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Knisternde Cozy Romance im Paradies
Delilah hat genug von Männern! Nachdem ihr Ex sie betrogen hat, will sie nur weg aus Maui. Doch als sie ein verletztes Wallaby vor der Tierauffangstation ihrer Familie findet, kommt alles anders. Am selben Tag trifft Delilah Ace, der für drei Monate auf der Station arbeiten wird. Eigentlich ausgebildeter Feuerwehrmann will Ace auf Maui herausfinden, wie seine Zukunft aussehen soll. Als erneut misshandelte Tiere gefunden werden, bekommt Delilah unerwartet Unterstützung – durch Ace. Delilah ist fasziniert von dem kreativen und attraktiven Mann, doch sie sitzt auf gepackten Koffern und er verbirgt ein Geheimnis, das er mit niemandem teilen möchte …
Intensiv, wunderschön und voller Herzklopfen – eine berührende New Adult Romance im Sehnsuchtssetting Maui. Laue Nächte am Lagerfeuer, tiefblaues Meerwasser und weiße Strände – hier geht allen Hawaii-Liebhabern das Herz auf.
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»Wir waren wie zwei Kometen aufeinander zugerast. Unfähig, den Kurs zu ändern, waren wir in einem Sternenregen explodiert, der etwas Neues erschaffen hatte.«
Lila hat genug von Männern! Nachdem ihr Ex sie betrogen hat, will sie nur weg aus Maui. Doch als sie ein verletztes Wallaby vor der Tierauffangstation ihrer Familie findet, kommt alles anders. Am selben Tag trifft Lila Ace, der für drei Monate auf der Station arbeiten wird. Dort will er herausfinden, wie seine Zukunft aussehen soll. Als erneut ein verwundetes Tier gefunden werden, bekommt Lila unerwartet Unterstützung – durch Ace. Lila ist fasziniert von dem kreativen und attraktiven Mann, doch sie sitzt auf gepackten Koffern und er verbirgt ein Geheimnis, das er mit niemandem teilen möchte …
© Picturepeople
Kira Licht ist in Japan und Deutschland aufgewachsen. In Japan besuchte sie eine internationale Schule, überlebte ein Erdbeben und machte ein deutsches Abitur. Danach studierte sie Biologie und Humanmedizin. Sie lebt, liebt und schreibt in Bochum, reist aber gerne um die Welt und besucht Freunde.
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Kira Licht
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LILA
Die aufgehende Sonne tauchte die Insel Maui in tausend strahlende Farben. Diese Zeit des Tages war mir die liebste. Der sanfte Kaiāulu-Wind trug den nebligen Schleier der Morgendämmerung davon. Er rollte in flüsternden Böen die Ausläufer des Vulkans hinab und weckte die Natur aus ihrem Tiefschlaf. Die Amahiki zwitscherten laut, ihr gelbes Gefieder leuchtete zwischen den dunklen Blättern der Palmen. Ein roter I’Iwi saß in einem Pūkiawe-Busch am Wegesrand und pickte mit seinem spitzen Schnabel nach den rosafarbenen Blüten.
Ich umfasste mein Surfboard fester und lenkte mit der anderen Hand mein Mountainbike über den Trampelpfad. Je weiter ich den Strand hinter mir zurückließ, desto dichter wurde das Grün um mich herum. Niedrige Bodendecker streckten sich über das Erdreich und die uralten Farn-Bäume hinauf. Die Palmen wichen einem Regenwald, dessen Baumkronen so nah beieinanderstanden, dass sie die Feuchtigkeit der Nacht gespeichert hatten. Ich spürte sie auf meinem Gesicht, als ich fester in die Pedale trat, weil der Weg ein Stück bergauf ging. Anders als am Strand roch die Luft hier intensiv nach Erde, nach Regen, nach Leben. Überall raschelte es im Unterholz, Insekten summten durch das Laubwerk und der schrille Ruf einer Manguste hallte zwischen den breiten Stämmen der Kāwa’u-Bäume bis zu mir.
Ich bog um eine sanfte Kurve und wich dabei einem hellgrünen Gecko aus, der mitten auf dem Weg saß. Vor mir ragte das Keanae Wildlife Shelter auf, Mauis älteste Tierauffangstation und seit 18 Jahren mein Zuhause.
Der Gebäudekomplex war aus dunkelbraunem Holz errichtet und bestand aus einem Haupthaus samt Büro und Praxis, dem Gästehaus und meinem Elternhaus. Mit seinen Erd- und Grüntönen fügte er sich perfekt in den Regenwald ein. Über der breiten Doppelflügeltür des Haupthauses war der Name der Tierauffangstation in das Holz gebrannt. Und auf der Schwelle lag ein hellblaues Bündel. Ich blinzelte, sicher, dass mich meine Augen getäuscht hatten. Aber nein … War das ein Handtuch? Vielleicht hatte Noah, einer unserer Tierpfleger und wie ich überzeugter Surfer und Frühaufsteher, das Handtuch verloren? Aber dann hätten wir uns unterwegs getroffen, oder? Außerdem war das Bündel zu rund für ein achtlos fallen gelassenes Handtuch. Ich stoppte mein Bike, stieg ab und ließ das Board auf den Boden gleiten. Irgendetwas schimmerte dunkel unter dem Stoff. Obwohl sich ein flaues Gefühl in meinem Magen breitmachte, beschleunigte ich meine Schritte.
Es war tatsächlich ein Handtuch, ziemlich ausgeblichen und mit einigen Löchern. Und durch diese Löcher schimmerte braunes Fell.
»Mein Gott …« Ich hatte die Worte nur geflüstert, während ich vor dem Bündel in die Hocke ging. Ganz vorsichtig nahm ich eine Ecke des Tuchs und zog sie zur Seite. Vor mir lag ein Wallaby. Sie gehörten zur Gattung der Kängurus, waren nur kleiner und dichter behaart. Hierbei musste es sich um ein Jungtier handeln, fast noch ein Baby.
»Mein Gott«, stieß ich ein zweites Mal hervor. Das Kleine lag auf der Seite und das mir zugewandte Auge wirkte trüb. Es atmete noch, doch an seiner winzigen Nase klebte Schorf und sein Fell war verschmutzt. Und dann sah ich die Schnitte. Zwei lange Wunden, die sich über den Oberschenkel zogen. Ich presste eine Hand auf den Mund, als ich meinen Blick wandern ließ. Die dunklen Flecken auf der Unterseite des Stoffs, die ich für ein Muster gehalten hatte, waren Blut. Ich hatte schon viele Verletzungen bei Tieren gesehen, aber dieser Anblick brach mir das Herz. Panik machte sich in mir breit, als das Tier röchelnd Luft holte. Hier ging es um Minuten! Es war sechs Uhr morgens, das ganze Haus schlief und ich hatte mein Handy nicht mit. Ich zog das Handtuch wieder etwas höher und hob das Tier dann so behutsam wie möglich hoch.
»Hilfe!«, rief ich, während ich in Richtung der Häuser rannte. »Ich brauche Hilfe. Ich habe hier einen Notfall!« Ich folgte dem Weg, der vom Gästetrakt zu meinem Elternhaus führte. »Mom! Dad! Brooke, Noah, Manaia! Irgendjemand! Bitte!« Das kleine Wallaby fühlte sich federleicht an in meinen Armen und ich bangte, ob es noch atmete.
Bitte, betete ich lautlos. Bitte, bitte, bitte …
In diesem Moment flog die Tür meines Elternhauses auf. Mom war die Erste, die herausstürmte. Ihre wilden braunen Locken wippten beim Rennen. Sie trug nur Schlafshorts und ein Unterhemd. Als Dad ihr folgte, war auch die Tür des Gästehauses aufgegangen. Brooke, Manaia und Noah rannten auf mich zu.
»Es ist ein verletztes Wallaby«, sagte ich, kaum dass die Ersten mich erreicht hatten. »Es ist noch ein Jungtier und ich glaube, es hat viel Blut verloren.«
»Um Himmels willen.« Mom schlug das Handtuch zurück. Ihre Miene verfinsterte sich. »Die Wunden sind groß.« Sie drehte sich zu meinem Dad, der sich im Laufen ein T-Shirt übergezogen hatte. »Henry, ruf Sharif an. Sag ihm, es ist ein Notfall. Noah und Manaia, bereitet die Praxis vor. Sharif wird eine Narkose einleiten, plus alles zum Nähen und Desinfizieren vorbereiten.« Die beiden, ebenfalls nur in Schlafanzügen, nickten und rannten los. Mom sah zu mir, nachdem sie das Handtuch vorsichtig wieder über den Körper des Wallabys gelegt hatte. »Hast du es zur anderen Seite gedreht?«
Ich schüttelte den Kopf. Allein es hochzuheben war riskant gewesen. Ich wollte ihm nicht noch mehr Schaden zufügen, indem ich es mehr als nötig bewegte.
Meine Mom nickte knapp, drehte mich an den Schultern herum und schob mich vorwärts. »Bring es in den großen Behandlungsraum.«
Mein Dad war verschwunden, doch Brooke schloss zu uns auf. »Wo hast du es gefunden?«
»Es lag direkt am Tor, eingewickelt in dieses Handtuch.«
»Also hat es jemand dort abgelegt.« Brooke zog sich ein Haargummi vom Handgelenk und band sich die langen roten Dreadlocks hoch. »Hast du jemanden gesehen?«
Ich schüttelte den Kopf und ließ meinen Blick wieder zu dem Wallaby gleiten. Es bewegte das Auge, das uns zugewandt war, als wolle es alles mitbekommen. Das war zumindest ein gutes Zeichen. Es wirkte nicht mehr so lethargisch wie zu dem Zeitpunkt, als ich es gefunden hatte.
»Alles wird gut, Kleines«, flüsterte ich. Ich strich mit dem Daumen ganz sanft über eins der flaumweichen Ohren. »Wir helfen dir. Alles wird gut, ich verspreche es.« Mir war klar, dass es hart werden würde, dieses Versprechen zu halten. Doch in diesem Moment wollte ich daran glauben. Ich musste einfach daran glauben.
»Ich gehe vorn am Tor nachsehen, ob ich irgendwelche Spuren finde«, sagte Brooke. »Oft sind ja Zettel dabei, wenn die Leute Tiere abgeben. Vielleicht ist er davongeweht worden.«
Mom nickte knapp und schlug im Gehen das Tuch erneut zur Seite. Die Art, wie sie die Stirn runzelte, gefiel mir gar nicht. Meine Mom hatte als Biologin in Forschungsstationen auf der ganzen Welt gearbeitet. Sie hatte im Dschungel, in der Wüste und dem ewigen Eis geforscht. Wenn jemand sich mit Tieren auskannte, dann sie. »Ich hoffe, Sharif ist bald hier.« Sie presste die Lippen aufeinander und deckte das Wallaby wieder zu.
Ich kannte diesen Blick meiner Mom und er war nie ein gutes Zeichen. Als Tierauffangstation waren wir es zwar gewohnt, verletzte Tiere zu versorgen, meistens jedoch keine dramatischen Fälle. Eine eingewachsene Kralle, ein abgebrochener Zahn oder ein eingerissenes Ohr. Autounfälle waren die schlimmsten, aber auch wenn Jungtiere von Bäumen fielen, waren die inneren Verletzungen oft groß. Doch wir hatten Glück, in Sharif einen wunderbaren Tierarzt gefunden zu haben, dem das Wohl seiner Patienten über alles ging.
Dad erschien an Moms Seite. »Sharif ist in zehn Minuten hier.« Er hielt uns die Tür zum Haupthaus auf und gemeinsam betraten wir den Eingangsbereich. Unzählige Türen zweigten von hier aus ab. Zu den Büros, einem Tagungsraum, einer Bibliothek und natürlich den Schulungsräumen. Wir bekamen oft Besuch von Schulklassen oder Studentengruppen, die mehr über unsere Arbeit erfahren wollten. Emmy, ein zahmer Schimpanse, der so etwas wie das Maskottchen der Station war, schwang sich an den massiven Balken unter der Decke entlang und folgte uns. Ich schenkte ihr ein Lächeln, doch heute hatte ich keine Zeit für eine ausgiebige Begrüßung. Emmy schien enttäuscht, dass niemand sie beachtete, und blieb zurück. Dad hielt uns die Tür mit dem großen rot-weißen Schriftzug »Praxis« auf. Hier gab es zwei Behandlungsräume, einen OP, einen Röntgenraum und einen Bereich, in dem die kranken Patienten untergebracht und versorgt wurden, die zur Beobachtung bleiben mussten. Manaia stand in der Tür des Behandlungsraums. Sie hatten den Tisch bereits hochgefahren und eine sterile Unterlage darauf ausgebreitet. Das kleine Wallaby blinzelte wegen der plötzlichen Helligkeit der Strahler, die direkt über dem Tisch angebracht waren.
»Helft mir, bitte«, sagte ich und streckte vorsichtig die Arme aus, kaum dass ich vor dem Tisch stand. Noah und Manaia assistierten mir, damit ich das kleine Wallaby auf dem Tisch ablegen konnte, ohne es allzu sehr zu bewegen.
Es atmete wieder schwerer, also schlug ich das Handtuch abermals vorsichtig zurück. Sein Körper wirkte so zart, so verletzlich. Das dunkelbraune Fell färbte sich zum Bauch hin weiß und zu den Pfoten hin schwarz. Die dunkle Nase zitterte, als ich mich zu ihm lehnte.
»Keine Angst«, flüsterte ich. »Wir tun dir nichts.« Der Blick des Wallabys wanderte zu mir und verharrte dort. Ich lächelte, obwohl mir das Herz zum zweiten Mal an diesem Morgen brach.
»Der Kleine ist kaum ein paar Monate alt«, sagte Dad, der über Manaias Schulter sah. Dad war auf der Insel aufgewachsen, seine Eltern hatten diese Tierauffangstation gegründet. Wie meine Mom war er Biologe, hatte sogar auf Hawaii studiert. Er hatte sich sein ganzes Leben lang dieser Station gewidmet, genauso wie ich es tun würde.
Mom beugte sich nah zu mir. »Diese Verletzungen sind absolut untypisch.« Sie hatte sich Einmalhandschuhe übergezogen und schob das Fell nahe der Schnitte ein wenig zur Seite. »Was kann das gewesen sein? Sie sind so präzise und gerade.« Sie schüttelte den Kopf. »Vielleicht eine Landmaschine? Oder ist es unter einen Rasenmäher geraten?«
Das Geräusch schwerer Sohlen erklang auf den Fliesen. »Da bin ich.« Unser Tierarzt Sharif Maddock-Bustami stand in der Tür, bekleidet mit seinen geliebten Timberlands, einer dunklen Jeans und einem T-Shirt, das er nur hastig übergezogen zu haben schien. Sein dunkles Haar stand wild von seinem Kopf ab. Sharif war Anfang dreißig, halb Inder, halb Schotte und brachte mit seinen knapp zwei Metern und dem gut geschnittenen Gesicht, ganze Studentinnen-Grüppchen zum Kichern.
Wir wichen zur Seite, um ihm Platz zu machen. Sharif hatte sich im Vorbeigehen ein paar Einmalhandschuhe geschnappt und zog sie über, während er sich dem Tisch näherte.
»Oha.« Er beugte sich über seinen kleinen Patienten und sah sich alles genau an. Er musterte das Handtuch und runzelte die Brauen. Vorsichtig überprüfte er ein paar Reflexe an den Pfoten des Wallabys, ehe er sich wieder aufrichtete. »Delilah, Manaia, ihr bleibt. Der Rest, raus mit euch.« Sein schiefes Lächeln nahm seiner Anweisung die Schärfe.
Dad klopfte Sharif beim Herausgehen auf die Schulter, Mom lächelte mir ein letztes Mal zu, bevor sie zusammen mit Noah den Raum verließ. Ich hingegen griff nach ein paar Handschuhen und sah Sharif hoffnungsvoll an. »Was sagst du?«
Sharif hatte den Blick wieder auf das Wallaby gerichtet. »Die Schnittwunden können leicht genäht werden. Ich frage mich nur, woher das Blut auf dem Unterbauch kommt. Bevor wir es unnötig bewegen, müssen wir es röntgen. Auf diese Weise lassen sich Verletzungen an der Wirbelsäule ausschließen und eventuelle Knochenbrüche feststellen. Blut im Bauchraum lässt sich so auch erkennen. Nicht, dass ein gesplitterter Knochen noch mehr Schaden anrichtet, nur weil ich es umdrehe.«
Manaia Akana, seit zwanzig Jahren Tierpflegerin und gelernte Tierarzthelferin, nickte knapp und machte sich daran, alles fürs Röntgen vorzubereiten. Sie und Sharif verstanden sich wortlos, worum ich sie manchmal beneidete. Eigentlich lebte sie mit Mann und Kindern im zwanzig Minuten entfernten Pukalani, aber wenn sie Nachtdienst hatte, schlief sie im Gästehaus. Wofür ich in diesem Moment sehr dankbar war.
»Du hast es gefunden? Wo genau?« Sharif hatte sich erneut über das Wallaby gebeugt. »Hilf mir mal.« Er deutete auf die gegenüberliegende Seite des Tisches.
Ich berichtete ihm, wo ich das Wallaby gefunden hatte, während ich mich ihm gegenüberstellte. Er hob den uns zugewandten Arm des Wallabys an und bedeutete mir, ihn festzuhalten. Dann tastete er vorsichtig den Brustkorb ab. »Auf den ersten Blick scheint nichts gebrochen zu sein, aber sie ist definitiv dehydriert und unterernährt. Wir werden die Kleine ordentlich aufpäppeln müssen.«
»Es ist ein Mädchen?«
Sharif sah zu mir und nickte. »Sie hat ganz schön was mitgemacht, aber sie ist stärker, als sie aussieht. Hoffen wir, dass das Röntgen keine Überraschungen bringt.«
Manaia war wieder da, das Zeichen dafür, dass alles bereit war. Sie trug bereits eine schwere Bleischürze, um die schädlichen Strahlen abzuhalten, was in Kombination mit ihrem Schlafanzug wirklich abenteuerlich aussah.
Sharif hob die Kleine vorsichtig an und ich folgte ihnen. Hoffentlich behielt Sharif recht mit seiner Einschätzung.
Ein paar Minuten später befanden wir uns wieder im Behandlungsraum. Die Röntgenbilder hatten gezeigt, dass das Wallaby sich eine Schulter gebrochen hatte und ein Fremdkörper in seinem linken Oberschenkel steckte. Das schmutzige Handtuch hatten wir entsorgt und sie auf die Seite gedreht.
Sharif hatte einen langen fingerbreiten Holzsplitter als den Übeltäter identifiziert. Dies war die schlimmste Verletzung und sie musste als erste versorgt werden. Ich assistierte ihm beim Säubern und Nähen der Wunde, während Manaia die Narkose überwachte. Wir versorgten die gebrochene Schulter und den linken Oberschenkel, nähten die zwei langen Schnittwunden und noch während das Wallaby fest schlief, legte Sharif einen Zugang, um es per Tropf mit ausreichend Flüssigkeit zu versorgen.
In dem großen Raum, in dem wir das Kleine in einen mit weichen Decken gepolsterten Käfig legten, beobachteten die anderen Patienten, was vor sich ging. Ein Mungo mit einer entzündeten Pfote schob seine Schnauze neugierig durch die Gitterstäbe. Ein Chamäleon mit lädiertem Nashorn legte den Kopf schief. Nur ein weiterer Käfig war belegt, doch die junge Fledermaus mit dem gebrochenen Flügel schlief seelenruhig.
Ich strich der Kleinen über den weichen Kopf. »Ruh dich gut aus. Bald geht es dir besser.« Dann schloss ich geräuschlos die Tür des Käfigs.
Als ich mich umdrehte, hatte Sharif die Arme vor der breiten Brust verschränkt und sein finsterer Blick verriet, dass dies noch nicht das Ende der Geschichte war. »Danke für eure Hilfe. Kommt, wir sollten mit Clara und Henry reden.«
Manaia und ich folgten ihm, als er mit langen Schritten vorausging. Wir fanden meine Eltern in ihrem gemeinsamen Büro. Beide waren mittlerweile vollständig bekleidet und saßen vor ihren PCs an ihren Schreibtischen. Das große Fenster stand weit offen und ließ den süßen Duft der nah am Haus wachsenden Frangipani ein. Emmy hockte in einem Korbstuhl und nagte an einem Apfel.
»Und?« Mom war sofort aufgesprungen. Beide Gesichter meiner Eltern zeigten Sorge.
Sharif wirkte aufgebracht. »Solche Verletzungen holt sich ein Tier nicht im Wald.«
Dad war jetzt auch aufgestanden. Er deutete auf die Sitzecke. »Setzen wir uns. Möchte jemand einen Kaffee?« Wir verneinten und ließen uns um den niedrigen Tisch in den Korbstühlen nieder. Mom nahm Emmy auf den Schoß, damit wir alle Platz fanden.
Brooke, jetzt bekleidet in Cargo-Shorts und Sea Shepherd- Shirt kam ins Büro. »Wie geht’s dem Patienten?«
Brooke stammte ursprünglich aus Kansas und forschte hier für ihre Doktorarbeit. Sie lebte seit einem halben Jahr bei uns und dank ihrer herzlichen und zupackenden Art war sie schnell zu einem Teil der Familie geworden.
Sharif und Dad sprangen auf, doch Brooke winkte ab und zog kurzerhand Dads Drehstuhl heran.
»Sie hat das Schlimmste überstanden«, sagte Sharif. »Jetzt schläft sie noch, sollte aber bald aufwachen.«
»Das freut mich sehr.« Brooke lächelte ihn an, auch Mom und Dad seufzten erleichtert. »Ich habe dein Surfbrett und das Bike eingesammelt, Lila. Lehnt beides hier um die Ecke.« Sie deutete mit dem Kopf Richtung Fenster und ich lächelte sie dankbar an. »Leider habe ich nichts gefunden. Keinen Zettel.«
»Ich gehe nicht davon aus, dass das Tier angefahren wurde.« Sharifs fast schwarze Augen blitzten auf. »Dafür waren die Schnitte viel zu präzise. Die zwei Verletzungen an der einen Seite des Oberschenkels könnten fast von einem Messer stammen. Wie der lange Holzsplitter auf der anderen Seite dorthin gelangt ist, möchte ich mir gar nicht vorstellen. Außerdem ist sie dehydriert und stark unterernährt.«
Ich hatte einen dicken Kloß im Hals, als ich eins und eins zusammenzählte. »Jemand hat ihr das angetan?«
Sharif nickte. »Vermutlich. Alles deutet darauf hin, dass sie im Haus gehalten wurde.«
»Wir sollten Anzeige gegen unbekannt erstatten«, sagte Manaia. »Das ist Tierquälerei.«
Alle nickten zustimmend.
Dad seufzte. »Wenigstens hatte der Unbekannte so viel Gewissen, die Kleine hier abzulegen.«
»Feigling«, brummte Sharif. »Sie hätte verbluten können, hätte Delilah sie nicht so früh gefunden.«
Plötzlich ruhten alle Blicke auf mir.
»Wo ist Noah eigentlich?«, fragte ich schnell. Ich war mir sicher, ihn würden die Neuigkeiten ebenfalls interessieren und so viel Aufmerksamkeit war mir unangenehm.
»Er ist schon auf dem Weg zum Flughafen«, sagte Mom und hielt Emmy davon ab, ihr den Apfel vor den Mund zu halten. »Um halb acht landet dort unser neuer Helfer, Ace St. Clair. Er bleibt für drei Monate.«
Ich erinnerte mich, dass Dad davon erzählt hatte. Wir hatten regelmäßig Hilfskräfte, die für zwei, drei Monate blieben, deswegen verlor ich schnell den Überblick.
Emmy hatte den Apfel fallen gelassen und kletterte jetzt über alle Anwesenden bis zu mir, was für ein paar Lacher sorgte und die düstere Stimmung etwas aufhellte. Sie sah mich mit ihren klugen hellbraunen Augen an und zog dann die Lippen zurück. Es war ihre Art, zu lächeln. Ich drückte sie an mich. Nach dem Schreck war das Gefühl ihres warmen Körpers eine Wohltat für meine Seele. Ich würde als Nächstes duschen, etwas frühstücken und dann gleich nach dem kleinen Wallaby sehen. Ich fühlte mich für sie verantwortlich, weil ich sie gefunden hatte. Gleichzeitig war ich froh, dass ich Sharif assistiert und dem Wallaby so hatte helfen können. Dieses Gefühl war schon immer mein Antrieb, mein Motor gewesen. Ich wollte helfen, ich wollte Gutes tun. Und als ich nun den Blick in die Runde schweifen ließ, all diese Menschen sah, die ihr Leben dem Tierschutz gewidmet hatten, überkam mich ein Glücksgefühl, das meine Zweifel und Ängste für einen Moment in den Hintergrund rücken ließ.
ACE
Der Boden des Terminals war mit plüschigem rotem Teppich ausgelegt und überall duftete es nach Blumen. Beim Kahului Flughafen handelte es sich um einen relativ modernen Flachbau mit großen bodentiefen Fenstern zu allen Seiten. Ich sah mich um und entdeckte nichts als Grün in der Ferne. Okay, an einer Seite hatte man neben dem Rollfeld einen großen Parkplatz angelegt. Doch direkt dahinter glitzerte das endlose türkisfarbene Meer. Um mich herum schienen alle bester Laune zu sein. Bunt gekleidete Touristen, denen das Grinsen ins Gesicht gemeißelt schien. Ehrlich? Ich hatte das Gefühl, am Set des kitschigsten Disneyfilms ever gelandet zu sein.
Einen Moment lang waren meine Zweifel so groß, dass ich überlegte, schnurstracks zum nächsten Schalter zu marschieren und mein Rückflugticket zu buchen. Doch ehe ich diesen Plan in die Tat umsetzen konnte, erklang von irgendwoher mein Name.
»Ace St. Clair?«
Ich drehte mich zu der Stimme um. Ein Typ, etwa in meinem Alter, klein, drahtig und mit stachelig vom Kopf abstehenden braunen Haaren, eilte auf mich zu. Er lächelte nicht, schien einfach nur freundlich und irgendwie war ich erleichtert. Ich nickte knapp.
Er streckte mir die Hand hin. In der anderen hielt er eine rosafarbene Blumenkette. »Hi! Ich bin Noah Palakiko. Ich hole dich ab.«
Ich schüttelte seine Hand. »Freut mich, Noah. Danke fürs Abholen.«
»Kein Ding.« Und mit diesen Worten hängte er mir die Blumenkette um. Er war fast einen Kopf kleiner als ich, aber so flink, dass ich nicht bemerkte, wie er es anstellte.
»Welina, Bro.« Und jetzt grinste er so breit wie alle anderen.
»Entschuldige?«
Noah kicherte. »Willkommen, Bruder. Ist das dein ganzes Gepäck?« Er deutete mit dem Finger auf meine zwei Reise-taschen.
»Ja.«
»Alles klar.«
Bevor ich protestieren konnte, hatte er sich eine der Taschen geschnappt und ging voraus. Ich betrachtete meine rosa Blumenkette, auf der ein kleiner Käfer umherflitzte. Konnte mich mal jemand kneifen? Ich seufzte und fragte mich nicht zum ersten Mal, was mich geritten hatte, mich ausgerechnet für einen Job in diesem fröhlich-bunten Paradies zu bewerben.
Noah gehörte zum Glück nicht zu der Sorte Mensch, die auf Small Talk standen. Er warf mein Gepäck auf die Rückbank eines offenen Jeeps und nur Minuten später hatten wir das Flughafengelände verlassen. Mittlerweile fuhren wir über den Hana Highway Richtung Ho’okipa, dessen Strand besonders bei Surfern sehr beliebt war. Der warme Wind zerrte an meinem Haar. Zur Rechten erstreckte sich weites Grasland, das den Blick auf den in der Ferne liegenden Vulkan freigab. Zur Linken lag das Meer, dessen Wellen über den weißen Sandstrand glitten. Ich genoss das Gefühl der wärmenden Sonne auf meinem Gesicht. Über uns kreischten Seevögel und die Luft schmeckte salzig. Ich atmete tief durch und fühlte mich gleich leichter. Ich war niemand, der an esoterischen Hokuspokus glaubte. Aber vielleicht stimmte es doch, dass die Insel Maui glücklich machte?
Wir hielten an einer Ampel. Rechts von uns befand sich ein sandiger Platz, auf dem ein paar Foodtrucks standen und die Surfer ihre Bullis geparkt hatten. Ein Cabrio bog mit Schwung in eine Parklücke und die fünf Mädels darin kreischten auf, bevor der Wagen zum Stehen kam.
Ich wusste nicht, was es war, das Kreischen der Mädchen, oder das Quietschen der Bremsen – es katapultierte mich in die Vergangenheit. In ein Inferno aus rot glühenden Flammen und eine alles versengende Hitze. Zurück in die Dunkelheit, den Schmerz, die Angst. Die Schreie der Mädchen wurden zu Trevors. Ich hatte sein Gesicht vor Augen, den panischen Blick, die versengten Brauen, die mir entgegengestreckte Hand. Ich keuchte auf und hustete wie damals, obwohl in diesem Moment kein Rauch in meine Lungen gedrungen war.
»Ace?« Eine Stimme, eine Berührung an meinem Oberarm. Ich zuckte zusammen, blinzelte, fiel zurück in die Realität.
»Alles gut«, stieß ich hervor und wischte mir kurz über die Augen. Ich drehte den Kopf und sah in Noahs besorgtes Gesicht. Es kostete mich Mühe, zu lächeln. »Es ist nichts. Danke.«
»Okay.« Er klang nicht überzeugt, doch da sprang die Ampel auf Grün um und er musste Gas geben.
Ich drehte den Kopf absichtlich zur anderen Seite. Nicht, weil ich Noah unsympathisch fand, sondern weil ich einem Gespräch ausweichen wollte. Mein Blick fiel in den Seitenspiegel des Wagens. Mein dunkelblondes Haar wehte wild um meinen Kopf. Die Ringe unter meinen Augen waren immer noch zu tief, ich war zu blass und man sah mir vermutlich sehr deutlich an, dass ich die letzten Nächte kaum geschlafen hatte. Ich war froh, dass die Sonne dafür sorgen würde, dass ich etwas Farbe bekam. Ich sah nämlich echt aus wie eine Leiche, die zu lange im Wasser gelegen hatte. Doch eigentlich spiegelte mein Aussehen meinen Gemütszustand gut wider. In den letzten Monaten war ich herumgeirrt wie ein Zombie. Der Unfall hatte alles verändert und nun kämpfte ich einen erfolglosen Kampf gegen die Schatten, die seit diesem Tag zu meinen Begleitern geworden waren.
Um mich nicht wieder von ihnen überwältigen zu lassen, lenkte ich meinen Blick auf die faszinierende Landschaft, die an uns vorbeizog. Das Grasland wich ganz langsam einer immer dichteren Vegetation. Die Sträucher wurden größer und breiter. Die Bäume höher und ihre Kronen ausladender. Das Meer zur Linken blieb, doch irgendwann erstreckte sich rechts von mir ein Regenwald, der in allen Grüntönen erstrahlte. Ich wusste, dass die Insel Maui viele verschiedene Naturphänomene zu bieten hatte. Doch dass es so umwerfend sein würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
Noah schien meine Begeisterung zu spüren. »Ich bin auch immer wieder fasziniert, wie schnell sich die Landschaften hier verändern.«
»Es ist wunderschön«, erwiderte ich mit rauer Stimme.
Noah lachte leise. Er bremste den Jeep ab und bog dann mitten in den Regenwald ein. Der Weg war kaum mehr als eine Fahrrinne zwischen dicht stehenden Bäumen. Doch dann entdeckte ich das Schild. Keanae Wildlife Shelter stand dort in roter Schrift auf dunkelgrünem Hintergrund. Der Name der Tierauffangstation, die für die nächsten drei Monate mein Zuhause sein würde. Aufregung machte sich in mir breit und ich richtete mich etwas gerader in meinem Sitz auf. Wir fuhren ein paar Meilen durch den Wald. Die Baumkronen waren so dicht, dass sie nur in unregelmäßigen Abständen das Tageslicht hindurchließen. Und dann ging es ein wenig bergauf, bis wir schließlich auf die Anlage zusteuerten. Wir passierten ein Tor und erreichten ein großes Haus, an das sich links zwei kleinere Gebäude anschlossen. Im Hintergrund des Haupthauses an der rechten Seite waren Käfige. Vor dem Hauptgebäude stand ein Elektroauto, neben dem Noah jetzt den Jeep parkte. Als ich ausstieg, entdeckte ich einen schmalen Trampelpfad, der rechts vom Gelände Richtung Meer führen musste.
»Lass die Taschen im Auto. Wir sagen erst mal Hallo.« Noah war bereits ausgestiegen und ging voraus. Er deutete mit dem Arm auf eins der kleineren Holzhäuser. »Das ist das Gästehaus, dort wirst du wohnen. Mein Zimmer ist ebenfalls dort.«
»Du bist auch ein Helfer?«, fragte ich, während wir auf das Haupthaus zugingen.
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin Tierpfleger. Aber ich wohne auf dem Gelände, weil es umsonst ist und ich auf diese Weise immer da bin, wenn Not am Mann sein sollte.« Er war langsamer geworden, damit ich zu ihm aufschließen konnte. »Gerade heute hatten wir wieder so einen Fall. Lila hat ein verletztes Wallaby gefunden. War ’ne richtig knappe Kiste.«
Obwohl ich nicht ganz verstand, was er da erzählte, nickte ich, während ich mich aufmerksam umschaute. Die Anlage schien sehr gepflegt und ihre Architektur passte gut in die Umgebung. Noah stieß einen Türflügel zum Haupthaus auf und wir betraten den Eingangsbereich. Er war groß und ziemlich hoch. Ich wollte gerade etwas sagen, als ein Affe vom Himmel fiel und direkt in Noahs Armen landete.
Ich war ziemlich perplex, doch Noah lachte nur. »Emmy! Du liebst den großen Auftritt, oder? Das ist Ace«, stellte er mich dem Tier vor. »Er wird drei Monate hier arbeiten. Sag ihm Hallo.«
Der Affe, Emmy, streckte mir tatsächlich die Hand hin. Ich schüttelte sie. »Freut mich sehr, Emmy.«
Emmy zog die Lippen zurück und gab ein gackerndes Lachen von sich, dann machte sie sich von Noah los und jagte davon.
»Sie gehört praktisch zum Inventar und ist absolut großartig«, erklärte Noah, während wir auf eine geschlossene Tür mit der Aufschrift »Büro« zugingen. Er klopfte an, dann öffnete er.
»Niemand da.« Er deutete in die andere Richtung der Halle. »Dann sind vermutlich alle bei dem Wallaby.«
Ich hatte diesen Namen schon mal gehört, war mir aber nicht ganz sicher, um was für eine Art von Tier es sich handelte. Da ich mir keine Blöße geben wollte, fragte ich natürlich nicht nach.
So wie es aussah, betraten wir nun die Tierarztpraxis. Ich hatte die Homepage samt Lageplan ausgiebig studiert, um mich auf meinen Job vorzubereiten. Als wir einen weiß gekachelten Raum betraten, drehten sich mehrere Köpfe neugierig in unsere Richtung. Ich erkannte die Inhaber sofort von den Fotos im Internet. Dr. Clara und Dr. Henry Harrow. Sie leiteten die Station. Auch den Tierarzt, Dr. Sharif Maddock-Bustami, erkannte ich.
Ich wurde sehr freundlich begrüßt und alle stellten sich mit Vornamen vor. Neben dem Tierarzt stand eine kleine Frau in mittleren Jahren, deren Name Manaia war. Zuletzt zog ein Mädchen in meinem Alter die Hand aus einem Käfig, in dem ein kleines Känguru saß und streckte sie mir hin. »Hi, ich bin Lila.«
Während ich ein »Freut mich, Lila, ich bin Ace« antwortete, erinnerte ich mich an Noahs Worte. Sie hatte das … was war das noch gewesen …? Ein Wallaby … gefunden. Noah fragte nach den Verletzungen und in dem Gespräch mit dem Tierarzt wurde klar, dass es sich bei dem Wallaby um das kleine Känguru handeln musste. Es sah wirklich niedlich aus, obwohl es verletzt zu sein schien, doch mein Blick glitt immer wieder unauffällig zu Lila. Langes dunkelbraunes Haar umrahmte ihr herzförmiges Gesicht. Dunkle Brauen überdachten in sanft geschwungenen Bögen ihre Augen. Ihre Lippen waren voll und sinnlich und mein Blick schien wie magisch davon angezogen. Sie war ungeschminkt, trug ein verblichenes Tanktop und knielange Surfshorts, die ihr eine Nummer zu groß waren. Und dennoch war sie auf eine unangestrengte Art anziehender als all die perfekt zurechtgemachten Mädels, die einem in den Clubs von Milwaukee begegneten.
»Ich bleibe bei ihr, bis sie etwas gegessen hat«, sagte Lila gerade. Unsere Blicke trafen sich und als sie die Hand erneut nach dem Känguru ausstreckte, blitzte ein wilder Beschützerinstinkt darin auf. Sie war in diesem Moment so umwerfend, dass ich den Atem anhielt. Ich lächelte sie an und als sie es erwiderte, trat ich einen Schritt nach hinten über den Abgrund und fiel, während mein Herz zu rasen begann.
LILA
»Hallo, hier ist Lila. Herzlich willkommen, oder willkommen zurück auf meinem Kanal. Leute, ich muss euch unbedingt erzählen, was heute Morgen passiert ist. Ein Unbekannter hat ein verletztes Wallaby vor unserer Tür abgelegt. Da Wallabys auf Maui nicht heimisch sind, gehen wir davon aus, dass die Kleine illegal gehalten wurde. Vermutlich wurde das Grundstück nicht gut genug gesichert und sie ist über den Zaun gehüpft und in einen angrenzenden Wald geflüchtet. Die Art ihrer Verletzungen legt die Vermutung nahe, dass sie sich diese Schnitte nicht in der Natur zugezogen hat. Doch das sind nur Spekulationen. Die Kleine ist stark und wird vermutlich durchkommen, aber dennoch …«
»Das ist echt unfassbar. Wie kann man so etwas tun?« Kalani, die neben mir vor meinem Schreibtisch saß, klang entsetzt und angewidert zugleich. »Ihr vermutet wirklich, dass ihr Halter ihr das angetan haben könnte? Bitte sag mir, dass sie es überleben wird.«
Ich hatte das YouTube-Video, das ich gerade zu schneiden begonnen hatte, angehalten und nickte zustimmend.
»Sharif sagt, wenn sie die Nacht ohne Komplikationen übersteht, hat sie gute Chancen.«
»Wer auch immer ihr das angetan hat, sollte besser nicht meinen Weg kreuzen.« Georgia, die eine Abneigung gegen Sitzmöbel hatte, lag auf meinem Flickenteppich, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Ihr langes blondes Haar wellte sich noch leicht feucht vom Surfen. Emmy hatte sich neben ihr ausgestreckt und imitierte ihre Haltung. Die beiden verstanden sich ohne Worte, was den Anblick nicht weniger skurril machte.
»Meinen besser auch nicht«, brummte ich, als es klopfte und meine Mom das Zimmer betrat. »Oh, ich wusste nicht, dass du Besuch hast. Hallo Kalani, hallo Georgia.«
Ich hätte sie gerne daran erinnert, dass wir schon hundertmal vereinbart hatten, dass sie nach dem Klopfen auf mein »Herein« warten sollte. Schließlich platzte ich auch nicht einfach so in ihr Schlafzimmer. Aber Mom konnte sich nichts merken. Sie war mit ihren Gedanken schon immer drei Schritte weiter und solcherlei Banalitäten hatten in ihrem Kopf keinen Platz.
Kalani grüßte zurück, während Georgia, flink wie ein Wiesel, vom Teppich aufsprang.
»Bleib liegen, Georgia.« In Moms Stimme schwang ein Lachen mit. Wir drei Mädels waren seit der Schulzeit die besten Freundinnen und sie kannte all ihre Eigenarten.
»Hallo Clara.« Georgia grinste etwas verlegen und ließ sich auf meiner durchgesessenen Couch nieder. Emmy krabbelte neben sie und blinzelte hingebungsvoll zu ihr hoch.
»Wenn du nachher einen Moment Zeit hast, dann komm bitte runter ins Büro, Lila. Ich möchte mit dir reden.« Mom lächelte zwar, aber in ihrem Blick schwang eine eindeutige Aufforderung mit.
»Worum geht es? Ich wollte heute Abend das neue Video hochladen und da steckt noch etwas Arbeit drin.«
Moms hochgezogene Augenbrauen verrieten, dass der Besuch meiner Freundinnen meine sogenannte Arbeit vermutlich noch in die Länge ziehen würde. Sie und Dad verstanden diesen ganzen Hype um YouTube und TikTok nicht. Ihre Welt spielte sich zwischen Kongressen und Fachartikeln in Magazinen ab, denn nur dort konnte man in ihren Augen auf seine Arbeit aufmerksam machen. Sie beantwortete meine Frage nicht, stattdessen nickte sie knapp. »Dann heute Abend.« Schon malte sich wieder ein Lächeln auf ihre Züge. »Machts gut, Mädels.« Und weg war sie.
Warum hatte sie nicht einfach sagen können, was sie von mir wollte? Ich hatte vor meinen Freundinnen keine Geheimnisse und das wusste Mom auch. Ich verdrehte die Augen, während Kalani neben mir das Videomaterial weiterlaufen ließ. Ich hatte das kleine Wallaby in seinem Käfig gefilmt und dann extra auf den Verband gezoomt.
»Können wir sie bald besuchen?« Georgia schnippte sich eine imaginäre Fluse von ihrem Jurassic Park-Shirt. Ein Original von 1993, wohlgemerkt. Sie sammelte alle Shirts zu dieser Filmreihe und gab regelmäßig Unsummen dafür auf eBay und Co. aus. »Oder hat Sharif für die nächsten Tage Quarantäne angeordnet?« Sie faltete die langen Beine, die in abgeschnittenen tarngrünen Cargohosen steckten, mühelos zu einem Schneidersitz und sah mich erwartungsvoll an. Die Finger ihrer linken Hand hatte sie mit Emmys verschlungen.
»Keine Quarantäne«, erwiderte ich. »Aber er sagt, dass sie Ruhe braucht. Heute Nacht wechseln wir uns alle ab und sehen einmal pro Stunde nach ihr.«
Georgia zog ein Gesicht. »Ich würde ja bei dir schlafen und eine Schicht übernehmen, aber ich bin bei Davids Eltern zum Abendessen eingeladen und wenn ich das wieder absage, bringt er mich um.«
»Und das wollen wir auf gar keinen Fall«, erwiderte ich lächelnd. Georgia und ihr Freund David waren seit der Highschool ein Paar und würden in wenigen Wochen zusammen zum Studieren an die Universität von Hawaii gehen. Sie wollte Paläontologin werden und David Rechtsanwalt.
Neben mir erklang ein Seufzen. »Und ich habe ab 22 Uhr die Nachtschicht an der Rezeption.«
Ich legte Kalani eine Hand auf den Unterarm. »Hey, das ist kein Problem. Ihr wisst doch, wie oft wir solche Nachtwachen machen. Ich bin das gewohnt.«
Trotzdem sah Kalani aus, als habe sie mich enttäuscht. »Jetzt guck nicht so.« Ich zupfte an einer der dunkelbraunen Locken, die ihr herzförmiges Gesicht einrahmten.
Endlich lächelte sie wieder. Kalanis Eltern gehörte ein Hotel auf der Insel und im Familienbetrieb mussten alle mitarbeiten. Doch sie liebte, was sie tat, und genau deshalb würde sie am Ende des Sommers ihre Lehre zur Hotelfachfrau beginnen.
»Moment mal, wer ist das denn?« Georgia hatte den Rücken durchgestreckt und starrte durch das Fenster rechts von uns. Ich folgte ihrem Blick. Vor dem Haus gegenüber standen Noah und Ace. Letzterer hob gerade sein T-Shirt an, um sich damit über die Stirn zu wischen. Und präsentierte einen Waschbrettbauch, der aus der Entfernung aussah wie gephotoshoppt.
Georgia gab ein entzücktes Quietschen von sich, dann sah sie mit großen Augen zu mir. »Hallo? Wer ist das Fitnessmodel? Du hast ihn bisher mit keinem Wort erwähnt. Oder wolltest du ihn ganz für dich behalten?«
»Quatsch«, erwiderte ich und bemühte mich, möglichst unbeteiligt zu wirken. »Er ist unsere neue Aushilfe. Ace heißt er, glaube ich. Ich kenne ihn erst seit heute.«
Während Georgia schon wieder quietschte, warf ich erneut einen kurzen Blick durch das Fenster. Noah erzählte irgendetwas und Ace grinste schief. Sie wirkten beide verschwitzt. Ich vermutete, dass sie die Außenkäfige gereinigt hatten. Bei uns genossen die Neuankömmlinge keinen Welpenschutz, sondern wurden gleich ins kalte Wasser geworfen. Und wer einmal einen Affenkäfig gesäubert hatte, ohne schreiend davonzulaufen, blieb für gewöhnlich bis zum Ende der vereinbarten Zeit.
Mein Blick ruhte auf seinem Gesicht und wieder war da dieses Prickeln, das ich bereits bei unserer ersten Begegnung gespürt hatte. Mir gefiel, was ich sah. Aber …
»Wo kommt er her? Warum ist er hier? Und ist er nicht genau dein Typ?« Georgia feuerte ihre Fragen auf mich ab, während Kalani neben mir nur den Kopf schüttelte. »Bei deiner Begeisterung kann man nicht glauben, dass du schon seit mehr als drei Jahren in einer glücklichen Beziehung bist.«
Georgia winkte ab. »Ich finde ihn doch nicht für mich gut, sondern für Lila. Und warum sollte ich nicht sagen dürfen, dass ein Typ gut aussieht?« Georgia verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich kann doch nicht die Tatsachen leugnen. Und dass er Lilas Typ ist, lässt sich nicht abstreiten.« Sie zwinkerte mir zu.
»Oder?«
»Du erinnerst dich, dass ich in wenigen Wochen zum Studieren wegziehe und er hier nur ein paar Wochen als Aushilfe arbeitet?«
»Du sollst ihn ja nicht gleich heiraten. Das mit Milo hat dich so runtergezogen. Vielleicht ist es Zeit für ein bisschen unverbindlichen Spaß ohne Zukunftspläne.« Sie grinste breit. »Und der Typ da draußen sieht definitiv aus, als könne man mit ihm Spaß haben.«
»So bin ich nicht«, erwiderte ich leise. »Das weißt du doch.« Ich warf einen letzten Blick auf Ace und wandte mich dann wieder meinen Freundinnen zu. »Mal abgesehen davon, dass im Moment echt andere Dinge wichtiger sind. Ich will mit diesem Video herausfinden, wer das Wallaby bei uns ausgesetzt hat. Illegale Tierhaltung ist strafbar.« Ich strich mir unwirsch eine Strähne aus dem Gesicht. Emmy war von der Polizei aus so einer illegalen Haltung befreit worden und ich erinnerte mich sehr gut, in was für einer miserablen Verfassung sie gewesen war. »Und das war kein Autounfall oder ein Unfall im Wald, Sharif hat das ausgeschlossen. Jemand hat ein Tier schwer verletzt und es war ihm egal, ob es überlebt. Niemand, der eine Seele besitzt, kann einem Tier so etwas antun.« Meine Stimme zitterte leicht, so sehr nahm mich das Schicksal der Kleinen mit.
Jetzt war es Kalani, die ihre Hand sanft auf meinen Arm legte. »Das ist eine gute Idee. Ich bin mir sicher, deine Community wird dir helfen. Du hast so viele Abonnenten, die hier auf den Inseln leben. Da ist sicherlich ein konkreter Hinweis dabei und dann kannst du Anzeige erstatten.« Ihr Lächeln war voller Zuversicht. »Und wenn wir dir irgendwie behilflich sein können, du weißt, dass wir immer für dich da sind.«
»Stimmt«, kam es von Georgia, die Emmy jetzt wie ein Baby auf ihrem Schoß wiegte.
Kalani drückte noch einmal meinen Arm, dann erhob sie sich. Sie strich ihr pinkfarbenes Maxikleid mit dem gelben Blütenmuster glatt, das sich strahlend von ihrer braunen Haut abhob. »Ich hole uns mal etwas zu trinken aus der Küche. Ich glaube, wir können alle eine Erfrischung gebrauchen.«
»Danke dir.« Ich sah ihr nach, wie sie mit wiegenden Hüften das Zimmer verließ.
»Du willst wirklich versuchen, über YouTube den Besitzer der Kleinen zu finden?« Georgia klang jetzt ernst. »Verstößt so ein Aufruf nicht gegen irgendein Gesetz?«
Ich presste die Lippen zusammen. Georgia hatte recht. Dennoch würde mich das nicht aufhalten. »Ich werde es subtil formulieren.«
»Pass bloß auf«, sagte meine Freundin und ich hörte Sorge in ihrer Stimme mitschwingen. »Du kannst nicht voraussagen, wie derjenige reagieren wird. Jeder weiß, wo du lebst. Willst du dir das nicht noch mal überlegen?«
Ich dachte an die grausamen Verletzungen und an die Angst im Blick des Wallabys. Ich hatte den metallisch-süßen Geruch des Blutes in der Nase. Wut loderte in meinem Bauch auf wie glühende Lava. Ich wollte Gerechtigkeit für ein Lebewesen, das sich nicht selbst wehren konnte. »Nein«, erwiderte ich.
Um 18:30 Uhr befand ich mich auf dem Weg zu Ace’ Zimmer. Deswegen hatte Mom vorhin mit mir reden wollen. Statt wie üblich Noah sollte ich unserem Neuankömmling die Insel zeigen.
Noah war heute Abend schon verabredet und Mom war nicht bereit, Ace’ Einführungstour auf morgen Abend zu verschieben. Also musste ich einspringen. Scharf drauf war ich allerdings nicht.
Erstens war ich nicht so ein Unterhaltungstalent wie Noah und zweitens konnte ich mich in Gesellschaft von Fremden einfach nicht so zwanglos geben wie manch anderer.
Die Aussicht, mich im schlimmsten Falle zu blamieren oder ihn auch nur zu langweilen, ließ meine Laune rapide sinken.
Außerdem hatte ich es immer noch nicht geschafft, das neue Video bei YouTube hochzuladen. TikTok war kein Problem gewesen, aber für YouTube arbeitete ich ausschließlich mit Freeware und das Programm war beim Voiceover ständig abgestürzt.
Ace’ Tür war angelehnt, dennoch klopfte ich.
»Ja?«, erklang es von drinnen.
Ich stupste die Tür an und sie schwang auf. Ace saß auf seinem Bett und hatte einen Laptop aufgeklappt auf dem Schoß. Er musste geduscht haben, sein helles Haar war noch feucht, und er trug andere Kleidung als vorhin.
»Hi.« Er lächelte nicht wirklich, aber er hob die Brauen, was seinen Gesichtsausdruck freundlicher machte. Mit einer Hand klappte er den Laptop zu.
Als wenn mich interessieren würde, was er sich ansah. »Hi.«
Er legte den Laptop zur Seite. »Was kann ich für dich tun?«
»Ich soll dir die Insel zeigen.«
Ace musterte mich. »Aha.« Mehr kam von ihm dazu nicht.
Ich machte eine schwungvolle Geste zur Tür. »Wollen wir? Wir könnten uns unterwegs etwas zu essen holen. Dad ist heute Abend mit Kochen dran und er hat schon angekündigt, dass es Salat geben wird. Nur Salat. Er ist tatsächlich der Meinung, dass irgendjemand davon satt wird.«
Ace verzog erneut keine Miene. Stattdessen betrachtete er mich, als wollte er herausfinden, was mit mir nicht stimmte.