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Bestsellerautorin Kira Licht schreibt Suspense!
Mae ist alles andere als begeistert, als sie zu ihren Großeltern in das kleine Örtchen Tallahawney in die Südstaaten ziehen soll, um endlich Disziplin zu lernen und ihren Highschool-Abschluss nachzuholen. Doch kurz nach ihrer Ankunft geschieht Schreckliches: Mitschülerin Shirley wurde kaltblütig ermordet. Die Polizei tappt im Dunkeln. Mae beschließt, selbst Nachforschungen anzustellen, und wird dabei von dem beliebten, aber verschlossenen Nathan unterstützt. Bald wird klar, dass jeder im Dorf etwas zu verbergen hat. Mae gerät in ein gefährliches Netz aus Lügen und Intrigen, das auch die gut gehüteten Geheimnisse ihrer eigenen Familie ans Licht bringen könnte ...
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Seitenzahl: 645
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Weitere Titel der Autorin
Titel
Impressum
Trigger
Widmung
Playlist
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EPILOG
DANKESCHÖN
Inhaltsinformation
Gold & Schatten – Das erste Buch der Götter
Staub & Flammen – Das zweite Buch der Götter
Kaleidra – Wer das Dunkel ruft
Kaleidra – Wer die Seele berührt
Kaleidra – Wer die Liebe entfesselt
Ich bin dein Schicksal – Dusk & Dawn 1
Wir sind die Ewigkeit – Dusk & Dawn 2
A Spark of Time – Rendezvous auf der Titanic
A Spark of Time – Ein Date mit Mr Darcy
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München
Copyright ® 2025 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln, Deutschland
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Textredaktion: Christiane Schwabbaur, München
Umschlaggestaltung: Massimo Peter-Bille
Umschlagmotiv: © Abstract the studio/shutterstock, Olga_Vector_Lady/shutterstock, Likanaris/shutterstock, Zita/shutterstock
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 978-3-7517-7443-7
one-verlag.de
luebbe.de
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Dazu findet ihr genauere Angaben am Ende des Buches.
ACHTUNG: Sie enthalten Spoiler für das gesamte Buch.
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche
Leseerlebnis.
Euer Team vom ONE-Verlag
Für Birgit.
Weil du gesagt hast:Du hast die Idee,jetzt schreibe sie auf.
Jace Everett – Bad Things
Carrie Underwood- Drinking Alone
LP – Lost On You (live)
Black Veil Brides – Saviour II
ROSÉ – Number One Girl
Palaye Royale – Oblivion
Madison Beer – 15 MINUTES
Tito & Tarantula – After Dark (2015 Remaster)
Sabrina Carpenter – Please Please Please
Lynyrd Skynyrd – Sweet Home Alabama
Glass Animals – Creatures in Heaven
Jackson Wang – Cruel
Bad Omens – Just pretend
Palaye Royal – Fever Dream
Lindsey Stirling – Shatter Me ft. Lzzy Hale
Alisan Porter – Blue Bayou (Studio Version)
Höre die gesamte Playlist auf Spotify: »BEAUTY MUST DIE-Playlist«
Noch lag die Dunkelheit über dem Sumpf, tintenschwarz und undurchdringlich. Lediglich ein Tierlaut, das Summen eines großen Insekts oder das Lied eines Nachtvogels durchbrachen die allumfassende Stille. Glühwürmchen tanzten wie Feuerfunken in der Luft, die erfüllt war von einem intensiven Geruch nach feuchter Erde, faulendem Laub und der verblassenden Hitze des Tages. Die Ausläufer der Mangroven, robuste Laubbäume mit fast schwarzer Rinde, ließen ihre langen biegsamen Äste tief in Richtung des Bodens hängen, wo Blasen zwischen Inseln aus Sumpfgras aufstiegen.
Als die Wolken den Mond freigaben, reflektierten unzählige Augenpaare sein Licht.
Der Schein des Himmelskörpers offenbarte, dass der Sumpf einer lebendigen Kulisse glich, erfüllt von Leben. Nachtblühende Pflanzen, deren Pollen wie Feenstaub durch die schwüle Luft waberten. Kleine fellige Jäger, deren Mäuler spitze Zähne verbargen. Majestätische Amphibien, die an den Ufern der Bayous auf Beute lauerten. Alles war in Bewegung, ein niemals endender Tanz, der ewige Kreislauf des Sumpfes. Nur der Körper der jungen Frau, sorgsam abgelegt, mit ordentlich drapierten Kleidern, wirkte, als gehöre er nicht an diesen Ort, schien fehl am Platz auf dieser Bühne blühenden Lebens.
Sie lag auf dem Rücken, die Arme wie ein gefallener Engel ausgestreckt. Ihre Knie und Füße berührten sich, der feuchte Stoff ihrer Kleidung schmiegte sich an ihren Körper. Winzige Wassertropfen hatten sich an ihren Wimpern verfangen, und ihr Gesicht zeigte immer noch die Spuren von Überraschung. Für immer erstarrt auf ihren Zügen mit den leicht geöffneten Lippen, für immer gefangen in dem leeren Blick aus ihren grünen Augen.
Ein sanfter Wind wehte vom Pearl River herüber und trug ein Flüstern mit sich. Du hast es verdient. Du hast es verdient. Du hast es verdient!
USA, Louisiana, Tallahawney
Ich konnte den Sumpf riechen.
Hinter mir gab der kleine Bus der LPT, der Louisiana Public Transportation, ein Schnaufen von sich, während ein Quietschen das Schließen seiner Tür verkündete. Ich war der einzige Fahrgast, der hier ausgestiegen war. Was mich nicht wunderte.
Tallahawney. Der verdammte Nabel der Welt. In meinem Leben war bisher eine Menge schiefgelaufen, aber das hier war definitiv der traurige Höhepunkt. Mein Blick glitt zu einem abblätternden Schild. Tallahawney – Den Süden im Herzen. Darunter war ein Alligator gemalt. Das gesamte Kunstwerk sah aus, als hätte es eine Gruppe ziemlich gelangweilter Grundschüler produziert.
Ich holte Luft, um tief zu seufzen, bereute es aber sofort. Die Luft war so feucht, dass ich sie schmecken konnte. Stumpf, herb ... und erdig. Igitt.
Laut einer sehr geschwätzigen Sitznachbarin namens Blythe wusste ich, dass es in der Gegend vier Tage lang geregnet hatte. Die Flüsse waren über die Ufer getreten, und der Honey Island Sumpf hatte sich in ein Fließgewässer verwandelt. Und all dieses Wasser im Boden schien nun in der Hitze zu verdampfen. Ich räusperte mich und ließ meinen Blick die Hauptstraße entlanggleiten. Jedes zweite Geschäft stand leer. Ich entdeckte eine Drogerie, eine Tankstelle, einen winzigen Supermarkt und ein Büro der »Pearl River Tours«. Die Kirche, ein Flachbau mit getönten Fenstern, war modern und neben dem mit Säulen geschmückten Rathaus, das einzige Gebäude, das aktiv gepflegt zu werden schien. Ein Schild im Fenster des Diners, das direkt an der Bushaltestelle lag, verriet, dass es geschlossen war.
Ich zückte mein Handy. Grandma wollte mich abholen, also wartete ich. Zehn Minuten, zwanzig Minuten, eine halbe Stunde.
Komm schon, Grandma. Ich habe drei Staaten per Bus durchquert und bin seit zwölf Stunden unterwegs.
Ich rief sie an, doch sie ging nicht dran. Ich schickte Nachrichten, die sie nicht las.
Super.
Die Straße war in der Hitze des Vormittags wie ausgestorben. Ein Mann passierte mich und hatte einen Käfig mit einem Opossum darin dabei. Zwei Traktoren ratterten vorbei, und der brüchige Asphalt vibrierte unter ihrem Gewicht.
Echt jetzt, Grandma? Sie hatte mich vergessen.
Mein Hals war trotz der hohen Luftfeuchtigkeit so trocken, dass mir das Schlucken schwerfiel. Irgendwo im Staat Mississippi war mir das Geld ausgegangen. Ich hatte unterschätzt, wie teuer die Verpflegung an Bord war. Ich hatte das Wasser in der winzigen Toilettenkabine des Überlandbusses probiert, es aber sofort wieder ins Waschbecken gespuckt, als ich das Chlor geschmeckt hatte. Mittlerweile hatte ich seit vier Stunden nichts getrunken. Ich hatte mir eingeredet, dass es nicht so schlimm war, dass ich bald bei meinen Großeltern sein würde, aber jetzt war mir schwindelig.
Nachdem ich erneut erfolglos Grandmas Nummer gewählt hatte, beschloss ich, dem »Mini Markt« einen Besuch abzustatten. Ich wollte nichts klauen. Ich hoffte, dass ich dort einen kostenlosen Becher Leitungswasser bekommen konnte.
Ich schulterte meine Reisetasche und überquerte die Straße.
Der Laden wirkte alt und nicht besonders einladend. Ein Standventilator am Eingang sollte wohl die Hitze abhalten. Drinnen wurde es nicht besser. Klebrige Fliegenfallen hingen in regelmäßigen Abständen die Decke hinab. Die Regale waren rostig, und der Holzboden hatte sich durch die Feuchtigkeit an einigen Stellen verzogen. Das Gemüse in den großen Körben wirkte frisch, aber die Etiketten der Konserven wellten sich bereits. Hinter der Theke mit der Kasse war niemand. Ich reckte den Hals. Mein Ex Slade würde sich so eine Gelegenheit nicht entgehen lassen. Und das hier war ein Notfall. Ich sah schon alles doppelt.
Trotzdem. Es hatte mir immer widerstrebt, anderen Menschen etwas wegzunehmen. Rechts von der Theke stand eine Kühlvitrine voller Getränke. Cola, Ginger Ale, Mountain Dew, Mineralwasser. Ich schluckte. Ich war so verdammt durstig. Vielleicht könnte ich jetzt eine Dose nehmen und später wiederkommen und das Geld ...
»Mae?« Ein Mädchen etwa in meinem Alter tauchte hinter der Regalreihe auf. Sie trug Jeanshotpants, ein verwaschenes weißes Shirt mit einem Einhorn darauf, eine winzige hellbraune Lederweste und einen riesigen Schlapphut in der gleichen Farbe. Ihr erdbeerblondes Haar reichte ihr fast bis zur Taille.
Mein vertrocknetes Gehirn brauchte eine Weile, bis ich sie erkannte. »Shirley, hi.«
»Was für ein Zufall, dass wir uns hier treffen. Ich hatte erst heute Nachmittag mit dir gerechnet.« Sie dehnte die Vokale, was typisch war für die Südstaaten, und ein Lachen schwang in ihrer Stimme mit. Sie kam mit langen Schritten auf mich zu, und fast rechnete ich damit, dass sie mir um den Hals fallen würde. »Wie war deine Reise? Das Essen in den Überlandbussen ist so schrecklich, oder? Ist das etwa dein gesamtes Gepäck? Und? War deine Mutter sehr emotional beim Abschied, oder ...?« Sie feuerte ihre Fragen auf mich ab, und ich war wieder etwas überfordert.
Shirley bemerkte meinen Blick und lachte. »Sorry. Ich quatsche dich voll. Wenn du hier was kaufen willst, dann leg das Geld einfach auf die Theke. Memphis ist vermutlich wieder in seinem Stuhl hinterm Laden eingeschlafen.«
Schon wieder wand ich mich. »Ich wollte eigentlich fragen, ob ich hier etwas Leitungswasser bekommen kann.«
Shirley starrte mich einen ewigen Moment an, bis sie verstand. »Mach das bloß nicht.« Sie zog ein Gesicht. »Der alte Memphis ist ein Geizhals, der wirft dich hochkant raus. Ich könnte dir was leihen, aber ich habe eine bessere Idee. Komm ...« Sie griff nach meiner Hand. »Wir gehen rüber zu Pops.«
Ich, die keine Ahnung hatte, wer oder was ein Pops war, ließ mich mitziehen.
Shirley und mich verband eine Sandkastenfreundschaft. Obwohl meine Großeltern und meine Mutter sich schon vor meiner Geburt zerstritten hatten, brachte meine Mutter mich regelmäßig in den Ferien zu ihnen. Mom setzte mich ab und fuhr dann davon, ohne ein Wort mit ihnen zu reden. Als ich elf Jahre alt war, eskalierte der Streit dann so sehr, dass auch meine Besuche eingestellt wurden. Ich hatte meine Großeltern jetzt sechs Jahre lang nicht gesehen. Zwar hatte ich vage Erinnerungen an sie, aber ich wusste nicht mal, wie genau ich zu ihrem Haus kam. Woran ich mich aber sehr deutlich erinnerte, war das Gefühl, das ich in ihrer Gegenwart empfunden hatte. Nähe, Geborgenheit, Sicherheit, vieles, was mir bei meiner Mutter fehlte. Und auch an Shirley erinnerte ich mich, an unsere Freundschaft und die Dutzenden kleinen Geheimnisse, die wir geteilt hatten.
»Holt Maggy dich ab?«, riss Shirley mich aus meinen Gedanken.
»Grandma hat mich wohl vergessen. Dann laufe ich. Die fünf Meilen schaffe ich auch noch.« Wir überquerten die Straße. An dem Diner hing immer noch das »Geschlossen« Schild, doch Shirley stieß die Tür auf und marschierte in den Laden.
»Rück mal einen Sweet Tea raus, Pops, das Mädchen ist neu in der Stadt.«
Irgendwo klapperten Töpfe. Dann erschien ein knapp zwei Meter großer Afroamerikaner Mitte dreißig mit der Figur eines Linebackers in der Tür, die vermutlich zur Küche führte.
»Shirley Ann Vestby, du hast die Highschool abgeschlossen und kannst immer noch nicht lesen.« Er strich sich die weiße Schürze glatt, bevor er zu uns an die Theke kam. Er wirkte nicht unbedingt erfreut, war aber wohl zu höflich, um uns wieder rauszuwerfen.
Shirley glitt geschmeidig auf einen der Barhocker. »Ach, Pops«, schnurrte sie. »In der Highschool hatte ich Besseres zu tun.«
Besagter Pops schüttelte den Kopf, dann glitt sein Blick zu mir. »Piero Moreau, aber alle nennen mich Pops. Mir gehört das Diner.«
Ich hatte mich noch nicht gesetzt, denn was sollte ich in einem geschlossenen Diner ohne Geld. »Ich bin Mae, also Zara Mae Tolliver«, sagte ich etwas ungelenk.
»Sie ist eine Tolliver«, wiederholte Shirley und klang, als wäre das eine besondere Auszeichnung. »Jetzt gib ihr schon einen Tee. Sie muss noch fünf Meilen laufen.«
»Holt Maggy sie nicht ab?«
Wir schüttelten beide den Kopf.
Pops musterte mich, dann seufzte er. »Ich wurde angewiesen, dir einen Tee auszugeben. Nimm Platz. Pfirsich oder Minze?«
Mir lief das Wasser im Mund zusammen, während ich auf den Hocker neben Shirley glitt. »Pfirsich, bitte.«
»Du auch, Nervensäge?«
Shirley zog einen Schmollmund, schüttelte aber den Kopf.
Pops bückte sich und zauberte eine große Edelstahlkanne unter der Theke hervor. Im Nu stand ein durchsichtiger To-go-Becher samt Strohhalm vor mir, bis zum Rand gefüllt mit Eiswürfeln und herrlich duftendem Tee.
»Willkommen in Tallahawney.«
»Vielen Dank«, sagte ich etwas verlegen.
Shirley kaute auf einem rotweiß geringelten Strohhalm, den sie hinter der Theke hervorgeangelt hatte. »Du musst meine Freunde kennenlernen.«
»Davon rate ich dir dringend ab«, sagte Pops zu mir und pflückte Shirley nebenbei den Strohhalm aus dem Mund. »Sie sind alles Taugenichtse und ...«, sein Blick glitt zu ihr, »... haben keine Manieren.« Er ließ den Strohhalm in einen Mülleimer fallen.
Shirley grinste mich an. »Heute steigt 'ne Party. Du musst kommen.«
Eine Party? Da war ich immer dabei. »Ja klar.«
Ich freute mich, dass ich in Tallahawney bereits eine Freundin hatte. So würde ich leichter noch mehr Leute in meinem Alter kennenlernen.
Pops hatte uns mit gerunzelter Stirn zugesehen. »Fahr sie doch kurz rüber«, sagte er dann. »Dann muss Mae nicht laufen.«
»Würde ich, aber sorry, muss los.« Shirley glitt von ihrem Hocker. »Habe Sue-Ellen versprochen, dass ich die Kleine aus dem Kindergarten abhole, bevor Doris den Laden aufmacht.«
Shirleys Mutter hieß Doris und war die beste Freundin meiner Mom gewesen. Ihre ältere Schwester hieß Sue-Ellen. Sie hatte mittlerweile eine kleine Tochter. »Danke noch mal«, sagte ich zu Pops, während ich vom Hocker glitt. »Total lecker.«
Pops nickte knapp, dann verschwand er in der Küche. Er war so groß, dass er im Türrahmen den Kopf einziehen musste.
»Pops ist echt riesig«, sagte ich, kaum dass Shirley und ich das Diner verlassen hatten. Draußen auf der menschenleeren Straße prallte mir die feuchte Hitze wie eine Welle entgegen. Ich nahm noch mal zwei große Schlucke von meinem Tee.
Shirley kicherte. »Alles an ihm ist groß.« Sie zwinkerte mir zu, bevor sie sich umdrehte. »Wir sehen uns nachher, Tolliver-Mädchen.« Sie hob im Gehen die Hand, und ihre rotblonde Mähne wogte im Takt ihrer schwingenden Hüfte.
Ich starrte ihr nach. Shirley und Pops ... hatten sie was miteinander?
Ich sah Shirley kurz nach, seufzte und versuchte ein letztes Mal, meine Grandma zu erreichen. Erfolglos. Danach schrieb ich meiner Mutter, dass ich gut angekommen war. Ich leerte gierig meinen Tee und entsorgte den Becher in einem Mülleimer an der Haltestelle, bevor ich Maps öffnete, um mir den Weg zum Haus meiner Großeltern anzeigen zu lassen.
Auf geht's. Ich schulterte meine große Reisetasche wie einen Rucksack.
Eine Stunde Fußmarsch durch feuchte Sumpfluft und das mit acht Kilogramm Gepäck auf dem Rücken. Da hätte ich auch zum Militär gehen können.
Ich passierte einen Frisörsalon, weitere abbruchreife Häuser mit ehemaligen Ladengeschäften darin, eine winzige Tankstelle und einen Kindergarten und schon hatte ich das Ende des Ortskerns erreicht. Tallahawney. Eine Hauptstraße und ein paar verstreute Häuser am Rande des Naturschutzgebiets. Dazu noch drei, vier verfallene Plantagen im Outback, ein Sumpfmonster, das eine Legende war und bei gutem Wetter Tagestouristen aus New Orleans, die in kleinen Booten über die Bayous des Pearl River gefahren wurden. Ich war mir noch nicht sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, hierherzuziehen. Mit meinen Großeltern hatte ich mich immer gut verstanden, aber damals war ich ein Kind gewesen. Wie würde es heute sein, da ich mich als Erwachsene betrachtete? Wir hatten uns so lange nicht gesehen, dass wir uns fremd geworden waren. Natürlich hatten wir vorher telefoniert, jedenfalls meine Großmutter und ich, aber trotzdem war ich angespannt. Würde es komisch werden? Peinlich? Ich wusste es nicht. Was ich wusste, war, dass ich dankbar war, dass sie mir die Möglichkeit gaben, bei ihnen quasi neu anzufangen. Raus aus Tampa, eine neue Umgebung und in erster Linie eine zweite Chance, da war der Richter sehr deutlich gewesen. Ein stabiles Umfeld bei meinen Großeltern und den ganzen Sommer lang Sozialstunden oder eben das Jugendgefängnis. Natürlich war ich nicht begeistert gewesen, im Gegenteil, aber vielleicht würde ich mich mit all dem trotzdem arrangieren können.
Ich lächelte gerade, da brach das Internet ab. Punktgenau, nachdem ich das letzte Gebäude passiert hatte.
Das darf doch wohl nicht wahr sein. Ich nehme alles zurück. Alles!
*
Würde man irgendwann meine Leiche in den Sümpfen finden, dann hoffte ich, dass ein Computer-Nerd beim FBI meine letzten Handyaktivitäten wiederherstellen konnte. Sie würden zeigen, wie verzweifelt ich versucht hatte, meine Grandma zu erreichen. Ich kämpfte mich Richtung Süden auf einem Weg, der weniger Straße als zwei Fahrrinnen in matschiger Erde war. Langes Sumpfgras wuchs dazwischen und immer wieder versanken meine Füße in Pfützen.
An einigen Stellen stiegen Luftblasen aus dem Erdreich auf, und die Feuchtigkeit, die in der Mittagssonne verdampfte, ließ den hellen Schleier, der über den Wiesen lag, aussehen wie morgendlichen Nebel.
Ich schrie auf, als eine Schlange unweit von mir auftauchte. Doch sie verschwand sofort wieder in dem dichten Gras neben einem Baum und ich atmete auf, kurz bevor ich erneut mit dem Fuß im Matsch versank. Schweiß rann mir über das Gesicht.
Sie hat es versucht, würde auf meinem Grabstein stehen. Sie hat es wirklich versucht.
Ob ich mich verlaufen hatte? Ich war das letzte Mal mit elf Jahren hier gewesen und hatte nicht mehr viele Erinnerungen an diesen Ort. Außerdem hatte meine Mutter mich immer mit dem Auto abgesetzt, ich war noch nie zu Fuß zum Haus meiner Großeltern gelaufen. Und das hier erschien mir mehr wie ein Wirtschaftsweg als eine Straße zu einem Wohnhaus.
Die Riemen meiner Reisetasche schnitten mir unangenehm in die Schultern. Das Haar klebte mir im Nacken. Und mein Akkustand war bedrohlich niedrig.
Endlich entdeckte ich ein Haus in der Ferne. Ich kniff die Augen zu Schlitzen. Oder war es eine Halluzination?
Nein. Das Haus verschwand nicht, und plötzlich tauchten bei seinem Anblick Erinnerungen vor meinem inneren Auge auf. Der Blick von der Veranda aus, lange, schwüle Nachmittage mit leiser Countrymusik im Hintergrund, der Geschmack von Pfirsich-Eiscreme auf meiner Zunge und die Stimme meiner Großmutter im Ohr, die mir etwas vorlas.
Die Silhouette des Hauses war vertraut und fremd zugleich, was mich unsicher werden ließ. Damals hatte ich es hier geliebt. Aber wie würde es jetzt sein?
Die Vegetation wurde dichter, Büsche und Bäume wuchsen enger nebeneinander und gaben der Erde Halt.
Das Haus war immer noch weiß gestrichen, genau wie in meiner Erinnerung, mit der breiten umlaufenden Veranda und einem parkähnlichen Garten davor. Dieser bot einen krassen Kontrast zu der ungezähmten Natur hier draußen. Jeder Grashalm war perfekt gestutzt und die Blumen schienen es nicht zu wagen, auch nur ein Blütenblatt zu verlieren. Ich erinnerte mich, dass meine Großmutter diesen Garten liebte und oft in ihm gearbeitet hatte. Ich hatte geholfen. Bewaffnet mit einem kleinen Eimer war ich durch die Blumenbeete geschlichen und hatte herabgefallene Blätter und Blüten aufgesammelt. Bei dieser Erinnerung musste ich lächeln. In welchen Untiefen meines Gehirns war das vergraben gewesen?
Ich nahm den breiten gepflasterten Weg, der zum Haus samt einer Doppelgarage führte. Auf der Veranda saß ein alter Mann in einem Schaukelstuhl. Das musste mein Großvater sein, aber er sah kein bisschen aus wie der Mann, an den ich mich zu erinnern glaubte. Ein weißer Vollbart verbarg fast sein gesamtes Gesicht, dafür hatte er eine Glatze und buschige Augenbrauen. Mein Großvater hatte volles Haar gehabt, war glatt rasiert und schlank. Dieser Mann trug eine Jeans-Latzhose, die über seinem Bauch spannte, ein helles Shirt und Sandalen. Quer über seinem Schoß hatte er ein langes braunes Gewehr auf den Armlehnen des Schaukelstuhls abgelegt. Ich machte abrupt Halt, obwohl ich schon viel zu nah war, um zu flüchten.
»Maggy ist nicht da«, sagte der Mann mit ausdruckslosem Gesicht, dann sah er an mir vorbei Richtung Fahrrinne.
Okay ... Ich war so irritiert, dass mir die Worte fehlten. Vielleicht war die Waffe ja nicht geladen? Wusste er nichts von meiner Ankunft? Oder war er vielleicht gar nicht der, für den ich ihn hielt? Ich gab mir einen Ruck. »Sind Sie Wyatt Tolliver?«, fragte ich vorsichtig.
Er sah erneut zu mir, dann salutierte er erstaunlich zackig. »Zu Ihren Diensten, Miss.« Und wieder glitt sein Blick in Richtung Auffahrt.
Was zur ... Das war seine Stimme, das glaubte ich zumindest. Er musste mein Großvater sein. Aber warum verhielt er sich so seltsam? Er musste doch wissen, dass ich heute anreisen sollte.
Ich sah mich unbehaglich um. Ob sie mich hochnahmen? Sprang gleich ein Haufen Dörfler aus den Büschen und schwenkte Willkommensplakate, während irgendein Witzbold das Ganze für TikTok filmte?
Doch nichts geschah. Die Grillen zirpten, die Erde dampfte und irgendwo in den Büschen raschelte ein Tier.
»Ich bin Mae.«
Keine Reaktion.
»Zara Mae Tolliver, die Tochter von Molly.« So langsam verzweifelte ich. Mein Blick glitt erneut zu dem Gewehr. Worauf er damit wohl schoss?
»Ich bin deine Enkelin.«
Wieder drehte er den Kopf. Mit den zusammengekniffenen Augen sah er aus wie ein Habicht, der seine Beute fixierte. Verflixt, der Mann war bewaffnet und definitiv nicht ganz auf der Höhe. Ob er mich abknallen würde, nur damit ich aufhörte zu reden?
»Ach, ja.« Er nickte.
Hurra. Die erste menschliche Regung. Ich baute mein Lächeln weiter aus, während ich die Reisetasche absetzte. »Ich hatte Grandma mein Anreisedatum gemailt, aber sie war nicht da.« Ich wedelte linkisch mit den Händen, während sein Blick schon wieder von mir weg glitt. »An der Bushaltestelle. Sie wollte mich ...«
Mein Großvater richtete sich auf in dem Moment, in dem ich ein herannahendes Auto hörte. Ich drehte mich um. Ein dunkelgrüner Pick-up näherte sich. Unter seinen breiten Reifen spritzte die dunkle Erde zur Seite. Hinter mir hörte ich, wie mein Großvater sich erhob. Bei einem schnellen Blick über die Schulter stellte ich erleichtert fest, dass er das Gewehr jetzt an die Hauswand gelehnt hatte.
Mittlerweile war der Pick-up nahe dem Haus stehen geblieben. Eine Frau mit kurzem silbergrauem Haar kletterte heraus. Sie trug khakifarbene Bermudashorts, eine blaue ärmellose Bluse und das gleiche Sandalenmodell mit den Klettverschlüssen wie mein Großvater.
Meine Großmutter erkannte ich sofort wieder, denn sie hatte sich kaum verändert. Trotzdem war ich jetzt etwas verlegen. Wie sollte ich sie begrüßen? Händeschütteln? Umarmen?
Lächelnd kam sie auf mich zu. »Entschuldige, Mae. Ich war in der Kirche und habe die Zeit vergessen.« Sie nahm mir die Entscheidung ab und drückte mich kurz an sich, dann löste sie sich von mir. »Ich bin verantwortlich für den Blumenschmuck.« Sie klang stolz.
Ich, die weder zu Blumen noch zur Kirche irgendeine Art von Beziehung hatte, rang mir ein Lächeln ab. »Das ist toll.« Ich räusperte mich. »Hi, Grandma.« Ich sollte mich zuerst bedanken. Auch wenn sie mich vergessen hatte. Das hatte ich mir vorgenommen.
»Grandma, ich wollte ...«
»Wyatt, also ehrlich. Pack das rostige Ding weg.« Grandma hatte sich bereits abgewandt und die Hände in die Hüften gestemmt. »Was soll Mae denken? Dass wir hier draußen wilde Tiere haben? Los, ab in den Schuppen damit.«
Ich war ihrem Blick gefolgt. Mein Großvater wirkte so betroffen wie ein Kind, dem man eine Standpauke hielt. Dann murmelte er »Jawohl, Ma'am« und schlurfte samt Waffe über die Veranda davon.
»Komm rein, komm rein.« Grandma griff nach einem Henkel meiner Tasche. Gemeinsam schleppten wir sie ins Haus, wo es angenehm kühl war. Meine Großmutter bog sofort rechts in ein Zimmer ab und ich folgte ihr.
Ich lächelte, als mich eine weitere Erinnerung überfiel. Richtig, Grandmas Küche war pastellmintgrün. Und mittlerweile ziemlich alt, fiel mir auf, als ich mich unauffällig umsah. Aber nicht kaputt-alt, wie bei Mom. Mit aufgequollenen Spanplatten, die das dünne Furnier sprengten und Flecken, die nie wieder weggingen. Sie war alt auf eine Art, wie man sie jetzt in diesen angesagten Retro-Shops kaufen konnte. Alles glänzte, stammte aber definitiv nicht aus diesem Jahrhundert.
Und mitten auf dem Küchentisch lag ein Handy.
»Ach, da ist es ja.« Grandma lachte und schob es sich in die Tasche, ohne aufs Display zu sehen.
Vielleicht sollte ich ihr noch mal erklären, wie das mit den Handys so war.
»Hast du Durst?« Grandma marschierte in Richtung Kühlschrank, schlang die Finger um den Griff und drehte sich zu mir. »Oder willst du dein Zimmer sehen?«
Nervosität machte sich in mir breit. Mein Zimmer. Es würde ab jetzt mein Zuhause sein. Sollte ich es noch hinauszögern? Etwas trinken? Etwas Smalltalk? Nein. Ich war vielleicht ein Loser, aber ein Feigling war ich nicht. Also straffte ich die Schultern und lächelte, obwohl mir das Herz bis zum Hals klopfte. »Ich würde gerne mein Zimmer sehen.«
*
»Das ist mir aber gar nicht recht.« Grandma hatte die Lippen aufeinandergepresst und die Stirn finster gerunzelt. »Ich dachte, wir würden den ersten Abend zusammen verbringen. Und von diesen Partys habe ich nichts Gutes gehört. Du solltest dir nicht diese Art von Freunden suchen.«
Wir standen im Kinderzimmer meiner Mutter. Ein großzügiger Raum direkt unter dem Dach mit einem angrenzenden Bad, das ganz allein mir gehören würde. Noch nie zuvor hatte ich so viel Platz gehabt. Zwar hatte sich in dem Zimmer seit dem Auszug meiner Mutter nicht viel verändert, aber die Poster mit den Bildern von Schauspielern und Rockstars, von denen ich noch nie gehört hatte, würde ich abnehmen können.
»Grandma ...« Ich schwankte zwischen Dankbarkeit und dem dringenden Wunsch, zu dieser Party zu gehen.
»Nein, jetzt bin ich wirklich enttäuscht. Ich mache mein berühmtes Jambalaya mit Flusskrebsen. Und wir wollten doch besprechen, wie alles weitergeht. Ich weiß nur, dass du dich am Montag beim Sheriff vorstellen sollst, wo du dann weitere Anweisungen für deine Sozialstunden bekommst.«
Ich wusste, dass es sich bei Jambalaya um ein traditionelles Gericht der in Louisiana so beliebten Cajun-Küche handelte. Wenn ich mich richtig erinnerte, war es ein herzhafter Eintopf in einer Tomatensauce. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. »Viel mehr Infos habe ich auch nicht. Ich gehe Montag einfach zum Sheriff, und dann wissen wir mehr. Und die Party fängt doch erst spät an«, versuchte ich es ganz diplomatisch.
»Hier bei uns im Süden dient das Essen nicht nur der Nahrungsaufnahme.« Grandma wandte sich sichtlich beleidigt ab und zupfte an der Patchwork-Tagesdecke auf dem Bett, die schon bessere Tage gesehen hatte. »Man isst zusammen, und dann verbringt man Zeit miteinander. Hier räumen wir den Tisch nicht ab, sobald man fertig ist. Das Essen ist eine Art Familienzusammenkunft, bei dem man über alles sprechen kann, was einen bewegt. Und vielleicht setzen wir uns danach noch auf unsere Veranda und genießen die Natur um uns herum, während die Sonne untergeht. Und danach sprechen wir unser Nachtgebet und gehen ins Bett. Dinge, die nach 22 Uhr geschehen, sind meist nichts Gutes.« Sie wandte sich mir wieder zu und nickte bekräftigend. »Nichts Gutes.«
Ah ja. Und das Internet ist einer der Vorboten der Apokalypse.
Ich dachte fieberhaft nach. Schließlich wollte ich nicht unerlaubt verschwinden. Und hinzu kam, dass sie mir entweder ihren Wagen leihen oder mich zur Party fahren müsste. Beides würde nicht funktionieren, wenn sie mich weiter so ansah. »Es ist doch bloß eine Party. Und vorher essen wir gemütlich und verbringen Zeit zusammen.« Ich seufzte. »Ich sollte hier doch Freunde finden oder meinst du nicht?«
Grandma wirkte nicht versöhnt. »Es gibt besseren Umgang in diesem Dorf. Du solltest das Vestby-Mädchen nicht mehr treffen.«
»Aber ich mag Shirley. Und was hast du gegen sie? Früher haben wir ständig zusammen gespielt, ich erinnere mich noch sehr gut daran. Sie hat mir vorhin einen Eistee organisiert. Ohne den wäre ich auf meinem Weg zu euch verdurstet.«
Die Miene meiner Großmutter entspannte sich etwas. »Ist das so.« Es klang nicht wie eine Frage. Dennoch nickte ich enthusiastisch. Genau in diesem Moment erreichte mich eine Nachricht. Ich hoffte, dass sie von Shirley war. Und richtig.
Die Party steigt um 22 Uhr in der Beauregard Plantage.
Keine Ahnung, wo das sein sollte, aber das würde ich herausfinden. »Um 22 Uhr geht es los.«
Die Uhrzeit schien für Grandma das größte Problem zu sein, denn schon verdüsterte sich ihre Miene wieder.
»Wir feiern nicht Geburtstag, es ist eine Party«, erklärte ich. »... und die kann doch nicht um 16 Uhr steigen. Außerdem habe ich so genug Zeit, mit euch zu essen. Ich bin sehr gespannt auf dein Jambalaya, es ist sicher fantastisch.«
Komm schon, Grandma, sei kein Spielverderber.
Ihre Mundwinkel zuckten, aber sie versuchte es zu verbergen. Ich war also auf dem richtigen Weg. Schnell sprach ich weiter. »Ich verspreche, nicht bis zum frühen Morgen wegzubleiben. Wenn du mir dein Auto leihst und einen Schlüssel für die Haustür gibst, dann werdet ihr gar nicht bemerken, wenn ich wiederkomme.«
Das Gesicht meiner Großmutter entspannte sich. Sie hatte eine Entscheidung getroffen. »Einen Schlüssel für die Haustür bekommst du sowieso, aber ich fahre dich und hole dich wieder ab. Sollte es zwischenzeitlich Probleme geben, ruf mich auf dem Handy an. Ich stelle es auf laut.«
Wollte ich wirklich, dass meine Großmutter mich zu einer Party fuhr wie ein kleines Kind? Zuerst wollte ich protestieren, aber dann beschloss ich, klein beizugeben. Zur Not konnte sie mich ein Stück weiter die Straße hinab absetzen. Ich würde mir die Adresse heraussuchen und dann alles Weitere planen. Das würde schon klappen. Also lächelte ich sie an. »Danke dir. Aber willst du wirklich so lange wach bleiben?«
»Natürlich. Das mache ich gerne.« Sie nahm meine rechte Hand und drückte sie. »Bitte pass auf dich auf, Mae. Hier gibt es die richtigen und die falschen Leute. Und die falschen sind wie ein Strudel, der dich unweigerlich mit sich hinabzieht.«
Die Beauregard Plantage ragte aus der Dunkelheit hervor wie ein Ungeheuer. Mit Fenstern gleich leeren Augenhöhlen und einem klaffenden Loch im Dach, dessen grausam gesplittertes Holz wie ein Mund voller spitzer Zähne in die Nacht gähnte. Unzählige Fackeln warfen scharfkantige Schatten an die Wände. Alles an dieser Location wirkte unwirklich. Unwirklich und wunderschön. Als hätte eine düstere Disneyprinzessin ihr Reich in einer Parallelwelt aus Finsternis, Zerfall und der Glorie vergangener Jahrhunderte errichtet. Das Dach hing durch wie ein in sich zusammengefallenes Soufflé, aber die sechs Steinsäulen, die den Eingang säumten, wirkten wie stumme Wachen, die den Sumpf überblickten. Dahinter hing ein mattgelber Vollmond wie eine müde Laterne am Nachthimmel.
Der knapp zehnminütige Fußmarsch über den Feldweg hatte mir nichts ausgemacht, denn auf Shirleys Anraten hatte ich flache Schuhe angezogen.
Wir hatten am Nachmittag noch ein paar Mal hin und her geschrieben und uns an der Hauptstraße nahe der Zufahrt zur Plantage verabredet. Grandma hatte direkt daneben gehalten und mich noch mal eindringlich vor diesem vermeintlich schlechten Umgang gewarnt, bevor ich entlassen war. Jetzt dachte ich schon nicht mehr an ihre Worte, sondern freute mich auf die Party.
Ein Froschkonzert aus rhythmischem Quaken begleitete uns, als wir auf das Haus zugingen.
Links vom Eingang parkten zwei riesige Pick-ups, auf ihren Ladeflächen brummten Generatoren. Dicke Kabel führten ins Innere des Hauses. Ein paar Leute standen neben ihren Autos, tranken Bier und musterten uns neugierig.
»Paaaarty!«, rief Shirley, hob die Arme in einer Siegerpose und wiegte wieder so verführerisch die Hüften. Die Leute, hauptsächlich Typen, johlten und prosteten ihr zu.
»Wann gehst du endlich mal auf ein Date mit mir, Schönheit?«, rief einer.
»Ich hole dich mit meiner Hellcat ab und führe dich ganz groß nach New Orleans aus!«, versprach ein anderer.
Shirley lachte nur und hauchte Luftküsse in ihre Richtung.
Ich grinste leicht verlegen und bemühte mich, mit ihr Schritt zu halten.
Von Nahem wirkte der Zustand der Villa noch apokalyptischer. Es gab keine Fensterscheiben mehr, und das Loch im Dach schien die Gesetze der Statik gefährlich zu provozieren. »Wem gehört das Haus?«
Shirley zuckte die Schultern. »Niemandem. Es ist schon lange verlassen. Früher mal war es das Herrenhaus einer Baumwollplantage. Es gibt wohl noch ein paar Beauregard-Nachkommen in Louisiana, aber keiner war jemals hier.«
Ich runzelte die Stirn. »Ist das Haus nicht einsturzgefährdet?«
Shirley lachte, nahm meine Hand und zog mich hinter sich her. »Das macht es ja so spannend.«
*
Die Party schien hauptsächlich auf der unteren Etage stattzufinden. An den Kabeln, die von den Generatoren ins Innere führten, hatte man Lampen angeschlossen, die die hohen Räume auf gespenstische Art ausleuchteten. In jeder Ecke standen Kühlboxen mit Getränken. Ausrangierte Sofas und Sessel, sowie Graffiti, die die Wände verzierten, verrieten, dass sich hier öfter mal Leute trafen. Jemand hatte sein Telefon an tragbare Boxen angeschlossen und Trance-Musik hallte durch die verrauchte Luft. Die meisten Leute kannten Shirley, und sie wurde überschwänglich begrüßt. Viele Typen plusterten sich irgendwie auf, wenn Shirley in ihr Blickfeld kam. Entweder spannten sie die Oberarmmuskeln an, redeten und lachten besonders laut, oder liefen ihr so dreist »über den Weg«, dass Shirley sie nicht ignorieren konnte. Es war ein faszinierendes Schauspiel, das mich an Pfauen erinnerte, die mit ihrem eindrucksvollen Gefieder prahlten. Und hätte ich Shirley nicht so gerngehabt, ich wäre vermutlich sogar ein wenig neidisch auf diese Balz-Parade gewesen.
Jemand bot uns Bier an, was wir beide ablehnten. Stattdessen organisierte Shirley uns jedem ein Mountain Dew, den ich dankbar annahm.
»Wer bezahlt das alles?« Die Getränke waren nicht billig, und auch Generatoren zu leihen, stellte ich mir nicht gerade günstig vor.
Shirley drehte sich kurz zu mir um, während wir uns durch eine Gruppe von Mädels drängten, die etwas älter wirkten als wir. »Hier gibt es ja viel Landwirtschaft drumherum. Die Generatoren bringt also immer irgendjemand mit. Für die Getränke wird gesammelt. Wir sind eine ziemlich eingeschworene Gemeinschaft. Hier kommt keiner hin, der nicht eingeladen ist.« Sie kicherte. »Oder besser gesagt, es traut sich selten jemand hierhin, der nicht eingeladen ist.«
Ihre Miene hellte sich auf. »Da ist ja meine Crew!« Sie reckte ihre Getränkedose nach oben wie eine Trophäe und drehte sich im Gehen einmal um sich selbst. Drei Gesichter sahen uns neugierig entgegen. Das Pärchen saß eng aneinandergeschmiegt auf einem ehemals roten Kord-Sessel, der eigentlich nur für eine Person gemacht war. Das Mädchen war stark geschminkt und trug ein T-Shirt, das sie zum Kleid umfunktioniert hatte. Ihre Fingernägel waren lang und pink, ihr dunkelbraunes Haar ging ihr bis zum Kinn. Sie lächelte, als sie zu Shirley hochsah. Dann glitt ihr Blick zu mir, und ihr Lächeln verschwand. Sie sah weg, als ich sie anlächeln wollte.
Ihr Freund hatte hellbraunes Haar und trug ebenso wie der Typ, der auf dem Sessel daneben saß, Baggyhosen und Sneaker. Sein weißes Unterhemd hatte schon bessere Tage gesehen. Sein Gesicht war freundlich, trug aber immer noch kindliche Züge, was seine Pausbacken noch verstärkten. Reste von schwarzem Nagellack prangten auf seinen Nägeln.
Der Typ in dem Sessel daneben war schlank und trug ein Shirt mit rot-weißem SUPREME-Logo. Sein blondes Haar hatte er zu Stacheln auf dem Kopf frisiert. Sein Gesicht war kantig wie der Rest von ihm, mit ausgeprägten Wangenknochen und großen hellblauen Augen. Er hatte ein Knie angewinkelt und entblößte so einen High-Top-Sneaker, der nicht billig aussah.
Shirley zog mich an ihre Seite. »Leute, das ist Mae. Mae das sind TT. Wir nennen sie so, weil ihre Vornamen beide mit T beginnen. Trisha-May und Troy.«
»Hi.« Ich lächelte Trisha-May an. »Da haben wir den gleichen Vornamen.«
»Ich werde nur Trisha gerufen«, erwiderte sie schroff. »Trisha-May nennt mich nur meine Mutter.«
Alles klar ...
Shirley stupste mich an. »Der Typ daneben ist Leeroy.«
Wir grüßten uns.
Shirley beugte sich vertraulich zu mir. »Er kann dir alles besorgen. Wenn du auf bewusstseinserweiternde Substanzen stehst, ist er dein Mann. Er verkauft im ganzen County.«
Leeroy salutierte gespielt, als ich wieder zu ihm sah.
Ich erkannte sie alle von ihren Instagram-Profilen wieder, die ich mir natürlich angesehen hatte, nachdem ich bei Shirley Fotos entdeckt hatte, auf denen sie markiert worden waren. Aber es war immer wieder etwas anderes, die Leute live zu treffen und ich war dementsprechend neugierig.
Es folgte das übliche »Und was machst du so?«, bei dem ich erzählte, was mich hierher verschlagen hatte und erfuhr, dass Leeroy genau wie ich den Highschool-Abschluss versemmelt hatte, Trisha eine Lehre zur Verkäuferin in dem Drogeriemarkt im Ort machen würde und Troy noch nach einem Ausbildungsplatz suchte.
»Und Shirley geht wahrscheinlich an die Kunstakademie in Baton Rouge«, erzählte Trisha. »Wenn sie das Geld dafür zusammenbekommt«, ergänzte sie. »Das ist nämlich eine Privatschule und eigentlich nur für gelangweilte Superreiche, die nicht wissen, wohin mit ihrem Geld.«
Wie war sie denn bitte drauf? Waren Shirley und sie wirklich befreundet? Was für eine blöde Kuh. Ich würde nie so über eine Freundin sprechen.
»So ein Quatsch. Man musste sich mit einer Mappe um einen Studienplatz bewerben, das habe ich dir doch groß und breit erklärt, Trisha.« Shirley klang verärgert. »Und auch, dass ich deshalb angenommen wurde. Wegen der Mappe, die ich erstellt habe. So heißt das nämlich. Mappe.« Mit der freien Hand malte sie die Buchstaben in die Luft.
Nachdem Shirley mir von ihren Zukunftsplänen erzählt hatte, hatte ich diesen Ausdruck auch erst mal googeln müssen. Es bedeutete lediglich, die künstlerischen Arbeiten wie Zeichnungen, Grafiken oder Fotos in einer handelsüblichen Mappe zu seinen Bewerbungsunterlagen hinzuzufügen. Es war mehr oder weniger eine Visitenkarte des Künstlers.
Leeroy lachte und ich fiel darin ein. Trisha lachte nicht, und nach einem Blick auf das Gesicht seiner Freundin entschied auch Troy sich dagegen.
Shirley wirkte genervt und sah sich nach einer Sitzgelegenheit um. Leeroy sprang auf. »Lass mich das machen, Kleines.«
Shirley war nicht klein, sie war ungefähr einen halben Kopf größer als ich. Aber Leeroy war echt riesig, bestimmt 1,90 Meter groß. Mit dem typisch schlaksigen Gang eines Typen, der es gewohnt war, größer zu sein als alle anderen, glitt er durch die Menge, die ihm bereitwillig Platz machte. Wenig später zerrte er einen senfgelben Zweisitzer hinter sich her, durch dessen Polster bereits einige Sprungfedern gedrungen waren. Er platzierte das Möbelstück so, dass es den Sesseln gegenüberstand. Der Raum war riesig, deshalb machte es keinen Unterschied, und die Leute wichen einfach ein Stückchen zur Seite.
»Vielen Dank«, sagte ich. Er ließ sich zurück in seinen Sessel fallen, grinste und salutierte wieder.
»Leeroy ist Zucker.« Shirley warf ihm eine Kusshand zu, und gemeinsam setzten wir uns.
Leeroy sah so aus, als wolle er etwas sagen, da lächelte Trisha plötzlich wie ein Hai. »Na, sieh mal an, wer da ist.«
Shirley reagierte nicht. Sie zerrte an zwei Fransen ihrer kleinen Weste, die sich irgendwie verknotet hatten und fluchte leise. Ich wollte gerade meine Hilfe anbieten, da hob Leeroy sein Hosenbein an, griff in den hohen Schaft des Sneakers und zog ein Springmesser hervor. Es war nicht das erste Mal, dass ich eine Waffe sah, trotzdem war ich überrascht. Ein Lichtfunke jagte über die Klinge, als er es Shirley reichte. Sie nahm es, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. »Danke dir.«
Trisha schnaubte plötzlich deutlich hörbar. »Duke ist hier.«
Den Namen kannte ich ebenfalls. Duke war Shirleys Freund, auch wenn sie in den letzten Tagen Streit gehabt hatten. Das mit ihnen schien eine On-Off-Geschichte zu sein, die Shirley nicht besonders glücklich machte. Ich hatte schon mal versucht, sie darauf anzusprechen, aber da hatte sie abgeblockt.
Shirley, die Leeroy gerade das Messer zurückgab, drehte sich mit einem Ruck um. Ich folgte ihrem Blick. Unweit von uns begrüßte Duke gerade seine Freunde. Auch sein Profil hatte ich mir auf Instagram angesehen. Er war nicht besonders groß, aber er verbrachte definitiv ziemlich viel Zeit im Fitnessstudio. Er war viel zu aufgepumpt, als dass ich es attraktiv gefunden hätte. Sein Schädel war kahlrasiert, und um den Hals trug er eine dicke Kette, die zu gelb war, um tatsächlich Gold zu sein. Er steckte in einem T-Shirt, das geschätzte drei Nummern zu klein war. Es sah aus, als hätte jemand einen Eimer mit dunkelblauer Bodypainting-Farbe über ihm ausgekippt.
»Das ist Logan Duke. Aber jeder nennt ihn bei seinem Nachnamen Duke«, erklärte Trisha.
Ich drehte mich wieder um und lächelte sie an. Innerlich war ich jedoch schon schwer genervt von ihr. »Danke, ich weiß, wer Duke ist. Shirley und ich kennen uns, seit wir drei Jahre alt sind.«
»Ja, aber ihr hattet nicht durchgehend Kontakt«, schoss sie zurück. Ihr Blick sagte: Sie ist meine Freundin, also verzieh dich zurück nach Florida, wo du hergekommen bist.
Auch Shirley hatte sich wieder umgedreht. »Leute, macht mal halblang. Und ich möchte seinen Namen heute Nacht nicht mehr hören.«
Moment mal. Das klang, als ob sie nicht mehr zusammen wären. Noch vor drei Tagen hatten wir getextet, und da waren sie nicht getrennt gewesen. Irgendetwas musste in der Zwischenzeit passiert sein. Etwas, von dem Shirley mir nicht erzählt hatte.
Trisha lächelte triumphierend, denn offenbar wusste sie Bescheid.
Im nächsten Moment setzte sich etwas Schweres auf eine Lehne unseres Sofas.
»Was geht.« Duke nickte in die Runde. Shirleys Crew, zu der auch ich mich zählte, grüßte ihn halbherzig zurück, nur Trisha strahlte ihn an. Shirley reagierte gar nicht.
»Können wir reden, Babe?« Duke umgab eine penetrante Wolke eines moschuslastigen Aftershaves, die mir in den Augen brannte.
Shirley zog eine Schnute und wandte betont ihr Gesicht ab. »Kein Bedarf.«
»Babe, da ist nichts und da war nichts. Ich schwöre.« Duke setzte seinen schönsten Dackelblick auf. »Bitte. Können wir kurz reden?«
»Kein Bedarf«, wiederholte sie knapp. »Und jetzt schwirr ab. Du verdirbst mir die Laune.«
Duke seufzte, aber er erhob sich und verschwand wieder im Gedränge hinter uns.
Kaum war er weg, begannen Trisha und Troy rumzumachen. Und zwar auf die Art, die auf pure Aufmerksamkeit aus war. Ich hätte einen Stuhlkreis drumherum aufbauen und dann Eintritt verlangen können.
Leeroy war mit seinem Telefon beschäftigt, also beschloss ich, Shirley auf Duke anzusprechen.
»Wir haben uns vorgestern getrennt«, sagte sie leise. »Sorry, ich hatte dir noch nichts davon erzählt, weil ich einfach so down war.«
Das waren Neuigkeiten. In ihren Nachrichten, die sie mir in dieser Zeit geschickt hatte, hatte sie sich nichts anmerken lassen. Ich war ein wenig enttäuscht, dass sie mir nicht sofort ihr Herz ausgeschüttet hatte, dennoch sah ich sie mitfühlend an. »Warum habt ihr Schluss gemacht?«
»Weil ich mir sehr sicher bin, dass er mit einer anderen schläft.« Shirley presste die Lippen aufeinander, und ich fühlte, wie verletzt sie war. »Und das geht so gar nicht.«
Da war ich ihrer Meinung. Slade und ich hatten uns getrennt, nachdem er auf einer Party mit einer anderen rumgemacht hatte. Shirley hatte mich getröstet, als ich auf dem ganzen Weg nach Hause ins Handy geheult hatte. »Das tut mir leid.« Ich legte meine Hand auf ihre. »Wenn du reden möchtest, egal wo, egal wann, ich bin auf jeden Fall für dich da.«
Shirley tätschelte meine Hand. »Danke, das ist lieb von dir.« Sie hielt meinen Blick. »Es ist so schön, dass du jetzt wieder hier bist.«
Mir wurde ganz warm ums Herz. Und wenn ich ehrlich war: Auch ich war froh, sie wieder in meinem Leben zu haben. Wir hatten jahrelang keinen Kontakt gehabt. Aber wenn man so viel Zeit miteinander verbracht hatte, dann herrschte da ein Vertrauen, das selbst eine so lange Pause nicht verringern konnte. Shirley war damals eine der wenigen Konstanten in meinem Leben gewesen. Mom und ich waren oft umgezogen, zwar immer nur innerhalb Tampas, aber die Stadt war groß und Mom nicht der Typ, der lange Wege auf sich nahm, nur um mich zu Freundinnen zum Spielen zu bringen. So hatte ich ständig neue Menschen um mich herum gehabt. Die Zeit bei meinen Großeltern hingegen hatte immer bedeutet, mit den gleichen Leuten zu tun zu haben. Und auch wenn das auf den ersten Blick langweilig klang, mir hatte es gut gefallen. »Ich finde es auch schön.«
Sie entzog mir ihre Hand, um an ihrer Frisur, die absolut perfekt saß, herumzuzupfen. Shirley war eine der schönsten Frauen, die ich kannte. Schon damals, als sie noch klein war, hatte sie als das hübscheste Kind im Dorf gegolten, und daran hatte sich auch nichts geändert, als sie erwachsen geworden war. Ich war mir sicher, dass sie hier immer noch völlig konkurrenzlos war. Innerlich wünschte ich mir, dass die Geschichte mit Duke und ihr nun endgültig vorbei war. Sie verdiente etwas Besseres, einen Mann, der wirklich mit ihr zusammen sein wollte. Sehr wahrscheinlich würde die Zeit mein Verbündeter sein, denn sobald Shirley nach Baton Rouge an die Kunstakademie ging, würde sie dort sicherlich sehr schnell einen Schwarm von Verehrern anziehen. Und Duke wäre hoffentlich für immer abgemeldet.
Shirley beugte sich noch etwas näher zu mir, während Trisha und Troy immer noch so taten, als hätten sie kein Zuhause. Leeroy erhob sich gerade, das Telefon am Ohr und eine Zigarette in der anderen Hand.
»Erinnerst du dich noch an das eine Mal, als wir bei dir waren und dieser kleine Alligator plötzlich aus einem der Beete spazierte? Wir spielten auf dem Rasen, und deine Großmutter ist mit einem Baseballschläger auf ihn losgegangen und hat ihn vertrieben. Er hatte vermutlich mehr Angst vor uns als wir vor ihm.« Sie lachte. »Das werde ich niemals vergessen. Und weil deine Grandma den Alligator so angebrüllt hat, haben wir beide angefangen zu heulen. Ich glaube, du hast dich sogar übergeben.«
»Ich?«, erwiderte ich lachend. »Niemals.« Ich erinnerte mich zwar nicht mehr an die Geschichte mit dem Alligator, aber es war schön, dass Shirley noch davon wusste.
»Doch, ich weiß es noch ganz genau.« Sie kniff mir in den Oberschenkel. »Du hattest diese Stoffschuhe an, die waren noch ganz neu. So rosa Dinger mit Glitzer drauf.«
An die Glitzer-Schuhe erinnerte ich mich sehr wohl. »Grandma hat sie mir im Walmart in New Orleans gekauft.« Ich seufzte tief. »Gott, was habe ich diese Schuhe geliebt. Grandma hat sie immer in der Waschmaschine gewaschen, und ich hatte jedes Mal Angst, dass sie ihre Perlen und Pailletten verlieren. Aber diese Dinger waren zäher als jeder Lederschuh.«
Wir sahen uns an und mussten wieder lachen. Dann legte ich den Kopf schief. »Ich bin mir sicher, du erinnerst dich noch, wie du nach einem Regenschauer unbedingt im Garten Fahrradfahren wolltest? Als du plötzlich bremsen musstest, bist du vom Fahrrad gefallen und in einem Dornenbusch gelandet.«
Shirley tat scheinheilig. »Tut mir leid, da klingelt bei mir gar nichts.«
»Du sahst aus, als hättest du mit einem Stachelschwein gekämpft.«
Sie blinzelte und tat immer noch unschuldig. »Also, so ein Stunt passt doch eher zu dir.«
Wir lachten und ich ließ mich gegen die weiche Lehne des Sofas sinken. Shirley folgte mir nur einen Moment später. Ich sah an die Decke, von der der Putz abblätterte. »Sag mir, dass ich das schaffen werde.«
Shirley lehnte ihre Schulter an meine. »Du schaffst das.«
Ich seufzte. »Wenn ich das hier nicht packe, dann muss ich ins Gefängnis. Verdammt, wie konnte es nur so weit kommen? Ich könnte mir selbst so in den Hintern treten.«
»Schau mal, ich bin noch die ganzen Sommerferien hier. Ich verspreche dir, ich werde alles tun, um dir zu helfen. Wenn du willst, stelle ich dir das gesamte Dorf vor. Außerdem kann ich dich jeden Morgen wecken, ich bin echt gut darin, Leute zu nerven.« Noch mal stupste sie gegen meine Schulter. »Dann bist du immer pünktlich, egal wem der Sheriff dich zuteilt.«
»Das ist lieb von dir«, murmelte ich. Ich wollte ihr sagen, wie schade ich es fand, dass sie nach den Sommerferien wegziehen würde. Dann würde sie höchstens mal an den Wochenenden in Tallahawney sein. Aber ich wusste auch, wie sehr sie sich über ihren Studienplatz freute und wie hart sie an ihrer Mappe gearbeitet hatte. Deshalb verkniff ich mir diese Worte. Ich war dankbar, dass wir nahtlos an das anknüpften, was uns vor so vielen Jahren verbunden hatte. Es fühlte sich gut an, eine Freundin zu haben. In Tampa hatte ich Klassenkameraden, Leute, mit denen ich herumhing, aber eine wirkliche Verbindung zu einer anderen Frau hatte ich nicht gehabt. Und erst seit ich wieder den Kontakt zu Shirley gesucht hatte, war mir aufgefallen, wie sehr mir das fehlte.
»Weißt du noch, wie wir einmal unbedingt nachts auf der Veranda zelten wollten?«
Ich hörte das Lachen in ihrer Stimme. »Oh ja. Wir wollten mutig sein, wie die Forscher, die wir in einer Dokumentation gesehen hatten. Und schon nach einer Stunde standen wir zitternd wieder vor der Tür, weil die Geräusche des angrenzenden Sumpfes so unheimlich waren. Bedenkt man, dass hin und wieder Alligatoren durch euren Garten spazieren, war das vermutlich gar keine schlechte Entscheidung.«
»Grandma hatte nichts dagegen.«
Shirley lachte. »Die alten Leute hier aus dem Süden sind einfach ein anderes Kaliber. Mein Großvater schießt nachts immer noch auf alles, was sich bewegt. Und manchmal auch tagsüber.«
»Nicht dein Ernst.« Ich musste lachen, fand die Vorstellung aber gleichzeitig ziemlich verstörend.
»Oh doch. Einmal hätte es fast den Postboten erwischt. Seit Grandpa seine Brille trägt, ist es etwas besser geworden.«
Ich schüttelte den Kopf. »Erinnere mich daran, wenn ich dich besuchen will.«
»Ich informiere ihn über jeden Besuch, den ich bekomme. Keine Sorge.«
Ich seufzte übertrieben laut. »Wie beruhigend.«
Shirley und ich schwelgten noch weiter in Erinnerungen. Obwohl sie regelmäßig versuchte, Trisha und Troy in das Gespräch mit einzubeziehen, gab Trisha nur patzige Antworten, bis Shirley es aufgab.
Ich wollte mit Shirleys Freunden klarkommen, denn sie sollte nicht zwischen ihnen und mir entscheiden müssen, aber Trisha machte es einem echt nicht leicht. Ich fragte mich, wieso sie mich nicht leiden konnte, bevor sie mich überhaupt kennengelernt hatte.
Irgendwann kam Leeroy zurück, und in seinem Windschatten folgte Duke. Der beugte sich zu Shirley. »Bitte, Babe. Lass uns das klären.«
Und dafür war eine Party ja genau der richtige Ort ...
Trisha löste sich sofort von Troy, als habe sie ihn im Moment des Auftauchens von Duke vergessen. Schon wieder strahlte sie ihn an, als wäre sie ein Model in einer Zahnpasta-Reklame.
Shirley schnaubte, wandte sich ihm dann aber zu. »Halte es kurz, ja?«
Er nickte, immer noch mit einem reumütigen Gesichtsausdruck.
Trisha sah aus, als habe sie auf etwas sehr Spitzes gebissen. Wieso hatte ich das Gefühl, dass sie total in Duke verschossen war?
»Tut mir leid, das wird vermutlich etwas dauern. Ich weiß nicht, ob wir hierbleiben. Kann sein, dass wir uns ein etwas ruhigeres Plätzchen suchen.« Shirley wirkte zerknirscht. »Wir sind Montagabend alle bei Trisha, ein bisschen abhängen und so. Komm doch da einfach vorbei. Wir sind meistens so ab 20 Uhr da. Das ist die nächste Ausfahrt nach der zu deinen Großeltern in Richtung Easton, es ist das einzige Haus dort. Ist kinderleicht zu finden.« Sie sah zu ihrer Freundin herüber, die immer noch angesäuert aussah. »Das geht doch klar, Trisha, oder?«
»Natürlich«, erwiderte diese durch geschlossene Zähne.
Ich kämpfte mit der Enttäuschung, die ich empfand. Eigentlich hatte ich mich auf einen netten Abend mit Shirley gefreut. Und ich fand es super respektlos von Duke, dass er die Party nutzen wollte, um ihre Probleme zu klären. Würde man sich nicht dafür an einem etwas ruhigeren Ort verabreden? Aber es war Shirleys Entscheidung, und die respektierte ich. Vermutlich empfand sie für Duke doch noch mehr, als ich annahm und wollte genau wie er die Probleme zwischen ihnen so schnell wie möglich lösen.
Also nickte ich. »Na klar. Wir sehen uns. Ich bin sowieso müde von der Anreise. Ich denke, ich haue dann gleich ab.«
Sie lächelte mich an. »Mach auf jeden Fall die Taschenlampe an deinem Handy an, wenn du den Weg zur Hauptstraße nimmst.«
Darauf wäre ich sicherlich auch von allein gekommen, aber bestimmt wollte sie einfach nur nett sein. Trotzdem war ich immer noch enttäuscht. »Klar, danke dir.«
Shirley erhob sich, und dann ging sie mit Duke davon.
Troy schlang seiner Freundin die Arme um den Körper, als wolle er ganz sichergehen, dass sie nicht hinterherlief. Leeroy hatte alles mit amüsiertem Blick beobachtet. »Das geht schon seit einem Jahr so. Sie können sich nicht entscheiden, ob sie sich lieben oder hassen sollen.«
Das wusste ich bereits, denn Shirley hatte mir die ganze Beziehung erzählt.
»Und davor war er mit mir zusammen«, ergänzte Trisha.
»Allerdings nur drei Wochen.« Leeroy sprach, während er schon wieder auf seinem Handy tippte. »Er hat dich abserviert, kaum dass Shirley mit diesem Typen aus Baton Rouge Schluss gemacht hatte.«
Trisha zeigte ihm den Mittelfinger. »Fick dich. Immerhin werde ich flachgelegt. Und was läuft bei dir so?«
Leeroy grinste und hob den Blick nicht vom Bildschirm. »Ein Gentleman genießt und schweigt.«
Trisha schnaubte. »Ja, schon klar.« Ihr Blick glitt zu mir. Ich hatte der Unterhaltung nur gelauscht und gleichzeitig überlegt, ob ich einfach abhauen sollte.
»Was ist denn mit dem Tolliver-Mädchen?« Trishas Stimme klang süß. »Die sieht ein bisschen aus wie deine Ex aus der Neunten. Ist zwar schon eine Weile her, aber vielleicht ist das ja dein Typ?«
»Mein Name ist Mae.« Ich sah Trisha kalt an. »Und lieben Dank, aber ich kann mich immer noch am besten selbst verkuppeln.«
Troy und Leeroy grinsten, Trisha zog ein Gesicht.
Und irgendwie war das genau der Auslöser, den ich brauchte, um endgültig eine Entscheidung zu treffen. Ich stand auf. »Ich hau ab. Wir sehen uns.«
Leeroy stand ebenfalls auf. »Soll ich dich noch runter zur Straße bringen?«
Mit einem knapp zwei Meter großen Typen, von dem ich nichts wusste, außer, dass er ein Springmesser im Schuh hatte und mit Drogen dealte, zehn Minuten lang durch die Dunkelheit des Sumpfes laufen? Ja, klar. In Tampa hatte ich mitbekommen, was Frauen passieren konnte, wenn sie sich mit Typen abgaben, die sie nicht kannten. Also schüttelte ich den Kopf. »Danke dir. Den Weg finde ich schon.« Ich zog mein Handy hervor. »Und ich habe meine Taschenlampe.«
Leeroy nickte. »Alles klar. Dann sehen wir uns.«
»Bis dann, Mae«, sagte Troy. Trisha sagte gar nichts.
Ich lächelte noch mal vage in die Runde und wandte mich dann zum Gehen. Unauffällig sah ich mich nach Shirley um, doch sie war verschwunden. Auf meinem Weg aus dem Zimmer heraus schrieb ich Grandma eine Nachricht mit der Bitte, mich abzuholen. Vermutlich würden wir gleichzeitig an der Hauptstraße ankommen, denn der Weg im Auto hatte kaum zehn Minuten gedauert. Und ganz ehrlich? Irgendwie freute ich mich doch auf ein Bett und ein paar Stunden Schlaf.
In der Eingangshalle war es so voll, dass ich mich plötzlich im Gedränge unwohl fühlte. Ich wich auf die breite Treppe aus, die in den ersten Stock führte.
Schnell ging ich drei Stufen hoch und überblickte die Menge. Es waren nur wenige Meter bis zum Ausgang, aber ich hatte schon immer ein wenig Platzangst gehabt.
Jetzt erkannte ich den Grund, warum es so voll war. Eine Gruppe Neuankömmlinge stand noch in der Nähe des Eingangs. Sie schienen nicht hierher zu passen, und vermutlich waren sie nicht eingeladen gewesen, wenn ich die Mienen der anderen Partygäste betrachtete.
Die Jungs trugen gebügelte T-Shirts und Chinos, die Mädchen Sommerkleider mit Rüschen und strassbesetzte Sandalen. Perlen schimmerten in ihren Ohren. Sie alle passten hierher wie Eisbären in die Wüste.
Ich starrte sie an, weil ihr Anblick irgendwie skurril war. Offenbar schienen sie zu beraten, ob sie direkt wieder gehen sollten. An einem der Typen blieb mein Blick hängen. Dunkle Haare, breite Schultern und Augen so türkisblau, dass selbst das wenige Licht ihnen nicht ihre Strahlkraft nehmen konnte. Als habe er meinen Blick gespürt, hob er plötzlich den Kopf. Wir sahen uns direkt in die Augen, dann musterte er mich kurz, bevor er den Blick wieder abwandte.
Es ärgerte mich, als ich einen Stich im Bauch spürte. Was wollte ich mit so einem Preppy?
Okay, er sieht gut aus, aber der Rest passt einfach nicht zu mir. Ich schämte mich nicht für mein Outfit, das kaum mehr als fünfzehn Dollar gekostet hatte. Nicht jeder wurde mit einem goldenen Löffel im Mund geboren.
Als sich eins der Mädels seiner Gruppe bei ihm unterhakte, schrieb ich ihn gedanklich ab. Nicht meine Liga, schon vergeben und seinen Blick würde ich auch ganz schnell wieder vergessen.
Die Gruppe entschied offenbar, zu bleiben. Einer der Typen ging voraus in ein Zimmer rechts vom Haupteingang. Es ärgerte mich, dass ich nicht wegsehen konnte. Warum guckte ich nicht einfach woanders hin? Warum ging ich nicht die Treppe herunter und verschwand in der Menge, um mir einen Weg Richtung Ausgang zu bahnen? Na los, du schaffst das. Diese Angst ist nur ein Gefühl. Und Gefühle stellen keine reale Gefahr dar. Los jetzt.
Und gerade, als ich genau all das tun wollte, hob der Dunkelhaarige im Gehen den Kopf erneut und sah in meine Richtung. Sein Blick hatte etwas Fragendes. Ja, ich weiß. Hi, ich bin die Neue. Aber ich entdeckte noch mehr darin. Neugier? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass es ein intensiver Moment war, den wir teilten, und er war zu lang, um Zufall zu sein. Etwas regte sich in meinem Bauch, ein Kribbeln, ein verheißungsvolles Prickeln, das mehr versprach.
Komm her. Erzähl mir von dir. Finden wir heraus, ob da mehr ist.
Dann sagte einer seiner Freunde etwas, und er wandte sich erneut ab. Ich sah ihm nach, als er in dem Zimmer verschwand. Das war kein Zufall gewesen. Er hatte absichtlich zu mir hochgesehen. Ich holte tief Luft, bevor ich meinen Körper zwang, die Treppe hinabzugehen.
Dieser Typ in dem 200 Dollar-Shirt, der aussah, als wäre er auf Heimaturlaub aus seinem von Mommy und Daddy gesponserten Nobel-Internat irgendwo in Aspen, hatte mich mehr als nur kurz gemustert. Und mir hatte es gefallen. Offenbar hatte die Hitze mir ziemlich das Hirn vernebelt.
*
»Mae.«
Jemand rüttelte mich sanft an der Schulter. Ich blinzelte gegen die Helligkeit, die durch die geöffneten Gardinen fiel. Wer machte denn so was? Ich blinzelte noch mal. Das Gesicht meiner Großmutter ragte über mir auf, ihr silbernes Haar durch die Sonne schimmernd wie ein Heiligenschein.
Ich gab ein Geräusch von mir, das ungefähr wie »Uargh« klang.
Grandma rümpfte die Nase. Es war der gleiche Gesichtsausdruck, mit dem sie mich unten an der Straße zur Beauregard Plantage in ihrem grünen Pick-up erwartet hatte. »Mae, bitte mach dich fertig. Um acht Uhr geht der Gottesdienst los.«
Bitte was? Wie viel Uhr war es dann jetzt? Und wie kam sie auf die Idee, dass ich eine Kirche von innen sehen wollte? Schon als ich ihr von der Party erzählt hatte, hatte sie mich angesehen, als wäre ich ein Dämon. Hoffte sie, dass ich zu Asche zerfiel und mit mir auch all die von mir geschaffenen Probleme? In meinem Kopf formulierte ich: Wie viel Uhr ist es denn? Heraus kam aber nur »Uhr« und selbst das war schwer zu verstehen.
Schon wieder so ein Gesicht. »Es ist kurz vor sieben. Ich wusste nicht, wie lange du im Bad brauchst. Und zieh dir etwas Anständiges an.«
»Nein«, war alles, was ich herausbrachte.
Grandma rüttelte mich erneut, dieses Mal nicht mehr ganz so sanft. »Mae, das ist nicht lustig. Bitte steh auf. Wir wollen noch in Ruhe frühstücken.« Sie zog an meiner Decke, ich zog sie zu mir zurück.
»Mae.« Verschwunden war die Geduld in ihrer Stimme. »Sonntags frühstücken wir zusammen, und dann geht die Familie Tolliver in die Kirche.«
»Und dabei wünsche ich euch viel Spaß.«
Und zack war ich meine Decke los. Grandma ließ sie am Ende des Bettes fallen, nur um die Arme vor der Brust zu verschränken und mich anzufunkeln. »Du hast eine halbe Stunde. Dann erwarte ich dich unten.«
Innerlich schmunzelte ich. Oh süße kleine Grandma. Ich hatte jahrelange Erfahrung im Schwänzen all jener Dinge, die mir keinen Spaß machten. Also richtete ich mich auf, schwang die Beine über den Rand der Matratze und stand auf. »Alles klar«, sagte ich und streckte mich betont.
Grandma wirkte sehr zufrieden. »Dann bis gleich.«
Ich lächelte. Drei. Zwei. Eins.
Und schon war sie aus dem Zimmer. Und schon war ich an der Tür und schloss hinter ihr ab.
Grandma erkannte ihren Fehler in dem Moment, in dem sich der Schlüssel drehte. »Zara Mae Tolliver!«
Ich riss die Gardinen wieder zu, schnappte meine Decke und schlich zurück ins Bett.
»Mae! Du machst jetzt sofort auf.«
Anders als Mom hämmerte sie nicht gegen die Tür. Sie beschimpfte mich auch nicht. Sie klopfte noch ein paar Mal, sie rief meinen Namen, aber irgendwann war sie verschwunden. Ich schloss selig die Augen.
*
Der Hunger weckte mich. Ich sah kurz aufs Handy, aber da gab es nicht viel Neues. Shirley hatte mir auf meine Nachricht von gestern Nacht nicht geantwortet, genauer gesagt: Sie hatte sie noch nicht mal gelesen, denn die zwei Häkchen waren noch hellgrau.