Eleanor Rigby verlässt New York und ertrinkt in Liebe - Thomas Herget - E-Book

Eleanor Rigby verlässt New York und ertrinkt in Liebe E-Book

Thomas Herget

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Beschreibung

Es sollte nur ein Witz sein, aber beinahe wäre daraus eine historische Wiedervereinigung geworden. Als der Produzent von Saturday Night Live am 24. April 1976 in einem Sketch Geld für die Reunion der Beatles anbietet, sitzen John Lennon und Paul McCartney nur ein paar Häuserblocks entfernt vor dem Fernseher. Lorne Michaels hält einen Scheck über dreitausend Dollar in die Kamera und verspricht, dass sie nur drei Lieder für seine Oma spielen müssten. Er kann nicht wissen, dass die beiden tatsächlich kurz darüber nachdenken, ins Studio rüberzufahren. Vierzig Jahre nach Johns Ermordung haben sich Sean und Stella, zwei der prominenten Beatles-Kinder, im Dakota Building am Central Park einquartiert und memorieren skizzenhaft die kuriosen Ereignisse jener Nacht. Bald schießen wilde Spekulationen über das letzte Zusammentreffen der ungleichen wie rätselhaften Stars ins Kraut, mäandert die Geschichte in Lennons ehemaligem Appartement an der Grenze verbriefter Wahrheiten und wundersamer Legenden entlang. Haben Johns Kurzsichtigkeit und dessen Glaube an Außerirdische den Grundstein für eine spätere Verschwörung gelegt? Oder sollen Sean und Stella den Schnurren des kauzigen Taxifahrers Glauben schenken, der höchst plastisch von einer Doppelgänger-Theorie samt konspirativer Flucht-Odyssee zu berichten weiß? "Eleanor Rigby verlässt New York und ertrinkt in Liebe" ist satirisches Märchen und parodistisches Science-Fiction-Musical zugleich, ein freidrehendes Hördrama, das von der Last des Überlebens im Schatten hypermedialer Aufmerksamkeit erzählt - und davon, dass man sich der Bürde eines großen Namens am Ende wohl nur mit einem Übermaß an Fantasie und gesunder Selbstironie stellen kann. Auszüge aus einem Gespräch, das der Journalist Walter Sturmhofen mit dem Autor führte, ergänzen diesen Hörspiel-Band. Im Interview erzählt Herget über seine Erinnerungen an die Beatles, die Zukunft des Sprechtheaters, Anschläge auf Kunstwerke, und warum ihn Michael Jackson nie inspiriert hat.

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Eleanor Rigby verlässt New York und ertrinkt in Liebe. Es sollte nur ein Witz sein, aber beinahe wäre daraus eine historische Wiedervereinigung geworden. Als der Produzent von Saturday Night Live am 24. April 1976 in einem Sketch Geld für die Reunion der Beatles anbietet, sitzen John Lennon und Paul McCartney nur ein paar Häuserblocks entfernt vor dem Fernseher. Lorne Michaels hält einen Scheck über dreitausend Dollar in die Kamera und verspricht, dass sie nur drei Lieder für seine Oma spielen müssten. Er kann nicht wissen, dass die beiden tatsächlich kurz darüber nachdenken, ins Studio rüberzufahren. Vierzig Jahre nach Johns Ermordung haben sich Sean und Stella, zwei der prominenten Beatles-Kinder, im Dakota Building am Central Park einquartiert und memorieren skizzenhaft die kuriosen Ereignisse jener Nacht. Bald schießen wilde Spekulationen über das letzte Zusammentreffen der ungleichen wie rätselhaften Stars ins Kraut, mäandert die Geschichte in Lennons ehemaligem Appartement an der Grenze verbriefter Wahrheiten und wundersamer Legenden entlang. Haben Johns Kurzsichtigkeit und dessen Glaube an Außerirdische den Grundstein für eine spätere Verschwörung gelegt? Oder sollen Sean und Stella den Schnurren des kauzigen Taxifahrers Glauben schenken, der höchst plastisch von einer Doppelgänger-Theorie samt konspirativer Flucht-Odyssee zu berichten weiß? „Eleanor Rigby verlässt New York und ertrinkt in Liebe“ ist satirisches Märchen und parodistisches Science-Fiction-Musical zugleich, ein freidrehendes Hördrama, das von der Last des Überlebens im Schatten hypermedialer Aufmerksamkeit erzählt - und davon, dass man sich der Bürde eines großen Namens am Ende wohl nur mit einem Übermaß an Fantasie und gesunder Selbstironie stellen kann.

Auszüge aus einem Interview, das der Journalist Walter Sturmhofen mit dem Autor führte, ergänzen diesen Hörspiel-Band.

Thomas Herget wurde 1964 in Frankfurt am Main geboren. Neben seinem Studium in Darmstadt publizierte er für Zeitungen im deutschsprachigen Raum. Es folgten literarische Förderpreise und Stipendien. Journalistische Tätigkeiten unter anderem für taz, Frankfurter Rundschau und Passauer Neue Presse. Heute verfasst er Film- und Theaterrezensionen, zeichnet für das Bühnen-Ressort eines Magazins verantwortlich und schreibt für Hörfunk und Theater. Er lebt in der Nähe von Kiel.

Inhalt

Eleanor Rigby verlässt New York und ertrinkt in Liebe

Synopse („Eleanor Rigby verlässt New York und ertrinkt in Liebe“)

„John war der Sand im Getriebe einer gut geölten Pop-Maschine“.Der Autor im Gespräch mit Walter Sturmhofen - über seine Erinnerungen an die Beatles, den Zustand des Sprechtheaters, Anschläge auf Kunstwerke, und warum ihn Michael Jackson nicht inspiriert.

Eleanor Rigby verlässt New York und ertrinkt in Liebe

für Freda Kelly

Personen

STELLA, Pauls Tochter

SEAN, Johns Sohn

LORNE MICHAELS, TV-Moderator

AYDEN, der Taxifahrer

Stimmen und Geräusche

Zeit, Ort und Anmerkungen

Um 2020. New York. In John Lennons ehemaligem Appartement im Dakota Building. Der Blick auf den Central Park ist grandios, die Wohnung an diesem Aprilabend stark ausgekühlt. Vielleicht einer der Gründe, weshalb Sean und Stella augenblicklich miteinander warm werden und sich nicht erst auf Betriebstemperatur plaudern müssen. Lorne Michaels Text wird in der deutschen Video-Übersetzung ironisch überhöht deklamiert, ansonsten sollte die Aufzeichnung von „Saturday Night Life“ den Charakter und das Wesen der amerikanischen Originalsendung abbilden. Sämtliche Figuren folgen Annäherungsmustern, sie hangeln sich teilfiktiv an den Biografien tatsächlich lebender oder verstorbener Personen entlang. So können einige der Behauptungen und Zitate dem historisch verbrieften Zeitgeschehen zugeordnet werden, andere wiederum sind frei erfunden, was den subversiven Begierden aller Sprechenden nach einer fiktionalen Überschreibung geschuldet sein mag. Geräusche, etwa von hupenden Autos oder das Telefonklingeln, spiegeln zeitkoloritisch die Siebzigerjahre wider. Eine überdreht-komödiantische Rastlosigkeit bestimmt genretypisch das dialogische Tempo und den Handlungsfortlauf.

SEAN seufzend Wie oft haben wir schon reingeschaut, Stella? Einige Leute entwickeln Alpträume und Neurosen bei so etwas. Frag mal Mia Farrow oder Alex Jones.

STELLA Ich glaub, ich hab vorhin was übersehen. Ein letztes Mal noch. Ehrenwort.

Eine Videokassette wird unter mahlenden Geräuschen in ein Abspielgerät geschoben, ein Knopf gedrückt. Zu hören ist der TV-Ton einer aufgezeichneten NBC-Folge von „Saturday Night Life“, der einbrechende Applaus überdeckt geradewegs das Ende eines Werbejingles, dann die Stimme des Moderators Lorne Michaels, ernsthaft, aber leicht verrauscht.

LORNE Um es auf den Punkt zu bringen, ähm, also für mich sind die Beatles das Beste, das der Musik je passieren konnte. Pause, dann ins Publikum Für euch hoffentlich auch -

Yeah-Rufe von Zuschauern, kurzer Applaus.

Ihr - ihr seid nicht nur eine Band, ihr seid ein Teil von uns -

Eingespielt wirkender Beifall.

Ich weiß, dass ihr Sids Millionen für eine Wiedervereinigung gerade abgelehnt habt, aber vielleicht wirkten Bernsteins Überredungskünste als Bettler auch ein bisschen zu kalkuliert -

Vereinzelte Lacher aus dem Publikum.

John, Paul, George und Ringo, ich spreche euch direkt an. Vielleicht sitzt ihr irgendwo dort draußen und schaut euch gerade diese wunderbare Show an. Eleusinisch Es geht das Gerücht, dass Paul und John in der Stadt sind. Dass sie sich getroffen haben -

Gemurmel im Publikum. Gespannte Pause.

Zur Hölle, Paul und John sind in New York!

Tosender, inszeniert wirkender Applaus, in den Stella hineinquasselt.

STELLA Hast du Lornes Handbewegung gesehen? Ist das ein Zeichen? Ich wusste, ich hatte was übersehen.

SEAN Als er den Scheck hervorzauberte? Ich denk, er hat sich an den Pimmel gefasst.

STELLA in den abflauenden Applaus hinein Mir ist kalt. Ich glaub, ich krieg meine Tage.

LORNE eindringlich Ich will euch diesen Scheck zeigen. Er ist die Idee von meiner Oma. Ja, Paul und John, ich rede noch immer mit euch. Für die dreitausend Dollar müsstet ihr nur drei Songs der Beatles spielen. She loves you, yeah, yeah, yeah, das wären schon die ersten Tausend. Tausend Dollar klingt nicht viel, aber es ist der tarifliche Mindestlohn bei Saturday Night Life und, heiliger Strohsack, ihr würdet eine ältere Dame sehr glücklich machen -

Kurzer Applaus.

Überlegt es euch. Ihr könnt das Geld aufteilen, wie ihr möchtet. Wenn ihr Ringo weniger geben wollt, dann macht das.

Enthemmtes Fernsehstudio-Lachen, das jäh erstirbt, als der Ausschalter des Rekorders gedrückt wird. Stella fläzt sich in einen Sessel.

STELLA Nun?

SEAN Okay, da ist diese Handbewegung. Normal sieht die nicht aus.

STELLA Wie bei einem Puppenspieler, willst du sagen?

SEAN Vielleicht ein Hinweis an die Regie.

STELLA Dass der Taxifahrer jetzt losfahren soll, um Paul und John abzuholen?

SEAN Wie wäre es mit: Dass er losfahren soll, um Pizza zu bringen?

STELLA Sean, du machst dich sooo lächerlich.

SEAN Weil ich glaube, dass es diesen Taxifahrer nicht gibt? Nie gegeben hat? Da könntest du recht haben.

STELLA Mir ist kalt. Kann man diesen Kaminofen nicht anwerfen?

SEAN Hast du irgendwo Brennholz entdeckt? Hier drinnen ist alles Dekoration.

STELLA Was macht Yoko eigentlich, wenn sie zuhause ist? Stellt die bunte Neonrühren in den Abzug, um Wärme vorzutäuschen?

SEAN Du hast ihre Arbeit nie wertgeschätzt. Als Künstlerin war sie dir immer suspekt. Dir und deiner verkorksten Familie.

STELLA Hast du „Subway“ gesehen? Wie Christopher Lambert sich im Neonlicht durch trostlose Metrotunnel gerobbt hat? Wir könnten das Mobiliar verheizen, was meinst du? Als wir uns damals nach Schottland zurückgezogen haben, hat mein Vater sogar den Verschnitt aus seiner Schreinerei verfeuert.

SEAN Er war dem Alkohol verfallen und zunehmend verwahrlost auf diesem Bauernhof.

STELLA Sagt das die Grille? Dieses gelbhäutige Miststück? Wir haben jedenfalls nicht gefroren.

SEAN Stella McCartney verheizt Yokos Möbel im Dakota Building - ich hab die Schlagzeile der morgigen New York Times schon vor Augen.

STELLA Wie wär’s mit: Beatles-Tochter nimmt späte Rache an Lennon-Witwe?

SEAN geschraubt Die weltberühmte britische Designerin stand offenbar unter dem Einfluss halluzinierender Rauschgifte -

STELLA vergnügt weiter - Vegetarierin jagt Lennons Erbe durch den Schornstein -

SEAN angefixt - Wir könnten auch ohne Feuer draufgehen, was meinst du?

STELLA Du denkst an Erfrieren?

SEAN Yep, wie in „Shining“.

STELLA entsetzt Nein, nein, nein. Nein.

SEAN Rauchvergiftung. Geöffnete Pulsadern. Badewanne. Stella, gib mir mal ne belastbare Headline!

STELLA Kein Blut!

SEAN Dann Kohlenmonoxid, irgendein Gastod. Ersticken geht immer, wir sind ja nicht in Deutschland. Hast du gewusst, dass Hitchcock dauernd Blut einforderte? Hat man später alles rausgeschnitten. Was ist, bekommst du deine Tage?

STELLA Warum fragst du? Willst du mich vergewaltigen? Bevor meine Vagina zugefroren ist?

SEAN aufgeschlossen Sex beim Todeskampf. Wäre der Nachwelt leicht zu vermitteln.

STELLA Erzwungener Sex, wenn schon.

SEAN weiter empfänglich Dazu noch in der eigenen Familie. Die Beatles waren doch eine Familie?

STELLA John hätte sich schlappgelacht. Er hatte diesen robusten Humor, dein Vater.

SEAN Ihm stand der Sinn eben nicht nach Versöhnung und Stringenz.

STELLA Wie kannst du diese Codes dann ausnahmslos negieren, wenn dir jede Folgerichtigkeit suspekt erscheint? Sag mir, was dir an diesem Abend nicht mysteriös vorkommt? Die Zeichen an der Wand stechen bis heute heraus, selbst wenn wir „Saturday Night Life“ und fremde Mächte jetzt mal beiseitelassen.

SEAN Ich dachte, wir wären durch damit, mit den Vorboten kosmischen Unheils.

STELLA Warum hat Yoko den Abend nie erwähnt? Wo ist sie eigentlich? Lauscht sie nem Vortrag von Erich von Däniken? Über Sintflut und Religionen?

SEAN Nur weil ich ironisch mit ihnen spiele, heißt es nicht, dass ich allen Chiffren misstraue. Wollten wir nicht das Thema wechseln?

STELLA möchte am Ball bleiben. Sie bereichern also dein Leben, diese Rätsel?

SEAN Als Denkspielaufgabe? Möglich.

STELLA Erregen sie dich auch? Sag’s ruhig! -

SEAN empört - Stella!

STELLA Er macht dich also geil, dieser Alien-Zoo, na gut.

SEAN Jedenfalls öffnet er noch keine Türe zu einer anderen Wahrheit. Deiner Wahrheit.

STELLA Okay, beenden wir eben die Greatest Hits der kruden Thesen. Sonst sagst du am Ende noch, wir hätten uns über der Frage nach der Notwendigkeit eines Mehrgenerationenraumschiffs zerstritten, das fünfhundert Jahre am Stück unterwegs sein könnte. Du hältst mich sowieso für ne Tussi.

SEAN Jetzt siehst du aus wie deine Mutter. Linda konnte sich so glaubhaft in alles hineinsteigern, ohne dass es inszeniert wirkte.

STELLA Ich könnte platzen vor Wut. Ich weiß, dass du’s drauf anlegst, aber ich schäme mich jedes Mal aufs Neue. Geht ratlos ein paar Schritte auf und ab. Was hab ich hier bloß verloren? In dieser arschkalten Wohnung?

SEAN belustigt Jetzt siehst du aus wie Linda auf Speed.

STELLA Es ist bestimmt kein Verrat, wenn du Johns Widersprüchlichkeiten zwischen eisiger Gefühlskälte und großer Warmherzigkeit benennst. Sean, hast du Angst, deinen Vater zu denunzieren?

SEAN herunterspielend