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Während eines Migräneanfalls sieht Manuel plötzlich eine Indianerin vor sich stehen. Als er sich aufrichtet, sind die Schmerzen verflogen und er erkennt, dass er sich im Schnee auf einem Berggipfel befindet. Wie kommt er nur hierher? Wieso ist er plötzlich nur noch eine Seele ohne Körper? Oder ist das Ganze nur ein Traum? Was ihn aber wirklich verwirrt, ist, dass ihn die eigenartige Indianerin mit "Cetánska" anspricht.
Warum wird Manuel von ihr und ihrem wortkargen Begleiter Beat aufgesucht? Und was will eigentlich diese hübsche Johanna von ihm? Wer ist Cetánska? Wie kommt Manuel wieder in seinen Körper zurück? Und sollte er das überhaupt? Ach ja, und wieso ist es gut zu lachen, wenn ein böser Geist angreift?
Es beginnt eine Reise zwischen der Dimension der Lebenden und der Seelen.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Wo bleibt das “ß”?
In diesem Buch wird vollständig auf den alten Buchstaben “ß” verzichtet, weil der Text mit einer Schweizer Tastatur geschrieben wurde.
Schon 1938 entschied die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich, dieses altehrwürdige Sonderzeichen nicht mehr zu benutzen. Dennoch hielt es sich standhaft bis 1974 in einigen Schweizer Texten. Erst mit der Schweizer Rechtschreibreform 2006 wurde es offiziell abgeschafft.
So auch auf der Computer-Tastatur und in diesem Buch.
Die Bürde des Schmerzes
Das Aufwachen
Der Konflikt
Die Flucht
Tatsachen des Jenseits
Der Alptraum
Die Erkenntnis
Das Geschenk
Impressum
Noch bevor Manuel die Augen öffnete, fühlte er, welche Art von Tag ihn erwartete: Schmerz! Zwischen seinen Augen pochte ein Dampfhammer. Er bohrte sich tief in die Stirn hinein und er wusste, dass die Pein im Laufe des Tages – oder gar im Laufe der nächsten drei Tage – vom linken zum rechten Auge wandern würde, dann wieder nach links und wieder nach rechts – immer wieder hin und her. Erst nach einer unerträglichen Zeit würde der Schmerz nachlassen. Das Monster hatte sich an seiner Stirn festgefressen und wütete wie wild. Seine Klauen hielten den Hals umschlungen und scharfe Zangen steckten in Manuels Augen. Die krebsartigen Mundwerkzeuge arbeiteten sich in den Schädelknochen und schliesslich bis ins Gehirn vor.
Manuel versuchte, sich auf den Schmerz selbst zu konzentrieren, um ihn zu fassen. Wenn er ihn isoliert von seinem Körper betrachten könnte, wäre es nur ein einfacher Schmerz. Ganz so, als wenn der Fuss schmerzen würde. Aber dem war nicht so. Die Bestie, namens Migräne, frass nicht nur an seinem Kopf, sondern lähmte den gesamten Körper mit einem grauenvollen Gift. Es liess Magen und Gedärme rebellieren, die Gedanken zu schwerfälligen Ambossen werden und die Körpertemperaturen hinauf und hinunterjagen.
Alle Sinne waren erlahmt und doch waren sie so empfindlich, wie selten. Von draussen drang das Geräusch der Autos und der Eisenbahn zu ihm. Töne, die in seinem Zimmer kaum zu hören waren, weil die Strassen und die Trassen weit entfernt lagen. Doch heute bedrängten sie Manuel, wie hundert Menschen, die gleichzeitig auf ihn einredeten.
Irgendwo – ausserhalb seines Bewusstseins – nahm er eine Stubenfliege wahr. Ihr sonst so leises Summen schwoll zu dem Getöse eines Düsenjägers an. Seine Ohren überschlugen sich und meldeten sich schliesslich mit einem nervenden Pfeifen bei dem ach so gequälten Gehirn. Die Fliege setzte sich auf den Arm und die Haut meldete den Reiz als das Brennen eines glühenden Eisens. Instinktiv schlug er nach der Fliege, doch die rasche Bewegung liess ihn aufstöhnen. Es war, als würde ihn ein riesiger Fels niederschmettern. Sein Körper erschlaffte wieder und alles was er in diesem Moment war, war eine fühlende Masse, die nichts weiter vernahm als Getöse, Schmerz, Schwäche und Lichtblitze. Polarlichter vor seinen geschlossenen Augen tanzten den lustigen Reigen kleiner Geister. Sie liessen seine Pupillen nicht ruhen und lockten sie von links nach rechts und von oben nach unten.
Dann machte Manuel den Fehler, dass er seine Augen öffnete. Zwar waren mit einem Mal die Geister verschwunden, aber das gleissende Sonnenlicht des jungen Tages erfüllte den Raum. Es blendete seine Augen, die die Tausend und Abermillionen Photonen als nackte Folter weitergaben. Sofort schloss er wieder die Lieder. Der scharfe Schmerz wirkte nach und verebbte bis auf das Pochen des Dampfhammers auf Manuels Stirn, dem schmatzenden Nagen des Migränekrebses, die Schwäche und dem Getöse in seinen Ohren. Wann verlässt die Fliege endlich den Raum! Aus den Augenwinkeln schlichen sich die “Polarlicht-Geister” vor die Pupillen und vollführten wieder ihre Tänze – schnell und immer schneller bewegten sie sich...
Manuel vergrub sein Gesicht im Kopfkissen und versuchte an etwas Bestimmtes zu denken. Irgendwas Beruhigendes musste ihn ablenken. – Berge, Seen, Blumen...
“Irgendwo sind doch Tabletten, die dir sicher helfen”, meldete sich das Kleinhirn tückisch und vertrieb die beruhigenden Bilder. Dabei wusste bei ihm jede einzelne Gehirnzelle, dass Tabletten eine sehr trügerische Hilfe waren. Am Anfang einer chronischen Migräne mochten sie noch helfen, aber mit der Zeit gewöhnt sich der Körper an die Medizin – egal, ob man die verschiedenen Wirkstoffe abwechselnd verwendete oder nicht. Manuel hatte angefangen die Dosis immer weiter zu erhöhen, aber er endete in einer Sackgasse und in der Falle der Pharmaindustrie. Die Schmerzen waren von Mal zu Mal stärker geworden und die Dauer der Qualen hatte begonnen länger zu werden. Der Entzug war eine psychische und physische Folter. Schon lange hatte er alle Schmerzmittel in seiner Wohnung entfernt. So konnte er nicht in Versuchung kommen in einem schwachen Moment nach einer Tablette zu greifen.
Jahrelang war Manuel von diesen Objekten der Täuschung abhängig gewesen. Jahrelang war der erste Gedanke an die Medizin. Er war zu einem Tabletten-Junkie geworden. Aber im Laufe der Zeit veränderte sich der Schmerz; er wurde stärker, lähmender, quälender und endloser.
Hilfesuchend war er zu verschiedensten Ärzten und Therapeuten gerannt: HNO-Ärzte, Augenärzte, Allgemeine Ärzte, Orthopäden, Neurologen, Masseure, Chiropraktiker, Wunderheiler und so weiter. Sie behandelten ihn mit Akupunktur, Psychophonie, Gua Sha, Hochtonmittelfrequenztherapie, Entspannungsübungen, chinesische Medizin, Ayurweda, und vieles mehr. Selbst eine Reise nach Tibet hatte er unternommen. Seinen Schmerz war er nicht losgeworden – nur sein Geld.
Weder Arzt noch Heilpraktiker konnten helfen. Im Grunde war ihnen das nicht vorzuwerfen. Migräne war ein sehr schwieriges Gebiet, wenn man analytisch an das Problem herangehen wollte. Eine Diagnose der Ursachen scheint fast unmöglich. Aber während sich der verkrampfte Körper in die Decken drückte, hörte Manuel noch die frechen Antworten der Götter in Weiss: “Nehmen Sie doch Aspirin – das hilft. Andere Menschen nehmen das täglich...”, “Damit können Sie hundert Jahre alt werden...das ist nicht tödlich”, “Das liegt an ihrem Blutdruck. Der ist bestimmt zu hoch...da muss ich gar nicht erst messen.”, “Wenn Bier und Wein die Migräne auslösen, dann verzichten Sie halt. Oder trinken Sie doch etwas mehr, vielleicht wird es dann wieder besser...(breites Grinsen)”, “Trinken Sie doch einfach viel Kaffee. Das hilft auch...sie können auch Zitronensaft hineintun...”, “Da kommen Sie einfach jeden Tag zum Inhalieren, dann sehen wir weiter – nein, das Inhalieren können Sie nicht zu Hause machen...”, “In welcher Krankenkasse sind Sie?”...
Ihre höhnenden Worte hallten in seinem Hirn wieder und vermischten sich mit dem Brausen der Ohren und den Lichtblitzen vor den Augen. Das Monster an seiner Stirn stillte seinen unbändigen Hunger an den Schmerzen und die Fliege im Zimmer liess ihn schier wahnsinnig werden. Die grelle Sonne verbrannte Haut und Augen. Manuel schlug die Bettdecke zurück, weil er schwitzte, zog die Bettdecke wieder hoch, weil ihm sofort kalt wurde, der Magen meldete sich mit Hunger aber gleichzeitig würgte es Manuel bei dem Gedanken etwas zu Essen. Bilder und Klänge vermischten sich zu einem Getöse des Schmerzes und ihm schwindelte – alles drehte sich. Er streckte den Fuss aus dem Bett, aber die "Bremse", die normalerweise nach allzu intensivem Alkoholgenuss funktionierte, versagte ihren Dienst. Klänge und Bilder aus der Vergangenheit schlichen sich ins Bewusstsein. Der ganze Körper schrie nach Ruhe und Erholung, aber je verzweifelter der Schrei wurde, desto zudringlicher wurden Schmerz, Bilder, Töne, Schreie...
So verging Stunde um Stunde. Wer weiss, wann es besser werden würde. Diesen Nachmittag? Heute Abend? Morgen oder Übermorgen? "Oh Gott! Hilf mir! Ich werde alles tun, um diese Schmerzen loszuwerden! Oh Gott, bitte hilf! Warum ich?“
Zwei Jahre nach der Scheidung Manuels Eltern hatte die Migräne angefangen. Zuerst nur schwach, dann aber immer öfter und intensiver. Vielleicht hätte er nicht so oft versuchen sollen, zwischen seinen Eltern zu vermitteln. Er hätte nicht versuchen sollen Frieden zu stiften und Harmonie herzustellen, so wie es sein Wunsch gewesen wäre. Natürlich war ihm das nicht gelungen – auch nicht im kleinsten Ansatz. Oft wünschte er, dass er die Zeit zurückdrehen könnte, für einen anderen Weg. Vielleicht wären ihm dann die Folter erspart geblieben. Aber diese Chance hatte er leider nicht. Unbeirrt bohrten sich die Schmerzen tiefer und liessen ihn nicht mehr aus.
Einen einzigen Erfolg hatte er gehabt. Ein Heilpraktiker konnte ihm den Ablauf dieses Martyriums erklären. Eine schlechte Erfahrung im Leben hatte die Leber geschwächt.
‚Manuel war etwas über die Leber gelaufen’. Manchmal ist die deutsche Sprache erschreckend erleuchtend.
Ärzte konnten nichts diagnostizieren, denn organisch war die Leber in Ordnung. Nach chinesischer Medizin konnte aber die Schwäche der Leber festgestellt werden. Den Chinesen war auch bekannt, dass die Leber und die Augen medizinisch zusammenhingen. Sie wussten, dass zum Beispiel Schweineleber gut für die Augen war. Immerhin steht schon im ersten Buch der Menschheit – ein chinesisches Medizinbuch – dass am Schwein alles Gesundheit bringt, ausser das Fleisch.
Manuel trug eine Brille. Die Augen waren belastet – und nun auch von der Leber negativ beeinflusst. Auch in der westlichen Medizin war bekannt, dass man den Nacken verspannt, wenn man die Augen zu sehr anstrengt – noch dazu mit einer schlechten Haltung im Bürojob. Das kennt wahrscheinlich jeder. Nackenverspannung endet in Spannungskopfschmerzen.
Wenn diese mit Tabletten behandelt werden, mögen die Tabletten zwar helfen, aber die Wirkstoffe werden im Körper abgebaut. Wo? In der LEBER! Das schwächt die Leber wiederum und wir haben einen grauenvollen Teufelskreis. Leber – Augen – Nacken – Kopf – Schmerz – Tabletten – Leber – Augen – Nacken – ...
Immer weiter tanzte die Abfolge dieser Worte in Manuels Hirn. Leber, Augen, Nacken, Kopf...
"Denk an was anderes!“ schalt er sich.