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Während Nerds immer beliebter werden, haben Klischees um naturwissenschaftlich versierte Frauen nach wie vor reichlich Nährboden. Frauen seien in technischen oder naturwissenschaftlichen Fächern unbeholfen wie ein 16-Jähriger, der zum ersten Mal vor der Aufgabe steht, einen Büstenhalter zu öffnen. Ist das wirklich so? Sind Frauen entweder 'männlich' oder völlig planlos? – 'Nein!' ist hier die einzig richtige Antwort. Denn es gibt sie: die femininen, intelligenten Frauen, die Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik lieben. Aber warum sind gerade einmal zehn Prozent aller Studenten in ingenieurswissenschaftlichen Fächern weiblich? Hat es vielleicht etwas mit den Klischees und Gängeleien, denen sich technikaffine Frauen ausgesetzt sehen, zu tun? Fest steht: Demografischer Wandel und Fachkräftemangel machen es notwendig, dass 'die Gesellschaft' ihr Verständnis von Frauen und Technik noch einmal überdenkt. 'Vorsprung durch Technikgirls' lautet die Devise. 'Sugar and spice and everything nice, that’s what little girls are made of', heißt es in einem englischen Kinderlied. Doch in manch einem Mädchen steckt weit mehr als rosa Flausch und Sonnenschein. Die Elektrotechnikerin und Autorin Stefanie Mühlsteph ist der Frage nachgegangen, wer diese Mädchen sind, die sich in der Schule eher für Mathe und Physik als für Deutsch und Kunst interessieren, die Berufe im MINT-Sektor (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) ergreifen und dadurch nicht nur ingenieurwissenschaftliche, sondern auch genderpolitische Pionierarbeit leisten. Denn – und darum geht es in den im Buch versammelten Porträts, Anekdoten und Kolumnen vornehmlich – bis heute ist eine technikaffine Frau keine Selbstverständlichkeit – weder gesellschaftlich noch beruflich. Das muss sich ändern. TECHNIKGIRL will mit seinen witzig-frechen, erhellenden und eindringlichen Texten dazu beitragen: MINT-Mädchen an die Macht!
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Seitenzahl: 217
Stefanie Mühlsteph
1
Sie tragen Hornbrillen und Norwegerpullis, und das nicht erst seit diese in Mode gekommen sind. Sie sprechen von »trivialen Problemen« und verfügen über eine geheime Sprache, die sich durch Kürzel und die wilde Benutzung von Zahlen und Buchstaben auszeichnet. Karierte Flanellhemden gehören zu ihrem Look wie hoch sitzende Hosen und ungepflegte bis altmodische Frisuren. Sie rotten sich in Universitätskellern zusammen (deswegen liegen die Rechnerpools auch meist im Keller), studieren für gewöhnlich Informatik oder etwas mit stark technischem Bezug und benehmen sich im Umgang mit anderen Menschen wie ein Wesen von einem anderen Stern.
Die Rede ist von Nerds und Geeks, zu denen auch, ob nun real oder fiktiv, prominente Persönlichkeiten wie Wil Wheaton, Bill Gates oder Steve Urkel gehören. Nerds sind nach Stupidedia, dem Internet-Pendant zum Titanic-Magazin, »eine ethnische Minderheit«, die, wie andere Jugendbewegungen auch, »zu großen Teilen im Untergrund vertreten« sind. »Der Nerd ist meist ein lichtscheues Wesen, das bei der Berührung mit Sonnenlicht sofort explodiert« (deswegen wird er auch Kellerkind genannt). »Die einzige Ausnahme ist das PC-Monitorlicht.« Die Hauptnahrungsquellen des Nerds sind Tiefkühlpizzen und Cola. Wenn Sie, werter Leser, ähnliche Bekenntnisse auf den kommenden Seiten erwarten, dann sollten Sie dringend weiterlesen – zwecks Horizonterweiterung.
Bis ins 20. Jahrhundert wurden Nerds mit ihren Gummihosenträgern an Fahnenmasten gehisst und von hübschen Mädchen nur belächelt, doch im 21. Jahrhundert kam, leise und schleichend, der Umbruch. Nerds sind längst keine Randerscheinung mehr oder dümpeln im Zwielicht flackernder Bildschirme vor sich hin. Sie sind populär geworden, nicht zuletzt dank der britischen Sitcom The IT Crowd oder der weltweit erfolgreichen Serie The Big Bang Theory, in der zwei Physiker, ein jüdischer Ingenieur und ein indischer Astrophysiker ihrer großen Leidenschaft für Comics, Science-Fiction (insbesondere Star Trek), Computer- und Videospielen sowie Wissenschaften im Allgemeinen frönen.
Es sind die MINTs, die still und heimlich die Welt umkrempeln und erobern. MINT (laut Urban Dictionary übrigens gleichbedeutend mit nice, cool oder brillant: Ah, that’s well mint!) sind Fächer, die sich auf:
G M – Mathematik
G I – Informatik
G N – Naturwissenschaften
G T – Technik
beziehen. Alles Fächer also, gegen die Mädchen und Frauen seit jeher eine gewisse Abneigung haben – so zumindest die allgemeine gesellschaftliche Meinung. Selbst in der populären Sitcom The Big Bang Theory wird dieser Eindruck bestätigt, denn es gibt nur eine Frau, die eine hochintelligente, hübsche Naturwissenschaftlerin ist (und dadurch nicht etwa Ruhm und Anerkennung erntet, sondern Furcht unter den männlichen Kollegen sowie den Neid ihres Partners hervorruft, die sich allesamt in ihrer Männlichkeit bedroht fühlen). Die anderen beiden weiblichen Rollen werden als das attraktive Mädchen von nebenan, ohne akademische Bildung und die typische hochintelligente Physikerin mit Birkenstocks und Hornbrille beschrieben. Das ist doch eine klare Darstellung der Realität. Oder etwa nicht?
Während Nerds, auch unter der weiblichen Bevölkerung, nämlich immer beliebter werden, ranken sich um naturwissenschaftlich versierte Frauen noch immer unzählige Klischees. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit, eine Frau zu treffen, die ein MINT-Fach lernt oder studiert, in etwa so groß wie ein Sechser im Lotto – oder von Geröll aus dem All erschlagen zu werden. Der Frage, ob solche Frauen weiblich und attraktiv auf Männer wirken oder ob der Gedanke an eine Frau, die sich mit Technik auskennt, ihnen den blanken Angstschweiß auf die Stirn treibt, werden wir aber erst später auf den Grund gehen. Frauen in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern sind vielerorts noch immer Exoten und oft unbeholfen wie ein 16-Jähriger, der zum ersten Mal vor der Aufgabe steht, einen Büstenhalter zu öffnen.
Ist das wirklich so? Sind Frauen entweder wie ihr männliches Pendant oder völlig planlos? »Nein!« ist hier die einzig richtige Antwort – zumindest was den Großteil betrifft. Und dieses Nein wird in diesem Buch doppelt unterstrichen. Denn es gibt sie: die hübschen, intelligenten Frauen, die Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik lieben. Ihre Beweggründe, sich für eine technische oder naturwissenschaftliche Ausbildung bzw. für solch ein Studium zu entscheiden, und ihr Kampf gegen die Klischees und Gängeleien, die sie tagtäglich über sich ergehen lassen müssen, werden im Laufe dieses hübschen Büchleins offengelegt. Denn MINT-Girls sind viel mehr als nur das Fach, das sie lernen oder studieren:
G M – Mutig
G I – Intelligent
G N – Natürlich
G T – Talentiert
2
»Technische Jobs können Frauen ohne die Hilfe eines Mannes ohnehin nicht bewältigen«.«1
ESKO KIESI, EHEMALIGER FINNISCHER AUDI-MANAGER
Einige Leser mögen ungläubig den Kopf schütteln und können sich nicht vorstellen, dass es im 21. Jahrhundert noch solche anachronistischen Vorstellungen gibt. Die Emanzipationsbewegung der Frauen ist immerhin schon knapp 50 Jahre alt – ausgelöst in der zweiten Welle der Frauenbewegung durch die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs, die Studentenunruhen der 60er und schließlich durch Betty Friedans The Feminine Mystique (1963) zu einer Massenbewegung gemacht. Frauen sind in unserer Zeit in der Politik vertreten, lehren an Universitäten und fliegen ins All. Wie emanzipiert und zukunftsweisend die Vorstellung von Technik liebenden Frauen aber auch erscheinen mag, es entspricht weder der Statistik noch der bitteren Realität. Die zahlreichen Sprüche und Klischees kommen ja schließlich nicht von ungefähr.
2009 begannen lediglich knapp zehn Prozent der Abiturientinnen nach dem schulischen Abschluss ein naturwissenschaftliches Studium oder eine Ausbildung in einem technischen Berufszweig (was jedoch nicht heißt, dass es alle bis zum Schluss durchziehen).2 Die Hauptfrage lautet also: Warum sind Mädchen und Frauen von den Ingenieurs- und Naturwissenschaften von vornherein nur so abgeschreckt? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, fangen wir dort an, wo alle Vorurteile begraben liegen: im Frauenbild der früheren Jahrhunderte.
Schon im Mittelalter wusste man: Frauen sind labil, zänkisch und führen die armen Männer in schlimme Versuchungen. Deswegen war es nur naheliegend, die Bibel zu Rate zu ziehen und so geschickt auszulegen, dass die Frau für den Mann erschaffen worden war. Sie war körperlich und geistig unterlegen, sodass dem Mann, nach der Kirche und den sozialen Gepflogenheiten, ja nichts anderes übrig blieb, als die Frau zu unterwerfen. Armer Mann.
Dennoch wissen wir nicht erst seit Die Päpstin, Die Wanderhure oder Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen, dass sich nicht alle Frauen vollends bevormunden ließen. Frauen waren seit jeher trickreich und gewieft, wenn es darum ging, Nischen zu suchen und für ihre eigenen Zwecke oder Vorlieben zu nutzen. Da wurden auch schon Würdenträger der Kirche oder ein Landsherr zu nichts ahnenden Beihelfern bei der Befreiung der Frauen von ihren geschlechtsspezifischen »Pflichten«. Bedauerlicherweise blieben dies nur Einzelfälle, wie die Beginen-Bewegung im 12./13. Jahrhundert, der erste Emanzipationsversuch der Frauen im kirchlichen Rahmen. Leider scheiterte er grandios.
In der Gesamtheit ließen sich die Frauen allerdings auch nur eine gewisse Zeit übermannen und von der großzügig ausgelegten Bibel in ihre frommen Schranken verweisen, denn vom 17. bis 19. Jahrhundert erlebte das gesellschaftliche Bild der Frau einen fundamentalen Wandel. Die Frau wurde gebildet! Der Mann fühlte sich daraufhin in seinen maskulinen Grundmauern erschüttert und so blieb ihm nur eine einzige Ausweichmöglichkeit: Er verbannte die Frau weitläufig aus dem gesellschaftlichen Leben. Eine Frau des 21. Jahrhunderts hätte den edlen Herren mit Sicherheit einen Vogel gezeigt und ihnen ihre Zylinder so tief ins Gesicht gezogen, bis sie sie als Halskrause hätten tragen können. Die Frauen jedoch, die noch Mitte des 18. Jahrhunderts in Salons verkehren durften und damit am intellektuellen Geistesleben teilgenommen haben – somit auch ohne stark schulischen Hintergrund so einschneidend gebildet wurden, dass die Männergesellschaft Furcht vor ihnen entwickelte –, wurden von der hoch angesehenen, literarisch und kulturell bewanderten Salonière zur abscheulichen Femme terrible.
Doch die Verbannung aus den Salons sollte nur das kleinere Übel sein, denn die Frauen wurden von allen gesellschaftlichen Veranstaltungen, die männlich geprägt waren, ausgeschlossen – und das waren damals schier alle öffentlichen und privaten Veranstaltungen. Selbst die Teilnahme an politischen Versammlungen wurde den Frauen untersagt. Was das Frauenwahlrecht anging, sollten die Frauen in Deutschland bis 1919 kein Stimmrecht besitzen und in der Schweiz sogar bis 1971 (somit war die Schweiz eines der letzten europäischen Länder, welche den Frauen die vollen Rechte als Bürger zugestanden, doch es war auch das erste Land, in dem dies durch eine Volksabstimmung geschah – kurioserweise ausschließlich durch den männlichen Teil der Bevölkerung). Zuletzt erhielten 2005 die Frauen in Kuwait das Wahlrecht. Die ersten Frauen durften übrigens 1853 wählen, und zwar in Velez, Kolumbien. Na, wer hätte das gedacht?
Um die alte, neue Stellung der Frau zu zementieren, wurden allerlei abenteuerliche Argumentationen aus Biologie, Ethik und Philosophie herangezogen. So wurde die Frau wegen ihrer angeblich rückständigen geistigen Entwicklung, die der des Mannes natürlich stets unterlegen war, an Heim und Herd verwiesen. Der berühmte französische Schriftsteller der Aufklärung, Jean-Jacques Rousseau, schrieb schon in Emile oder über die Erziehung:
»Sie [= die Frauen] müssen viel lernen, aber nur das, was zu wissen ihnen gemäß ist […]. So muss sich die ganze Erziehung der Frauen im Hinblick auf die Männer vollziehen. Ihnen gefallen, ihnen nützlich sein […], für sie sorgen, sie beraten, sie trösten, ihnen ein angenehmes und süßes Dasein bereiten: Das sind die Pflichten der Frauen zu allen Zeiten, das ist es, was man sie von Kindheit an lehren muss.«3
Als MINT-Girl des 21. Jahrhunderts möchte Frau den alten Rousseau für diese netten Zeilen doch am liebsten die eigenen Texte mit Messer und Gabel essen lassen, bis er um Salz bettelt.
Auch von Arthur Schopenhauer wird in Ueber die Weiber eindeutig dargelegt, was die Männer zu jener Zeit von einer Frau erwartet haben, oder besser gesagt, was sie tunlichst unterlassen sollte.So hieß es beispielsweise in §369: »Mit mehr Fug, als das schöne, könnte man das weibliche Geschlecht das unästhetische nennen. Weder für Musik, noch Poesie, noch bildende Künste haben sie wirklich und wahrhaftig Sinn und Empfänglichkeit; sondern bloße Aefferei, zum Behuf ihrer Gefallsucht, ist es, wenn sie solche affektiren und vorgeben.«4
Schopenhauer hätte sich sicherlich nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen vorstellen können, dass im 21. Jahrhundert MINT-Girls Karriere machen und an bedeutenden Forschungen mitarbeiten, während es zugleich Männer geben wird, die zu Hause die Kinder hüten. Aber auch einige Zeitgenossinnen von Rousseau und Schopenhauer zeigten den alten Chauvinisten auf ihre unnachahmlich weibliche Weise, was eine Harke ist.
Da gab es zum Beispiel Helene Lang (1848–1930), eine Pädagogin und lebenslange Kämpferin für Mädchenbildung, Abitur und Frauenstudium, die mit ihren Publikationen und Forderungen den Herren gehörig in die Suppe spuckte und bei der weiblichen Bevölkerung natürlich großen Anklang fand. Elizabeth Blackwell (1821–1910) trieb es dann auf die Spitze und wurde eine der ersten studierten Medizinerinnen (ein MINT-Girl der ersten Stunde also). Und obwohl ihr niemand (nicht einmal eine Frau) Räume für eine Praxis vermieten wollte, setzte sie sich durch und gründete – vermutlich aus purem Trotz – das erste »Women’s Medical College«. Auch die französische Frauenrechtlerin und Mutter der zweiten Emanzipationsbewegung der Frauen – zugleich die erste Bewegung ohne Rücksicht auf die Kirche – Olympe de Gouges (1748–1793), die 1791 die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin schrieb und für ihre Überzeugung von Robespierre enthauptet wurde, hätte dafür gesorgt, dass Schopenhauer seine Worte im Halse stecken geblieben wären – hätte er damals schon gelebt: »Die Frau hat das Recht, auf das Schafott zu steigen, sie muss auch jenes haben, ein Podium zu betreten […]«.5
Männer wie Rousseau und Schopenhauer tragen Schuld daran, dass Frauen in jenen Jahrhunderten im allgemeinen Sprachgebrauch auch Ehegespons, Hauszierde oder Xanthippe (unleidliche, streitsüchtige und zänkische Frau) genannt wurden. Eine Frau des 21. Jahrhunderts kann sich da durchaus schmeichelhaftere Kosenamen vorstellen – oder zumindest »freundliche« Antworten, die der »Herr Gemahl« zu hören bekommen hätte.
Im Grunde basierten alle Vorurteile jener Zeit auf folgenden Behauptungen:
•Die Vernunft der Frau ist nur unvollkommen/nicht wie die des Mannes.
•Das weibliche Geschlecht neigt mehr als die Männer zu Gemütsbewegungen und ist deswegen unbeständiger.
•Die Aufmerksamkeitsspanne der Frau ist sehr kurz.
•Durch ihr Temperament eignen sich Frauen nicht zum Studieren.
•Der Mann hingegen wurde zu einem starken, kühnen, ausdauernden, ehrenvollen Charakter und kraftvoll an Leib und Seele idealisiert.
•Ein Held mit Schirm, Charme und Bowler.
Wie sich jedoch noch zeigen soll, gelten manche dieser haarsträubenden Theorien noch heute und können daher leider keineswegs als altertümliches Denken abgetan werden. Es ist also kein Wunder, dass einige Männer bis heute noch ein völlig falsches Selbstbild besitzen. Allerdings erwies sich auch dieser klägliche Versuch der Männer, die Frauen vollständig unter ihre Fuchtel zu bekommen, nicht als sonderlich erfolgreich. Von der Französischen Revolution von 1785 beflügelt, wuchs nämlich das Verlangen der Frauen nach Gleichberechtigung. Erste Emanzipationsbewegungen und Frauenvereine entstanden.
Eine der großen Kämpferinnen jener Zeit war Mathilde Lammers, die forderte: »An Selbstdenken müssen sich unsere Mädchen gewöhnen. Aufhören muss die grauenhafte Gedankenlosigkeit, die unser Geschlecht zum Echo des Männlichen macht, die uns in den Autoritätsglauben förmlich hineinzwingt und uns dem Vorurteile der Oberflächlichkeit geradezu in die Arme treibt.«6 Eine wahre Superheldin des 19. Jahrhunderts und erbarmungslose Erzfeindin der Männer. Aber leider erreichte oder gar veränderte dieser Aufruf weder die Haltung der Gesellschaft noch die Allgemeinheit der Frauen nachhaltig.
Erst in den späten 1850ern, während des wirtschaftlichen Aufschwungs, änderte sich die Grundhaltung in der von Männern beherrschten Gesellschaft … allerdings nur geringfügig. Zwar durften Frauen mittlerweile sogar Schulen besuchen, um schreiben, lesen und rechnen für die Haushaltsführung zu lernen, wurden aber weiterhin von den nur Männern zugänglichen Bildungsinstituten ausgeschlossen. Dennoch erregten einige Frauen mit überragender Intelligenz und wissenschaftlicher Begabung die Bewunderung (!) männlicher Zeitgenossen. Es gab auch einige Autorinnen (wie Lucrezia Marinella und Isotta Nogarola), die sämtliche Argumente gegen weibliche Studenten scharfsinnig hinterfragten und das wissenschaftliche Potenzial von Frauen beleuchteten.7
Der erste Grundstein war demnach gelegt. Frauen wurden stärker akzeptiert und humanistische Ideale entwickelten sich neu. Es gab die:
•Puella Docta (weibliches Wunderkind)
•Virgo Docta (unverheiratete, weibliche Gelehrte)
•Uxor Docta (gelehrte Ehegattin; wörtlich »Geistesfreundin«)
Die meisten jener gelehrten Frauen, die in unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen Anschluss suchten, wählten die noch sehr jungen Naturwissenschaften, da diese bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein institutionell noch wenig gefestigt waren. Sie boten Frauen somit die größten Freiheiten. Außerdem gehörten die Naturwissenschaften zu den wenigen Fakultäten, die Frauen offenstanden, während traditionelle Fächer wie Jura oder Theologie den Frauen weiterhin verschlossen blieben. Genau jene Fächer, die heutzutage als weiblich dominierte Berufe gelten.Noch länger als die Bestrebungen der Frauen nach Gleichberechtigung und Wissen hielten sich jedoch die Vorurteile, die weiterhin gehegt und gepflegt wurden:
•Frauen verfügten von Natur aus über weniger Verstand als Männer und hätten deshalb nie bedeutende wissenschaftliche Leistungen erbracht.
•Sie seien aufgrund ungünstiger physischer und psychischer Voraussetzungen (schwache körperliche Konstitution, weiches Gehirn, seelische Instabilität) nicht in der Lage, sich kontinuierlich und mit Erfolg intellektuell zu betätigen.
•Frauen seien von der Natur für die Rolle der Mutter und Ehefrau geschaffen worden, und da sie ohnehin kein öffentliches Amt ausüben dürften, sei ein Studium nutzlos.
•Frauen an Universitäten lenken die männlichen Studenten vom ernsthaften Studieren ab.
Trotz aller Widerstände gaben die Frauen jedoch nicht auf. Das beste Beispiel dafür ist Ada Augusta Byron, Countess of Lovelace. Sie war nicht nur eine Frau aus dem Hochadel und Tochter des berühmten Dichters Lord Byron, sondern auch die erste Programmiererin (und das 1830!). Das hatte sie allerdings weniger ihrem Vater zu verdanken als vielmehr der mathematisch begabten Mutter, die Ada stark naturwissenschaftlich ausgerichteten Privatunterricht gab.
Ungeachtet ihrer Leistungen wurden Frauen zu dieser Zeit jedoch nur unter Protest Auszeichnungen wie der Nobelpreis zugestanden. Marie Curie, die erst durch den Nobelpreis ihres Mannes für die Wissenschaftler jener Zeit interessant wurde, musste zum Mathematik- und Physikstudium nach Frankreich gehen, weil es Frauen in Polen nicht erlaubt war, zu studieren. Sie wurde nur als Assistentin und Laborleiterin ihres Ehemannes Pierre gesehen, obwohl sie nach seinem Tod seinen Lehrstuhl übernahm. Erst im Jahre 1911 wurde ihr ein eigener Nobelpreis zugesprochen.
Eine sehr tragische Figur der wissenschaftlichen Frauengeschichte ist Mileva Marić, Tochter eines Gutsbesitzers. Sie durfte in Österreich-Ungarn keine höher bildende Schule besuchen, doch davon ließ sie sich nicht beeindrucken – sie ging einfach in die Schweiz. Dort begann sie zunächst, Medizin zu studieren, wechselte jedoch zum Fachbereich der Polytechnik, wo sie als einzige Frau im Semester (und fünfte Frau überhaupt! Das sagt schon sehr viel über ihre Leistung und ihr Durchsetzungsvermögen aus) Mathematik und Physik studierte. Einer ihrer Kommilitonen war ihr späterer Ehemann Albert Einstein – für den sie nach der Geburt ihres ersten Kindes das Studium abbrach und dieses Kind (ein Mädchen) nach der Geburt zur Adoption freigeben musste. Historiker sind sich nicht einig, ob sie das kleine Mädchen direkt zur Adoption freigab oder aber es kurz nach der Geburt verstarb. Die beiden Jungen, die nachfolgten, durfte sie jedoch behalten – einer wurde allerdings verrückt und musste zeitlebens in die Anstalt, wo sich seine Mutter um ihn kümmerte, während sich Albert Einstein von ihr trennte und mit seiner neuen Familie nach Amerika ausreiste.
Über Mileva sagte man: »In Mileva hatte er [= Albert Einstein] einen ernsten, ebenbürtigen Kameraden gefunden, der mitunter, auch in Mathematik, sogar über seinem Wissensstand war. Ihn zog ihre geistvolle Auffassung an, ihr Eindringen in den Grund des Problems, ihre Fähigkeit, es auf die einfachste, eleganteste Art zu lösen. Sie war ihm hierin eine Stütze. Er hatte sie nötig, ohne sie wäre er nur langsam vorwärtsgekommen.«8
Mileva hat Einsteins Forschungen maßgeblich beeinflusst, besonders den Teil, wofür er den Nobelpreis für theoretische Physik erhielt. Offiziell jedoch gibt es in Einsteins Arbeiten keine Anmerkungen zu Milevas Beiträgen. Lediglich ein Brief, den er 1901 an sie gerichtet verfasste, bezeugt ihre Mitwirkung: »Wie stolz und glücklich werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über die Relativbewegung siegreich zu Ende geführt haben. Wenn ich so andre Leute sehe, da kommt mir’s so recht, was an Dir ist!«9
Eine weitere, sehr berühmte Frau war Hedy Lamarr, die der Allgemeinheit nur als Hollywoodschauspielerin bekannt ist und 1938 nicht nur als eine der schönsten Frauen der Welt galt, sondern auch mit dem Avantgardemusiker Georg Antheil das »Frequency Hopping« entwickelte. Dies bildete nicht nur die Grundlage für ein Gerät zur abhör- und störungssicheren Funkfernsteuerung von Torpedos, sondern dient auch als Basis zeitgenössischer Technik wie WiFi, GPS und Bluetooth. Hedy ist also ein Beispiel dafür, dass Intelligenz kein Ausschlusskriterium für Sex-Appeal ist – und anders herum auch nicht.
Doch auch Erfindungen wie der Paketfallschirm (1921 von Käthe Paulus), der Scheibenwischer (1903 von Mary Anderson), leichtgewichtige Brillengläser (1973 von Marga Faulstich) oder der Kaffeefilter (1908 von Melitta Benz) stammen von Frauen. Besonders hervorzuheben ist die Gewinnerin des Preises für die »beste mechanische Konstruktion, Haltbarkeit und Zweckentsprechung«, deren Erfindung auf der Weltausstellung in London 1886 vorgestellt wurde.10 Die Rede ist von Josephine Cochrane, welche die erste Geschirrspülmaschine der Welt entwarf (ein Drahtgeflecht, das mit einer Kurbel gedreht werden konnte, während Seifenlauge auf das Geschirr sprühte).
Ende gut, alles gut, will man meinen. Denn Frauen hatten bis zum heutigen Tag genug Zeit, um sich in den Naturwissenschaften zu etablieren und profilieren. Jedoch ist diese Annahme – leider – weit gefehlt.
3
» Eine Zulassung der Frauen zum Studium ist gegen die Naturgesetze.«
MAX PLANCK
Was sich noch stärker verbreitet als Schimmel auf Obst und Gemüse, sind Vorurteile und hier vor allem jene, die über Jahrhunderte hinweg kultiviert wurden. Selbst Marie von Ebner-Eschenbach wusste schon: »Ein Urteil lässt sich widerlegen, ein Vorurteil nie.«
Als Frau in einem naturwissenschaftlichen oder technischen Beruf hat man stets mit solchen Vorurteilen zu kämpfen; sie sind allgegenwärtig und kommen selbst aus den eigenen Reihen – dabei sind 12,4 Prozent der Studierenden in den ingenieurwissenschaftlichen Kernfächern Maschinenbau und Informatik weiblich, in der Elektrotechnik sind es 7,4 Prozent. In der Industrie liegt der Anteil von Frauen im Maschinen- und Fahrzeugbau und in der Elektroindustrie bei circa vier bis fünf Prozent; in der industriellen Forschung bei zwölf Prozent.11 Nach einer Umfrage der Autorin sind dies die Top 10 der beliebtesten Vorurteile:
Die Top 10 der beliebtesten Vorurteile:
•Frauen stören mit ihrer Harmoniebedürftigkeit alle konstruktiven Debatten und zerreden die genialen Arbeitsergebnisse der Männer.
•Frauen entwickeln keine Leidenschaft für mathematische oder naturwissenschaftliche Themen. Sie finden es »nett«, knien sich jedoch nicht hinein.
•Mädchen oder Frauen, die technische Berufe lernen, wollen damit nur ihrem Vater beweisen, dass es nicht schlimm ist, dass er keinen Sohn bekommen hat.
•Frauengehirne sind biologisch nicht dazu ausgelegt, um mathematisch anspruchsvolle Probleme zu lösen.
•Naturwissenschaftlerinnen und Technikerinnen sind hässlich und prüde und hoffen, mithilfe des geringen Frauenanteils im Studium endlich einen Mann zu finden.
•Frauen fehlt die Körperkraft und sie sind zu sensibel, deshalb können sie keine schweren Geräte heben und brauchen sofort einen Notarzt, wenn sie sich im Serverschrank an einem Blech schneiden.
•Wenn Frauen in naturwissenschaftlichen Bereichen erfolgreicher sind als Männer, liegt es ausschließlich daran, dass sie alles auswendig gelernt haben – aber nicht verstehen.
•Frauen in Naturwissenschaften sind die Quotenschweine, sodass sich die Unis damit brüsten können, genügend Mädels in ihren Hörsälen sitzen zu haben.
•Frauen genießen an der Universität einen Sonderstatus. Sie haben sogar eine eigene Beauftragte und werden die »Liebchen« der Professoren und Tutoren, weil man sie an der Uni halten will.
•Frauen haben noch nie etwas selbstständig erfunden oder entdeckt, sie forschten immer an der Seite ihres Mannes und setzten lediglich nach dessen Tod seine Errungenschaften fort.
So – oder so ähnlich im Wortlaut – sehen die »modernen« Begründungen mancher Männer und Frauen (!) aus, um Mädchen davon zu überzeugen, niemals auch nur in die Nähe eines Lötkolbens oder einer populärwissenschaftlichen Sendung wie Quarks & Co oder Galileo zu kommen. Man sieht also, es ist nun einmal gegen die Natur einer biologisch richtig tickenden Frau, plötzlich hochtechnische Maschinen, komplexe Formeln oder praktische Dinge wie die Geschirrspülmaschine zu erfinden (manchmal muss es nicht die Weltformel oder Beihilfe zum Bau der Atombombe sein).12
Diese Argumentationen kommen einem doch merkwürdig bekannt vor, oder nicht? Stimmt, denn sie stammen ursprünglich aus dem 17. bis 19. Jahrhundert – und eigentlich sogar noch viel früher, nämlich aus dem Mittelalter. Und dort hätten sich jene Menschen, die noch immer diese »Idealvorstellung« eines Frauenbildes pflegen, auch bestimmt wohler gefühlt als mit gemeingefährlichen MINT-Girls aus dem 21. Jahrhundert, die hilflose Mädchen in Versuchung von Technik und Naturwissenschaften führen. Und sogar im computertechnischen Bereich scheint es Verschwörungen gegen Frauen zu geben, denn schließlich werden selbst in einem weit verbreiteten Textverarbeitungsprogramm alle weiblichen Formulierungen als »falsch« gekennzeichnet. Schämen Sie sich, Mr. Gates! So etwas macht man nicht mit Nerd-Kolleginnen.
Der Grund für diese mickrigen Prozente an weiblichen Naturwissenschaftlerinnen und Technikerinnen liegt – natürlich – nicht an der biologischen Beschaffenheit ihrer Gehirne oder anderen fragwürdigen Gründen, sondern ist auf die Familie und die Gesellschaft, in der diese Vorurteile seit jeher fest verankert sind, zurückzuführen. Auch heutzutage gibt es noch Eltern oder auch Lehrer, die Mädchen von einer allzu technischen Ausbildung oder einem solchen Studium abraten.
Hierbei herrscht folgendes Prinzip vor: Wenn man jemandem lange genug einredet, dass er etwas nicht kann, dann kann er es auch nicht – oder versucht es nicht einmal. Dies ist jedoch bei Weitem nicht der einzige Grund für die Scheu vieler Mädchen vor einer technisch oder naturwissenschaftlich ausgerichteten Ausbildung. Neben Unsicherheit und Unverständnis, die weiblichen Anwärterinnen in diesen Bereichen häufig entgegentreten, spielen auch Ängste und Hemmungen eine große Rolle.
Junge Frauen haben oftmals Angst vor einer Benachteiligung und Diskriminierung in einem reinen Männer-Umfeld – und das leider nicht völlig unberechtigt. Neben einem selbstredenden Verständnis von Technik sollten Frauen deshalb unbedingt eine große Portion Selbstvertrauen, Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen sowie Konfliktfähigkeit mitbringen, um sich erfolgreich gegen die stetige männliche Übermacht zu behaupten. Denn als einziges MINT-Girl unter einem Haufen von MINTs hat Frau es nicht leicht – da darf sie sich leider nichts vormachen. Hingegen sehen circa 90 Prozent der jungen Männer ihr eigenes Technikverständnis als gottgegeben an, verankert in ihrem winzigen Y-Chromosom. Da wäre allerdings ziemlich wenig Platz für so viel technisches Grundverständnis …
Das wichtigste Fach, nämlich die Mathematik (sie kommt in allen Naturwissenschaften und technischen Fächern vor), ist jedoch keineswegs an ein bestimmtes Geschlecht gebunden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war man darüber jedoch noch geteilter Ansicht, denn der Brite Havelock Ellis hat schon 1894 die Behauptung aufgestellt, dass die intellektuellen Fähigkeiten bei Männern stärker variieren als bei Frauen. So kann man das natürlich nicht pauschalisieren. Eine Studie der Medizinerin Janet Mertz und des Mathematikers Jonathan Kane von der University of Wisconsin-Madison und der University of Wisconsin-Whitewater hat mehrere der Hypothesen über die angebliche weibliche Unterlegenheit im Bereich der Mathematik untersucht. Das Resultat war, kurz und bündig zusammengefasst, folgendes: Jungen und Mädchen können zwar im Durchschnitt gleich gut rechnen, die Streuung bei den Jungen ist jedoch größer. Mit anderen Worten: Es gibt zwar mehr männliche Schüler und Erwachsene an der mathematischen Spitze als weibliche, jedoch ist auch ihr Anteil unter den besonders Leistungsschwachen größer.13
Eine weitere hartnäckige Angst der Mädchen ist es, ihre Weiblichkeit zu verlieren, denn – wir erinnern uns – MINT-Girls sind von Natur aus Schreckgestalten mit dem Sex-Appeal eines Nacktmulls. Technik wird oft mit schweren Gerätschaften, Öl, Dreck und Schmiere verbunden – was natürlich nicht besonders ladylike ist. Auch die Naturwissenschaftlerinnen werden meist als Frauen fern jeglichen Schönheitsideals dargestellt: ungepflegte Fingernägel, raspelkurze Haare, dicklich, Klamotten aus Omas Kleiderschrank, unrasierte Beine, Büsche unter den Achseln und traditionell flaches Schuhwerk. In den USA haben Naturwissenschaften (und hier besonders das Fach Mathematik) sogar einen noch schlechteren Ruf als in Europa. Im Internet gehen Mädchen-Shirts mit dem Aufdruck »Ich bin zu hübsch für Mathe« weg wie warme Semmeln. Doch auch hierzulande findet sich eine nette Anzahl klischeebelasteter Sprüche, und so hört man Äußerungen wie »Überlassen wir Physik den hässlichen Menschen«oft auch aus dem Mund von Mädchen. Natürlich kann man dieses Vorurteil nicht vollständig abstreiten, denn es gibt durchaus Frauen in Technik und Naturwissenschaften, die sich fürchterlich kleiden und zu tief (oder gar nicht) in den Farbtopf greifen. Solche modischen Katastrophenfälle gibt es jedoch auch abseits der Naturwissenschaften. Modische Unfähigkeit ist demnach also keine Voraussetzung, um ein MINT-Girl zu werden.
An dieser Stelle kann man nun zusammenfassen, dass Jungen schon immer als clever galten und Mädchen in der Regel als fleißig und wenig an Naturwissenschaft und Technik interessiert. Das liegt allerdings keinesfalls an der Genetik oder an pseudowissenschaftlichen Gründen, sondern an eingefahrenen Vorurteilen, die sich, wenn überhaupt, nur sehr langsam in den Köpfen der Menschen verändern. Dennoch soll hier auch ein relativ aktueller Trend nicht unerwähnt bleiben: So wurde aus Umfragen herausgefiltert, dass auch Serien Einfluss auf den Berufswunsch von Frauen haben. LA