The Beauty in the Broken - Vanessa Hußmann - E-Book
SONDERANGEBOT

The Beauty in the Broken E-Book

Vanessa Hußmann

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Emma und Luke: Zwei verlorene Seelen, die sich nie finden wollten und einander dennoch begegnen. Ein New Adult Roman über Schicksalsschläge und Herausforderungen, die das Leben immer wieder stellt.

Nachdem Luke von heute auf morgen von seiner Freundin verlassen wurde, muss er sich alleine um seine zwei Kinder kümmern. Er braucht dringend Unterstützung, um den Spagat zwischen seinem Job als Polizist und seiner Vaterrolle zu meistern. Emma sucht derweil nach einer Beschäftigung, um die Krankenversicherung ihres kranken Vaters bezahlen zu können. Als sie das Angebot annimmt, als Kindermädchen für Luke zu arbeiten, weiß sie nicht, worauf sie sich einlässt. Denn plötzlich prallen Welten aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Vor allem, wenn sich Gefühle entwickeln, die nicht sein dürfen.

»Ich hatte manchmal selbst Schmetterlinge im Bauch bei so viel Romantik. Total emotional, humorvoll und süß. Ich kann es euch nur ans Herz legen. Lest dieses Buch!« ((Leserstimme auf Netgalley))

»Herbst, Winter, Sommer, Frühling, dieses Buch kann man zu jeder Jahreszeit genießen. Wunderschöne Geschichte und richtig was für die romantische Seele. « ((Leserstimme auf Netgalley))

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum ePUB

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

 

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »The Beauty in the Broken« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.

 

© 2020 Piper Verlag GmbH, München

Redaktion: Ulla Mothes

Covergestaltung: Annika Hanke

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

 

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

 

Inhalt

Cover & Impressum

PLAYLIST

TEIL EINS

PROLOG

1 EMMA

2 LUKE

3 EMMA

4 EMMA

5 LUKE

6 EMMA

7 EMMA

8 LUKE

9 EMMA

10 EMMA

11 LUKE

12 EMMA

13 LUKE

14 EMMA

15 LUKE

16 EMMA

17 LUKE

18 EMMA

19 LUKE

20 EMMA

21 EMMA

TEIL ZWEI

22 EMMA

23 LUKE

24 EMMA

25 LUKE

26 EMMA

27 EMMA

28 LUKE

29 EMMA

30 LUKE

TEIL DREI

31 EMMA

32 LUKE

33 EMMA

34 EMMA

35 LUKE

36 EMMA

37 LUKE

38 EMMA

39 EMMA

40 LUKE

41 EMMA

42 EMMA

EPILOG LUKE

DANKSAGUNG

Widmung

Für Janes

PLAYLIST

Imagine Dragons – Not Today

M83 – Wait

Toby Lightman – Holding a Heart

Vance Joy – Mess is Mine

Daughtry – Wild Heart

Florence + the Machine – Never Let Me Go

The Fray – Never Say Never

Cary Brothers – Belong

Ross Copperman – Holding On And Letting Go

NF – Paralyzed

X Ambassadors – Unsteady

Nilu – Are You With Me

Lorde – Supercut

BANNERS – Start a Riot

Chord Overstreet – Hold On

Imagine Dragons – Bad Liar

TEIL EINS

»Wenn diese Liebe bedeutet zu leiden,

dann ertrage ich sie mit jeder Faser meines Körpers.

Wenn sie bedeutet, am Ende dem traurigen Schicksal entgegenzutreten und für immer Lebewohl zu sagen,

dann nehme ich es an.

Denn so sehr diese Liebe auch schmerzt,

so sehr lässt sie mich leben.«

PROLOG

LUKE

Einen Wimpernschlag. Es benötigte einen Wimpernschlag, um alles zu verändern. Um ein Leben zu zerstören, das auf Treibsand gebaut war. Eine reine Wunschvorstellung, eine leise Hoffnung, die wie ein Keim erstickt wurde und in Wahrheit nie eine Chance gehabt hatte. Das Leben war hässlich, wenn es gnadenlos zuschlug und keine Möglichkeit bot, sich zur Wehr zu setzen.

Atmen. Ich wollte bloß endlich wieder atmen. Allerdings existierte kein Ventil, um mich von dem Gewicht zu erlösen, das mich niederdrückte. Ich suchte nach einem Ausweg, der nicht zu finden war. Selbst wenn ich schrie, gab es niemanden, der mich hörte.

Seit acht Wochen versuchte ich meine Familie zusammenzuhalten, die längst zerbrochen war, gleichzeitig den Schein zu wahren und mir weiterhin einzureden, dass alles gut werden würde. Am Ende aber belog ich mich jeden Tag aufs Neue, und das war die Wahrheit, die mich nachts kein Auge schließen ließ. Von heute auf morgen hatte sich mein komplettes Leben verändert, und ich war mit der alleinigen Verantwortung für zwei Kinder zurückgelassen worden. Diese bereitete mir in dunklen Stunden Angst, weil ich ihr niemals gerecht wurde. Egal wie sehr ich mich auch bemühte.

Mit einem Wimpernschlag hatte Erin alles von mir mitgenommen und einen gebrochenen Mann zurückgelassen. Die Liebe, Hoffnung und Freude, die ich einst für unsere Zukunft empfand, existierten nicht mehr. Stattdessen lebte ich mit einer unersättlichen Leere in mir und funktionierte für meine beiden Töchter wie ein Roboter.

»Luke?«

Mein Kopf dröhnte, die Stimmen um mich herum erreichten mich kaum. Mit müden Augen starrte ich meine Schwester an, die mich ungeduldig musterte.

»Du wirst das hier doch sowieso nicht essen«, spottete sie. »Ich weiß gar nicht, warum sich Mom jeden Sonntag die Mühe macht. Am Ende landet die Hälfte deiner Portion im Müll.«

»Hailey!« Die Stimme meiner Mutter zischte über den Tisch, doch meine Schwester zuckte unbeeindruckt mit den Schultern.

»Ist doch wahr. Andere Menschen hungern, und wir verschwenden das Essen, weil Luke es nicht schafft, den Arsch hochzukriegen.«

Hailey hatte noch nie ein Blatt vor den Mund genommen, so war sie nun mal. Dad zog angespannt mit seiner Gabel Muster durch die Soße, und ich spürte, wie Nia neben mir unruhig auf ihrem Sitz zappelte. Es war nicht immer ein Segen, zwei solche Schwestern zu haben. Die eine sprach zu viel, und die andere schwieg aus Angst vor Konflikten.

»Hailey, es reicht!« Mom wurde lauter.

Sie legte die Hand auf meine, aber ich zog sie ruckartig unter den Tisch. Enttäuscht sah sie mich aus ihren blauen Augen an, in denen unausgesprochene Worte lagen. Fragen nach dem Warum, nach einem Grund. Antworten, die ich ihr nicht geben konnte, weil ich selbst nach ihnen suchte.

»Luke … Ich weiß nicht, wie oft ich dir noch sagen muss, dass wir dir alle helfen. Zusammen schaffen wir das.«

Ich unterdrückte ein genervtes Stöhnen. Gott, ich hasste die Sonntagsessen bei meinen Eltern.

Seit acht Wochen liefen sie immer nach dem gleichen Schema ab. Ich benahm mich wie ein Arsch, Hailey ließ so lange schamlose Kommentare ab, bis wir uns stritten, und jedes Mal enttäuschte ich meine Eltern ein kleines Stückchen mehr. Sie wollten nur helfen, aber sie begriffen nicht, dass dazu niemand in der Lage war, solange ich wie das Kaninchen vor der Schlange vor meinem Leben saß.

»Und wie, Mom? Du und Dad arbeiten beide, Hailey ist den ganzen Tag am College und ich in der Schule. Wer soll auf Sophia und Lou aufpassen, wenn niemand da ist?« Nia meldete sich nur selten zu Wort. Gegen Hailey zu argumentieren war reine Zeitverschwendung, aber wenn die Jüngste von uns die Stimme erhob, verstummten alle anderen.

Entschuldigend sah Nia mich an, in deren Blick ich eine Seite von mir erkannte, die ich derzeit so schmerzlich vermisste. Obwohl wir zwölf Jahre auseinanderlagen, standen wir uns von allen Geschwistern am nächsten. Hailey und ich waren uns manchmal zu ähnlich, weshalb es immer wieder Konflikte gab.

»Du musst dir etwas einfallen lassen, Luke«, sagte sie leise und warf mir ein schwaches Lächeln zu.

Die Beurlaubung endete in wenigen Tagen, und es führte kein anderer Weg daran vorbei, als der Realität ins Gesicht zu sehen. Mein Leben, so wie ich es kannte, existierte nicht mehr. Der Einzige, der mich jeden Tag daran erinnerte, dass es ein Leben vor dem Ganzen gegeben hatte, saß links am Tischende, und bisher vermied ich jeden Blickkontakt zu ihm.

Dean scheute sich hingegen nicht, das Kinn nach oben zu strecken und sich aufzurichten. Schließlich war es nicht er gewesen, der abgehauen war. Nein, Dean war geblieben, während seine Schwester sich sonst wo herumtrieb. Er blieb, obwohl ich ihn nie darum gebeten hatte, und dafür hasste ich ihn. Sein Anblick erinnerte mich jede Sekunde an Erin, auch wenn er deutlich jünger war als sie.

Wir lieferten uns einen stummen Austausch aus provozierenden Blicken, bis ich ihm nicht mehr standhielt und herausplatzte: »Wenn du helfen willst, Mom, dann lade den hier nicht mehr ein. Er gehört nicht zur Familie.«

Jeder andere wäre empört und verletzt über meine Worte gewesen, Dean aber schenkte mir ein nonchalantes Lächeln.

»Weißt du was, Luke? Ich habe da so eine Idee, wie dir mit allem geholfen wird. Du wirst schon sehen, und am Ende bist du mir dafür dankbar.«

»Beinhaltet das unter anderem auch, dass du dich endlich aus meinem Leben verpisst? Denn das scheint ihr besonders gut in eurer Familie draufzuhaben«, knurrte ich und ballte die Hände unter dem Tisch zu Fäusten.

Einen kurzen Augenblick lang blitzte Schmerz in Deans dunklen Augen auf, aber sein Stolz ließ es nicht zu, ihn offen preiszugeben. »Nimm dir am Freitagabend nichts vor.«

Aller Augen waren fragend auf den Mann gerichtet, der vielleicht in einer anderen Zukunft, in einem anderen Leben mein Schwager hätte werden können. In dieser Realität aber war er bloß der Bruder einer Frau, die drei Leben zerstört hatte.

Der Bruder, der sich für eine Familie entschieden hatte, die ihn auf immer mit der Entscheidung in Verbindung bringen würde, die seine Schwester getroffen hatte.

Trotzdem aber blieb er, lebte mit der unverzeihlichen Bürde, die Erin ihm auferlegt hatte. Vielleicht wollte er damit die Lücke füllen, die jeden Tag zu spüren war. Dean versuchte, ihre Fehler reinzuwaschen, aber das war unmöglich.

Insgeheim wünschte ich mir für ihn etwas, das ich selbst nicht schaffte – mit dem Leben fortzufahren. Zu vergessen und neu anzufangen. Niemand würde ihn dafür verurteilen. Schweigend widmete sich jeder wieder seinem Essen zu, das längst kalt geworden war.

Ich hasste diese verfluchten Sonntagsessen.

1 EMMA

Obwohl ich jedes Mal Wehmut empfand, kam ich trotzdem beinahe täglich hierher. Es war ein Ritual aus vergangenen Tagen, eines das ich erst jetzt wirklich zu schätzen wusste. So oft hatte ich die Tage verflucht, wenn der Wecker schrecklich früh geklingelt hatte und ich zu den Kursen gehetzt und trotzdem zu spät erschienen war.

Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als die Zeit zurückdrehen zu können. Dann würde ich nämlich nicht auf einer alten Holzbank auf dem Campus sitzen und mir vorstellen, dass ich weiterhin das College besuchte.

Noch immer sah ich mich selbst dabei, wie ich manchmal heimlich ein paar Centstücke aus dem Brunnen im Eingangsbereich fischte, um Kleingeld für einen Kaffee zu haben.

Wie glücklich ich mit dem Leben war, bevor sich alles verändert hatte, dachte ich wehmütig. Aber meine Tage am Bay College waren vorbei, auch wenn ich nicht die Hoffnung aufgab, doch noch irgendwie meinen Abschluss zu machen.

Eine sanfte Brise zog über die Bucht, spielte mit den Blättern der Bäume, von denen es unzählige hier in Winters Bay gab. Das College selbst war umringt von den satten Grüntönen der Wälder, und manchmal wirkte es so, als würde es von den vielen Bäumen verschluckt werden. Es war ein schwüler Sommertag, der am Abend hoffentlich einen kräftigen Regenschauer und Abkühlung mit sich brachte.

Ich seufzte tief. Die letzten Wochen hatten ihre Spuren hinterlassen. Derzeit fragte ich mich, wie lange ich es noch schaffte, den Weg weiterzugehen, bis er endgültig vor mir einbrach und mich mit sich in die Tiefe zog. Als ich meine beste Freundin erspähte, schob ich die Gedanken beiseite, sprang von der Bank auf und rannte zu ihr.

»Nell!«, rief ich und winkte gleichzeitig.

Es war nicht schwer, sie von Weitem zu erkennen. Dank ihrer kastanienbraunen Mähne, den vielen Tattoos auf ihrem linken Arm und dem flippigen Kleidungsstil würde ich sie überall finden. Als Nell mich erblickte, schüttelte sie den Kopf und stemmte die Hände in die Hüften.

»Du kannst es nicht lassen herzukommen, oder?«

Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern und ließ meinen Blick traurig über das Campusgelände schweifen. An diesem College zu studieren war immer mein Traum gewesen.

Die Gebäude stammten aus dem frühen 19. Jahrhundert, und das College war bekannt für sein ausgezeichnetes Sportangebot. Ich war seinerzeit erleichtert gewesen, dass ich überhaupt angenommen wurde.

Anders als die anderen Studenten war ich nicht sportlich talentiert, und da Yoga nicht als Aufnahmekriterium galt, hatte ich mir keine großen Hoffnungen gemacht.

Ich liebte Winters Bay, und das College war ideal gewesen, da ich so nicht von zu Hause ausziehen musste und mir die Mietkosten für einen Platz im Wohnheim sparen konnte.

Das verschlafene Städtchen an der Küste Oregons war bekannt für die riesigen Wälder, die es umgaben, und die Bucht, die sich im Winter in ein einziges Naturschauspiel verwandelte. Verschiedene Gewässer flossen dort zusammen, und in den kalten Monaten war es möglich, auf ihnen Schlittschuh zu laufen.

»Die Erinnerungen sind alles, was mir geblieben sind. Durch sie ist es real, dass ich überhaupt jemals hier studiert habe.«

Ich wusste, wie falsch es war, ständig hier aufzukreuzen, weil ich anschließend jedes Mal heulend im Auto saß.

»Jetzt, wo sie mir auch noch den Job im Café gekündigt haben, weiß ich nicht, wie es weitergehen soll. Dad weiß nicht mal was davon …«

»Emma, sprich mit ihm. Du kannst nicht alles allein auf dich nehmen.« Nell sah mich eindringlich aus ihren grünen Augen heraus an. »Niemand erwartet von dir, dass du alle Kämpfe allein austrägst.«

Die leichte Brise fühlte sich plötzlich unangenehm kalt auf meiner Haut an, und ich erschauerte. Im letzten Moment gelang es mir, die Tränen zurückzuhalten, ich ließ stattdessen resigniert die Schultern hängen.

Ein paar Bekannte begrüßten mich von Weitem, als wäre alles wie immer. Als hätte ich nicht das College verlassen, weil wir die Gebühren nicht mehr zahlen konnten und das Teilstipendium nicht ausreichte. Als wäre mein Vater nie vom Dach gestürzt, weswegen er sich nun einer monatelangen Physiotherapie unterziehen musste, die kaum zu bezahlen war.

Nell hakte sich bei mir ein und zog mich in das Gebäude für Künste hinein. Der vertraute Geruch von Farbe und Lack lag in der Luft, und es wurde mir noch schwerer ums Herz, denn hier war ich immer am liebsten gewesen.

Ich verstand weder etwas vom Zeichnen und dem Einsatz verschiedener Farben noch von Fotografie oder Mode, aber wanderte trotzdem gern hier umher und ließ mich inspirieren. Der Bereich für Musik lag zum Glück im hinteren Gebäude, sodass ich ihn gar nicht erst betreten musste.

»Dad muss erst wieder gesund werden. Ich will ihm das nicht auch noch aufbürden. Die Versicherung zieht ihm jeden Cent aus der Tasche, Eleanor. Wenn ich ihm sage, dass ich in den Job verloren habe, wird alles nur schlimmer.«

Wenn ich sie bei ihrem richtigen Namen nannte, dann war es wirklich ernst. Mitfühlend lehnte sie ihren Kopf an meine Schulter, was ein merkwürdiges Bild abgab, denn sie war mindestens zehn Zentimeter größer als ich.

»Ich wünschte, ich könnte euch helfen. Ohne deinen Dad hätte ich niemals den Mut gehabt, Mode zu studieren.«

»Ohne ihn hätte ich mich niemals getraut, mich hier überhaupt einzuschreiben.«

Wir verfielen in ein schmerzliches Schweigen, bis wir schließlich an der Pinnwand im Hauptflur stehen blieben. Sie war voll mit Flyern und Plakaten für die bevorstehende Fieldparty, Werbung für das Homecoming-Spiel und Listen, um sich in verschiedene Klubs einzutragen. Die wenigsten hier kannten finanzielle Sorgen, weil sie Vollstipendien besaßen.

Ohne Vorwarnung packte mich die Wut, und Gefühle, die ich in den letzten Wochen immer wieder unterdrückt hatte, brodelten an der Oberfläche. Am liebsten hätte ich den ganzen Mist von der Wand gerissen, aber letztlich seufzte ich lautstark auf und deutete auf einen Flyer. »Du willst sicher zu der Fieldparty, oder?«

»Natürlich gehen wir dahin, Emma. Das ist doch unsere Tradition.« Beinahe empört musterte Nell mich, ehe sie zurückruderte. »War unsere Tradition … Sorry, war blöd von mir. Du solltest trotzdem mitkommen.«

»Ich entscheide spontan, in Ordnung? Je nachdem, wie es Dad geht.«

Wir wurden unterbrochen, als ein junger Mann neben uns trat und genau das ausführte, wonach mir war – er riss, ohne zu zögern, die gesamten Flyer und Plakate von der Wand und ließ sie achtlos auf den Boden fallen. Nell und ich sahen uns irritiert an, ehe wir ihn dabei beobachteten, wie er stattdessen einen einzigen Zettel direkt in die Mitte pinnte.

»Sag mal, geht’s noch Dean? Die Flyer sind wichtig!«

Es wunderte mich nicht, dass Nell den Typen kannte. Sie hatte gerne ihren Spaß, nahm sich und das Leben nicht zu ernst und lernte auf Partys schnell neue Leute kennen.

»Für dich vielleicht, Schätzchen. Für mich ist das hier wichtig.«

Er warf ihr ein provozierendes Lächeln zu, das mir unter anderen Umständen weiche Knie beschert hätte, und ich sah, wie Nell errötete. Okay, das war neu. Bisher hatte es kein Mann geschafft, Eleanor Riley so zu beeindrucken, dass sie rot wurde.

Dean war ein echter Hingucker mit den braunen Augen, dem vollen dunklen Haar, das ihm in die Augen fiel und dem verschmitzten Grinsen. Ihm saß der Schalk im Nacken, so viel war sicher.

»Ach, und was soll das so Wichtiges sein?« Sie trat einen Schritt vor und verschränkte die Arme vor der Brust.

Während die beiden zu diskutieren anfingen, warf ich einen Blick auf den Zettel. Mein Herz schlug rasend gegen meine Brust, je länger ich mir die Worte durchlas. Plötzlich war meine Zunge schneller als die Gedanken in meinen Kopf. »Ich mach’s.«

Ich riss den Zettel wieder ab, straffte die Schultern, um selbstbewusster zu wirken, weil ich in diesem Augenblick nicht wusste, was ich mir überhaupt dabei dachte. Ich hoffte nur, dass Dean mir meine Unsicherheit nicht anmerkte.

Überrascht wandte er sich mir zu und runzelte die Stirn. »Meinst du das ernst? Das hier ist kein Spaß und wirklich wichtig.« Seine dunklen Augen loderten aufgeregt auf, und er spannte den Kiefer an, der markant hervorstach. Deans breitschultrige Statur erinnerte an die eines Footballspielers und schüchterte mich ein. Es war unmöglich einzuschätzen, was in ihm vorging.

»Worum geht’s hier eigentlich?«

Nell riss mir das Blatt aus der Hand, ehe sie mich ebenfalls verblüfft ansah. »Du willst als Nanny arbeiten?«

Ich zuckte unbefangen mit den Schultern. »Klar, warum nicht? Ich mag Kinder und habe Erfahrung mit ihnen. Wie es aussieht, braucht die Familie jemanden, der sich um die Kids kümmert, und ich kann das Geld echt gebrauchen. Es ist also eine Win-win-Situation.«

Nell wirkte nicht überzeugt, Dean aber schien ich auf meiner Seite zu haben.

»Meine Schwester und ihr Freund müssen dich natürlich ernst noch kennenlernen, um über die Details zu sprechen. Aber das ist alles schnell geregelt. Wie wäre es, wenn du heute Abend hingehst? Hier steht meine Nummer drauf. Schreib mir später, dann schicke ich dir die Adresse.«

»Alles klar.«

Meine gesamten Sorgen lösten sich für einen glücklichen Moment in Luft auf, und ich spürte, wie ich wieder atmen konnte. Der Druck auf meinen Schultern wich. Dean zwinkerte Nell vielsagend zu, aber sie schenkte ihm nur einen wütenden Blick. Ich musterte die beiden schmunzelnd und sah ihm kurz hinterher, wie er Richtung Ausgang verschwand.

»Okay, willst du mir verraten, was das mit diesem Typen und dir auf sich hat?«, fragte ich grinsend.

»Wir haben uns in den Semesterferien auf einer dieser dämlichen Fieldpartys kennengelernt. Nicht so wichtig.« Nell winkte ab, schüttelte den Kopf und verzog mit ernster Miene das Gesicht. »Willst du mir lieber verraten, ob du jetzt vollständig den Verstand verloren hast?«

»W-Was meinst du?«

Nell deutete auf das Papier, das mittlerweile zerknittert war. Ihre grünen Augen erinnerten mich gerade an die einer Schlange, und ich schluckte angespannt.

»Findest du das nicht etwas merkwürdig? Man sucht eine Nanny nicht einfach an einer Pinnwand am College, Emma. Da gibt es garantiert einen Haken. Vor allem: Warum suchen die Eltern sich nicht selbst ein Kindermädchen?«

Um ehrlich zu sein, war mir das gerade egal. Ich benötigte dringend etwas, das mir wieder Halt und Mut gab, nicht aufzugeben.

»Was habe ich denn für eine Wahl? Vielleicht ist es nicht die professionelle Art, eine Nanny zu suchen, aber er klang wirklich verzweifelt. Außerdem kann ich mit dem Geld meinem Vater helfen, und vielleicht bleibt am Ende sogar ein kleiner Puffer übrig. Weißt du, was ich damit alles anfangen könnte?«

Nell rollte mit den Augen. »Jetzt fang nicht mit Ben an.«

So lieb ich meine beste Freundin hatte, so sehr ärgerte mich manchmal ihre Ablehnung von verbindlichen Beziehungen zu Männern. Das schützte sie vor Enttäuschungen, und es war ihr Weg, den sie selbst gewählt hatte. Nell sah meinen Freund Ben als einen Fehler an, für mich war er die große Liebe.

»Ich könnte sparen und ihm nachreisen.« Ich fing zu träumen an, bevor ich den Job überhaupt hatte. »Vielleicht könnte ich sogar ein paar Abendkurse belegen und meinen Abschluss doch noch schaffen.«

Nell seufzte und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. »Ich will nur, dass du vorsichtig bist. Wenn Dean Lewis involviert ist, endet das immer im Chaos.«

Ich knuffte sie in die Seite und ließ mich zu einem Lächeln hinreißen. »Na, du musst es ja wissen.«

***

Ich liebte den Highway, der entlang der Bucht zurück in die Stadt führte. Es gab einige Aussichtspunkte, an denen es möglich war, zu parken und einen Blick auf die drei Seen zu werfen, die in der Bucht zusammenfanden. Die Natur war hier atemberaubend, vor allem der Herbst war die schönste Jahreszeit in Winters Bay.

Obwohl Dad und ich am Ende des Highland State Forest lebten und die Gegend dort rauer war als auf der Campusseite, würde ich keinen anderen Ort zum Wohnen wählen.

Jetzt da die Aufregung verflogen war, kamen mir die ersten Zweifel. Es lag nicht daran, dass ich Angst davor hatte, mit Kindern zu arbeiten, schließlich wollte ich Lehrerin werden. Nells Worte, dass es einen Haken bei der Sache geben musste, waren es, die mir nicht mehr aus dem Kopf gingen. Ich wollte nicht daran denken, dafür benötigte ich die Hoffnung zu sehr.

Ich wusste, dass ausgebildete Nannys angemessen bezahlt wurden, und ich verlangte nicht mal, dass ich ein entsprechendes Gehalt bekam. Mir reichte es schon, überhaupt mal wieder einen Scheck zu sehen, bei dem ich nicht anschließend noch nachrechnen musste, ob etwas von dem Geld übrig blieb.

Nach der Kündigung des Cafés blieb mir keine andere Wahl. Ich brauchte diesen Job, und dafür musste ich heute Abend vorbereitet sein. Also beschloss ich, von meinen letzten hundert Dollar etwas abzuzweigen, dem Secondhandshop im Stadtzentrum von Winters Bay einen Besuch abzustatten und ein neues Outfit zu kaufen.

In der Hoffnung, die Familie Parker überzeugen zu können, in mich ihr Vertrauen zu setzen. Ganz egal, wie sehr Nells Worte in meinen Gedanken herumspukten.

2 LUKE

Die längste Woche meines Lebens neigte sich dem Ende zu, doch anstatt erleichtert zu sein, kämpfte ich mit Fragen und Sorgen, die mir kaum Raum zum Atmen ließen.

Obwohl ich von Beginn an wusste, dass Erin ihre Meinung nicht ändern würde, so hatte ich die letzten acht Wochen um ein Wunder gebetet. Aber schließlich hatte sie nur das getan, wonach sie sich insgeheim immer gesehnt hatte – sie hatte sich einen Ausweg verschafft, ohne Rücksicht auf Konsequenzen. Dass sie der Mensch war, den alle anderen in ihr sahen und ich an einer Wunschvorstellung festhielt, war frustrierend und nur schwer auszuhalten. All die Jahre war ich geblendet davon gewesen, anstatt auf die Stimme in meinem Kopf zu hören. Tief im Innern hatte ich gewusst, dass dieser Tag irgendwann kommen würde. Es hatte schon damit angefangen, dass Erin nicht heiraten wollte, auch nicht als Sophia unterwegs war. Sie begründete es mit der schlechten Ehe ihrer Eltern. Ich musste es akzeptieren und habe immer gehofft, dass sie ihre Meinung mit der Zeit ändert. Eigentlich hätte ich besser wissen müssen, besser als sie selbst vielleicht, dass ihr Freiheitsdrang dahintersteckte.

Aber die Jahre vergingen, Sophia und Lou wurden geboren, und in meinem Herzen keimte die Hoffnung auf, dass Erin glücklich mit ihrer Familie war. Dass sie aufhörte, sich nach etwas zu sehnen, was wir ihr nicht geben konnten.

Nach allem, was passiert war, fiel es mir schwer, auf Hilfe angewiesen zu sein. Wenn ich schon einer war, der sich hatte blenden lassen, wollte ich es unbedingt alleine schaffen. Zumindest das war ich meinen zwei Töchtern schuldig. Die beiden verdienten eine glückliche Familie, Beständigkeit und Liebe, doch alles, was ich ihnen gab, waren leere Versprechungen. Sophia wartete seit Wochen auf eine Erklärung meinerseits, und alles, was ich tat, war ihr direkt ins Gesicht zu lügen oder sie mit Ausreden über den Verbleib ihrer Mutter zu beschwichtigen. Für ihre sieben Jahre war sie schon sehr weit, und sie spürte, dass etwas nicht in Ordnung war.

Lou war erst drei Monate alt und noch viel zu klein, um überhaupt etwas von der Situation zu verstehen. Sie würde ihre Mom nie kennenlernen.

Immerhin war Sophia für die nächsten Wochen im Sommercamp, und bis dahin konnte ich mir endlich eine Erklärung für das Dilemma überlegen, anstatt sie immer wieder damit abzuwimmeln, dass Erin bloß verreist war. Wer weiß, vielleicht stimmte das sogar. Es war durchaus möglich, dass sie es sich in Florida oder Hawaii gut gehen ließ.

Seufzend drückte ich meinen Kopf gegen den Autositz und schloss die Augen. Mein ganzer Körper schmerzte, ich spürte jeden Muskel, der verspannt war. Die Polizeiuniform war bei dieser Hitze viel zu warm, und mir rannen Schweißperlen von der Stirn. Nebenbei war die Klimaanlage in diesem gottverdammten Auto kaputt.

Aufgrund meiner Auszeit war mein Boss der Meinung gewesen, es wäre besser, wenn ich mich erst einmal wieder zurechtfand, anstatt gleich meine Einheit zu leiten, die sich mit der Verbrechensaufklärung in Portland befasste. Deshalb wurde ich zu einem Idiotenjob verdonnert: Knöllchen in Winters Bay verteilen.

Frustriert rieb ich mir über die dunklen Bartstoppeln, die an meiner Handfläche kratzten. Mit einem genervten Blick starrte ich auf die Straße und beobachtete dabei ein paar Einwohner dieser Stadt. Winters Bay besaß eine kleine Innenstadt mit einem Antiquitätengeschäft, einem beschaulichen Markt für Obst und Gemüse, einem alten Buchladen und ein paar anderen Geschäften. Bei der Jugend war die Mall beliebt, die für mich allerdings nicht in den diesen Ort hineinpasste.

Gerade als ich dachte, der Tag würde gar kein Ende mehr nehmen, erblickte ich ein Auto, das im Halteverbot stand. Für einen Augenblick dachte ich darüber nach, es zu übersehen, aber als sich die ersten Passanten beschwerten und auf mein Polizeiauto deuteten, blieb mir keine andere Wahl.

Genervt stieg ich aus, rückte die Sonnenbrille auf meiner Nase etwas zurecht und schritt zu dem Pick-up, der total heruntergekommen war. Nicht nur, dass er dringend eine Autowäsche vertragen konnte – er stand auch kurz vor dem Zerfall. Es grenzte an ein Wunder, dass er überhaupt noch fuhr. Gelangweilt holte ich das elektronische Erfassungsgerät hervor, um das Kennzeichen zu notieren. Die Parkplätze hier waren zwar knapp, aber vor einem Hydranten zu stehen war verboten.

Gerade als ich ein Bußgeld von achtzig Dollar verhängte und das Ticket hinter den Scheibenwischer steckte, kam eine junge Frau erschrocken aus dem Geschäft gerannt.

»Halt, bitte!«, rief sie schwer atmend. »Ich stand nur fünf Minuten hier und wollte sofort wieder fahren!«

Mit großen Rehaugen musterte sie mich. Verunsichert presste sie die Lippen aufeinander und wirkte, als stünde sie kurz vor einem Tränenausbruch. »Bitte, kein Strafzettel.«

Ihr klebten einzelne Haarsträhnen ihres Ponys an der Stirn, was sie genauso abgekämpft aussehen ließ, wie ich mich fühlte. Als ich sie musterte, empfand ich Mitleid.

Ihre alten Chucks standen in Konkurrenz zu dem rostigen Auto, und beides hätte dringend ersetzt werden müssen.

Ich schätzte sie auf Anfang zwanzig. Das braune Haar war in einem unordentlichen Knoten zusammengebunden, und in den dunklen Augen lag jugendlicher Leichtsinn.

»Tut mir leid, Miss, aber Sie stehen im Halteverbot. Da ist es egal, ob Sie nur mal eben kurz irgendwo hinwollten.«

Ich versuchte, nicht allzu gelangweilt zu klingen, und schaffte es kurz, ein falsches Lächeln aufzusetzen. Es war schon so gekünstelt, dass es beinahe wieder komisch war. In der Hoffnung, dass die junge Frau kein Drama aus der Sache machte, nahm ich die Sonnenbrille ab und musterte sie eindringlich. Anstatt einzuknicken, blitzte in ihren dunklen Augen Entschlossenheit auf.

»Können Sie bitte eine Ausnahme machen?« Sie hielt meinem Blick stand, lächelte aber nicht. »Ich habe heute Abend ein wichtiges Gespräch, und ich bin total blank. Ich stand hier wirklich nur für einen Augenblick.«

Ich warf einen Blick über ihre Schultern und erkannte den Secondhandladen, aus dem sie gehetzt war. Hoffnungsvoll biss sie sich auf die Unterlippe und wippte angespannt auf ihren Zehenspitzen.

»Es waren wirklich nur fünf Minuten.«

Ich seufzte genervt. »Wenn Ihnen das Parken so schwerfällt, sollten Sie das nächste Mal lieber den Bus nehmen.«

Wäre meine Situation eine andere gewesen, hätte ich es ihr durchgehen lassen, aber die Frau hielt für etwas her, mit dem ich nicht klarkam.

»Ist das Ihr Ernst?«, fragte sie empört.

»Fahrzeugpapiere und Ausweis bitte.«

Ihre Wangen färbten sich knallrot, und das lag sicherlich nicht daran, dass die Wärme unerträglich war und wir in der prallen Nachmittagssonne standen. Sie murmelte etwas Unverständliches, schritt dann aber zu dem rostigen Auto und händigte mir ihre Papiere aus.

Emma Maree Sawyer.

»Sind Sie mit Anthony Sawyer verwandt?«

Vielen Menschen war Sawyer hier ein Begriff. Er hatte als Dachdecker gearbeitet, bis er vor ein paar Monaten einen schweren Unfall gehabt hatte, bei dem er vom Dach abgerutscht war und zehn Meter in die Tiefe stürzte.

»Er ist mein Vater«, presste Emma angespannt hervor.

Mittlerweile wirkte sie genervt und verschränkte die Arme vor der Brust. Resigniert lehnte sie sich gegen ihr Auto und starrte auf ihre Füße.

»Bekomme ich jetzt einen Mitleidsbonus?«, fragte Emma trotzig.

Ich hätte beinahe gelacht. »Nein. Das Leben ist nun mal scheiße.«

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte ich mich um und ließ sie stehen.

***

Die Sonne stand tief, als ich nach einem langen Tag nach Hause zurückkehrte. Die Häuser hier standen im perfekten Abstand zueinander, mit hübschen Anstrichen und gepflegten Vorgärten. Die Nachbarn grüßten einen stets von ihrer Veranda aus und trugen dabei ein aufgesetztes Lächeln auf den Lippen.

Wie ein Lauffeuer hatte sich herumgesprochen, dass Erin mich von heute auf morgen verlassen hatte, und längst brodelte die Gerüchteküche. Mir war es egal, was andere Leute sich erzählten, solange Sophia nichts davon mitbekam.

Jeder noch so kleine Winkel des Hauses war gefüllt mit Erinnerungen an Erin und unsere Familie. Sie wurden überschattet von ihrem Weggang, von der Enttäuschung und der Wut. Am liebsten hätte ich dieses gottverdammte Haus niedergebrannt, zusammen mit Erins Präsenz, die überall zu spüren war. All ihre Kleidung, herumliegende Kleinigkeiten und ihre alte Gitarre ignorierte ich bis aufs Weitere, obwohl es mir schwerfiel. Aber wenn ich sie entsorgen würde, würde ich damit Sophia noch mehr verunsichern.

Als ich die Einfahrt hochfuhr, sah ich Maddie auf der Veranda sitzen. Sie hielt Lou im Arm und las nebenbei ein Buch. Madelaine Howard war nicht nur meine Nachbarin, sondern auch meine beste Freundin seit Grundschulzeiten und einer der wenigen Menschen, bei denen ich noch das Gefühl hatte, mich auf sie verlassen zu können. Früher hatte ich kein Problem mit Vertrauen zu Mitmenschen gehabt. Aber seit Erin verschwunden war, war dieses Vertrauen verflogen, und Maddie wusste das.

Als ich die Stufen emporstieg, sah sie kurz auf und ignorierte mich dann. So lief das seit Wochen zwischen uns ab. Ohne sie wäre ich aufgeschmissen gewesen, weil sie sich die ganze Zeit über um Lou kümmerte, aber es war keine Dauerlösung. Maddie nahm mir mein Verhalten übel, war verletzt, dass ich mich so zurückzog. Aber meine gesellige Seite war verschwunden, irgendwo ganz tief begraben, und selbst wenn ich wollte, so hatte ich keine Ahnung, wo ich mit der Suche anfangen sollte.

Ohne sie anzusehen, nahm ich ihr das drei Monate alte Baby ab und biss mir zerknirscht auf die Lippen.

»Ich lasse mir etwas einfallen.«

»Wann?« Ihr Tonfall war kühl. »Das hast du schon vor drei Wochen gesagt. Deine Kinder brauchen Stabilität, Luke.«

Als ob ich das nicht wusste. Genervt rollte ich mit den Augen und drückte Lou an mich. Maddies Parfüm haftete noch an ihrer Kleidung, und müde starrte mich meine Tochter an. In ihren Augen lag Liebe und Vertrauen, doch beides würde irgendwann enttäuscht werden.

Nur wenn du so weitermachst.

»Du musst aufhören, dich selbst zu bestrafen. Nicht du bist abgehauen, sondern Erin. Sieh zu, dass du endlich wieder klarkommst, so schwer es auch ist.«

Maddie versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln, doch bei meinem Anblick senkte sie den Kopf und ließ die Schultern kraftlos hängen. Am liebsten hätte ich mit einem lockeren Spruch geantwortet, aber ich war erschöpft. Müde von den letzten Monaten, von der Last, der Verantwortung und den Menschen um mich herum, die mir im Nacken saßen und verhinderten, dass ich mich ganz aufgab.

Als ich ins Haus trat und Dean auf der Couch erblickte, wie er Popcorn in sich hineinschaufelte und How I Met Your Mother schaute, presste ich die Kiefer so fest aufeinander, dass es schmerzte.

»Luke, da bist du ja endlich!«, begrüßte er mich freudig.

Genervt rollte ich mit den Augen. Ich hasste ihn dafür, dass er stets so tat, als wäre alles in bester Ordnung.

»Was zum Teufel machst du hier?«, blaffte ich ihn an. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du endlich abhauen sollst?«

Dean stellte die Schüssel beiseite und kam auf mich zu, anstatt sich von meinen Worten beirren zu lassen. Vorsichtig legte ich Lou in ihre Wiege, stöhnte gereizt auf und ging zum Kühlschrank, um mir ein kühles Bier zu nehmen.

»Du wirst mich nicht los, auch wenn du das gerne willst. Nicht alle Menschen verlassen dich, Luke.«

»Gott, flüsterst du das den Mädels ins Ohr, bevor du sie vögelst?«

Dean fasste sich theatralisch an seine Brust und zog einen Schmollmund. »Autsch, das hat mich echt getroffen. Du bist ein Arsch, aber was soll’s. Es gibt da etwas, worüber ich mit dir reden muss.« Aufgeregt blitzten seine braunen Augen auf. »Ich habe die perfekte Lösung für Sophia und Lou gefunden.«

»Und die wäre?« Ich zog skeptisch die Augenbraue nach oben.

Dean knibbelte an seinen Fingernägeln herum, eine nervige Angewohnheit, wenn er nervös war.

»Du musst mir versprechen, mich ausreden zu lassen, okay? Ich habe es gut gemeint, und ich glaube, dass es funktionieren kann. Dafür musst du nur ein bisschen lockerer werden.«

Misstrauisch musterte ich ihn. »Was hast du getan?«

In dem Moment, in dem er antworten wollte, klingelte es plötzlich an der Tür. Dean warf mir ein nervöses Lächeln zu und sprintete los. »Nicht sauer werden!«

Ohne zu zögern, folgte ich ihm, um nachzusehen, wer an der Tür war. Als ich eine junge Frau erblickte, musste ich zweimal hinschauen, um sicher zu sein, dass es sich nicht um einen blöden Scherz handelte.

Der Lippenstift war zu knallig, aber im ersten Augenblick lenkte er von den fürchterlichen Chucks ab, die sie schon wieder trug. Was zum Teufel suchte Emma Sawyer hier?

Ihre Haare waren jetzt offen und reichten in sanften Wellen auf ihre Schultern, der Pony fiel ihr ins Gesicht, was ihre Züge weicher wirken ließ. Sie war unauffällig hübsch, ging vermutlich noch aufs College. Aber ihr Kleidungsstil war fürchterlich!

Das dunkle Flanellhemd stammte vermutlich von ihrem Vater, und die zerrissene Jeans gehörte für meinen Geschmack längst in den Müll. Sie strahlte Dean mit einem freundlichen Lächeln an, wodurch sich zwei Wangengrübchen bildeten, doch als sie mich im Hintergrund entdeckte, entgleisten ihre Gesichtszüge. Dean jedoch drehte sich zu mir um und grinste.

»Als ich sagte, dass ich mich um eine Lösung für dich kümmere, habe ich es auch so gemeint. Das hier ist Emma. Die potenzielle Nanny für Sophia und Lou.«

Nanny? Nicht dass ich darüber nicht schon nachgedacht hatte, aber Emma kam unter keinen Umständen infrage. Vermutlich war Dean schon mit ihr im Bett gewesen und beurteilte sie nach Fähigkeiten, bei denen es mir eiskalt den Rücken herunterlief. Oder aber er wollte sie einfach dauerhaft vögeln.

Emma und ich starrten uns an, und meine Gedanken spiegelten sich in ihrem Gesicht wider: Aus dieser Idee würde garantiert nichts werden!

3 EMMA

Ich wollte es nicht wahrhaben, weil sie es mir für ewig vorhalten würde, aber Nell behielt recht: Es gab einen Haken. Natürlich. Es durfte ja nicht einmal reibungslos laufen, ohne dass irgendwo eine Falle lauerte und zuschnappte.

Den ganzen Nachmittag hatte ich mich über dieses blöde Ticket geärgert, aber noch viel mehr über den Polizisten, der es ausgestellt hatte. Es war schon ein teuflischer Scherz, dass ausgerechnet er derjenige war, bei dem ich mich für die Arbeit als Kindermädchen vorstellte. Ein Blick in seine kalten und abweisenden blauen Augen genügte. Ich würde niemals diesen Job bekommen.

Ich war so außer mir gewesen, dass ich völlig vergessen hatte, noch einmal zurück in den Secondhandladen zu gehen, und hatte mir zu Hause nur schnell etwas angezogen, was ich für angemessen hielt und nicht ganz verwaschen war.

Luke aber passte mein Auftreten gar nicht, und ich fühlte mich augenblicklich unwohl.

Dean hingegen öffnete die Tür weit und trat zur Seite.

»Komm herein.«

Mein Herz klopfte nervös gegen meinen Brustkorb, und angespannt ballte ich die Hände zu Fäusten. Etwas in mir sträubte sich, in das Haus zu treten, in dem scheinbar der Teufel höchstpersönlich lebte.

Schließlich war es der Polizist, der einen Schritt auf mich zuging und Dean zornig anfunkelte. Er war einen Kopf größer als der Typ, in den Nell sich verguckt hatte. Breitschultrig, muskulös, mit harten Zügen. Der dichte Bartschatten auf seinem Kinn strahlte eine gewisse Distanz aus.

»Das kannst du vergessen, Dean! Was fällt dir ein, einfach ein Mädchen anzuschleppen und es als Nanny vorzustellen?«

Dean warf ihm einen dunklen Blick zu und zischte genervt:

»Wenn du mich auch nur ein einziges Mal ausreden lassen würdest, könnte ich es dir erklären, Luke.«

Luke. So war also sein Name. Arschloch hätte es besser getroffen. Er stemmte brummig die Hände in die Hüften und seufzte theatralisch. »Ich bin ganz Ohr.«

Seine tiefe Stimme klang gereizt, und ich zögerte, einen Schritt in das Haus zu setzen. Von den Kindern war keine Spur zu sehen, geschweige denn von der Mutter, und in mir wuchs die Skepsis.

Nell, du darfst nicht recht behalten. Bitte, bitte nicht.

Meine beste Freundin lag ständig richtig, während ich mich irrte, weil ich zu leichtgläubig und naiv war. Selbst, wenn das Schicksal erbarmungslos zuschlug, hielt ich trotzdem an dem Guten fest.

Dean lächelte traurig. »Das ist das Mindeste, was ich tun kann. Da du mich bestrafst und aus allem ausschließt, habe ich auf eigene Faust beschlossen, jemanden zu suchen, der dir unter die Arme greift und sich um Sophia und Lou kümmert. Jede zweite Familie hat eine Nanny oder ein Au-Pair im Haus, und ich dachte, es wäre die beste Möglichkeit.«

Er zuckte mit den Schultern und sah kurz zu mir herüber. »Ich wollte am College ein Flugblatt aushängen, als ich Emma begegnet bin. Ich hatte sofort ein gutes Gefühl bei ihr, und sie sucht einen Job. Deshalb habe ich sie eingeladen, damit du sie kennenlernst.«

Irgendetwas lief hier gewaltig schief, so viel stand fest. Mit jeder Minute, die verstrich, wuchs in mir ein Unwohlsein, bis ich es nicht mehr aushielt.

»T-Tut mir leid, dass ich unterbreche, aber was ist hier eigentlich los?« Irritiert starrte ich Dean an. »Es klingt so, als wäre das bloß eine Schnapsidee gewesen.«

Enttäuschung stieg in mir auf. Träume und Hoffnungen, die ich den ganzen Tag über gehegt hatte, zerplatzten wie eine Seifenblase. Abendkurse am College, die Krankenversicherung meines Vaters, Ben … Ich presste die Lippen fest aufeinander, um zu vermeiden, etwas Dummes auszusprechen.

»Das liegt wohl daran, dass ich keine Ahnung hatte«, erwiderte Luke trotzig.

»Ist das denn jetzt so wichtig?«, entgegnete Dean genervt. »Gib Emma einfach eine Chance.«

Lukes Blick verdunkelte sich immer weiter, was mich gleichzeitig verletzte. Er gab mir nicht einmal die Chance, mich vorzustellen oder ihn davon zu überzeugen, dass ich sehr wohl geeignet für diesen Job war, denn ich liebte die Arbeit mit Kindern.

Es war ein Fehler gewesen, herzukommen und zu hoffen, dass sich die Dinge von nun an änderten. Stattdessen fing die Suche nach einem Job von Neuem an. Vielleicht sollte ich einfach bei einer anderen Familie anfragen, ob sie eine Nanny suchten. Zuvor war mir die Idee nie gekommen, aber es war der perfekte Übergangsjob für mich, um Geld anzusparen. Diese Geschichte hier jedoch war beendet, bevor sie wirklich anfangen konnte.

»Wisst ihr was? Ist schon okay. Ich werde jetzt gehen und vergessen, jemals hier gewesen zu sein. Was auch immer du dir gedacht hast, Dean …« Ich lächelte gezwungen. »Ich bin mir sicher, deine Absichten waren ehrlich. Und ich hoffe, es wird sich jemand finden, der in dieses Chaos passt, was hier augenscheinlich herrscht. Ich bin nur hergekommen, weil ich dringend einen Job suche und mir die Arbeit mit Kindern Spaß macht. Mehr nicht.«

Mir stiegen Tränen in die Augen, doch bevor jemand sie sah, lief ich schon zum Wagen und flüchtete so schnell, wie es das Tempolimit zuließ. Ein weiteres Ticket für zu hohe Geschwindigkeit durfte ich mir nicht auch noch erlauben.

***

Immer weiter entfernte ich mich auf dem Highway vom schicken Forest Hill. Ohnehin hätte ich niemals dort hingepasst. Dad und ich lebten schon immer sparsam, und seit dem Unfall noch ein Stückchen mehr.

Bislang war es mir immer egal gewesen, dass ich Kleidung aus dem Secondhandshop trug oder meine Chucks alt und zerrissen waren, denn Mode bedeutete mir nichts. Wenn Typen wie dieser Luke aber nur einen Blick benötigten, um mir zu zeigen, was sie von mir hielten, dann verletzte mich das.

Die Musik dröhnte laut durch den Pick-up, und ich versuchte, mich von dem Beat treiben zu lassen, damit ich es schaffte, meine Wut und Enttäuschung zu verdrängen, bis ich zu Hause ankam. Dad sollte keinen Wind von der Aktion heute bekommen, denn es reichte, dass ich mich mit falschen Hoffnungen herumschlug. Am meisten ärgerte ich mich über meine Naivität, mit der ich mich wieder einmal gnadenlos reingeritten hatte.

Dieses Angebot wäre nur eben perfekt gewesen.

Warum musste auch ausgerechnet in so einem schönen Haus mit hellem gelbem Anstrich und einer Veranda, die zum Lesen einlud oder langen Abenden auf der Hollywoodschaukel – warum musste ausgerechnet dort das größte Arschloch von Winters Bay wohnen?

Luke. Dank des Strafzettels häufte sich der Schuldenberg wieder ein kleines bisschen mehr. Zugegeben, der Mann hatte bloß seinen Job erledigt, aber scheinbar war er nicht nur als Polizist zynisch, sondern lebte privat ebenso mit einer grenzenlosen Wut in sich. Es brauchte nur einen kurzen Blick in seine blauen Augen, um festzustellen, dass etwas in ihm gärte.

Was auch immer da vor sich ging, war nicht mein Problem, und Deans Intentionen in allen Ehren: Sein Vorhaben war gründlich in die Hose gegangen. Manchmal schien es, als ob das Schicksal absichtlich mit mir russisches Roulette spielte. Obwohl der Tag heute ein Desaster war und ich ihn lieber vergessen wollte, konnten meine Gedanken nicht loslassen.

Aber so war ich eben. Eine dreiundzwanzigjährige Exstudentin, die die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nie aufgab. Eine junge Frau, die zu sensibel war und sich nun tagelang den Kopf zerbrechen würde, weil sie helfen wollte. Vielleicht hätte es geklappt, wenn Luke und ich uns nicht schon zuvor begegnet wären.

Ich atmete tief ein und aus. Am Ende brachte es nichts, über die Möglichkeiten nachzudenken, die niemals eintreten würden.

Dass ich im nördlichen Teil von Winters Bay ankam, war nicht nur an den Häusern zu erkennen, die nicht mehr so prachtvoll und liebevoll gepflegt waren wie jene in Forest Hill. Die Straßenschäden wurden hier in Creek Willow seltener behoben, und die Häuser wirkten nicht so eindrucksvoll und überteuert. Es war keine gefährliche Gegend, aber auch nicht die schönste Ecke, die diese Stadt zu bieten hatte.

Ich war hier aufgewachsen und schämte mich keine Sekunde dafür. Unser Haus war klein und hätte dringend einen neuen Anstrich benötigt, aber jetzt, da Dad kein Geld verdienen konnte, war das eine reine Wunschvorstellung. Ich verbannte die aufkeimenden Erinnerungen der schicken Häuser auf der Campusseite aus meinen Gedanken, als ich in den Flur trat.

Sofort stieg mir der Geruch von Essen in die Nase, und neugierig lugte ich in die Küche. Unbeholfen und leicht zittrig stand Dad mit seinen Krücken am Herd und warf mir sein typisches Lächeln zu.

Die letzten Monate hatten ihn gezeichnet. Die Gewissheit, dass er nie wieder als Dachdecker arbeiten konnte und von nun an Frührentner war und höchstens irgendwelche leichten handwerklichen Arbeiten würde verrichten können, nagte an ihm. Ich hingegen war dankbar, dass er nach seinem Sturz überhaupt noch am Leben war. Etliche Knochenbrüche und ein schweres Schädelhirntrauma – alles in allem war er glimpflich davongekommen, trotz der schmerzhaften Physiotherapie.

»Dad, du sollst doch nicht so lange stehen«, erinnerte ich ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

Anschließend stippte ich den Finger in die Sojabolognese, um sie zu probieren. Es war nicht nur mein Lieblingsgericht, sondern auch Dads Spezialität. Es ging manchmal etwas wuselig hier zu, aber das machte uns aus.

Dad und ich waren ein eingeschworenes Team, schon bevor meine Mutter uns verlassen hatte, als ich neun Jahre alt gewesen war. Für mich war Dad der stärkste Mensch, den ich kannte, und das stellte er immer wieder unter Beweis.

Achtlos schmiss ich meine Tasche in die Ecke, deckte den Tisch für das Abendessen und zwang mich, alle negativen Gedanken dieses Tages zu vergessen.

Bislang hatte ich meinem Dad die Kündigung im Café verschwiegen, weil ich ihn nicht zusätzlich beunruhigen wollte. Die Inhaber konnten sich keine weitere Servicekraft mehr leisten, und die Wahl fiel auf mich, weil ich erst vor zwei Monaten dort angefangen hatte.

Als wir uns gegenübersaßen, überlegte ich kurz, ihm von dem Tag heute zu erzählen, aber dann fing Dad mit einem anderen Thema an.

»Hat Ben sich diese Woche schon bei dir gemeldet? Du sprichst kaum von ihm. Zwischen euch ist doch alles gut, oder?«

Höchstwahrscheinlich war Tony Sawyer der einzige Mensch auf der Welt, der an die Fernbeziehung zwischen Ben und mir glaubte. Während Nell jedes Mal Salz in die Wunde streute und meinen Freund schlechtredete, war Dad auf unserer Seite.

»Das Jahr geht schneller vorbei, als du denkst.« Dad lächelte zuversichtlich.

Ich jedoch stocherte bei dem Gedanken an meinen Freund in den Nudeln herum und dachte schmerzhaft daran, wie Ben beschlossen hatte, ohne mich auf Weltreise zu gehen.

»Vielleicht kannst du ihn ja zwischendurch besuchen.«

Ich sah auf und lächelte gezwungen. »Klar, wenn wir im Lotto gewinnen, bestimmt. Dann kann ich auch meinen Abschluss nachholen, die Krankenhausrechnung wäre beglichen …«

Als ich den düsteren Blick meines Vaters bemerkte, stockte ich. Seine braunen Augen sprachen Bände, und sofort fühlte ich mich schlecht, weil ich so weit ausgeholt hatte. Er war der Letzte, der für meine miese Laune herhalten sollte.

»Ich habe dich nie gebeten, dein Studium zu unterbrechen, Emma.«

Zerknirscht schluckte ich den Kloß in meinem Hals herunter. Ich verabscheute es, wenn die Realität über mich hereinbrach, und obwohl ich immer zuversichtlich war, übertraf mein Vater mich oft um Längen. Selbst wenn es nur dazu diente, uns aufrechtzuhalten.

Nach dem Essen saßen wir zusammen, schauten eine Folge von Breaking Bad, bevor ich mich in mein Zimmer zurückzog. Rastlos stand ich im Raum und sah mich um. Überall hingen Lichterketten an den Wänden, die mit unzähligen Fotos von Nell und mir tapeziert waren und einem riesigen Mandalatuch, das hinter meinem Bett hing. Duftkerzen standen auf dem Schreibtisch, auf dem sich alte Studienunterlagen stapelten, die ich bisher nicht weggeräumt hatte, weil ich es nichts übers Herz brachte.

Je länger ich mich umsah, desto winziger erschien mir der Raum. Es hatte keinen Sinn, es zu leugnen: Ich war beeindruckt von den schicken Häusern von Forest Hill. Es galt als eines der teuersten Viertel von Winters Bay, und seit heute wusste ich auch warum. Mir war bewusst, dass die Fassade vieler Häuser bloß den Schein wahrte und es hinter verschlossenen Türen manchmal ganz anders aussah. Trotzdem war ich geblendet von dem Vorstadtleben dort.

Ich seufzte gefrustet und entschied mich für eine Runde Yoga. Seit Jahren war es für mich der Weg, um zu entspannen und zur Ruhe zu finden. Ich schlüpfte nur in einen Sport-BH und Shorts, weil unser Haus keine Klimaanlage besaß und es draußen immer noch schwülwarm war, während die letzten Sonnenstrahlen am Himmel verblassten.

Bereits nach den ersten Übungen spürte ich eine wohltuende Entspannung. Meine Muskeln lockerten sich, die Sorgen und Gedanken fielen von mir ab.

Dad wusste, dass er mich in der Zeit nicht stören durfte, und als er mich trotzdem rief, verharrte ich irritiert in der Position des Tänzers.

»Emma, komm mal bitte runter! Hier ist jemand für dich.«

Bis auf Nell erhielt ich kaum Besuch, weshalb ich skeptisch die Treppenstufen hinabstieg. Bei all der Verwirrung vergaß ich komplett, mir etwas überzuziehen, und in der nächsten Sekunde wünschte ich mir nichts sehnlicher, als die Zeit zurückdrehen zu können.

Seine Hände waren locker in den Jeanstaschen vergraben, und mit ausdrucksloser Miene sah Luke auf meinen Vater, bis er mich erblickte. Ich wusste nicht, was ich zuerst verdecken sollte – meine Brüste oder meinen Bauch, aber letztendlich war es egal. Normalerweise interessierte es mich nicht, wenn mich jemand in dem Outfit sah. Bei diesem Typen aber fühlte ich mich unwohl.

Mit einem fragenden Blick ließ Dad uns allein, aber ich stand wie angewurzelt auf der letzten Treppenstufe, unfähig mich zu bewegen, geschweige denn ein Wort zu sagen.

»Haben Sie einen Augenblick Zeit?«, Luke kratzte sich am Hinterkopf, aber es war schwer zu deuten, ob er genauso verlegen war wie ich.

Ich räusperte mich, schnappte nach Luft und ließ die letzte Treppenstufe hinter mir. Luke trat einen Schritt zur Seite, als ich nach einer Sweatshirtjacke vom Kleiderhaken griff, nach draußen trat und die Tür hinter uns zuzog. Mir war bewusst, dass mein Vater uns belauschte, wenn wir im Haus blieben, und diese Peinlichkeit ersparte ich mir lieber.

»Bekomme ich noch einen Strafzettel, oder was verschafft mir die Ehre?« In meinem Kopf klang meine Stimme nicht ganz so spitz, wie ich beabsichtigt hatte, und sofort lief ich rot an.

Luke schien meine Bemerkung egal zu sein. Er ging zum Rand der Veranda und sah sich um. Falls er es hier schrecklich fand, ließ er es sich nicht anmerken.

»Ich werde nicht gern überrascht, und Dean weiß das«, sagte er leise. »Heute Nachmittag hat er mich mit der Idee vollkommen überrumpelt und mir überhaupt keine Gelegenheit gegeben, darüber nachzudenken. Es geht um meine Kinder, und ich kenne Sie nicht, und ihre Mutter, sie …« Luke stockte und seine Miene wurde noch finsterer. »Ich bin derzeit allein mit den Kindern. Was qualifiziert Sie mehr als ein ausgebildetes Kindermädchen?«

Das war wohl eine Fangfrage, mit deren Beantwortung ich mir ohnehin ins eigene Fleisch schneiden würde, weshalb ich sofort ehrlich war. Also trat ich ebenfalls nach vorn und stand ihm näher, als ich geplant hatte.

»Nicht viel«, antwortete ich trocken. »Das Angebot kam nur sehr gelegen. Ich brauche einen Job, um meinen Dad zu unterstützen.«

»Sie gehen noch zum College, oder?«

Luke runzelte die Stirn und wirkte irritiert, doch seine Miene versteinerte schnell wieder. Was war diesem Mann bloß widerfahren, dass er so gegen sich selbst kämpfte?

»Nicht mehr. Ich habe damals nur ein Teilstipendium erhalten, und Dad hat einen hohen Studienkredit auf sich genommen. Es war so weit in Ordnung, bis der Unfall passierte.«

Bei den Erinnerungen überlief mich jedes Mal eine Gänsehaut. Der Anruf aus dem Krankenhaus war mitten in einer Musikprüfung gekommen, und seit dem Tag war alles anders.

»Also habe ich das Studium unterbrochen, um zu arbeiten und meinen Vater zu entlasten.«

Luke nickte schweigend. Die gegenüberliegenden Häuser gaben ein trostloses Bild ab, und ich fing an, mich hier draußen unwohl zu fühlen. Die Vorgärten waren durch die Trockenheit verdorrt, und keine Veranda war so gepflegt wie die in der wohlhabenderen Gegend.

»Ich will Musiklehrerin werden. Für mich gibt es nichts Schöneres als Kinder, wenn sie erkennen, welche Magie Musik besitzt.«

Ich verspürte das Bedürfnis, mich vor Luke rechtfertigen zu müssen. Er jedoch schien immer noch nicht überzeugt. Es war schwer, ihn einschätzen zu können, weil er so gar nichts von sich preisgab. Mit müden Gliedern ließ ich mich auf die Treppe sinken und starrte auf meine Fingernägel.

»Ich brauche diesen Job wirklich dringend, okay? Ich bin zuverlässig und verantwortungsbewusst. Ich verspreche, mich gut um die Kinder zu kümmern, wenn Sie mir eine Chance geben.«

Plötzlich musste ich an meine Mutter denken und daran, wie sie Dad und mich alleingelassen hatte. Die Überforderung meines Vaters war kaum zu ertragen gewesen. Ich hatte keine Ahnung, was bei Luke Parker abging, und es interessierte mich auch nicht, aber ihm stand dieselbe Überforderung ins Gesicht geschrieben.

»Ich lebe mit meinem Vater allein, seit ich neun bin«, meinte ich leise. Keine Ahnung, warum ich ihm das erzählte. Ich hoffte einfach nur, dass er merkte, dass mir etwas an dem Job lag. »Was ich damit sagen will, ist dass ich weiß, was es bedeutet, Verantwortung zu tragen. Sie können sich auf mich verlassen.«

Zwischen uns entstand ein betretendes Schweigen, und die Anspannung in mir wuchs mit jedem Atemzug. Irgendwann vergrub Luke seine Hände wieder in den Hosentaschen, ging an mir vorbei und meinte kühl: »Wenn Sie den Job haben wollen, seien Sie Montag um acht Uhr bei mir. Alles Weitere klären wir dann.«

Perplex blinzelte ich ihn an, doch Luke presste die Lippen aufeinander und ließ mich verdattert auf der Veranda zurück. Ohne sich noch mal umzudrehen, fuhr er mit quietschenden Reifen davon.

Ich benötigte einige Augenblicke, um zu realisieren, was hier gerade passiert war. Am Ende zählte aber nur, dass ich wieder einen Job hatte, mit dem es hoffentlich bergauf ging.

4 EMMA

Fehler. Es war ein Fehler gewesen, Luke zuzusagen, und ich bereute ihn sofort am Montagmorgen, als ich die Augen aufschlug. Die ganze Angelegenheit war unüberlegt gewesen, und es fühlte sich eher so an, als würde ich mich in ein riesiges Schlamassel begeben.

Am liebsten hätte ich Ben um Rat gefragt, aber er war so glücklich auf seiner Weltreise, dass ich ihn mit meinen Alltagsproblemen in Ruhe ließ. Er fehlte mir, und wenn er hier gewesen wäre, hätte sich alles leichter angefühlt.

Das Wochenende über hatte ich mich im Internet über die Arbeit als Nanny genauer informiert, um bei Problemen auf der sicheren Seite zu sein.

Luke war bisher für mich ein Mysterium, aus dem ich nicht schlau wurde, und es war so schwer, ihn einzuschätzen. Durch sein Auftreten hier in Creek Willow war mein erster Eindruck zumindest etwas besser geworden. Vielleicht war er doch nicht der größte Arsch von Winters Bay.

Was die Skepsis in mir aber wachsen ließ, war die Tatsache, dass seine Freundin sich bisher aus allem raushielt und sich gar nicht zu Wort gemeldet hatte. Sie war noch ein viel größeres Rätsel.

Nell war der Meinung, ich sollte Luke einfach googeln, und ich hatte kurz davorgestanden, es aber doch gelassen. Lieber bildete ich mir meine eigene Meinung, und manchmal war es besser, nicht zu viele Informationen zu kennen.

Die letzten Regenschauer des vergangenen Tages waren längst abgezogen, doch statt Abkühlung zu verschaffen, versprach die Woche erneut heiß zu werden. Daher entschied ich mich für ein schlichtes Top, bequeme Shorts und meine Chucks. Mir war der Blick von Luke nicht entgangen, aber ich hing an diesen Tretern. Make-up war bei dieser hohen Luftfeuchtigkeit überflüssig, und das Haar steckte ich in einem flüchtigen Dutt zusammen.

Als ich in die Küche trat, um mir einen Bananensmoothie für die Autofahrt zuzubereiten, saß mein Vater am Tresen und blickte über die Tageszeitung hinweg, um mich anzusehen.

»Viel Glück mit deinem neuen Job.«

Ich hatte ihm erzählt, dass ich als Nanny besser verdienen würde und deshalb gewechselt hätte. Stimmte ja gewissermaßen auch. Denn mehr verdienen würde ich auf jeden Fall, weil ich mehr arbeiten würde. »Wir sehen uns heute Abend. Sei nett zu Rachel, wenn sie später kommt.«