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Wer wollte nicht mal einen Stein nach seiner Vergangenheit ausfragen? Was könnte er berichten? Von der Entstehung des Mondes? Vom ersten Leben? Von Dinosauriern? Von einem Schamanen der Neandertaler? Wie wurde das Rad erfunden? Wieso wurde Franz von Assisi ein Mönch? Und warum wird auf dem Matterhorn ein Betonkreuz stehen? Was kommt nach dem Homo Sapiens?
Willkommen zur längsten Geschichte, die je erzählt wurde!
Sie beginnt 4.5 Milliarden Jahre vor unserer Zeit und endet noch lange nicht mit der Gegenwart.
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Veröffentlichungsjahr: 2015
Wo bleibt das “ß”?
In diesem Buch wird vollständig auf den alten Buchstaben “ß” verzichtet, weil der Text mit einer Schweizer Tastatur geschrieben wurde.
Schon 1938 entschied die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich, dieses altehrwürdige Sonderzeichen nicht mehr zu benutzen. Dennoch hielt es sich standhaft bis 1974 in einigen Schweizer Texten. Erst mit der Schweizer Rechtschreibreform 2006 wurde es offiziell abgeschafft.
So auch auf der Computer-Tastatur und in diesem Buch.
Das Lied des Felsen
1. HADAIKUM
2. ARCHAIKUM
3. PROTEROZOIKUM
4. PALÄOZOIKUM
4. 1 KAMBRIUM
4.2 ORDOVIZIUM
4.3 SILUR, DEVON, KARBON, PERM
5. MESOZOIKUM
5.1 TRIAS, JURA, KREIDE
6. KÄNOZOIKUM
6.1 TERTIÄR: PALÄOGEN und NEOGEN
6.2 QUARTÄR
6.2.1 Kain erschlägt Abel
6.2.2 Der Schamane
6.2.3 Eis weicht der Kultur
6.2.4 Vom Ritter zum Mönch
6.3 ANTHROPOZÄN
6.3.1 Der Professor
6.3.2 Wiedersehen im Museum
6.3.3 böser Tommi!
6.3.4 Von der Grube zum Gipfel
7. Die Dämmerung des Homo Sapiens
8. Das letzte ist ein neues Zeitalter
Wegkarte auf Steinen
Zeittafel
Impressum
Ich habe Leben und Tod gesehen. Ich habe Glück erfahren, Sorge und Schmerz. Ich lebe ein Felsenleben. Ich bin ein Teil unserer Mutter, der Erde. Ich habe ihr Herz an meinem schlagen gefühlt. Ich habe ihren Schmerz gefühlt und ihre Freude. Ich lebe ein Felsenleben.
Ich bin ein Teil unseres Vaters, des Grossen Geheimnisses. Ich habe seinen Kummer gefühlt und seine Weisheit. Ich habe seine Geschöpfe gesehen, meine Brüder die Tiere, die Vögel, die redenden Flüsse und Winde, die Bäume, alles, was auf der Erde, und alles, was im Universum ist. Ich bin mit den Sternen verwandt. Ich kann sprechen, wenn du zu mir sprichst. Ich werde zuhören, wenn du redest. Ich kann dir helfen, wenn du Hilfe brauchst.
Verletze mich nicht, denn ich kann fühlen wie du. Ich habe die Kraft zu heilen, doch du wirst sie erst suchen müssen. Vielleicht denkst du, ich bin bloss ein Felsen, der in der Stille daliegt auf feuchten Grund.
Aber das bin ich nicht, ich bin ein Teil des Lebens, ich lebe, ich helfe denen, die mich achten.
Cesspooch (Dancing Eagle Plume)
Aus den Akwesasne Notes 1973
(vor 4,6 – 4 Milliarden Jahre)
Wann er sein Bewusstsein erlangte, konnte er nicht sagen. Es muss schon einige Millionen Jahre her gewesen sein, als er sich seiner Umgebung gewahr wurde. Irgendwann lag er eingeklemmt im Fels. Erst viel später hatte er erfahren, dass er sehr langsam aus einer heissen Magma-Schmelze hervorgegangen war, aber er konnte sich nicht daran erinnern. Wahrscheinlich konnte sich kein fühlendes Wesen an seine eigene Geburt erinnern.
Es war dunkel, heiss und ständig bebte es um ihn. Das Rütteln liess seine harte Kruste am Fels kratzen. Es knirschte und krachte. Der Stein kümmerte sich nicht weiter drum. Er existierte einfach und wusste nicht, was um ihn herum vor sich ging. Es war ihm nicht langweilig, denn er wusste nicht, was Langeweile war. Er sah nichts, denn er war tief in gigantischen Gesteinsmassen versteckt, welche über ein Meer aus Feuer rasten. Das kalte Licht der jungen Sonne erleuchtete nur schwach die Oberfläche des feurigen Planeten, der einst den Namen Erde erhalten sollte.
Das Einzige, was der Stein kannte, war Bewegung. Das ständige Rütteln und Schütteln, das ihn zwischen seinen Nachbarn zu zerquetschen drohte. Doch er war hart genug, um den rauen Kräften Widerstand zu leisten.
In den Tiefen konnte er auch nicht den Einschlag des riesigen Protoplaneten sehen, den man 4,5 Milliarden Jahre später "Giant Impact" nennen würde. Es war Theia, der auf die junge Erde prallte und Unmengen an Material heraus schleuderte.
Der Stein bekam die gigantische Erschütterung unerwartet zu spüren. War er die üblichen Bewegungen gewohnt, so riss ihn die Schockwelle plötzlich aus den Gedanken. Welche das waren, hatte er vergessen. Sie konnten nicht viel Inhalt gehabt haben.
Es war ein Schlag, ein Hinausschleudern und Durcheinanderwirbeln. Er flog mit unvorstellbaren Massen an festem und flüssigem Gestein durch die giftige Atmosphäre aus Kohlendioxid, Methan, Ammoniak und Schwefelwasserstoff. Ein Tohuwabohu biblischen Ausmasses! Das Magma spritzte um ihn herum, Gesteinsmassen neben ihm begannen zu schmelzen und verschwanden im Innern des Chaos. Überall herrschte ein Feuerregen in der schwarzen Nacht. Stein, Feuer und Gase – mehr schien es in dieser aufgewühlten Welt nicht zu geben. Er beobachtete, wie riesige Felsen in der Ferne in die Höhe geschleudert wurden, schmolzen und sogar verdampften. Hoch oben in der tiefen Nacht kondensierten sie wieder zu glühendem Magma und ihr Glühen erleuchtete die aufgewühlte Szenerie.
Sollte er Angst haben? Er wusste nicht, was Angst war. Ja, er hätte wie die anderen Felsbrocken ins Magma fallen und schmelzen oder wie sie verdampfen können. Aber wäre das sein Tod gewesen? Das Ende seines Bewusstseins? Er hatte noch keine Erfahrung, solche Fragen stellen zu können - er war erst ein paar Millionen Jahre jung. Im Moment war er auch viel zu sehr damit beschäftigt das Schauspiel um sich herum zu betrachten. Er flog mit anderen Steinen durch die dicke Luft, krachte mit ihnen zusammen und änderte seine Bahn. Während er wieder der Oberfläche entgegenraste, blickte er hinauf in den Himmel. Dort sammelten sich Magma und Gestein zu einer riesigen glühenden Wolke aus Fels, die der Erde immer weiter entfloh.
Unsanft schlug er auf dem Basalt auf und kam auf einer Insel zum Liegen. Die Insel fegte über das Feuermeer. Dort angekommen, wurde er unsanft durch die Gegend geschleudert, sodass er seine Aufmerksamkeit nicht mehr dem Himmel über sich widmen konnte.
Der Planet war in Aufruhr. Durch den Einschlag des fremden Himmelskörpers hatten sich die Kerne der beiden Planeten verschmolzen und die Erdmasse hatte um 30% zugenommen. Gleichzeitig verdoppelte sich die Erdumdrehung von 8 auf 4 Stunden pro Tag, welches unglaubliche Kräfte freisetzte. Allein die Felsspalte, in die er eingeklemmt war, verhinderte, dass er von der Insel ins glühende Magmameer geschleudert wurde. Die Oberfläche bäumte sich auf und wölbte sich zu riesigen, flüssigen Bergen, welche wieder sofort in sich zusammenfielen. Langsam gewöhnte er sich an die unkontrollierten Kreiselbewegungen, die ruckartig die Richtung änderten und sich irgendwann dann doch langsam beruhigten.
Endlich konnte er sich wieder die Zeit nehmen, in den Himmel zu blicken. Ein leuchtend rot schimmernder Ring aus Staub und Steinen hatte sich um den Planeten gebildet. Staunend beobachtete Stein, wie sich die Gesteinsmassen am Firmament zu verdichten begannen. Zunächst klebten nur einige Magmaklumpen aneinander, dann zogen diese weitere Brocken an, bis sich eine kleine Kugel zu bilden begann. Durch die eigene Gravitation formte sich die Ansammlung glühender Steine und Magma zu einer immer grösseren Kugel, welche die Materie aus dem Ring förmlich aufzusaugen begann. Immer gigantischer wurde sie und entfernte sich weiter und weiter von der Erdoberfläche. Dies geschah in sehr kurzer Zeit - vielleicht wenige Jahre oder Jahrhunderte - ein Zeitgefühl hatte er noch nicht entwickelt. Was war Zeit? Die Dauer zwischen zwei Ereignissen? Welche Ereignisse kannte er? Der Great Impact, Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. War da noch mehr? Und war die Zeit überhaupt wichtig? Stein wusste es nicht. Es war ihm nicht wichtig. Zeit war lediglich ein Faktor ohne Bedeutung. Noch!
Das Gebilde über ihm wuchs stetig in die Höhe, bis es zunächst einen Abstand von 22.000 Kilometern erreichte. Kilometer – eine Masseinheit, die er erst 4,5 Milliarden Jahre später kennenlernen sollte. Das Himmelsobjekt glühte scheinbar genauso intensiv wie seine Umgebung. Etwa tausend Jahre lang würde diese Kugel in einer elliptischen Bahn um den Planeten torkeln, bevor sie sich 10 Millionen Jahre später, nach einer Verschiebung der Erdrotationsachse von 10° auf 23,5°, in eine stabilere äquatoriale Bahn einpendeln würde. Fast zwei Milliarden Jahre würde es jedoch dauern, bis sich die Umlaufbahn tatsächlich stabilisierte, und 4,5 Milliarden Jahre, bis einige Steine von dort wieder auf die Erde gelangen würden.
Ein ganzes Leben lang würde er dieses Objekt vor Augen haben – auch dann, wenn sich die Erde beruhigt haben würde.
Der Stein lächelte in sich hinein und meinte, einen grossen Bruder gefunden zu haben. Er nannte ihn "Mond". Ein Bruder war er tatsächlich, denn viele Steine, die er gekannt hatte, lagen nun auf der Oberfläche des neuen Erd-Begleiters. Wäre er nur etwas näher am grossen Einschlag des fremden Himmelskörpers gelegen oder etwas höher hinauf geschleudert worden, hätte auch er sich dort befunden.
Nach Millionen Jahren der Finsternis und der Ruhe – nur gestört durch die Gewalt der Erdkräfte – hatte mit diesem Great Impact eine Zeit der Bewegung begonnen. Die Erde erbebte unter den neuen Mächten, welche die Gravitation des jungen Mondes auf sie ausübte. Es gab Gezeiten, die das Gestein aufbäumen liessen, ganz so wie es der Mond noch Milliarden Jahre später mit dem Wasser der späteren Meere tat, wobei sich Ebbe und Flut bildete.
Die Erdkruste verformte und erhitzte sich. Mal rollte der Stein hierhin, mal dorthin, bis er eines Tages an den Rand einer Klippe kugelte. Unter ihm brodelte die glühende Masse. Ein Sturz hätte für ihn fatale Folgen gehabt, wie er bei einigen anderen Steinen hatte sehen können. Immer wieder schleuderten die Erschütterungen Felsbrocken in die Tiefe, wo sie langsam aber unnachgiebig im heissen Brei aufgelöst wurden.
Zum ersten Mal dachte er wirklich über den Tod nach und fühlte etwas, das er als ‚Angst’ bezeichnete. Angst vor dem Ende des Seins. Mit einem Blick nach oben erkannte er, dass es Geburt und dessen Gegenpart den Tod gab. Alles dazwischen bezeichnete er als Existenz. Das musste die Zeit sein! Die Spanne zwischen Geburt und Tod war die Zeit, die an die Existenz gebunden war. Er unterteilte die Zeit nach den ihm bekannten Masseinheiten: Tage, welche der Erdumdrehung und Jahre, welche dem Umkreisen der Sonne entsprach.
Ihn beschäftigte nun die einfache Frage: Was war danach? Was war nach der Existenz? Existierte dort auch die Zeit? Was ist das Nicht-Sein? Er versuchte, sich das Nichts vorzustellen, brachte es aber nicht zustande. Das Nichts war nicht dunkel, es war auch nicht hell, es war nicht etwas, es war nichts. Konnte nach der Existenz das Nichts folgen? Ein Nichts ohne Zeit? War das Nichts überhaupt möglich? Nach so etwas wundervollem wie der Existenz? Was danach war, konnte er einfach nicht ergründen – egal wie viele Millionen Jahre er darüber philosophierte.
Nur durch Glück blieb Stein, so nannte er sich nun selbst, vor der Schmelze verschont. Am oberen Rand der Klippe war es zwar heiss, aber die paar hundert Grad machten ihm nichts aus. Erst bei 1450°C würde er Gefahr laufen zu schmelzen.
Als Stein die Schmelze anblickte, dachte er bei sich: "Wie kann es sein, dass so etwas hartes wie Steine weich werden?"
Er richtete seine Aufmerksamkeit nach innen und betrachtete sich selbst. Was er sah, waren viele kleine Teilchen, aus denen er bestand. Sie waren alle unterschiedlicher Art. Im Zentrum erkannte er positiv geladene und ungeladene Teilchen, welche von negativ geladenen Wolken umschwirrt wurden. Sie verbanden sich zu einem Ganzen, die sich scheinbar nicht zerstören liessen. Sie waren so stabil, dass sie eigene Einheiten bildeten. Stein taufte sie Atome und die festen Strukturen, die sich aus ihnen wie ein Gitter zusammensetzten, sollten Kristallgitter heissen. Je nachdem, welche Atome in den Kristallgittern sassen, handelte es sich um verschiedene Kristalle, welche zahlreiche Mineralien bildeten.
Stein erkannte, dass er hauptsächlich aus etwas bestand, welches er Quarz und Feldspat taufte. Weitere Mineralien vervollständigten sein Kristallbild.
Aber noch hatte er nicht verstanden, wie diese festen Kristalle schmelzen konnten. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die kleinen Atome, welche in starrer Anordnung seine Kristallgitter bildeten und er erkannte, dass sie schwingen konnten. Nach weiterer Beobachtung fand er heraus, dass sie bei höherer Temperatur viel stärker schwangen als bei niedrigen. Also, so dachte er sich, wenn die Temperatur immer weiter anstieg, würden die Atome so stark schwingen, dass die Kristalle ihre Struktur aufgeben würden und die ganze Materie würde weich und flüssig werden. Also schmelzen.
Zufrieden mit sich und seiner Erkenntnis liess er seine Gedanken weiter schweifen und beobachtete das wilde Geschehen um sich herum.
Jahrtausende vergingen. Die junge Sonne konnte den Planeten mit ihren schwachen Strahlen noch nicht aufheizen. Trotzdem herrschten immens hohe Temperaturen von mehreren hundert Grad. Die meiste Hitze kam aus dem Inneren der Erde, von radioaktiven Reaktionen strahlender Elemente oder von der Reibungsenergie einschlagender Himmelskörper. Kohlendioxid und Methan in der Atmosphäre verhinderten eine Abkühlung und so dauerte es eine Ewigkeit, bis die Temperatur sank.
Auf einmal schlug etwas auf den Boden auf - dann wieder und wieder. Kleine und grosse Gesteinsbrocken fielen vom Himmel. Erschrocken blickte Stein zum Mond, aber dieser stand fest über ihm. Die Brocken mussten von woanders her stammen. Woher konnte sich Stein nicht erklären. Wie sollte er auch wissen, dass die Erde für einige Millionen Jahre mit Meteoriten beschossen wurde. Er hatte Glück. Auch wenn sie nahe in den Boden einschlugen und die Felsen aufspritzen liessen, wurde er nicht getroffen. Anderen Steinen erging es nicht so gut. Erbarmungslos wurden sie zerquetscht, zerbröselt und verdampft. Das Bombardement mochte keine Ruhe einlegen. Es krachte Tag und Nacht, Jahr um Jahr. Explosionen, wohin man blickte.
Kleine und grosse Meteoriten mit über 50 km Durchmesser schlugen auf der Oberfläche ein, landeten mit riesigem Getöse und bildeten tiefe Krater. Es herrschte zwar ein unglaubliches Chaos, aber die Energie war doch nicht so gross, wie einige Millionen Jahre zuvor, als der Mond entstanden war. Immerhin blieb diesmal der Erdmantel einigermassen fest und er begann nur hier und dort aufzuschmelzen.
Stein fügte sich schliesslich seinem Schicksal und wartete darauf, getroffen zu werden. Angst hatte er schon erfahren. Nun musste er sich mit ihr beschäftigen. Wie konnte er sie bezwingen? Er hatte es ein paar Jahrhunderte mit Panik versucht, aber das brachte nichts. Panik strengte zu sehr an. Eines Tages - es war einer der ruhigeren Tage - beschloss Stein, einfach loszulassen. Er konnte nichts gegen die Meteoriten machen, also versuchte er sich zu entspannen. Wenn er getroffen werden würde, dann war das eben so.
Es war nicht so einfach, der Angst Herr zu werden, aber nach wenigen hundert Jahren gelang es ihm, einen Zustand der Ruhe zu erreichen. Er hatte sich an seinem Platz eingekugelt und wartete auf das Ende.
Als er so ruhig da lag, bemerkte er etwas, was ihm zuvor nicht aufgefallen war. In der Atmosphäre hatte sich zu den üblichen Gasen ein neues Gas gebildet. Zunächst schenkte er diesem neuen Gas nur wenig Aufmerksamkeit, aber es sollte noch ein Teil seines Lebens werden.
Stein war zu dem Schluss gekommen, dass dieses neue Gas aus dem Gestein verdampfte und gleichzeitig ein grosser Teil von den Meteoriten auf die Erde gebracht worden war. Er nannte es: Wasserdampf!
Tatsächlich hatten die einschlagenden Himmelskörper im tiefsten Innern die Wassermoleküle aus dem Weltall auf die Erde transportiert. Jeder Meteorit nur eine geringe Menge, aber im Laufe von 200 Millionen Jahren Meteoritenschauer, konnte doch eine beachtliche Menge an Wasser transportiert werden.
Langsam kühlte die Umgebung ab und Regen setzte ein. Die Atmosphäre war mit heissem Wasserdampf gesättigt, der zunächst zögerlich, dann aber in dicken Tropfen kondensierte. Bald prasselte das unbekannte Nass auf den Stein. Zuerst befürchtete er, es handele sich um eine neue Art von Magma, die ihn zum Schmelzen bringen würde. Doch er erkannte, dass diese Flüssigkeit das neue Gas in kondensierter Form war. Er taufte es Wasser. Die Umgebungstemperatur war auf unter 100°C gesunken.
500 Millionen Jahre nach der Entstehung des Mondes präsentierte sich die Erde als eine immer noch unwirtliche Welt. Die Erdoberfläche war zwar erstarrt, aber von einer festen Kruste konnte noch keine Rede sein. Ständiger Regen prasselte auf die heissen Lavaströme und kühlte sie ab. Wolkenformationen, die sich immer wieder neu bildeten, schienen einen unendlichen Vorrat an Wasser zu besitzen.
Unser Stein blickte hinauf und fragte sich viele Jahrhunderte lang, wann es aufhören würde.
Noch immer bebte die Erde und ein besonders starkes Beben liess ihn dann doch die Klippe hinunterfallen, an der er gelegen hatte. Er fiel in die Tiefe und bestaunte das riesige Felsmassiv, an dem er vorbeiflog. Vorher hatte er sich kein Bild machen können, wie mächtig das Gestein war. Von oben hatte alles so klein ausgesehen.
Mit einem lauten Platsch landete er in einem flachen See. Die Flüssigkeit reichte ihm bis zur Hälfte und neugierig blickte er sich unter Wasser um. Es regnete weiter und schliesslich war er völlig bedeckt. Es war eine völlig neue Erfahrung für den Stein. Er kannte die dunkle, feste Enge des Gesteins und er kannte die heisse, mit Gas gefüllte Umgebung der Erdoberfläche. Dies hier war aber etwas dazwischen – irgendwas zwischen Gas und festem Fels.
Dieses Wasser war ein faszinierendes Phänomen. Er kannte es nun als Dampf, als Regen und nun als - wie sollte er es nennen? Er taufte es "See”.
Immer weiter entfernte sich die Wasseroberfläche und er konnte nicht mehr sagen, ob es noch regnete oder nicht. Es wurde ruhig um ihn. Einige Millionen Jahre dämmerte er vor sich hin und philosophierte über das Dasein im Gestein, in der Atmosphäre oder im Wasser, als es vom Neuen zu rütteln begann. Ein weiteres Bombardement erschütterte die Erde.
"Geht das schon wieder los", dachte Stein und wehrte seine Angst ab.
"Denke positiv", sagte er zu sich selbst, "Es ist nicht so schlimm wie bei der Geburt des Mondes. Die Meteoriten werden Dich auch dieses Mal verfehlen. Denke positiv!"
"Was?"
Stein zuckte zusammen. Hatte da noch jemand anders gesprochen?
"Was hast Du gesagt?"
Ein anderer Stein lag neben unserem Stein und wiederholte ständig dieselbe Frage.
Unser Stein wusste nicht, was er antworten sollte, so überrascht war er von der Existenz des Anderen, so dass er einige hundert Jahre später ganz schüchtern antwortete: "Ich meinte, es wäre nicht so schlimm, wie bei der Mondentstehung."
"Mond?"
"So nenne ich unseren grossen Bruder da oben. Er sieht jetzt etwas anders aus. Jetzt hat er viele tiefe Krater, die er zuerst nicht hatte."
"Oh!"
"Ich nenne mich Stein. Und wie nennst Du Dich?"
Unser Stein war neugierig geworden, aber der andere blickte ihn nur ratlos an.
"Dann nenne ich Dich Stone", beschloss unser Stein endlich, "Klingt doch hübsch, oder?"
"Stone", wiederholte der Andere unsicher und murmelte seinen neuen Namen ständig in sich hinein, als müsse er ihn auswendig lernen.
Stein erzählte seinem neuen Freund, dass er im dunklen Gestein gelebt hatte, dann an die Oberfläche geworfen wurde, zusah, wie der Mond entstanden war und schliesslich im Wasser versank. Stone hörte sich alles interessiert an und begann, jedes Wort zu wiederholen. Nach einigen Fragen stellte Stein fest, dass Stone erst vor kurzem aus dem Gestein befreit worden war. Stein vermutete, dass Stone etwas jünger war als er selbst.
Sie unterhielten sich nur wenig, denn es gab nichts, über das sie hätten sprechen können. Aber diese Zweisamkeit war ein wunderbares und neues Gefühl. Stein und Stone begangen es zu geniessen beieinander zu liegen.