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Sammelband: Drei Ostsee-Krimis in einem Band. »Ostseegrab« von Anke Clausen: Sophie Sturm, Klatschreporterin eines Hamburger Hochglanzmagazins, macht Urlaub auf Fehmarn. Statt jedoch die gewünschte Erholung zu finden, entdeckt sie am Strand eine tote Frau im Neoprenanzug. Schon die zweite ertrunkene Kitesportlerin innerhalb einer Woche. Entgegen der Polizei glaubt Sophie nicht an einen Zufall. Sie macht einen Kitekurs und schnüffelt in der Szene herum. Doch sie schenkt dem Falschen ihr Vertrauen und bringt sich damit selbst in tödliche Gefahr. »Mordsregatta« von Harald Jacobsen: Während der Kieler Woche wird ein Toter aus der Förde gezogen, er wurde Opfer eines Gewaltverbrechens. Ausgerechnet jetzt, wo Kommissar Frank Reuter gerade begann, sich seiner Exfrau langsam anzunähern! Wieder einmal hat der Beruf Vorrang, und so begibt sich Reuter auf die Suche nach dem Mörder des jungen Bootsbauer-Azubi. Seine Ermittlungen führen schnurstracks zum Kollegen des Toten, dem Freund seiner Tochter. Ist etwa seine eigene Familie in den Fall verwickelt? »Steilufer« von Ella Danz: An einem verregneten Sommertag wird in der Lübecker Bucht ein Toter gefunden. Sein Gesicht ist vollkommen zerstört - die Identifizierung ist zunächst unmöglich. Nicht weit vom Fundort entfernt wird der Pâtissier eines Feinschmeckerrestaurants, ein junger Algerier, vermisst. Der Fall scheint klar, denn auch das Motiv ist schnell gefunden: Rassismus. Tatverdächtig ist eine Clique Neonazis. Anna Floric, die Chefin des Restaurants, bekommt es mit der Angst zu tun. Viele ihrer Mitarbeiter stammen aus Nordafrika. Ihre größte Sorge jedoch gilt Lionel, ihrem zwölfjährigen Sohn. Als die Ermittlungen sich immer zäher gestalten und auch noch dunkle Wolken über seinem Privatleben aufziehen, droht Kommissar Georg Angermüller seine Seelenruhe und die allseits bekannte Vorliebe für gutes Essen zu verlieren…
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Seitenzahl: 1254
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Anke Clausen / Harald Jacobsen / Ella Danz
Tatort Ostsee
Ostseegrab / Mordsregatta / Steilufer
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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E-Book-Produktion: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: Julia Franze unter Verwendung von: © bluejayphoto – istockphoto.com (Gesamttitel); Ostseegrab: © ok001 – pixabay.com; Mordsregatta: © 2008 woehlbier industrial design, all rights reserved; Steilufer: © hanseat – stock.adobe.com
Ostseegrab
Copyright der Originalausgabe © 2007 by Gmeiner-Verlag GmbH
Mordsregatta
Copyright der Originalausgabe © 2013 by Gmeiner-Verlag GmbH
Steilufer
Copyright der Originalausgabe © 2007 by Gmeiner-Verlag GmbH
ISBN 978-3-7349-9488-3
Impressum
Anke Clausen: Ostseegrab
Zum Buch
Widmung
Prolog
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Epilog
Personenglossar
Harald Jacobsen: Mordsregatta
Zum Buch
0
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Dank
Ella Danz: Steilufer
Zum Buch
Widmung und Dank
Der Fund
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Anhang
Angermüllers mediterraner Abend
Spezialitäten aus der ›Villa Floric‹
Maghrebinische Küche aus der Remise
Aus Schwiegermutter Johannas holsteinischer Küche
Sophie Sturm, Klatschreporterin eines Hamburger Hochglanzmagazins, macht Urlaub auf Fehmarn. Statt jedoch die gewünschte Erholung zu finden, entdeckt sie am Strand eine tote Frau im Neoprenanzug. Schon die zweite ertrunkene Kitesurferin innerhalb einer Woche. Entgegen der Polizei, glaubt Sophie nicht an einen Zufall. Sie macht einen Kitekurs und schnüffelt in der Szene herum. Doch sie schenkt dem Falschen ihr Vertrauen und bringt sich damit selbst in tödliche Gefahr.
Anke Clausen lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Hamburg. Nach 20 Jahren in der Fernsehwelt als Kamerafrau und regieführende Bildmischerin für Nachrichten, Magazine und Talkshows arbeitet sie heute als freie Autorin. Im Herbst 2007 startete sie ihre Krimi-Reihe um die ebenso hübsche wie neugierige Hamburger Klatschreporterin Sophie Sturm. Hauptschauplatz der Verbrechen ist die Ostseeinsel Fehmarn. Ein Ort, an dem Anke Clausen nicht nur aus Recherchegründen gerne Zeit verbringt.
Für Zoe
Sie schien tatsächlich Schwierigkeiten zu haben, ihre Augen offenzuhalten, stellte er mit Genugtuung fest. Von der Sonnenbräune war nichts mehr zu sehen. Sie wurde immer blasser. »Alles klar?«, fragte er mit gespielter Sorge. Sie nickte nur müde. »Du warst wirklich klasse heute. Eins mit Wind und Wasser«, plauderte er einfach weiter. »Es hat richtig Spaß gemacht, dir beim Kiten zuzusehen.« Sie würde gleich umkippen. Sie schwankte bereits. Auf ihrer Stirn glänzte kalter Schweiß.
»Mir ist ganz komisch.« Es war nicht mehr als ein Flüstern.
»Du siehst auch ein bisschen mitgenommen aus. Warum setzt du dich nicht?« Er kicherte innerlich. Sie würde keinen Schritt mehr machen können. Zu seinem Erstaunen versuchte sie es aber. Mit geschlossenen Augen taumelte sie auf den Tisch zu. Jetzt bekam er tatsächlich Angst. Was, wenn sie stürzte? Sie durfte sich auf keinen Fall verletzen. Das passte nicht in seinen Plan. Er hatte doch etwas ganz anderes mit ihr vor und dafür sollte sie schön sein. Schön, blond und glücklich. Ansonsten wäre die ganze Anstrengung umsonst gewesen. Bevor sie fiel, fing er sie auf. »Na, das war aber knapp!«
»Ich bin müde«, hauchte sie.
Mühelos nahm er sie auf den Arm wie ein kleines Kind. Sie seufzte und ließ den Kopf an seine Brust fallen. Sie wähnte sich tatsächlich in Sicherheit. Was wohl gerade in ihrem hübschen Köpfchen vorging? Wahrscheinlich glaubte sie, er würde sie nun schlafen lassen. Amüsiert blickte er auf ihre geschlossenen Augen. Natürlich werde ich dich ruhen lassen. Tiefer und länger, als du es dir je erträumt hast. Er stöhnte ein bisschen, als er sich nach vorn beugte und sie vorsichtig in die Badewanne legte. Sie riss erschrocken die Augen auf. Ja, das Wasser war bestimmt ziemlich kalt. Er hatte es schon vor Stunden eingelassen. Schließlich hatte er sich vorbereitet. Dieses fragende Gesicht. Er hätte ihr ja gern erzählt, was als Nächstes geschehen würde, aber er durfte doch noch nichts verraten. Er legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm.
»Jetzt hast du wieder Farbe im Gesicht. Gleich ist es besser«, erklärte er mitfühlend.
Sie atmete tief durch und tastete nach den Wannenrändern, um sich aufzustützen. »Ich muss schlafen. Bitte!«
Da war so ein Flehen in ihrer Stimme, das ihm gar nicht passte. Auch wenn sie zweifellos müde war, musste sie doch jetzt nicht weinerlich werden. Wasser war doch ihr Element. Ihr jämmerlicher Anblick machte ihn ein bisschen ärgerlich. Sie versuchte tatsächlich sich hochzuziehen, aber er hatte damit gerechnet. Schnell beugte er sich zu ihr hinunter und legte seine Hände um ihre Schultern. Sie streckte Hilfe suchend die Arme aus. Glaubte sie denn wirklich, dass er ihr wieder raushelfen würde? Jetzt, wo er sie endlich hier hatte? Als er sie tiefer drückte, öffnete sie irritiert die Augen. Selbst als sie unter Wasser war, starrten diese Augen ihn noch fassungslos an. Plötzlich war sie voller Energie. Wo nahm sie nur die Kraft her? Vor ein paar Minuten war sie doch kaum noch bei Bewusstsein gewesen. Sie kämpfte verzweifelt. Er hatte sie unterschätzt. Sie wand sich wie ein Fisch und schlug mit Armen und Beinen um sich. Sie trug noch immer ihren Neoprenanzug. Es war nicht einfach sie in dem engen Ding zu fixieren. Langsam stieg eine maßlose Wut in ihm auf. Warum musste sie es ihm so schwer machen? Er tat das hier doch nicht zum Vergnügen. Es musste sein. Der Gewissheit wegen. Plötzlich ließ sie sich zur Seite rollen und packte seinen linken Unterarm. Mit aller Kraft drückte sie dagegen. Seine Hand rutschte für einen Moment von ihr ab. Sie nutzte die Gelegenheit und bäumte sich auf. Sie versuchte zu schreien, doch ihrer Kehle entrang sich nur ein müdes Krächzen. Sie verpasste die Chance, neuen Atem zu holen, bevor er sie wieder unter Wasser drückte. Er konnte fühlen, wie ihre Kräfte schwanden. Es war fast komisch. Sie versuchte tatsächlich, unter Wasser zu atmen. Natürlich musste sie husten. Aber diese angstgeweiteten Augen passten nicht in sein Bild. Nein, so hatte er das nicht geplant. Sie sollte doch glücklich sein. Mit diesem Gesichtausdruck konnte sie ja Kinderherzen zu Eis gefrieren lassen. Er riss sie wütend hoch. Sie musste doch kapieren, um was es eigentlich ging. Sie spuckte Schaum und rang verzweifelt nach Luft. Er bemühte sich, seine Liebe in seine Stimme zu legen. »Was ist denn?«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Du liebst das Wasser doch. Du sollst in Frieden schlafen. Wehr dich nicht dagegen. Schlaf. Schlaf einfach ein!«
Er war fast verzweifelter als sie. Sie hustete noch immer und in ihren Augen lag das blanke Entsetzen. Warum verstand sie denn nicht, dass sie ihr Schicksal annehmen musste? Es kostete ihn unendliche Kraft, seine Enttäuschung zu verbergen und sie anzulächeln. »Keine Angst, ich bringe dich nicht in dein nasses Grab zurück. Ich lege dich in den warmen Sand.« Das dumme Ding hatte gar nicht zugehört. Fast gelangweilt brachte er es zu Ende. Nach ein paar Minuten schnappte sie nur noch wie ein kleiner Fisch. Es war fast niedlich. Seine Laune besserte sich. Er formte mit seinem Mund ein Fischmaul und schnappte synchron mit. Einen Moment später war es vorbei. Sie rührte sich nicht mehr. Er beschloss, auf Nummer sicher zu gehen und wartete noch ein paar Minuten, bevor er seine Hände löste. »Ausgeschnappt«, murmelte er und rieb sich die kalten Finger. Erschöpft stand er auf und streckte sich. Erledigt. Neugierig betrachtete er das Ergebnis. Sie sah einfach nur tot aus. Ohne große Lust nahm er den Fotoapparat und machte ein Bild. Und wenn es gar nicht stimmte? Wenn Ertrinken doch kein angenehmer Tod war? Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken. Gott, was für eine entsetzliche Vorstellung. Damit würde er nicht zurechtkommen. Er atmete tief durch. Wahrscheinlich war sie einfach nur das falsche Mädchen.
Freitag
Sophie Sturm stand mit den anderen Redakteuren und dem Chefredakteur der ›Stars & Style‹ im gläsernen Konferenzraum des Verlagshauses. Der Champagnerkorken knallte und die Gläser wurden vollgeschenkt.
»Auf Sophie!«, rief jemand.
Sophie nickte und hob ihr Glas. Ihre blonde Mähne war lässig zusammengebunden und ihre langen Beine steckten in einer Designerjeans. Über dem schlichten T-Shirt trug sie eine cremefarbene Chaneljacke. Sie wusste, dass sie gut aussah, doch sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Obwohl der Erfolg der neusten Ausgabe des Hochglanzmagazins allein auf ihr Konto ging, war sie nicht in Feierlaune. Natürlich war das Aufdecken von Geheimnissen der Stars und Sternchen das tägliche Brot einer Klatschredakteurin, doch dieses Mal hatte sie nicht professionell gearbeitet. Ihr Motiv war rein persönlich gewesen. Sophie blickte aus der riesigen Glasfront auf den Hamburger Hafen. Die Sonne glitzerte auf der Elbe und ein Containerfrachter machte sich, von Schleppern gezogen, auf in Richtung See.
»Sophie? Alles klar? Du guckst ja aus der Wäsche, als hätte ich dich gerade gefeuert«, scherzte ihr Chefredakteur. Die Kollegen kicherten und genehmigten sich noch ein Schlückchen. »Dabei bist du doch heute unser Star!« Feierlich wandte er sich wieder allen zu. »Leute, ich hab die neusten Verkaufszahlen. Pole Position! Diesmal haben wir die anderen Blätter weit abgehängt.«
Es wurde gejohlt und geklatscht. Sophie setzte ein Lächeln auf und schielte auf ihre Uhr. Eine Viertelstunde würde sie den Quatsch zwangsläufig noch mitmachen müssen, aber keine Minute länger.
»Auf Sophie! Und auf Felix van Hagen und sein kleines Geheimnis!«, riefen die Kollegen.
Das kleine Geheimnis war fünf Jahre alt und geheim war es seit heute nicht mehr, dafür hatte sie gesorgt. Der beliebte Showmaster hatte eine uneheliche Tochter. Nicht mal Boris Becker und die Wäschekammeraffäre hatten die Nation so empört. Van Hagen war seit zwölf Jahren mit einer hübschen Französin verheiratet und hatte zwei Kinder. Er präsentierte seine perfekte Familie gerne vor der Presse und gab sich als strenger Moralapostel, für den vor allem Treue und Familienglück zählten. Sophie fröstelte. Nun wusste jeder, wie verlogen er wirklich war. Die Enthüllungsstory war die Geschichte des Jahres. Auch wenn ihr Name nicht auftauchte, konnte Felix sich denken, dass sie für den Artikel verantwortlich war. Sophie nahm die Glückwünsche entgegen und versuchte gelassen zu wirken. Sie war froh, dass sie nicht allein war. Pelle wich nicht von ihrer Seite. Der braune Labrador verstand sie ohne Worte. Er gähnte mehrmals lang und ausgiebig, um ihr zu zeigen, dass er sich langweilte. Sophie zwinkerte ihm zu und gab ihm zu verstehen, dass sie nicht mehr lange bleiben würden. Plötzlich wurde wieder gejubelt. Die Boulevardnachrichten hatten die explosive Meldung natürlich zum Hauptthema gemacht. Felix’ Gesicht flimmerte über den Fernsehbildschirm. Sophie kannte es sehr gut. Sie hatte ihn geliebt. Aber wer liebte ihn nicht? Seine Shows waren Straßenfeger und er war der ungeschlagene Quotenkönig. Auch wenn er mit 58 nicht mehr der Jüngste war, gab es keine Altersstufe, die von seinem Charme und seinem Witz nicht verzaubert war. Bis jetzt. Sie hatte nur den Stein ins Wasser geworfen. Für die Wellen konnte sie nichts, versuchte sie sich zu beruhigen. Geld hatte Felix zwar mehr als er jemals ausgeben könnte, doch der Imageverlust würde ihm schwer zu schaffen machen. Sie hatte eine Lawine losgetreten. Er steckte in echten Schwierigkeiten und das hatte sie beabsichtigt. Trotzdem fühlte sie nicht den erhofften Triumph. Sophie stürzte den Rest Champagner hinunter. Es wurde Zeit, dass sie abhaute. Sie musste noch schnell heimfahren, sich umziehen und ihren Koffer holen. Sie musste mal weg von allem. Ihr Arzt hatte ihr eine Auszeit dringend ans Herz gelegt. Sophie entschuldigte sich bei der Schampus trinkenden Meute, die sofort aufheulte, dass sie doch noch nicht gehen könnte. Pelle sprang auf und folgte ihr. Sophie wusste, dass die Kollegen nur darauf gewartet hatten, dass sie verschwand. Jetzt konnten sie endlich laut aussprechen, was ihnen unter den Nägeln brannte. Warum hatte Sophie als Einzige davon gewusst? War an den Gerüchten doch was dran? Sophie und Felix? Hatte er sie abserviert? War sie es leid, nur die Geliebte zu sein? Sophie konnte spüren, wie sie ihr nachstarrten. Sie eilte zu ihrem Schreibtisch. Pelle sah sie fragend an. »Ich bin gleich so weit mein Dicker«, beruhigte sie ihn und sammelte ihre wichtigsten Unterlagen zusammen. Dann griff sie ihr Handy. Während sie tippte, kraulte sie dem Labrador den Nacken. »Gleich sind wir raus hier!« Am anderen Ende der Leitung wurde abgenommen. »Tina? Hallo! Nee, ich habe nur mit Pelle gesprochen. Wir sind noch in Hamburg, aber wir fahren jetzt los.« Während Sophie telefonierte, packte sie die letzten Sachen in ihre Tasche und lief los. Pelle tänzelte hinter ihr her. »Wir müssten so in zwei Stunden bei euch sein. Ich freu mich! Bis nachher!« Sie klappte ihr Handy zu.
»Bis Montag!«, rief ihr ein Kollege zu.
Sophie schüttelte den Kopf. »Nix da! Ich habe Urlaub!«
»Saint-Tropez? Oder Shopping in New York?«
»Viel exotischer.« Sie grinste. »Die kalte Ostsee! Fehmarn!«
Während der Kollege über den vermeintlichen Witz lachte, verschwand Sophie mit Pelle im Fahrstuhl. Sie konnte es nicht erwarten, endlich auf der Ostseeinsel zu sein. Sie brauchte dringend eine Luftveränderung und Zeit, über ihr Leben nachzudenken. Sie hatte es tatsächlich getan! Es war ihr nur um Rache gegangen, nachdem sie wusste, dass es aussichtslos war, von einer gemeinsamen Zukunft zu träumen. Aber Felix van Hagen hatte sie zuerst verraten.
Tina Sperber legte das Telefon zurück auf den Küchentresen. Sie war ziemlich überrascht gewesen, als Sophie sich vor ein paar Tagen spontan eingeladen hatte. Das letzte Mal hatten sie sich vor zwei Jahren gesehen und auch die Telefonate waren seltener geworden. Sie hatten nicht mehr viel gemeinsam. Mal wieder über alte Zeiten quatschen, hatte Sophie gesagt. Tja, die alten Zeiten, als sie noch Medizinstudentinnen waren und sich mit Modeljobs über Wasser hielten. Für ein paar Monate hatten sie sich sogar eine kleine Wohnung geteilt. Tina lächelte. Wie viele Nächte hatten sie auf dem winzigen Balkon Zigaretten geraucht und über ihre Zukunft spekuliert? Es kam ihr heute vor wie ein anderes Leben. Das Studium hatten sie beide nicht beendet. Sophie hatte damals abgebrochen, um professionell zu modeln und sie war Stefan über den Weg gelaufen. Eigentlich war sie mit dem Auto unterwegs gewesen und das mit Promille. Der nette Polizist hatte sie mit einem blauen Auge davonkommen lassen, nachdem er ihre Personalien aufgenommen hatte. Einen Tag später hatte er angerufen und sie zum Essen eingeladen. Als Stefan ihr einen Antrag gemacht hatte, hatte sie nicht eine Sekunde gezögert. Ihr Glück war perfekt, als sie nach einem Jahr schwanger wurde. Jetzt waren sie zu fünft. Stefan war mittlerweile Kriminalhauptkommissar in Lübeck. Dort hatten sie die ersten Jahre gelebt, bis zum plötzlichen Unfalltod ihrer Eltern vor drei Jahren. Tina hatte das Haus auf Fehmarn geerbt und sie hatten beschlossen, es zu einem neuen Heim für ihre eigene Familie zu machen. Sie wollten ihre Kinder an der Ostsee aufwachsen sehen. Es hatte fast zwei Jahre gedauert, bis der alte Kasten modernisiert und zu einem echten Schmuckstück geworden war. Stefan versuchte jeden Abend nach Hause zu kommen und blieb nur in Lübeck, wenn es gar nicht anders ging. Seit Finn auf der Welt war, verbrachte er jede freie Minute bei seiner Familie. Wie auf ein Stichwort begann Finn zu krähen. Tina ging nach oben ins Schlafzimmer, um ihr Baby zu stillen. Von ihrem Schaukelstuhl konnte sie auf das Meer sehen. Kleine Schaumkronen kräuselten sich im Sonnenlicht. Am Himmel waren nur wenige Wolken zu sehen. Der Juli feierte seinen Einstand mit traumhaftem Wetter. »Wir werden einen tollen Sommer haben, kleiner Schatz.« Ihr Blick fiel auf die neuste Ausgabe der ›Stars & Style‹, die auf dem antiken Beistelltischchen lag. Das Titelblatt zeigte den mit Baseballkappe getarnten Felix mit einem kleinen Mädchen. Im Magazin waren noch weitere Bilder. Natürlich war die Qualität der Paparazzifotos nicht die beste, doch was machte das schon? Van Hagen stand als Lügner da. Warum ließ Sophie zu, dass man ihn auf so üble Weise an den Pranger stellte? Hatte sie es nicht verhindern können? Sie war doch ganz froh gewesen, dass Felix in Wirklichkeit nicht der treue Gatte war. Tina war am Anfang skeptisch gewesen. Sie wünschte Sophie eine ehrliche Beziehung mit einem Mann, den sie nicht teilen und verheimlichen musste. Doch Sophie schien glücklich zu sein. Zumindest behauptete sie das immer am Telefon und schwärmte von den unglaublichen Reisen, die sie zusammen machten. Sophie konnte sich köstlich darüber amüsieren, wie Felix und sie die Öffentlichkeit austricksten, damit ihre Affäre nicht aufflog. Und jetzt veröffentlichte ausgerechnet die ›Stars & Style‹ diesen Artikel. Das war doch kein Zufall. Tina zuckte zusammen. Hatte Sophie den Artikel gar nicht verhindern wollen? War die Affäre beendet? Aber auch wenn es zwischen den beiden aus sein sollte, war das keine ausreichende Erklärung für so einen Vernichtungsschlag. Schaudernd erinnerte sie sich an den Kinofilm ›Eine verhängnisvolle Affäre‹. Die Tür flog auf und Antonia und Paul stürmten ins Zimmer.
»Mama! Paul ist so doof! Er hat meinen Teddy mit Sonnenmilch eingeschmiert!«
»Pst! Seid bitte leise.« Tina seufzte und sah die beiden ernst an. Die zwei waren einfach so niedlich und es fiel ihr immer schwer, zu schimpfen. »Paul! Du sollst Antonias Sachen doch in Ruhe lassen!«
Der kleine Kerl blickte verschmitzt aus der Wäsche. »Sonst macht Sonne aua, Mami.«
»Und ihr sollt hier nicht reinplatzen, wenn ich Finn stille. War das nicht so abgemacht?« Beide Kinder nickten brav. »Antonia, bitte pass ein bisschen auf Paul auf. Du bist doch mein großes Mädchen.«
Ihre Tochter strich sich mürrisch eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Bringt Tante Sophie Pelle mit?«
Die Kleine verblüffte sie immer wieder. Das letzte Mal hatte Antonia den Hund vor über zwei Jahren gesehen und da war sie grade mal drei gewesen. Offensichtlich hatte sie den schokoladenfarbenen Labrador nicht vergessen.
»Pelle, Pelle!«, schrie jetzt auch der dreijährige Paul.
Tina lachte leise. »Aber Paul, du kannst dich doch gar nicht mehr an Pelle erinnern.«
Paul stampfte mit dem Fuß auf. »Wohl!«
Antonia verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich auf Zehenspitzen. »Kannst du nicht! Mama hat recht! Du warst doch noch ein klitzekleines Baby.«
Paul warf seiner großen Schwester einen wütenden Blick zu.
»Schluss jetzt! Pelle ist in zwei Stunden hier. Dann könnt ihr ihn streicheln und mit ihm spielen. Aber jetzt geht ihr in den Garten und streitet euch nicht. Ihr dürft euch ein Eis nehmen.« Die beiden stürmten aus dem Zimmer. Tina atmete durch und legte den satten Finn zurück in sein Bettchen. Sophie war eine vernünftige Frau. Wenn sie mit der Enthüllungsstory etwas zu tun hatte, musste sie einen triftigen Grund haben. Tina schluckte. Alles passte zusammen! Über alte Zeiten quatschen? Zwei Wochen lang? Nein! Irgendetwas musste passiert sein und aus diesem Grund kroch sie jetzt auch auf Fehmarn unter, anstatt sich in der Karibik zu bräunen. Es gab nur eine Erklärung. Felix van Hagen musste Sophie übel mitgespielt haben. Da gab es definitiv eine viel schlimmere Story hinter der Story.
Sophie lenkte ihr BMW-Cabriolet auf den freien Parkplatz vor ihrer Altbauwohnung in Eppendorf. »Mein Glückstag!«, rief sie. Pelle sah sie vom Beifahrersitz erstaunt an. Sie sprang aus dem Wagen und öffnete ihm die Tür. »Ein Parkplatz! Und das am Freitagnachmittag! Der Urlaub beginnt doch toll!« Sophie merkte, wie der Stress von ihr abfiel. Sie würde diese gute Laune festhalten und versuchen, nicht mehr an Felix zu denken. Statt den Fahrstuhl zu nehmen, rannte sie die Treppe hoch bis in den 4. Stock und schloss ziemlich außer Atem die Tür zu ihrer 120 Quadratmeter Jugendstilwohnung auf. Pelle hechelte und seine rosa Zunge schlurfte fast über das Parkett. »Mein Dicker, wir sind nicht gerade fit, was?«, stellte sie lachend fest und schleuderte die teuren Schuhe in die Ecke. »Aber wir werden die zwei Wochen nutzen und uns ein bisschen in Form bringen!« Ihr Koffer stand bereits gepackt im Flur. Eigentlich hatte sie noch kurz duschen wollen, aber jetzt konnte sie gar nicht schnell genug aufbrechen. Sophie schlüpfte in einen bequemen Kapuzenpulli und Turnschuhe. 10 Minuten später saß sie mit Pelle schon wieder im Wagen. »Nun machen wir Ferien: Strand und Meer, joggen und kleine Kinder.«
Pelle bellte zustimmend, als ob er jedes Wort verstanden hätte. Fehmarn! Unspektakulär, aber sie freute sich trotzdem. Wahrscheinlich brauchte sie dringender etwas Ruhe, als sie sich eingestehen wollte. Natürlich war es schön Tina zu sehen, aber dazu hätte auch ein verlängertes Wochenende gereicht. Der wahre Grund für ihren Besuch war, dass sie auf der Insel genug Zeit haben würde, über die Geschehnisse der letzten Wochen nachzudenken und Kraft für einen neuen Start zu tanken. Eine unspektakuläre Gegend mit Deichen, Kühen und Seeluft würde sie nicht von ihren Problemen ablenken. In den letzten zwei Jahren hatte sie die schönsten Ecken der Welt gesehen. Felix hatte immer traumhafte Hotels gebucht. Diese gemeinsamen Wochen mit ihm waren wirklich die schönsten ihres Lebens gewesen. Und nun blieb dieser üble Nachgeschmack. »Vorbei!«, sagte sie laut und stellte das Radio an. Seit ihrer Kindheit war sie nicht mehr mit dem Auto in den Urlaub gefahren. Sie konnte sich noch gut erinnern, wie sie sich auf dem Rücksitz zwischen der Kühltasche und dem eingepackten Zelt gelangweilt hatte. Während des Studiums war sie zu Modeljobs um die halbe Welt geflogen. Irgendwann war sie mehr in Fotostudios und auf Laufstegen als in der Uni gewesen. Sie hatte beschlossen, erst einmal ein paar Jahre Geld zu verdienen. Das Studium wollte sie später wieder aufnehmen, doch es kam anders. Sie bekam das Angebot, eine Kolumne für ein Modemagazin zu schreiben. Die Arbeit hatte ihr so viel Spaß gemacht, dass sie sich nicht mehr vorstellen konnte etwas anderes zu ihrem Beruf zu machen. Sie hatte bei verschiedenen kleinen Zeitungen hart gearbeitet und später bei einem Fernsehsender volontiert. Dort hatte man sie als Polizeireporterin eingesetzt. Das war zwar absolut nicht die Art von Arbeit, die sie machen wollte, doch sie hatte viel gelernt. Nach einem Jahr hatte sie eine feste Stelle als Redakteurin bei einer Tageszeitung bekommen. Ihr Bereich war Mode und Gesellschaft, und sie hatte sich schnell einen Namen gemacht. Vor zweieinhalb Jahren wurde sie von der ›Stars & Style‹ abgeworben. Als Klatschredakteurin war es nun ihr Job, alles über die Prominenz in Erfahrung zu bringen. Sie flog für das Magazin überall dorthin, wo die Schönen und Reichen feierten. Außerdem berichtete sie von den Aftershowpartys der großen VIP-Veranstaltungen und Preisverleihungen. Auf so einer Party hatte sie auch Felix kennengelernt. Sophie schaltete das Autoradio lauter. Bei guter Popmusik würde sie schon nicht melancholisch werden. Es war eben vorbei und sie hatte wieder Zeit für ihre alten Freunde. Sie musste nicht mehr auf einen Anruf von Felix oder seinem Assistenten warten, der ihr dann mitteilte, wo die Flugtickets für ihr Wochenende hinterlegt waren und in welchem diskreten Luxushotel sie sich treffen würden. Einen Skandal durfte sich der Saubermann des deutschen Fernsehens auf keinen Fall erlauben. Er war wirklich ein guter Schauspieler. Sie selbst hatte ihm doch auch geglaubt. Dabei war er schon immer skrupellos gewesen. Dass er seine Frau betrog, scherte ihn einen Dreck. Sophie hatte anfangs ein schlechtes Gewissen gehabt, doch Felix hatte ihr immer wieder versichert, dass seine Ehe nur noch auf dem Papier bestand. In ein paar Jahren, wenn er nicht mehr im Rampenlicht stehen würde, würde er sich scheiden lassen. Warum war sie nur so naiv gewesen? Er hatte sie mit der Scheidungsgeschichte doch nur beruhigen wollen. Er hätte sich nie von seiner Frau getrennt. Warum sollte er auch? »Fahr zur Hölle!«, zischte Sophie in den Gegenwind. »Du hast keine Ahnung, was ich durchmachen musste!«
Tina marschierte durch das Haus und räumte Kinderspielzeug aus dem Weg. Dabei fiel ihr plötzlich auf, dass es eigentlich keinen Quadratmeter gab, auf dem nicht ein Bauklotz oder ein Kuscheltier lag. Als sie alles auf einen Haufen in der Kaminecke geworfen hatte, ging sie nach oben ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Tina betrachtete sich im Spiegel. Sie sah immer noch sehr gut aus. Ihr Gesicht fast faltenlos und ihre langen Locken noch immer kastanienrot. Gut, ihre Figur war nicht mehr die eines Topmodels, aber nach drei Kindern? Sie ging zum Kleiderschrank und überlegte, was sie anziehen sollte. Sophie war immer so schick! Aus der dünnen Medizinstudentin in Jeans war eine elegante Frau geworden, die sich in Edelmarken hüllte. Tina zuckte mit den Schultern. Von Gucci und Co. würde sie in ihrem Kleiderschrank nichts finden. Warum auch? Um es von ihren Kindern vollschmieren zu lassen? Sie trug eben Klamotten, die sich bei 60 Grad in der Maschine waschen ließen. Das war nun mal ihre Welt. Trotzdem wählte sie ihre beste Jeans und ein teures Poloshirt. Wieso war sie nur so nervös? Sie musste nicht mit Sophie konkurrieren. Sie hatten unterschiedliche Leben gewählt und zu ihrem gehörte eben eine praktische Garderobe. Das musste nicht bedeuten, dass sie sich nicht mehr verstehen würden. Früher waren sie gemeinsam durch dick und dünn gegangen. Erst durch ihre Beziehung mit Stefan hatte die Freundschaft einen Knacks bekommen. Sophie war damals entsetzt gewesen, dass sie ihre Karriere für einen einfachen Polizisten aufgab. Stefan fand Sophie oberflächlich und karrieregeil. Als Sophie angefangen hatte als Polizeireporterin zu arbeiten, sah er sich darin bestätigt, dass sie über Leichen ging. Tina ging ins Bad und verteilte etwas Rouge auf ihrem übermüdeten Gesicht. Würde alles gut gehen? Stefan war ganz und gar nicht begeistert, dass Sophie sich gleich für zwei Wochen eingeladen hatte, aber er würde sowieso nicht oft da sein. Hoffentlich waren beide inzwischen erwachsen genug, dass sie sich nicht gleich wieder die Köpfe einhauten. Als Tina das Gästezimmer noch mal kontrollierte und die frischen Blumen in der Vase zurechtrückte, hörte sie endlich einen Wagen. Paul und Antonia waren außer Rand und Band. Tina stürzte nach unten. Sophie war bereits dabei ihren teuren Koffer aus dem Auto zu zerren und Pelle leckte die begeisterten Kinder freudig ab. »Sophie! Herzlich willkommen!«
Sophie stellte den Koffer ab und lachte sie an. In Jeans und Turnschuhen sah sie noch immer aus wie die Studentin von damals. Auch ihr tiefes Lachen klang wie früher.
»Wow! Du siehst klasse aus! Ich hatte eigentlich die Info, dass du vor vier Monaten ein Baby gekriegt hast. Hast du es geklaut?«
Tina schüttelte lachend den Kopf. Sie hatte zwar alles getan, um möglichst schnell wieder in Form zu sein, doch das Kompliment ging runter wie Öl. Plötzlich war sie richtig gut gelaunt. Wahrscheinlich hatte sie sich wieder grundlos zu viele Gedanken gemacht. Sie würden sicher eine tolle Zeit haben. Aber da war noch die Sache mit Felix. Hatte Sophie ihre Macht missbraucht? War sie schuld daran, dass seine beispielslose Karriere den Bach runter gehen würde? Felix war Tina dabei eigentlich total egal, aber war mit Sophie wirklich alles in Ordnung?
Sophie war überrascht, wie sehr sie sich freute, ihre alte Freundin wiederzusehen. Tina sah blendend aus. »Mann! Was für geile Möpse! Damit machst du ja Pamela Anderson Konkurrenz.«
»Ach, hör bloß auf!« Tina stöhnte. »Im Moment sehe ich aus wie ein Pornostar. Finn ist aber auch ein echter Gierhals. Ich bin nur am Produzieren.«
»Na, Stefan ist doch bestimmt begeistert!«
»Woran du gleich wieder denkst!«
Sophie legte Tina den Arm um die Schulter und ging mit ihr kichernd um das Haus herum auf die Terrasse. Auf dem großen Teakgartentisch stand bereits ein Sektkühler mit einer Flasche Prosecco.
»Ein Glas darf ich«, erklärte Tina, während sie einschenkte. »Um den Rest wirst du dich kümmern müssen.«
»Kein Problem! Ich habe Urlaub! Danke, dass ich kommen durfte.«
»Na hör mal, es ist mir eine Ehre die berühmte Sophie Sturm zu Gast zu haben! Auf zwei schöne Wochen!«
Sophie prostete Tina zu und trank einen Schluck. »Ich hatte fast vergessen, wie toll es ist eine Freundin zu haben. Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Paul war doch noch ein Baby.«
Tina nickte lächelnd. »Richtig! Die Zeit rennt einfach. Früher war ein Jahr eine halbe Ewigkeit. Und jetzt? Ich habe das Gefühl, dass nur wenige Wochen zwischen zwei Weihnachtsfesten liegen. Und in der Zeit muss ich noch zwei Kindergeburtstagsfeiern organisieren. Das verfluchte Rad dreht sich immer schneller.«
Sophie nickte und ließ ihren Blick durch den Garten schweifen. Im hinteren Teil standen knorrige Obstbäume. Das Grundstück reichte bis an den Deich. Ein paar Möwen kreischten am Himmel und es roch nach Gras und Meer.
»Du hast es traumhaft hier!«
Tina rollte mit den Augen. »Ja, mittlerweile. Ich habe mit den Kleinen monatelang auf einer Baustelle gelebt. Ehrlich gesagt, hatte ich die ganze Geschichte hoffnungslos unterschätzt.«
Sophie nickte anerkennend. »Aber es hat sich doch gelohnt. Das ist Idylle pur! Deine Kinder hier herumtollen zu sehen erinnert mich an eine Astrid-Lindgren-Verfilmung. Ach, wo ist denn der Kleinste?«
»Er schläft! Und glaube mir, ich genieße das. Die letzten vier Monate waren hart. Manchmal weiß ich gar nicht, ob es Tag oder Nacht ist.« Tina schüttelte lächelnd den Kopf und nippte an ihrem Glas. Sie schwiegen ein paar Minuten. Sophie war froh, nichts sagen zu müssen. Schließlich war sie hierher gekommen, um Abstand zu gewinnen. Fehmarn schien der richtige Ort dafür zu sein. Nun fragte sie sich, ob sie nicht einen furchtbaren Fehler gemacht hatte. Statt Ablenkung fand sie hier die perfekte Mutter in einem zauberhaften Haus mit entzückenden Kindern. Natürlich konnte sie sich hier verstecken, doch vor sich selbst davonlaufen konnte sie nicht. Und nicht von der Vorstellung, wie alles hätte sein können, wenn Felix ein anderer Mensch wäre.
»Wo steckt eigentlich Stefan?«
»Er hat noch in Lübeck zu tun. Seit er bei der Mordkommission ist, muss er ganz schön ran.«
»Na, ich vermisse ihn nicht.« Sophie biss sich auf die Zunge. Warum hatte sie das jetzt sagen müssen?
»Bitte versucht, euch zu vertragen.« Tina sah sie ernst an.
»Ich verspreche, brav zu sein. Das Haus ist übrigens ein Traum! Früher hatte ich ja nicht viel übrig für alte Kästen und Reetdächer, aber mittlerweile finde ich es romantisch. Ich kann verstehen, dass ihr euren Wohnsitz hierher verlegt habt.«
»Warte, bis du es von innen gesehen hast! Ich zeig dir gleich alles. Der Garten ist erst im letzten Sommer fertig geworden. Vor lauter Gestrüpp hat man die Obstbäume gar nicht wahrgenommen.«
»Wir lassen Fotos für die ›Sweet Home‹ machen!«, meinte Sophie begeistert. »Die drucken das sofort: ›Landhausidylle an der Ostsee‹.«
Tina lachte. »Lieber nicht! Wahrscheinlich würde Stefan sich scheiden lassen. Und du hast jetzt Urlaub. Hör auf, über mögliche Artikel nachzudenken! Guck! Dein Hund hat sich schon eingelebt. Er ist ja ganz vernarrt in die Kleinen.«
Sophie sah zu Pelle, der mit Antonia und Paul herumtollte. Er holte brav Stöckchen und ließ sich zwischendurch gerne kraulen. »Weißt du, das ist wirklich der richtige Ort Kinder aufwachsen zu lassen.«
»Auf Fehmarn?« Tina starrte sie ungläubig an. »Hör mal, du hast das aufregende Leben. Mit den Stars auf Du und Du, Luxushotels, London, Paris, New York. Während du die Nächte damit verbringst, Champagner zu trinken, beziehe ich vollgekotzte Betten und wechsele Windeln.«
Sophie sah Tina amüsiert an. »Ich wollte nur sagen, dass es großartig ist, so zu leben, wenn man Kinder hat. Wie arm sind da die Stadtkinder dran?«
»Da sind immer zwei Seiten«, gab Tina zu bedenken. »Vergiss nicht, ich bin hier aufgewachsen. Wenn Antonia 16 ist, wird sie die Insel verfluchen und sich nach dem Großstadtdschungel sehnen, glaub mir.«
»Dann schickst du sie übers Wochenende zu mir und ich geh mit ihr shoppen.« Sie reckte sich genüsslich. »Ich finde es jedenfalls herrlich hier. Ich hör nicht ein Auto und die Luft ist so klar. Idylle pur! Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass hier was passiert.«
»Oh, sag das nicht!« Tina sah sie ernst an. »Vor drei Tagen wurde in Gold eine Wasserleiche angespült.«
Sophie zog überrascht die Augenbrauen hoch.
»Kein Witz! Eine junge Kiterin! Gruselig! Sie lag morgens mausetot am Strand!«
Tina entspannte sich. Es war fast wie in alten Zeiten, nur dass Sophie nachdenklicher wirkte.
Vor ein paar Jahren hätte sie sich eher die Zunge abgebissen, als ein Leben auf dem Land als schön zu bezeichnen. Was auch immer passiert war, sprechen wollte Sophie anscheinend nicht sofort darüber. Oder war gar nichts passiert? Tina stellte ihr Glas auf den Tisch und stand auf. »So, und nun zeig ich dir dein Zimmer und den Rest des Landhaustraums.« Sophie folgte ihr durch die große Glastür ins Haus. »Das ist der Wohnbereich.«
»Wow!«
Sie warf einen schnellen Blick auf Sophie. Sie schien wirklich beeindruckt zu sein. »Von außen sieht es gar nicht so geräumig aus! Und was für schöne Möbel!«
Tina genoss das Lob und ging weiter. »Wir haben ein paar Wände rausreißen lassen. Früher waren das hier drei kleine Zimmer. Du weißt schon, Wohnzimmer, Esszimmer und ein kleines Kaminzimmer. Die Küche ging vom Flur ab. Jetzt ist alles offen.« Tina hatte das Haus zwischendurch verflucht, wenn sie Abend für Abend, nachdem die Kinder im Bett waren, mit Spachtel und Pinsel in dem Chaos herumgewühlt hatte. Aber jetzt war alles genauso, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Zwischen zwei großen Sofas aus braunem Wildleder stand ein asiatischer Couchtisch aus Teakholz. Die Wände waren weiß gekalkt. Ohne die große Schale mit roten Äpfeln und den bunten Kissen hätte der Raum fast puristisch gewirkt. Der lange Esstisch stand frei. Links davon kam man auf ein kleines Podest, auf dem ein kuscheliges Sofa vor dem alten Kamin stand. Die vielen Kinderbücher und die Zeitschriften ließen keinen Zweifel, dass es sich um den Lieblingsplatz ihrer Familie handelte. Rechts vom Essbereich lag die Küche. Sie war nur durch einen Tresen abgetrennt. Sophie pfiff durch die Zähne. »Alles Edelstahl!«
»Ja, das habe ich aber schon bedauert. Die Kinder hinterlassen täglich Fingerabdrücke. Na, was solls? In 18 Jahren ziehen sie ja aus.«
Sophie lachte und sah sich beeindruckt um. »Ich hatte ja eher Landhausstil erwartet, mehr so was Kuscheliges. Dass man ein Haus auch so stylen kann, wäre mir gar nicht in den Sinn gekommen. Es ist fantastisch! Eine Kombination aus Altem und Design. Und diese Küche! Man müsste hier eine Kochsendung produzieren.«
Auf die Küche war Tina besonders stolz. Durch den warmen Boden wirkte der Edelstahl nicht kalt, sondern schick. Der Backofen lag auf Augenhöhe, was nicht nur ihren Rücken schonte, sondern auch die Kleinen vor Verbrennungen. Auf dem Tresen standen Tontöpfe mit frischen Kräutern und eine teure Espressomaschine, die dem Ganzen ein mediterranes Flair gaben. »Hättest du mir gar nicht zugetraut, was?«
Sophie sah sie ernst an. »Ich wusste, dass du es wunderbar einrichten würdest, aber ich habe tatsächlich nicht mit so etwas Modernem gerechnet.«
»Komm, wir gehen nach oben! Dort sind die Räume vom Stil her ganz anders.« Sophie folgte ihr die Treppe hinauf. »Lass uns leise sein. Finn wird zwar gleich aufwachen, aber ich würde dir vorher gerne noch dein Zimmer zeigen.« Sophie legte sich amüsiert den Finger auf die Lippen. »Das ist das Gästezimmer.« Tina öffnete die Tür.
Sophie quiekte leise.
»Wie süß!«
Das kleine Zimmer sah aus wie ein Raum in einer Puppenstube. Die Tapeten hatten ein pastellfarbenes Blumenmuster und die Möbel waren antik.
»Hier oben haben wir Rosamunde-Pilcher-Romanik pur. Die Räume sind alle ziemlich klein und so wirken sie gemütlicher. Neben deinem Zimmer ist ein Badezimmer. Du hast es ganz für dich. Die Kinder bade ich immer in dem großen Bad neben unserem Schlafzimmer.«
Sie trat, gefolgt von Sophie, gerade zurück auf den Flur, als Finn zu jammern anfing. »Gutes Timing. Komm, nun wirst du den kleinsten Sperber kennenlernen.« Leise betrat Tina das Schlafzimmer und nahm ihr Baby aus der Wiege. »Hallo, kleiner Mann. Hast du schön geschlafen?«, fragte sie zärtlich.
Plötzlich war aus dem Garten lautes Geschrei zu hören. »Mami! Mami! Wo bis du? Mami! Tonia is so gemein!«
Tina rollte mit den Augen. »Sie streiten sich immer genau im richtigen Moment.«
»Bleib hier! Ich geh runter und schlichte«, schlug Sophie vor und stürzte die Treppe hinunter. Tina dachte über ihre Freundin nach. War Sophie wirklich beeindruckt? Sophie, die alles hatte und alles konnte? Oder wollte sie nur nett sein? Felix kam ihr in den Sinn. Sophie hatte noch kein Wort über ihn verloren. Irgendwas stimmte zwischen den beiden ganz und gar nicht. Als ihr Jüngster satt war, wickelte sie ihn in eine Decke und nahm ihn mit hinunter. Sophie saß in dem Strandkorb auf der Terrasse und hielt ihr Gesicht in die Sonne. Ihre Augen waren geschlossen. »Hey, nicht einschlafen«, rief Tina. Sophie blinzelte sie an. »Was war denn mit Paul und Antonia?«
»Ach, gar nichts«, antwortete Sophie. »Paul wollte nur auch mal das Stöckchen für Pelle werfen und sein reizendes Schwesterlein hat es ihm nicht gegeben. Ich habe Paul Pelles Lieblingsball gegeben und nun spielt Pelle mit ihm und Antonia schmollt.«
»Na, dann ist ja alles wie immer«, stellte Tina fest. »So, und nun will ich dir meinen kleinen Engel vorstellen.«
Tina legte ihrer Freundin ihren jüngsten Sohn in den Arm. Sophies Gesichtsausdruck veränderte sich. Sie sah fast ängstlich aus.
»Gott, du bist aber süß!« Sophies Stimme brach und sie räusperte sich leise. »Weiß deine Mama eigentlich, wie viel Glück sie hat?«
Zu Tinas Erstaunen füllten sich die Augen der Karrierefrau mit Tränen.
Felix zerrte den Stecker aus der Telefonbuchse und schaltete die Handys aus. Den ganzen Tag hatte er unangenehme Fragen beantworten müssen. Es mussten Presseerklärungen verfasst und Sponsoren beruhigt werden. Eddy, sein Manager, war um ihn herumgeschlichen und hatte leise vor sich hingeflucht. Dabei hatte er mindestens fünf Hemden durchgeschwitzt. Felix wünschte sich, gleich aus einem Albtraum aufzuwachen. Langsam wurde ihm das Ausmaß der Katastrophe bewusst. Vor einer halben Stunde hatte er Eddy aufgefordert abzuhauen und ihn in Ruhe zu lassen. Nun war er endlich allein und konnte nachdenken. Was hatte Sophie sich nur dabei gedacht? Anscheinend wollte sie ihn fertigmachen. Natürlich war diese Nummer von ihr inszeniert. Sie musste ihn für einen Idioten halten, wenn sie dachte, er könne nicht eins und eins zusammenzählen. Felix lockerte seine Krawatte und ging zur Bar. Was wollte die Schlampe? Ihn erpressen? Seine Frau wusste sowieso Bescheid. Über alles. Sie wusste von der Tochter und sie wusste von seiner Affäre mit Sophie. Juliette ging es nur darum, im Luxus zu leben, den Kindern eine Mutter zu sein, die sie bewundern konnten, und zwischendurch seine Kreditkarte bluten zu lassen. Felix schenkte sich einen großen Whisky ein und setzte sich auf die Designercouch. Im Grunde hatte er ein prima Leben mit Juliette. Ihre Loyalität und Toleranz waren zwar nicht billig, aber er war ein freier Mann. Sein Job machte ihn für die ordinären Zuschauer zu einem Halbgott. Seine Laune besserte sich für einen Augenblick. Es machte nun mal Spaß berühmt zu sein. Es war leicht, sich jederzeit gut gelaunt und lässig zu zeigen, wenn man sowieso von jedermann geliebt wurde. Dass er zudem reicher und reicher wurde, war eine angenehme Nebensache. Mittlerweile hatte er Werbeverträge in Millionenhöhe. Seine noch immer ansehnliche Visage lächelte von Getränkekartons und Schokoriegeln. Und bis vor Kurzem hatte er noch eine aufregende Geliebte. Felix leerte das Glas in einem Zug. Er war allein in der riesigen Villa. Juliette war bei einer Freundin und die Kinder verbrachten die Nacht bei seiner Mutter. Übermorgen würden sie nach Mallorca fliegen. Er ging wieder zur Bar und holte die Flasche. Gut, dass Juliette nicht da war. Wenn sie ihm jetzt auch noch die Ohren vollheulen würde, würde er durchdrehen. Verdammter Artikel! Wie konnte Sophie nur so weit gehen? Was würde aus den Werbeverträgen? Sophie schien eine so vernünftige Frau zu sein. Das hätte er ihr nie im Leben zugetraut. Und alles nur, weil er sie gebeten hatte das Kind abzutreiben. Er konnte sich eben keinen Skandal erlauben. Nun hatte er einen am Hals. Verdammt! Er würde in seiner knappen Freizeit noch mehr Wohltätigkeitsveranstaltungen besuchen und sicher noch ein Patenkind aus Afrika oder Indien annehmen müssen, um sein Image wieder aufzupolieren. Felix nahm das Foto von Sophie aus der Brieftasche. Das Bild zeigte sie im Bikini am Strand. Was für ein sensationeller Körper. Ganz langsam riss er das Foto in kleine Schnipsel und warf diese ins Aquarium mit den Kois. »Von dir lass ich mich nicht kaputtmachen, Süße! Von dir nicht.« Die Fetzen sanken zu Boden und die teuren Karpfen wühlten gierig danach.
Sophie atmete tief durch. Jetzt bloß nicht weinen! Dieser neue Mensch hatte mit ihrem Schicksal rein gar nichts zu tun. Der kleine Finn war ein Wunder und als solches sollte sie ihn auch betrachten. Sie musste endlich aufhören, sich selber leidzutun. In Bezug auf Felix hatte sie doch auch die Flucht nach vorn angetreten.
»Alles in Ordnung?«, fragte Tina besorgt.
Sophie schluckte kurz und lächelte sie an. »Aber sicher! Es ist nur so überwältigend. Er ist so winzig und trotzdem ist alles dran.«
»So winzig?«, Tina lachte. »Finn war noch nie winzig. 4300 Gramm und 55 Zentimeter! Bei seiner Geburt dachte ich, ich krieg ein Elefantenkalb.«
Tina sah auf die Uhr und sprang auf. »Mein Gott, wie die Zeit vergeht. Sag mal, ist es okay für dich, wenn ich Finn bei dir lasse und schnell die Nudeln warm mache?«
»Na klar! Wir werden uns schon vertragen.«
Finn hatte die Augen geschlossen und schmatzte leise. Seine winzige Hand hielt ihren Zeigefinger fest umschlossen. Aus der Küche hörte sie Tina mit den Töpfen herumklappern. Sie hatte Tina immer für verrückt gehalten Knall auf Fall aus der Modelbranche auszusteigen, obwohl es für sie fantastisch lief. Und alles, um einem Polizisten nach Lübeck zu folgen. Nun musste sie zugeben, dass Tina es richtig gemacht hatte. Sie war glücklich und zufrieden. Ihre Ehe mit Stefan schien noch immer zu funktionieren. Den jüngsten Beweis ihrer Liebe hielt sie schließlich gerade im Arm.
10 Minuten später kam Tina zurück und stellte zwei Teller Spaghetti auf den Tisch. »Wie ich sehe, seid ihr bestens klargekommen. Na, dann gib ihn mal wieder her.« Tina legte den Kleinen in die Babyschale und rief die Kinder. Mit Pelle im Schlepptau stürmten sie auf die Terrasse. Mit großem Appetit und ohne sich zu streiten, aßen sie ihre Teller leer.
»Ihr Mäuse, es wird langsam Zeit. Sagt Sophie gute Nacht und dann gehen wir Zähne putzen.«
Obwohl die Kinder todmüde sein mussten, begannen sie zu protestieren.
»Kann Pelle nicht mit nach oben kommen?« Antonia sah sie mit großen Augen an.
»Er kann mit in meinem Bett schlafen.« Paul nickte aufgeregt.
»Nein, ihr Süßen. Ihr schlaft jetzt ganz schnell ein und morgen könnt ihr ihn dann wecken.«
Antonia seufzte enttäuscht, folgte dann aber ihrer Mama und ihren Brüdern. Sophie verschwand in der Küche. Als sie das Butterhähnchen sah, lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Schon während ihrer gemeinsamen WG-Zeit war dieses Gericht immer ein Highlight gewesen. Sophie dachte gerne daran zurück.
»So, die Bande ist im Bett! So sehr ich meine Kinder liebe, nach einem langen Tag bin ich froh, wenn sie alle in der Falle sind und ich mal ein paar Stunden für mich habe.« Tina warf einen Blick in den Backofen. »Ich glaube, es ist bald fertig. Inzwischen könntest du mir von der Geschichte mit Felix erzählen.«
»Ach Tina, er ist ein verdammtes Arschloch! Ich bin noch nie so enttäuscht und verletzt worden.«
»Du wusstest auch nichts von der unehelichen Tochter? Er hat nicht mal dir was gesagt?«
»Natürlich wusste ich davon. Ich war die Quelle für den Artikel.«
»Du warst was? Mein Gott, Sophie! Dass die Story Gift für seine Karriere ist, das weiß ich. Was ist denn passiert? Ihr seid mit eurem, tja, ich sag mal Arrangement doch beide ganz zufrieden gewesen?«
»Er war es!«, entgegnete Sophie fast trotzig. »Ich aber ab einem bestimmten Punkt nicht mehr. Vielleicht wollte ich mehr sein als die ständige Geliebte? Vielleicht wollte ich auch eine Familie?« Sie schloss kurz die Augen, um sich zu beruhigen. »Tja, und er wollte das nicht. Das habe ich jetzt auch kapiert. Er hat mich hingehalten und mir das Blaue vom Himmel versprochen. Lass uns heute nicht mehr davon reden. Ich brauch erst mal ein paar Tage Abstand.«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber eins weiß ich ganz sicher. Du bist eine schöne junge Frau. Wozu brauchst du den alten Sack?« Tina lächelte sie aufmunternd an. »Bestimmt kommt bald der Richtige, und wer weiß? Vielleicht wollt ihr dann tatsächlich irgendwann ein Baby.«
»Sicher«, flüsterte Sophie. Aber es würde ein anderes Baby sein.
Samstag
Stefan fuhr übermüdet über die Autobahn. Er wollte nur noch nach Hause und die Ereignisse der letzten Nacht vergessen. Er steckte sich eine Zigarette an, um sich wach zu halten. Sein Audi war ein rollender Aschenbecher. Auch die Wunderbäume, die am Rückspiegel baumelten, konnten gegen den Gestank nichts ausrichten. Stefan bekam einen Schreck, als er sein Spiegelbild sah. Sein Haar brauchte einen Schnitt und er musste sich unbedingt rasieren. Sein Gesicht war bleich und sein Hemd dreckig. Unter den Achseln hatten sich Schwitzflecken gebildet. Er hatte das Aussehen eines Penners und roch auch so. Er musste dringend unter die Dusche. Die letzen 24 Stunden waren ein Albtraum gewesen. Sie waren zu einem Einsatz in Moisling gerufen worden. Eine junge Frau hatte auf dem Dach einer Mietskaserne gestanden und gedroht, ihr Baby hinunterzuwerfen. Sie hatte es in eine Decke gewickelt und es an ihre Brust gedrückt. Er hatte den besten Psychologen kommen lassen. Der hatte vom Balkon des obersten Stockwerks zwei Stunden auf die Frau eingeredet, doch sie wollte niemanden an sich heranlassen. Die Feuerwehr hatte in der Zwischenzeit ein Sprungtuch aufgespannt. Stefan hatte entsetzliche Angst gehabt. Die Sache war ihm unter die Haut gegangen. Sein Kleinster war genauso alt wie das Baby auf dem Dach. Immer wieder hatte er Finns Gesicht gesehen. Ihm war fast egal gewesen, ob die Irre sich umbrachte, aber dem unschuldigen Baby durfte nichts geschehen. Plötzlich hatte die Frau hysterisch gelacht und den Säugling ohne Vorwarnung hinuntergeworfen. Die Feuerwehrmänner hatten das Tuch gespannt und das Bündel aufgefangen. Wie bei Finns Geburt hatte er auf den ersten Schrei gewartet, vergeblich. Panisch hatte er die Decke aufgeschlagen und sofort die Augen geschlossen. Er hatte schon viel gesehen, seit er bei der Mordkommission war, aber das war mehr, als er ertragen konnte. Das Baby musste schon seit Tagen tot sein. Als die Frau vom Dach gesprungen war, hatte er gehofft, dass sie das Sprungtuch verfehlen und auf das Pflaster klatschen würde. Sie hatten sie die ganze Nacht verhört. Stefan hatte drei Schachteln Zigaretten geraucht und unzählige Tassen Kaffee getrunken. Jetzt wollte er nur noch zu seiner Familie. Er wollte seine Frau küssen, mit den Kindern spielen und seinen Jüngsten in den Arm nehmen.
Er liebte Tina noch immer wie am ersten Tag. Er sollte es ihr öfter sagen und zeigen. Vielleicht konnten sie sich an diesem Wochenende ein bisschen Zeit füreinander nehmen. Plötzlich fiel es ihm wieder ein. Wütend feuerte Stefan die Kippe aus dem Fenster. Ihre Hoheit Klatschqueen Sophie würde auch da sein. Verdammt!
Sophie wusste nicht, was sie geweckt hatte, das Gebrüll von Finn oder die kalte Nase von Pelle, die ihren Arm stupste. Sie hatte wunderbar geschlafen und zum ersten Mal seit der Trennung nicht von Felix geträumt. Sophie reckte sich und öffnete die Augen. Ihr Blick fiel auf die Blümchentapete und die bestickten Vorhänge. »Guten Morgen, Bullerbü!«, lachte sie leise. Der Labrador versuchte, die Situation für sich auszunutzen. Mit einem Satz war er im Bett und leckte ihr Gesicht ab. »Hey! Du spinnst wohl! Zisch ab und lass mich erst mal gucken, wie spät es eigentlich ist!« Pelle polterte aus dem Bett und wedelte aufmunternd mit dem Schwanz. Sophie sah auf die Uhr. »Fünf nach sechs! Vergiss es, Dicker!« Sie ließ sich wieder in die Kissen sinken. »Ich habe Ferien! In zwei Stunden lass ich vielleicht mit mir reden.« Pelle zog den Schwanz ein. »Ach, jetzt willst du mir ein schlechtes Gewissen machen?« Sophie grinste, zog den Vorhang zur Seite und sah aus dem Fenster. Die ersten Sonnenstrahlen schienen auf Felder und saftige Wiesen, und in dem alten Kirschbaum vor dem Haus zankten sich zwei Amseln. »Idylle pur!« Pelle stand wieder auf und schnaubte. »Ich kann sowieso nicht mehr einschlafen, wenn ich weiß, dass du mich die ganze Zeit vorwurfsvoll anglotzt. Na los, wir gehen joggen. Sport wird dir guttun. Bist ein bisschen rund geworden in letzter Zeit.«
Ein paar Minuten später schlich sie mit dem Hund die Treppe hinunter und verließ das Haus. Sophie atmete die Seeluft ein und dehnte ihre steifen Glieder, bevor sie durch den Obstgarten auf den Deich zu trabte. Sie konnte sich nicht erinnern, in den letzten Wochen so entspannt gewesen zu sein. Die Insel schien ihr gutzutun. Ein paar Möwen kreischten am Himmel und es versprach, ein sehr warmer Tag zu werden. Sie joggte auf dem Deich in Richtung Gold. Pelle jagte durch die Gegend. Zumindest der Hund ist vollkommen glücklich, dachte Sophie. Und sie würde es auch wieder werden. Die Entscheidung nach Fehmarn zu kommen, war die richtige gewesen. Sie würde jeden Morgen laufen und viel mit Tina quatschen. Das war viel besser, als irgendwo allein in einem Luxushotel vor sich hinzugrübeln. Sicher würde die Welt schon bald wieder ganz anders aussehen. Plötzlich begann Pelle aufgeregt zu bellen und stürmte davon.
»Pelle! Bleib hier! Lass doch das arme Karnickel!«
Er kam nicht zurück. »Fuß, verdammt noch mal!« Wütend sprintete Sophie hinter ihm her. Pelle sprang den Deich hinab zu einem schmalen Strandabschnitt. Er bellte noch immer. Plötzlich jaulte er laut auf. Sophie bekam Angst. So schnell sie konnte, stürmte sie ihm nach. Pelle stand zitternd am Strand. Ein paar Meter vor ihm lag etwas Schwarzes. Sophie hielt es für einen großen Plastiksack.
»Meine Güte«, keuchte sie atemlos. »Jetzt komm endlich her!« Er rühre sich nicht. Sie folgte ihm den Deich hinunter. Nein, es war kein Plastiksack. »Ein Neoprenanzug! Na, wie aufregend! Irgendwer wird ihn vergessen haben. Jetzt hab dich doch nicht so! Pelle! Was bist du nur für eine Memme!« Sophie erreichte ihren Hund und klopfte ihm liebevoll den Po. »Das ist doch nur …« Sie sprang reflexartig einen Schritt zurück. »Ach du Scheiße!«
In dem Neoprenanzug steckte eine Frau. Sophie sah sofort, dass sie tot war.
Hanjo starrte an die Decke. Er musste gar nicht auf die Uhr sehen. Es war 20 nach sechs. Er wachte jeden Tag um dieselbe Zeit auf, immer fünf Minuten, bevor der Wecker klingeln würde. Früher war er immer gleich aus dem Bett gesprungen und nach unten in die Küche gelaufen, um Wasser aufzusetzen. Er hatte Freya jeden Morgen ihres gemeinsamen Lebens den Tee ans Bett gebracht, 40 Jahre lang. Hanjo wirkte noch immer kräftig, doch er war erschöpft. Zu viel hatte sich nach Freyas Tod verändert. Er fühlte sich so unendlich einsam ohne sie. Er hatte auch nie wieder eine Tasse Tee im Bett getrunken. Es wäre ihm wie Verrat vorgekommen, als könne er einfach so weitermachen. Hanjo stieg mühsam aus dem schweren Eichenbett, in dem er nun schon seit vier Wochen allein schlief. Ihre Decke lag noch da. Er brachte es einfach nicht übers Herz, sie auf den Dachboden zu bringen. Nachts kuschelte er sich hinein und er glaubte, noch immer ihren Geruch wahrnehmen zu können. Auch der Kleiderschrank war nicht ausgeräumt. Er war noch nicht so weit. Gerade weil jetzt alles anders war, brauchte er ihre persönlichen Dinge noch eine Weile um sich. Sie waren sein Trost. Er hatte nicht verhindern können, dass der Krebs sie aufgefressen hatte, doch er konnte zumindest selbst entscheiden, wann er sich von ihren Sachen trennen wollte. Vielleicht nie. Hanjo schlurfte in die Küche und ließ Wasser in den Kessel laufen. Er hielt die Küche immer sauber, doch sie erschien ihm neuerdings glanzlos und alt. Sie hatten sie vor 28 Jahren eingerichtet und bis auf einen neuen Kühlschrank mit Gefrierfach, einer Mikrowelle und ein paar Kleinigkeiten war sie fast unverändert. Für Freya war es der wichtigste Raum im Haus gewesen. Hier hatte sie gekocht, Handarbeiten gemacht und Briefe geschrieben. Sie hatte nie den Wunsch nach einer modernen Einbauküche geäußert und ihm war die Küche auch nie altmodisch erschienen. Hier hatten sie glückliche Stunden verbracht. Er musste unbedingt Blumen auf den Tisch stellen. Aber alles war anstrengend und er vermisste sie so sehr. Zusammen hatten sie auch die schlimmen Zeiten ertragen. Sie hatten sich gegenseitig getröstet. Doch an die dunklen Stunden wollte er jetzt nicht denken. Er versuchte, sich an die schönen Momente zu erinnern. Er war immer mit guter Laune aufgewacht, selbst wenn es draußen stürmte und die Regentropfen an das Fenster prasselten. Er hatte sich auf den Tag gefreut, war dann mit dem Tee zurück ins Bett gekrochen und sie hatten sich aneinandergekuschelt. Heute würde die Sonne scheinen. Es würde ein wundervoller Sommertag werden, doch es bedeutete ihm nichts. Der Kessel lief über und das kalte Wasser spritzte über die Spüle. Hastig drehe Hanjo den Hahn zu. Er musste sich zusammenreißen. Seine Kite- und Surfschule war seine Existenz und das kleine Restaurant war Freyas Ein und Alles gewesen. Er durfte ihr gemeinsames Lebenswerk nicht vernachlässigen. Das gute Wetter garantierte immerhin viele Schüler und hungrige Touristen. Er würde viel zu tun haben und das sollte ihn ablenken. Der Wasserkessel pfiff. Hanjo schüttete die Ostfriesenmischung in die alte Tonkanne und goss den Tee auf. Er wartete drei Minuten, bevor er sich eine Tasse einschenkte. Etwas Warmes von innen, etwas Tröstliches, etwas Vertrautes. Hanjo sah auf das kleine eingerahmte Foto von Freya und seufzte. »Alles ist gut! Du musst dir keine Sorgen machen.«
Seit er sie verloren hatte, quälten ihn wieder furchtbare Träume. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis er sich wieder etwas besser fühlen würde, hatte der Arzt gemeint und ihm ein paar Tabletten verschrieben. Hanjo wusste es besser. Keine Medizin der Welt würde ihm wirklich helfen. Er selbst musste einen Schlussstrich unter sein altes Leben ziehen. Dann würde er auch die Decke nicht mehr brauchen und all die anderen Sachen, von denen er sich noch nicht trennen konnte. Doch vorher gab es noch ein paar Dinge zu erledigen.
Olli lag im Alkovenbett seines Wohnmobils und presste sich die Fäuste auf die geschlossenen Augen. Die Sonne schien durch die offene Dachluke. Eigentlich liebte er es, von Sonnenlicht geweckt zu werden, doch heute schmerzte es, wie ein Messer in seinem Kopf. Er hatte einen entsetzlichen Kater. Olli rollte sich auf die Seite. Seine Arme suchten nach ihr, vergeblich. Sie war weg. Er war ganz allein. Natürlich, dachte er. Sarah war nicht mehr da. Sein Herz zog sich für ein paar Sekunden zusammen und in seinen Augen brannten Tränen der Wut, wenn er an den gestrigen Abend dachte. Warum hatte sie das getan? Er hatte sie wirklich geliebt und er war vorher lange nicht mehr verliebt gewesen. Sarah war am Abend zu ihm ins Wohnmobil gekommen. Er hatte bereits auf sie gewartet und eine gute Flasche Rotwein entkorkt. Doch sie wollte keinen Wein, sie wollte sich nicht einmal setzen. Sie war in der offenen Tür stehen geblieben und hatte Schluss gemacht. Sie könne eben nicht mehr mit ihm zusammen sein, hatte sie gemeint. Erst hatte er gedacht, er habe sie falsch verstanden, dann glaubte er an einen schlechten Scherz. Er solle kein Drama daraus machen, hatte sie kalt erwidert. Er hatte zwei Gläser eingeschenkt und sie gebeten, zu bleiben und mit ihm zu reden. Er hatte doch nur wissen wollen, warum? Er hatte sie regelrecht angefleht. Sie würde sich freuen, wenn sie Freunde blieben und er ihr weiter beim Training helfen könnte. Sie hatte noch leise ›sorry‹ gemurmelt und war dann in die Nacht verschwunden. Er hatte eine Flasche Whisky geöffnet und den Abend mit Jack Daniels verbracht. Olli konnte sich nicht mehr erinnern, wann und wie er ins Bett gekommen war. Es war lange her, dass er sich bis zum Filmriss besoffen hatte. Mit zittrigen Beinen stieg er die Leiter hinunter. Es musste noch verdammt früh sein, aber an Schlaf war gar nicht mehr zu denken. Er stellte einen Topf mit Wasser auf den Gasherd, bevor er ins Bad ging. Die kalte Dusche hatte nicht den gewünschten Effekt. Er fühlte sich noch immer furchtbar und die Kopfschmerzen hatten auch nicht nachgelassen. Das Wasser war fast verkocht, als er wieder an den Herd kam. Olli goss den Rest in einen Becher und rührte löslichen Kaffee dazu. Dann öffnete er die Tür und setzte sich auf die Treppe. Der Himmel war strahlend blau und der Wind perfekt. Sarah mochte dieses Wetter genauso sehr wie er. Es würden wieder unzählige gut gelaunte Surfer durch die Wellen jagen. Olli campierte schon seit Saisonbeginn auf der großen Wiese. An den Wochenenden hatte er immer jede Menge Nachbarn. Auch in dieser Nacht waren noch ein paar Busse und Wohnmobile gekommen, doch es war noch keine Menschenseele wach. Die berühmte Ruhe vor dem Sturm, dachte er. In ein paar Stunden würde in der Bucht die Hölle los sein. Seit ein paar Jahren arbeitete Olli in den Sommermonaten als Kite- und Surflehrer für Hanjo. Schon als kleiner Junge hatte er jede freie Minute hier verbracht. Heute wünschte er sich zum ersten Mal weit weg. Der Kaffee schmeckte bitter, doch Olli zwang sich, ihn trotzdem zu trinken. Wie sollte er den Tag durchstehen? Sein Leben hatte sich über Nacht geändert. Er fühlte sich genauso elend, wie vor vielen Jahren. Damals war er am Ende gewesen und seine erste Liebe tot.
Stefan zündete sich die nächste Zigarette an. Sein Hals kratzte bereits. Sophie machte ihn aggressiv. Als er Tina damals kennengelernt hatte, hatte er sich wirklich bemüht, zu Sophie ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Doch diese arrogante Ziege hatte ihn immer von oben herab behandelt. Sophie war einfach oberflächlich und karrieregeil. Sie hatte ja nicht mal davor zurückgeschreckt, als Polizeireporterin zu arbeiten. Stefan hasste diese Blutsauger, die sich mit ihren Kameras auf Unfallopfer, Zeugen und Leichen stürzten. Sie waren wie Aasgeier. Jede Katastrophe machte sie glücklich und satt. Während er versuchte, das Böse zu bekämpfen, hofften sie auf eine fette Story. Je grausamer das Verbrechen, desto größer die Schlagzeile. Stefan drückte die halb gerauchte Zigarette im vollen Aschenbecher aus. Mehrere Kippen fielen dabei auf den Boden. Auch wenn Sophie schon lange nicht mehr in diesem Metier arbeitete, blieb sie in seinen Augen eine Leichenfledderin. Sie hatte den Opfern das Letzte genommen, die Ehre. War er ungerecht? Seine Frau wirkte so glücklich über den Besuch. Sophie war nun einmal ihre Freundin und Tina hatte ein bisschen Abwechslung bitter nötig. Aber musste Sophie gleich zwei Wochen bleiben? Sonst residierte sie doch lieber in Luxushotels. Seine Frau hatte ihn eindringlich gebeten, keinen Streit vom Zaun zu brechen. Stefan seufzte. Er würde das Beste aus der Situation machen. Vielleicht war er einfach zu empfindlich. Die Hauptsache war doch, dass er das Wochenende mit seinen Kindern verbringen würde. In dieser Sekunde klingelte sein privates Handy. Stefan nahm das Gespräch an. »Hey, Süße! Ich bin gleich bei euch!«
»Süße? Finde ich wirklich nett, aber ich muss dich da enttäuschen. Ich bin es nur, die lästige Sophie.«
»Ist was mit Tina oder den Kindern?« Plötzlich wurde ihm heiß und kalt vor Angst. Dass Sophie in freundschaftlicher Absicht anrief, war ausgeschlossen.
»Nein, alles in Ordnung mit deiner Bande! Hör zu! Ich stehe hier am Strand vor einer Leiche. Pelle hat sie gefunden.«
Stefan entspannte sich. Aber was erzählte die Verrückte da? »Eine Leiche? Bist du sicher?«
»Ob ich sicher bin?«, fragte Sophie gereizt. »Ich stehe einen Meter vor ihr! Sie ist um die 25 und sie war bestimmt mal sehr hübsch.«
Sie nervte ihn mit ihrem oberschlauen Getue. Er wurde regelrecht wütend. »Ach ja! Die Polizeireporterin hat mal wieder alles unter Kontrolle! Schon Fotos gemacht? Wie lautet denn die Schlagzeile?«
»Mensch, hör auf mit den alten Geschichten. Das ist ja lächerlich! Ich stehe vor einer Leiche, kapiert! Was soll ich jetzt machen? 110 anrufen? Oder kommst du selbst?«
»Wo?«, fragte er etwas ruhiger.
Sophie klang freundlicher. »In Gold.«
»Bleib einfach da stehen! Ich bin spätestens in 15 Minuten da. Und fass ja nichts an!«
»Nein? Gut, dass du mir das sagst! Mann! Bring deinen Arsch hierher, ich hab ein mulmiges Gefühl. Irgendetwas stimmt da nicht.«
Stefan fluchte laut. Sophie hätte vollkommen ausgereicht, um ihm sein Wochenende zu verderben. Musste sie auch noch über eine Leiche stolpern? Er atmete tief durch und wählte die Nummer der Kollegen auf Fehmarn.
»Polizeiwache Burg. Larrson am Apparat.«
»Broder, ich bins, Stefan Sperber.«