Tajo@Bruns_LLC - Bianca Nias - E-Book

Tajo@Bruns_LLC E-Book

Bianca Nias

5,0

Beschreibung

Der Informatiker Marc Nowack wird unvermittelt in die geheimnisvolle und fremdartige Welt der Gestaltwandler hineingezogen: Sein neuer Kunde Tajo Bruns entpuppt sich als Alpha-Löwe eines Rudels, das sich im nordhessischen Reinhardswald niedergelassen hat. Als Tajo spurlos verschwindet, hilft Marc dessen Familie, ihn zu finden und aus den Reihen seiner Feinde zu befreien. Doch die Attentate auf die Löwen hören nicht auf und sie sehen sich bald einer Gefahr gegenüber, der sie nur gemeinsam begegnen können. Jetzt ist Tajo auf einmal auf die Hilfe eines einfachen, gewöhnlichen Menschen angewiesen, von dem er aber auch nicht seine Pfoten lassen kann …

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Bianca Nias

Tajo@Bruns_LLC

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2014

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Toni Kuklik

Bildrechte:

© George Mayer – Fotolia.com

© Eric Isselée – Fotolia.com

1. Auflage

ISBN 978-3-944737-46-1 (print)

ISBN 978-3-944737-47-8 (epub)

Für meinen Mann –

meine Stütze, meine Pannenhilfe

und die Liebe meines Lebens.

Und für Barbara und Katja –

Beste Freunde –

Tajo@Bruns_LLC

Das Herz des Löwen

1. Kapitel

 Marc betrat das große Bürogebäude in der Frankfurter City und war dankbar, dass die Klimaanlage bestens funktionierte und die Schwüle der Großstadt verdrängte. Er atmete auf und fächerte sich mit seiner Aktenmappe ein wenig kühle Luft zu. Die Eleganz der mit Marmor ausgekleideten Eingangshalle beeindruckte ihn immer wieder aufs Neue. Er nickte dem Pförtner, der hinter dem Tresen saß, zu und fuhr mit dem Fahrstuhl in den fünfzehnten Stock.

Seine Uhr zeigte, dass er bis zum Meeting noch eine Stunde Zeit hatte. Er war überpünktlich und noch vor der Sekretärin im Büro. Im Kopf ging er seine Präsentation durch. Hatte er nichts vergessen? Nein, er war sich sicher. Er hatte sich umfassend vorbereitet, außerdem beherrschte er sein Fachgebiet wie kein anderer seiner Kollegen.

Marc war Computerfachmann und hatte sich mit seinen 28 Jahren bereits einen Namen in der Informatiker-Branche von Frankfurt gemacht. Er war direkt von der Universität in Gießen aus von „Witherspoon & Partner“ angeworben worden, da er den Abschluss als Jahrgangsbester und mit Auszeichnung bestanden hatte. Sein Studium hatte er im Schnelldurchlauf und ohne große Anstrengungen innerhalb von drei Jahren abgeschlossen – kein Wunder, denn dabei hatten die Professoren eher noch etwas von ihm lernen können, als umgekehrt. Es hatte ihm nichts ausgemacht, bei seinen Kommilitonen als „Nerd“ abgestempelt zu werden. Er empfand dies eher als eine Auszeichnung. Seit seinem 14. Lebensjahr hatte er nichts anderes im Kopf gehabt, als Computer. Seine selbstgeschriebenen Programme zur Entschlüsselung von Passwörtern hatten es ihm leicht gemacht, Firewalls zu umgehen und sich in firmeneigene Rechner zu hacken. Eine seiner Jugendsünden war dafür verantwortlich, dass sämtliche Drucker im Frankfurter Flughafen plötzlich anfingen, Dateien und Listen zu drucken, ohne dass sie vom Personal gestoppt werden konnten. Die Aufregung war groß gewesen und er war zum Glück unentdeckt geblieben. Das Unternehmen des Frankfurter Flughafens, die Fraport, bezifferte anschließend den angerichteten Schaden auf mehrere Hunderttausend Euro, was ihm im Nachhinein ein äußerst schlechtes Gewissen beschert hatte. Damals hatte er sich geschworen, seine Talente nur noch für die „gute Sache“ einzusetzen.

Das Job-Angebot von Charles Witherspoon war daher sehr verlockend für ihn gewesen. Der Engländer hatte vor über fünfzehn Jahren die Firma gegründet und sich mit variablen IT-Sicherheitskonzepten einen Namen gemacht. Seine handverlesenen Angestellten waren die Besten, wenn es darum ging, Computer vor unbefugten Zugriffen zu schützen, sodass selbst die Bundesregierung und mehrere Landesbehörden ihre Systeme von seiner Firma hatten sichern lassen. Bei verschiedenen Großprojekten hatte Marc sich bereits als Teammitglied auszeichnen können, wobei sein blitzschneller Verstand so manchen Kunden beeindruckt hatte. Er wusste, sein Chef schätzte besonders seine Spontanität und seine Redegewandtheit. Und nun sollte er zum ersten Mal einen Kunden allein betreuen und das Projekt eigenverantwortlich abwickeln. Marc war sich bewusst, welche Herausforderung das war, aber er fühlte sich bereit, den Job zu machen.

Im Büro angekommen, überprüfte er im Konferenzraum, ob dort alles vorbereitet war und die Technik funktionierte. Er ließ den Beamer warmlaufen und fuhr seinen Laptop hoch, um die Präsentation noch ein letztes Mal durchzugehen. Da erschien auch die Sekretärin, um ihm bei den letzten Vorbereitungen zu helfen. Sie stellte kalte Getränke und Gebäck bereit und kochte Kaffee.

Alles war perfekt. Mochten sich andere über seinen Hang zum Perfektionismus und über seine penible Genauigkeit amüsieren – für ihn waren diese Dinge lebenswichtig und garantierten den erwünschten Erfolg.

Zwanzig Minuten vor dem Termin traf sein Chef, Charles Witherspoon, ein.

Marc hatte kurz Zeit, um auf die Toilette zu verschwinden und sich frisch zu machen. Er spritzte sich ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht, trocknete sich ab und war bemüht, trotz der nun langsam ansteigenden Nervosität, die ein solches Meeting immer in ihm auslöste, einen kühlen Kopf zu bewahren. Hastig fuhr er sich durch sein dunkelbraunes Haar.

Er schnitt sich selbst eine Grimasse und fragte sich, wie so oft, wie er auf andere Leute wirken musste. Bekanntermaßen war der erste Eindruck auf den Kunden unglaublich wichtig. Aber er war bloß ein Durchschnittstyp. Durchschnittliche 1,80 m groß, durchschnittliche Figur, durchschnittliches Gesicht. In einer Menschenmasse ging er unbemerkt unter. Gerne wäre er etwas sportlicher, jedoch würde er dazu mehr trainieren müssen. Aber leider hatte er viel zu wenig Zeit, lediglich ab und zu joggte er am Mainufer entlang, um einen Ausgleich von seinem Bürojob zu bekommen.

Er zog seine geschmackvoll gestreifte Krawatte zurecht und zupfte noch einen Fussel von seinem grauen Armani-Anzug. Das gute Stück hatte einen großen Teil seines Gehaltes verschlungen, doch er vermittelte ihm ein Stück Sicherheit und erhöhte sein Selbstbewusstsein im Umgang mit den Multi-Millionären und Vertretern großer Firmen, die mittlerweile zu seiner Kundschaft gehörten.

Er sah sich im Spiegel an und atmete tief durch. Dann fühlte er sich gerüstet. Besser als er konnte sich niemand auf ein Projekt vorbereiten. Schließlich hatte er nichts dem Zufall überlassen.

Entschlossen betrat er den Konferenzraum und stellte fest, dass sein Kunde schon eingetroffen war.

Es überraschte ihn, dass von der Firma „Bruns Limited Liability Company“ nur eine Person gekommen war. Meistens wurden mehrere Geschäftsführer und IT-Spezialisten der Kundenfirma entsandt, um die Verträge mit „Witherspoon & Partner“ auszuhandeln.

Marc musterte den Mann, der sich von dem Clubsessel erhob und sich ihm nun zuwandte. Zuerst fiel ihm dessen riesige Größe auf, bestimmt über zwei Meter. Breite, muskulöse Schultern spannten sich unter dem weißen Hemd. Das Jackett hatte der Besucher bereits abgelegt und über den nächsten Stuhl gehängt.

Marc fühlte, wie sich ein dicker Klumpen in seinem Magen bildete, sein Kopf war plötzlich wie leergefegt. Nur seine Beine gehorchten zum Glück problemlos und trugen ihn wie ferngesteuert durch den Konferenzraum. Scheiße, war er nervös!

Sein Gegenüber hatte mittelbraunes Haar, das von dunklen, fast schwarzen Strähnen durchzogen war, und das ihm locker und in leichten Wellen bis über den Hemdkragen fiel. Marcs rasche Musterung seines Gesichtes mit den markanten Wangenknochen und dem eckigen Kinn wurde schnell von den goldbraunen Augen abgelenkt. Diese Augen hefteten sich an seinen Blick und schienen ihn magnetisch anzuziehen. Vielleicht lag es an der ungewöhnlich hellen und bernsteinähnlichen Farbe, dass Marc sich von seinem eigentlichen Vorhaben, den Gast förmlich zu begrüßen, ablenken ließ und stattdessen wortlos die ausgestreckte Hand ergriff.

Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er die Befürchtung, von der riesigen Hand, in der seine eigene praktisch verschwand, zerquetscht zu werden und war eher erstaunt, dass der Händedruck angemessen ausfiel. Seine Überraschung musste sich in seinem Gesicht widergespiegelt haben, da der Gast leicht spöttisch lächelnd eine Augenbraue hob und ihn abwartend ansah.

Sein Chef Witherspoon war es, der Marc auf den Boden zurückholte, indem er beide miteinander bekannt machte.

„Dies ist Marc Nowack, unser bester Systemanalytiker. Er wird Ihnen jetzt unsere Produkte und unser Angebot für Ihre Firma vorstellen. Marc, ich darf Ihnen Mr. Tajo Bruns von ‚Bruns LLC‘ aus Miami vorstellen. Er ist der Geschäftsführer und Verantwortliche für die neue Betriebsstätte hier in Deutschland.“

„Good morning, Mr. Bruns, nice to meet you.“ Marc wechselte aus Höflichkeit in die Landessprache seines Gastes über und versuchte gleichzeitig, seine Selbstsicherheit, die er angesichts des Hünen eingebüßt hatte, wiederzufinden.

„Es freut mich ebenfalls, Sie kennenzulernen, aber bleiben wir bei der deutschen Sprache“, gab dieser freundlich, aber knapp und deutlich zurück.

Marc lächelte. Ihm fiel auf, wie sein Gegenüber die Worte ein wenig dehnte und das „r“ dabei etwas verwischte. „In Ordnung, gerne. Ihrem Akzent nach stammen Sie aber nicht aus Amerika, nicht wahr?“

„Nein, ich habe südafrikanische Wurzeln.“ Tajo Bruns musterte Marc und wandte sich dann Mr. Witherspoon zu. „Können wir bitte beginnen, ich habe wenig Zeit.“

Witherspoon warf Marc einen auffordernden Blick zu und beeilte sich, ihm mit wenigen Worten die Leitung des Gespräches zu übergeben, damit er sich anschließend zurücklehnen und aus den fachlichen Besprechungen heraushalten konnte.

Marc gefiel die Art, in der Tajo Bruns sein Anliegen ohne viel Aufheben darlegte und auf den üblichen Smalltalk verzichtete. Er startete daher ohne Umschweife seine Präsentation, kürzte sogar extra hier und dort ein wenig ab und brachte das Angebot seines Arbeitgebers gewohnt souverän auf den Punkt: Witherspoon & Partner würde die neue Firmenzentrale der „Bruns LLC“ mit der benötigten Hardware inklusive eines eigenen Servers ausrüsten und die Software vor Ort konzipieren und aufspielen. Diese Handhabung würde höchste Sicherheit garantieren, da es sich bei der Software um ein Unikat handelte, das nicht per Datenträger oder gar über das Web verschickt, sondern direkt auf die Rechner geschrieben wurde. Für einen Pauschalpreis von 2,5 Millionen Euro würde seine Firma auch ihn selbst als Informatiker und Systembetreuer zur uneingeschränkten Verfügung stellen, damit die Installation insgesamt nicht mehr als drei oder vier Wochen dauern würde.

Tajo Bruns hatte ihm während des Vortrages aufmerksam zugehört und ihn dabei keine Sekunde aus den Augen gelassen. Marc bemühte sich, die Konzentration auf seine Präsentation zu richten und die Souveränität in seiner Stimme zu behalten. Er war erleichtert, als ihm das gelang und er nach außen hin professionell und sachlich wirkte.

Obwohl er auf einem Clubsessel saß, schien der Südafrikaner fast so groß wie Marc zu sein, der ihm gegenüber am Laptop stand. Während Witherspoon sich gemütlich im Sessel zurücklehnte, wirkte Bruns’ Haltung angespannt. Er saß kerzengerade, fast lauernd auf der Sesselkante. Tatsächlich sprang er, nachdem Marc geendet hatte, sofort auf und reichte ihm und Mr. Witherspoon die Hand: „Danke. Das Angebot entspricht unseren Anforderungen, wir nehmen es an. Bitte schicken Sie die Vertragsunterlagen zu unserem Büro in Holzhausen.“

Damit verließ er den Konferenzraum.

***

Tajo atmete auf, als er das klimatisierte Gebäude verließ und ihn die schwüle Hitze wie eine warme Decke umfing. Er fühlte sich in diesen Räumen, in denen man kein Fenster öffnen konnte und kalte Luft aus der Klimaanlage kam, einfach nicht wohl.

Er löste seine Krawatte und knöpfte sein Hemd ein wenig auf. Okay, jetzt ging es ihm deutlich besser, auch wenn er sich in seinem maßgeschneiderten Anzug immer noch unwahrscheinlich eingeengt und dämlich fühlte. Er zog das Jackett aus und warf es auf den Beifahrersitz des schwarzen Porsche Cayenne, der auf dem Kundenparkplatz der Firma auf ihn wartete.

Tajo wuchtete sich in den ledernen Sitz und startete den Motor. Er war froh, den Geländewagen seines Bruders Jon genommen zu haben. Sein eigenes Auto, ein Hummer, war für die deutschen Städte einfach zu groß und zu unpraktisch, da er fast zwei Parklücken ausfüllte.

Er fuhr auf dem kürzesten Weg aus der Stadt hinaus und fühlte sich erst ein wenig freier, als er die Häuserschluchten hinter sich lassen konnte und das hessische Bergland vor sich sah. Auf der zweistündigen Fahrt in den nördlich gelegenen Reinhardswald, den sie als Stützpunkt ihrer Firma auserkoren hatten, hatte er ausreichend Gelegenheit, das Meeting noch einmal Revue passieren zu lassen.

Der Angestellte, der den Auftrag erledigen sollte, hatte ihm auf Anhieb gefallen. Seine wachen, braunen Augen hatten eine ungewöhnlich hohe Intelligenz verraten. Trotzdem wirkte er nicht trocken oder langweilig. Marc war jung, dynamisch und nicht so leicht zu erschrecken, wie er schmunzelnd feststellte. ‚Der Junge hat gute Nerven‘, dachte er, ‚denn sonst hätte ich ihn wesentlich mehr eingeschüchtert.’

Für Tajo war es normal, dass die Leute in seiner Gegenwart anfingen zu stottern, den Faden verloren, sich tausendfach entschuldigten und angesichts seiner Präsenz ziemlich schnell die Hosen voll hatten. Selbst die unterentwickelten Sinne der „gewöhnlichen Menschen“ reagierten unbewusst und instinktiv auf ihn. Sein bloßes Auftauchen löste in der Regel bereits Fluchtreflexe aus.

Er war ein Raubtier — im wahrsten Sinne des Wortes. Er und seine Geschwister Jon und Keyla gehörten einem Löwenrudel von Gestaltwandlern an, deren Ursprung heute nicht mehr nachvollziehbar war. Tajo war überzeugt, dass sich ihre Rasse neben der menschlichen Rasse bereits vor Jahrtausenden entwickelt und über die ganze Welt verbreitet hatte. Dank ihrer guten Tarnung und ihrer Anpassungsfähigkeit hatten sie bis heute unbemerkt neben den Menschen existieren können.

Aufgewachsen in Südafrika war er nach seinem Wirtschaftsstudium in Florida heimisch geworden. Aber die dortige Nähe zu einem anderen Löwenrudel hatte ihn und seine beiden Geschwister bewogen, in das von Gestaltwandlern bisher dünn besiedelte Deutschland ‚auszuwandern‘.

Nach außen hin hatte ihre Firma „Bruns LLC“ bereits weltweit einen guten Namen in der Sicherheitsbranche. Hochrangige Politiker und Wirtschaftsbosse ließen sich von ihnen hinsichtlich der Alarmanlagen ihrer Privathäuser und Firmen beraten.

Auf der eher inoffiziellen Ebene waren sie für andere Gestaltwandler als Privatdetektive tätig und erledigten für sie auch verdeckte und teils gefährliche Aufträge. Die Gesetze, die die Menschen festlegten, galten unter den Gestaltwandlern nicht und so operierten sie ähnlich einer Spezialeinheit mit allen Freiheiten. Sie wurden hinzugerufen, wenn andere Gestaltwandler vermisst wurden, Einbrüche, Diebstähle oder andere Straftaten in ihren Reihen aufzuklären waren oder wenn die Geheimhaltung ihrer Art gefährdet war, was als schlimmstes Vergehen galt. In einem solchen Fall hatten sie sogar das Recht, zu töten – auch wenn sie hiervon nur im absoluten Notfall und äußerst ungern Gebrauch machten.

2. Kapitel

Am folgenden Montag machte sich Marc mit etwas gemischten Gefühlen auf den Weg in den hessischen Norden. Der Auftritt des Geschäftsführers von Bruns LLC war schon sehr merkwürdig gewesen. Trotzdem war er aufgeregt, seinen bislang größten Auftrag allein in Angriff nehmen zu dürfen. Bei diesem Projekt konnte er seine Qualitäten endlich richtig beweisen. Die Verträge zwischen beiden Firmen waren letzte Woche noch in Windeseile unterschrieben und letzte Details der Kundenwünsche problemlos geregelt worden.

Die Hardware wurde vom Hersteller direkt geliefert und Marc sollte auch bereits deren Aufbau und Installation übernehmen. Da der Firmensitz weit außerhalb der nächsten Ortschaft lag, war er froh, für die nächsten Wochen ein Zimmer von seinem Auftraggeber zur Verfügung gestellt zu bekommen. ‚Wenigstens habe ich mir das tägliche Pendeln zwischen Hotel und Firma gespart‘, dachte er. ‚Was müssen die sich aber auch so weit ab vom Schuss ansiedeln?‘

Je weiter er hinter Gießen und Marburg in den ländlichen Raum kam, umso mehr vermisste er die Großstadt, deren Annehmlichkeiten und kurze Wege. Allerdings war er beeindruckt, als er das Anwesen der Firma erreichte. Der ehemalige Bauernhof lag idyllisch nahe dem Waldrand, umgeben von weitläufigen Wiesen und Äckern. Die Weidezäune waren im amerikanischen Stil aus weiß gestrichenen Holzlatten gezimmert. Er wunderte sich, dass weit und breit weder Pferde noch Kühe auf den Wiesen zu sehen waren. Das Gras war hüfthoch gewachsen und machte einen vertrockneten, vergilbten Eindruck.

Die u-förmig angesiedelten Gebäude waren frisch saniert, überall roch es nach Farbe und Holz. Eine typisch amerikanische Holzveranda, die ebenfalls sehr neu aussah, erstreckte sich über die gesamte Breite des Haupthauses, das die Stirnseite des Hofes einnahm.

Vor dem ehemaligen Stall, der wohl als Büro umgebaut worden war, stand ein Lastwagen der Computerfirma. Zwei Fahrer luden gerade massenweise Kartons mit Hardware aus und stapelten diese im Hof. Außer diesen beiden waren nur zwei Katzen, die sich in der Sonne räkelten, und eine kleine Schar von sechs Gänsen, die schnatternd herumliefen, zu sehen.

Als Marc seinen Wagen auf dem geräumigen Hof parkte und ausstieg, kam eine junge Frau mit langen blonden Haaren aus dem Haupthaus geeilt. Sie trug ein sonnengelbes ärmelloses Kleid, das bis knapp über ihre Knie reichte und ihre schlanke, sportliche Figur und ihre tiefe Sonnenbräune vorteilhaft zur Geltung brachte. Sie schien nicht älter als Anfang zwanzig zu sein und lächelte ihm entgegen.

„Hallo, Sie müssen Marc Nowack sein, es freut mich, Sie kennenzulernen. Ich hoffe, Sie hatten eine gute Anfahrt?“ Als sie vor Marc stand, musste er sogar ein wenig zu ihr aufblicken. Obwohl sie nur flache Sandalen trug, war sie ein Stück größer als er.

„Ja, vielen Dank, es freut mich ebenso. Sie sind bestimmt Keyla Bruns?“

„Stimmt genau, ich bin Tajos und Jons kleine Schwester.“ Das Wort ‚kleine‘ betonte sie dabei grinsend. „Die zwei ziehen mich jedenfalls immer gerne damit auf.“ Sie zwinkerte ihm zu.

Marc lachte. Ihre offene und herzliche Art gefiel ihm und nahm ihm augenblicklich die Anspannung. Allerdings straffte er sich wieder in dem Moment, als Tajo aus dem Haus kam. Dieser trug nichts weiter als khakifarbene Shorts, ein graues Tanktop mit dem Schriftzug der ‚University of Miami‘, Laufschuhe und eine Kaffeetasse in der Hand.

„Guten Morgen Mr. Bruns“, begrüßte Marc ihn höflich.

„Hallo, Marc, da sind Sie ja. Sehr pünktlich, prima. Bitte nennen Sie mich doch Tajo.“ Er hielt ihm die Hand hin und Marc fühlte sich mit einem Mal wieder unsicher und nervös. Er hoffte, dass seine Hand, die er zur Begrüßung reichte, nicht allzu feucht war, schließlich konnte er sie schlecht noch vorher an der Hose abwischen. Zudem fühlte er sich angesichts der legeren Kleidung seiner Auftraggeber mit seinem standardmäßigen Anzug total ‚overdressed‘.

„Zeig doch unserem Gast zuerst einmal sein Zimmer, damit er sich ein wenig frisch machen kann“, wandte sich Keyla an ihren Bruder. Anscheinend waren Marcs Gedanken auf seinem Gesicht lesbar, denn sie fügte hinzu: „Ziehen Sie sich ruhig etwas Bequemes an, Marc, Sie müssen doch gleich noch die ganzen Kisten mit der Hardware auspacken.“

Tajo war an seinen Kofferraum herangetreten und hatte mit verblüffender Leichtigkeit den schweren Koffer herausgehoben. Da er in der anderen noch seine Kaffeetasse trug, deutete er Marc mit einer Kopfbewegung an, die Laptoptasche zu nehmen und wandte sich wortlos dem Haus zu.

Marc lächelte Keyla noch höflich zu und folgte Tajo zögernd.

Auf dem Weg ins Haus hatte er Gelegenheit, den muskulösen Oberkörper und den knackigen Hintern seines Kunden ausgiebig zu begutachten, ohne dass dieser hiervon etwas bemerken konnte.

‚Ohne Anabolika bekommt man solche „Mr. Universum“-Ausmaße doch gar nicht hin‘, dachte er bei sich und bewunderte das Spiel der definierten Rückenmuskeln. Sein Blick wanderte weiter nach unten zu den muskelbepackten Schenkeln. Allein die Waden waren eine Augenweide und bestimmt dicker als seine eigenen Oberschenkel.

Als sich Tajo am Hauseingang zu ihm umdrehte, um ihm höflich die Tür aufzuhalten, musste Marc schlucken und sich beeilen, den sicher verträumten Gesichtsausdruck in eine unverbindlich lächelnde Miene zu verwandeln. Aber offenbar war er hierbei nicht schnell genug gewesen, denn Tajo zog amüsiert einen Mundwinkel hoch und musterte ihn aufmerksam.

Peinlich berührt wandte sich Marc ab und trat ein. Er hatte das Gefühl, beim ungehörigen Starren ertappt worden zu sein und seine Verlegenheit ließ ihm das Blut in den Kopf schießen. Bestimmt war er jetzt knallrot angelaufen.

Die kühle, geräumige Wohndiele war modern, in hellem Holz und in freundlichen gelben und orangen Farben gehalten. Tajo steuerte die breite Treppe an, die ins Obergeschoss führte. Oben ging rechts und links jeweils ein langer Flur ab. Marc bekam nun ein großes, gemütlich eingerichtetes Zimmer mit eigenem Bad zugewiesen.

„In einer Stunde auf der Terrasse“, war Tajos kurze Order. Dann war er allein.

‚Ob dieser Mann auch mal eine Unterhaltung zustande bringt, die aus mehr als einem Satz besteht?‘ Marc schmunzelte. Was für ein Typ! Keine überflüssigen Worte, keine unbedachten Bewegungen. Tajo Bruns kam ihm vor, wie eine Maschine. Aber vielleicht musste man so sein, wenn man in der Sicherheitsbranche tätig war? Marc hatte bislang niemanden kennengelernt, der mit Tajo Bruns vergleichbar war. Aber egal, es galt hier schließlich nur, einen guten Job zu machen. Was er persönlich von seinem Auftraggeber hielt, war dabei nebensächlich.

***

Marc hatte geduscht, ausgepackt und ein schwarzes T-Shirt angezogen. Nur zu Shorts konnte er sich nicht entschließen und so griff er zu einer Jeans. Er schlüpfte in Turnschuhe und machte sich auf den Weg.

Auf der Veranda fand er Tajo, der sich lässig gegen das Holzgeländer lehnte und geduldig auf ihn wartete. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Nebengebäude. Dort befinden sich der Besprechungsraum und auch die geplante Computerzentrale.“ Mit einer höflichen Geste bedeutete er Marc, voranzugehen und wies ihm den Weg zu dem Nachbargebäude.

Marc war beeindruckt. Die Deckenhöhe des ehemaligen Stalles von nahezu fünf Metern und die grob gezimmerten Deckenbalken waren bei der Renovierung erhalten geblieben. Zur Hofseite hin waren bodentiefe Fenster eingelassen worden, die die Räume tagsüber wohl mit Licht überfluteten. Große Jalousien, die offenbar elektrisch gesteuert wurden, schützten aber nun vor der Sonneneinstrahlung und ließen den Raum trotz der sommerlichen Hitze angenehm kühl erscheinen.

Der angrenzende Besprechungsraum hatte die Ausmaße des Konferenzraumes seiner Firma und war mit der modernsten Kommunikationstechnik, Beamer, Leinwand und allem, was dazugehörte, ausgerüstet. Der ovale Tisch mit einer massiven Platte aus schwarzem Rauchglas bot für mindestens fünfzehn Personen Platz.

Die Computerzentrale war bereits mit einem riesigen freistehenden Pult, das an ein Raketenkontrollzentrum der NASA erinnerte, und mit mehreren Schreibtischen und Aktenschränken möbliert und wartete nur noch auf die Rechner, Monitore und Drucker.

Sie begannen, die Kartons mit den Geräten auszupacken und diese an den dafür vorgesehenen Plätzen aufzustellen. Schweigend arbeiteten sie Hand in Hand. Marc war froh, Tajos Hilfe zu haben, da einige der Geräte bleischwer waren. Allein hätte er das nicht geschafft. Vor allem die Montage des riesigen Bildschirms an der seitlichen Wand, der eine Diagonale von fast drei Metern hatte, hätte ihn vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Tajo hielt ihn allerdings ohne große Mühen fest, bis Marc die Schrauben der Halterung festgedreht hatte.

Der Bildschirm war ein Touchscreen. Marc hatte einen solchen bisher nur in amerikanischen Fernsehserien gesehen und er konnte sich nicht verkneifen, seine Begeisterung hierfür zu zeigen.

„Mann, was für ein geiles Teil“, entfuhr es ihm.

Tajo lächelte zustimmend und schien sich über die jungenhafte Bewunderung zu freuen.

***

Um die Verkabelung des Bildschirms nach unten zum Motherboard des Rechners zu ziehen und diesen anzuschließen, krabbelte Marc unter den Tisch.

„Schieben Sie bitte das Kabel ein wenig weiter zu mir runter? Ich komme hier noch nicht ganz ran“, ertönte es gedämpft von unterhalb der Tischplatte.

Tajo trat ein wenig näher heran und bekam einen trockenen Mund. Marc kniete vor ihm und hantierte unter dem Tisch mit den vielen Kabeln herum. Er hatte damit eine glänzende Aussicht auf den in Jeans verpackten, hübsch gerundeten Hintern, der sich ihm entgegen streckte. Er wusste ja, dass Jeans an einem Männerhintern verdammt gut aussehen konnten. Und das, was er hier vor sich sah, war unglaublich gut.

Er räusperte sich, da er befürchtete, dass seine Stimme rau klang. „Hmmh, ja … hier ist das Kabel, geht es so?“

„Noch ein kleines Stück weiter …“

Tajo musste sich über Marc stellen und über die Tischplatte recken, um das Kabel von oben zu erwischen und noch ein wenig weiter runter zu schieben. Marcs T-Shirt war mittlerweile hochgerutscht und so berührten Tajos nackte Beine die bloße Haut an den Seiten seines Rückens.

Beide durchfuhr es wie ein Stromschlag und sie versuchten, einander auszuweichen. Was allerdings nicht möglich war, da sie das Kabel nach wie vor festhalten mussten. Tajo bemerkte zu seinem Entsetzen, dass er hart wurde.

‚Oh my God!‘ Er atmete tief durch, um seine Erregung abzudämpfen. Ohne Erfolg. Ein Blick in die reflektierende Oberfläche des Monitors vor ihm zeigte, dass seine Augen funkelten und kurz davor waren, sich in gelbe Löwenaugen zu transformieren.

Sofort schloss er die Augen und versuchte, Puls und Atemfrequenz zu beruhigen. Seine guten Ohren verrieten ihm, dass Marc sekundenlang erstarrte, bevor er sich wieder an dem Stecker zu schaffen machte. Tajo nutzte die Zeit, um sich wieder in den Griff zu bekommen.

Viel zu schnell hatte Marc den Stecker befestigt und rutschte unter der Tischplatte hervor.

Tajo hatte bereits seine Hand ausgestreckt, um ihm hoch zu helfen. Allerdings war Marc wohl nicht auf den Schwung vorbereitet gewesen, mit dem er nach oben gezogen wurde, und kam leicht taumelnd auf die Füße. Automatisch hielt Tajo ihn fest und griff mit der anderen Hand nach Marcs Hosenbund.

Marc zog scharf die Luft ein und bekam einen hochroten Kopf, wie Tajo erregt bemerkte. Seine Finger steckten teilweise in Marcs Hose und sein Handrücken berührte dabei die weiche, warme Haut seines Bauches.

‚Lecker!‘, dachte er und war versucht, die Hand tiefer zu schieben. Aber nein, das wäre jetzt wirklich zu aufdringlich, selbst für ihn.

Bevor sie sich voneinander lösen konnten, hörten sie ein Räuspern von der Tür her und fuhren wie ertappt auseinander.

Im Türrahmen stand sein jüngerer Bruder Jon. Zur unpassendsten Zeit – wie immer.

Jon lächelte beiden zu. „Keyla schickt mich, euch zu holen. Das Essen ist fertig.“

Tajo schaute verwundert auf die Uhr. Er hatte gar nicht bemerkt, wie die Zeit verstrichen war. Mittlerweile war es Abend geworden. Allerdings machte sich jetzt ein richtiger „Löwenhunger“ bemerkbar.

Schnell machte er die beiden miteinander bekannt. „Jon – Marc. Marc – Jon, mein kleiner Bruder.“ Eilig verließ er die Zentrale. Wäre schade, wenn das Essen kalt wurde.

Hinter seinem Rücken lachte Marc hell auf. „Marc Nowack von Witherspoon und Partner. Ist Ihr Bruder immer so schnell?“

„Ja, vor allem, wenn es ums Essen geht“, hörte er Jon gerade vergnügt antworten, als er mit großen Schritten in den Hof einbog. Er schnaufte ungehalten. Als ob das stimmen würde!

***

Sie trafen sich im Esszimmer des Hauses an einem reichlich gedeckten Tisch. Marc hatte bereits beim Eintreten in das Haus einen köstlichen Geruch wahrgenommen, der ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Er staunte nun über die Berge von Steaks, die sich dampfend auf einer Platte stapelten. Keyla schien eine begeisterte und hervorragende Köchin zu sein. Als Beilage reichte sie Brot, Salat und Folienkartoffeln.

„Die Computer, die Sie bestellt haben, sind echt spitzenklasse“, lobte er, als sie am Tisch saßen und ordentlich zulangten.

„Ich habe mich zuvor informiert und nur Geräte gekauft, die technisch auf dem allerneusten Stand sind“, antwortete Jon und häufte sich einen Berg Kartoffeln auf den Teller. Er begann ein anregendes Gespräch mit Marc und dieser merkte schnell, dass der jüngere Bruns ganz anders gestrickt war als sein großer, wortkarger Bruder. Jon hatte gerade seinen ‚Master of Business Administration‘ abgelegt. Er lachte gerne, neckte seine Schwester und erzählte Marc viele Anekdoten aus seiner Zeit als Student in Miami und in München.

Es war ein angenehmer Abend und Marc begann, sich im Hause der Bruns wohlzufühlen. Später hätte er jedoch nicht sagen können, wer all die Steaks auf der Fleischplatte verdrückt hatte, so schnell, wie sie sich leerte.

Nach dem Essen stand er höflich auf und half Keyla beim Abräumen des Tisches und, da er sowieso nichts Besseres zu tun hatte, auch noch beim Spülmaschine einräumen und Küche reinigen. Beide unterhielten sich dabei prächtig und Marc konnte sich in Keylas Gegenwart richtig entspannen. Ziemlich schnell hatten sich beide darauf geeinigt, sich zu duzen. Er erfuhr, dass Keyla gerade im dritten Semester Tiermedizin an der Uni in Gießen studierte.

„Ich dachte, ihr hättet hier wesentlich mehr Angestellte“, gab Marc zu und nahm sich die dreckigen Teller vor. Ihm machte das nichts aus, aber die beiden anderen Männer schienen mit Hausarbeit nicht viel im Sinn zu haben. „Wie schaffst du das nur, neben dem Studium auch noch den ganzen Haushalt zu schmeißen?“

„Ich kümmere mich sowieso schon mein Leben lang um die zwei, ich bin es nicht anders gewohnt. Da wären mir Putzfrauen und Hausangestellte nur im Weg“, erwiderte Keyla, während sie die große Pfanne schrubbte. „Tajo und Jon konzentrieren sich auf den Aufbau der Firma.“

Marc gluckste in sich hinein. Letzteres war wohl eine höfliche Umschreibung seiner Vermutung, dass Keyla bei der Hausarbeit nicht auf die Hilfe ihrer Brüder zählen konnte.

„Willst du eine Tierarztpraxis eröffnen, wenn du fertig studiert hast? Platz genug für einen Haufen Pferde und Kühe hättet ihr ja hier.“

„Ich möchte mich eher auf exotische Tiere spezialisieren, nicht auf normales Haus- und Hofvieh“, antwortete Keyla ausweichend.

„Ach, auf Echsen und Schlangen oder so was? Oder Koi-Karpfen?“, fragte Marc interessiert und fuhr fort, die Teller in die Spülmaschine einzuräumen.

„Nein, eher auf Zootiere. Löwen, Tiger, Bären und Wölfe. Ich mag die großen Räuber eben.“

Sie fachsimpelten noch ein wenig über die angebotenen Studiengänge in Gießen und Marburg, und so entging Marc, dass Tajo in dem angrenzenden Flur, dicht neben der Küchentür, stand und zuhörte.

Er hatte seine Sinne sensibilisiert. Seine Nase weitete sich und er tastete die Luft nach Zeichen von Marcs Pheromonen ab. Wenn dieser auf Keyla scharf war, könnte es Tajo an dem Anstieg der männlichen Pheromone in der Luft schmecken. Und er kannte keinen heterosexuell orientierten Mann, der bisher nicht auf seine hübsche Schwester abgefahren wäre.

Aber nein, nichts dergleichen. Er atmete erleichtert auf.

Als er sich umdrehte, bemerkte er seinen Bruder, der hinter ihm, mit vor der Brust verschränkten Armen, an der Wand lehnte und ihn aufmerksam beobachtete. Jon grinste unverschämt über beide Ohren und wandte sich wortlos ab.

Tajo war dankbar, dass der kleine Witzbold die Situation nicht ausgenutzt und ihn bloßgestellt hatte. Zuzutrauen wäre es ihm durchaus.

***

Es war ein schöner, warmer Sommerabend und auch viel zu früh, um ins Bett zu gehen. Keyla schlug Marc daher vor, sich in der Gegend noch ein wenig umzusehen.

Viel Lust auf einen einsamen Spaziergang hatte er zwar nicht, aber so vollgegessen, wie er war, würde ein wenig Bewegung bestimmt gut tun. Außerdem, was sollte er in dieser Einöde auch anderes anstellen?

Er verließ das Haus und umrundete die Farmgebäude. Hinter dem Haupthaus begann ein breiter, frisch geschotterter Weg steil bergauf in Richtung des Waldes. Als er ihm ein Stück weit folgte, sah er, dass dieser an einem Flugzeughangar endete. Die Halle hatte die Größe eines halben Fußballfeldes. Eine geteerte Landebahn von mehreren Hundert Metern erstreckte sich entlang des Waldrandes vor ihm. Die seitliche Eingangstür des Hangars war zu seiner Verwunderung nicht verschlossen. Marc konnte seine Neugier nicht zügeln und ging hinein. In der kühlen, offenbar klimatisierten Halle roch es durchdringend nach Kerosin und Motoröl. Ein Hubschrauber, eine kleine Cessna und ein großer weißer Privatjet standen in Reih und Glied dem großen Hangartor zugewandt.

Ihm entfuhr ein anerkennender Pfiff. Wow, die mussten richtig viel Geld haben. Der Firma schien es offenbar gut zu gehen. Musste es ja auch, schließlich verlangte allein sein Arbeitgeber für die Installation der Hard- und Software den stolzen Preis von 2,5 Millionen Euro. Ein Preis, der ohne Feilschen oder Nachverhandlungen akzeptiert worden war.

Er verließ das Gebäude und fand einem kleinen Pfad, der in den Wald führte. Er konnte zwar bei der nun einsetzenden Dämmerung nicht allzu viel sehen, aber die ruhigen Geräusche des Waldes und der frische Duft des Laubes luden ihn ein, dem Pfad weiter zu folgen.

Nachdem er bestimmt eine Viertelstunde gelaufen war, endete der Pfad an einem recht großen Waldsee, in den sich ein hölzerner Steg bis fast in die Mitte hinein streckte. Das Ufer war mit weichem Gras bewachsen und offenbar sehr gepflegt. Einige Holzbänke standen am Uferrand und waren perfekt dazu geeignet, eine kleine Pause einzulegen. Marc lief bis zum Ende des Stegs, der in eine kleine Plattform mündete. Er setzte sich, zog Schuhe und Socken aus, ließ die Beine ins lauwarme Wasser baumeln und schaute zum Himmel hinauf, an dem erste blasse Sterne zu sehen waren. Marc genoss die Ruhe und Stille um sich herum und ließ seine Gedanken schweifen. Automatisch begann er, einen detaillierten Ablaufplan zu erstellen, wie er morgen früh anfangen und am besten vorgehen sollte. Selbst in seiner Freizeit fiel es ihm schwer, sein analytisches Gehirn mit etwas anderem zu beschäftigen, als mit seiner Arbeit. Wie so oft ermahnte er sich selbst, einfach abzuschalten. Allerdings machte sein Job ihm so viel Spaß, dass er keine Hobbys, keine Romane oder Musik brauchte, um zu entspannen. Eine Fachzeitschrift lesen war da eher nach seinem Geschmack.

Als es hinter ihm im Laub raschelte, fuhr er erschrocken herum. Was war das? Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er gar nicht auf seine Umgebung geachtet hatte.

Tajo kam aus dem Wald und schritt auf ihn zu. Obwohl er so riesig war, bewegte er sich mit einer kraftvollen Eleganz, die Marc faszinierte. Daneben kam er sich plump und ungelenk vor. Insgeheim freute er sich, in seinen Gedankenspielen unterbrochen worden zu sein und ein wenig Gesellschaft zu bekommen. Allerdings hatte sich Tajo bis jetzt nicht gerade als sehr gesprächig erwiesen. Marc bemühte sich, eine entspannte und lockere Haltung anzunehmen, auch wenn die bloße Anwesenheit des Mannes eher dazu beitrug, dass er sich eingeschüchtert und angespannt fühlte.

„Hi“, grüßte Tajo und setzte sich neben ihn.

„Hallo“, gab Marc hastig zurück. „Gehört der See noch zu Ihrem Grundstück?“ Krampfhaft versuchte er, seine Nervosität zu überspielen.

„Ja. Der Wald gehört bis zur Bergkuppe dort hinten noch zu uns. Und wir haben die Jagdrechte für die nächsten paar Quadratkilometer dazu gepachtet.“

‚Wahnsinn. Das waren mehr Worte auf einmal, als wir bisher überhaupt miteinander gewechselt haben‘, dachte Marc und gluckste in sich hinein. Um entspannt zu wirken, legte er sich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. Die Holzbohlen des Stegs unter ihm waren immer noch leicht gewärmt von der Sonne. Die Wärme in seinem Rücken übte eine beruhigende Wirkung auf ihn aus, sodass seine Anspannung merklich nachließ.

„Schön hier“, sagte er.

„Mmmh“, brummte Tajo zustimmend.

„Ich gehe eine Runde schwimmen“, meinte er nach einer Weile und erhob sich. „Kommst du mit?“

‚Seit wann duzen wir uns?‘, fragte sich Marc erstaunt. Das war wohl die typisch amerikanische Art, sich nicht viel aus deutschen Höflichkeitsfloskeln zu machen. Aber irgendwie fühlte es sich gut und richtig an. „Ähm, ich hab’ nichts dabei“, murmelte er und konnte den Blick nicht von Tajo abwenden, der gerade seine Hose öffnete.

„Macht nichts, ich auch nicht.“ Tajo grinste und ließ seine Hose fallen.

Marc schluckte. Er wusste nicht, wo er hinsehen sollte.

Hallo, das war sein Auftraggeber! Und der machte ihn, gewollt oder nicht gewollt, unwahrscheinlich an. Und stand jetzt nackt vor ihm.

Marcs Kehle war wie zugeschnürt. Allerdings konnte er auch nicht wegschauen. Obwohl er das bestimmt tun sollte. Sein Blick wanderte über einen beeindruckend breiten, nur leicht behaarten Brustkorb zu einem noch beeindruckenderen Sixpack von Bauchmuskeln bis hin zu … Marcs Mund trocknete nun völlig aus und er betrachtete verstohlen das imponierende Kaliber eines perfekten Schwanzes, der in goldbraune Locken gebettet war.

Tajo schien sein Unbehagen nicht wahrzunehmen, er drehte sich um und sprang mit einem eleganten Kopfsprung ins Wasser.

„Na los, komm!“, rief er, als er wieder aufgetaucht war. „Ich schaue dir nichts weg und hier ist sonst niemand!“

Marc fasste sich ein Herz, schälte sich aus seinen Kleidern und ließ sie auf dem Steg zurück. Er glitt in das ihm unbekannte schwarze Wasser und schwamm langsam auf Tajo zu. Das Wasser war nur etwa einen halben Meter unter der Oberfläche lauwarm, darunter war es deutlich kühler. Es fühlte sich an, als würde er durch zwei verschiedene Schichten schwimmen.

„Wie tief ist es hier?“, fragte er Tajo. Hoffentlich hatte der den ängstlichen Tonfall seiner Stimme nicht vernommen. „Ich meine, das Wasser ist so dunkel, ich kann den Grund nicht sehen.“

„Das weiß niemand so genau.“ Tajo schmunzelte. „Komm, wir schwimmen bis zum gegenüberliegenden Ufer, da ist es flacher und man kann stehen.“

In Ufernähe drehte sich Tajo auf den Rücken und ließ sich treiben. Marc beäugte bewundernd die Arm- und Schultermuskeln, die beim Schwimmen echt toll ausgesehen hatten.

„Trainierst du viel?“, entfuhr es ihm. Was stellst du blöde Fragen, schalt er sich, und bemerkte erstaunt, dass er nun ebenfalls unbeschwert zum „du“ übergegangen war.

Tajo lachte leise auf. Ohne die Frage zu beantworten, stieg er aus dem Wasser und setzte sich ins weiche Gras.

Marc wollte nicht allein im Wasser bleiben. Wie abweisend würde das aussehen, wenn er jetzt noch eine Runde allein im See herumpaddeln würde? Und abweisend wollte er sich nun wirklich nicht verhalten. Vielleicht war das die Gelegenheit, dem beeindruckenden Mann ein wenig näher zu kommen? Auch wenn er sich nicht viel Chancen ausrechnete, dass gerade so ein Typ wie Tajo Bruns schwul sein könnte. Da jedoch dieser keine Probleme damit zu haben schien, unbekleidet vor ihm herumzulaufen, sollte er sich auch nicht so anstellen. Selbst wenn es für ihn das erste Mal war, nackt in einem See zu schwimmen. Geschweige denn, ohne Hosen durch die Gegend zu laufen. Und das zudem in Gesellschaft! Er kletterte schnell aus dem Wasser und setzte sich neben Tajo, ohne ihn jedoch anzusehen. Lieber ließ er seinen Blick über den See schweifen. Die laue Sommerluft strich über seine feuchte Haut und ließ ihn schaudern. Wenn er doch nur nicht so schüchtern wäre! Dann würde ihm jetzt nicht nur ein Gesprächsthema, sondern vielleicht sogar eine nicht ganz so plumpe Anmache einfallen.

3. Kapitel

Tajo genoss die Ruhe. Ihn wunderte zwar, dass Marc keinen Ton von sich gab, aber das war ihm eigentlich ganz recht. Er war nicht gerade der große Unterhaltungskünstler. Ihm fiel allerdings auf, dass Marc sich in Gegenwart von Keyla oder Jon ganz anders verhielt, da war er unwahrscheinlich redselig und offen. Nun aber wirkte er total verklemmt und schüchtern.

Er wandte sich Marc zu und suchte nach einem unverfänglichen, höflichen Gesprächsbeginn. Der kleine Mensch saß eine Armlänge entfernt, hatte ihm aber seinen Rücken zugedreht. Offenbar hatte er ein Problem damit, nackt zu sein. Tajo lächelte. Schamgefühle waren den Gestaltwandlern weitestgehend fremd. Wenn man mit mehreren in einem Löwenrudel lebte und sie unbeobachtet waren, war es einfacher, nackt zu sein und sich jederzeit verwandeln zu können. Unterhosen hatten die dumme Angewohnheit, einer Verwandlung nicht standzuhalten und dabei in Fetzen zu gehen.

Er ließ seinen Blick erneut über Marc wandern und sog den Anblick des nackten, verlockenden Rückens in sich auf. Die Stelle, in der er in einer sanften Wölbung in den wohlgeformten Hintern überging, erregte auf einmal sein Interesse. Sein Blick schärfte sich raubtierartig und er nahm das leichte Zittern und den Ansatz einer Gänsehaut auf Marcs verführerischem Gesäß wahr.

Sofort wurde er hart. Tajos Erregung ließ sein rationales Denken in tausend Scherben zerschellen. Seine Augen transformierten vollständig und in einer blitzschnellen, fließenden Bewegung riss er Marc zu Boden, warf ihn auf den Rücken und war über ihm.

Bevor Marc auch nur Luft holen konnte, drängte Tajo bereits seine gewaltige Erektion zwischen seine Schenkel. Gierig rieb er sich an ihm, befeuchtete einen Finger mit etwas Spucke und suchte zielgerichtet nach dem Eingang. Langsam schob er den Finger in die heiße Enge hinein, dehnte und weitete sie vorsichtig. Alles in ihm schrie danach, sich in Marc zu versenken, ihn zu besitzen. Seine animalischen Triebe ließen ihn jede menschliche Art der Verführung fast vergessen. Er zögerte nicht lange, zog seinen Finger aus Marc zurück und setzte seine Eichel an. Unnachgiebig drückte er nach vorn und stemmte seinen großen Schwanz in Marcs Enge, bis er sich bis zum Anschlag in ihn gebohrt hatte.

Marc entfuhr ein rauer Schrei.

Sofort hielt Tajo still und kam augenblicklich wieder zu Verstand. Was zum Teufel dachte er, was er da tat?

„Marc? Marc! Marc, I’m sorry … es tut mir leid, entschuldige … bitte entschuldige“, war alles, was er heiser hervorbrachte. Dabei rührte er sich keinen Millimeter, sondern versuchte verzweifelt, einen klaren Gedanken zu fassen.

Marcs Hände, die sich in den Boden gekrallt hatten, stemmten sich gegen Tajos Brust. Er versuchte offenbar, ihn wegzudrücken. Aber Tajo war unfähig, sich zu bewegen.

Mit einem Mal strichen Marcs Hände unsicher über seine Arme, betasteten seinen angespannten Bizeps.

Tajo zitterte und verwendete seine ganze Konzentration darauf, sich nicht zu bewegen, die Kontrolle zurückzuerlangen und ihm nicht wehzutun. Allerdings steckte er noch immer bis zum Anschlag in Marc drin.

Marc entkam ein raues Stöhnen, sein Schaft zuckte und Tajo spürte an seinem Bauch, dass Marcs Schwanz anschwoll. Da er nicht wagte, ihm in die Augen zu sehen, damit dieser nicht den entstellten Raubtierblick bemerkte, flüsterte er leise: „Marc …?“

„Schhh… schon gut …“, keuchte Marc.

Schon gut? War das eine Zustimmung? Anscheinend ja, denn der kleine Mensch schob sich ihm nun schwer atmend entgegen, bewegte sich leicht und nahm die Beine noch weiter auseinander.

Tajo begann, federleichte Küsse auf Marcs Hals und Schulter zu verteilen. Er schob einen Arm unter Marcs Kopf, mit dem anderen umfasste er dessen Kniekehle und zog das Bein über seine Schulter. Marc stöhnte tief auf und entspannte sich. Seine Arme umschlangen Tajos Nacken und zogen ihn noch weiter an sich heran.

Tajo verlor sich in der Weichheit von Marcs Körper, der sich nun an ihn drängte und zu mehr aufforderte. Mit einem tiefen Grollen verbiss er sich zart in Marcs Halsbeuge, drückte ihn fest an sich und begann, langsam und dann immer schneller und härter in ihn zu stoßen. Die nun deutlichen Signale von Marcs Leidenschaft feuerten ihn immer weiter an, seine geschärften Sinne nahmen jedes Keuchen und jedes Muskelbeben wahr.

Er reagierte auf leiseste Hinweise von Marcs Körper, um ihm größtmögliche Lust zu bereiten. Dabei steuerte er sie beide auf einen gewaltigen Höhepunkt hin, bis er sich mit einem lauten Aufstöhnen in ihm entlud. Sein Schwanz pumpte mit kraftvollen Stößen seinen Saft in Marcs Innerstes, der ebenfalls aufstöhnte. Tajo spürte, wie Marc sich versteifte und sich zwischen ihnen verströmte.

Keuchend stützte sich Tajo ein wenig ab und lockerte den Griff um Marcs Körper. Er hielt die Augen geschlossen und versuchte, möglichst schnell deren Transformation wieder in den Griff zu bekommen.

Marc bebte. Er presste seine Stirn an Tajos breite Brust und versuchte offenbar, zu Atem zu kommen. Allerdings lag Tajo noch immer auf ihm.

„Tajo?“, fragte Marc atemlos.

„Ja?“

„Würdest du … bitte …?“

„Nein.“

Tajo schaffte es jetzt noch nicht, sich von Marc zu lösen. Er wagte nun, den Kopf zu heben und Marc direkt in die Augen zu blicken. Forschend betrachtete er sein Gesicht und suchte nach Anzeichen von … ja, mit was hatte er gerechnet?

Er hatte mit gar nichts gerechnet, fiel ihm auf, er hatte einfach instinktiv gehandelt. Er sah allerdings in Marcs Augen keinen Ekel, keine Ablehnung und keinen Hass. Auch keinen Funken eines Zögerns, von Zweifeln oder Angst. Sein Gesicht war entspannt, seine Augen hielten Tajos Blick fest. Ein wenig fassungslos und nachdenklich, ja, das schien er zu sein. Machte er sich gerade Gedanken um das fehlende Kondom? Nun, da würde er ihn später beruhigen müssen. Als Gestaltwandler konnte er sich weder mit menschlichen Krankheiten anstecken noch solche wie Tripper oder AIDS verbreiten. Das konnte er Marc zwar in dieser Form nicht sagen, aber ein gefälschtes ärztliches Attest sollte ihn soweit überzeugen.

Marcs Hände umfassten nun sein Gesicht und seine Daumen zeichneten den Schwung seines Kinns und der Unterlippe nach.

Tajo konnte nicht anders: Er senkte seinen Mund auf Marcs Lippen und küsste ihn sanft. Elektrisiert stellte er fest, wie gut sich diese weichen Lippen an die seinen anschmiegten und die kleinste Bewegung erwiderten. Er stöhnte leise auf und öffnete den Mund, woraufhin auch Marcs Lippen sich teilten. Tajos Zunge stupste Marcs an und begann sie langsam zu umtanzen. Schnell wurde der Kuss heftiger. Keuchend lösten sich beide und schauten sich an.

Marcs lustvoller, verhangener Blick veranlasste Tajo, sich erneut in ihm zu bewegen. Geschmiert von dem vergossenen Samen glitt er langsam ein Stück zurück, um sich mit einer fließenden Bewegung bis zum Anschlag in Marc hineinzuschieben. Er genoss die glitschige Enge, die seinen Steifen wie eine Faust umschloss.

Marc atmete stoßweise, aber er reagierte sofort auf die Bewegungen in seinem Inneren.

Tajo drehte sich auf den Rücken und hob Marc mit einer kraftvollen Bewegung auf seinen Schwanz. Dieser stützte beide Hände auf die breite Brust und begann, sich im langsamen Tempo auf Tajos Härte zu bewegen.

Tajo kam ihm entgegen und warf damit seine Absicht, sich langsam und genussvoll von Marc reiten zu lassen, über Bord. Er gab seinem Verlangen nach, bestimmte von unten stoßend das Tempo und trieb sich und Marc in rasendem Galopp zum nächsten Orgasmus. Marc wurde erneut über die Klippe geschleudert und kam zuckend und nach Atem ringend auf Tajo zum Liegen.

Marc keuchte. „Wir … müssen … reden!“

Tajo spürte, wie durcheinander der Kleine war. Er war ebenfalls außer Atem und nickte lediglich. Mit purer Willenskraft versuchte er, sich zu sammeln und seinen Schwanz zum Abschwellen zu bringen. Was nicht einfach war, da Marc einfach nur zum Anbeißen aussah: gerötete Haut, verstrubbelte Haare, verschleierter Blick, leicht geöffneter Mund, Schweißfilm auf der Haut … wow, der war ja vielleicht heiß. Er hätte jetzt stundenlang so weitermachen können.

Seine Hände ruhten auf Marcs Hüften, der ausgepumpt auf ihm lag und ihn umschloss. Tajo war sich schlagartig der Nähe sehr bewusst. Automatisch war er versucht, Marc von sich runterzuschieben. Ein Typ zum Kuscheln war er noch nie gewesen. Aber eigentlich fühlte sich Marc zu gut an. Tajo genoss das Gefühl des rasenden Herzschlags und des keuchenden Atems an seiner Brust. Seine Arme schlossen sich wie von selbst um Marc. Und er ließ die Nähe zu.

Nachdem sich ihr Puls ein wenig beruhigt hatte, bemerkte er, dass der Kleine gar nichts sagte. Na, das war ja mal was Neues. Sprachlos hatte er ihn wirklich noch nicht erlebt.

„Okay. Dann rede“, murmelte er nach einiger Zeit.

„Warum hast du … ?“

Merkwürdigerweise wusste Tajo um die eigentlichen Fragen, die hinter dem „warum“ standen und antwortete: „Was willst du hören? Du bist süß. Du hast einen tollen Hintern …“

Während er dies aussprach, wusste er, wie bescheuert das klang, wie leicht Marc das in den falschen Hals bekommen könnte. Und dass er eigentlich etwas ganz anderes hatte sagen wollen.

Nämlich dass dieses Ereignis so elementar für ihn gewesen war, als habe sich soeben die Welt ein wenig verschoben. Himmel, er war noch nie so überfallartig erregt gewesen und so … so explodiert.

Marc stöhnte auf und glitt langsam von ihm runter. Er rollte sich neben ihm auf den Rücken und schaute in den klaren Himmel, an dem erste Sterne aufleuchteten.

Tajo spürte Marcs Verunsicherung und wie durcheinander er war. Er wusste aber nicht anders damit umzugehen, als aktiv zu werden: Er sprang auf und zog Marc mit auf die Füße.

„Komm, lass uns schwimmen gehen.“

Tajo lief voraus in das noch warme Wasser des Sees und registrierte dankbar, dass Marc ihm langsam folgte. Irgendwie hatte er befürchtet, dass der Kleine schleunigst das Weite suchen würde.

***

Beide wateten ein Stück hinein, bis das Wasser ihre Hüften umspielte.

Marc folgte Tajo zögernd. Er war total durcheinander. Als diese überwältigende Lust abgeklungen war, war er wie aus einer Art Trance erwacht. Er hatte eben ungeschützten Sex mit seinem Kunden gehabt, der wie Rambo über ihn hergefallen war! Nicht, dass er es nicht genossen hätte. Er stand schon eher auf die harte Tour.

Aber … so konnte er nicht mit ihm umgehen. Nein, das ließ er nicht zu. Obwohl … das war der reine … Wahnsinn gewesen! So einen tief erschütternden Orgasmus, so eine unbändige Lust hatte er in seinem Leben noch nicht verspürt.

Tajo drehte sich um, zog ihn an sich und begann, vorsichtig seinen Bauch zu waschen und von den letzten Spuren seines Ergusses zu reinigen. Seine Brustwarzen zogen sich unter der Berührung zusammen. Neckend kniff Tajo hinein und brummte: „Sperma soll gut für eine zarte Haut sein. Vielleicht solltest du es drauf lassen …“

Marc prustete los, schubste Tajo spielerisch von sich und spritzte eine Ladung Wasser in seine Richtung.

Tajo tauchte in dem dunklen Wasser unter, bis er ihn nicht mehr sehen konnte. Verunsichert blieb er einfach stehen. Wo war er nur? Plötzlich wurden seine Beine gepackt und er wurde von den Füßen geworfen. Als sie beide lachend auftauchten, zog er sich auf Tajos Rücken und versuchte, ihn seinerseits umzuwerfen. Allerdings ohne jeglichen Erfolg. Genauso gut hätte er versuchen können, ein Pferd umzuschmeißen.

Als seine Unterschenkel Tajos Unterleib umklammerten, streifte er dessen Erektion. Marc war verblüfft, dass Tajo noch immer steif war. Oder schon wieder? Welche Kondition hatte dieser Mann eigentlich? Er glitt von ihm runter, brachte sicherheitshalber zwei Schritte Abstand zwischen sie.

Aber als wäre nichts gewesen, ergriff Tajo seine Hand und steuerte das Ufer an. Sie trockneten sich mit ihren Shirts ab, zogen die Hosen über und gingen schweigend zurück zum Haus. Marc genoss die einträchtige Stille. Es schien, als brauchten sie beide keine Worte, um sich zu verständigen. Er bemerkte, wie entspannt Tajo neben ihm herging. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass dieser immer gewirkt hatte, als werde er jeden Moment angegriffen und müsste sich verteidigen. Oder, als ob er jeden Moment angreifen wollte.

Tajos lange, kraftvolle Schritte verursachten keinerlei Geräusche auf dem schmalen Waldpfad. Mit der ihm eigenen Gewandtheit strich er durch das hohe Gras der Wiese, die die Farmgebäude umschloss. An der Ecke hielt er an und lehnte sich an die Hauswand. Er dirigierte Marc zwischen seine gespreizten Beine, zog ihn an sich und gab ihm einen kurzen, fordernden Kuss. Marc sah ihn fragend an und verlor sich sofort in den goldbraunen, funkelnden Augen.

„Stay by me. Bleib bei mir heute Nacht“, raunte Tajo ihm zu. Seine Stimme klang wie ein Schnurren.

Marc spürte, dass die Antwort eigentlich ‚nein‘ lauten sollte, wenn ihm sein Seelenheil wichtig war. Aber er konnte nicht anders. Zögernd nickte er und küsste Tajo zur Bestätigung zurück. Keiner von ihnen beiden brachte es zustande, den Kuss zu lösen, sodass dieser schnell stürmischer wurde und er seine Empfindungen ganz auf die Gefühle reduzierte, die Tajos Hände an seinem Körper, seine Lippen auf den seinen und seine Zunge in ihm auslösten. Aber irgendwann einmal mussten beide Luft holen. Keuchend hielt Tajo inne und schob ihn ein Stück weit von sich weg.

Plötzlich packte er Marcs Hand und lief los. Mit schnellen Schritten stürmte er ins Haus und schleifte Marc praktisch hinter sich her. Sie polterten lachend, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch und Tajo zog ihn mit in sein Zimmer.

***

Im Morgengrauen schälte sich Marc unter Tajos schlafendem Körper hervor und machte sich auf den Weg in sein eigenes Zimmer. Er hatte ein unbestimmtes Bedürfnis, wenigstens nach außen hin ein wenig Sitte und Anstand zu wahren.

Im Verlauf der Nacht hatte er nicht nur Bekanntschaft mit der ungewöhnlich rauen und talentierten Zunge seines Auftraggebers gemacht, sondern auch seinerseits jeden Zentimeter des spektakulären Körpers erkundet. Diese harten, straffen Muskelberge hatten ihn verrückt gemacht und er hatte sie ausführlich gestreichelt, massiert und geleckt.

Und nachdem nun die erste Leidenschaft abgeflaut war, wusste er nicht, ob ihm das peinlich sein sollte oder nicht.

Marc schloss seine Zimmertür hinter sich und lehnte sich tief durchatmend dagegen.

Himmel, er hatte sich aufgeführt wie ein Flittchen, das man sich einfach nahm und besteigen konnte! Einen Tag hier und schon landete er bei dem Kunden im Bett. Und besonders leise waren sie dabei auch nicht gewesen. In der Stille der Nacht und bei geöffnetem Fenster hatten sie wahrscheinlich eine riesige Show abgeliefert.

Oh Mann.

Sein bester Kumpel Daniel würde es nicht fassen können, dass er einen solchen „Testosteron-Bomber“ abgeschleppt hatte. Er selbst hätte es niemals für möglich gehalten, dass  so ein Mann, ein solcher Muskelprotz, auf so einen wie ihn stehen würde. Allerdings war er den wirklich gut aussehenden Kerlen bislang eher aus dem Weg gegangen, da er sie als ‚unerreichbar‘ abgestempelt hatte. Und für einen kurzen Fick oder einen Blowjob in einem Darkroom war er sich bisher immer zu schade gewesen.

Marc fühlte sich, als wäre er unter einen Bulldozer geraten. Nicht nur mental, sondern auch körperlich war er ramponiert und beschloss daher, erst einmal zu duschen.

Das warme Wasser tat gut und entspannte ihn. Als er vor dem großen Badezimmerspiegel stand, der die Wand über dem Waschbecken einnahm, bemerkte er Ringe unter den Augen und einen leichten Bartschatten. Außerdem hatte er eine gerötete Stelle am Oberarm, die wohl einen dicken blauen Fleck ergeben würde. Ganz zu schweigen von einem großen Zahnabdruck im Bereich seiner Halsbeuge.

Seufzend griff er zum Rasierzeug, um wenigstens nicht ungepflegt herumzulaufen, auch wenn die vergangene Nacht ihre Spuren hinterlassen hatte.

4. Kapitel

Gegen 7 Uhr machte Marc sich auf den Weg nach unten und fand Keyla bei der Vorbereitung des Frühstücks in der Küche. Die unbefangene und herzliche Art, mit der sie ihn begrüßte und ihn aufforderte, beim Kaffeekochen zu helfen, ließ ihn annehmen, dass sie vielleicht doch nichts von seiner Liebesnacht mit ihrem Bruder mitbekommen hatte. Jedenfalls hoffte er das.

Am Frühstückstisch gesellte sich auch Jon zu ihnen, der anscheinend joggen gewesen war. Marc hatte gerade von Keyla erfahren, dass sie die sechs Gänse selbst aufgezogen hatte, sozusagen als ein kleines Studienprojekt.

„Die Gänse werden nun langsam erwachsen und folgen mir zum Glück nicht mehr auf Schritt und Tritt.“ Sie kicherte. „Aber sie sind verflucht gute Wachhunde, deshalb habe ich beschlossen, sie zu behalten. Auch wenn Tajo sie lieber gerupft und geröstet auf dem Grill sehen würde …“

„Warum, haben sie ihn angegriffen?“, wollte Marc wissen.

Keyla setzte gerade zu einer Erklärung an, als Tajo im Türrahmen auftauchte und ihr einen mahnenden Blick zuwarf. Sie verstummte schlagartig. Tajo griff zur Kaffeekanne und schenkte sich eine Tasse ein.

Seine Präsenz war für Marc so überwältigend wahrnehmbar, dass er die Augen niederschlug und sich auffallend lange damit beschäftigte, sein Brötchen mit Butter zu bestreichen.

„In einer halben Stunde im Büro“, sagte Tajo leise und nahm seine Kaffeetasse mit nach draußen.