Tessy und die Hörigkeit der Malerin - Lara Wolf - E-Book

Tessy und die Hörigkeit der Malerin E-Book

Lara Wolf

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Beschreibung

Detektivin Tessy lässt sich faszinieren von der schönen Malerin, die gewagte sexuelle Experimente liebt. Doch ein dunkles Geheimnis umgibt die Künstlerin. Ist sie bloß Zeugin - oder Verdächtige in einem mysteriösen Mordfall im Berliner Antiquitätenhändler-Milieu? Zu spät bemerkt Privatermittlerin Tessy, dass ihre Nachforschungen längst verraten worden sind. Schnell geht es für Tessy nicht mehr um einen toten Neffen oder die faszinierende Malerin, sondern das eigene Leben. Wenig ist, wie es scheint in der verschwiegenen Berliner Antiquitätenszene. Vor Ex-Journalistin Tessy tun sich Abgründe auf: In mondänen Villen lassen Geschäftsleute ihre Sexfantasien Wirklichkeit werden. Frauen geben ihre Körper und glauben, Liebe dafür zu bekommen. Stattdessen streift der Tod durch die edel ausgestatteten Zimmer und nimmt sich, wen er kriegen kann. „Rätselhafte Frauen, prickelnde Szenen, ein überraschendes Ende - beste Unterhaltung. Neuer Erotik-Krimi mit der Berliner Privatermittlerin Tessy.“ - „Tessy lebt und liebt auf jeder Seite. Ich konnte nicht aufhören zu lesen.“ - „Schaudernd-fasziniert folgt man der kessen Detektivin mit dem lockeren Liebesleben in die Abgründe menschlicher Sexualität.“ (Stimmen aus Der Bücherfreund, Nightlounge, Maximilian Kettler, Darmstädter Anzeiger)

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Tessy und die Hörigkeit der Malerin

Aus der Reihe "Erotischer Krimi"

Von Lara Wolf

Besuchen Sie die Internetseite der Autorin:

lara-wolf.net

Ungekürzte Originalveröffentlichung

FS-Verlag Edition Störtebeker

1. Kapitel

Tessy hob die Hand und winkte dem Taxi hinterher, bis es um die Ecke gebogen war. Kaum drei Wochen hatte es Edgar in Berlin ausgehalten, bevor er unruhig geworden war, und es ihn nun wieder nach Bayern zu seinem Wildkatzenprojekt zog. Der Abschied fiel ihm umso leichter, als seine Nichte bei der Versorgung seines kleinen Häuschens am südlichen Berliner Stadtrand und der Katzen Pepper und Chili bislang durchaus Talent bewiesen und ihn sogar zum erneuten Aufbruch ermutigt hatte.

Tessy ging durch den Garten ins Haus zurück und schwankte zwischen leiser Wehmut, ihren kauzigen Onkel, der ihr wie kein anderes Familienmitglied am Herzen lag, schon wieder ziehen lassen zu müssen, und einer gewissen – ja: zumindest unterschwelligen Erleichterung, von der sie hoffte, dass sie ihr nicht an der Nasenspitze abzulesen war. Edgar war und blieb ein Chaot – ein liebenswerter zwar, aber ein Chaot, der Tessys in den Wochen zuvor mühsam erarbeitete Grundordnung und Sauberkeit innerhalb weniger Tage schlicht zunichte gemacht hatte. 

Sie seufzte leise. Es ist sein Haus, rief sie sich in Erinnerung. Edgar hatte Tessy einige Monate zuvor aufgenommen, als sie ihren Job bei der Zeitung verloren hatte und das Geld immer knapper geworden war. Glücklicherweise war ihre berufliche Neuorientierung von der Journalistin hin zur Privatdetektivin von Erfolg gekrönt gewesen, und auf ihrem Konto herrschte inzwischen auch wieder eitel Sonnenschein. Kerstin Riemer – gute Freundin und erste Auftraggeberin – hatte sich nicht lumpen lassen, als es Tessy in ihrer üblichen draufgängerischen Art gelungen war, die Gründe aufzuklären, die zum grausigen Tod des Ehemanns von Kerstin Riemer geführt hatten.

Was Tessy in der letzten Zeit gefehlt hatte, war ihr intimer Freiraum gewesen. Besuche von Dirk Hanter oder von Gertrud waren zumindest spontan nicht möglich. Sie waren eigentlich gar nicht möglich. Tessy war alles andere als prüde, aber aufregende und laute Liebesspiele, während Edgar nebenan Zeitung las, mit seinem alten Freund in Bayern telefonierte oder ein Nickerchen machte oder zu machen versuchte, waren einfach nicht ihr Ding. Also war sie meist bei Gertrud gewesen oder hatte sich mit Dirk getroffen.

Sie goss sich einen frischen Kaffee ein und lächelte, als sie an das letzte Intermezzo mit dem smarten Kommissar dachte – vor gerade mal zwei Tagen. Auf dem Rücksitz eines Polizeiwagens zu vögeln, war ein echtes Highlight gewesen, zumal Dirk sich anfangs – mal wieder – unglaublich geziert hatte … Bis sie während der Fahrt einfach seine Hose geöffnet und begonnen hatte, seinen Schwanz zu massieren, der reizenderweise Dirks empörte Abwehrversuche Lügen gestraft hatte. Plötzlich war er sehr eilig auf einen unbeleuchteten Parkplatz in der Nähe des Teltowkanals abgebogen, und im gleichen Augenblick, als der Motor erstarb, hatte sie sich über seinen Schoß gebeugt und seinen steil aufgerichteten Schwanz in den Mund genommen. Er war sensationell hart geworden und ihre Sehnsucht, seine kräftigen Stöße in ihrer feuchten Möse zu spüren, war immer größer geworden. Schließlich hob sie den Kopf, grinste frech und kletterte dann auf die Rückbank, wo sie sich kurzerhand der Jeans und des Höschens entledigte. Dirk starrte sie verdutzt an.

„Du bist verrückt! Wenn jemand kommt …“

„Es ist fast dunkel“, erwiderte Tessy leise. „Und falls doch jemand hier anhält und ganz zufällig einen Blick durchs Seitenfenster wirft, während wir beide so richtig schön zugange sind, habe ich auch schon eine passende Erklärung.“

„Ach ja? Da bin ich ja mal gespannt!“

„Ich werde ihm sagen, dass du mich zur Vernehmung abgeholt hast und mich vorher ordentlich ficken willst!“

„Sehr komisch!“ Dirks Blick sprach Bände.

Tessy lachte schallend. Der Kommissar teilte nicht immer ihre Art von Humor – schon gar nicht wenn es um Sex ging. Er hielt kurz inne, stieg schließlich aus, knallte die Tür zu und war Augenblicke später zu ihr auf die Rückbank geklettert. Er schob sich zwischen ihre Beine und blickte sie einen Moment stumm an, bevor sein Schwanz mit einem kräftigen Stoß in ihre nasse Höhle eindrang …

Das Telefonklingeln unterbrach Tessys lebhafte Erinnerungen, und während sie den Hörer abnahm, spürte sie, dass ihr Puls gestiegen und ihr Höschen feucht war. „Ja, Tessy Ritter. Was kann ich für Sie tun?“

„Och, eine ganze Menge, Süße, und du darfst gerne beim Du bleiben“, antwortete Gertrud, und ihrer Stimme war das Schmunzeln anzuhören.

Tessy lachte auf. „Wie schön, dass du anrufst! Wann können wir uns sehen?“

„Bald, sehr bald sogar. Wie sieht eigentlich deine Terminplanung für die nächsten Wochen aus?“

Tessy stutzte. „Hast du Wochen gesagt? Erzähl mir nicht, dass du so lange ausgebucht bist!“

„Quatsch! Meine Frage zielt darauf hin, ob du bereits einen neuen Auftrag in Sicht hast, nachdem dein Einstieg als Privatdetektivin ja ziemlich grandios war.“

„Ehrlich gesagt: nein“, entgegnete Tessy. „Ich habe mich allerdings auch noch nicht weiter bemüht. Die kleine Auszeit nach der Aufregung hat mir ganz gut getan – außerdem war Edgar …“

„Das weiß ich doch längst“, unterbrach Gertrud sie. „Dein Onkel macht Berlin wieder unsicher.“

„Bis eben jedenfalls. Nachdem er die alten chaotischen Verhältnisse in seinem Haus wieder hergestellt hat, ist ihm allerdings schnell langweilig geworden.“ Tessy sah auf die Uhr. „Vor ziemlich genau zehn Minuten hat er sich erneut auf den Weg nach Bayern gemacht.“

„Demnach räumst du jetzt ein paar Stunden auf, hast dann Zeit und außerdem wieder eine sturmfreie Bude?“, schlussfolgerte Gertrud.

„Ich hätte auch sofort Zeit ... Worauf willst du eigentlich hinaus?“

„Nun, es könnte sein, dass dein nächster Auftrag winkt“, erklärte Gertrud. „Kennst du dich mit Antiquitäten aus?“

Tessy ließ sich in einen Sessel fallen und fuhr sich durchs Haar. „Nicht wirklich.“

„Macht nichts“, erwiderte ihre Geliebte. „Gestern ist mir in meiner Lieblingskneipe eine … na: sagen wir alte Bekannte über den Weg gelaufen, die mir auch prompt ihr übervolles Herz ausgeschüttet hat – mehr als mir lieb war, um ehrlich zu sein.“ 

„Du meinst: eine Verflossene?“

„So könnte man es auch sagen. Paula und ich hatten mal was miteinander – für sie war es innerhalb kürzester Zeit die ganz große Liebe, wohingegen ich …“

„Verstehe – das alte Lied.“

„Genau. Wir haben uns getrennt.“

„Und was hat die Verflossene mit Antiquitäten und einem eventuellen Auftrag zu tun?“, hakte Tessy nach.

„Paula hatte bis vor kurzem einen Job als Buchhalterin und Sekretärin bei einem Antiquitätenhändler in Schmargendorf“, berichtete Gertrud. „Ein alteingesessenes und gut gehendes Geschäft, das der jetzige Inhaber Philipp Sommer vor einigen Jahren von seinem Vater übernommen hat. Paula ist gefeuert worden, weil sie einige Unregelmäßigkeiten in der Rechnungslegung entdeckt hat. Sie ist ziemlich empört. Außerdem hat sie den Eindruck, dass in dem Laden einiges nicht mit rechten Dingen zugeht – und damit steht sie nicht allein.“

„Aha“, kommentierte Tessy lahm. „Könntest du etwas konkreter werden?“

„Nö. Aber Paula kommt morgen Abend bei mir im Laden vorbei. Ich schlage vor, dass du dich zu uns gesellst, und sie kann selbst erzählen, was los ist. Wundere dich aber bitte nicht: Sie ist ziemlich von der Rolle, zumal bei ihr familiär auch noch die Kacke am Dampfen ist – der Sohn ihrer Schwester ist verschwunden, und man vermutet Übles, weil Robin ein Junkie ist.“

„Ach du liebe Güte.“

„Genau. Du kommst also?“

„Wann genau?“

„Um acht rum. Nein: um sieben. Dann haben wir noch etwas Zeit – wenn du verstehst, was ich meine.“

„So gut wie gar nicht.“

„Hat dich dein Kommissar in letzter Zeit nicht verwöhnt?“

„Schon – er ist durchaus begabt, aber, und das bleibt hoffentlich unter uns, seine Zunge kann mit deiner nicht mal im Entferntesten mithalten.“

Gertrud lachte, und Tessy lief ein Schauer über den Rücken. Wenig später beendeten sie das Telefonat.

Tessy glaubte zu diesem Zeitpunkt nicht einen Moment daran, dass Gertruds Verflossene tatsächlich für einen neuen Ermittlungsauftrag sorgen könnte. Sie beschäftigte sich mit diesem Gedanken erst gar nicht, wohingegen die Vorstellung, am nächsten Abend mit Gertrud zusammenzutreffen und deren Qualitäten als Liebhaberin genießen zu dürfen, ihre Fantasie beträchtlich anheizte.

Den Rest des Tages schwelgte sie in Vorfreude und nutzte den Schwung für den dringend nötigen Hausputz.

Pünktlich sieben Uhr abends klingelte Tessy am Hintergang von Gertruds Motorradladen in Berlin Mitte.

„Ich bin im Bad“, hörte sie Gertrud von weitem rufen. „Unter der Dusche.“

Tessy ging durch die Werkstatt nach vorne ins Büro, von wo ein schmaler Flur abzweigte, der zu Teeküche und Bad führte. Das Geräusch prasselnden Wassers war gut zu hören, dazu Gertruds dunkle Baritonstimme. So schön ihre Stimme auch klang – Singen gehörte nicht zu den herausragenden Begabungen der athletisch gebauten 50jährigen. Tessy schob die Badezimmertür auf, im nächsten Moment lugte Gertruds tropfnasser Kopf um die Ecke. Sie strahlte. „Heute schon geduscht?“

„Natürlich nicht.“

Keine halbe Minute später ließ Tessy sich vom heißen Wasserstrahl den Rücken massieren, während Gertrud ihren Bauch und ihre Brüste einseifte. Dann trat sie dicht an Tessy heran und schob ihr mit einem Knie die Beine auseinander, um duftende Lotion auf ihrem Schoß zu verteilen und dabei ihre Lippen zu liebkosen. Tessy lehnte sich mit dem Rücken an die Duschwand. Ihre Knie wurden weich, als Gertrud mit drei seifigen Fingern in ihre Möse eindrang und sich vorbeugte, um in ihre Nippel zu beißen. Tessy stützte sich mit einem Fuß an der gegenüberliegenden Wand ab, so dass Gertrud genügend Bewegungsfreiheit hatte, um kraftvoll stoßen zu können. Aber noch glitt sie nur sanft rein und wieder raus, rein und wieder raus. Tessy zog Gertruds Kopf zu sich heran und küsste sie, suchte nach ihrer Zunge, den kräftigen Zähnen und wunderbaren Lippen. Rein und wieder raus, rein und wieder raus – gleitend, behutsam stoßend.

„Mehr“, flüsterte Tessy, und heißes Wasser umspülte ihre Worte.

„Mehr?“

„Ja – und nicht so sanft. Du kennst doch meine Vorlieben.“

Gertrud lachte und drang mit ihren Fingern so weit wie nur möglich ein. Tessy hielt den Atem an. Mit der anderen Hand begann Gertrud Tessys Pobacken zu massieren, ihren Anus zu umkreisen, um schließlich einen vorwitzigen Finger hineinzuschieben. Tessy blinzelte erstaunt. Gertrud bewegte den hinteren Finger mit großer Zartheit, während sie Tessys Möse endlich mit immer stärkeren und schnelleren Stößen zu verwöhnen begann. Tessy seufzte, stöhnte, lechzte nach mehr und kam schließlich mit einem lauten Schrei.

Als sie wieder zu Atem gekommen war, setzte Gertrud sich provozierend lächelnd mit weit gespreizten Beinen auf den Boden der Duschwanne und stützte ihre Füße auf dem Wannenrand ab. Tessy nahm nach kurzem Überlegen den Duschkopf und kniete sich zwischen Gertruds Beine. Sie richtete den heißen Strahl sanft auf die Lippen und beugte sich vor, um Gertruds Knospe in den Mund zu nehmen und an ihr zu saugen. Als ihr Stöhnen deutlicher lauter wurde, griff Tessy kurzerhand nach einer langstieligen Bürste. In Gertruds Augen blitzte es auf. Sie fuhr mit der Zungenspitze über ihre Unterlippe und lächelte. „Reizende Idee. Nur zu, meine Schöne.“

Tessy führte den Stiel vorsichtig in Gertruds weit geöffneten Schoß, ohne sie auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen, während sie beide von heißem Wasserdampf eingehüllt wurden.

„Das machst du richtig gut, kleine Ermittlerin“, flüsterte Gertrud. „Und nun leg los – Blümchensex ist out.“

„Was ist denn in?“, fragte Tessy und begann den Stiel zu bewegen.

„Ein anständiger Fick unter zwei schönen Frauen!“

Gertrud brauchte keine Minute, um ihren Orgasmus hinauszuschreien. Als Tessy den Wasserhahn abdrehte und nach zwei Handtüchern griff, hörte sie die Türklingel.

„Perfektes Timing – das dürfte Paula sein.“ 

2. Kapitel

Der Junge war achtzehn, neunzehn. Höchstens. Er trug verwaschene Jeans, ein dunkelblaues T-Shirt, das auch schon bessere Tage gesehen hatte, und billige Sportschuhe. Sein Haar war strähnig. Simon hatte angenommen, er würde nur einen Moment gelangweilt die Auslage begutachten, um dann mit tief in den Taschen vergrabenen Händen weiter in Richtung Bushaltestelle zu schlurfen. Aber das tat er nicht. Er blieb stehen und betrachtete die Biedermeierkommode, die in der Mitte des Schaufensters stand, als würde sie ihn wirklich interessieren. Plötzlich blickte er hoch, und einen Moment lang erschrak Simon über das Lächeln, das sich auf dem jungen, mageren Gesicht ausbreitete. Ein selbstbewusstes Lächeln, das zu allem Überfluss von einem Zwinkern begleitet wurde. Als würden sie sich kennen. Simon verschränkte die Arme vor der Brust und spannte die Muskeln an, als der Junge zu seiner Verblüffung die Tür öffnete. Niemand sonst war im Geschäft.

„Hey“, sagte der Junge betont locker. „Geile Sachen habt ihr hier.“ Er wandte sich einer zweitürigen, gut einhundertdreißig Jahre alten Glasvitrine zu und strich behutsam über das blanke Zirbelholz. „Ein Geschäftsfreund eines guten Freundes von mir ist neuerdings ganz verrückt nach diesem alten Zeug. Möbel, Uhren, irgendwelcher Krempelkram, wenn du verstehst, was ich meine. Die ganze Bude steht schon voll mit Antiquitäten. Komisch, für was die Leute sich so begeistern können.“ Er grinste und blickte Simon mit erhobenem Kinn an. „Ich habe mitbekommen, dass man bei euch so richtig gut einkaufen kann.“

Simon zwang sich, das Lächeln zu erwidern, und zog die Achseln hoch. Die völlig unpassende Souveränität des Jungen verunsicherte ihn – nein, das war höchstens die halbe Wahrheit: Ein Anflug von Panik schnürte ihm einen Moment den Hals zu, aber er hatte früh gelernt, seine Gefühle zu beherrschen. 

„Qualität spricht sich eben herum“, erwiderte er vorsichtig. Seine Stimme klang fest, freundlich, abwartend. „Wer hat uns denn weiterempfohlen?“

Der Junge warf den Kopf zurück und lachte. „Kann ich mir denken, dass dich das interessiert. Kommen wir ins Geschäft?“

Simon lächelte. „An einem guten Geschäft bin ich immer interessiert.“

„Das dachte ich mir.“

„Kannst du etwas konkreter werden?“

„Klar: Mein Bedarf an Möbeln ist gedeckt, wenn du verstehst, was ich meine.“ Der Junge nickte eifrig, grinste wieder und sah sich kurz um. „Wann?“, fügte er dann leise hinzu.

Simon musterte ihn eindringlich. „Nicht hier und jetzt“, erwiderte er dann ebenso leise.

„Klar. Verstehe.“

„Das ist gut. Wie heißt du?“

Der Junge grinste wieder. „Nenn mich Rob.“

Simon grinste zurück. Wenn Rob nicht so verwahrlost wäre, könnte er direkt hübsch aussehen.

Simon erzählte Philipp nichts von dem Vorfall. Er schmiedete auch keine konkreten Pläne, sondern traf nur einige flüchtige, fast nebensächliche Vorbereitungen, um im Fall der Fälle handeln zu können. Als er am späten Abend in einer Pizzeria in Kreuzberg auf Rob wartete, spürte er die seltsame Gewissheit, dass er im entscheidenden Moment schon das Richtige tun würde. Selbstbewusstsein und Gelassenheit sind die Grundpfeiler überlegten Handelns, zitierte er in Gedanken eine von Philipps Lieblingsweisheiten und lächelte. Simon war lässig und unauffällig gekleidet, und er wirkte jünger als vierunddreißig Jahre. Die Jeans spannte über seinen muskulösen Oberschenkeln. Er bestellte einen leichten Weißwein. Das war kultiviert, hatte Stil – sagte Philipp. Im Antiquitätengeschäft waren Kultiviertheit und Stil das A und O.

Rob kam über eine halbe Stunde später als vereinbart. Und sah genauso aus wie am Vormittag – schlampig und verwahrlost. Simon spendierte ihm eine Pizza, Eis zum Nachtisch und Grappa. Er merkte sofort, dass der Junge nicht viel Alkohol vertrug, sich aber genierte, die Drinks abzulehnen.

„Okay, lass uns zum Geschäftlichen kommen“, sagte Rob eine Stunde später schließlich, und er gab sich redlich Mühe, deutlich zu artikulieren.

„Klar, aber nicht hier in der Kneipe“, erwiderte Simon, winkte der Kellnerin und bezahlte.

Sie gingen nach draußen. Der Junge schwankte ein wenig und hüstelte verlegen. Erst in diesem Augenblick überlegte Simon konkret, wie er es am besten anstellen konnte, und er war verwundert, wie emotionslos der Gedanke daher kam, und später, wie leicht es war, ihn Stück für Stück in die Tat umzusetzen. Wie in einem Dominospiel, nur dass er selbst den ersten Stein gar nicht angeschubst hatte. Simon schloss den Wagen auf, den er in einer Nebenstraße geparkt hatte, und Rob stieg ein.

„Wohin fahren wir?“

„Lass dich überraschen.“

Simon startete den Motor und fuhr in Richtung Neukölln. Der Junge lehnte sich in den Sitz zurück. Falls ihn die nächtliche Fahrt verwunderte oder gar misstrauisch stimmte, ließ er sich nichts anmerken, oder aber der Alkohol besänftigte sämtliche Zweifel in ihm. Auf dem verlassenen, durch eine dichte Hecke geschützten Parkplatz vor einer Kleingartensiedlung hielt Simon an.

„Gute Tarnung“, sagte Rob bewundernd. „Hast du hier eine Bude für deine Geschäfte? Da kommt echt kein Mensch drauf.“

Simon lächelte und wandte sich dem Jungen zu. Einen Moment betrachtete er den verletzlichen Mund, dann, bevor ihn ein Gefühl der Sanftheit oder Nähe überkommen konnte, schlug er blitzschnell zu. Als erfahrener Kickboxer wusste er, wie er Rob mit einem einzigen gezielten und nicht einmal besonders harten Handkantenschlag auf die richtige Stelle am Hals für Minuten außer Gefecht zu setzen hatte. Rob gab keinen Mucks mehr von sich.

Simon blieb einen Augenblick neben ihm sitzen, dann stand er abrupt auf, öffnete den Kofferraum und holte das Besteck aus einem Innenfach der Werkzeugtasche. Die Spritze war gut gefüllt. Er setzte sie an der linken Armbeuge an, wo es schon mehrere Einstichstellen gab. Für Philipp, dachte er und schämte sich für diesen melodramatischen Gedanken, obwohl er wusste, dass er der Wahrheit entsprach. 

Er stach die Spitze unter die Haut und traf die Vene. Es würde schnell gehen. Und schmerzlos. Auf einem bunten Heroincocktail hinüber gleiten in einen endlos langen Traum – das war nicht der übelste Tod. Kein Blut, kaum Spuren. Alles konnte weitergehen wie bisher. Wie einfach es war, einen Menschen zu beseitigen. Frühestens morgen Vormittag würde einem aufmerksamen Spaziergänger auffallen, dass der Junge nicht schlief, sondern tot war, aber die näheren Umstände seines Todes würden kaum jemanden interessieren und wenn doch, dann waren Rückschlüsse auf Simon so gut wie unmöglich. Ein Junkie, der sich eine Überdosis verpasst hatte, warum auch immer – so einfach war das.

Simon sah nicht hin, als das Herz stehen blieb und die Atmung aussetzte, dennoch spürte er, als es vorbei war. So wie damals, als er seinen Hund hatte einschläfern lassen müssen, nachdem der seinen Vater gebissen hatte. Dabei hatte der Alte es gar nicht besser verdient gehabt. Simon bugsierte Rob draußen auf eine Bank, und er sah aus wie einer von Tausenden in dieser Stadt, die kein Zuhause hatten und ihren Rausch ausschliefen. Egal wo. Trostlos. Verwahrlost. 

Simon hasste verwahrloste Menschen. Und er hasste Verlierer.

3. Kapitel

Paula wirkte wie eine Frau um die Vierzig, für die Mode- und Schlankheitstrends noch nie eine große Rolle gespielt hatten und die in den letzten Jahren an dem einen oder anderen Tiefpunkt ihres Lebens angelangt war. Um dort eine Zeitlang zu verweilen. Der letzte Friseurbesuch lag schon eine ganze Weile zurück, Make-up war auch nicht ihr Ding, und ihr Blick war sehr direkt. Wie hatte Gertrud noch kurz erläutert? – Paula gab wenig auf die Meinung anderer Leute und lebte gern nach dem Motto: Wer mich nicht mag, ist selber schuld. Sie war Tessy auf den ersten Blick sympathisch.

Paula hatte anzüglich eine Augenbraue gehoben, als Gertrud und Tessy nach einer kurzen Vorstellungsrunde mit nassen Haaren und erhitzten Wangen auf dem Sofa in der Sitzecke des Büros Platz genommen hatten.

„Okay, Mädels“, sagte Gertrud und wies einladend auf ein Tablett mit Getränken und Knabbereien. „Bedient euch erstmal. Wir können ja später noch eine Kleinigkeit essen gehen.“

Tessy nickte sofort zustimmend. Sex förderte ihren ohnehin guten Appetit beträchtlich. Sie aß eine Handvoll Nüsse und sah Paula dabei an.

„Gertrud hat schon einige Andeutungen gemacht – dir ist dein letzter Job Knall auf Fall gekündigt worden, und dein Ex-Chef und seine Geschäfte geben dir zu denken?“, fasste sie zusammen.

Paula verzog den Mund und bediente sich bei den Chips. „Kann man so sagen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin zwar keine gelernte Buchhalterin und war auch nur ein gutes halbes Jahr bei Sommer, hab aber schon viele Bürojobs gemacht und kenne mich ganz gut aus. Blöd bin ich auch nicht. Mir ist aufgefallen, dass bei einigen Rechnungen etwas faul oder zumindest merkwürdig war …“

„Geht das genauer?“

Paula nickte bedächtig. „Philipp Sommer ist ein außergewöhnlich pfiffiger und erfolgreicher Geschäftsmann, aber die Preise, die er zum Teil mit seinen Antiquitäten erzielt, sind verblüffend und zu schön, um wahr zu sein.“

„Und das ist merkwürdig?“

„Wenn man mit anderen Antiquitätenhändlern spricht: ja, durchaus. Einige von Sommers Konkurrenten wurmt es ziemlich, dass Sommers Preise häufig deutlich über dem Niveau der anderen Händler liegen und er trotzdem eine treue Kundschaft hat. Wenn er mit Dumping-Preisen antreten würde: okay, aber so …“

„Woher wissen die anderen Händler eigentlich so genau über Sommers Geschäfte Bescheid?“, fragte Tessy.

„Na ja – man hat natürlich ein Auge auf die Konkurrenz. Man kennt sich von Auktionen, fragt mal unter anderem Namen nach, schnüffelt ein bisschen, um es beim Namen zu nennen, und so weiter. Mit Sommers Konkurrent aus Wilmersdorf bin vor einigen Tagen, als ich mich bei ihm nach einem Job erkundigte und mein Leid klagte, ins Gespräch gekommen. Thomas Gärtner erzählte ganz freimütig, dass er mal versucht habe, einen von Philipp Sommers Stammkunden für seine Angebote zu interessieren – allerdings deutlich preisgünstiger. Aber der Kunde hat lässig abgewinkt, obwohl es nicht nur um zweihundert Euro ging.“

„Vielleicht sind Ware und Service bei Sommer einfach besser“, wagte Gertrud eine Einschätzung. „Und Stammkunden sind gerne treu, wenn sie sich gut aufgehoben fühlen – das weiß ich aus eigener Erfahrung.“

Paula schüttelte den Kopf. „Das würde die Preisunterschiede trotzdem nicht rechtfertigen. Aber ich weiß natürlich, worauf du hinaus willst: Schließlich ist es jedem selbst überlassen, wie viel er für eine Ware zu zahlen bereit ist. Doch da ist noch etwas anderes. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sommer das eine oder andere teure Stück mehrmals verkauft hat …“

„Wie das?“, fragte Tessy.

„Ganz einfach: Es ist wieder zu ihm zurückgewandert – nach ein oder zwei Zwischenverkäufen.“

Tessy lehnte sich zurück. Sie trank einen Schluck Cola und zuckte mit den Achseln. „Auf gut Deutsch: Er bescheißt das Finanzamt?“

Paula lächelte. „Die Überlegung habe ich auch schon angestellt. Tut er nicht. Die Rückkäufe liegen deutlich unter dem zuvor erzielten Preis. Außerdem zahlt er immer pünktlich und lieber drei Euro zuviel als auch nur einen Cent zu wenig. Aber ich kann natürlich nicht ausschließen, dass er einen Trick verwendet, den ich noch nicht kenne. Wer weiß.“

„Nun gut“, sagte Tessy. „Preisgestaltung und Buchhaltung haben dir also zu denken gegeben. Und weiter?“

Besonders aufregend fand sie die Angelegenheit bisher nicht. Um genau zu sein: zum Gähnen langweilig. Buchhaltungsfragen hatten sie noch nie besonders interessiert. Außerdem hatte sie bisher den Eindruck, dass Paula in ihrem Frust schlicht auf der Suche nach Macken ihres ehemaligen Arbeitgebers war. Aber Paula war eine Ex von Gertrud und außerdem sympathisch.

„Das ist schnell erzählt“, fuhr Paula fort. „Ich hab Sommer darauf hingewiesen, dass in seinen Konten nach meiner Ansicht etwas nicht stimmt – es hätte ja auch ein Irrtum, ein schlichter Fehler vorliegen können. Er hat mich nicht mal ausreden lassen, sondern sofort gefeuert.“

Tessy schüttelte den Kopf. „Wie hat er argumentiert?“

„Dass ich meine Nase in Angelegenheiten stecken würde, die mich nichts angingen.“

„Hm.“ Tessy wiegte den Kopf von einer Seite zur anderen. Philipp Sommer fiel wahrscheinlich nicht in die Kategorie herzenswarmer, geduldiger und verständnisvoller Vorgesetzter, aber das war wohl kaum strafbar. Und Paula schien durchaus eine Art zu haben, mit der sie hin und wieder aneckte. Das kam vor, und gar nicht mal so selten. Tessy hatte da ihre ganz eigenen Erfahrungen.

Gertrud stand auf, holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und hielt eine weitere Flasche in die Runde. „Noch jemand?“

Tessy schüttelte den Kopf, während Paula zugriff und erst mal einen kräftigen Schluck nahm, bevor sie fortfuhr:

„Ich kann mir denken, was in euch vorgeht. Natürlich bin ich sauer, dass der mich so abfertigt und hätte nichts dagegen, aber auch rein gar nichts, wenn man diesem arroganten Arschloch irgendwelche krummen Dinger nachweisen könnte. Und selbstverständlich trifft mich der Jobverlust nicht nur herbe, sondern ziemlich unvorbereitet, zumal ich eine 16jährige Tochter habe, die hauptberuflich pubertiert und die ich durchfüttern muss ... Aber das allein ist es nicht.“

„Sondern?“ Tessy sah sie forschend an.

Paula stellte die Bierflasche ab. „Ich hab ein dummes Gefühl. Irgendwas stinkt in dem Laden. Da herrscht manchmal eine ganz merkwürdige Stimmung … Der engste Mitarbeiter von Philipp Sommer ist Simon Koch – er ist sein rechte Hand und sein Vertrauter. Ich finde den total unheimlich, und als Antiquitätenhändler kommt er ungefähr so überzeugend rüber, als wenn ich Werbung für ein jugendliches Modelabel machen würde.“

„Verstehe.“ Tessy verkniff sich das Lachen. „Aber das …“

„Er piesackt den Tischler und Restaurator, wo er nur kann, und schnüffelt außerdem der Lebensgefährtin vom Chef nach.“

„Vielleicht ist er scharf auf sie“, schlug Gertrud vor.

Paula schüttelte den Kopf und verzog keine Miene. „Das könnte ich ja noch verstehen. Die Lady hat durchaus was.“ Sie räusperte sich. „Aber das ist es nicht: Er beschattet sie, und ich bin mir ziemlich sicher, dass er sie nicht mag. Und Charlotte – so heißt Philipps Freundin – wirkt … hm, eingeschüchtert, unsicher.“ Sie hielt inne und atmete tief aus.

Tessy runzelte die Stirn. „Um mal auf den Punkt zu kommen, Paula. Wo genau siehst du hier eigentlich Handlungsbedarf?“

Paula wandte den Kopf und sah sie an. „Ich sage dir beziehungsweise euch – da läuft irgendwas.“

„Mag sein, aber …“

Paula hob die Hände. „Ich weiß, ich weiß ... Irgendwelche mulmigen Gefühle und verletzter Stolz bieten kaum die Basis für einen Auftrag, den man einer Privatdetektivin erteilt – mal ganz davon abgesehen, dass ich mir so was ohnehin nicht leisten könnte.“

Tessy nickte zustimmend. Ein wichtiger Aspekt.

„Aber der Antiquitätenhändler Thomas Gärtner und zwei weitere Kollegen aus Dahlem und Zehlendorf sind ziemlich interessiert daran, dass mal ein Profi die Wege und Geschäfte von Philipp Sommer und Co. ein bisschen näher beleuchtet.“

„Du hast bereits mit denen gesprochen?“

Paula zeigte den Ansatz eines Lächelns. „Nun, Gertrud erzählte mir von dir, als wir uns trafen, und ich hab dann noch mal unverbindlich nachgefragt, wie ernst es den Herrschaften damit ist, dem Kollegen Sommer auf den Zahn zu fühlen. Sie haben sich besprochen und mir heute mitgeteilt, dass sie dich kennen lernen möchten.“

Tessy lehnte sich zurück und sah Gertrud an. Die zog die Schultern hoch. Paula bekam die Geste mit und hob die Hände. „Überleg es dir. Unter Umständen sitzt du viele Tage stundenlang untätig im Auto vor dem Geschäft herum, ohne dass sich irgendwas tut, oder du kurvst quer durch die Stadt, um zu entdecken, dass Simon ein Möbelstück abholt. Nicht gerade eine brenzlige oder aufschlussreiche Situation, aber du kriegst die Zeit bezahlt. Und vielleicht entdeckst du ja doch ein paar Merkwürdigkeiten, die den Auftraggebern zu denken geben.“

Tessy überlegte. Das Motiv der Antiquitätenhändler schien ihr völlig klar – die wollten die Gelegenheit beim Schopf ergreifen und einen erfolgreichen und vielleicht ein wenig unkonventionell arbeitenden Konkurrenten ausspionieren lassen, um sich mit ihren Läden besser positionieren zu können. Das war üblich – in so gut wie jeder Branche. Sie seufzte innerlich. Das Ganze klang nach einem knochentrockenen Job, aber was hatte sie schließlich erwartet? Dass sie nur noch Jagd auf böse Buben und Mädels machen würde und dabei aufregende Zeiten erlebte? Wohl kaum.

Tessy nickte. „Okay. Würdest du einen Termin vereinbaren?“

„Na klar …“ Paulas Handy klingelte. „Entschuldigt bitte … Ja?“ Sekunden später wurde sie kalkweiß. „Ja … oh, mein Gott … Ja, natürlich. Ich beeile mich.“ Sie ließ das Handy sinken und starrte einen Moment ins Leere. „Robin, mein Neffe, ist tot aufgefunden worden.“

Gertrud beugte sich vor. „Haben sich eure Befürchtungen bestätigt?“

Paula wandte ihr das Gesicht zu. „Ja. Er hat sich eine Überdosis gespritzt. Die Polizei ermittelt aber noch …“ Sie schluckte schwer. „Entschuldigt, aber ich muss los. Meine Schwester braucht mich jetzt …“

Tessy beugte sich vor und griff nach ihrer Hand. „Ein guter Freund von mir arbeitet bei der Kripo. Soll ich mal nachhaken?“

Paula schluckte. „Gerne, gute Idee ...“ Sie stand auf und sah Gertrud an, die sich ebenfalls erhob. „Ich melde mich.“

Tessy war davon überzeugt, dass sie nichts mehr von Paula hören würde, zumindest nicht in geschäftlicher Hinsicht, doch sie hatte sich getäuscht. Nicht nur in diesem Punkt. Drei Tage später hatte sie ihren zweiten Auftrag als Privatdetektivin.

4. Kapitel

Charlotte hatte Philipp im vergangenen Herbst bei einem Hoffest in Prenzlauer Berg kennen gelernt, auf dem sie sich als Porträtzeichnerin betätigt hatte. Damals jobbte sie noch als Serviererin, lebte in einer kleinen billigen Wohnung in Kreuzberg und träumte von einer Karriere als Künstlerin. 

Er hatte plötzlich hinter ihr gestanden und die Skizze betrachtet, die sie heimlich von einer dicklichen Frau mit auffallend roter Nase angefertigt hatte. Er war sehr schlank, hatte kurzes dunkles Haar, sein Gesicht war hager und großporig und zu kantig, um schön genannt werden zu können; nachdenklicher Blick, um die Vierzig. Neben ihm stand ein zweiter Mann, der das genaue Gegenstück zu ihm bildete – blond, muskulös, eindringliche, hellblaue Augen, einige Jahre jünger. 

„Wunderbar“, sagte der Hagere schließlich leise. „Sie haben die kleine fette Wichtigtuerin besser getroffen, als es mancher Fotograf vermocht hätte.“ Grün-braune Augen. Er lächelte sanft. Charlotte lächelte zurück. Sie war geschmeichelt und wusste, dass er es mitbekam. Na und?

„Mein Name ist übrigens Philipp Sommer.“ Er wandte sich zu seinem Begleiter um. „Und das ist mein Mitarbeiter und Freund Simon Koch. Ich führe ein Antiquitätengeschäft und bin schon allein deshalb an Kunst interessiert. Gibt es noch mehr Bilder von Ihnen?“

Mit einer winzigen, bei oberflächlicher Betrachtung kaum wahrnehmbaren Handbewegung gab Philipp Simon zu verstehen, dass er das Gespräch mit Charlotte alleine fortsetzen wollte. Sie tat, als hätte sie die kleine Geste nicht bemerkt und lächelte Simon freundlich zu, als der sich knapp entschuldigte und Richtung Weinausschank davonging.

„Ja, es gibt einige Bilder von mir“, nahm Charlotte den Faden wieder auf. „Aber offensichtlich bin ich nicht begabt genug oder treffe nie den richtigen, gerade angesagten Geschmack, denn für die Kunstakademie hat es bisher nie gereicht. So übe und lerne ich in der Zeit, die mir neben meinem Job bleibt, wo immer sich die Gelegenheit ergibt.“

Sie setzten sich, und Charlotte ertappte sich dabei, wie sie ihn länger ansah, als unbedingt nötig gewesen wäre, selbst als Malerin. Er hatte zarte Linien unter den Augen, und manchmal verfestigte sich sein Mund und wirkte hart, eigenwillig.

„Würden Sie mich malen?“ fragte er.

„Ja, natürlich. Gerne.“

„Eine Bedingung.“ Er beugte sich zur ihr vor. „Keine Schmeicheleien. Direkt, ehrlich, schonungslos. Ich weiß, dass ich keine Zwanzig mehr bin und brauche auch nicht die Illusion der ewigen Jugend.“

Charlotte nickte. Sie war beeindruckt. Entweder war Philipp der geborene Charmeur, oder er meinte es ehrlich und war eines der letzten interessanten Exemplare der Gattung Mann. Sie griff zu Block und Stift und skizzierte Kopf und Oberkörper in wenigen Minuten. Merkwürdigerweise stimmte die fertige Zeichnung nicht mit dem Bild überein, das sie im Kopf hatte, und das passierte ihr selten. Dem Gesicht fehlte die Wärme. Der abgebildete Mann wirkte entschlossen und energisch. Charlotte betrachtete es nachdenklich, bevor sie es an Philipp weiterreichte. Der lächelte.

„Ein kämpferischer Typ“, stellte er fest. „Darf ich Sie einladen?“ Philipp legte seine Hand für einen Moment mit leichtem Druck auf ihre. „Zu einem späten Kaffee oder Espresso?“

Er ist verdammt attraktiv, dachte sie, er interessiert mich, und er weiß es. Nach dem Herzklopfen und den weichen Knien zu urteilen, interessiert er mich sogar sehr. Vor ihrem inneren Auge sah sie plötzlich in beeindruckend deutlichen Bildern, wie Philipp ihr ohne großes Vorspiel an die Wäsche ging, das Höschen zerriss, ihr schmutzige Worte ins Ohr flüsterte ...

Sie atmete tief durch. „Ja, gerne.“

Er nickte, als hätte er nichts anderes erwartet, und in seinen Mundwinkeln entdeckte sie ein feines, ironisches Lächeln. „Heute Abend noch? Oder sind wir artig und sittsam und schlafen eine Nacht darüber?“

Wir sind keine kleinen Kinder mehr, schien er damit sagen zu wollen, sondern zwei erwachsene Menschen, die mit ihren Bedürfnissen umgehen können, aber ich bin so freundlich und überlasse dir die Entscheidung. Kleines Mädchen oder Frau, die weiß, was sie will und dazu steht? Charlotte spürte ein zartes Vibrieren, das sich über ihren Körper ausbreitete. 

Sie hob das Kinn. „Artig und sittsam hat noch nie zu mir gepasst.“

Sie fuhren zu ihm. Die Wohnung über dem Antiquitätengeschäft in Schmargendorf war dezent und teuer eingerichtet. Philipp bevorzugte ungewöhnliche Kombinationen aus Stahl und Holz, dazu dunkle Blau- und Grüntöne. Er servierte den Espresso auf der Terrasse, wo Charlotte in einem Korbsessel Platz genommen hatte. Sie tranken schweigend. Er ließ sie nicht aus den Augen, und genau in dem Moment, in dem Charlotte ein mulmiges Gefühl beschlich, lächelte er plötzlich.

„Erzähl mir von dir“, sagte er, wie selbstverständlich zum Du übergehend, und stellte seine Tasse ab.

„Ach, es gibt nicht viel zu erzählen“, erwiderte sie seltsam erleichtert. „Das Wichtigste weißt du schon.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen – hast du denn gar keine Vergangenheit?“

Charlotte lachte. „Meinst du Ehen, Scheidungen, Kinder und so weiter? Nun, in der Hinsicht habe ich in der Tat keine Vergangenheit. Einige Freunde, Affären, ein bisschen Liebeskummer. Das war es auch schon.“

Er beugte sich zu ihr vor, legte die Hände auf ihre Knie. „Das ist mir alles viel zu unpersönlich. Sag mir, was du vom Leben, von der Liebe willst, was in dir vorgeht. Ich bin neugierig.“ 

Es wurde warm unter dem Druck seiner Hände, und sie roch sein Eau de Toilette. Charlotte spürte einen Anflug von Scham, als sie registrierte, dass sie feucht war und immer feuchter wurde und es leid war, irgendein Gespräch in Gang zu halten, nur um nicht allzu offensichtlich den Eindruck zu erwecken, worum es hier eigentlich ging. Seine Hände wanderten ein Stück nach oben. Blieben dort liegen. Mach weiter, dachte sie und sah auf seinen Adamsapfel, der sich beim Schlucken auf- und ab bewegte, in seine dunklen Augen, die sie mit einer seltsamen Mischung aus Amüsement und Neugierde abtasteten.

„Wirst du sehr laut?“ fragte er im Flüsterton.

„Bitte?“

Leises Lachen. „Du weißt genau, was ich meine – stöhnst du, schreist du sehr laut? Dann können wir nämlich nicht auf der Terrasse bleiben.“ Er stand abrupt auf, streckte ihr die Hand hin. „Komm.“

Sie kamen nicht bis zum Schlafzimmer. Im Flur zog er sie küssend und lachend auf den Fußboden, streifte ihr mit wenigen Handgriffen Jeans und Bluse ab, während sie mit zitternden Händen sein Hemd aufknöpfte und seine Gürtelschnalle öffnete. Er fuhr mit der Zunge an ihrem Hals, am Nacken entlang, lachte, als sie leise stöhnte, biss ihr ins Ohr, in die Schulter, fühlte nach ihrem feuchten Schoß und ihren steil aufgerichteten Brustwarzen. „Ausgehungert?“

„Ja, ziemlich.“

Er verlor keine Zeit, spreizte ihre Beine, kniete sich zwischen sie und sah sie wieder mit diesem lauernden Blick an. „Wie sehr ausgehungert?“

„Hör auf zu reden, tu es doch einfach!“, fauchte Charlotte plötzlich.

Mit einer Hand umklammerte sie seinen steifen Schwanz, aber Philipp griff nach ihren Händen und hielt sie fest. „Wie oft machst du so was – mit irgendeinem Typen mitgehen und dich durchficken lassen?“

Sie versuchte, sich seinem Griff zu entwinden und den auf eigenartige Weise mit höchster Erregung gepaarten Schreck zu verbergen. „Idiot, es ist das erste Mal. Und jetzt lass mich los! Es ist wohl besser, wenn ich gehe.“

Er lächelte, warf den Kopf zurück, lachte, fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. Dann drang er in sie ein – schnell und tief.

Charlotte schnappte nach Luft. Philipp war kein sanfter, behutsamer Liebhaber, aber das hatte sie auch gar nicht erwartet. Er war heftig, kompromisslos, gierig, unermüdlich. Ein wenig brutal. Bis ganz nah an die Schmerzgrenze heran. Er zitterte, um seinen Höhepunkt zurückzuhalten und sie beobachten zu können. Charlotte krallte die Fingernägel in seine Pobacken und schrie auf, als sie kam.

Er half ihr hoch und trug sie nach nebenan ins Bett. Dort war er zärtlich, hingebungsvoll und bemerkenswert ausdauernd. Sie hatte noch nie mit einem Mann geschlafen, der so gekonnt ihre Möse geleckt und sie so aufreizend langsam und genussvoll gevögelt hatte wie Philipp. Aber er ließ nicht zu, dass sie die Regie übernahm. Das fand Charlotte sehr altmodisch, aber zugleich so faszinierend, dass sie keine ernsthaften Einwände erhob.

Als der Morgen graute, war sie wund und zutiefst erschöpft, aber immer noch hellwach. Seltsam unruhig. Philipp lag ausgestreckt neben ihr.

„Für mich auch“, sagte er leise.

„Was meinst du?“

„Ich habe das erste Mal auf diese Art und Weise eine Frau abgeschleppt.“

Charlotte richtete sich auf. „Das glaube ich nicht.“ Ein Typ wie er konnte doch jede haben, und er hatte nicht gerade den Eindruck erweckt, ein blutiger Anfänger zu sein.

Philipp zog sie wieder neben sich, küsste sie auf die Nasenspitze. „Das kannst du mir ruhig glauben. Natürlich habe ich Freundinnen und vergnüge mich hin und wieder.“ Er lächelte, legte die Hände auf ihre Brüste. „Aber mit dir ist es anders als sonst: Ich bin verliebt und bekomme gar nicht genug von dir.“

Er meint es ernst, dachte Charlotte und war erstaunt. Das geht ein bisschen schnell, überlegte sie. Er nahm eine Brustwarze in den Mund und saugte hingebungsvoll daran.

„Ich kann nicht mehr, Philipp“, flüsterte sie. „Und ich muss jetzt wirklich nach Hause.“

Sein Kopf fuhr hoch. „Nein.“ Ein rasches Lächeln. „So schnell kommst du mir nicht davon.“

„Philipp!“

Sein Lächeln wurde eine Spur zu starr, um noch als fröhlich durchgehen zu können. „Nein.“ Er drehte sie um. Seine Zähne gruben sich beinahe zärtlich in ihre Schulter. „Einmal noch von hinten. Dann wird geschlafen und morgen Mittag frühstücken wir zusammen. Wenn du willst, kannst du dann gehen.“

Charlotte sollte eine ganze Weile später darüber sinnieren, was wohl passiert wäre, wenn sie darauf bestanden hätte zu gehen. Wäre er wütend geworden? Hätten sie sich vielleicht nie wieder gesehen? Aber es war müßig, derlei Spekulationen nachzuhängen, denn an diesem frühen Morgen spürte sie zwar ihr Unbehagen wie einen winzigen Giftpfeil im Nacken, aber sie wehrte es ab. Und als er hinter ihr kniete und ihre Hüften mit festem Griff umfasste, war sie erregt wie ganz am Anfang. Und sie schrie wie Stunden zuvor, als sein harter Schwanz in sie eindrang und ihr mit schnellen harten Stößen den nächsten Höhepunkt bescherte.

Okay, dachte Charlotte, als sie am späten Mittag nach einem köstlichen Frühstück und einer weiteren Runde Sex aufbrach, fassen wir einmal zusammen: Ich habe mich so richtig ausgetobt, all meine niederen Instinkte befriedigt, wozu unter anderem offenbar auch gehört, dass ich mir mit höchstem Vergnügen Nutella und Milchschaum von Bauch, Schenkeln und Schoß lecken lasse und gegen eine kleine bis mittlere Portion Gewalt nichts einzuwenden habe – ganz im Gegenteil. Nun vergesse ich das Ganze schnell wieder, um in meinen Alltag zurückzukehren. Sie versuchte das seltsame Unbehagen zu überhören, das sich hinter dieser Darstellung verbarg.

Als sie in das Taxi stieg, das Philipp spendierte, fuhr ein dunkelblauer BMW vor. Charlotte erkannte den kurzgeschorenen Blondschopf von Simon, den Philipp auf dem Hoffest als Mitarbeiter und Freund vorgestellt hatte. Zu Hause angekommen ließ sie sich aufs Sofa fallen. 

In der Wohnung nebenan war es still. Häufig begann ihr Nachbar sein Tagewerk damit, seine Musikanlage auf beeindruckende Phonstärken hochzufahren. Sie hörte sich seinen Heavy-Metal-Punk-Sonstwas-Mix immer genau eine Viertelstunde an, um dann an seine Tür zu hämmern. Wenn sie das Glück hatte, mit ihrem Krach seinen übertönen zu können, stand er kurz darauf mit zerknirschtem Gesichtsausdruck vor ihr und beteuerte händeringend, dass es ihm leid täte und nicht wieder vorkäme.

Robin war seit gut einem Jahr ihr Nachbar. Eigentlich schade um den Jungen, dachte Charlotte, bevor sie einschlief. Es war ihm anzusehen, dass es das Leben nicht gut mit ihm meinte, und sie fand, dass er viel zu jung war, achtzehn, neunzehn, höchstens, um schon auf dem absteigenden Ast zu sitzen und Stück für Stück nach unten zu rutschen.

Er war in der dunklen Toreinfahrt nur schemenhaft zu erkennen. Charlotte wusste sofort, dass es Philipp war. Sie redete sich ein, dass sie ihn an seiner Haltung erkannt hatte, aber im Grunde war ihr klar, dass sie nur auf ihn gewartet hatte – fast drei Wochen lang.

Kein Lebenszeichen hatte es seit jener Nacht von ihm gegeben. Von ihr auch nicht. Wie rückständig darauf zu warten, dass er sich melden würde, dachte sie, als sie langsam näher ging und vage in die Dunkelheit hineinlächelte. Sie roch sein Eau de Toilette, und ihre Haut zog sie sich wie unter feinsten Nadelstichen zusammen, als er ohne ein Wort die Hände nach ihr ausstreckte. Charlotte wollte ein albernes Kichern von sich geben und ihn mit einem flotten Spruch begrüßen, aber sie schwieg. Er zog sie an sich. Sein Körper war hart und bebte leise.

„Ich habe dich vermisst“, flüsterte er an ihrem Ohr.

„Ich dich auch.“

„Ich habe nicht viel Zeit“, sagte er. Seine Hände schoben sich unter ihre Bluse.

„Nein?“ Sie überdeckte ihre Enttäuschung mit einem falschen Lächeln, spürte, wie seine Finger sich krümmten, die Wirbelsäule entlang strichen. „Nur ein Kuss und dann ist Schluss?“

„Ein bisschen mehr schon“, gab er zurück. Seine Augen waren plötzlich groß und fragend. Mit einer Hand öffnete er ihre Jeans und zog dann den Reißverschluss seiner Hose herunter.

„Bist du verrückt geworden?“

„Ja – nach dir.“ Er lachte, drängte sie in die hinterste Ecke unter dem Torbogen der Einfahrt, presste sich an sie und nahm ihr die Luft zum Atmen.

„Hör auf, es kann jeden Moment jemand kommen!“

„Na klar – wir!“

Die Panik in ihrer Stimme stachelte ihn an, das spürte sie, hörte sie an seinem Keuchen, dem aufgeregten Flattern in seiner Brust. Oder war es ihre? Sie griff nach seinem Schwanz, und ihre Knie wurden weich wie Gelee. Geschickt streifte er ihre Hose ab und hob sie hoch. Die kalte Mauer schürfte die Haut an ihrem Rücken auf – mit jedem Stoss ein wenig mehr. Leute gingen vorbei, ein Hund schnüffelte und wurde heftig zurückgerissen. Sie schluckte ihr Stöhnen herunter. Ihre Scham. Und war nur noch hemmungslose Gier.

Diesmal vergingen vierzehn Tage, und Charlotte begann sich zu hassen. Ihn schon lange. Philipp beherrschte ihre Träume und ihre Sehnsüchte, so sehr sie sich auch dagegen wehrte. Sie lief mit erhitzten Wangen und feucht durch die Gegend. Sie masturbierte. Sie ging aus, um andere Männer kennen zu lernen. Es half nichts. Als er schließlich in dem Café anrief, in dem sie jobbte, um sich mit ihr zu verabreden, war ihre Stimme spitz vor Aufregung, und sie vergaß ihn zu fragen, woher er wusste, wo sie arbeitete. Sie fuhren zu ihr nach Hause. Er küsste sie nicht. Er wollte Musik hören und ihre Wohnung sehen. Charlotte kochte mit zitternden Händen Kaffee. Sie lachte unsicher wie ein Teenager und suchte seinen dunklen Blick. Er setzte sich an den Tisch, nahm etwas Zucker und viel Milch. Als das Telefon klingelte, sah er rasch hoch. „Geh nicht ran.“

Charlotte wandte sich zur Tür. „Natürlich gehe ich ans Telefon.“

Er lächelte unergründlich. „Das wirst du nicht tun.“

Sie ging kopfschüttelnd in den Flur. Er war mit zwei Schritten bei ihr, packte sie und zog sie in die Küche zurück. Charlotte wehrte sich heftig. Am meisten gegen sich selbst. Dann lag sie auf dem Tisch, die Zuckerdose polterte zu Boden, und er riss ihr die Klamotten vom Leib, drängte sich zwischen ihre Beine  und drang in sie ein.

„Wer nicht hören will, muss fühlen“, flüsterte er mit rauer Stimme. „Wie fühlt er sich an: mein harter Schwanz?“

Sie fauchte wie eine Katze, stöhnte, schrie leise auf. „Fick mich“, flüsterte sie, und plötzlich wurde Philipp so zärtlich, dass sie anfing zu weinen. Sie schaukelten einander, er flüsterte vulgäre Koseworte, und sie öffnete sich weit für ihn.

Charlotte gewöhnte sich nie an seinen seltsamen Rhythmus, an sein plötzliches Auftauchen, mal vertraut und selbstverständlich, mal dunkel und lauernd, keinen Widerspruch duldend, gefährlich Besitz ergreifend. Erotik pur. Sex. Überall. Manchmal überraschend sanft. Meist ließ sie sich überwältigen. Wollte überwältigt werden, mit zartem Schmerz, und verbarg den Schreck darüber mittlerweile sehr geübt. Liebe? Das war wohl das falsche Wort. Fest stand, dass Philipp der ungewöhnlichste Mann war, den sie je kennen gelernt hatte. Und sie wollte unbedingt mehr von ihm wissen.

Er mochte ihre Bilder. Eines Abends fragte er sie, warum sie nicht mehr aus ihrem Talent mache. „Du malst vor dich hin, hältst dich mit mittelmäßigen Jobs über Wasser und träumst ziellos in den Tag hinein.“

„Was wird das denn?“ Charlottes Stimme wurde scharf. „Mach du dein Ding und ich meines. Es gefällt mir, wie ich lebe.“

„Das glaube ich nicht. Du hast ganz andere Träume“, erwiderte Philipp und stand auf. Er zog ihren Kopf zu sich heran, wühlte in ihren Haaren. „Reg dich ab. Ich will dich nicht verletzen.“

Charlotte entzog sich im, starrte in sein Gesicht. „Du bist ein merkwürdiger Typ. Was ist eigentlich mit deinen Zielen?“

„Die erreiche ich jeden Tag.“ Er setzte sich wieder.

„Du wirkst auf mich nicht gerade wie ein Vollblutantiquitätenhändler.“

„Nein?“ Philipp wurde ernst. „Wie wirke ich denn auf dich?“

„Eher wie ein findiger Rechtsanwalt. Wie kommst du zu deiner Vorliebe für Antiquitäten?“

Er zuckte mit den Achseln. „Es ist ein gutes Geschäft – seit ich es übernommen habe, läuft es noch besser als unter der Führung meines Vaters. Ich bin gut und verdiene viel Geld. Sind das überzeugende Argumente?“ Er lächelte nicht ohne Stolz und zog sie auf seinen Schoß.

„Und Simon?“

„Wie kommst du jetzt auf Simon?“ 

„Simon ist kein Fachmann, oder?“

„Nein, aber er hat sich gut eingearbeitet, er ist vertrauenswürdig und ein wahres Organisationsgenie“, antwortete Philipp. „Ich lasse nichts auf ihn kommen.“ Das klang wie eine unterschwellige Warnung. „Und nun lass uns überlegen, wie es weiter geht.“

„Wie was weiter geht?“

„Na, mit uns beiden. Ich finde, wir sind ein gutes Team. Du bist verrückt nach mir und meinem Schwanz.“ Er lachte laut auf, als Charlotte ihm in den Bauch boxte. „Zieh bei mir ein. Du kriegst dein Atelier und kannst malen. Ich kümmere mich ums Geschäft. Du fummelst mir nicht rein, ich dir nicht.“

Sie starrte ihn an. Er meinte es ernst. „Witzbold! Wir kommen aus völlig unterschiedlichen Welten und kennen uns kaum. Manchmal ist wochenlang Funkstille – für eine ernsthafte Beziehung reicht das kaum. Und nur so nebenbei: Ich lasse mich nicht aushalten“, entgegnete sie rasch.

„Ernsthafte Beziehung – wie spießig! Wir sind dabei, uns kennen zu lernen, und die Frau, mit der ich zusammen lebe, braucht nicht zu jobben.“

Charlotte zeigte ihm einen Vogel, aber ihre Finger zitterten leicht. „Der Spruch stammt aus dem letzten Jahrhundert. Ich brauche meine Selbständigkeit. Ich will nicht von dir oder von sonst wem abhängig sein.“

„Unsinn! Fühl dich frei. Du malst, und ich strecke meine Fühler ein bisschen aus. Den einen oder anderen Galeristen kenne ich schließlich auch. Dann wirst du eine viel beachtete Künstlerin und verdienst ein Schweinegeld. Na, sind das keine Aussichten? Denk darüber nach.“ Er biss ihr in die Schulter. „Ich finde, wir haben genug geredet und sollten jetzt vögeln.“

Charlotte hatte sich bislang nicht vorstellen können, ihre Unabhängigkeit aufzugeben, schon gar nicht, um mit einem so unberechenbaren Typen wie Philipp unter einem Dach zu leben. Ein Mann, der ganze Bereiche seines Lebens nur für sich allein haben wollte und dessen Willensstärke oftmals an Herrschsucht grenzte. Aber sie hatte sich bisher auch nicht vorstellen können, dass Sex so in den Mittelpunkt ihres Interesses rücken könnte. Ungewöhnlich intensiver Sex. Der immer hungriger machte. Und natürlich war der Gedanke verlockend, ohne Geldsorgen leben und arbeiten zu können. Was hatte sie zu verlieren? Das Problem war, dass sie nicht wusste oder nicht wissen wollte, wie hoch der Preis sein würde, den sie dafür zu zahlen hatte. Irgendwann.

Ein Jahr, dachte sie schließlich, ich versuche es ein Jahr. Charlotte nannte ihren neuen Lebensabschnitt: Experiment Gemeinsamkeit. 

Allerdings stellte sie bald fest, dass von Gemeinsamkeit außerhalb ihrer sexuellen Erlebnisse und einiger alltäglicher Ereignisse nicht die Rede sein konnte. Philipps Geschäfte und Termine gingen sie nichts an, wohingegen es ihn durchaus interessierte, wie sie ihre Zeit verbrachte. Er reagierte unwirsch auf alle möglichen Fragen – zum Beispiel nach seiner Familie. Dass sein Vater vor geraumer Zeit verstorben, seine Mutter in einem Pflegeheim lebte und der Kontakt kaum der Rede wert war, erfuhr Charlotte ganz nebenbei. 

Ihr Angebot, im Geschäft mitzuarbeiten, hatte Philipp abgelehnt: Sie hätte Besseres zu tun und sollte weder Simon noch ihm und Paula, der Buchhalterin, in die Quere kommen. Auch Holger, der als Tischler und Restaurateur arbeitete, war ein Eigenbrötler, der die Werkstatt selten verließ und den sie nicht zu stören hatte.

„Vertraust du mir eigentlich?“ fragte Charlotte Philipp eines Tages, nachdem sie rein zufällig mitbekommen hatte, dass Paula entlassen worden war, ohne dass er ihr gegenüber auch nur ein Wort darüber verlor.

„Wir leben zusammen. Und ich bin ein überzeugter Einzelgänger.“

Das war eindeutig zurückweisend, und Charlotte wusste, dass ihm das klar war und dass es ihm nichts ausmachte, sie zu verletzen. Einige Zeit später würde sie an dieses Gespräch zurückdenken und sich fragen, ob ihr nicht spätestens an diesem Abend hätte klar werden müssen, dass diese Beziehung nicht die richtige für sie war. Aber hinterher war man immer schlauer.