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Das Aufstiegsversprechen sollte beim Sprung über den Atlantik nicht baden gehen, doch leider haben nur die Gespenster der Vergangenheit im Umzugskarton überlebt. In den Siebzigern hat das linksliberale Quartett aus dem Drama "Harmony Place" vor dem Kapitol für Gleichberechtigung und gegen Rassismus gestritten, in der norddeutschen Überschreibung wird es jetzt von den Kindern der Political Correctness und den Müttern von Cancel Culture aufs Abstellgleis eines runtergerockten Wohnparks in Dithmarschen gesetzt. Das Stück "Terrence McNally tanzt keinen Tango mit toten Fischen auf Balkonen" verortet den globalen Klimawandel in den ländlichen Raum, entfesselt dabei die spalterischen Kräfte einer schleswig-holsteinischen Separatistenbewegung und verhandelt ein hanseatisches Rote-Armee-Trauma als groteske Allegorie über die Schönheit von Schuld gleich selbstredend mit. Während die zu bluttriefenden Darkrooms in Wellblechbauweise umfunktionierten Airstream-Klitschen langsam zwischen Kögen, Deichen und Entwässerungskanälen eines Trailer-Friedhofs abzusaufen drohen, bespielt sie das Personal im Schatten futuristischer Windparks und unter dem Phlegma prekärer Lebensverhältnisse letztmalig als Druckkessel von patriotischen Debatten und völkischen Ausgrenzungsfloskeln. Nahe der fiktiven Gemeinde Brunsburenkoog sorgt das rituelle Menschenschlachten für ein bizarres Revival des authentischen Wirgefühls in den Grenzen der Metropolregion Hamburg. Die Konfektionierung des leidvollen Sterbens für den digitalen Weltmarkt ist den Zynikern von Eider und Elbe ihr Handwerk, die Ästhetisierung des Hinscheidens das Ziel. Am Ende wird ein stummes Mädchen aus den Fängen des sadistischen Parkbetreibers befreit sein, aber sie wird ihr Leben unter einem mutmaßlichen Kinderschänder und Ex-Terroristen erdulden müssen. Auch das ist die zermürbende Tragik dieses absurden Theaters am Ende der Kanzlerinnen-Ära Merkel: Dass es in den hellen Momenten mit der Verheißung auf Glück und innere Einkehr spielt, die Erlösung aber eine Chimäre bleibt. Das Stück verdankt seine Entstehung dem Autorenwettbewerb "Große Freiheit Schreiben", den das Ohnsorg Theater Hamburg 2021 initiierte.
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Seitenzahl: 115
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Terrence McNally tanzt keinen Tango mit toten Fischen auf Balkonen. Die Gespenster der Vergangenheit haben das Drama im Umzugskarton überlebt. Bereits in „Harmony Place“ waren alle Werte bildenden Prinzipien auf dem Hinterhof der amerikanischen Gesellschaft über Bord gegangen, jetzt hat der Autor seiner Allegorie über die Schönheit von Schuld ein norddeutsches Update aufgespielt und die Pflöcke des sozialen Raubbaus in Dithmarschen eingeschlagen: „Terrence McNally tanzt keinen Tango mit toten Fischen auf Balkonen“ verhandelt in der Überschreibung den globalen Klimawandel, ein hanseatisches Rote-Armee-TraumaunddiespalterischenKräfteeinerschleswig-holsteinischen Separatistenbewegung selbstredend mit. Während die zu bluttriefenden Darkrooms in Wellblechbauweise umfunktionierten Airstream-Klitschen langsam zwischen Kögen, Deichen und Entwässerungskanälen eines runtergerockten Westerndorfes abzusaufen drohen, bespielt sie das Personal im Schatten futuristischer Windparks und unter dem Phlegma prekärer Lebensverhältnisse letztmalig als Druckkessel von patriotischen Debatten und völkischen Ausgrenzungsfloskeln.
Nahe der fiktiven Gemeinde Brunsburenkoog sorgt das rituelle Menschenschlachten für ein bizarres Revival des authentischen Wirgefühls in den Grenzen der Metropolregion Hamburg. Die Konfektionierung des leidvollen Sterbens für den digitalen Weltmarkt ist den Zynikern von Eider und Elbe ihr Handwerk, die Ästhetisierung des Hinscheidens das Ziel. In der Widersprüchlichkeit der Figuren, der Unschuld ihrer Gedanken und der Hässlichkeit der Orte zeigt das Böse seine Fratze, gleichzeitig verbergen sich in den skurrilen Betrachtungen über das platte Land - ganz so, wie wir es von Herget gewohnt sind - ein grotesker Charme und eine darüber hinausgehende Wahrheit.
Das Stück verdankt seine Entstehung dem Autorenwettbewerb „Große Freiheit Schreiben“, den das Ohnsorg Theater Hamburg 2021 initiierte.
Thomas Herget wurde 1964 in Frankfurt am Main geboren. Neben seinem Studium in Darmstadt publizierte er für Zeitungen im deutschsprachigen Raum. Es folgten literarische Förderpreise und Stipendien. Journalistische Tätigkeiten unter anderem für taz, Frankfurter Rundschau und Passauer Neue Presse. Heute verfasst er Film- und Theaterrezensionen, zeichnet für das Bühnen-Ressort eines Magazins verantwortlich und schreibt für Hörfunk und Theater. Er lebt in der Nähe von Kiel.
„Die Zeit verwandelt uns nicht. Sie entfaltet uns nur“Max Frisch
Terrence McNally tanzt keinen Tango mit toten Fischen auf Balkonen
Über das Stück
Synopsis
Personen
NELLIE
WINSTON
JEHOVAH
NONO
DER SCHMUSER, Parkbetreiber, der zudem vorgibt,
Terrence McNally zu sein
STUMMES MÄDCHEN
WEIBLICHE RADIOSTIMME, Off-Sprecherin
Zeit und Ort
2020. Nach dem 3. November. Inmitten einer geisterhaft verrotteten Westernstadt in Dithmarschen, die ihre Bewohner zu einem Trailer Park umfunktioniert haben, schon da sie insgeheim davon überzeugt sind, in West Virginia zu leben. Vielleicht weil dort die traurigsten Amerikaner zuhause sind.
Die Pausen zwischen den einzelnen Bildern werden mit Kurzfilmen über Heuschreckenplagen überbrückt. In den episodischen Einspielungen sind zumeist alles vertilgende, kannibalisch kopulierende Insekten zu sehen, in den Totalen verdunkeln sie in Schwärmen den Himmel. Apokalyptische Schreckensszenarien biblischen Ausmaßes, untermalt mit polyphoner Musik von György Ligeti oder Philip Glass. Die spärlichen Regieanweisungen im Text dürfen als Aufforderung an die Spielleitung verstanden werden, inszenatorische Leerstellen überbordend zu füllen.
Auf dem Gelände einer Wohnwagensiedlung. Auf Metallstangen aufgebockte Behausungen aus Wellblech. Inmitten verbeulter Airstream-Wohnwagen auf platten Reifen stechen hölzerne Saloon-Remisen inmitten eines gespenstisch verlassenen Westerndorfes hervor. Ein trostloser Ort. Die Außen- und Innenbereiche gehen verfallsbedingt fließend ineinander über, auf dieser Bühne wirkt alles wie im Umbau, stilisiert und angedeutet. Im Hintergrund zeichnet sich - als Diorama-Pastiche einer plattdeutschen Landschaft - ein futuristischer Windpark ab, der im Verlauf der Inszenierung im jeweiligen Licht der Tages- und Nachtzeiten erstrahlen wird.
Habseligkeiten und Dinge des täglichen Bedarfs türmen sich zu kleinen Halden, Metallfässer ragen aus einer Erdmulde heraus. Nellie und Winston neben ihrem Bestand an Propangaskartuschen. Er malt, sie versucht erfolglos, den Schallplatten-Tonarm an den Anfang eines Liedes zu platzieren. Etwas entfernt Jehovah und Nono, schweigend im Halbdunkel. Licht immer nur dort, wo gesprochen wird.
Beide im Pyjama, die Haare verstrubbelt. Nellie sucht auf der Platte „Metals“ noch die Spur mit dem Anfang von „Graveyard“, findet aber immer nur das Ende von „The Bad in Each Other“.
NELLIE Ab Mitte fünfzig ist es vorbei. Mit der Motorik. Die Hände.
WINSTON Ich find meinen Strich fabelhaft. Nellie, schau auf meine Hände! Sind das nicht Künstlerhände?
NELLIE Winston, erinnerst du dich, wie ich die Nadel in den Rillen einst zum Tanzen gebracht habe? Wie besoffen muss ich alte Kuh da gewesen sein?
WINSTON Junge Kuh, Nellie.
NELLIE Ich versteh, wenn die Zahnärzte in den besten Jahren in Rente gehen. Wer will denn wegen ner ruhigen Hand ständig betrunken in der eigenen Praxis rumtorkeln?
WINSTON Rille heißt es korrekt.
NELLIE Bitte?
WINSTON Es gibt nur eine pro Seite. Leslie Feist wird dir zuliebe keine Ausnahme gemacht haben. Eine Rille, tausend Versprechen. Das Mirakel der Schallplatte. Die göttliche Leslie.
NELLIE Warum bist du bloß ein so verdammter Dandy? Winston, oh Winston. Dann dreht sich die Musik eben dieses eine Mal im Kreis herum. Stundenlang. Tagelang. Bis der Saphir alle Töne aus dieser verdammten Rille gekratzt hat. Deiner Rille! Aber weißt du was? Es wird immer Musik bleiben. Spurenelemente von Schallereignissen im nicht hörbaren Bereich. Homöopathisch. Man muss sein Ohr nur ganz dicht an den Tonabnehmer halten. Wer, außer Leslie, würde das wohl hinkriegen, hm? Was glaubst du? Sie ist die Beste. In allem, was sie tut. War sie immer. Dabei hat sie nicht das Privileg eines großen Namens. Ihre Eltern waren keine Diplomaten oder so etwas. Nicht im Traum hätten die ihrer Tochter den Namen einer adipösen Kriegsberichterstatterin aufgepappt!
WINSTON Offensichtlich zwang er die Nazis in die Knie.
NELLIE Guderian ließ seine Panzer stoppen. Achtzehn Kilometer vor Dünkirchen. Dieser fette Lurch von Churchill hatte mehr Glück als Verstand. Sein Heldenmut basierte auf der Güte seiner Gegner. Winston, hast du mal seine Bücher gelesen? Dieses trockene Abarbeiten an Hitler. Äfft ein Gähnen nach. Hast du neulich nicht gesagt, dass Bob Dylan den Literaturnobelpreis im Grunde nicht verdient hat?
WINSTON Weiß nicht.
NELLIE Der gehörte wenigstens nie zu den Eliten. Stand stets am Rande des Feldes und netzte am Ende instinktsicher ein. Da war nie Protektion im Spiel. Oder Berechnung, verstehst du? Der war eben keine Erwartungshaltungsbestätigungsmaschine.
WINSTON Hört, hört. Spricht jetzt die Frau, deren Eltern nichts Besseres einfiel, als die Tochter nach der ersten Gouverneurin der Vereinigten Staaten zu benennen? Ziemlich anmaßend, wenn du mich fragst. Du musst als Baby bereits mächtig Eindruck hinterlassen haben.
NELLIE Und? Wohin hat es mich gebracht? Hast du mal aus dem Fenster gesehen? Durch diesen trüben Acryldeckel hier, an dem man im Winter von innen das Eis abkratzen muss, um dahinter den Verfall eines ganzen Landes zu erahnen?
WINSTON Ich bin nicht schuld, dass dein verdammter Verlag Pleite gegangen ist. Ich trage keine Verantwortung, dass das Berufsbild des Lektors Schaden genommen hat. Dass keine Sau mehr anspruchsvolle Publizistik in die Hand nimmt, geschweige denn Publizistik überhaupt mit etwas Befähigtem assoziiert. Vielleicht gehst du mal ins literaturwissenschaftliche Seminar deiner alten Uni und fragst diese politisch korrekten Kinder, warum sie nicht mehr lesen. Möglicherweise halten sie Eugene O‘Neill für den neuen Running Back bei den Pittsburgh Steelers. Erzähl mir bitte nicht, dass es dich nicht mit Stolz erfüllt hat, als sie dich mit Nellie Tayloe Ross verglichen und dir den roten Teppich ausgerollt haben. Schaut her, da kommt Nellie, unsere universitär dekorierte Medienikone! Und einen großen Namen trägt sie außerdem! Hallo, so wurde doch getuschelt? Auf den düsteren Fluren, in der Mensa, wenn ich mich richtig erinnere. Hat man dir dort bis zuletzt nicht den sonnigsten Fensterplatz freigehalten? Eine Spur zu servil, finde ich. In Erwartung einer Reaktion, während sie schweigt. Ewigkeiten her, meinst du? Okay, aber du wirst jetzt nicht behaupten wollen, dass du deine steile akademische Karriere den Segnungen der modernen Kieferchirurgie zu verdanken hast?
Nellie ist etwas erschrocken, weil sie die Nadel punktgenau aufgesetzt hat. Jetzt „Graveyard“. Diesmal von Anfang an. Sie bewegt sich ulkig und ungelenk dazu, mit geschlossenen Augen: The graveyard / The graveyard / All full of light / The only age / The beating heart / Is empty of life / Dirt and grass / A shadow heart / The moon sails past / Blood as ice is / And empty crises / Lonely lies.
Sie dreht lauter: Whoa-ah-ah ah-oh-ah / Bring ‘em on back to life / Whoa-ah-ah ah-oh-ah / Bring ‘em on back to life / Whoa-ah-ah ah-oh-ah / Bring ‘em on back to life / Whoa-ah-ah ah-oh-ah / Bring ‘em on back to life.
Winston geht zum Plattenspieler. Zieht den Stecker. Keine Musik.
NELLIE empört He! Was ist denn?
WINSTON Mein Strich. Er braucht Ruhe.
NELLIE Ruhe für dieses Gekritzel hier?
WINSTON Stille ist das Futter für eine ruhige Hand.
NELLIE Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber wir wohnen nicht mehr in Marina District. Keine Fernblicke auf den Palace of Fine Arts und die Golden Gate Bridge. Wir vegetieren im Nirgendwo. In der Nähe eines Nests, in dem die übergewichtigsten Menschen des gesamten Landes zuhause sind.
WINSTON Was du nicht sagst.
NELLIE Jedenfalls werden mir die gekiesten Auffahrten zu den Vorgärten der Villen in nostalgischer Erinnerung bleiben. Ich hatte mich gerade an die blühende Hortensien-Hölle gewöhnt, Winston, kannst du dir das vorstellen? Die Anzahl der Leute, die ihre verwöhnten Kinder in mähdreschergroßen Pick-Ups zu irgendwelchen Privatschulen chauffieren, ist hier natürlich weit überschaubarer. Manchmal denk ich, es macht dir nichts aus, dass du nicht mehr als Professor für Althebräisch und Geschichte arbeitest, sondern touristische Panoramen für ein Schmerzensgeld malst, das dir eine chinesische Heuschrecke überweist. Aber die französischen Oldtimer mit hydropneumatischer Federung in diesen klimatisierten Tiefgaragen, die fehlen dir doch? Winston, ich sag das jetzt nicht, um dich zu demütigen, aber was uns als Mobilitäts-Highlight geblieben ist, ist ein hippieskes Fahrrad. Ein unrund laufender Drahtesel, zusammengehalten von Rostschutzfarbe, an den streunende Köter pissen.
WINSTON Neulich hab ich den Mount Mitchell geschrumpft. Um hundert Meter.
NELLIE Du hast was?
WINSTON Den höchsten Berg der Appalachen. Ein echtes Wagnis, ne astreine Manipulation. Ich hab auch schon Skigebiete eingezeichnet. In Regionen, in denen es seit siebzig Jahren nicht mehr geschneit hat.
NELLIE Echt jetzt?
WINSTON Steinbrüche in smaragdgrüne Seenlandschaften zu verwandeln, das sind natürlich Play-Off-Spiele.
NELLIE Und was ist der Super Bowl?
WINSTON Bahnstrecken. Auch Straßen. Straßen sind schwierig, weil hinlänglich bekannt. Die Ausflügler kennen die. Die Städter, klar. Kennen jedes Motel, jeden Drive-in. Selbst die Japsen. Gerade die Japsen. Haben keinen Sinn für die romantischen Trails, die einstige Proklamation zwischen Indianern und britischen Siedlern. Dieses Karaoke-Virus ist gewiss ein Schmarotzer. Es nutzt die amerikanische DNA wie einen Wirt. Aber diese Bakterie ist clever. Sie tötet ihren Wirt nicht. Sie verbleibt in ihm und verbreitet munter Anomalien. Highspeed-Mutanten allerorts.
NELLIE Mutantinnen.
WINSTON Fang nicht auch noch an.
NELLIE Du hättest ihr nicht an die Pflaume fassen dürfen.
WINSTON Ich habe ihr nicht an die Pflaume gefasst.
NELLIE Es gibt Bilder. Das Internet.
WINSTON Keine Ahnung, wer so etwas macht. So eine perverse Sau.
NELLIE Ein Leben wie eine einzige Flucht. Erst vor anderen. Dann vor uns selbst. Wann hat das eigentlich angefangen? Mit diesen Phantasienamen? Den schillernden Biografien wie aus nem Universallexikon? Seither tauchen Bonny und Clyde in meinen Träumen als spießige Handlungsreisende auf.
WINSTON Ich hab sie noch fallen sehen. Die Schlitze. Die Treppe. Der Schrei. War blitzartig bei ihr, wie von der Tarantel gestochen.
NELLIE Die fernöstliche Provenance ist dir nicht aufgefallen?
WINSTON Warten Sie, geben Sie mir ihre Hand, sag ich noch. Aber sie will, dass ich zuerst den Krimskrams zusammenklaube, den Plunder, der ihr aus dem Rucksack geplatzt ist. Spiegel, Kajalstift, Kugelschreiber, Pfefferspray -
NELLIE - Kondome.
WINSTON Himmel, ja, vielleicht. Vielleicht auch Kondome.
NELLIE Und dieser Plunder, wie du ihn nennst, lag leichthin genau unter ihrem Rock, in direkter Nachbarschaft zu ihrer Muschi?
WINSTON Aber nein, wo denkst du hin? Nellie, du kennst die Saybrook University. Die kann ein dunkler Ort sein, holla, vor allem für Nicht-Humanisten. Das ganze mittlere Stockwerk war praktisch ein Trümmerfeld, übersät mit dem bewährten Instrumentarium des weiblichen Nahkampfes -
NELLIE anknüpfend - den du sicher dankend angenommen hast.
WINSTON Ich kann mich an kein Smartphone erinnern, Himmelsakrament. In Ordnung, da lag etwas Metallenes herum, ein USB-Stick in meiner Erinnerung, vorne mit ner Schutzkappe drauf. Eine kleine schwarze Kappe, wenn es dich beruhigt.
NELLIE Es gab Fingerabdrücke. Überall. Auch auf dem Smartphone. Streng. Ihrem iPhone. Sagt die Richterin. Du hattest deine Hände schon damals nicht unter Kontrolle. Ich dachte, wir hätten diese Neigung langsam im Griff.
WINSTON Verschwommene Aufnahmen, was sonst! Da war nicht die Bohne drauf zu sehen. Nicht das Geringste. Nix. Negerküsse im Tunnel. Selbst das Ungeheuer von Loch Ness hatten sie detailreicher im Kasten.
NELLIE Den Schlitz der Schlitze. Den hat sie den Geschworenen genüsslich vorgelegt, die Richterin. Als Vergrößerung. Papier. DIN A3. Die kriegten richtige Stielaugen, die Geschworenen.
WINSTON Glaubst du, für mich ist das nicht erniedrigend? Seit Jahren erdulde ich jetzt kriecherisch deine Rache wie ein verschwörerisches Kompensationsgeschäft. Denkst wohl, ich hab es nicht bemerkt?
NELLIE Weiß nicht, wovon du sprichst.
WINSTON Nicht unter der Dusche. Das war der Deal. Keine Pimmelbilder, kein kompromittierender Livestream, schon mal drüber nachgedacht? Diese Bezahlschranke macht uns nicht reich, Nellie, sie fleddert unsere Seelen.
NELLIE Der Deal? Winston, ich weiß eigentlich nicht, wann wir in Vertragsverhandlungen eingestiegen sind. Gehören dazu nicht Partner auf Augenhöhe? Wer hat dir denn den Floh mit der Dusche ins Ohr gesetzt? Nono?
WINSTON Ich nenn keine Namen. Es sind schließlich deine Freunde.
NELLIE Nono. Also doch.
WINSTON Der soll mal ein Auge auf seinen Ablauf werfen. Sag ihm das mal. Ihr Trailer schaukelt wien Elbkahn in dieser stinkenden Jauchegrube. Sein Freund hat ja zwei linke Hände. Die schwule Sau.
NELLIE Finger weg von diesen Asiatinnen! Habe ich das nicht gesagt? Keine Grillen. Winston, schau mir mal in die Augen! Viertausend Jahre gelebte Kulturgeschichte, hörst du? Die lassen sich auch mit nem neuen Präsidenten nicht einfach ausradieren. Musste schon Dschingis Khan begreifen.
WINSTON Jetzt biste bei den Mongolen gelandet. Meinst wohl Marco Polo?
NELLIE Menschen, die ihre Freizeit als lebende Presswürste in stickigen U-Bahnwaggons verschlafen, stehen den Segnungen der Aufklärung jedenfalls nicht gerade amüsiert gegenüber, das sag ich dir.
WINSTON Okay, sind wir fertig?
NELLIE Ja.
WINSTON schaut an sich und seinem speckigen Schlafanzug herunter.