T wie Tessa (Band 1) - Plötzlich Geheimagentin! - Frauke Scheunemann - E-Book

T wie Tessa (Band 1) - Plötzlich Geheimagentin! E-Book

Frauke Scheunemann

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Beschreibung

Der Auftakt einer coolen Agentenreihe! Die Mädchen von Gimme Four sind wahre Legenden. Sie haben eine Million Follower, dürfen während der Schulzeit auf Tournee gehen und ich, ich würde töten, nur um irgendwie dazuzugehören! Viel zu schüchtern und echt verpeilt – kein Wunder, dass Tessa gern jemand anderes wäre. Zum Beispiel Mitglied von Gimme Four, der megaberühmten Girl Group an ihrer Schule. Da geschieht das Unfassbare: Tessa schafft es in die Band! Allerdings hatte sie sich das ein wenig anders vorgestellt. Zwielichtige Fans, nächtliche Verfolgungsjagden und skrupellose Mafiosi sprengen die Proben vor dem ersten Auftritt. Und auch Tessas neue Kolleginnen scheinen neben der Musik noch ganz andere Hobbys zu haben. Oder wie sonst erklären sich die Waffen im Instrumentenkoffer? T wie Tessa und topsecret! In diesem ersten Band der neuen Agenten-Reihe kombiniert Bestseller-Autorin Frauke Scheunemann gekonnt Coolness, Herzklopfen und ganz viel Witz. Chaos-Queen Tessa stolpert in ihren ersten spannenden Kriminalfall – eine unverkennbar humorvolle und unterhaltsame Kinderbuch-Reihe für Jungs und Mädchen ab 11 Jahren. Ob in der Schule, in Hamburg oder Berlin – das Böse lauert in diesem Kinder-Krimi überall. Vorsicht: Suchtpotenzial! Der Titel ist bei Antolin gelistet.

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Seitenzahl: 234

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Inhalt

1Kein Tag wie jeder andere

2Eine zweite Chance

3Maus mit Helfersyndrom

4Nett ist die kleine Schwester von …

5Da haben wir den Salat!

6Diamonds are a girl’s best friend

7Fred Feuerstein

8Hausdurchsuchung

9Kopfüber in die Nacht!

10Hilfe! Überfall! Oder etwa doch nicht?

11Totgesagte leben länger

12Kartentrick

13Folgen Sie mir unauffällig! Und vergessen Sie die Maus nicht.

14Eine unglaubliche Entdeckung!

15Plötzlich Geheimagentin!

16Willkommen im Club!

17Ein Plan wird geschmiedet. Nein: ICH schmiede einen Plan!

18Und Action!

19Showdown

20Grande Finale – oder: Wo geht’s denn hier nach Ulan Bator?

1

Kein Tag wie jeder andere

Das Scheinwerferlicht ist so grell, dass ich hier oben auf der Bühne so gut wie nichts sehen kann. Aber ich höre das Gegröle der Massen, die zu unserem Konzert gekommen sind. Die Vorband ist gerade fertig, da tönt es mit einer Wucht aus den Lautsprechern, dass es mir direkt in die Magengrube fährt:

Ladies and Gentlemen!

Live on stage,

the one and only GIMME FOUR!!!!

Nach dieser Ansage steigert sich das Grölen der Zuschauer zu einem Kreischen und an dem dumpfen Poltern kann ich erkennen, dass das Publikum offenbar auf und ab springt. Es ist einfach der Wahnsinn! Aber ich darf mich davon nicht ablenken lassen, denn unser Gig beginnt mit meinem Gitarrensolo. Gelingt es, haben wir alle auf unserer Seite. Geht es in die Hose, dann … aber daran darf ich jetzt nicht denken. Volle Konzentration!

Meine Finger gleiten über die Saiten, zupfen, trommeln, werden schneller und schneller. Ich lasse die Gitarre singen, jaulen und röhren, mal schwellen die Töne an, mal werden sie zu einem Flüstern – ich spiele mich in einen regelrechten Rausch. Während ich anfangs noch etwas ungelenk zwischen Kim, Mia und Alex stehe und mich an meiner Gitarre festhalte, verfliegt meine Schüchternheit nach den ersten Takten meines Solos und ich tanze mit der Gitarre über die Bühne. Es ist ein wilder Ritt zu einer Musik, die alle restlos begeistert. Ich spüre die Energie des Publikums, die wie ein Echo zwischen uns hin- und herfliegt. Mein Herz rast – aber nicht vor Angst, sondern vor Glück: Ich, Tessa Neumann, bin eine Gitarrengöttin!

»Tessa?«

Noch den Refrain abgeritten, die Gitarre vibriert unter meinen Fingern und …

»Tessa! Wir müssen raus! Komm schon!«

Was? Wie? Raus? Wieso raus? Ich hab doch gerade erst angefangen! Und wer spricht da überhaupt mit mir? Mein Manager? Verwirrt schaue ich mich um – jemand hat plötzlich das gleißende Licht ausgeknipst und es ist fast ein bisschen dunkel um mich herum.

»Ey, Neumann, du wirst das Vorspielen noch versauen, bevor du überhaupt im Musikraum angekommen bist.«

Okay, das ist definitiv nicht die Stimme meines Managers. Was auch daran liegt, dass ich gar keinen Manager habe. Es ist die Stimme von Beyza Aktan und das dazugehörige Mädchen zerrt mich genau jetzt am Ärmel von meinem Sitz in der S-Bahn.

»Schnapp dir deine Gitarre und los!«

»Ich … äh …«, stammle ich und schaue mich um. Tatsächlich – auf dem blauen Sitz neben mir lehnt meine Gitarrentasche. Ich springe hoch, schnappe mir den Schultergurt der Tasche und hänge sie mir um. Dann laufe ich hinter Beyza her, die schon an der Wagentür angekommen ist. Fiep, fiep, fiep – drei schrille Töne kündigen an, dass sich die Türen der S1 gleich wieder schließen werden. Ich mache also einen großen Schritt Richtung Bahnsteig beziehungsweise will einen großen Schritt Richtung Bahnsteig machen, als ich eine weitere Stimme höre. Diesmal eine mir völlig unbekannte!

»Hilfe! Halt! Du musst den Zug aufhalten! Hilfe!« Ich schaue mich um, kann aber niemanden entdecken, dabei höre ich die Stimme direkt neben mir. Oder vielmehr: unter mir. Aber auch auf dem Boden sehe ich nichts. Die Türen beginnen, sich zu schließen. Beyza, die schon auf dem Bahnsteig steht, dreht sich zu mir um.

»Tessa!«, schreit sie. »TESSA!« Sie läuft auf mich zu und zieht erneut an meinem Arm.

»Hilfe!«, höre ich es wieder und schaue nach unten, während ich schon durch die Türen stolpere. Das hätte ich mal besser gelassen, denn nun bleibe ich mit dem oberen Teil meiner Tasche an der Haltestange neben der Tür hängen. Ich verliere das Gleichgewicht, knalle mit dem Kopf an die Tür und falle in genau dem Moment aus dem Waggon, in dem sich die Türen endgültig mit einem dumpfen Seufzen schließen.

Jetzt baumle ich wie eine Marionette vor den geschlossenen S-Bahn-Türen. Der Schultergurt meiner Tasche, die auf der anderen Seite der Türen geblieben ist, ist nämlich so kurz, dass er mich weiter oben hält.

Die S-Bahn macht einen Ruck. Verdammt! Fährt die etwa los? Beyza beginnt, laut zu schreien, andere Menschen auf dem Bahnsteig rennen nach vorn und winken dem Lokführer zu. Durch die gekippten Oberfenster der S-Bahn kann ich hören, dass auch die Fahrgäste im Wagen wild durcheinanderrufen. Eine gefühlte Ewigkeit passiert nichts, immerhin fährt die Bahn auch nicht weiter, was ich sehr begrüße. Schließlich öffnen sich die Türen und ich falle nach unten. Ich bin doch schlanker, als ich dachte, denn ich sause genau in den Spalt zwischen Waggon und Bahnsteig, bis die Gitarre meinen Sturz stoppt. Das darf doch nicht wahr sein! Ich stecke tatsächlich zwischen der S1 und der Bahnsteigkante im Gleisbett fest. Mein Tag kann definitiv nicht schlimmer werden!

Er kann es doch. Schlimmer werden. Beyza hockt neben mir und ich sehe ihr genau an, dass sie mir gerne eine runterhauen würde, was sie aber lässt, weil man das bei Leuten, die sowieso schon am Boden liegen, nicht macht. Während ich also maximal unkomfortabel neben dem Waggon hänge und Beyza mich mit Blicken tötet, nähert sich jemand mit großen Schritten, dessen Gang ich über zwei Kilometer Entfernung erkennen würde. Es ist ausgerechnet Timo Erhard aus der 10d. Der Timo Erhard! Sprecher unserer Schülervertretung und Chefredakteur der Schülerzeitung. Mein heimlicher Schwarm seit mindestens drei Jahren, als ich ihn das erste Mal in der Schulkantine sah. Timo Erhard, der so gut aussieht, dass ich ihm nicht in die Augen gucken kann. Also, außer ich muss, weil er heftig an meinen Armen zerrt, um mich auf den Bahnsteig zurückzuhieven. Das ist der bisher peinlichste Moment in meinem dreizehnjährigen Leben. Oh, nein, warum kann ich nicht auf Timo treffen, wenn meine Haare perfekt sitzen und ich umwerfend aussehe? Warum muss es ausgerechnet jetzt sein?

»Ey, Aktan«, ruft Timo Beyza zu, »was sitzt du da wie gelähmt? Willst du Tessa nicht mal hochhelfen?«

Er kennt meinen Namen! Oh, mein Gott! Normalerweise würde ich vor Begeisterung Herzrasen bekommen. Jetzt habe ich Herzrasen, weil mir klar ist, dass Timo Erhard meinen Namen bis an das Ende seiner Tage mit einer total verpeilten Achtklässlerin in Verbindung bringen wird, der es gelungen ist, vor seinen Augen aus der S-Bahn zu fallen.

Mit einem kräftigen Ruck schafft es Timo tatsächlich, mich aus dem Spalt zu ziehen. Kurz darauf sitze ich neben Beyza und reibe mir die Schulter, die ziemlich wehtut.

»Alles okay?«, fragt Timo und klingt dabei ernsthaft besorgt.

»Äh, ja, klar!«, beeile ich mich zu versichern. »Alles okay.«

Timo mustert mich zweifelnd.

»So richtig okay siehst du aber nicht aus. Auf der Stirn wächst dir gerade ein ziemliches Horn.«

»Ein Einhorn«, ruft Beyza und kichert. Großartig – wenigstens eine, die ihre gute Laune wiedergefunden hat!

»Nein, es ist alles in Ordnung, wirklich!«, sage ich so dynamisch, wie ich es auf dem Boden sitzend hinkriege. »Ich schnappe mir jetzt meine Gitarre, dann schaffe ich es hoffentlich noch rechtzeitig zum Vorspielen.«

Mit diesen Worten springe ich auf – besser gesagt, ich versuche es, denn ich stehe noch nicht ganz, da wird mir so schwindelig, dass ich mich gleich wieder hinsetze. Timo schüttelt den Kopf.

»Echt, Tessa, mach mal langsam! Ich glaube, jemand hat einen Krankenwagen gerufen. Oder die Feuerwehr. Warte lieber, bis die dich kurz durchchecken.«

Beyza steht auf.

»Macht es dir was aus, wenn ich schon mal gehe, Tessa? Ich meine, ich kann dir hier sowieso nicht mehr helfen und zumindest ich würde sehr gern rechtzeitig zum Vorspielen kommen.«

Ich schüttle den Kopf.

»Nee, geh ruhig.«

Klar muss Beyza los. Sie ist als Mitglied der AG Veranstaltungstechnik an unserer Schule immerhin dafür zuständig, dass in unserer Aula heute das Soundsystem funktioniert und das Licht angeht. Es war schon ziemlich nett von ihr, dass sie mir überhaupt von dem Vorspielen erzählt hat. Was sie mittlerweile vermutlich sehr bereut.

Sie ist gerade vom Bahnsteig verschwunden, da tauchen tatsächlich zwei Sanitäter auf. Timo winkt ihnen zu.

»Hier sind wir!«

Sie kommen auf uns zu und bleiben direkt vor mir stehen. Der jüngere von den beiden stellt einen Koffer neben mich.

»Mann, wie ist das denn passiert?«, erkundigt er sich.

Ich zucke mit den Schultern und murmle: »Keine Ahnung, doof gestolpert.« Die Tatsache, dass ich Stimmen gehört habe, behalte ich lieber für mich.

»Über Funk klang das ja dramatisch – Sturz ins Gleisbett!« Der Sani beugt sich zu mir und leuchtet mir mit einer Taschenlampe ins Gesicht, ich kneife die Augen zusammen.

»Schmerzen? Also, bis auf die Beule.«

»Meine Schulter tut weh. Und mir war eben ein bisschen schwindelig, mehr nicht«, antworte ich wahrheitsgemäß.

»Da kannste froh sein, dass nicht mehr passiert ist!«, sagt der Ältere, der neben Timo stehen geblieben ist. »Hier unten verlaufen die Stromleitungen. 1200 Volt – ein Puff und du bist weg!«

»Und jetzt?«, erkundigt sich Timo. Ich bin mir nicht sicher, ob das mitfühlend gemeint ist. Eher neugierig.

»Jetzt nehmen wir deine Freundin vorsichtshalber mit in die Klinik«, beantwortet der Jüngere Timos Frage. »Eine Nacht wird sie da wohl bleiben, ich denke mal, sie hat eine Gehirnerschütterung.«

Timo nickt und ich bin froh, dass keiner der drei mich gerade anschaut. Sonst würden sie sehen, dass ich bei dem Wort Freundin feuerrot geworden bin. Auch wenn natürlich nur Schulfreundin gemeint war – das Wort allein reicht, um bei mir sämtliches Blut in die Birne zu schicken!

***

Im Krankenhaus liege ich erst eine gefühlte Ewigkeit zusammen mit meiner Gitarre auf einem Behelfsbett im Flur herum, bis ich in ein Krankenzimmer geschoben werde. Dort bin ich ganz allein und werde das auch noch eine Weile bleiben. Mum und Paps sind gerade zusammen in Berlin. Sie haben sich zwar sofort auf den Rückweg gemacht, als sie von dem Unfall gehört haben, brauchen aber bestimmt noch zwei Stunden, bis sie wieder in Hamburg sind. Meine große Schwester verbringt ein Austauschjahr in Australien, Opa wohnt in Köln und andere Verwandte habe ich nicht. Na gut, da wäre natürlich noch Tante Iris. Die zählt aber unter den momentanen Umständen nicht. Ich mag sie zwar sehr, aber sie ist leider so irre, dass sie meistens für mehr Probleme als für Lösungen sorgt.

Eigentlich komme ich aber gerade auch super ohne familiären Beistand klar. Ich fühle mich nach diesem Nachmittag, als sei eine Dampfwalze über mich hinweggerollt, und ich beschließe, einfach eine Runde zu schlafen. Eine Krankenschwester bringt mir noch ein Nachthemd und ein Handtuch auf mein Zimmer und zieht die Vorhänge vor das Fenster, dann bin ich wieder allein. Ich überlege kurz, mich umzuziehen, bin aber zu müde. Also schließe ich einfach die Augen.

»Ist die Luft endlich rein?«

Sofort sitze ich senkrecht im Bett. Da ist sie wieder, die Stimme!

»Ich mach mich dann mal wieder auf den Weg. Aber natürlich nicht, ohne dir ganz offiziell und von Herzen zu danken!«

Meine Gitarrentasche! Es ist meine Gitarrentasche, die mit mir redet! Oh, mein Gott! Ich werde offenbar verrückt. Ob das daran liegt, dass ich bei meinem Sturz so heftig mit dem Kopf angestoßen bin? Wobei – die Stimme hatte ich eindeutig schon davor gehört. Ich bin also einfach so verrückt geworden. Ohne Sturz. Krass!

Die Gitarrentasche, die eben noch friedlich auf der Bettdecke zu meinen Füßen lag, beginnt nun auch noch, sich zu bewegen. Hilfe! Schwester! Ich drehe gerade völlig durch! Hektisch schaue ich mich um, ob ich irgendwo einen Alarmknopf entdecke, aber bevor ich den Klingelknopf zu fassen bekomme, der tatsächlich an der Wand hinter meinem Bett baumelt, schiebt sich aus dem Außenfach meiner Gitarrentasche ein kleines pelziges Tierchen und grinst mich an.

»Hallo, Tessa Neumann! Gestatten, dass ich mich vorstelle? Ich bin Hector. Dschingisiin Hector.«

Kein Zweifel! Auf meinem Bett sitzt eine braune Maus und mustert mich neugierig.

»Hey, hat es dir die Sprache verschlagen?«, hakt die Maus nach. Ich fasse es nicht. Eine sprechende Maus. Ich habe ganz offensichtlich den Verstand verloren! Meine Hand greift nach dem Klingelknopf, aber bevor ich drücken kann, hüpft die Maus auf meinen Arm.

»Sachte, sachte – willst du etwa jemanden holen? Und ihm erzählen, dass du dich hier gerade mit einer Maus unterhältst? Beziehungsweise von einer Maus unterhalten wirst, denn du bist ja leider stumm wie ein Fisch.«

Statt darauf zu antworten, nicke ich wie in Zeitlupe. Die Maus schüttelt ihren kleinen Kopf.

»Ts, ts, ts – keine gute Idee! Es sei denn, du willst heute noch dringend in der Notfallpsychiatrie landen.«

»Kann … ähm …«, ich muss mich räuspern, in meinem Hals hat sich ein riesiger Kloß gebildet, »kann denn nur ich dich sehen? Bist du gar nicht echt? Eine Halluzination von mir oder so was?«

Die Maus starrt mich entgeistert an. Glaube ich jedenfalls.

»Bitte? Ich? Eine Halluzination?« Sie schnaubt verächtlich. »Natürlich nicht. Die meisten Menschen sind nur einfach zu unsensibel, um sich mit mir zu unterhalten. Im Gegensatz zu dir. Wenn du der Schwester von mir erzählst, wird sie dir zu tausend Prozent nicht glauben. Das kannst du genauso gut lassen.«

Klingt ziemlich logisch. Ich lasse den Klingelknopf wieder los und er schwingt an die Wand zurück. Dann überlege ich einen Moment.

»Was wolltest du im Gleisbett?«, frage ich die Maus.

»Warum?«

»Na ja, wenn du dort nicht um Hilfe geschrien hättest, wäre ich jetzt nicht hier. Sondern in der Aula, beim Vorspielen für Gimme Four.«

»Ist doch egal, warum ich da war. Hauptsache, du hast mich gerettet. Dafür noch mal vielen Dank! Ich muss los. Man sieht sich!«

Die Maus will von meinem Bett huschen, aber ich schnappe mir ihren Schwanz und halte sie fest.

»Momentchen, Hector! Wir sind noch nicht fertig.«

»Äh, wie bitte?« Ein Hauch von Unsicherheit schleicht sich in die Stimme der Maus.

»Du hast mir da eben die Chance meines Lebens vermasselt. Ich will jetzt wissen, warum sich eine sprechende Maus erst vor die S1 schmeißt und dann von mir gerettet werden muss!« Für meine Verhältnisse klinge ich verdammt energisch, ich bin mittlerweile aber auch richtig sauer.

»Ich … ich bin auf dem Weg in die Innere Mongolei. Eine dringende Familienangelegenheit. Deswegen habe ich die S1 zum Flughafen genommen. Leider fiel mir erst später auf, dass nur die vorderen Waggons zum Flughafen fahren und der hintere Teil abgekoppelt wird und dann nach Poppenbüttel fährt. Also musste ich umsteigen. Dabei ist es dann passiert. Ich bin einfach nicht weit genug gesprungen.«

»Innere Mongolei?«, echoe ich. »Eine Familienangelegenheit am Ende der Welt? Warum? Warum nicht Paderborn oder Hannover? Oder einfach der nächste Stadtteil – Blankenese?«

Hector schüttelt den Kopf und schaut dabei sehr missbilligend.

»Ich bitte dich, Tessa! Ich bin doch keine gewöhnliche deutsche Feldmaus. Ich bin eine mongolische Rennmaus. Meine Familie kommt ursprünglich aus dem vornehmsten Bezirk von Ulan Bator.« Er seufzt und schaut kurz auf die Uhr über der Zimmertür. »Und genau deswegen muss ich auch los. Mein Flieger geht um 20 Uhr, wenn ich den noch kriegen will, wird es richtig knapp. Also lass los!«

Nun bin ich es, die den Kopf schüttelt. Denn gerade ist mir eine ausgezeichnete Idee gekommen.

»Nein. Du hast es verbockt, du biegst es wieder hin. Ich lasse dich erst gehen, wenn ich das Vorspielen absolviert habe.«

»What? Was genau soll ich daran geradebiegen?« Empört springt Hector auf und ab, was gar nicht so leicht für ihn ist, weil ich ihn ja immer noch am Schwanz festhalte. »Ich bin eine Maus, nicht der große Zauberer Houdini! Du hast es verpasst, Pech gehabt. Keine Chance ist einmalig. Irgendwann wird schon wieder eine Gelegenheit kommen, dein Können an der Gitarre unter Beweis zu stellen.«

»Nein«, stelle ich kurz und knapp fest. »Du bleibst. Und ich sag dir auch, warum. Diese Chance ist nämlich sehr wohl einmalig. Es ging um den Platz der Gitarristin bei Gimme Four. Das ist so ungefähr die angesagteste deutsche Schülerband seit … äh …« Ich überlege, aber tatsächlich fällt mir da gerade kein Vergleich ein, weil ich überhaupt keine andere deutsche Schülerband kenne. »Ist ja auch egal. Jedenfalls sind Mia, Alex, Ella und Kim eine echte Legende, nicht nur an unserer Schule, sondern überhaupt. Ihr Profil hat fast eine Million Follower, sie dürfen auch während der Schulzeit auf Tournee gehen, und ich würde töten, um da auch nur irgendwie dazugehören zu dürfen. Ich würde sogar als Putzfrau bei Gimme Four anheuern. Aber jetzt könnte ich als Bandmitglied Gitarre spielen. Denn Ella verlässt die Band. Sie geht mit ihren Eltern ins Ausland. Und deswegen ist«, ich schlucke kurz und korrigiere mich, »und deswegen war heute ein Vorspielen. Ein geheimes. Wenn mich Beyza da nicht eingeschleust hätte, hätten die mich niemals eingeladen. Aber weil wir uns schon aus dem Kindergarten kennen und sie weiß, wie gut ich spiele, hat sie ein gutes Wort für mich eingelegt.«

»Wow! Warum ist dir das so wichtig, bei denen mitzumachen?« Hector guckt verständnislos.

»Ganz einfach: Weil ich die uncoolste Person an unserer Schule bin. Ach, was – auf diesem Planeten! Ich habe einen unterirdischen Klamottengeschmack und bin einen Kopf größer als alle anderen Mädchen in meiner Klasse. Trotz dieser Größe werde ich aber von so ungefähr allen übersehen. Nicht mal die Lehrer, die ich seit der fünften Klasse habe, können sich meinen Namen merken! Und das war die einmalige Gelegenheit, das zu ändern! Wenn ich nämlich erst mal ein Mitglied von Gimme Four wäre, würde ich auch endlich jemand sein!«

»Okay, schlimme Geschichte, sehe ich ein. Aber was hab ich damit zu tun? Der Termin ist futsch, daran kann ich auch nichts ändern.«

Grimmig schüttle ich den Kopf und halte Hectors Schwanz noch ein bisschen fester, sodass dieser zusammenzuckt.

»Ich habe gelesen, dass Kim, Ella, Alex und Mia riesige Tierfreunde sind. Sie schicken zum Beispiel jedes Jahr einen dicken Scheck ans Tierheim. Deshalb werde ich mir, sobald ich hier rausdarf, meine Gitarre schnappen. Und dich. Dann werde ich der Band erklären, dass ich das Vorspielen verpasst habe, weil ich dich retten musste. Dich, eine sehr niedliche, kleine Hausmaus, die fast von der S-Bahn überfahren worden wäre. Ich hoffe sehr, dass sie mich vorspielen lassen, weil sie es toll finden, dass ich meine Karriere für eine Maus riskiert habe. Und wenn sie es nicht sofort einsehen, werde ich einfach jeden Tag wieder mit dir dort auftauchen, bis ich meine Chance bekomme. Verstanden?«

Hector nickt.

»Und, was sagst du zu dem Plan?«

»Erstens: Ich bin keine Hausmaus. Zweitens: Du bist total irre!«

2

Eine zweite Chance

Was bin ich nur für ein Glückspilz! Ja, wirklich! Denn als ich zwei Tage später mitsamt meiner Gitarre wieder in der Schule aufkreuze, hat das Vorspielen noch gar nicht stattgefunden.

»Wie denn auch? Ich war so ungefähr die Einzige, die pünktlich in der Aula ankam«, schnaubt Beyza wütend, als sie mir davon berichtet. »Ich meine – der komplette S-Bahn-Verkehr in den und vom Hamburger Westen war lahmgelegt. Wegen eines Personenschadens am S-Bahnhof Othmarschen! Personenschaden! Ha!« Sie mustert mich und schüttelt dann den Kopf. »Dabei ist dir ja gar nicht mal wirklich was passiert!«

»Ja, ’tschuldige, tut mir leid, dass mein Arm noch dran ist«, gebe ich leicht genervt zurück. Die spinnt ja wohl! Anstatt sich zu freuen, dass ich noch lebe! Und außerdem ist das ja alles gar nicht meine Schuld, sondern die von Hector. Den habe ich in einer Brotdose mit in die Schule geschmuggelt, um ihn Kim, Alex oder Mia zu zeigen. Allerdings habe ich die drei noch nicht gefunden. Natürlich könnte ich Beyza schon mal von ihm erzählen, aber die lässt mich nicht weiter zu Wort kommen.

»Also, wenn du der Sache noch eine Chance geben willst, dann komm in einer Viertelstunde zum Musikraum eins. Aber sei pünktlich!«

Dann rauscht sie ab und lässt mich einfach auf dem Schulhof stehen. Dafür taucht meine Klassenlehrerin Frau Dr.Philippi auf. Freundlich grüßt sie mich.

»Ach, hallo … äh … ähm …«

»Tessa«, helfe ich ihr auf die Sprünge.

»Na klar. Danke. Ja, hallo, Tessa! Schön, dass du wieder da bist! Ich habe von deinem Unfall gehört. Üble Sache! Gut, dass nicht mehr passiert ist. Aber sag mal, bist du wirklich beim Aussteigen einfach aus dem Zug gefallen?«

Ich seufze. Macht es Sinn, Frau Dr.Philippi die ganze Geschichte zu erzählen? Mitsamt mongolischer Rennmaus? Vermutlich nicht. Ich zucke also nur mit den Schultern.

»Weiß nicht. Bin irgendwie gestolpert.«

Sie nickt.

»Tja, so geht das manchmal. Wobei«, sie macht eine kurze Pause und schaut mich streng an, »da hast du für ganz schön viel Ärger gesorgt! Totales Verkehrschaos! Ich war gerade auf dem Heimweg und meine Bahn stand fast vierzig Minuten rum, bevor sie in den Bahnhof Altona einfahren konnte. ’nen richtigen Rückstau gab es da! Also pass beim nächsten Mal bitte ein bisschen besser auf.«

»Mach ich, Frau Dr.Philippi«, murmle ich, obwohl ich finde, dass sie sich schon ein bisschen mehr Sorgen um mich und ein bisschen weniger um ihren Heimweg machen könnte.

»Sehr gut! Dann bis später … äh …«

»Tessa«, erinnere ich sie erneut.

»Richtig. Tessa. Bis später!«

Als Dr.Philippi Richtung Mittelstufengebäude abgezogen ist, beginnt es, in meiner Tasche zu rappeln. Im ersten Moment erschrecke ich mich, aber dann fällt mir ein, dass ich ja immer noch Hector mit mir rumschleppe. Ich wühle in meiner Tasche, krame die Brotdose hervor und öffne vorsichtig den Deckel.

Der mongolische Kollege funkelt mich wütend an. Glaube ich jedenfalls.

»Sag mal, wie lange willst du mich hier drin eigentlich noch aufbewahren? Ich könnte längst erstickt sein!«

»Ja, könntest du. Wenn ich nicht vorher mit dem Dosenöffner ziemlich viele Löcher in den Deckel der Brotbox gehauen hätte. Keine Sorge, ich brauche dich lebend. Wobei – vielleicht brauche ich dich auch gar nicht mehr.«

Hector schnaubt erbost.

»Bitte?! Und warum schleppst du mich dann noch durch die Gegend? Ich müsste längst in Ulan Bator sein. Mein Cousin Attila macht wahrscheinlich ein Riesendrama am Flughafen, wenn er merkt, dass ich gar nicht im Flieger bin. Der Gute ist immer so leicht aus der Fassung zu bringen.«

»Tut mir leid!« Ich hebe die Tasche mitsamt Dose etwas höher, sodass es hoffentlich so aussieht, als würde ich etwas suchen, und nicht so, als würde ich mich mit meiner Brotdose unterhalten. »Ich gebe zu, meine Prio eins war nicht deine Reise in die Mongolei.«

»Nicht?«

»Nein. Wie du vielleicht bemerkt hast, habe ich mich zu Hause noch mal auf mein Vorspielen vorbereitet.«

»Ja, war nicht zu überhören. Grauenhaft. Ich hasse Gitarre. Warum spielst du nicht Klavier? Da kann man bei neueren Modellen wenigsten mit Kopfhörern üben und niemand kriegt was mit.«

Diese Spitze lasse ich unkommentiert. Ich werde sicherlich nicht mit einer kleinen braunen Maus über meine musikalischen Fähigkeiten diskutieren.

»Na, jedenfalls wollte ich heute eigentlich einen neuen Termin für mich klarmachen. Aber es sieht ganz so aus, als würde es für alle Interessenten eine zweite Chance geben. Das erste Vorspielen wurde nämlich abgesagt.«

Hector fiept. Oder lacht er?

»Ich hab’s mitbekommen. Du hast mit deiner Aktion den gesamten öffentlichen Hamburger Personennahverkehr zum Erliegen gebracht.«

Wie bitte? Wutschnaubend lasse ich meine Tasche auf den Boden fallen, sodass die Brotdose mitsamt Hector ordentlich scheppert.

»Aua!«, flucht Hector. »Was soll denn das?«

»Meine Aktion?«, schnauze ich ihn an. »Ich würde sagen: Das ist alles wegen deiner blöden Aktion passiert! Ich hätte dich einfach genau da lassen sollen, wo du warst. Im Gleisbett. Dann hätte dich wahlweise die S1 geschreddert oder du wärst nach dem Kontakt mit der 1200-Volt-Leitung zu Asche verpufft!«

»Mit wem redest du?« Erschrocken fahre ich herum. Hinter mir steht Timo Erhard!

»Ähm, hallo, Timo!«, stammle ich. »Mit niemandem. Ich … äh … habe nur laut vor mich hin gedacht.«

»Echt? Klangt eher so, als ob du jemanden beschimpfst.«

Ich zucke verlegen mit den Schultern.

»Na ja. Ich schimpfe, weil … weil ich ja die Mädels von Gimme Four fragen will, ob ich noch mal zum Vorspielen kommen darf, und da muss ich vorher ein bisschen rumschimpfen, damit ich mutig genug bin dafür.« Puh! Was für eine dämliche Ausrede! Timo allerdings scheint sie mir zu glauben, denn nun lächelt er mich an und nickt.

»Hey, ich weiß genau, was du meinst. Ich war früher auch manchmal ein bisschen schüchtern und musste mich selbst anstacheln, bevor ich zum Beispiel fremde Leute angesprochen oder jemanden um einen Gefallen gebeten habe.«

What? Timo Erhard Superstar war mal schüchtern? Ich falle vom Glauben ab!

»Echt? Das hätte ich nie gedacht! Ich meine, du bist unser Schülersprecher und kriegst immer alles auf die Reihe und … und überhaupt!«

»Aber isso.« Timo grinst. »Also«, er klopft mir auf die Schulter, »du schaffst das schon!«

»Ja, danke!«, presse ich noch irgendwie aus mir heraus, bevor mich die Sprachlähmung befällt.

»Oder soll ich mitkommen und dir helfen? Ich könnte behaupten, ich sei dein Gitarrenträger«, sagt er und zeigt dabei lächelnd auf meine Gitarrentasche, die ich mir quer über die Schulter gehängt habe.

Ich schüttle heftig den Kopf. Auf gar keinen Fall will ich, dass Timo mitbekommt, wie ich die coolsten Mädchen unserer Schule geradezu darum anflehe, sich fünf Takte von meinem Gitarrengeschrammel anzuhören. Nein, wenn ich mich schon in den Staub werfen muss, dann bitte ohne Publikum!

»Vielen Dank, aber das brauchst du nicht!«, versichere ich ihm.

Timo nickt.

»Klar, kriegst du natürlich allein hin. Also dann – bis irgendwann mal.« Er winkt mir lässig zu, dreht sich um und schlendert davon. Ich atme tief durch.

»Hä?«, fiept es unter mir. »Der Typ bietet an, dir zu helfen, und du sagst, du rockst das alleine? Obwohl du ganz offensichtlich jemand bist, der jede Hilfe braucht, die er kriegen kann?«

»Nun werde mal nicht unverschämt!«, blöke ich in Richtung Tasche. »Ich glaube kaum, dass du das beurteilen kannst. Schließlich kennst du mich kaum.«

»Ich weiß immerhin, dass du jemand bist, dessen Namen sich nicht einmal die Klassenlehrerin merken kann. Ich hab’s mit eigenen Ohren gehört!«

»Na und? Das hatte ich dir auch schon selbst erzählt. Nicht schön, aber auch keine Katastrophe. Und überhaupt liegt das bestimmt daran, dass Frau Dr.Philippi dement ist. Mit mir selbst hat das gar nichts zu tun. Ich bin eine Schülerin wie alle anderen auch.«

Die Tasche bleibt stumm. Komisch – gar kein Kommentar?

»Hey, warum sagst du nichts?«, will ich von Hector wissen. Der seufzt.

»Was soll ich dazu sagen? Ich weiß, dass das Unsinn ist, du weißt, dass das Unsinn ist, wir wissen also beide, dass das Unsinn ist, und brauchen jetzt auch nicht so zu tun, als wärst du eine ganz normale Schülerin. Nee, du bist das Mädchen, das definitiv irgendwie anders ist! Und deswegen wäre bei der hippen Girl Group ein Fürsprecher wie Timo schon nicht schlecht gewesen.«

Jetzt reicht es mir aber wirklich! Ich greife mir die Brotdose aus meiner Tasche, nehme den Deckel vollständig ab und kippe Hector kopfüber in das nächste Gebüsch, das ich auf dem Schulhof finde.

»So, du Vollpfosten! Hier endet unsere gemeinsame Zeit. Du bist jetzt sehr herzlich eingeladen, auf dem schnellsten Weg nach Ulan Bator oder sonst wohin zu verschwinden. Tschüss!«

»Hey, warte! Ich könnte dir doch helfen! Einer muss es schließlich tun!«, ruft er, nachdem er sich zwischen den Blättern hervorgekämpft hat. »Ich fliege einfach ein bisschen später, Attila kommt schon klar!«

»Nein, danke. Nicht nötig.«

Dann drehe ich mich um und laufe zu dem Gebäudetrakt, in dem sich unsere Musikräume befinden.

***

Im Flur vor dem Musikraum 1 warten schon drei andere Mädchen. Bei ihrem Anblick sinkt mir das Herz buchstäblich in die Hose. Denn sie sind alle älter als ich. Und sie sind alle viel cooler als ich. Aber hey – was hast du erwartet, Tessa? An dieser Schule sind schließlich alle