Zum schwarzen Mond - Nicole Schuhmacher - E-Book

Zum schwarzen Mond E-Book

Nicole Schuhmacher

4,0

Beschreibung

Für Mädchen wie mich gab es im Laufe der Geschichte viele Bezeichnungen. Einige sind schmeichelnd, andere derb und herablassend. Man nennt uns Dirne, Liebesdame, Freudenmädchen, Hure … Doch egal, welche Namen man uns gibt, im ältesten Gewerbe der Welt zu arbeiten, bedeutet nichts Geringeres, als seinen Körper an jeden zu verkaufen, der bereit ist, einen angemessenen Preis zu zahlen. Das Wiener Etablissement ›Zum schwarzen Mond‹, in dem ich meine Dienste anbiete, ist auf die Bedürfnisse der vampirischen Schicht der Bevölkerung spezialisiert. Das Geschäft der käuflichen Liebe boomt auch unter Blutsaugern. Ich war immer der Annahme, dass meine Anstellung in dieser Branche durch nichts gefährdet sein könnte. Doch ich werde eines Besseren belehrt, als ein Freier meinen Weg kreuzt, der komplett anders ist als alle bisherigen. Schließlich trägt auch die schicksalhafte Begegnung mit einem Vampirgrafen maßgeblich dazu bei, dass mein Leben komplett über den Haufen geworfen wird. Obwohl wir aus unterschiedlichen Welten stammen und uns nicht einmal sonderlich gut leiden können, erkenne ich schnell, dass sogar ein versnobter Aristokrat ein gutes Herz haben kann, selbst wenn dieses schon seit Jahrhunderten nicht mehr schlägt …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 416

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,0 (2 Bewertungen)
0
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Dank

 

Nicole Schuhmacher

 

 

Zum schwarzen Mond

 

 

 

Fantasy

 

Zum schwarzen Mond

Für Mädchen wie mich gab es im Laufe der Geschichte viele Bezeichnungen. Einige sind schmeichelnd, andere derb und herablassend. Man nennt uns Dirne, Liebesdame, Freudenmädchen, Hure … Doch egal, welche Namen man uns gibt, im ältesten Gewerbe der Welt zu arbeiten, bedeutet nichts Geringeres, als seinen Körper an jeden zu verkaufen, der bereit ist, einen angemessenen Preis zu zahlen.

Das Wiener Etablissement ›Zum schwarzen Mond‹, in dem ich meine Dienste anbiete, ist auf die Bedürfnisse der vampirischen Schicht der Bevölkerung spezialisiert. Das Geschäft der käuflichen Liebe boomt auch unter Blutsaugern. Ich war immer der Annahme, dass meine Anstellung in dieser Branche durch nichts gefährdet sein könnte. Doch ich werde eines Besseren belehrt, als ein Freier meinen Weg kreuzt, der komplett anders ist als alle bisherigen. Schließlich trägt auch die schicksalhafte Begegnung mit einem Vampirgrafen maßgeblich dazu bei, dass mein Leben komplett über den Haufen geworfen wird. Obwohl wir aus unterschiedlichen Welten stammen und uns nicht einmal sonderlich gut leiden können, erkenne ich schnell, dass sogar ein versnobter Aristokrat ein gutes Herz haben kann, selbst wenn dieses schon seit Jahrhunderten nicht mehr schlägt …

 

 

Die Autorin

Nicole Schuhmacher, geboren im Mai 1987 in der wunderschönen Sächsischen Schweiz, lebt und arbeitet auch noch heute in einem kleinen Ort in Ostsachsen. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie im Teenageralter und frönte dieser Leidenschaft jahrelang als exzessive Verfasserin von Fanfictions. Nicole ist außerdem Cosplayerin, Disney-Verehrerin, Musical-Gängerin und Hunde-Mama. Sie bezeichnet sich selbst als Fangirl, Superhelden-Süchtling und Vampir-Lady. Die bekennende Tagträumerin mag außerdem: Meerjungfrauen, Comics, Zombies und völlig unnütze glitzernde Sachen (PINK! Sie müssen PINK sein!!!1!!11!!!). Sie liebt ihre Playstation, Mangas und Animes, Uniformen, Knoblauch, die Ich-Erzählperspektive, ausgefallene Haarfarben und natürlich Bücher!!! Übrigens ist sie als Baby einmal ganz unglücklich vom Wickeltisch gefallen und hält eigentlich überhaupt nichts von diesen übermäßig seriös wirkenden Autorenporträts … ;D

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Mai 2020

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2020

Umschlaggestaltung: Jasmin Romana Welsch

Illustrationen: Scott Krausen | Krausenart

Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-129-1

ISBN (epub): 978-3-03896-130-7

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für alle gequälten Seelen,

dunklen Engel und

Nachtvögel dieser Welt.

 

 

 

 

Trägt nicht alles, was uns begeistert,

die Farbe der Nacht?

Novalis

 

Kapitel 1

 

Ich keuche wie nach einem Marathon, obwohl der letzte Kunde meine Räumlichkeiten vor über fünfzehn Minuten verlassen hat.

Ich brauche Elektrolyte. Sofort! Und Schmerzmittel. Der Vamp hat mich rangenommen wie ein verfluchter apokalyptischer Reiter. Irgendein Nerv in meinem Rücken quittiert jede Bewegung mit einem stechenden Schmerz. Doch ich gehe davon aus, dass es besser wird, wenn ich mich aufraffe und aus den Damastlaken quäle.

Stöhnend – vor Mühe, nicht vor Lust – schleppe ich mich mit zittrigen Beinen zum Fenster. Mit zwei Fingerspitzen schiebe ich den schweren samtenen Vorhang zur Seite und spähe in die Dunkelheit.

Sex mit einem Vampir hat Vor- und Nachteile.

Die Vorteile liegen auf der Hand. Denn seien wir ehrlich, es ist eine Tatsache, dass jeder Blutsauger so heiß ist wie die Sonne. Heißer als heiß. Göttlich heiß. Schon mal von einem fetten, schmierigen, ekelerregenden Kind der Nacht gehört, das seine eigenen Füße nicht sehen kann und bereits nach einer Minute zum Höhepunkt kommt? Eben!

Vampirsex ist … anders. Wilder, zügel- und hemmungsloser, ekstatischer, auf alle Fälle befriedigender, aber auch … gefährlicher.

Klingt verrückt? Ist es vermutlich sogar. Genauso absurd wie der Umstand, dass Vampire schon immer unter uns weilten, die Menschheit nur zu blöd war, dies zu begreifen.

Das änderte sich gegen Ende des letzten Jahrhunderts, als die Vampirgesellschaft beschloss, dass es an der Zeit sei, aus dem Schatten zu treten. Also … im übertragenen Sinn. Wortwörtlich würden sie einfach zu Asche zerfallen, wie es sich für einen anständigen Blutsauger gehört, der mit Sonnenlicht in Berührung kommt. Von wegen Glitzern oder so ein Mädchenkram …

Ein kleiner Prozentsatz der neugeborenen Vamps weiß seine Fähigkeiten nicht richtig einzusetzen – dann brennen ihnen die Synapsen durch, bis sie Matsch in der Birne sind und/oder eine Gefahr für die Allgemeinheit werden –, doch das ist zum Glück die Seltenheit. In so einem Fall sind Organisationen dafür zuständig, Betroffene eine Zeit lang zu isolieren. Bis man hundertprozentig sicher ist, dass man keine tickende Zeitbombe in die Welt entlässt.

Für die Blutsauger der Gesellschaft gibt es selbstredend auch Etablissements für … gewisse Stunden. Und immer, wenn es schlüpfrig wird, kommen Mädchen wie ich ins Spiel. Unnötig, zu erwähnen, dass das Gewerbe, in dem ich tätig bin, das älteste der Welt ist, oder?

Ich schlafe gegen Bezahlung mit Männern – manchmal sogar mit Frauen –, nur dass diese ausschließlich vampirisch sind. Viele verurteilen mich dafür, doch das ist mir gleich, denn ich liebe es! Ich darf mich Nacht für Nacht mit den begehrenswertesten Wesen unter dieser Sonne … äh … diesem Himmel vergnügen. Muskeln aus Stahl, makellose Körper, schier unendliche Ausdauer, Charismen zum Niederknien und andere betörende Reize sind nur ein paar Aspekte, die mich regelmäßig zum Stöhnen bringen, während Nosferatu himself zwischen meinen Schenkeln tobt.

Hier kommen wir zum großen Nachteil.

Wenn man stundenlang die Seele aus dem Leib gevögelt bekommt, ist das zwar in höchstem Maße befriedigend, doch im Anschluss braucht ein menschlicher Körper eine gewisse Zeit, bis er sich wieder erholt hat und für einen weiteren Freier bereit ist. Und davon gibt es viele in Österreichs Gassen.

Das Leben pulsiert auch heute Nacht in der Wiener Innenstadt, das spüre ich bis in die verruchten Räumlichkeiten, in denen ich tätig bin.

Der Wiener Gürtel, der breit angelegte Straßenzug, der die inneren Bezirke der Stadt von den äußeren trennt, ist nicht nur eine der meist befahrenen Straßen der Hauptstadt, sondern war früher bevorzugtes Zielgebiet herumstreunender Freier. Kilometerlang reihten sich hier Vergnügungsstätten, Bordelle und Peepshows aneinander. An milden Frühlingsabenden warben leicht bekleidete Damen des horizontalen Gewerbes direkt auf dem Bürgersteig um die Gunst ihrer Kunden.

Doch was einst unumstrittenes Refugium halbseidener Zuhälter und Unterwelt-Bosse war, entwickelte sich im Laufe der letzten Jahre zur bunten Partyzone. Lokal um Lokal wurde neu eröffnet, Geschäftsideen mit EU-Fördergeldern unterstützt, architektonische Voraussetzungen zur Belebung des alten Schandflecks geschaffen und der Gürtel somit revitalisiert. Eine neue Flaniermeile der Wiener ist zwischen Westbahnhof und der Wirtschaftsuniversität entstanden, wo außerdem zahlreiche Cocktailbars und Restaurants inländische sowie ausländische Köstlichkeiten anbieten. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an Veranstaltungen wie Lesungen, Filmabende, Konzerte, Diskussionsrunden und Folkloreabende.

Sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt gehören zwar seit jeher zum Alltag, jedoch ist das Etablissement ›Zum schwarzen Mond‹ den Anwohnern noch immer ein Dorn im Auge. Erst recht, da es nur für die Bedürfnisse vampirischer Freier ausgelegt ist.

Unsere Puffmutter, Maria, ist selbst ein Vamp. Es vergeht keine Woche, in der nicht ein Drohbrief ins Haus flattert, der beteuert, dass uns die Bude irgendwann unter dem Hintern abfackeln wird. Maria schenkt nicht einem einzigen davon ihre Aufmerksamkeit oder gar Sorge.

Ich sperre das Nachtleben Wiens aus, indem ich die Vorhänge zufallen lasse, und gehe zum Nachtschrank aus dunkel gebeiztem Holz, um in der Schublade nach einem Energie-Riegel zu wühlen. Ja, wir arbeiten hier mit Mitteln aus dem Hochleistungssport. Das Zeug hat noch nie meinen Geschmack getroffen, aber das soll es auch nicht. Es soll die Flüssigkeitsverteilung und den Wasserhaushalt meines Körpers wieder auf Vordermann bringen, nachdem ich so richtig durchgebumst wurde.

Nachdenklich kauend laufe ich ins angrenzende Bad, um mich frisch zu machen, und horche in mich hinein, ob ich bereits startklar für eine zweite Runde bin. Ich habe von ›normalen‹ Prostituierten gehört, die bis zu dreißig Freier am Tag bedienen. In meiner Branche schafft ein geübtes Mädchen höchstens fünf. Ein paar mehr, wenn es Quickies sind.

Ich zupfe an meiner Corsage, rücke mein Rüschenhöschen zurück an Ort und Stelle, überprüfe den Sitz der dunklen Strapse an meinen seidenen Strümpfen und stöckle zur Tür.

Ja, ich weiß. Wir laufen hier rum wie im beschissenen Moulin Rouge. Fehlt nur noch eine Federschleppe und dazu passender Kopfschmuck. Aber den Kunden gefällt es. Und irgendwie passt es zum altehrwürdigen Stil des Gebäudes und dem barocken Interieur.

Dicker Teppichboden schluckt die Geräusche meiner Schritte, als ich das Zimmer durch eine schwere Holztür verlasse. Vorbei an den Räumlichkeiten anderer Mädchen bahne ich mir einen Weg den langen Flur entlang.

Gedämpftes Stöhnen dringt immer wieder an meine Ohren, verheißungsvoll und erregend, bis ich zielsicher eine Galerie erreiche und den Empfangsbereich des Freudenhauses überblicke.

Meine Libido ist noch nicht schlafen gegangen, wie ich mit Genugtuung feststelle, als ich die in der Mitte des großen Saals gelegene Treppe nach unten trete und angenehme Musik die Szenerie untermalt.

Im ›schwarzen Mond‹ arbeiten weit über fünf Dutzend Angestellte. Nur die Hälfte von Marias Täubchen sind heute Abend anwesend. Die meisten von uns sind sterblich, jedoch haben wir hier ebenfalls eine Handvoll Vampirladys beschäftigt, vorwiegend an der Bar oder auf den Tanzflächen. Um die Bedürfnisse der Freier kümmern sich überwiegend Mädchen wie ich. Das heißt blutjunge Geschöpfe mit warmer Haut, pulsierendem Blut in den Adern und einem Herz in der Brust, das noch schlägt.

Gerade als ich den Fuß der Treppe erreiche, schiebt sich Angelina, so blond wie blöd, an mir vorbei, um ihre Gemächer in der ersten Etage anzusteuern. Sie liegt in den Armen eines vampirischen Kunden und lacht so gekünstelt über das, was dieser soeben gesagt hat, dass er sofort Lunte riechen müsste. Aber wenn es in den Lenden juckt, sind auch Vampire offenbar nicht wählerisch.

Mein Blick gleitet kurz über die tätowierte Blutlilie, die Angelina nah an ihrem Schlüsselbein in die Haut gestochen trägt. Aufgrund unserer knappen Arbeitsbekleidung gut für jeden sichtbar. Dieses Symbol ziert nicht nur Angelina unweit ihrer linken Schulter. In unserem Etablissement ist diese Tätowierung das Zeichen dafür, dass sich die Freier nicht nur mit den Mädchen vergnügen, sondern dabei auch ihrer Blutgier frönen können. Viele Vampire erreichen den Punkt der höchsten Lust nur, wenn die sexuelle Befriedigung gleichzeitig mit der Stillung ihres Blutdurstes einhergeht.

Bei dem Gedanken daran durchfährt mich ein Schaudern. Ich trage das Lilien-Tattoo nicht. Diese Art der Dienstleistung ist nichts für mich. Never. Ever. Niemals. Mein Hals bleibt Jungfrau. Punkt.

Langsam durchschreite ich den Raum hinüber zum Barbereich. Ich umrunde Sitzgelegenheiten, gemütliche Flächen, auf denen man sich erst ein wenig mit den Vamps vertraut machen kann, bevor es in den Zimmern zur Sache geht. Das Vorspiel beginnt oft schon hier unten.

Auch heute ist das Haus gut besucht, obwohl die Nacht noch jung ist. Kaum ein Platz in den gepolsterten Stühlen ist nicht belegt. Und jeder Kunde hat bereits ein Mädchen an der Hand. Das Geschäft der käuflichen Liebe für Vamps boomt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwann einmal anders sein wird.

Fast schon enttäuscht, dass es für mich im Moment keine Arbeit gibt, drehe ich den Kopf hinüber zur Theke. Der Barbereich ist für meinen Geschmack etwas zu dunkel eingerichtet, aber was weiß ich schon?

Als ich die junge Frau mit den dunklen Haaren und der modischen Bobfrisur erblicke, stutze ich. Sie habe ich heute nicht am Ausschank erwartet. Schnellen Schrittes geselle ich mich zu ihr.

»Lynn!«, zische ich, als sie gerade einen Cocktail fertig mixt und über den Tresen schiebt. Der Freier beachtet das Getränk kaum, weil er seine Hand im Höschen seiner Begleitung hat und bald in ganz anderen Sphären zugange sein wird. »Was machst du denn an der Bar? Wo ist Mel?«

»Nicht da.«

Meine Freundin zuckt mit den Schultern und bedient sich am Eisfach, um gleich darauf mit Blut gefüllte Schnapsgläser unter die wartenden Vampire zu bringen.

»Virgin on the Rocks«, sagt sie dabei und schiebt das erste Glas zu einem blonden Anzugträger. »Red Sun und Dark Moons Kiss.«

Die Vampire bedanken sich bei der Bardame, und Lynn hat endlich Zeit, sich mir zuzuwenden.

»Wo ist Mel?«, frage ich erneut.

Lynn trocknet ihre Hände an einem Wischtuch ab und spendiert sich eine Cola, bevor sie mir antwortet. »Wir haben vergessen, Julias Kundschaft umzubuchen. Du weißt doch, ihr Kind ist krank. Mel kümmert sich gerade um den Firmenboss aus Döbling.«

Die Erklärung finde ich merkwürdig. »Warum kümmerst du dich nicht um ihn?«

Mein Blick gleitet über die rote Lilie auf Lynns Haut, als sie mit dem koffeinhaltigen Kaltgetränk ihre Lippen benetzt und erneut mit den schmalen Schultern zuckt. »Er erinnert mich zu sehr an meinen Ex.«

Ich verdrehe die Augen, muss dann aber doch lachen und bemerke im Augenwinkel, dass gerade neue Kundschaft von der Security hereingelassen wird.

Über zwielichtige Gesellschaft müssen wir uns keine Sorgen machen. Wer hier reinwill, füllt erst online eine Art Bewerbung aus und gibt seine Kontodaten an. Per Post erhält er einen Chip, der beim Betreten und Verlassen der Räumlichkeiten gescannt wird. Die Abbuchung erfolgt sofort, nachdem der Kunde das Etablissement hinter sich lässt. Datenschutzrechtler werfen jetzt schreiend die Hände über den Kopf. Aber die Tatsache, dass wir so viel von unserer Kundschaft wissen, dient nur der Sicherheit. Und da die Gebühren für jede angebrochene Minute anfallen, die die Freier hier verbringen, werden wir nur von der obersten Schicht der Vampirgesellschaft aufgesucht.

Eine Nacht im ›schwarzen Mond‹ kann sehr schnell ein Tausende Euro tiefes Loch ins Bankkonto reißen. Der Minutensatz ist so hoch, dass sogar die Getränke im Preis inbegriffen sind.

Ich beschließe, erst einmal hinter der Bar zu bleiben, um Lynn zu helfen, als sich Kundschaft am Tresen niederlässt.

Ein Neuankömmling fällt mir besonders ins Auge. Er trägt einen dunklen Anzug über einem weißen Hemd. Die farblich passende Krawatte ist akkurat gebunden – doppelter Windsorknoten – und das Einstecktuch perfekt gefaltet. Er hat eine Aktentasche dabei, die er zu seinen Füßen neben den Barhocker stellt, auf den er sich soeben schiebt. Unbewusst fährt er sich durch das braune Haar, das immer wieder in sein Gesicht zu fallen scheint, denn die Geste geht zu automatisch vonstatten.

Ich lächle in mich hinein. Er wirkt unsicher, was ihn auf Anhieb sympathisch macht. Ich schätze, er war etwa Mitte dreißig, als er zum Vampir wurde. Sein jetziges Alter ist nicht mehr zu erraten, da der Alterungsprozess bei Vamps außer Kraft gesetzt ist.

Ich verständige mich stumm mit Lynn, die zustimmend nickt, und setze mich in Bewegung, um dem Neuankömmling etwas anzubieten. Ein Getränk, ein nettes Gespräch, hemmungslosen Sex in Doggy-Stellung.

»Was möchtest du trinken?«, will ich von ihm wissen.

Beinahe erschrocken sieht er auf, als ich ihn anspreche. Seine tiefbraunen Augen treffen meine. Ein Funkeln legt sich in seinen Blick, als ich ihn freundlich anlächle.

»Ähm«, überlegt er. Schon an diesem kurzen Laut kann ich erkennen, wie weich und schmeichelnd seine Stimme klingt. Unschlüssig kratzt er sich am Kinn. Eine Geste, die ihn fast menschlich wirken lässt.

»Darf es etwas Eisgekühltes sein?« Ich öffne die Kühltruhe direkt neben mir, um zu schauen, was wir vorrätig haben. »Ich kann dir eine 21-jährige Studentin anbieten, Blutgruppe AB. Oder lieber eine 30-jährige Hausfrau, Blutgruppe 0?« Ich nehme die Blutkonserven und deren Etiketten in Augenschein, bevor ich aufsehe, weil ich keine Antwort erhalte. »Magst du eher einen männlichen Spender?«

»N-Nein, nein!«, winkt der Anzugträger ab und massiert sich den Nasenrücken mit Daumen und Zeigefinger. »Hast du vielleicht etwas Normales?«

Ich schließe die Kühltruhe wieder und lege fragend den Kopf schief. Was versteht ein Vampir schon unter ›normal‹?

»Cognac?«, erkundigt sich mein Gegenüber fast flehend, als er mein Zögern richtig deutet.

Damit kann ich dienen. Ein Nicken später sage ich: »Kommt sofort!«

Und da haben wir es. Vampire nehmen nicht nur Blut zu sich. Anscheinend lassen sich alte Gewohnheiten selbst im Vampirdasein nicht abstellen.

Ich wende mich ab, um ihm sein Getränk zuzubereiten. Die halbe Minute, die ich dafür benötige, hat eine Kollegin genutzt, um sich neben den gut aussehenden Vamp zu setzen und ihn zu bezirzen. Er scheint darauf einzusteigen, denn er lässt es zu, dass ihre Hand auf seinem Oberschenkel immer höher gleitet.

»Viel Spaß«, säusle ich und schiebe das Cognacglas mit der goldenen Flüssigkeit zu ihm.

»Danke«, sagt er hastig und greift danach, wobei seine kalten Fingerspitzen über meinen Handrücken gleiten.

Lächelnd wende ich mich von den beiden ab. Wenn er nicht an einem Dreier interessiert ist, ist mein Job hier gelaufen.

Lynn steht mit vor der Brust verschränkten Armen bei den Spirituosen und seufzt, als ich ihr Gesellschaft leiste. Ihr Blick wirkt verträumt und sie schaut dem Anzugträger schmachtend hinterher, als er sich mit seiner Begleitung zu einer Sitzgelegenheit am Rande des Raumes begibt.

»Sollte ich mich je in einen Kunden verlieben, dann in einen wie ihn«, raunt sie mir zu. Meine Augenbrauen schießen in die Höhe. So habe ich Lynn noch nie reden hören. Und Lynn erzählt viel, wenn die Nacht lang ist. »Er ist absolut heiß.«

Jetzt übertreibt sie definitiv. Ich fühle mich genötigt, etwas dazu zu sagen. »Jeder in diesem Raum ist absolut heiß.«

Schweigend verharren wir nebeneinander, wippen leicht im Takt der Musik und checken jeden männlichen Vamp im Umkreis von zehn Metern ab.

»Ja«, bestätigt Lynn und schnalzt mit der Zunge. »Aber er hat irgendetwas Unschuldiges an sich. Da steh ich total drauf. Und er steht total auf dich.«

Ich bin kurz abgelenkt, da ein junger Vamp an der Bar meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Er grinst mich an und hebt seinen Drink zum Gruß, bevor er ihn an den sinnlichen Mund führt.

Ich kaue auf meiner Unterlippe und lasse den Nachtschwärmer am Ausschank nicht aus den Augen. Vielleicht darf ich heute noch an seinen Lippen knabbern, wer weiß?

Dann sickert das Gesagte zu mir durch und ich schüttle vehement den Kopf, als ich in Lynns zartes Gesicht sehe. »Tut er nicht. Wir haben keine drei Wörter miteinander gewechselt.«

»Er steht auf dich«, beharrt meine Freundin weiter. »Ich verstehe nur noch nicht, weshalb er sich erst mit Kate abgibt und sein Ding nicht gleich in deine Muschi steckt.«

Fragen, die die Welt beschäftigen.

»Apropos Dinge irgendwo reinstecken. Weißt du, wer wieder da ist?«

Lynn wechselt manchmal so geschickt das Thema, dass ich kaum bemerke, ob wir noch über schlüpfrige Dinge debattieren oder uns schon über unsere letzten Freier lustig machen.

Gespielt ratlos stoße ich die Luft aus. »Lestat de Lioncourt? Draculas Enkel? Blade? Der kleine Vampir?«

Sie rammt mir ihren Ellbogen so hart in die Seite, dass ich erschrocken aufkeuche.

»Au! Wofür war das?«

»Für deine unnötige pädophile Anmerkung.«

»’tschuldigung.«

Plötzlich lacht Lynn los, was gar nicht zu ihrem anfänglichen Zorn passt. »Kein Problem. Ich weiß doch, dass du nur lustig sein willst. Klappt bloß nicht.«

Beleidigt ziehe ich eine Schnute. Dabei trifft mein Blick leider den des Anzugträgers, der gerade von Kate bestiegen wird. Völlig ungeniert setzt sie sich breitbeinig auf seinen Schoß und lässt ihre Hüften kreisen. Schnell sehe ich zur Seite.

»Wer ist denn wieder da?«, frage ich meine Kollegin, weil ich ehrlich neugierig bin, was für Klatsch sie zu berichten hat.

Ein Funkeln tritt in ihre Augen, als sie sich mir zuwendet und mit leiser Stimme spricht. »Maria hat Besuch. Ihr alter Freund beehrt uns genau in diesem Moment.«

Oh, forme ich stumm mit den Lippen, um zu signalisieren, dass ich verstanden habe.

Die Inhaberin des Bordells bedient Kundschaft eher selten. Wirklich selten, sehr, sehr selten, so richtig selten. Dass sie in ihren Gemächern verschwunden ist, hat meist nur eines zu bedeuten: Er ist wieder da. Oder Edward Cullen.

»Woher weißt du das so genau? Warst du wieder auf nächtlichen Streifzügen im Puff unterwegs? Hast dich hinter schweren samtenen Vorhängen verborgen und unter teuren Kanapees versteckt?«

Mit blankem Gesichtsausdruck sieht Lynn mich an. »Jetzt sei nicht albern. Ich habe ihn gesehen, mit eigenen Augen. Er kam einfach hier hereinspaziert.«

Was? Diesmal nicht durch die Hintertür?

Marias alter Bekannter, der mit Sicherheit eine wichtige Rolle in der düsteren Vergangenheit der Vampirfrau gespielt hat, lässt sich nur sporadisch blicken. Ich selbst habe ihn noch nie zu Gesicht bekommen, aber nicht nur Lynn schwärmt von ihm.

»Nein, nicht spaziert«, sinniert sie soeben weiter. »Er ist geradezu über den Teppichboden geschwebt. Diese Haltung, diese aristokratische Ausstrahlung. Gott, Lisa, er sieht in seinen altmodischen Klamotten einfach hervorragend aus.« Hatten wir das Thema bezüglich gut aussehender Vampire nicht eben schon? »Ich beneide Maria, dass sie ihm diese vom Leib reißen darf.«

»Lass sie das bloß nicht hören. Sie macht dich einen Kopf kürzer.«

Nachdenklich kaut Lynn auf der Innenseite ihrer Unterlippe herum. »Stimmt. Oder sie saugt mich aus.«

»Pflock durchs Herz?«

»Oh, ja. Unangenehm, sehr unangenehm.«

Wir kichern über unsere Albernheit, bis ich mich dazu entschließe, eine Runde zu drehen und die verwaisten Getränkegläser einzusammeln und zur Bar zu bringen.

Kate und ihr Begleiter erheben sich gerade, als ich Lynn meine Ausbeute über den Tresen reiche, das kann ich aus dem Augenwinkel beobachten. Leise gesprochene Worte dringen an mein Ohr, ich kann jedoch die genauen Äußerungen nicht verstehen. Lynns Mund verzieht sich zu einem wissenden Grinsen, als sie hinter mich blickt.

Erwartungsvoll drehe ich mich um und ja, natürlich fahre ich erschrocken zusammen, als der Anzugträger so dicht vor mir steht, dass meine Nasenspitze gegen seinen Krawattenknoten stößt.

»Verzeihung«, entschuldigt er sich sofort und macht einen Schritt zurück.

»Nichts passiert«, sage ich wahrheitsgemäß und widerstehe dem Drang, seine Krawatte richten zu wollen. Auch das Einstecktuch sitzt nicht mehr ganz so akkurat wie vor ein paar Minuten. Sicherlich ist Kate daran schuld. »Kann ich irgendwie helfen?«

Er scheint erleichtert, dass ich diese Frage stelle, denn er lacht sichtlich nervös auf.

»Kate hat mir angeboten, mich auf ein Zimmer zu begleiten«, teilt er mir mit und wirkt dabei peinlich berührt. Wäre er menschlich, würde er jetzt mit Sicherheit rote Ohren bekommen.

»Eine sehr gute Wahl«, bekräftige ich ihn für diese Entscheidung. »Kate ist eine ausgezeichnete Liebhaberin. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.« Ich zwinkere ihm zu, doch meine anzügliche Bemerkung lässt ihn kalt.

»Das zweifle ich keinesfalls an«, beteuert er. Seine dunklen Augen huschen unstet umher, bis sie einen Anker finden und sich sein hoffnungsvoller Blick in mein Innerstes bohrt. »Ich hatte mich lediglich gefragt, ob eventuell die Möglichkeit besteht, dass wir beide …«

Er spricht nicht weiter. Ich bin so gemein und lasse ihn zappeln. Da muss er allein durch.

Ich schaue zu Kate hinüber, die mit den Schultern zuckt und sich dem nächsten Freier an den Hals wirft.

»Das kann ja niemand mit ansehen!«, ertönt es plötzlich lautstark hinter uns. Lynn. »Er will wissen, ob er dich vögeln darf!«

Sein Kopf dreht sich kurz zu Lynn, die vermutlich nur wieder irgendeine obszöne Geste zum Besten gibt. »So hätte ich es nicht formuliert«, sagt er leise und über die rhythmische Musik im Raum kaum zu verstehen.

»Du darfst mich trotzdem haben«, erkläre ich mich einverstanden und hake mich bei ihm unter, um ihn ohne weitere Umschweife die Treppe hinaufzugeleiten.

»Mein Name ist Lisa. Wie heißt du?«

»Henry.«

»Henry«, lasse ich mir seinen Namen auf der Zunge zergehen. Ich spreche ihn mit englischer Betonung aus und hoffe, dass ihm das gefällt. »Freut mich sehr, Henry.«

Er neigt den Kopf zu einer Begrüßung und würde mir sicherlich einen Handkuss schenken, würde ich mich nicht mit beiden Händen in den knitterfreien Stoff seines Anzugs krallen und hätte er nicht immer noch seine Aktentasche bei sich.

»Was machst du beruflich?«, führe ich ein wenig Small Talk, während wir die Galerie passieren.

Nicht immer wollen Freier private Dinge über sich preisgeben. Zu welcher Sorte Henry wohl gehört?

»Ich bin Anwalt.«

Anerkennend schürze ich die Lippen, was mein Begleiter im schummrigen Licht des edel verkleideten Flurs jedoch nur schwer zur Kenntnis nimmt, weil er stur den Kopf gesenkt hält. Nicht ein kurzer Blick auf mein Dekolleté, kein Grapschen an meinem Hintern. Henry wirkt sehr zurückhaltend, was irgendwie niedlich ist. Ich bin gespannt, wie er sich gibt, wenn wir in der privaten Atmosphäre meines Zimmers unsere Ruhe haben.

»Mit welcher Spezialisierung?«, frage ich weiter und bleibe vor einer massiven Tür im ersten Stock des Etablissements stehen.

»Vampirrechte.«

Natürlich.

Die Vampire sind bereits jahrzehntelang Teil der Bevölkerung, Teil unserer Kultur. Somit brauchen sie Rechte, Pflichten, Regeln und Gesetze, an die sie sich selbstredend zu halten haben, wenn sie akzeptiert werden wollen.

Das Töten von Menschen steht auf der Ganz-böses-Dudu-Liste übrigens schon immer an erster Stelle! Kosten ist kein Problem, solange der Gegenpart damit einverstanden ist, aber wer einen Menschen leer saugt beziehungsweise gegen seinen Willen in ein Wesen der Dunkelheit verwandelt, bekommt es mit dem Gesetz zu tun und wird für alle Ewigkeit weggesperrt, so wie es sich gehört.

Ich löse mich von Henry, stoße die Tür auf und führe ihn ins Innere meiner Räumlichkeiten. Schlagartig wird mir klar, dass ich die Laken nicht neu bezogen habe, bevor ich den Raum verlassen habe. Aber vielleicht kann ich ihn ja dazu überreden, mich auf dem Kanapee zu nehmen.

Ich beobachte Henry, der unschlüssig in der Mitte des Raumes steht und die Inneneinrichtung auf sich wirken lässt. Das große Himmelbett, die schweren Vorhänge, dicken Teppiche, Kronleuchter, Öllampen und Beistelltische. Alles aus dunklem und verschnörkeltem Holz gefertigt, mit Brokat und Samt bezogen und in feinsten Goldtönen gehalten.

»Also«, raune ich leise, drücke die Tür hinter mir zu und lege den Riegel vor.

Ich gehe langsam auf Henry zu, der mir den Rücken zukehrt, und lasse meine Finger von seinen Schultern an sanft nach unten gleiten. Bei seinen Händen angekommen, löse ich die Tasche aus seinem Griff und stelle die lederne Aktenaufbewahrung an einen Stuhl.

»Was kann ich dir Gutes tun?«

Henry blickt über seine Schulter und dreht sich anschließend zu mir herum. Sofort öffnen meine Finger die Knöpfe seines Jacketts und helfen ihm, aus dem nachtblauen Kleidungsstück zu schlüpfen.

Ich will die Anzugjacke nicht einfach fallen lassen, da sie sich edel und teuer anfühlt, also hänge ich sie schnell über eine Stuhllehne, bevor ich mich Henry erneut zuwende.

»Dein erster Besuch in einem Bordell?«, will ich von ihm wissen, weil er mir noch immer nicht die Kleider vom Leib gerissen hat. Und das, obwohl wir bereits über zwei Minuten völlig allein sind.

»So offensichtlich?«

Seine Stimme klingt amüsiert, was ich merkwürdig finde. Die meisten anderen wären gekränkt, wenn man sie auf ihre Jungfräulichkeit, was Puffbesuche angeht, anspricht.

Ich ziehe die Schultern hoch und drücke meinen Körper gegen seinen. »Nicht schlimm, wir machen es uns einfach gemütlich.«

In geübten Bewegungen löse ich mit den Fingern seinen Gürtel. Ich sehe nach oben, und während ich seine Hose öffne, schauen wir uns stumm in die Augen. Sein Blick wird weich, als ich in seinen faszinierenden Iriden versinke. Das Braun seiner Augen ist bernsteinfarben gesprenkelt, der Rand von einer fast schwarzen Linie umzogen.

»Warte!«, ruft Henry plötzlich aus und greift nach meinen Handgelenken.

Ich halte inne und trete einen Schritt zurück, nachdem er mich aus seinem Griff entlassen hat.

»Wie willst du mich?«, frage ich und stemme in dem Versuch, besonders sexy auszusehen, eine Hand in die Hüfte.

Henry lockert seine Krawatte, bevor er antwortet und mit dem Kinn zum Bett deutet. »Setz dich doch.«

Ich schmunzle verrucht und schlendere betont langsam am Bettpfosten vorbei, um mich mit überschlagenen Beinen auf die Kante zu setzen und Henry zu mustern. Mit hochgezogenen Brauen warte ich auf weitere Befehle.

Henry ist mir mit seinen Blicken gefolgt und scheint wieder zufrieden über den Verlauf unseres Treffens. »Mach es dir … bequem.«

Sofort lasse ich mich nach hinten auf die Unterarme fallen und spreize lasziv die Beine.

Henry wirkt verwirrt. »Das sieht mir nicht sonderlich bequem aus«, äußert er.

Ich klopfe auf den leeren Bereich neben mir. »Dann leg dich doch zu mir.«

»Nein«, antwortet Henry so schnell, dass ich stutzig werde.

Ich beobachte ihn dabei, wie er den Krawattenknoten löst und den Binder ebenfalls über der Stuhllehne drapiert.

»Möchtest du zusehen, wie ich mich selbst berühre?«

Ich stütze mich auf einen Arm. Die Finger meiner anderen Hand wandern langsam an meinem Körper hinab zu meiner Mitte.

»Das ist nicht nötig.«

Henry verwirrt mich immer mehr. Ich darf ihn nicht anfassen, er will mich nicht anfassen, ich darf mich noch nicht einmal selbst anfassen. So einen Kunden hatte ich lange nicht mehr, um nicht zu sagen noch nie.

Er schaut sich suchend im Raum um und entdeckt die Tür zum Badezimmer, die leicht offen steht.

»Ich lasse uns ein Bad ein«, schlägt er sogleich vor und ich richte mich ehrlich begeistert auf.

»Prima Idee.«

Der Ansatz eines Lächelns zeigt sich auf seinen Lippen, als er ins Bad eilt und ich schon bald darauf das charakteristische Plätschern von eingelassenem Badewasser höre.

Ich verharre noch so lange auf meinem Platz, bis Wasserdampf durch die geöffnete Tür strömt. Dann folge ich Henry, der vor der großen frei stehenden Badewanne mit gusseisernen goldenen Füßen steht. Er beugt sich über die Wanne, lässt seine Hand hinabgleiten und verteilt mit leichten Bewegungen den Badezusatz im heißen Wasser.

Ich bin so gebannt von dem Muskelspiel unter seinem engen Hemd, dass ich erst wieder zu mir komme, als er sich direkt vor mir aufbaut. Die Spitzen seines Haares sind bereits nass vom Wasserdampf.

Ich streiche eine Locke aus seiner Stirn und lege den Kopf schief. »Soll ich dich ausziehen?«

»Das schaffe ich allein«, erteilt er mir eine Abfuhr und beginnt sein Hemd aufzuknöpfen.

Ich kann mir nicht verkneifen, einen Blick auf seinen glatten, durchtrainierten Körper zu werfen, als er sich entblößt und das helle Kleidungsstück über den Wäschekorb neben der Tür legt.

»Willst du mich ausziehen?«, frage ich vorsichtig, als er sich erneut der Wanne widmet, um das Wasser abzudrehen.

Kurze Zeit wird es komplett still im Raum, nur durchbrochen von dem Tropfen des Wasserhahns und dem leisen Knistern des Badeschaums.

»Nein«, flüstert Henry, richtet sich wieder auf und schaut mich prüfend an, während ich nur eine Armlänge von ihm entfernt stehe und mich endlich daranmache, die Verschlussösen meiner Corsage zu lösen.

Ich lasse sie achtlos zu Boden fallen und beginne sogleich aus dem Höschen zu steigen und die schwarzen Strümpfe von meinen Beinen zu schälen.

Derweil ich mich entkleide, tut Henry es mir gleich. Nackt, so wie Gott und das Vampirgenom uns schufen, stehen wir stumm beisammen.

Ich riskiere einen Blick hinab zu seinen Lenden und schürze wohlwollend die Lippen. Ja, damit kann ich arbeiten.

»Ich hoffe, es ist nicht zu heiß«, sagt er. Dabei reicht er mir seine Hand und hilft mir, über den Rand der Badewanne zu klettern.

Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich entschieden habe, dass die Temperatur genau richtig ist. Dann gleite ich ins Wasser, lehne mich zurück und beobachte Henry, wie er sich, ohne zu zögern, zu mir gesellt und es sich mir gegenüber bequem macht. Unsere Beine stoßen aneinander, als ich meine zwischen seine schiebe, aber ich werde einen Teufel tun, meine Position zu ändern.

Warmes Wasser schwappt um uns herum und ich rufe mir den Anblick seines nackten Körpers, der mir nun großteils durch zu viel Schaum verwehrt ist, in Erinnerung. Henrys bloße Erscheinung lässt mich schon ganz wuschig werden. Seine definierten Muskeln und die starken Arme lassen meine Lust wie sturmgepeitschte Wellen gegen die Küste schlagen. Wenn ich seine Hände nicht gleich auf mir und seinen beachtlichen Schwanz in mir spüre, werde ich mit Sicherheit wahnsinnig.

Doch Henry unternimmt keinerlei Anstalten, den ersten Schritt zu tun, sondern lässt seine Finger immer wieder genüsslich langsam über die weiße Beschichtung der Badewanne gleiten.

Ich habe genug davon, strecke ein Bein aus und wage mich mit den Zehen tastend immer weiter seinen Oberschenkel hinauf. Als mein Fuß seine Männlichkeit streift, schreckt Henry auf und rückt etwas von mir fort.

Ich ziehe mein Bein zurück, rutsche jedoch entschlossen nach und knie mich direkt zwischen seine Schenkel. Lüstern grinsend taste ich nach seinem Glied, und erneut halten mich seine Hände davon ab, weiter zu gehen, als meine Fingerspitzen die weiche Haut berühren.

Enttäuscht setze ich mich auf meine Fersen. Ich dachte, die entspannte Atmosphäre würde Henry helfen etwas aufzutauen. Weit gefehlt.

»Irgendetwas gibt mir Grund zu der Annahme, dass du nicht zum Pimpern hier bist.«

Henry lacht. Laut. Aufrichtig. Und befreiend. Seine spitzen Eckzähne blitzen dabei hervor und lassen ihn in diesem Moment um einiges attraktiver aussehen, als er es ohnehin bereits ist.

Henry ist einfach unbeschreiblich sexy.

»Was hat mich verraten?«, fragt er, immer noch lachend.

»Ach, ich weiß nicht«, überlege ich scherzhaft und bin froh, dass das Eis nun offenbar gebrochen ist. Schlagartig fällt mir etwas ein. »Stehst du auf Männer? Angelo ist nur samstags da.«

»Nein, schon gut«, beruhigt er mich und entspannt sich zunehmend. »Ich bin nur hier, um …«

»… zu reden«, beende ich seinen Satz und nicke verstehend.

Daher weht also der Wind. Meine Libido ist schwer enttäuscht und will bei der nächstbesten Gelegenheit Selbstmord begehen.

»Ich bin die meiste Zeit meines Daseins mit Verbrechen und den Abgründen vampirischer Schicksale beschäftigt. Ein Freund hat Angst, dass ich vereinsame, und ist der Meinung, ich brauche … Ablenkung und bessere Gesellschaft.«

Ich horche auf. »Welcher Freund rät denn zu einem Bordellbesuch für bessere Gesellschaft?«

Henrys Gesicht zeigt Einsicht. »Es war ein Mandant.« Noch immer stimmt mich diese Aussage nicht zufrieden. »Ein sehr … spezieller Mandant.«

Mehr werde ich nicht aus ihm herausbekommen, also nicke ich und begebe mich zurück auf meine Seite der Badewanne, wo ich schmerzerfüllt aufstöhne, als sich mein Rücken zu Wort meldet.

Mist, ich habe die Schmerztabletten vergessen.

»Geht es dir gut?«, fragt Henry ehrlich besorgt, der meine Unpässlichkeit natürlich mitbekommen hat.

Ich versuche, das Thema abzutun, und schüttle abwehrend den Kopf. »Nur eine leichte Verspannung. Erzähl, wie alt bist du eigentlich?«

»Das sage ich dir, wenn du dich umdrehst und mich an dich ranlässt.« Er merkt selbst, dass diese Aussage doppeldeutig klingt, denn seine Augen weiten sich kurz erschrocken. Mein schiefes Grinsen hätte nicht einmal sein müssen.

»Schon gut«, äußere ich schnell. »Das muss dich nicht kümmern. Was sind deine Hobbys?«

»Dreh dich um!«, fordert er plötzlich mit so energisch donnernder Stimme, dass ich mir sehr gut vorstellen kann, wie er im Gerichtssaal alle zur Sau macht, die nicht unter seinem Schutz stehen.

Ich gehorche also, drehe ihm meine Kehrseite zu und fühle, wie er so nah an mich heranrückt und seine Beine um mich legt, dass ich nicht verstehe, was so schlimm daran war, als ich vorhin Nähe suchte.

»Wo tut es weh?«

Mit den Fingern schiebt er mein langes blondes Haar zur Seite, sodass es mir nach vorn über die Schulter rutscht, und fährt vorsichtig meinen Rücken entlang.

»Weiter unten«, verrate ich und muss schmunzeln, während ich seine Hände nun doch so zärtlich auf meiner Haut spüre.

Henry tastet sich vor, massiert Stellen, an denen Verspannungen sitzen, und drückt auf Punkte, wo er den verklemmten Nerv vermutet.

»Eigentlich sollte ich dir etwas Gutes tun«, rufe ich ihm in Erinnerung.

»Warum hast du Grund zu der Annahme, dass das hier nicht gut für mich ist?«

»So meinte ich das nicht.«

»Ich weiß, wie du es meintest. Aber mach dir keine Gedanken. Ich bin froh, wenn ich helfen kann.«

Berufskrankheit?, denke ich nur.

»Hundertzehn«, sagt er dann leise, gerade als ich genießend meine Augen schließen will. »Autorennen.«

»Hm?«

»Mein Alter und mein Hobby.«

»Hast dich gut gehalten.«

Ein Schnaufen ertönt hinter mir, das ich als Lachen deute.

»Was ist mit dir?«, erkundigt er sich.

»Siebenundzwanzig«, erkläre ich. »Und … ich singe gern.« Noch bevor er fragen kann, nehme ich Henry jeden Wind aus den Segeln. »Ich werde jetzt nicht für dich singen. Dafür müsstest du mich schon in eine Karaoke-Bar schleppen und vorher mit fünf Tequilas betrunken machen. Minimum.«

Henrys Körper vibriert, als er leise lacht. »Abgemacht.«

Es war als Scherz gedacht, aber plötzlich sehe ich mich mit Henry um die Häuser ziehen. Ob privat oder beruflich – wobei er den üblichen Minutensatz an das ›Zum schwarzen Mond‹ abtritt –, will ich in meinem Tagtraum nicht einbringen.

Henrys Massage stoppt nach einer Weile des Stillschweigens und seine Hände kommen auf meinen Hüften zum Ruhen.

»Danke.« Ich lehne mich nach hinten, spüre seine harte Brust an meinem Rücken und seine Arme, die sich über meinem Bauch kreuzen.

»Gern«, sagt er, legt sein Kinn an meine Schläfe und hält mich fest.

Kein Atem streift meine Haut, kein Brustkorb hebt und senkt sich unter mir. Das und die leichte Kühle seiner Haut, die ich trotz des warmen Wassers fühle, zeigen mir, dass er nicht menschlich ist.

 

Ich muss weggenickt sein, denn das Wasser ist unangenehm lau, als ich die Augen öffne. Henry bewegt sich unter mir und ich drehe mich um, als er die Umarmung löst. Entschuldigend sieht er mich an.

»Weißt du, wie spät es ist?«, will er wissen.

Durch die geöffnete Badtür erhasche ich einen Blick ins Hauptzimmer. Über einer Kommode neben dem Bett ist eine antik aussehende Uhr angebracht, von der ich die Zeit ablesen kann.

»Halb zwei«, sage ich an Henry gewandt, der gleich darauf die Lippen schürzt.

»Tut mir leid, ich habe noch einen Termin.«

Henry steht auf, kaltes Wasser schwappt um mich herum, was mich frösteln lässt. Schnell entsteige auch ich der Wanne und will nach einem Handtuch greifen, doch mein Gast kommt mir zuvor und wickelt mich in ein schwarzes Flanellhandtuch.

»Danke«, bringe ich leise hervor.

Henry schenkt mir ein aufrichtiges Lächeln, bevor er sich trocken reibt und in seinen maßgeschneiderten Anzug schlüpft. Ich setze mich auf den Wannenrand und beobachte jede seiner Bewegungen.

»Danke für deine Zeit«, verabschiedet er sich und verlässt das Bad.

Ich folge und will ihm die Krawatte neu binden, doch er steckt sie lediglich in seine Tasche und legt das Jackett, an einem Finger baumelnd, über seine Schulter.

»Darf ich wiederkommen?«, fragt er, als er schon fast bei der Tür ist.

Mein Herz macht einen eigenartigen Hüpfer, als er mich mit seinen unergründlichen Augen so unsicher mustert.

Ich würde nie zu einem Kunden sagen, dass ich ihn nicht mehr sehen will, aber bei Henry ist dies nicht einmal gelogen.

»Das würde mich sehr freuen«, erwidere ich deshalb, trete neben ihn und entriegle das Türschloss.

Henry neigt verabschiedend das Haupt, trägt ein leichtes Lächeln zur Schau und wünscht mir eine gute Nacht, bevor er in der Düsternis des Ganges verschwindet. Mit einem Mal taucht sein schönes Gesicht erneut auf.

»Keine hastigen Bewegungen, ein bis zwei weitere Massagen und ein Wärmepflaster für den Tag, dann sollte der Rücken schnell wieder besser werden.«

»Danke, Henry.«

Er nickt erneut, ich schließe die Tür hinter ihm und nehme mir vor, das Zimmer auf Vordermann zu bringen, nachdem ich mich wieder in mein Arbeitsoutfit gequetscht habe.

Mit dem Bad bin ich bereits fertig und widme mich soeben dem Bett, als die Tür auffliegt und Lynn in den Raum prescht.

»Na?«, fragt sie, schwingt die Hüften und zieht das Wort so sehr in die Länge, dass es nervt. »Wie war er?«

»Nett«, antworte ich wahrheitsgemäß und stopfe das Ende des Lakens unter die Matratze.

»Nett? Was meinst du mit nett?!«

»Was glaubst du, was ich meine?«, entgegne ich, richte mich auf und betrachte mein Werk.

»Ob er dir das Hirn rausgevögelt hat, will ich wissen, was denn sonst?«

Lynn lässt sich auf das Bett fallen und rekelt sich verführerisch auf dem frischen Betttuch.

»Wir hatten keinen Sex«, kläre ich sie auf.

Verdutzt hält sie in ihren Bewegungen inne. Ihr angehobenes Becken reckt weit in Richtung Betthimmel. »Bitte? Was habt ihr zwei Stunden lang getrieben?«

»Ein Bad genommen«, sage ich wahrheitsgemäß und werfe mich neben sie, sodass unsere Körper auf der Matratze auf und ab wippen.

»Scheiße«, raunt Lynn enttäuscht. »Den sehen wir nie wieder.«

Abwarten.

Kapitel 2

 

Auf der Suche nach jemandem, der mir die Langeweile nimmt, schlendere ich ein paar Tage später durch den Empfangsbereich des ›Zum schwarzen Mond‹. Ich entdecke Lynn ganz am Ende der Bar. Sie bereitet einem Kunden Freude, indem sie mit der Hand unverblümt das Gemächt des sehr jung aussehenden Vamps verwöhnt.

Dann gleitet meine Aufmerksamkeit zu einem Neuankömmling. Blonde, lange Haare, Bikerklamotten, stechender Blick. Der Kerl kommt so schnellen Schrittes durch den Vorhang aus dem Bereich für die Sicherheitskontrollen gerast, dass ich annehme, seine Eier würden explodieren, sollte er nicht augenblicklich etwas vögeln.

Mich, in dem Fall, denn ich mache einen Ausfallschritt und versperre ihm den Weg.

»Hallo, Hübscher«, säusle ich und zeige meinen besten Augenaufschlag.

Er springt sofort darauf an. Bei meiner Begrüßung blitzen seine spitzen Eckzähne in einem leichten Lächeln hervor.

Er greift nach meinem Oberarm und zerrt mich förmlich zur Treppe, hinauf in die erste Etage.

Da hat es jemand wirklich eilig. Mehr als ein Quickie wird daraus wohl nicht resultieren.

»Wo ist dein Zimmer?«, fragt er atemlos und beginnt beim Gehen meinen Hintern zu kneten.

Am oberen Ende der Treppe deute ich nach rechts und wir hasten gemeinsam den Gang entlang.

Blondie öffnet bereits seine Hose, als ich noch dabei bin, die Tür in meine Räumlichkeiten zu öffnen.

Der schwere Duft von vampirischem Räucherwerk wabert durch den Raum, als mein Kunde Tür und Schloss derart stark hinter uns zuknallt, dass der Kronleuchter wackelt und die gläsernen Lampenschirme leise klimpern.

Ich habe kaum Zeit zu reagieren. Mit vampirischer Schnelligkeit werde ich an der Taille gepackt, herumgewirbelt und gegen das massive Holz der edlen Tür gedrückt. Sein Körper presst sich gegen meinen, seine Erektion drückt hart gegen meinen Bauch. Die Hände des Vamps massieren meinen Busen, bevor sie in südlichere Richtung gleiten.

Ein leises Stöhnen entweicht mir, als er mein Höschen zur Seite zieht und einen Finger in mich schiebt. Sein Daumen streichelt dabei in kreisenden Bewegungen über meine lustvollste Stelle und ich werfe angeturnt den Kopf in den Nacken.

Alles klar, ich bin scharf auf ihn. Bei ihm brauche ich kein Gleitgel.

Während kalte Lippen gegen meinen Hals gepresst werden, spüre ich einen Ansatz von Eckzahn, der über meine Haut schrammt, jedoch ohne diese zu verletzen.

Moment!

Ich packe sein langes Haar und reiße seinen Kopf in den Nacken, sodass er mich ansehen muss. Gegen Vampirstärke komme ich eigentlich nicht an, mein Glück, dass er es knurrend geschehen lässt.

»Siehst du das?«, frage ich leise und deute mit der anderen Hand auf die nackte Stelle an meiner Schulter. Sein lustverklärter Blick folgt meinem Fingerzeig. »Keine Lilie. Du weißt, was das bedeutet?«

Blondie nickt, lässt von meiner Mitte ab – nein, mach weiter! – und fummelt stattdessen an den Ösen meiner Corsage herum. Er will mich küssen, doch ich drehe den Kopf zur Seite.

»Sag es«, fordere ich.

»Ficken ja, saugen nein«, antwortet er artig.

»Braver Junge«, hauche ich, streichle seinen Hinterkopf und drücke zur Belohnung meine Lippen gegen seine.

Kalte Hände greifen mich erneut und zerren mich zum Bett. Schnell steigt Blondie aus der viel zu eng gewordenen Jeans und lässt sich auf das Bett fallen, was mir Zeit gibt, seinen erigierten Penis zu betrachten.

Alles in Ordnung, er ist gut bestückt. Irgendwie fühle ich mich bei dem prallen Anblick an meinen Lieblingsvibrator erinnert.

»Reite mich«, knurrt er und lehnt sich abwartend zurück.

Rasch schlüpfe ich aus meinem Höschen und lasse es zu Boden fallen, bevor ich auf ihn krabbele und meine Knie gegen seinen Oberkörper presse. Kurz beneide ich ihn um sein ›Guns n’ Roses‹-Shirt, doch dann übernimmt pure Lust die Kontrolle, als ich mich auf seine Mitte setze und er in mich gleitet.

Ja, wir tun es ohne Gummi. Vampire können keine Krankheiten übertragen, geschweige denn Babys machen.

Blondies Knurren wird zu einem rauen Stöhnen, als er meine Hüften packt, die ich nach allen Regeln der Kunst kreise, um ihn noch weiter zu stimulieren. Ich sehe in seine Augen, beuge mich nach vorn und stütze meine Unterarme neben seinen Oberkörper, während er dazu übergeht, seine Hände an meinen Hintern zu legen und somit das Tempo vorzugeben.

Die Minuten vergehen, akustisch untermalt durch unser gemeinsames lustvolles Stöhnen.

»Jetzt bin ich dran«, fordert er schließlich, richtet sich mit mir auf und ändert unsere Position.

Nun liege ich unten und spreize die Beine, als er mich in die Kissen drückt. Mit jedem Stoß füllt er mich zur Gänze aus, dringt so tief in mich ein, dass ich die sinnlichen Seufzer nicht einmal spielen muss.

Blondies Rhythmus wird schneller, seine Bewegungen unkontrollierter, das Pulsieren zwischen meinen Beinen immer stärker. Er wird gleich in mir kommen, also kralle ich meine Finger in sein Shirt und bäume mich ihm entgegen. Jeder Muskel meines Körpers ist angespannt, um ihn noch mehr zu erregen und somit zum Höhepunkt zu bringen. Mit Erfolg.

Als er sich in mir ergießt, breitet sich Kälte in meinem gesamten Körper aus. Ein Gefühl, an das man sich gewöhnen muss, wenn man Vampsex hat.

Kaum ebben die Wellen seiner Lust ab, entzieht er sich mir und schlüpft in seine Jeans.

»Danke«, ruft er mir noch zu, entriegelt die Tür und lässt mich keuchend und allein zurück.

Ja, wenn jede Minute zählt, haben es einige Freier nach dem Orgasmus schrecklich eilig. Da ist er nicht der Einzige.

Ich widerstehe dem Drang, selbst Hand anzulegen und zu Ende zu bringen, was Blondie begonnen hat. Da es wirklich nur ein Quickie war und ich kaum gefordert wurde, kann ich heute Nacht gut und gern mindestens fünf Runden drehen. Ich komme schon irgendwie auf meine Kosten.

 

Gerade schließe ich die Badezimmertür hinter mir, als ich erschrocken zurücktaumle und gegen das massive Holz knalle.

Auf der Bettkante sitzt ein zartes Mädchen, kreidebleich, mit blutverschmiertem Hals, glasigen Augen, aber einem Lächeln im Gesicht, als hätte sie das Himmelreich gesehen.

»Lynn!«, zische ich sie an und schürze die Lippen.

Ich heiße es nicht gut, wenn sie sich aussaugen lässt, sage aber nichts dazu, denn das ist ihre Sache. Trotzdem gleitet mein Blick kurz über ihre blutende Kehle. Da, wo die Fänge ihres Freiers die Haut durchbohrt haben, klaffen aufgefetzte Wunden. Enzyme im Vampirspeichel sorgen dafür, dass sich diese schnell wieder schließen. Ich finde den Anblick dennoch grauenhaft.

»Ich hatte gerade den besten Fick meines Lebens«, lallt sie und ich verdrehe die Augen. Toll. Ihr letzter Kunde hat auch noch zu viel getrunken. »Der Kerl hat mich gerammelt wie ein Wahnsinniger. Aber ich fand’s geil, so geil!«

»Besorgen wir dir erst einmal eine Bluttransfusion«, schlage ich vor, gehe zu ihr und will ihr auf die Beine helfen, doch sie wehrt sich und sieht plötzlich aus wie ein halb zu Tode gehetztes Wild.

»Das kann warten«, ruft sie aus und packt mich an den Oberarmen. Obwohl das ausgetretene Blut bereits geronnen an ihrer Haut klebt, steigt mir metallischer Geruch in die Nase. »Wir haben gerade ein viel größeres Problem.«

Gelangweilt setze ich mich neben sie und fange an, beruhigend auf sie einzureden. »Nein, du wirst jetzt nicht zum Vampir. Die ewige Jugend kannst du dir für heute Nacht abschminken. Der Blutverlust macht dich nur blöd, aber nicht zur Vampirbraut. Dafür hättest du Vampirblut trinken müssen. Und das hast du schließlich nicht, oder?«

Ich weiß nicht, wie oft wir diese Unterhaltung bereits geführt haben. Es ist jedes Mal, als würde Lynn spontan an Demenz erkranken, wenn sie sich beißen lässt.

»Nein«, schmollt sie, tatsächlich etwas betrübt. »Aber das meine ich nicht.« Sie sieht mich mit ihren großen blauen Augen wie vom Schlag getroffen an.

Ich bin noch immer nicht von der Dringlichkeit ihres Anliegens überzeugt. Lynn macht aus einer Fledermaus bekanntlich oftmals einen Werwolf.

»Was ist es denn?«, frage ich, lasse mich nach hinten auf das Bett fallen und sehe in einer schemenhaften Erinnerung Blondie über mir auftauchen.

Zwischen meinen Beinen beginnt es zu kribbeln.

Lynn, offenbar unfähig, tatenlos sitzen zu bleiben, taumelt hinüber zu meinem antiken Schminktisch. Dort tigert sie rastlos ein paar Schritte hin und her, bevor sie es sich anders überlegt und auf dem gepolsterten Stuhl davor Platz nimmt.

»Du weißt, dass Maria übers Wochenende in Paris ist?«

»Ja«, sage ich lang gezogen. Maria nennt es Geschäftsreise, wir nennen es hinter vorgehaltener Hand Täubchenrekrutierung, da wir nach Marias Reisen meist neue Kolleginnen mit exotischem Akzent bekommen. »Und sie wird nicht vor Montag wieder hier sein.«

»Richtig«, stimmt Lynn mir mit zittriger Stimme zu und wirkt absolut verzweifelt.

»Warum ist das wichtig?« Ich drehe meinen Kopf so, dass ich sie gut im Blick habe, obwohl sie mich nicht beachtet, sondern einen Punkt irgendwo in der Raummitte fixiert, den nur sie erkennen kann. »Wir schaukeln den Laden für ein paar Tage auch ohne sie.«

Mit einer fahrigen Geste streicht sie sich das kurze Haar aus der Stirn. Dabei bemerke ich getrocknetes Blut, das an ihren Fingern klebt.

»Nehmen wir einmal an, dass ihr alter Freund auf sie wartet. Ausgerechnet heute. Hier und jetzt, in ihrem Zimmer.«

Ich werde hellhörig und richte mich zur Hälfte auf, indem ich mich auf meine Unterarme stütze. »Wieso sollten wir das annehmen?«

»Weil ich gesehen habe, wie Antonia, diese nichtsnutzige Kuh, ihn hinaufgeleitet hat. Weißt du, was das heißt?«

Ich zeige keine Reaktion, und wie erhofft spricht Lynn einfach weiter.

»Wenn Maria nicht greifbar ist, müssen wir ihn wegschicken. Er wird furchtbar ungehalten sein und derjenigen, die ihm die Nachricht überbringt, wahrscheinlich sogar die Kehle zerfetzen. Maria wird nach ihrer Rückkehr von unserer Unfähigkeit erfahren und uns alle töten. Oder schlimmer … Sie wird uns feuern und wir …«

»Stopp«, unterbreche ich ihre Ausführungen, bevor sie noch beginnt zu hyperventilieren. Ihre blühende Fantasie tut ihr gerade nicht sonderlich gut. Ich richte mich zu voller Größe auf. Mit Schuhen sind das immerhin stattliche eins fünfundsiebzig. Ja, ich bin ein Riese. »Wir schicken niemanden unverrichteter Dinge weg. Wir machen es einfach wie immer, wenn ein Stammkunde urplötzlich auftaucht und sein Lieblingsmädchen nicht greifbar ist.«

Lynn sieht mich an, als wäre der Leibhaftige in mich gefahren. Vielleicht ist er das auch. Das weiß man manchmal nie so genau.

»Wir sollen ein anderes Mädchen zu ihm schicken?!«

Ich hebe die Schultern zu einem Zucken. »Wieso nicht?«

Lynn beginnt, auf ihren Nägeln zu kauen und meinen Vorschlag abzuwägen.

»Ja«, sagt sie letztendlich in Gedanken versunken. Sie nickt abwesend und ich bin mir nicht sicher, ob diese Bewegung ihrem Schwindelgefühl guttut. »Das könnte funktionieren.«