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Rudolfo erfährt erst spät im Leben, wem er seine Leidenschaft für den Tango Nuevo verdankt. Manche Geheimnisse behält frau besser für sich, auch wenn es schwerfällt, der Schwester ins Gesicht zu schauen. Die Liebe nimmt keine Rücksicht auf das Alter und manchmal ist die Aufregung für ein schwaches Herz auch zuviel. Ein Schiffsunglück auf Fuerteventura und ein Journalist, der eine Story über ein Hotel abliefern soll... Menschen wie du und ich begegnen uns in vierzehn Kurzgeschichten.
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Seitenzahl: 82
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Barbara Ludwig
TANGOINBERLIN
Kurzgeschichten
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ABW Wissenschaftsverlag GmbHKurfürstendamm 5710707 BerlinDeutschland
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ISBN 978-3-86474-077-0
Produced in Germany
E-Book-Produktion: ABW Wissenschaftsverlag mit bookformer, BerlinUmschlaggestaltung: brandnewdesign, HamburgE-Book-Korrektorat: Alexandra Kellner, BerlinTitelabbildung: istockphoto .(Cevdet Gökhan Palas)
P120044
Tango in Berlin
Geheimnis
Ein heißer Sommer
Herbstliebe
Das Meer
Sturm auf den Kanaren
Zweite Chance
Rien ne va plus
Das Bärli
Die zerbrochene Brille
Eine Reise nach Moskau im Jahr 1949
Das gelbe Sofa
Schöne Bescherung
Weihnachtsgeschenke
Berlin war gerade wiedervereinigt worden und neu für mich. Aber ich war inzwischen in einem Alter, indem ich mich nicht mehr für Sightseeing begeistern konnte. Ich betrachtete den Aufenthalt eher als eine Art Stippvisite. Berlin schien, ebenso wie meine Heimatstadt Paris inzwischen vom Tangofieber erfasst. Man hatte uns, meine Band und mich, für einige Abende im Delphi Keller engagiert. Wenn ich auf der Bühne stand, war mir egal, in welcher Stadt. Ich lebte für, mit und vom Tango Nuevo. Wenn ich ehrlich war, gab es wenig anderes. Gut, meine Mutter – wir waren im Café Kranzler am Kurfürstendamm verabredet. Als ich eintraf, fand ich alle Tische am Fenster besetzt.
.„Darf ich mich zu Ihnen gesellen?“ bat ich einen allein sitzenden älteren Herrn. Weißes Haar, gepflegter Anzug, markantes Gesicht, er lächelte und seine Hand wies auf die freien Stühle. .„Bitte, wenn es Sie nicht stört, dass ich noch jemanden erwarte.“ Irrte ich mich oder zwinkerte er mir bei diesen Worten zu. Höflich antwortete ich: .„Das Café ist geschrumpft? Ich habe es anders in Erinnerung, ich war längere Zeit nicht mehr in Berlin.“
Er nickte. .„Ja, seit der Vereinigung spielt sich alles wieder in der Friedrichstraße ab, wie in meinen jungen Jahren. Waren Sie schon drüben?“ Ich nickte und so kamen wir ins Gespräch. Irgendwie landeten wir beim Tango, wie sollte es anders sein und ich redete und redete. Er war ein guter Zuhörer. .„Wussten Sie, dass man den Tango Nuevo am Anfang in Argentinien ablehnte? Dieser zwingende Rhythmus! Ich habe gestern eine Aufnahme gefunden, die Astor Piazolla zusammen mit Gerry Mulligan produzierte, Jazz und Tango, einfach großartig“, schwärmte ich. Er lächelte verhalten und ich laberte ihn weiter voll. .„Die konservative Tangowelt in Buenos Aires behauptete in jener Zeit glatt, der neue Tango, der Tango Nuevo, würde an den traditionellen Grundfesten rütteln. Erst als Astor in New York und Paris einen Erfolg nach dem anderen einheimste, gestatteten sie ihm gnädig nach Hause zu kommen. Und jetzt ist er der absolute König mit seiner Musik.“ So nebenbei ließ ich einfließen, dass meine Mutter nicht unschuldig an meiner Leidenschaft für den Tango Nuevo wäre, sehr im Gegensatz zu meinem Vater, Pierre.
Mein Gegenüber schaute immer wieder auf die Straße, auch mehrmals zur Uhr, unterbrach meinen Redestrom jedoch nicht oder höchstens um eine interessierte Frage zu stellen. Ich vergaß völlig die Zeit und den Grund meines Aufenthaltes in diesem Café.
Bis meine Mutter plötzlich auftauchte. Ihre Haare waren ebenfalls weiß und sie schien mir kleiner geworden zu sein, aber sie bewegte sich noch immer mit jener Grandezza, die jeden Ort, den sie betrat zur Bühne machte. Sie trug ein schwarzes Kostüm, mit einem weit schwingenden Rock, der ihre immer noch schmale Taille betonte. Und um die Schultern jenes blass orange-rosa Tuch, mit den langen Fransen, das ich ebenso gut kannte, wie ihre Melancholie und diese gewisse Trauer in ihrem schönen, jetzt mit feinen Fältchen durchzogenen Gesicht. Wie immer steckten ihre Füße in hochhackigen Schuhen, und ihr Haar war zu einem kleinen Knoten im grazilen Nacken zusammengesteckt. Sie schaute sich suchend um und ich stieß den Stuhl beiseite, um zu ihr zu eilen. Mein Tischnachbar hatte sich ebenfalls erhoben und meine Bewegung blieb im Ansatz stecken. Wie in einer Zeitlupenaufnahme bewegten sich die beiden aufeinander zu. Die Luft schien zu vibrieren. Er schwankte ein wenig, bemerkte ich überflüssigerweise, als sie sich in den Arm fielen und sich in einen Kuss versenkten, der von Liebe sprach und ihr Alter Lügen strafte. Es fiel mir schwer, den Blick abzuwenden. Auch andere wurden aufmerksam, und als das sich Paar löste, klatschten einige. Lachend kamen sie an den Tisch.
.„Rudolfo, ich möchte dir Rudolf Mehler vorstellen.“ Nie hatte ich meine Mutter derartig strahlen gesehen, sie wirkte plötzlich wie ein junges Mädchen.
Eine Flasche Champagner wurde auf den Tisch gestellt. .„Ich verstehe nicht ...“, begann ich. Meine Mutter legte mir den Finger auf den Mund. Ich reagierte etwas unwirsch. Wir sahen uns viel zu selten. Es störte mich, dass sie diesen Fremden bei unseren Treffen dabei haben wollte, auch wenn er mir nicht unsympathisch war. Es gab soviel von mir zu erzählen – ich war ein Egomane, zugegeben. Aber sie ließ sich nicht beeindrucken und fuhr fort:
.„Ich möchte dir eine Geschichte erzählen Rudolfo, ich denke, du wirst sie mögen, denn der Tango spielt eine große Rolle in ihr. Sie führt zurück in das Berlin der 30iger Jahre. In Berlin und Paris herrschte, bevor ein Herr Hitler mehr und mehr Einfluss gewann, ein regelrechter Tango-Wahnsinn. Es gab überall Wettbewerbe. Einer fand im Femina statt, einem mehrstöckigen Tanzpalast in der Nürnberger Straße – nicht weit vom Kurfürstendamm entfernt. Mehrere Musikkapellen spielten gleichzeitig. Ich war mit meinem Bruder aus Paris angereist, weil ein besonders hohes Preisgeld ausgeschrieben worden war. Wir rechneten uns gute Chancen aus. Das Geld brauchten wir dringend, deine Schwester war bereits auf der Welt und Pierre hat keine Arbeit.
Allerdings zerplatzten meine Träume schnell. Mein Bruder wurde krank. Mit gesenktem Kopf schlich ich zur Bühne, um meine Teilnahmenummer zurückzugeben. Der Mann an der Nummernvergabe reichte mir sein Taschentuch und tröstete mich: .„Nu, nu, kleenes Frollein, Männer jibts doch zur Genüje, is doch keen Grund zu weenen.“ Dann nahm er mich bei der Hand, drängte mich zur Bühne, flüsterte mit dem Conférencier. Ehe ich mich versah, trat dieser ans Mikrofon und verkündete lauthals:
.„Diese charmante junge Dame sucht einen Tanzpartner, natürlich nur einen, der ausgezeichnet Tango tanzen kann. Immer rauf hier auf die Bühne, keine falsche Scham. Sie werden die junge Tänzerin doch nicht stehen lassen. Mut meine Herren. Isabella kommt aus Paris, ist Argentinierin und hat den Tango im Blut. Sie haben beste Chancen, mit ihr den Preis zu gewinnen.“
Rudolf Mehler lächelte. .„Ich meldete mich, stellen Sie sich vor. Sie haben mir viel von ihrer Leidenschaft für den Tango erzählt Rudolfo, ich darf Sie doch so nennen?“ Ich nickte, etwas überrumpelt. .„Tango hat auch in meinem Leben eine beherrschende Rolle gespielt. Mein Vater war Meister in der erzgebirgischen Firma Arnold in Carlsfeld. Er stellte die für den Tango unersetzlichen Bandonions her. Schon als Kind wusste ich alles über dieses Instrument mit den vielen Knöpfen und dem Blasebalg, das der Musiklehrer Heinrich Band erfand.“ Jetzt bekam ich endlich wieder ein Stichwort. Ich lachte. .„Dann hat Ihr Vater Ihnen sicher ebenso oft wie mir meine Mutter die Geschichte des Bandonions erzählt.“ Er nickte. .„Mmhm, ... von den beiden deutschen Matrosen, die 1868 mit dem schwedischen Frachter Landskrona in Argentinien landeten, sich in Spelunken herumtrieben, allen Sold verspielten und sich mit dem Bandonion freikauften.“
Rudolf lächelte.
.„Zum Glück landete das Instrument nach einigen Umwegen bei einem Musiker und der Tango war geboren, .„schob ich nach.
.„Genau. Sie können sich sicher vorstellen, dass zu meinem Vater die berühmtesten Tangointerpreten kamen und es blieb nicht aus, dass auch ein Tänzchen gewagt wurde. Schon auf dem Arm meiner Mutter wiegte ich mich im Tangoschritt.“
.„Genau wie ich“, konstatierte ich und meine Mutter schenkte mir einen verschwörerischen Blick.
.„Isabella wirkte so zerbrechlich, wie sie da verloren auf der Bühne stand. Ihr schwarzes Haar fiel ihr bis auf die Schultern, eine Frisur, die unmodern war und sich von den Bubiköpfen der Damen abhob. Als ich auf die Bühne trat, rief der Moderator: .„Na, sehen Sie hübsche Dame, Sie bekommen einen Tänzer, noch dazu einen gut aussehenden jungen Mann, groß und elegant. Wenn er noch Tango tanzen kann, haben Sie gute Chancen, den Preis zu gewinnen, ich drücke dem Paar den Daumen.“ Ja, das konnte ich, Tango tanzen.
Wir bekamen eine Nummer an den Rücken befestigt und stellten uns zu den anderen Paaren auf die Tanzfläche. Der typische 4/8 Takt setzte ein, in dem Melancholie, Entwurzelung, Verzweiflung, Heimweh und Liebessehnsucht miteinander verschmelzen. Wir brauchten nur eine Minute, bis wir spürten, dass wir uns verstanden. Bald vergaß ich völlig, dass ich tanzte und ihr erging es wohl ebenso.“ Wieder ein verliebter Blick zwischen meiner Mutter und diesem Mehler, langsam dämmerte es mir und ich sah ihn mir genauer an.
.„Der Wettbewerb ging über zwei Tage. Wie selbstverständlich verließen wir am ersten Abend zusammen das Femina