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Hey, ich bin's wieder! Tess Carlisle, Kautionsdetektivin und Mitglied der größten Chaos-Crew in New Orleans. Seid ihr bereit für eine zweite Runde Böse-Jungs-Vermöbeln? Wollt ihr mit mir in gefährliche Mysterien schlittern und kein Fettnäpfchen auslassen? Ja? Ich wusste, ich kann auf euch zählen. All Hallows' Eve beginnt in diesem Jahr ganz beschaulich für carlislesche Verhältnisse. Bis die Geschwister eines gewissen Höllendämons auftauchen und mir an die Gurgel wollen. Aber ich wäre nicht da, wo ich jetzt bin – völlig mittellos und chronisch pleite –, wenn ich mich von ein bisschen Hokuspokus aus den Latschen hauen ließe. Vielleicht gibt es auch ein Wiedersehen mit unserem Lieblings-Teacup-Schweinchen und dessen Anhängsel, dem schlecht gelauntesten Bodyguard der westlichen Hemisphäre. Und für ein bisschen Voodoo ist zwischen all meinen seriösen Tätigkeiten im Rotlichtviertel der Stadt auch noch Platz. Ihr seht, es rast wieder ein ereignisreiches Abenteuer auf uns zu. Wäre doch furchtbar, wenn es einmal langweilig würde …
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Seitenzahl: 384
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Dank
Nicole Schuhmacher
Jägernacht
Tess Carlisle (Band 2)
Fantasy
Tess Carlisle (Band 2): Jägernacht
Hey, ich bin’s wieder!
Tess Carlisle, Kautionsdetektivin und Mitglied der größten Chaos-Crew in New Orleans. Seid ihr bereit für eine zweite Runde Böse-Jungs-Vermöbeln? Wollt ihr mit mir in gefährliche Mysterien schlittern und kein Fettnäpfchen auslassen? Ja? Ich wusste, ich kann auf euch zählen.
All Hallows’ Eve beginnt in diesem Jahr ganz beschaulich für carlislesche Verhältnisse. Bis die Geschwister eines gewissen Höllendämons auftauchen und mir an die Gurgel wollen. Aber ich wäre nicht da, wo ich jetzt bin – völlig mittellos und chronisch pleite –, wenn ich mich von ein bisschen Hokuspokus aus den Latschen hauen ließe. Vielleicht gibt es auch ein Wiedersehen mit unserem Lieblings-Teacup-Schweinchen und dessen Anhängsel, dem schlecht gelauntesten Bodyguard der westlichen Hemisphäre. Und für ein bisschen Voodoo ist zwischen all meinen seriösen Tätigkeiten im Rotlichtviertel der Stadt auch noch Platz. Ihr seht, es rast wieder ein ereignisreiches Abenteuer auf uns zu. Wäre doch furchtbar, wenn es einmal langweilig würde …
Die Autorin
Nicole Schuhmacher, geboren im Mai 1987 in der wunderschönen Sächsischen Schweiz, lebt und arbeitet auch noch heute in einem kleinen Ort in Ostsachsen. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie im Teenageralter und frönte dieser Leidenschaft jahrelang als exzessive Verfasserin von Fanfictions. Nicole ist außerdem Cosplayerin, Disney-Verehrerin, Musical-Gängerin und Hunde-Mama. Sie bezeichnet sich selbst als Fangirl, Superhelden-Süchtling und Vampir-Lady. Die bekennende Tagträumerin mag außerdem: Meerjungfrauen, Comics, Zombies und völlig unnütze glitzernde Sachen (PINK! Sie müssen PINK sein!!!1!!11!!!). Sie liebt ihre Playstation, Mangas und Animes, Uniformen, Knoblauch, die Ich-Erzählperspektive, ausgefallene Haarfarben und natürlich Bücher!!! Übrigens ist sie als Baby einmal ganz unglücklich vom Wickeltisch gefallen und hält eigentlich überhaupt nichts von diesen übermäßig seriös wirkenden Autorenporträts … ;D ›Jägerseele‹ ist ihr Debütroman.
www.sternensand-verlag.ch
1. Auflage, November 2021
© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2021
Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski
Lektorat: Sternensand Verlag GmbH | Martina König
Korrektorat Druckfahne: Jennifer Papendick
Satz: Sternensand Verlag GmbH
Druck und Bindung: Smilkov Print Ltd.
ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-232-8
ISBN (epub): 978-3-03896-052-2
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Für meine Oma,
ich weiß, du hättest Tess sehr gemocht.
Adrenalin pumpt durch meinen Körper. Meine Hände, feucht durch kalten Schweiß, packen das Griffstück der Waffe zwischen meinen Fingern noch fester. Der Pistolenlauf zeigt in den klaren Nachthimmel, während ich mich mit dem Rücken gegen den Stamm des Kirschbaumes drücke und stoßweise nach Luft schnappe.
»Okay, Caesar«, rufe ich in die Nacht und lehne mich vorsichtig aus der Deckung des alten Baumes. »Ergib dich, oder ich baller dir die Rübe weg!«
Ich erhalte keine Antwort – wie zu erwarten – und mein Blick huscht hinüber zur hölzernen Gartenlaube. Sieht ganz so aus, als müsste ich meine Position aufgeben.
Ich ziehe den Kopf ein, raffe mein enges Kleid im ägyptischen Stil und laufe mit der Waffe im Anschlag über die Wiese unseres Gartens in der First Street. Jeden Moment, den ich über die freie Fläche sprinte, rechne ich damit, dass mir gleich ein Schuss um die Ohren fliegt, doch ich erreiche die Schutz spendende Holzfassade der kleinen Laube völlig unbeschadet.
Keuchend werfe ich mich gegen die Hütte und spähe durch das offene Fenster ins Innere. Das fahle Licht des zunehmenden Mondes erlaubt mir die Sicht auf Laubrechen, Schaufeln, Harken und ausrangierte Dekoartikel – Keramikzwerge und so ein Zeug. Mein Mund verzieht sich, als ich Pucks Geschmack für Rasengestaltung anzweifle. Wie mein Vermieter und Mitbewohner Keramikzwerge im Bondage-Style jemals für vorgartentauglich halten konnte, wird mir immer schleierhaft bleiben.
»Zeig dich endlich, du römischer Feigling, oder es wird gleich richtig hässlich werden«, rufe ich erneut, streiche mir eine beperlte Haarsträhne aus dem geschminkten Gesicht und schleiche um die Ecke zum Eingang.
Ich ziehe scharf die Luft ein, reiße die Tür auf und baue mich mit erhobener Waffe im Eingangsbereich auf. Der kleine Raum ist gut einsehbar. Innerhalb eines Sekundenbruchteils begreife ich, dass der Gesuchte nicht hier ist. Es sei denn, er hat sich hinter dem Rasentrimmer versteckt. Nicht sehr wahrscheinlich.
Kacke.
Dennoch lasse ich die Waffe nicht sinken, trete langsam in das nur schwach beleuchtete Innere und ziele auf jeden Schatten des beengten Baues. Als könnte sich mein Gegner jeden Augenblick aus dem Nichts materialisieren, direkt auf den alten Gartenstuhl, vor den rostenden Grill, neben die alte Kommode von Pucks Mutter. Doch nichts dergleichen geschieht.
»Mist«, nuschele ich, lasse die Waffe sinken und trete enttäuscht gegen Mrs. Tinobis’ Möbelstück. Zu stark, denn meine offenen Sandalen können die Wucht meines Trittes nicht wirklich abfangen. »Aua!«
Ungraziös hüpfe ich durch das Gartenhäuschen und reiße dabei auch den Gartenschlauch lautstark aus seiner Verankerung an der Wand.
»Hasta la vista, Schätzchen«, ertönt eine Stimme hinter mir.
Ich habe nicht einmal Zeit, mich erschrocken zum Fenster zu drehen.
Das Durchladen einer Waffe ist zu hören, dann ertönt ein lautes Platschen, und der Schuss trifft mich direkt am Hinterkopf, sodass mir fast die schwarze Bob-Perücke vom Kopf fliegt.
»Das heißt ›Baby‹.« Langsam drehe ich mich um, derweil das kalte Wasser meinen Nacken hinabläuft und Danial die Wasserpistole unter den Brustpanzer seines Caesar-Kostüms schiebt.
»Wirklich?«, fragt er und tritt noch einen Schritt näher an das Fenster heran, während ich meine Perücke zurechtrücke.
»Natürlich nur, wenn du Terminator zitieren wolltest.«
»Ich dachte, das wäre aus Total Recall.« Danial legt nachdenklich den Kopf schief, sodass der Lorbeerkranz verrutscht und ihm sein blondes Haar ins Gesicht fällt. Ich hebe bedauernd die Schultern und nutze die Gunst des Momentes für einen unfairen Gegenschlag, indem ich meine Wasserpistole nach oben reiße und den Dämon mit einem Triumphschrei direkt zwischen den Augen treffe. Er zieht die Stirn kraus und wischt sich Wasser aus dem Gesicht. Ich kichere keck, wirbele die Waffe wie ein Cowboy um meinen Zeigefinger und knalle mir das Teil gegen den Kopf. Jetzt lacht Danial und ich entziehe mich der Situation, trete einfach wieder hinaus in den Garten.
Der Sohn des Teufels hat sich nach nunmehr einem Jahr auf der Erde hervorragend eingelebt. Er hat einen prima Job in der IT-Branche, engagiert sich ehrenamtlich für den Tierschutz und geht regelmäßig auf Rockkonzerte. Er ist der beste Freund meines Vermieters geworden und aus unserer Wohngemeinschaft gar nicht mehr wegzudenken.
Puck – der heutige Zeremonienmeister – kommt mir sofort entgegengerannt und erwartet Bericht. In seinen dünnen Ärmchen trägt er mit Mühe ein Klemmbrett, das beinahe größer ist als der Wichtel selbst. Einen Filzstift hält er ebenfalls bereits gezückt.
»Und?«, fragt er. »Wer hat gewonnen?«
Ich deute mit dem Daumen hinter mich, als Danials schwerer roter Umhang das Gras rascheln lässt.
»Hast du dich zwischen den Kürbissen versteckt?«, will Puck von seinem besten Freund wissen.
»Nein, hinter dem Komposthaufen«, sagt dieser und tritt neben uns.
»Clever«, gesteht Puck ihm zu und kritzelt umständlich eine Notiz auf sein Klemmbrett. Dann wendet er sich dem Haus zu und verkündet den dort wartenden Gästen lautstark: »Das war die erste Runde unseres kleinen Halloween-Spaßes! Nach einer kurzen Pause geht es mit Flaschendrehen im Wohnzimmer weiter.«
Unsere Gäste jubeln, nippen Punsch und verteilen sich auf dem Grundstück. Dabei plaudern sie und lachen ausgelassen. Ist echt eine mega Party.
Puck legt Klemmbrett und Stift auf der Gartenbank ab, nimmt seine Wasserpistolen wieder an sich und beäugt mich abschätzend. »So viel Make-up habe ich noch nie an dir gesehen. Was willst du in deinem Goldfummel eigentlich darstellen? Eine Transe?«
Empört stemme ich die Hände in die Hüften. Hat er tatsächlich meinen epischen Lidstrich bemängelt?
»Ich bin Kleopatra, die letzte Königin Ägyptens! Die Herrscherin vom Nil, eine Rebellin jenseits des Meeres, Verführerin und …«
»Jaja«, tut Puck die Sache ab, schaut zu Danials funkelnder Robe hoch und möchte wissen: »Und du bist? Ein Stormtrooper?«
Puck ist der Einzige, der über seinen eigenen Witz lacht. Danial ignoriert die Frechheiten des Wichtels gekonnt. Er wirft seinen Umhang zurück und verkündet mit stolz erhobenem Haupt, dass sein Name Gaius Iulius Caesar sei. »Römischer Staatsmann, Feldherr und Autor«, sinniert der Sohn des Teufels weiter und macht mit seiner theatralischen Darstellung mehr den Eindruck eines William Shakespeare als den eines Herrschers des römischen Imperiums. »Ich war maßgeblich am Ende der Römischen Republik und an ihrer späteren Umwandlung in ein Kaiserreich beteiligt.«
»Oh, super«, freut sich Puck, legt die Wasserpistolen ebenfalls beiseite und lugt kurz auf seinen Zeitplan, der ganz am Ende seiner Zettelwirtschaft zu finden ist. »Sollten wir vielleicht den Tyrannenmord nachspielen? Wir haben noch Luft zwischen den Programmpunkten Karaoke und der Dracula Piñata. Was meint ihr?«
»Nein, Puck«, werfe ich mich sofort in die Bresche und sehe aus dem Augenwinkel eine haarige Version von Morticia Addams zu uns herübereilen. In ihren krallenbewehrten Pfoten trägt Fin, das Katzenmädchen, zwei randvolle Schnapsgläser und ich ahne nichts Gutes. »Denn erstens bist du nicht Brutus und zweitens werden wir Danial heute nicht mit dreiundzwanzig Dolchstichen niedermetzeln.«
»Och, warum denn nicht?«, will Fin wissen, als sie zu uns stößt. Ihre schwarze Perücke ist so lang, dass sie bei jedem Schritt um ihre Knöchel weht. »Wir haben ganz tolle Rote Grütze, die 1-a-Kunstblut sein kann.«
»Ich denke nicht, dass man mit Essen spielen sollte«, gebe ich zu bedenken und will dem Thema nicht weiter nachgehen.
»Und ich denke nicht, dass die Gäste die Grütze überhaupt noch essen werden, denn vielleicht hat Chloé bereits einen Großteil davon verdrückt, als niemand in der Küche war und aufgepasst hat. Wer hat eigentlich verloren?«
»Ich«, sage ich schnell, bevor Puck die Idee mit der Roten Grütze ernsthaft in Betracht zieht.
»Na dann, prost.« Fin reicht mir die Gläser. »Darf ich jetzt eine Runde mit der Wasserpistole spielen?«
»Nein«, widerspricht Puck, während ich meine hochprozentigen Verliererschulden hinunterspüle. »Die nächste Runde ist erst nach dem Feuerwerk geplant.«
»Ich schieße nur ein bisschen auf die Kürbisse«, beteuert Fin, wird jedoch weitgehend ignoriert.
»Wieso bist du heute eigentlich ein Gänseblümchen?«, will der kostümierte römische Diktator von Puck wissen. Damit spielt er auf Pucks leicht lächerlich wirkendes Gewand für den heutigen Halloweenabend an.
Dieser überaus geistreichen Frage schließe ich mich direkt an. Der Alkohol wärmt bereits mein Innerstes und ist auf dem Weg in meine Blutbahn. Abwartend sehe ich meinen Vermieter an.
»Ich bin eine Margerite!«, echauffiert sich der Wichtel, und die weißen Blütenblätter seines billig aussehenden Kostüms wippen um seinen Kopf, da sein Gesicht das gelbe Innere der Frühlingsblume ersetzt. Der Rest des Wichtelkörpers steckt in einem grünen Ganzkörperanzug und soll den Stängel darstellen.
»Und warum?«, frage ich.
»Keine Zeit. Ich war zu sehr mit den Vorbereitungen für das Bürostuhlrennen im Vorgarten beschäftigt.«
Aha, denke ich nur. Danial kichert.
»Und außerdem ist Halloween. Da darf ich sein, was ich will!«
»Du hättest genauso gut das Goldfischkostüm vom letzten Jahr anziehen können«, werfe ich ein.
»Bist du verrückt? Ich trage doch nicht zweimal hintereinander das gleiche Kostüm. Die ganze Nachbarschaft würde über mich spotten!«
Mein Blick gleitet zu einem traurig abgeknickten Blütenblatt auf seinem Kopf und ich zwinge mich zu einem Nicken. Danial nimmt mir die leeren Schnapsgläser aus den Händen und stiehlt sich geschickt aus der Situation, indem er sie ins Haus bringt.
»Okay«, sage ich nur und schaue dem Dämon in Menschengestalt nachdenklich hinterher.
Vor einem Jahr hätten wir wohl alle nicht geglaubt, dass des Teufels Sohn in einer majestätischen römischen Rüstung Halloween feiern würde. Ich sehe zu Puck hinab, der mich mit genervtem Gesichtsausdruck ungeduldig ansieht.
»Ist was?«, will ich wissen.
»Ich habe dich gefragt, wieso ihr euch als Liebespaar verkleidet habt.«
»Reiner Zufall«, tue ich die Sache wahrheitsgemäß ab, blicke an mir herunter und streiche das enge Kleid glatt, obwohl es keinerlei Falten wirft.
»Wer ist Rainer?«, kommt von Fin und wir gucken sie entgeistert an. Aber sie hat nur Augen für die Wasserpistolen. »Darf ich nicht vielleicht doch ganz kurz?«
»Jetzt gib ihr schon die Pistolen!«, rufe ich, nehme die Waffen von der Bank und drücke sie Fin in die gierigen Pfoten.
Diese jauchzt freudig auf und verschwindet im Dunkel des hinteren Gartens. Kurze Zeit später hört man Chloé – Pucks Katze – fauchen, während sie panisch in den Nachbargarten flüchtet.
»Spielst du mit uns Flaschendrehen, T. C.?«, fragt Puck und wir schlendern gemeinsam in Richtung Hintereingang.
»Sehe ich aus wie zwölf?«
Puck setzt zu einer Antwort an, und ich weiß schon jetzt, dass ich diese auf keinen Fall hören will, also hebe ich die Hand und unterbreche ihn.
»Das war ein Nein«, ergänze ich schlicht und ergreifend.
Auf der hinteren Veranda sind allerhand Partygäste bei bester Laune. Einige von ihnen nicken uns freundlich zu, bevor wir durch die offen stehende Küchentür treten. Ich kenne weder die als Furie verkleidete Elfe, den Leprechaun in Horrorclowngestalt noch die Fledermaus, die eigentlich ein Vampir ist. (Buhu, wie einfallsreich.)
»Wer sind die ganzen Leute?« Ich bücke mich flüsternd zu Puck hinunter und lächele anschließend einem Zwerg breit und übertrieben freundlich zu.
»Keine Ahnung«, gibt der Wichtel ohne Umschweife zu und wir schlängeln uns durch den Flur. »Die meisten hat Danial eingeladen.«
»Hm«, mache ich nur, bin mir aber sicher, dass ich aufgrund des Partylärms im Wohnzimmer überhaupt nicht mehr zu verstehen bin.
Puck verschwindet zwischen zwei tanzenden Zombies und ich verliere ihn quasi sofort aus den Augen. Ich glaube zu ahnen, was er als Nächstes einläuten wird: das Flaschendrehen.
Schnell rette ich mich hinter unsere Bar, als ein einsam vor sich hin zappelnder Zwerg im Hobbitkostüm auf mich zu torkelt. Konzentriert befülle ich die Punschgläser mit Fins Hexengebräu und arrangiere die vorbereiteten Häppchen in Form von menschlichen Fingern.
Der Zwerg wankt an mir vorbei in die Küche und ich atme erleichtert aus. Fleißig fülle ich Gläser mit roter Flüssigkeit, während vor mir im Bowlebehälter eine falsche gefrorene Hand schwimmt und ich meinen Blick hin und wieder durch das Wohnzimmer schweifen lasse. Dabei bemerke ich Alice und den Hutmacher – beide menschlicher Abstammung –, die sich völlig ungeniert direkt neben unserer Eingangstür befummeln. Sie stören sich nicht einmal daran, wenn sich Gäste an ihnen vorbeidrängeln müssen, um für eine Partie Bürostuhlrennen auf die Veranda und in den Vorgarten zu gelangen.
Angewidert wende ich mich von der Szene ab, sehe lieber hinüber zur Couchgarnitur, wo Puck die Musik leiser dreht, damit seine Anweisungen besser zu verstehen sind. Sonst endet das Flaschendrehen noch in einem heillosen Durcheinander. Direkt daneben, lässig an die Fensterbank gelehnt, unterhält sich Danial lachend mit seinen Arbeitskollegen, als Fin ins Zimmer stürmt und die Wasserpistolen achtlos neben die letztes Jahr so verunglückten Vampir-Cupcakes auf den Tresen knallt.
»Wieso sagt mir denn niemand, dass es schon losgeht?«, ruft sie entsetzt und quetscht sich auf den einzig freien Platz direkt neben Puck, der sofort entnervt aufstöhnt.
Ich betrachte die Szenerie mit einem Lächeln, bis sich Alice und der Hutmacher wild knutschend an mir vorbeischieben.
»Hey«, rufe ich ihnen hinterher, als sie sich in den oberen Stock stehlen. »Die Zimmer sind tabu, klar?«
Haben sie mich gehört? Ist mein Zimmer eigentlich abgeschlossen? Haben Pinguine Knie?
Ein Klingeln an der Tür – durch den plötzlich wieder anschwellenden Lärm der Flaschendrehrunde kaum zu hören – unterbricht mich in meinen Gedanken und ich trotte ergeben die wenigen Schritte zur Haustür hinüber. Wer das wohl ist? Die Nachbarn können sich über den Lärm nicht aufregen, denn die sind fast alle hier und grölen am lautesten. Und Mr. Endicott von gegenüber ist so schwerhörig, den würde nicht einmal eine im Vorgarten landende Cessna aus dem Schlaf reißen.
Süße kleine Geister und Teufelchen, die mal wieder nicht verstanden haben, dass sie sich an der Süßigkeitenschale draußen einfach bedienen dürfen?
Vorsichtig – damit mich nicht gleich jemand mit faulen Eiern bewirft – öffne ich die Tür. Vor mir steht eine rothaarige Lara Croft. Augenblicklich klappt mir die Kinnlade herunter und meine so pharaonenhafte Aufmachung passt so gar nicht zu meinem stammelnden Selbst. »Wa-Wa-Wa-Was machst du denn hier?«
»Überraschung!«, ruft die junge und knapp bekleidete Lara Croft. Sie zieht mich in eine kurze Umarmung und tritt dann ungehemmt an mir vorbei ins Haus. »War gerade in der Gegend. Darf ich rein?«
Ich blinzle der leeren Veranda entgegen, lasse die Tür ins Schloss fallen und frage mich, was um alles in der Welt ich schon wieder falsch gemacht habe, dass mir so etwas zustoßen muss.
Als ich mich umdrehe, hat sich Lara bereits unter die Gäste gemischt, erntet aufgrund ihrer Erscheinung bewundernde Blicke und gesellt sich sogleich mit ans Fenster zu Danial und dessen Kollegen.
Ich unterdrücke ein Schnaufen und beschließe, Pizzen in den Ofen zu werfen, so muss ich das Drama wenigstens nicht mit ansehen. Außerdem höre ich den ein oder anderen Magen, selbst über den Partylärm hinweg, bereits knurren. Oder ist das nur mein eigener? Hm …
Im Gehen schnappe ich mir noch ein Glas Bowle und leere es auf dem Weg in die Küche bereits zur Hälfte. Einhändig, weil ich zu faul bin, das Glas abzustellen, manövriere ich diverse Tiefkühlpizzen aus dem Kühlschrank und befreie sie nacheinander umständlich aus der Verpackung.
Als ich aufblicke, steht Puck im Türrahmen, und ich erschrecke so sehr, dass ich fast die Bowle verschütte und die letzte Pizza auf die Arbeitsfläche knallt.
»Jesses!«, entfährt es mir und ich greife mir mit der nun freien Hand aufs Herz.
Puck ignoriert meinen Ausruf und sieht mich skeptisch an.
»Du weißt schon, dass dieses Glas und deine Hand nicht zusammengewachsen sind?« Er unterstellt mir wieder einmal, ein totaler Vollhorst zu sein. Nur weil sich jeder Arbeitsschritt durch mein einhändiges Vorgehen unnötig in die Länge zieht.
Ich ignoriere ihn – er erwartet sowieso keine Antwort – und fahre mit meiner Aufgabe fort. Mit einer Hand. Ich kann die Bowle nicht loslassen. Die Bowle ist mein Freund. Die Bowle und ich sind richtig dick miteinander.
»Wer ist das?«, will die Margerite von mir wissen, während ich dazu übergehe, die zahlreichen Pizzen in den viel zu kleinen Ofen zu schieben.
»Wer denn?«, stelle ich mich dumm und verberge mein Gesicht, indem ich mich von ihm abwende und den Schinken-Käse-Pizzen widme. Akkurat ordne ich diese auf dem Backofenrost nebeneinander an. Nein, doch lieber halb übereinander liegend, da sie sonst nicht alle gleichzeitig hineinpassen. So sollte man kein Ofengericht der Welt zubereiten, aber zwei Dutzend hungrige Gäste können sehr ungeduldig werden. Wird schon schiefgehen.
»Lara Flittchen, wer denn sonst?«
Ich kichere, obwohl ich nicht will, und schließe die Ofentür. Demonstrativ leere ich die Bowle mit einem einzigen weiteren Zug, bevor ich mich Puck stelle.
»Das ist Ella – aber nenn sie nicht so, das hasst sie –, meine kleine Schwester.«
Jetzt klappt Puck die Kinnlade herunter. Sein Daumen zeigt hinter ihm in Richtung Wohnzimmer.
»Das ist Petronella? Warum ist sie so hübsch? Und was macht sie hier?«
»Keine Ahnung«, äußere ich und meine damit allein seine letzte Frage. »Sie ist einfach aufgetaucht.«
»Wer ist einfach aufgetaucht?« Fin stößt zu uns und hat ganz offensichtlich ein Problem mit ihrer Langhaarperücke. Irgendwie fällt das gesamte Konstrukt aus Kunsthaar gerade in sich zusammen.
»Tess’ Modelschwester«, erklärt Puck.
»Ich habe dir doch gesagt, dass du Löcher für die Ohren hineinschneiden sollst«, spreche ich die Haarangelegenheit an.
»Du hast eine Schwester?«, erkundigt sich Fin ehrlich überrascht, während ihr die Haarpracht fast vom Kopf rutscht. »Davon hast du noch nie etwas erzählt. Sieht sie aus wie du oder ist sie hübsch?«
»Ich brauche mehr Bowle«, nuschele ich und lasse jeglichen Kommentar von mir abprallen. Ich begebe mich einfach zurück zur Bar, und Fin und Puck geraten in einen Streit, wer denn jetzt das Flaschendrehen beaufsichtigt, wenn beide in der Küche herumlungern.
Denk an die Pizzen, sage ich mir selbst. Denk an die Pizzen, denk an die Pizzen, denk an …
Ellas lautes Lachen dringt an mein Ohr und ich sehe erneut hinüber zum Fenster, wo sie gekonnt ihr Haar nach hinten wirft, sodass ihre Gesprächspartner einen besseren Blick auf ihren makellosen Hals und alles, was sich weiter südlich befindet, erhaschen. Danials Arbeitskollegen aus der IT-Branche fangen bereits an zu sabbern, Danials schmale Lippen zeigen nur ein leichtes Lächeln.
Ich gönne mir ein weiteres Glas, und als ich beim Trinken Ellas weiße Zähne und ihr kräftiges rotes Haar bewundere, schiebt sich Morticia Addams in mein Blickfeld.
»Soll ich ihr die Augen auskratzen?«, fragt sie mich leise und verschwörerisch. »Du weißt, für dich würde ich fast alles tun.«
»Fin«, ermahne ich sie bedächtig. »Das ist lieb von dir, aber sie ist meine Schwester. Du kannst ihr nicht die Augen auskratzen.«
»Vielleicht nur das eine? Dann muss sie so eine hässliche Augenklappe tragen, oder wir drehen ihr ein viel zu großes Glasauge an.«
Ich schüttele den Kopf, sodass die Perlen in meinem Kunsthaar sanft klappern.
»Na schön. Sag Bescheid, wenn du es dir anders überlegst.«
»Mach ich«, versichere ich ihr.
»Schön. Ich gehe jetzt wieder zum Flaschendrehen. Willst du wirklich nicht mitspielen? Noch wurde niemand geküsst. Vielleicht trifft es sogar mich und den süßen Elfen im Tarzankostüm.«
»Ich … will deinem Glück wirklich nicht im Wege stehen«, stammele ich und Fin rauscht mit einem »Okay« von dannen.
Milde lächelnd sehe ich ein weiteres Mal hinüber zu meiner Schwester. Mein Blick durch den Raum wird jedoch von Danial aufgefangen, der sogleich fragend den Kopf schief legt. Ich bedeute ihm mimisch, dass alles in Ordnung sei, beobachte jedoch, wie er sich bei seinen Gesprächspartnern entschuldigt, deren leere Gläser an sich nimmt und zu mir herüberkommt.
»Wärst du so nett?«, erkundigt er sich, als er die Gefäße auf dem Tresen abstellt.
»Klar«, sage ich und bemerke, wie Ella Danials Rücken mit Blicken durchbohrt, während sie mit ihrem geflochtenen Haar spielt. »Wie ich sehe, hast du meine Schwester schon kennengelernt.«
»Ja«, bestätigt Danial und ringt kurz darauf um Worte. Indessen komme ich seiner Bitte nach und fülle die Gläser wieder mit Bowle. »Sie ist wirklich sehr …«
»Penetrant? Überheblich? Oberflächlich?«, schlage ich vor und stelle das erste aufgefrischte Getränk vor mir auf den Tresen.
»›Gesellig‹ wollte ich eigentlich sagen«, endet Danial und reicht mir ein zweites Glas.
Bevor ich es ergreife, strecke ich meine Finger aus und rücke den verrutschten Lorbeerkranz auf seinem Kopf gerade. Seine intensiven grünen Augen schauen nach oben und er legt fragend die Stirn in Falten.
»Zu viel des Guten?«, will er wissen und ich schüttele vehement den Kopf.
»Überhaupt nicht! Passt ganz hervorragend zu deinen Augen.«
Danial dankt mir lächelnd und ich fülle prompt so viel Bowle nach, dass diese überläuft und den kompletten Tresen inklusive meiner Hand in klebriges Rot taucht.
Ich fluche, obwohl ich mir vorgenommen habe, dies nicht mehr so häufig zu tun, und verhindere mit einer schnell gegriffenen Papierserviette Schlimmeres.
»Hail, Caesar!«, brüllt unterdessen irgendjemand lautstark aus der Flaschendrehrunde und wir wenden beide den Kopf in Richtung Couchlandschaft.
Wir können den Ausruf nicht lokalisieren, also stimme ich einfach ein: »Hail, Caesar!«
»Caesar war ein korrupter, machtgieriger Tyrann«, sagt Danial plötzlich und ich horche auf. »Aber ein ehrgeiziger korrupter, machtgieriger Tyrann.«
»Du kanntest Caesar persönlich?«
»Oh ja.«
»Du warst doch nicht Teil der Senatorengruppe, die ihn ermordete?«
»Traust du mir das zu?«, fragt Danial und verschränkt kurz die Arme vor der gepanzerten Brust, während etwas in seinen Augen aufblitzt.
»Nein«, antworte ich, ohne zu zögern.
Der Dämon nimmt das randvolle Glas aus meinen Händen, um davon abzutrinken.
»Gut, denn dem war nicht so. Ich war nur ein stiller Beobachter. Wie jetzt auch.«
»Was beobachtest du denn?«
Danial hebt auf seine typische Art unbekümmert die Schultern.
»Die Erderwärmung?« Ich lache, werde aber irgendwie das Gefühl nicht los, dass er an gewissen geschichtlichen Ereignissen der letzten Jahrtausende vielleicht nicht ganz unbeteiligt war. »Warte kurz. Bin gleich wieder da.«
Ich beäuge skeptisch, wie er die frisch gefüllten Getränke zurück zu ihren Besitzern balanciert, sein eigenes auf dem Fenstersims abstellt und noch ein paar Worte mit der enttäuscht wirkenden Ella wechselt. Die ergreift sofort die Gelegenheit, um Danial ganz beiläufig am Unterarm zu berühren. Wie sollte es auch anders sein? Schließlich kommt Danial mit ausgestrecktem Arm zu mir zurück.
»Los, ich will dir etwas zeigen.«
»Was denn?«, kann ich nur fragen, dann packt er bereits meine Hand, zieht mich hinter dem Tresen hervor und geleitet mich zur Haustür. »Wo gehen wir hin?«
»Wirst du sehen, wenn wir da sind.«
Ich stehe wirklich nicht sonderlich auf Überraschungen, aber was soll schon großartig passieren, wenn der Sohn des Teufels einen begleitet? Eben!
Wir lassen den Lärm der Halloweenparty hinter uns, laufen über die Veranda hinunter in den Vorgarten und steuern Danials fahrbaren Untersatz an – einen gelben Chevrolet Camaro Ss mit schwarzen Längsstreifen auf der Motorhaube.
Eigentlich habe ich den Sportwagen letztes Jahr als eine Art übertriebene Honorarzahlung erhalten. Bei dem Gedanken daran stellen sich mir noch heute die Nackenhaare auf, also habe ich wohl recht daran getan, das gute Stück zu verschenken. Leider habe ich seitdem kein Auto mehr und bin auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen oder auf Danial, der mich hin und wieder in die Agentur kutschiert.
»Du hättest wenigstens das Nummernschild ändern können«, merke ich jedes Mal an, wenn ich den Wagen von Nahem sehe, demnach auch heute.
»Ich finds lustig«, sagt Danial und überrascht mich, indem er das Fahrzeug entriegelt. Er umrundet das Auto, öffnet die Tür auf der Fahrerseite und lässt sich in den Sitz fallen. Im antiken Kostüm – mit der knielangen Tunika, den Schienbeinschonern und dem schweren Umhang – gar kein leichtes Unterfangen. Und wo kam der Autoschlüssel so schnell her?
Da ich mir bereits seit einem Jahr vergebens den Kopf zerbrochen habe, was an ›ITSYELLO‹ lustig sein soll, lasse ich seine Aussage einfach mal als gegeben stehen. Ich wundere mich nun über diverse andere Dinge, während ich auf der Beifahrerseite stehen bleibe und Danial schon das Fenster auf meiner Seite herunterlässt.
»Wir nehmen das Auto? Warum? Wollen wir spontan das Land verlassen? Ist das eine Entführung? Damit kenne ich mich aus, denn letztes Jahr am Halloweenabend, da …«
»Steigst du jetzt ein oder nicht?«, höre ich seine Stimme über die Klänge eines AC/DC-Songs hinweg.
Wenn ich nicht wüsste, dass Alkohol bei Danial keinerlei Wirkung zeigt, würde ich nicht zu ihm ins Auto steigen. Ein Nicht-Dämon hätte mit Sicherheit schon ein oder zwei Promille intus, wenn er das gekippt hätte, was Danial getrunken hat.
»Okay«, murmle ich, öffne die Beifahrertür und lasse mich auf den tief liegenden schwarzen Ledersitz fallen. Eine kurze Zeit lang habe ich Panik. Vielleicht macht mein Kleid diese unplanmäßige Bewegung nicht mit, aber kein verräterisches Reißen ist zu hören, also gehe ich davon aus, dass es gegen die Sitzsituation nichts einzuwenden hat. »Nun sag schon, wo fahren wir hin?«, bohre ich nach und Danial dreht die Musik leise. »Hätte ich eine Zahnbürste einpacken sollen? Meinen Reisepass?«
»Wir sind nicht lange weg«, verkündet er, als er den Motor startet und wir mit guten vierhundert Pferdestärken unter der Haube in Richtung Zentrum fahren, immer schön die St. Charles Avenue entlang, vorbei an diversen Museen und Spielcasinos.
Irgendwie werde ich das beklemmende Gefühl nicht los, etwas vergessen zu haben, komme jedoch nicht drauf.
»Ich dachte wirklich, du bist im Schuppen«, gestehe ich, als wir das Convention Center hinter uns lassen, in dem ich Danial vor gut einem Jahr aufgegabelt habe, und bereits das Aquarium am Mississippi River zu erkennen ist.
Danial schnaubt belustigt. »War ich aber nicht.«
»Ich erwarte eine Revanche!«
»Die kannst du haben«, gesteht er mir zu und ich beobachte kurz seine Gesichtszüge, die von den vorbeirasenden Straßenlampen nur immer wieder schemenhaft erhellt werden.
»Darauf freue ich mich schon.« Ich versuche, meine Stimme boshaft klingen zu lassen, was mir nicht richtig gelingen will, denn Danial lacht schon wieder und scheint mich nicht sonderlich ernst zu nehmen. Also schaue ich aus dem Fenster und sehe, wie wir am Woldenberg Park vorbeischießen. Eine Gruppe süßigkeitenwütiger Kinder wirft uns staunende Blicke zu, obwohl … eventuell eher dem Sportwagen, nicht uns. Wenig später bewundere ich schon die prächtigen Schaufelraddampfer am Flussufer. Hell erleuchtet und beladen mit Partywütigen, schippern die Cruiser auch an Halloween flussabwärts, untermalt von pulsierenden Jazz-Rhythmen, um das bald beginnende …
»Wir sehen uns das Feuerwerk an!«, kommt mir plötzlich in den Sinn und mein Kopf schießt zum Fahrer herum, der mir nur einen kurzen Blick zuwirft. Dann muss er wieder auf den Verkehr achten, da wir gerade von der North Peters Street auf die Decatur Street fahren.
»Erwischt.« Danial beschleunigt den Wagen und legt die nächste halbe Meile bis zum Washington Artillery Park gefühlt in nur wenigen Wimpernschlägen zurück.
Dort angekommen, rollen wir auf einen Parkplatz am Flussufer und steigen aus. Ich folge Danial hinüber auf die andere Straßenseite zum Jackson Square, dem kulturellen Zentrum des French Quarters hier in New Orleans.
Sonst stehen immer unzählige Pferdegespanne vor dem wunderschönen Platz und bieten Stadtrundfahrten in historischen Kutschen an. Heute jedoch nicht. Vermutlich ist es besser, wenn die Tiere nicht dem Lärmpegel explodierender Feuerwerkskörper ausgesetzt sind. Ich wundere mich kurz über die Richtung, die Danial einschlägt.
»Zur Brücke geht es da entlang«, informiere ich ihn, während wir die Parkanlage betreten und die Szenerie von Livemusik aus irgendeiner nicht weit entfernten Straßenecke unterlegt wird.
»Das weiß ich«, sagt Danial leise, als wir das Reiterstandbild von General Andrew Jackson bereits hinter uns lassen und auf die St. Louis Cathedral zusteuern.
»Von da aus kann man das Feuerwerk am besten sehen. Halb New Orleans ist heute Nacht auf dieser Brücke.«
»Ich kenne einen noch viel besseren Ort«, erklärt er kryptisch, läuft rückwärts vor mir her und ich bewundere ihn dafür, dass er nicht über seinen wallenden Umhang stolpert und sich dabei das Genick bricht. Mir würde das auf alle Fälle passieren.
Kurz bin ich ruhig, aber nur, bis wir die einen Hektar große Grünanlage überquert haben und ich feststellen muss, wie wenig meine Sandalen für Spaziergänge geeignet sind. Danial sieht zum imposanten Mittelturm der dreitürmigen Kirche hinauf und ich erahne sein Vorhaben.
»Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen«, beginne ich. »Hier ist schon längst geschlossen. Und der Turm ist für Besucher sowieso nicht geöffnet.«
Danial scheint mich nicht hören zu wollen, denn seine Hand taucht plötzlich unter den Weiten seines Umhangs auf, greift nach meiner und zieht mich mit sich in die nahe gelegene Seitengasse.
»Danial.« Ich bemerke, dass ich fast schon jammere. »Lass uns einfach wieder gehen. Ist doch nicht schlimm, wenn wir das Feuerwerk verpassen. Aber Puck wird fuchsteufelswild, wenn wir bei der Piñata nicht anwesend sind.«
An einer unscheinbaren Seitentür der mäßig beleuchteten Gasse halten wir endlich inne, starren auf das massive Holz und das uralte Schloss.
»Bitte nach dir.« Danial lässt meine Hand los und bedeutet mir, dass ich mir Zutritt verschaffen soll.
Unbehagen steigt in mir hoch. »Wir können hier doch nicht einbrechen«, flüstere ich.
»Wenn die Tür offen ist, ist es gar kein Einbruch.«
Sondern nur Hausfriedensbruch, super.
Ich will endlich wieder nach Hause, also tue ich ihm den Gefallen und betätige die enorme Klinke, mit der festen Überzeugung, dass sich die Tür keinen Zentimeter öffnen wird. Doch als ein leises Knarzen ertönt und ein Lufthauch die Nebentür noch etwas weiter aufstößt, reiße ich erschrocken die Augen auf.
»Offen«, juble ich ganz aus dem Häuschen und Danial zieht gespielt überrascht die Luft ein. »Du wusstest es?«
»Na los, rein mit dir«, fordert er mich auf, aber ich bin mir noch nicht sicher, wonach der Braten hier eigentlich riecht.
»Kannst du eine Kirche betreten?«, fällt mir plötzlich ein. »Oder zerfällst du vielleicht zu Staub?«
»Ich bin doch kein Vampir«, erinnert mich Danial und gibt der Tür einen kräftigen Stoß, woraufhin sie sich komplett nach innen öffnet.
»Auch wieder wahr«, murmele ich und trete ein, jedoch nicht, bevor ich mich noch einmal vergewissert habe, dass uns auch ja niemand beobachtet.
Ein anerkennendes Pfeifen entweicht meinen geschminkten Lippen, als ich neben dem Bereich für die Opferkerzen stehen bleibe und die christlichen Gemälde am Tonnengewölbe des Mittelschiffes bestaune.
An den Emporen der flach gedeckten Seitenschiffe zieren zahlreiche Flaggen und Kronleuchter die Räumlichkeit, während markante bunte Glasfenster die Geschichte vom heiligen Ludwig erzählen. Alles ist hell erleuchtet und in warmes Licht getaucht.
Ich drehe mich um, wobei mein Blick über leise vor sich hin flackernde Kerzen gleitet, und ich sehe, wie Danial gerade einen Schritt in die Kirche wagt. Sofort geht er mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden und kriecht auf allen vieren durch das Gotteshaus.
»Danial!«, rufe ich erschrocken und eile zu ihm, helfe ihm auf die Beine, um ihn schnell wieder vom geweihten Untergrund zu befördern.
Doch kaum steht er, kann er ein Lachen nicht mehr unterdrücken, und ich realisiere, dass er mir einen Streich gespielt hat.
»Blödmann.« Ich schlage mit der Faust gegen seinen harten Brustpanzer. »Aua!«
»Tut mir leid, ich konnte nicht widerstehen«, erklärt er immer noch lachend.
Damit er mein Grinsen nicht bemerkt, wende ich mich von ihm ab. »Ich muss gestehen, ich habe diese Kirche noch nie von innen gesehen«, lenke ich ab und umrunde die Kanzel, um mir den Altarbereich anzuschauen. »Schön hier.«
Am kunstvollen Rokoko-Altar erregt eine Bewegung meine Aufmerksamkeit und ich zucke ertappt zusammen, als ein dunkel gekleideter Mann mit weißem Kollar am Stehkragen erscheint, der ganz offenkundig der Prediger dieser römisch-katholischen Kirche ist.
»E-Entschuldigung«, stottere ich, ehe mich seine dunklen Augen erblickt haben. »Ist heute noch eine Führung? Mein Freund und ich wollten eigentlich nur …«
Ich drehe mich suchend um und entdecke Danial bei den Opferkerzen, wo er gerade selbst eine entzündet, bevor er sich endlich zu uns gesellt und meine Erklärungsnot mit einem freundlichen Lächeln abtut.
Er geht ohne Umschweife auf den Geistlichen zu. Ich male mir bereits ganz wunderbare Zukunftsszenarien aus. Wir beide werden so was von in einer Arrestzelle schmoren, wenn er ihn jetzt einfach so ausknockt. Das wars dann wohl mit meiner Karriere als Kautionsdetektivin. Vielleicht bekomme ich ja noch eine Anstellung als Kellnerin im Café meiner Eltern.
Meine berufliche Zukunft wird den Bach hinuntergehen, ich weiß es ganz genau. Noch während ich dies denke, erhellt sich das Antlitz des Mannes, der meiner Meinung nach viel zu jung ist, um diese geistliche Schiene zu fahren. In meiner Vorstellung sind alle Pfarrer, Priester und Pastoren über achtzig, völlig verbittert und stehen schon mit einem Bein im Grab. Aber dieser Mann ‒ den Danial gerade brüderlich umarmt? ‒, ist noch keine vierzig Jahre alt.
Stumm betrachte ich die zwei, wie sie sich in den Armen liegen und sich auf den Rücken klopfen, bis etwas hinter dem Altar scheppernd zu Boden fällt. Und sind das Kinderstimmen?
»Schön, dich zu sehen, Kumpel«, sagt die rauchige Stimme des Predigers. »Coole Aufmachung.«
»Danke, dass du Zeit hierfür hast.«
»Kein Problem. Wir wollten heute eh auf Dämonenjagd gehen.« Der Gottesmann zwinkert und wendet den Kopf zum Altar. »Hey, Leute, zeigt euch. Ich will euch jemanden vorstellen.«
Eine Kindergruppe tritt kichernd hinter dem Altarbereich hervor, der Älteste von ihnen ist höchstens sieben Jahre alt und alle sind gekleidet wie Batman und Robin, die Ghostbusters oder Buffy.
»Das sind meine Freunde Caesar und Kleopatra.« Bei diesen Worten tritt der Geistliche auf mich zu und ich ergreife seine ausgestreckte Hand zur Begrüßung. »Freut mich wirklich sehr.«
»Ganz meinerseits, Patre.«
Ein Lächeln umspielt das bärtige Gesicht des jungen Predigers. Seine verwegene Kurzhaarfrisur im Wuschel-Look passt ganz wunderbar zu seiner offenen Art.
Die Kinder blicken allesamt staunend zu uns hoch und ein kleines Mädchen mit einem Holzpflock in der Hand will wissen, ob wir ein Liebespaar sind.
»Oh ja, natürlich«, sagt der Prediger, noch ehe ich überhaupt Luft holen kann. Danial verschränkt amüsiert die Arme vor der Brust. »So anzügliche Fragen beantworten berühmte Leute dir nur nicht, mein Mäuschen.«
»Was heißt anzüglich?«, fragt ein Ghostbuster den anderen.
»Kennt ihr schon die Geschichte, wie sich Kleopatra in einen Teppich einwickeln ließ, um in Caesars Gemächer zu gelangen?« Alle Kinder verneinen lautstark. »Tatsächlich? Dann erzähle ich sie euch unterwegs. Ich habe alle Türen offen gelassen«, fügt er an uns gewandt hinzu. »Bis bald.«
»Danke dir«, meint Danial.
»Auf Wiedersehen«, ergänze ich und Danials Bekannter fasst sich zum Abschied an die nicht vorhandene Hutkrempe. Gleichzeitig scheucht er die Kinder zum Ausgang.
»Los, los«, spornt er sie an. »Vielleicht begegnen wir sogar einem echten Werwolf.«
»Es ist doch gar kein Vollmond«, sagt Batman besserwisserisch, und der Prediger fasst sich an die Stirn.
»Ich Dummkopf. Aber vielleicht …«
Die Tür fällt lautstark ins Schloss und übertönt die folgenden Worte. Mit einem Mal ist es leise wie in einem Mausoleum.
»Er ist großartig«, höre ich Danial in die aufkommende Stille sagen. »Jedes Jahr unternimmt er mit den Kindern der Gemeinde eine Nachtwanderung.«
»Er trägt Cowboystiefel«, fällt mir dazu nur ein und ich drehe mich erneut zu Danial um.
Dieser zuckt mit den Schultern. »Er kommt aus Texas.«
»Ach so«, mache ich nur, als erklärte das alles. »Und wo hast du ihn kennengelernt?«
»Beim Golfen.«
Hm, macht Sinn.
»Und was jetzt?«, will ich wissen, nachdem ich die kuriose Erklärung habe sacken lassen. »Malen wir satanische Symbole auf den Altar?«
Danial verzieht das Gesicht, scheint meinen Scherz nicht zu kapieren und ich winke schnell ab.
»Das war ein Witz.«
»Verstehe«, sagt Danial und setzt sich in Bewegung. »Na los.«
Wir durchschreiten die Reihen der Sitzbänke in Richtung Haupteingang, steuern aber eine Treppe an, die uns hinauf zu den Emporen bringt.
»Du und deine Schwester«, beginnt Danial, als wir den ersten Aufstieg beendet haben und unsere Blicke kurz über das Mittelschiff der Kirche gleiten lassen. »Habt ihr ein gutes Verhältnis?«
Jetzt verziehe ich das Gesicht. »Geht so«, murmle ich. Danial öffnet eine verschlossene Tür neben der Hauptorgel und wir treten durch ein Portal, über dem der Schriftzug ›Honor‹ prangt. »Als Kinder waren wir unzertrennlich, aber dann fing sie an, sich für das Reisen und fremde Kulturen zu interessieren. Mit achtzehn ist sie von zu Hause ausgezogen und wir haben uns über die Jahre hinweg irgendwie auseinandergelebt. Man weiß nie so richtig, in welchem Teil der Welt sie sich gerade aufhält.«
»Das ist alles?«, fragt Danial und wir erklimmen eine steile, unbeleuchtete Holztreppe, die sonst wohl nur von armen Kirchenmäusen genutzt wird.
»Was meinst du?«
Mitten auf der Treppe hält Danial inne und dreht sich zu mir um. Von draußen dringen bereits die verräterischen Geräusche des Feuerwerks durch die Läden der Turmfenster an unsere Ohren. »Deswegen bist du so distanziert? Ihr habt euch Ewigkeiten nicht gesehen. Wieso freust du dich nicht?«
»Selbstschutz.« Ich drängele mich an Danial vorbei und beeile mich, den höchsten Punkt des Turmes zu erreichen.
Kurze Zeit später stehe ich keuchend auf der dreckigen Plattform des Mittelturmes und drücke mein Gesicht gegen die halb offenen Querstreben eines Fensterladens, stets darauf bedacht, dass keine Spinnwebe mein Gesicht berührt.
»Oh, schau dir das an!«, staune ich, als ich Danials gedämpfte Schritte hinter mir höre. »So nah war ich dem Feuerwerk noch nie. Es war wirklich eine prima Idee, einfach das höchste Gebäude des French Quarters zu besteigen.«
Ich betrachte das bunte Farbenspiel am nächtlichen Himmel noch eine Weile, dann drehe ich mich mit fragendem Gesichtsausdruck zu Danial herum, der mich seinerseits forschend mustert.
»Selbstschutz?«, fragt er und ich lasse resignierend den Kopf hängen.
»Ja.« Ich hoffe, dass die Dunkelheit und das Make-up meine Gesichtszüge verbergen, während ich mein Herz ausschütte. »Sie ist so vieles, was ich nicht bin. Das wird mir immer wieder bewusst, wenn sie mir gegenübersteht.«
»Tess«, ermahnt mich Danial und das Licht des Feuerwerks spiegelt sich auf seiner polierten Rüstung, als er näher an mich herantritt.
»Ist schon gut«, winke ich ab, weil ich seine aufbauenden Worte nicht hören will. »Ich bin wohl einfach ein schlechter Mensch, weil ich auf Ella und ihr Leben als Supermodel eifersüchtig bin.«
Danial gerät merklich ins Stutzen. »Ella? Mir hat sie sich als Rachelle vorgestellt.«
Ich lache auf. »Unsere Eltern waren auf einer Art Selbstfindungstrip, als sie uns unsere Namen gaben. Eigentlich ist ihr vollständiger Name Petronella Ruby Rachelle.«
»Ist das so?« Eine mir bekannte Stimme ertönt plötzlich hinter uns und Danial wirbelt alarmiert zu der Quelle herum. »Das ist ja zuckersüß!«
Ich erstarre, als ich an Danial vorbeiblicke und dessen Bruder, der geflügelte Dämon aus der Unterwelt, direkt am Treppenabgang des Turmes steht und uns somit den Rückweg versperrt. Seine Erscheinung ist leider keine Kostümierung und genauso Furcht einflößend, wie ich sie von unserem Höllentrip letztes Jahr in Erinnerung habe.
Sofort streckt Danial seinen Arm aus und schiebt mich hinter sich. »Was willst du?«, fragt er sein dämonisches Familienmitglied mit eiskalter Stimme und ich erschaudere. Irgendwie habe ich ein ganz mieses Gefühl bei der Sache.
»Gib sie mir«, fordert der Dämon.
Ich lasse den Blick über die tiefen Brandnarben auf seinem nackten Oberkörper gleiten. Die unnatürlich akkurate Musterung der Linien ziert seine helle Haut wie ritueller Körperschmuck. Vielleicht sind sie das auch. Was weiß ich schon. Zusätzlich trägt er heute noch einen leichten Umhang, der in Flammen steht. »Nein«, entgegnet Danial und die Luft um uns beginnt zu flimmern. »Du kannst sie nicht haben.«
»ICH WILL IHRE SEELE!«, brüllt der Höllendämon so laut, dass der Boden vibriert und mein Kopf dröhnt. Dann hat er sich wieder unter Kontrolle und streicht mit krallenbewehrten Händen dunkles Haar aus seiner Stirn. Die schwarzen Hörner sind so gleich viel besser sichtbar. »Du müsstest dir nur nehmen, was direkt vor deiner Nase ist. Aber du tust es nicht, weil du schwach bist, Cryladradanialitek. Darüber täuscht auch das martialische Kinn deiner Menschengestalt nicht hinweg. Das ist so frustrierend. Ich habe noch nie verstanden, wieso ausgerechnet du Vaters Liebling bist.«
»Lass Vater aus dem Spiel.« Danial tritt einen Schritt zur Seite, womit er mir komplett die Sicht auf seinen Bruder versperrt.
»Ich werde mir jetzt nehmen, wozu du nicht in der Lage bist.«
»Tu das nicht, Woradrakanialitek. Ich bitte dich.«
Helles Licht flackert auf und die Temperatur des kleinen Raums steigt beachtlich an. Ich höre auf, mich ängstlich an Danials Umhang festzukrallen, und spähe kurz über seine Schulter.
Augenblicklich wünsche ich mir, ich hätte es nicht getan. Die Hände seines Bruders stehen in Flammen, seine Augen glühen mordgierig und ein böses Lächeln verwandelt sein Gesicht in eine Fratze.
»Versuch doch, mich davon abzuhalten.«
Die Dämonenbrüder bewegen sich beide gleichzeitig, viel zu schnell, als dass menschliche Reflexe darauf reagieren könnten.
Scheiße, denke ich noch, bevor mich Hitze streift und die Welt explodiert. Ich habe den Ofen angelassen.
Ehe mich die Detonation in Stücke reißen kann, spüre ich einen Ruck in der Bauchnabelgegend und verliere meine feste Form, als ich aus dem Turm … teleportiert werde.
Einen Wimpernschlag später materialisiere ich mich im Mittelschiff der St. Louis Cathedral und gehe keuchend in die Knie. Mein Magen rebelliert und ich würge die Getränke der letzten Stunde hervor. Eine Mischung aus Schnaps, Bowle und Magensäure plätschert auf heiligen Kirchenboden. Unter normalen Umständen sollte ich mich dafür schämen, aber heute bin ich zu sehr damit beschäftigt, nicht zu hyperventilieren.
Die Explosion dröhnt noch in meinen Ohren. Putz rieselt auf mich herab, und als ich mich auf zittrige Beine kämpfe, kracht ein Teil der Empore in sich zusammen. Ein Kronleuchter fällt mir direkt vor die Füße. Der Boden bebt, irgendwo lodert ein Feuer und monströse Risse verunstalten die gesamte Südwand der Kirche.
Ich starre auf die Trümmer. Derangierte Holzbänke knarzen unwillig, ein Flimmern erfüllt die Luft und Woradrakanialitek erscheint völlig lautlos vor mir.
Was ist mit Danial?
Die Schwingen meines Gegenübers liegen eng an seinem Körper, sodass er fast normal aussähe, wären da nicht die unmenschlichen Hörner, die glühenden Augen und der brennende Umhang. Ein boshaftes Grinsen zeigt sich auf seinem Gesicht, als er näher tritt. Ich gehe automatisch einen Schritt zurück und stolpere dabei fast über meine eigenen Füße. Blöde Sandalen.
Eine glühende Peitsche taucht in Woradrakanialiteks rechter Hand auf. Er schnalzt mit der Zunge, bevor er sie prüfend ein wenig schwingt und knallen lässt.
Kacke. Das ist jetzt echt mies.
Funken fliegen bei jeder Bewegung der bedrohlich wirkenden Schlagwaffe.
»Das wird leider etwas wehtun«, lässt mich der Dämon wissen, sieht dabei aber alles andere als mitfühlend aus. Ein zufriedenes Lächeln umspielt seine Lippen. Er scheint richtig Spaß zu haben.
Noch während ich meine Möglichkeiten abwäge – weglaufen oder zur Salzsäule erstarrt stehen bleiben –, wird mir diese Entscheidung abgenommen. Erleichterung durchflutet mich, als Danial zwischen uns auftaucht.
Nicht tot.
Er macht einen etwas lädierten Eindruck. Sein ehemals langer Umhang ist nur noch ein schwelender Fetzen, vom Lorbeerkranz fehlt jede Spur, Ruß bedeckt seine gesamte Erscheinung, und seine qualmende Gestalt zeugt davon, dass er bis eben noch in Flammen stand.
Ich gehe einen vorsichtigen Schritt auf ihn zu, und obwohl er mir den Rücken zukehrt, weiß er um meine Bewegung und streckt sofort einen Arm aus, um mich auf Distanz zu halten. Ich gehorche instinktiv.
Woradrakanialitek lässt seine dämonische Waffe sinken und wirkt auf das Äußerste verstimmt. »Tritt zur Seite, Bruder«, fordert er. »Bevor du dich komplett blamierst. Es ist eine Schande, was aus dir geworden ist.«
Stumm hört sich Danial die Vorwürfe an und regt sich nicht.
Was wohl in ihm vorgeht?
»Jetzt sieh mich nicht so an. Du wirst das Unvermeidliche nicht verhindern können. Du wandelst schon viel zu lange unter den Sterblichen. Du bist eine einzige Enttäuschung.«
Meine Hände ballen sich zu Fäusten und meine Zähne knirschen, als ich sie aufeinanderpresse.
»Geh!«, ruft Danial plötzlich laut.
»Nicht in diesem Leben«, antwortet sein Bruder und packt die Peitsche wieder fester. Ein gieriges Funkeln tritt dabei in seine Augen.
»Geh einfach.« Danials Stimme klingt beinahe flehend.
»Und wenn nicht?«
Ich zucke zusammen, als die Höllenpeitsche wieder in Schwung kommt und die Luft zum Surren bringt.
»Dann muss ich dich töten.« Woradrakanialitek lacht laut auf, aber es klingt falsch und gezwungen. Mein Herz rast, während meine Kehle staubtrocken und meine Handflächen feucht vor Angst sind.
Die Brüder messen sich mit Blicken, Trümmerstaub legt sich langsam auf das zerstörte Innere der Kirche. Eine Anspannung liegt in der Luft, die nur noch mehr dazu beiträgt, dass meine schlotternden Knie wie die Zweige einer Weide im Sturm gegeneinanderschlagen.
Etwas flackert zwischen Danials Fingern auf und ich mache mich bereit, das Weite zu suchen.
»Wie du willst.« Eine leuchtend grüne Kugel voller Höllenmagie bildet sich in Woradrakanialiteks freier Hand. »Bringen wir es hinter uns … Bruder.«