innen mehr als nur Konsument*innen bzw. „Gäste“, nämlich zugleich Produzent*innen bzw. (unbezahltes) „Personal“, weil sie das Service in Teilen selbst übernehmen und damit teilweise selbst verantwortlich sind für das Gelingen der Prozesse und für die Güte der Ergebnisse – also keineswegs „König*innen“. Alvin Toffler (1980) hat dies bereits vor einigen Jahrzehnten mit dem Kunstwort „prosumer“ (deutsch: „Prosument“) zum Ausdruck gebracht.

Nichtsdestotrotz – und darauf hat insbesondere Christian Grönroos (1990) explizit hingewiesen – haben tatsächlich die Kund*innen als sprichwörtliche König*innen das letzte Wort, und zwar insofern, als sie ihre Erwartungen an das Ergebnis ex ante mit dem tatsächlichen Erleben dieses Ergebnisses ex post zum Abgleich bringen und sich hier eine maßgebliche Lücke auftun kann (vgl. zu dieser und zahlreichen weiteren potentiellen Lücken das sogenannte „gap model“ von Parasuraman, Zeithaml & Berry 1985). Eine dieser Lücken droht in diesem Zusammenhang bereits auf Seiten der Anbieter*innen, nämlich zwischen den (vom Management) antizipierten Kund*innen-Erwartungen einerseits und den realen Kund*innen-Erwartungen andererseits. Hier setzt beispielsweise sogenannte „Marktforschung“ an mit dem Ziel, die externen Erwartungen möglichst treffsicher zu bestimmen. „Marketing“ wiederum findet seinen Ansatzpunkt bei einer weiteren potentiellen Differenz, deren Grundlage die Unterscheidung zwischen objektiver bzw. intersubjektiver Beurteilung von Qualität einerseits und subjektiver Beurteilung von Qualität andererseits bildet (siehe Abbildung 4 und Krämer & Mauer 1998). Zum Beispiel muss sich die auf Basis von messbaren Indikatoren bestimmte, objektive Qualität nicht mit der wahrgenommenen, subjektiven Qualität decken. Entsprechen sich die objektive und die subjektive Beurteilung, haben wir es entweder (im positiven Fall) mit dem Idealzustand oder (im negativen Fall) mit einem Desaster zu tun.Im Fall divergierender Einschätzungen handelt es sich entweder um eine tickende „Zeitbombe“ (weil die subjektive Beurteilung möglicherweise auf einer Täuschung beruht und stets Ent-Täuschung droht), oder um das besagte „Marketingproblem“, weil die objektiv vorhandene Qualität ganz offensichtlich subjektiv nicht als solche wahrgenommen bzw. geschätzt wird. Wir können in diesem Zusammenhang natürlich an betrügerische Machenschaften denken – wie an den „Diesel- oder Abgasskandal“, bei dem ein großer Automobilhersteller die behauptete „ökologische Qualität“ seiner Fahrzeuge durch illegale Manipulation der Abgasmessungen zu belegen versucht hatte, bis dies nicht mehr aufrecht zu erhalten war. Es reicht aber auch, sich ein als „gesundheitsförderlich“ erscheinendes Produkt der Lebensmittelindustrie, dessen diesbezügliche subjektiv wahrgenommene Qualität einer genaueren objektiven Überprüfung nicht standhält, vorzustellen.

Abbildung 4:

Unterscheidung zwischen „objektiver“ und „subjektiver“ Qualität

Illustrieren lässt sich dies in ähnlicher Weise an dem aus dem Alltag gut bekannten Beispiel der zahlreichen Erwartungen an die Schule im Allgemeinen bzw. an den schulischen Unterricht im Besonderen. Hier mag sich die professionelle, pädagogische Perspektive an elaborierten „Kriterien guten Unterrichts“ (Meyer 2004) als einem etablierten Maßstab für „objektive Qualität“ orientieren, während Schüler*innen und deren Eltern andere Vorstellungen (wie „Bespaßung“ oder schlicht Beaufsichtigung) haben, weshalb sie die „subjektive Qualität“ anders als die Lehrer*innen einschätzen (beispielsweise, weil der Unterricht nicht unterhaltsam genug ist und daher das Fernbleiben umso attraktiver erscheint). Hier gilt es dann oft, die Absichten und Beweggründe des eigenen Handelns offenzulegen und nachvollziehbar zu machen (Stichwort: Marketingproblem). Verfehlt hingegen der Unterricht aus welchen Gründen auch immer die objektiven Qualitätskriterien, kann er von Seiten der Schüler*innen und ihrer Eltern dennoch als gut eingeschätzt werden, wenngleich diese möglicherweise früher oder später, beispielsweise durch den Vergleich mit Erfahrungen andernorts, misstrauisch werden (Stichwort: Zeitbombe).

1.3Andere aktuelle Anlassfälle

Mögen uns im Alltag Fragen der Qualität und ihres Management in unserer Rolle als Kund*innen von Unternehmen oder Konsument*innen von Produkten und Dienstleistungen der Wirtschaft deutlicher als sonst bewusst werden, so hat sich Qualitätsmanagement heute über unternehmerische und wirtschaftliche Kontexte hinaus zu einer gesellschaftsweiten Selbstverständlichkeit entwickelt. In vielen Bereichen der ehemals öffentlichen Verwaltung und Versorgung gilt New Public Management als Gebot der Stunde. Damit einher geht eine Absage an „Old Public Administration“1 in der Hoffnung, so die Qualität für die Anspruchsgruppen („Stakeholder“), wie die Kund*innen hier oft genannt werden, zu steigern. Ungeachtet der verwendeten Begriffe wird über weite Strecken die Erfüllung der Wünsche sowie letztlich die Zufriedenheit der Kund*innen zum zentralen Kriterium für die Beurteilung der Qualität von Produkten und Dienstleistungen.2Organisationen alssoziale Systeme, allen voran Unternehmen, mittlerweile aber auch Universitäten, Schulen und Spitäler oder sogar Familien- und Freundeskreise gelten heute als instrumentelle Mittel für die Erreichung individueller Zwecke und Ziele von Kund*innen (wie zum Beispiel: Einkommen, „Employability“, Erholung, Entspannung etc.).3

Qualitätsmanagement dient in Unternehmen und in anderen, vor allem öffentlichen Bereichen der Gesellschaft (Stichwort: „New Public Management“) der Implementierung einer individuellen und instrumentellen Rationalität: Soziale Zusammenhänge gelten als Mittel zur Erreichung von Zwecken.

Man denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an die jüngsten Reformen im Bildungs- und insbesondere im Schulsystem