The Cuba Love Guide - Anna Nigra - E-Book

The Cuba Love Guide E-Book

Anna Nigra

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Beschreibung

Salsa, Strand und Sonnenschein – Auf Kuba begegnet sie der Liebe, wenn auch anders als erwartet. Studium vermasselt, was nun? Nina hat keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Perspektivlos wie sie ist, lässt sie sich überreden, nach Kuba zu reisen. Eine Auszeit, Selbstfindung und den attraktiven YouTuber Jonas kennenlernen, für den sie schon lange schwärmt –  wenn auch nur aus der Ferne. In der Bar angekommen, in der Jonas arbeitet, denken alle sie sei die neue Kellnerin Mandy. Statt die Verwechslung aufzudecken, reitet Nina sich immer tiefer in ein Netz aus Missverständnissen. Mit der Zeit merkt sie, wie glücklich sie unter den Palmen der sozialistischen Insel ist und möchte all das ungern aufgeben. Doch etwas Größeres droht die Idylle der Bar und alle Menschen, die ihr ans Herz gewachsen sind, zu stören. Und dann ist da ja auch immer noch die echte Mandy … Eine spicy Hidden-Identity-Romance mit Feel-Good-Garantie. 

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Seitenzahl: 485

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The Cuba Love Guide

Die Autorin

Anna Nigra wurde 1990 in Celle geboren. Seit frühester Kindheit schreibt und erdenkt sie Geschichten, die mal auf dem Papier landen, mal nur in ihrem Kopf ablaufen. Nach dem Abitur und einer dualen Ausbildung im Handel, arbeitet sie mittlerweile für einen bekannten, politischen Journalisten und kann während dieser Arbeit ihre Vorliebe fürs Schreiben weiter ausbauen und -leben. Neben dem Schreiben ist auch das Lesen ein Ausgleich für Anna vom Alltag zwischen Job und Familie. Anna Nigra lebt mit ihrem Ehemann, zwei Kindern und einem Kater in der Nähe von Hamburg. 

Das Buch

Salsa, Strand und Sonnenschein – Auf Kuba begegnet sie der Liebe, wenn auch anders als erwartet.

Studium vermasselt, was nun? Nina hat keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Perspektivlos wie sie ist, lässt sie sich überreden, nach Kuba zu reisen. Eine Auszeit, Selbstfindung und den attraktiven YouTuber Jonas kennenlernen, für den sie schon lange schwärmt –  wenn auch nur aus der Ferne. In der Bar angekommen, in der Jonas arbeitet, denken alle sie sei die neue Kellnerin Mandy. Statt die Verwechslung aufzudecken, reitet Nina sich immer tiefer in ein Netz aus Missverständnissen. Mit der Zeit merkt sie, wie glücklich sie unter den Palmen der sozialistischen Insel ist und möchte all das ungern aufgeben. Doch etwas Größeres droht die Idylle der Bar und alle Menschen, die ihr ans Herz gewachsen sind, zu stören. Und dann ist da ja auch immer noch die echte Mandy …

Eine spicy Hidden-Identity-Romance mit Feel-Good-Garantie. 

Anna Nigra

The Cuba Love Guide

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin August 2023 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrusISBN 9783958187603

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Leseprobe: Of Thunder and Rain

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1

Widmung

Für Julia – weil jeder eine Freundin wie dich braucht

Kapitel 1

»Scheiße«, flüstere ich mit zusammengebissenen Zähnen. Wie gebannt starre ich auf meinen Laptop. Auf die Mail mit dem Absender Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften der Universität Hamburg.

Ich sitze im Schneidersitz auf meinem Bett und lese bereits zum dritten Mal den kurzen Text, der mir erklärt, dass ich in der unten aufgeführten Tabelle die Ergebnisse der Prüfungen meines Grundstudiums sehe. Und – man kann es nicht anders sagen – ich habe auf ganzer Linie versagt. Schlechtere Ergebnisse hätte ich höchstens bekommen können, wenn ich gar nicht erst zu den Prüfungen aufgetaucht wäre. Doch diese Ergebnisse hier sind in vielerlei Hinsicht noch viel schlimmer. Ich bin nicht durchgefallen, weil ich zu viel geschwänzt oder die Prüfungen verschwitzt habe. Nein – ich bin durchgefallen, weil ich ganz offensichtlich zu blöd bin für das Studium der Pharmazie.

Aus meinem Bluetooth Lautsprecher tönt leise die Melodie von ABBAs The Winner Takes It All, was sich in diesem Moment so anfühlt, als würde das Universum über mich lachen. Ich stoße geräuschvoll Luft aus und reibe mir übers Gesicht.

Es ist ja nicht so, dass ich mit Bestnoten gerechnet hätte, aber ich habe doch zumindest gehofft, dass ich bestehen würde. Dann hätte ich die kommenden Semesterferien endlich mal ein bisschen genießen können. Schluss mit endlosen Nächten voller Lehrbücher. Schluss mit Lerngruppen voller Klugscheißer, deren Diskussionen ich nicht folgen kann. Schluss mit unaussprechlichen Medikamentennamen. Für ganze drei Monate. Ich hätte eine entspannte Praktikumsstelle im Unternehmen meiner Eltern angenommen und mich an den Gedanken gewöhnt, den Laden irgendwann zu übernehmen. Den tatsächlichen Beruf der Pharmazeutin würde ich ja ohnehin niemals ausüben müssen.

Die Drogeriekette meiner Eltern umfasst mittlerweile mehr als dreißig Filialen. Alles hat mit einer kleinen Apotheke angefangen, als mein Vater gerade mit dem Studium fertig war. Und als er dann meine Mutter kennenlernte, die ebenfalls Pharmazeutin ist, und sie ins Geschäft einstieg, erweiterten sie das Angebot stetig und das Geschäft wurde schließlich zu der erfolgreichen Drogeriekette, die es heute ist.

Dass ich Pharmazie studieren sollte, wurde quasi schon beschlossen, als ich noch Spielplatzsand gegessen habe. Von etwas anderem ist nie die Rede gewesen, und wenn ich ehrlich bin, habe ich auch nie eine Alternative vor Augen gehabt. Der Gedanke, etwas anderes zu machen, ist mir nie gekommen. Ich hätte gar nicht gewusst, was.

Aber seit ich vor zwei Jahren angefangen habe zu studieren, ist mir erst so richtig klar geworden, dass Pharmazie eine scheißschwierige Angelegenheit ist und ich im Grunde nicht die geringste Lust auf diesen Studiengang habe. Tja, und dass beherztes Büffeln gegen handfeste Unlust keine Chance hat, das zeigen mir die erschütternden Ergebnisse meiner Prüfungen.

Seufzend klappe ich den Laptop zu und starre einen Moment auf den neonpinken Aufkleber auf dem Deckel. Wenn dich was nervt, streu Glitzer drauf!, steht in der Sprechblase eines Einhorns mit Regenbogenmähne. Meine Freundin Tini hat den Sticker irgendwann im letzten Jahr auf meinen Laptop geklebt. Ohne zu fragen. Ich habe mich darüber geärgert, den Spruch dann aber doch drangelassen, weil ich Angst hatte, dass Kleberreste zurückbleiben könnten, die noch hässlicher wären als das Einhorn.

Es klopft einmal an der Tür, und ohne meine Antwort abzuwarten, platzt meine Mitbewohnerin Marlen herein.

»Nina? Ich bin jetzt weg! Tust du mir einen Gefallen und gießt die Pflanzen in meinem Zimmer, bis ich wieder da bin?«, fragt sie mit zuckersüßer Stimme. Klar, wenn sie was will, dann ist sie immer superlieb. Wenn’s aber darum geht, ihr Geschirr abzuwaschen und es nicht ständig in der Spüle stehen zu lassen, dann sieht die Sache schon ganz anders aus.

»Klar, kein Ding«, erwidere ich tonlos. Mein Blick fällt zurück auf den Sticker.

»Alles okay mit dir?«, fragt Marlen und kommt einen Schritt näher. Ich rechne es ihr hoch an, dass sie tatsächlich merkt, dass etwas nicht stimmt. Allerdings kann man bei der Beziehung zwischen uns nicht wirklich von echter Freundschaft sprechen, und ich habe keine Lust, ihr von den desaströsen Prüfungsergebnissen zu erzählen. Es würde sie ohnehin nicht davon abhalten, mit ihrem Freund nach Griechenland zu fliegen.

»Alles gut«, sage ich daher und ringe mir ein klägliches Lächeln ab. Einen Moment scheint Marlen zu überlegen, ob sie noch einmal nachhaken soll, lässt es dann aber bleiben.

»Okay! Dann bis in zwei Wochen! Ciao!« Ich hebe zum Abschied die Hand, und als sie die Tür wieder schließt, lasse ich mich rückwärts aufs Bett fallen. Ich vergrabe das Gesicht in den Händen und habe nicht die geringste Ahnung, wie ich das alles meinen Eltern erklären soll. Zwei ganze Jahre hab ich vergeudet. Und die Anmeldefrist für einen Neustart im ersten Semester ist auch längst verstrichen. Mal abgesehen davon, dass das doch ohnehin keinen Sinn hat. Ich bin weder klug genug, noch habe ich Lust, dieses Studium zu wiederholen. Es ist vorbei, das weiß ich. Ich muss es nur noch meinen Eltern beibringen. Und mir dann überlegen, was ich stattdessen machen will. Das kann doch nicht so schwer sein, oder? Es gibt Tausende Berufe, Hunderte Studiengänge. Irgendwas muss doch wohl auch für eine Nina Schäffer dabei sein. Etwas, bei dem sie sich nicht nach sandverdauenden Spielplatztagen zurücksehnt.

Als hätte ich durch meine Gedanken den Teufel persönlich geweckt, klingelt in dieser Sekunde mein Handy. Es war Tini, die den Song Mamma Mia dem Kontakt meiner Mutter zugeordnet hat. Sie fand es witzig. Zuerst fand ich das auch, allerdings hat das Lied mittlerweile einen bitteren Beigeschmack für mich.

Mein Magen zieht sich zusammen, als ich auf die leuchtenden Buchstaben auf dem Display sehe.

MAMA. Das Wort starrt mich regelrecht an.

Es fühlt sich so an, als würde sie bereits alles wissen. Als wäre selbst der Klingelton wütender als sonst. Mein Finger schwebt über der grünen Taste. Er zittert. Ich schließe kurz die Augen und atme tief durch. Es hat ja doch keinen Sinn. Ich muss es hinter mich bringen.

»Hey, Mama!«, sage ich und erhebe mich vom Bett, nur um ein wenig in Bewegung zu sein. Oder vielleicht ist es auch der ureigene Fluchtinstinkt, der mich dazu treibt.

»Hallo, Schätzchen, wie geht’s dir?«, fragt sie und gibt sich entspannt, aber ich höre, dass sie noch immer im Büro ist. Mein Blick streift die pinkfarbene Barbie-Wanduhr. Eine der wenigen Reliquien, die ich aus meinem Kinderzimmer mitgenommen habe, als ich ausgezogen bin. Das meiste haben meine Eltern neu gekauft.

Es ist schon fast zwanzig Uhr.

»Gut«, lüge ich. Dann herrscht kurz Stille. Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Nachdem ich nichts weiter sage, ergreift sie wieder das Wort.

»Schön, schön!«, antwortet sie wie nebensächlich, und ich höre zwei weitere Leute im Zimmer über irgendetwas streiten. »Sag mal, Schätzchen, hast du schon die Ergebnisse deiner Prüfungen? Claudia hat mich vorhin angerufen und erzählt, dass Nele ihre schon hat.«

Verdammt! Damit hätte ich rechnen müssen. Claudia Beck ist die beste Freundin meiner Mutter, und ihre furchtbar arrogante und unausstehliche Tochter Nele studiert ebenfalls Pharmazie an meiner Uni. Sie ist oft Teil der Lerngruppen voller Klugscheißer gewesen, die ich ertragen musste. Und so wie ich die Situation einschätze, hat Madame die Prüfungen mit Bravour bestanden. »Sie hat fast überall die Bestnote!«, setzt meine Mutter nach, was mich mit den Augen rollen lässt. Natürlich hat sie das.

Plötzlich fühlt es sich an, als würde mir jemand die Kehle zudrücken. Ich bekomme keinen Ton heraus. Nervös laufe ich auf und ab. Fahre mir mit der freien Hand durch meine braunen Strähnen.

»Mama …«, bringe ich erstickt hervor, doch der Rest bleibt mir Hals stecken. Ich presse die Kiefer aufeinander und boxe mit der Faust gegen die Wand. Der Schmerz fährt durch meine Hand, und ich bereue meinen Ausbruch sofort. Stumme Flüche ausstoßend, hüpfe ich durchs Zimmer und presse meine pochende Hand gegen meinen Bauch.

»Nina? Ist wirklich alles in Ordnung? Was ist los? Hast du die Ergebnisse oder nicht?«, will meine Mutter wissen, und ich muss all meine Kraft zusammennehmen, um mich zusammenzureißen. Ich atme tief durch und lasse mich wieder aufs Bett sinken.

»Ich hab die Ergebnisse«, sage ich mit heiserer Stimme ins Telefon.

»Und? Wie hast du abgeschnitten?« Plötzlich klingt sie interessierter als jemals zuvor. Es ist nichts zu spüren von der arbeitsbedingten Unruhe, die sie sonst ausstrahlt, wenn sie im Büro ist. Ich schließe die Augen, kralle die freie Hand in den Stoff meiner Jogginghose und antworte.

»Ich bin durchgefallen, Mama.« Meine Stimme ist so leise, dass ich sie selbst kaum höre. Doch an der Stille, die am anderen Ende der Leitung herrscht, erkenne ich, dass meine Mutter mich ganz genau verstanden hat.

»Wie bitte?«, sagt sie. Eine hohle Phrase. »Was hast du gesagt?«

Also wiederhole ich es noch einmal. Obwohl mir ihr Tonfall unmissverständlich klargemacht hat, dass das nicht nötig ist.

»Ich bin durchgefallen.« Diesmal klingt meine Stimme ein kleines bisschen fester.

»Nina Magdalena Schäffer, ist das dein Ernst?«, hakt sie nach.

Was glaubt sie denn? Dass ich sie verarsche?

»Ja, Mama. Tut mir leid! Aber ich kann’s nicht ändern.«

»Du kannst es nicht ändern?«, brüllt sie ins Telefon. »Wie konnte das passieren? Hast du etwa nicht vernünftig gelernt? Es war dieser Job, stimmt’s? Du hattest keine Zeit zum Lernen!«

Der Kellnerjob, den ich neben dem Studium mache, ist zwar tatsächlich ziemlich zeitraubend, aber zum Lernen habe ich immer Kapazitäten gehabt. Ich habe einfach nicht gewollt, dass meine Eltern alles für mich bezahlen. Deshalb habe ich damals ihr Angebot abgelehnt, mir eine Wohnung zu finanzieren, und bin in das WG-Zimmer zu Marlen gezogen, das ich mir mit dem Geld vom Kellnern selbst leisten kann. Dieser Job gibt mir das Gefühl von – zumindest ein klein wenig – Selbstbestimmung und Unabhängigkeit.

»Nein, Mama! Ich schwöre, dass ich gelernt habe. Immer! In jeder freien Minute! Aber es hat eben nicht gereicht. Ich bin nicht klug genug.«

»Blödsinn!«, blafft sie mich an. »Ich habe nie verstanden, warum du diesen fürchterlichen Job unbedingt machen wolltest, aber damit ist jetzt Schluss! Du wirst die vier vergeudeten Semester wiederholen, und diesmal werde ich dafür sorgen, dass du vernünftig lernst.«

Wie bitte? Hatte sie den Verstand verloren?

»Die Frist für eine Neuanmeldung ist längst durch, Mama. Ich müsste bis zum nächsten Sommersemester warten. Das mache ich nicht! Außerdem …« Ich stocke. »Außerdem habe ich keine Lust, Pharmazie zu studieren.«

Bei diesen Worten wird es wieder still am anderen Ende. Ich spüre regelrecht, wie sie kurz davor ist zu explodieren. Ich höre ihren schweren Atem und sehe sie direkt vor mir. Wie sie an ihrem gläsernen Schreibtisch sitzt mit perfekt manikürten Fingernägeln und dunkelrot geschminkten Lippen. Die schlanke Figur in eines ihrer überteuren Designerkostüme gequetscht.

»Okay«, beginnt sie ruhig, und mir wird ganz mulmig, weil ich keine Ahnung habe, was nun folgen wird. »Du bist enttäuscht und wütend, das verstehe ich.«

»Nein, Mama, ich –«, doch sie unterbricht mich.

»Wir werden das wieder hinbekommen. Ich werde den Direktor anrufen und für dich eine Ausnahme aushandeln. Das wird schon funktionieren. Und vielleicht brauchst du auch nicht alle vier Semester wiederholen. Vielleicht reichen zwei. Ich helfe dir beim Lernen. Das wird schon. Und nächstes Jahr um diese Zeit hast du dann das Grundstudium in der Tasche.« Ich bin so perplex, dass ich gar nichts sagen kann. Mit offenem Mund sitze ich da und kann nicht glauben, was sie da sagt. Dass sie sich völlig unverfroren über meine Worte hinwegsetzt. Sie nimmt mich überhaupt nicht ernst, denke ich.

»Mama, hast du mir zugehört? Ich will nicht mehr Pharmazie studieren«, erwidere ich möglichst ruhig, obwohl sich langsam, aber sicher Wut in mir aufstaut.

»Das ist Quatsch, Nina. Du wolltest nie etwas anderes! Lass dich doch nicht von einem einzigen Rückschlag entmutigen. Glaub mir, du schaffst das!«

Ich sauge scharf die Luft ein. Kneife mir in den Nasenrücken.

»Mama, bitte, rede nicht mit mir, als wäre ich fünf Jahre alt. Ich schmeiße hin. Und du wirst das akzeptieren müssen.« Wieder war es einen Moment still, und ich denke schon, dass sie es endlich kapiert hat, doch dann …

»Ich werde jetzt erst mal mit deinem Vater sprechen. Morgen kommen wir zu dir, und dann reden wir noch mal darüber, wie wir jetzt am besten vorgehen, okay? Wir sind gegen zehn Uhr da. Bis morgen!« Und bevor ich noch etwas erwidern kann, legt sie auf.

Immer noch perplex starre ich auf mein Handy. Nach einer Weile wird das Display schwarz, und ich fahre mir erneut mit den Händen durchs Haar. Niemals hätte ich gedacht, dass meine Mutter so reagieren würde. Klar, ich wusste, dass sie sauer sein würde, aber ich hätte sicher nicht damit gerechnet, dass sie mir dieses Studium weiterhin aufdrängen würde. Selbst nachdem ich ihr klar und deutlich gesagt habe, dass ich es nicht will. Ich atme tief durch und überlege, was wohl mein Vater zu den Neuigkeiten sagen wird. Auch er wird nicht begeistert sein, aber wird er es akzeptieren können, dass ich nicht in die Fußstapfen der beiden treten werde? Und überhaupt … nur weil ich nicht Pharmazie studieren würde, heißt das ja nicht, dass ich nicht in ihrem Unternehmen anfangen kann. Doch schon als ich diesen Gedanken zu Ende gebracht habe, weiß ich, dass ich mir damit selbst etwas vormache. Ich habe genauso wenig Lust ins Familiengeschäft einzusteigen, wie Pharmazie zu studieren.

Oder hat meine Mutter vielleicht doch recht? Bin ich einfach nur enttäuscht? Soll ich es noch mal versuchen? Aber schon der Gedanke daran, noch einmal von vorn anzufangen, verursacht Übelkeit in mir. Nein – die Sache ist durch. Ich werde den Studiengang wechseln.

Nur … was ist die Alternative?

Kapitel 2

Keine Ahnung, wie lange ich schon planlos auf dem Bett liege und an die Decke starre. Irgendwann nicke ich ein und Bilder von krakelig verfassten Studiumsbewerbungen, garstigen Dozenten und vollgestopften Hörsälen tauchen in meinem Kopf auf. Ganze Nächte in der Bibliothek. Bücherstapel über Bücherstapel. Ich, wie ich vor Hunderten Kommilitonen stehe – Gott weiß wieso – in einem Goofy-Kostüm.

Ich schrecke hoch und kneife die Augen zusammen. Klopfe mir mit den Handballen gegen die Stirn. »Entspann dich, Nina. So furchtbar ist diese Uni auch wieder nicht. Ein Studium ist wichtig! Ein Studium ist unerlässlich für einen guten Job!« Ich spreche die Worte meiner Mutter wie ein Mantra vor mich hin. Sie wird schon verzweifeln, wenn sie endlich kapiert, dass ich das Pharmaziestudium schmeiße. Wenn ich ihr tatsächlich sagen würde, wie ich mich fühle, was in mir vorgeht, dass ich das Gefühl habe zu ersticken, sobald ich einen dieser verdammten Hörsäle betrete, dann würde ihr Herz komplett stehen bleiben. Da bin ich sicher. Nicht zu studieren – das kam nicht infrage. Und wenn ich mir bis morgen nicht überlegt habe, was meine Alternative zur Pharmazie ist, dann werde ich meine Mutter niemals besänftigen können.

Aber auch nachdem ich das komplette Angebot der Universität online durchgegangen bin, bin ich noch immer nicht weiter. Keiner dieser Studiengänge spricht mich an. Mit allem verbinde ich Langeweile und Ödnis. Mit manchen sogar Ekel. So was wie Zahnmedizin zum Beispiel. Wie kann man nur freiwillig sein ganzes Leben lang fremden Menschen im Mund herumstochern wollen? Widerlich!

Irgendwann gebe ich auf und seufze. Ich trotte in die kleine Küche und schalte das Radio ein. Irgendein Rocksong endet gerade, als ich zum Kühlschrank rübergehe und der Moderator Janosch meldet sich zu Wort. Ich höre öfter mal Radio. Ganz besonders gern Die Magische 99,9, wie der Sender heißt. Janosch ist ein witziger Typ, und immer wieder gibt es ausgefallene Gewinnspiele. Ich habe mich auch irgendwann mal dafür registriert, zurückgerufen zu werden, aber bisher kein Glück gehabt.

Gähnend durchwühle ich den Kühlschrank. Fast nichts mehr da. Klar, Marlen ist nicht mehr im Supermarkt gewesen, weil sie ja eh zwei Wochen nicht da ist. Für morgen nehme ich mir also vor, für das Wochenende einzukaufen. Vorerst greife ich mir den letzten Jogurt und während ich ihn im Stehen in der Küche auslöffle und Janosch zuhöre, sehe ich erneut auf die Uhr.

Kurz nach ein Uhr. Ich spüre, wie sich meine Stimmung innerhalb von Sekunden aufhellt. Ob es schon so weit ist? Normalerweise ist Verlass auf ihn. Immer in der Nacht von Donnerstag auf Freitag. Immer gegen ein Uhr morgens.

Ich kratze den Joghurt aus, schmeiße den Becher in den gelben Sack und wasche den Löffel sofort unter heißem Wasser ab. Teelöffel waren schon immer Mangelware in dieser WG. Um genau zu sein: Wir haben nur den einen.

Dann gehe ich zurück in mein Zimmer, werfe einen Blick auf meinen Laptop, der noch immer auf meinem Bett steht und versuche, das Kribbeln in meinem Bauch unter Kontrolle zu behalten. Plötzlich scheinen der ganze Studiumsstress, die vergeigten Prüfungen, meine Eltern in weite Ferne zu rücken. Die Vorfreude tropft wie köstlicher Hönig über meinen angeschlagenen Gemütszustand und hinterlässt prickelnde Wärme und Herzklopfen. Ich atme tief durch, gehe zur Kommode, um die bunte Lichterkette einzuschalten, die Tini mir letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hat, und lösche dafür das Licht meiner Nachttischleuchte. Ich stoppe die ABBA-Tracklist auf meinem Handy und klettere zurück auf mein Bett. Mit dem Gesicht zum Laptop, lege ich mich auf die Seite und stütze den Kopf auf meinem angewinkelten Arm ab. Mein Herz klopft so sehr, dass ich es bis in die Fingerspitzen fühle, die die Maus langsam zu dem rot-schwarzen Icon namens YouTube bewegen. Mit einem weiteren Klick bin ich angemeldet und beiße mir auf die Unterlippe, während ich die neuen Videos der Kanäle durchgehe, die ich abonniert habe. Es sind nicht allzu viele. Ein paar Booktuber, Sallys Welt, der klägliche Kanal meiner Cousine Maja, in dem sie über Politik spricht und … ja, da ist es! Ein Ruck geht durch meinen Körper, schon als ich das Titelbild des Videos sehe. Er strahlt in die Kamera, als wäre er einem teuren Modemagazin entsprungen. Das blonde Haar durch den Wind völlig zerzaust. Die blauen Augen leuchten regelrecht. Das Bild zeigt nur die obere Hälfte seines durchtrainierten Körpers. Er trägt wieder das dunkelrote Shirt mit dem Faultieraufdruck. Eines meiner Lieblingsshirts von ihm. Nicht, dass er nicht auch in einem Kartoffelsack zum Anbeißen wäre …

»Seesterne und andere Monster der Tiefe« ist die Überschrift des Videos. Ich muss schmunzeln und bin gespannt, was mich heute erwartet. Mit welchen Bildern er mich heute verwöhnen wird. Das Video ist relativ kurz. Nur elf Minuten, was mich etwas enttäuscht. Aber es ist besser als nichts. Ich atme tief durch und klicke dann direkt auf sein umwerfendes Gesicht.

Das Video startet mit einem kurzen Zusammenschnitt von Bildern mit ihm am Strand. Er, wie er in die Luft springt, er, wie er einen Handstand im Sand macht, er, wie er ins karibikblaue Wasser läuft und einige andere. Das Ganze ist hinterlegt mit fröhlicher kubanischer Musik, die mich jedes Mal dazu bringt, den Kopf zum Rhythmus der Klänge zu bewegen. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus.

Dann erscheint sein schönes Gesicht im Bild, und mein Herz bleibt für einen Moment stehen.

»Hey, Leuteeee!«, ruft er und zieht das Wort lang wie Kaugummi. »Jonas hier! Was geht ab in good old Germany? Ich begrüße euch zu einem neuen Video auf meinem Kanal the bracing madness und freue mich, dass ihr dabei seid. Wieder ist eine Woche rum im wunderschönen Kuba, und wie immer hab ich euch ein bisschen was zur Unterhaltung mitgebracht.« Die Kamera schwingt zur Seite und gibt den Blick frei auf einen weißen Sandstrand vor dem türkisblauen Meer. Die Sonne steht noch recht tief am Himmel, was darauf schließen lässt, dass diese Szene früh am Morgen aufgenommen wurde. Plötzlich springen zwei Gestalten ins Bild. Ein fülliger, asiatisch aussehender junger Mann mit Dreadlocks und ein Mädchen mit wasserstoffblondem Bob und einem Nasenring. Den Jungen kenne ich bereits aus einigen von Jonas’ anderen Videos. Ich glaube, Jonas nannte ihn einmal Pie. Das Mädchen kenne ich nicht, und obwohl es vollkommen bescheuert ist, spüre ich einen leichten Stich der Eifersucht. Die beiden scheinen Jonas regelrecht anzuspringen, was das Bild mächtig zum Wackeln bringt. Ich schnappe einzelne englische Sprachfetzen auf, kann sie aber in keinen Zusammenhang setzen.

»Wie ihr seht, bin ich heute nicht allein an diesem Traumstrand! Und wie ihr vielleicht schon festgestellt habt, ist dies auch nicht unser Home-Beach, wie wir ihn gerne nennen. Denn heute sind wir auf einer der vielen kleinen Inseln im Süden Kubas unterwegs. Cayo Largo liegt circa 75 Kilometer vor der Südküste Kubas und ist entweder mit dem Boot oder mit dem Flugzeug zu erreichen. Es gibt einen kleinen Flughafen, der allerdings nur über nationale Flugstrecken angeflogen wird. Und fliegen wäre doch ohnehin viel zu einfach, oder? Wir sind heute gefühlt um drei Uhr morgens aufgestanden, mit dem Auto an die Südküste gefahren und haben uns dann ein Motorboot gemietet. Gar nicht so einfach, sich auf so einem Ozean zu orientieren. Aber nach ungefähr zwei Stunden sind wir sicher auf der Insel gelandet, und seitdem sind wir einfach nur noch geflasht. Ich meine … guckt euch diesen Strand an!«

Er hat recht. Dieser Strand wirkt noch paradiesischer als der, an dem er sonst unterwegs ist.

»Und guckt euch bitte an, was hier so im knöcheltiefen Wasser zu finden ist.«

In den folgenden zehn Minuten sehe ich zu, wie Jonas und seine Freunde riesige Seesterne aus dem Wasser holen und sie eingehend untersuchen. Ich kann sogar die kleinen Saugärmchen auf der Unterseite erkennen. Außerdem entdecken sie Krustentiere, übergroße Einsiedlerkrebse, dicke, geschwungene Muscheln, Korallen, Seeigel und Fische, die ich noch nie gesehen habe. Doch noch mehr als die karibische Tierwelt des Ozeans zieht mich der Junge an, der sie seinem Publikum vorstellt. Dabei weiß ich doch eigentlich rein gar nichts über ihn. Obwohl – das stimmt nicht. Ich weiß, dass er umwerfende Grübchen bekommt, wenn er lacht. Ich weiß, dass sein linker vorderer Schneidezahn ein wenig schräg steht, was unglaublich charmant aussieht. Ich weiß auch, dass er dreiundzwanzig Jahre alt ist und am 16. Mai Geburtstag hat. Er finanziert sich seinen Aufenthalt auf Kuba, indem er in einer Bar jobbt, was wir also sogar gemeinsam haben. Seinem Akzent nach zu schließen, kommt er irgendwo aus der Nähe von Köln. Er ist allergisch auf Mangos, was er allerdings erst auf Kuba herausgefunden hat, und er betreibt seit ungefähr einem Dreivierteljahr diesen YouTube-Kanal namens the bracing madness, in dem er von seinem unbefristeten Aufenthalt auf der sozialistischen Insel erzählt und seine Erlebnisse und Erfahrungen mit seinen Abonnenten teilt. Das alles weiß ich nur durch seine Videos. Na ja … ich und zwölftausend weitere Abonnenten wohl auch.

Dabei ist es reiner Zufall gewesen, dass ich überhaupt auf seinen Kanal gestoßen bin. Kurz vor Weihnachten, also etwa vor einem halben Jahr, habe ich im Internet nach einem kubanischen Reiseführer gesucht, den ich meiner Cousine Maja (die mit dem Politik-Tick) schenken wollte. Sie plante eine Reise nach Kuba, die allerdings kurzfristig abgesagt wurde, weil ihr Freund mit ihr Schluss gemacht hatte. Ich habe damals »Reiseführer Kuba« in die Suchmaske eingegeben, und unter dem Zweig Videos, der immer ganz oben angezeigt wird, strahlte mir plötzlich sein gebräuntes Gesicht entgegen. Ich war sofort hingerissen von diesem Jungen, der mich angesehen hat, als bestünde sein Gesicht aus Sonne. Ich hab den Reiseführer auf der Stelle vergessen und mich völlig in sein Video vertieft. Dann in das zweite. Und das dritte und vierte. Die ganze Nacht hab ich damals seine Videos angesehen, und mir ist sofort klar gewesen – obwohl ich wusste, wie dämlich das war – dass ich mich verknallt hatte. Seit diesem Abend erwarte ich jede Woche aufs Neue seine Videos, und jedes Mal, wenn ich sie mir ansehe, habe ich das Gefühl, als wäre ich nicht in diesem WG-Zimmer, sondern dort draußen. Dort bei ihm! An den sonnigen Stränden Kubas, und würde all das entdecken, was er entdeckt.

Aber dann … leider jedes Mal … endet das Video, und ich werde zurück in die Realität geschleudert. So wie jetzt:

»Also, Leute, wir haben unseren unkoordinierten Bootstrip nach Cayo Largo nicht nur überlebt, sondern ihn auch vollends genossen. Keine Ahnung, ob eines der Tiere, die wir heute gesehen haben, giftig oder gefährlich war. Aber selbst wenn … was wäre denn das Leben ohne ein bisschen belebenden Wahnsinn, stimmt’s? Wir werden jetzt mal zusehen, dass wir wieder zum Festland kommen, bevor es dunkel wird. Also, Leute, immer schön irre bleiben! Wir sehen uns beim nächsten Mal bei …« Die Kamera schwingt ein wenig nach links, sodass auch die Gesichter des anderen Jungen und des Mädchens zu sehen sind, und dann rufen alle drei zusammen:

»THE BRACING MADNESS!«

Das Video endet mit drei lachenden Gesichtern und einem ziemlich rostig aussehenden grünen Motorboot im Hintergrund.

Jonas’ neues Video ist gerade einmal vierunddreißig Minuten online, und schon haben es über hundert Leute kommentiert. Ich scrolle mich durch die Kommentare und betrachte die meisten mit kritischem Blick. Hauptsächlich sind sie anschmachtender Natur, ein einziges Schwärmen darüber, wie scharf Jonas ist. Tja, natürlich bin ich nicht die Einzige, die auf diese Weise von ihm denkt. Zum Beispiel diese KathiKnutsch101. Die geht mir schon seit ein paar Videos auf den Keks. Heute schreibt sie: »Puuuh, mit diesem Kapitän würde ich auch in das ranzigste Boot steigen!« Zum Glück reagiert Jonas nicht oft auf solche Kommentare. Und wenn, dann nur mit einem Zwinker-Emoji oder so. Ich hab mich bisher nur ein einziges Mal getraut, unter einem seiner Beiträge zu kommentieren. Es war ein Video, in dem er auf einer Krokodilfarm unterwegs gewesen ist. Ich habe geschrieben, dass ich mich niemals getraut hätte, eins von den Viechern anzufassen. Was nur die Wahrheit ist. Er hat zurückgeschrieben, dass es eine coole Erfahrung war und sie sich echt irre anfühlen. Mein Herz hat damals wie wild geklopft, als ich seine Antwort gelesen habe.

Ich schaue das Video noch zweimal, bevor ich ins Bett gehe. Jedes Mal fällt mir wieder etwas Neues auf. Ein bestimmter Gesichtsausdruck oder eine Haarsträhne, die ihm auf besonders niedliche Art und Weise ins Gesicht fällt. Wie die Sonne auf seine gebräunte Haut scheint und seinen ganzen Körper zum Strahlen bringt.

Mir ist vollkommen bewusst, wie bekloppt es ist, sich in einen Typen zu verknallen, den man erstens nicht kennt, der zweitens irgendwo am anderen Ende der Welt unterwegs ist, und wenn man drittens diese Schwärmerei auch nach einem halben Jahr nicht abschütteln kann. Nicht einmal nach Dutzenden Standpauken meiner Freundin vermochte ich es. Nicht einmal, nachdem sie mich zu einem Date gezwungen hat, das sogar richtig nett gewesen ist. Aber dieser Funke, dieses Kribbeln, das ich verspüre, wenn ich in Jonas’ karibikblaue Augen sehe, ist ausgeblieben, und ich wollte den armen Kerl nicht hinhalten.

Tja, und mit den Ereignissen des heutigen Abends steht jetzt also fest: Ich bin nicht nur eine bekloppte Irre, ich bin eine bekloppte Irre ohne jegliche berufliche Perspektive!

Halleluja!

Kapitel 3

Ein durchdringendes Klingeln weckt mich am nächsten Morgen. Unsanft. Schrill. Ich gebe ein Knurren von mir und blinzle ein paarmal, bevor ich meine Fähigkeit zur Bewegung langsam wiedererlange. Wieder klingelt es, und ich greife nach meinem Handy, um den Wecker auszuschalten. Ich brauche ein paar Sekunden, um zu verstehen, dass es nicht mein Handy ist, das hier wie verrückt läutet. Es ist die Türklingel.

»Was …?«, murmle ich vor mich hin und sehe endlich auf die Uhr. 10:02 Uhr. Innerhalb einer Sekunde sitze ich senkrecht im Bett. »Verdammt!«, rufe ich und haste zur Tür. Ich schaffe es gerade einmal, mein Schlafshirt zurück über meinen Bauch zu ziehen, bevor ich öffne und sofort dem strengen Blick meiner Mutter ausgesetzt bin.

»Na endlich«, sagt sie. »Hast du etwa noch geschlafen? Es ist nach zehn!« Sie drängt sich an mir vorbei und drückt mir im Vorbeigehen einen Kuss auf die Wange. Ihre Heels klackern auf dem billigen Laminatboden. Sie geht direkt in das kleine Wohnzimmer. Ich seufze und spare mir eine Antwort.

»Hallo, Papa«, begrüße ich meinen Vater, der ebenfalls hereinkommt und leise die Tür hinter sich schließt.

»Guten Morgen, Mäuschen.« Er umarmt mich herzlich, und ich bin erleichtert und werte es als gutes Zeichen, dass er heute versuchen will, ein wenig zu schlichten. Bei meinem Vater ist das immer so eine Sache. Er tritt durchaus für mich ein, wenn meine Mutter mal wieder übertreibt. Allerdings nur in bestimmten Situationen. Mein beruflicher Werdegang scheint für ihn aber eine dieser Situationen zu sein. Er folgt meiner Mutter ins Wohnzimmer, und ich husche schnell in mein Schlafzimmer, um mir meinen Morgenmantel überzuziehen.

»Kann ich euch was anbieten?«, frage ich höflich. So wie sie es sicher von mir erwarten. »Kaffee?«

»Danke, wir haben schon vor Stunden gefrühstückt, Nina«, erwidert meine Mutter mit kritischem Unterton. Ich rolle heimlich mit den Augen und lasse mich dann auf die gepolsterte Fensterbank sinken, während meine Eltern auf dem indigoblauen Zweisitzer Platz nehmen.

»Also …«, beginnt meine Mutter. »Da du jetzt noch einmal drüber geschlafen hast, ist dir sicher klar geworden, dass das Ganze zwar ziemlich unvorteilhaft gelaufen ist, aber es auch keinen Weltuntergang nach sich zieht. Ich habe heute Morgen bereits mit Dr. Herrmann von der Unileitung gesprochen. Du wirst auf zwei Semester fürs Grundstudium verkürzen können, wenn du ab jetzt in den vorlesungsfreien Zeiten Ferienkurse belegst. Außerdem werde ich mir die Zeit nehmen und an mindestens zwei Wochenenden im Monat zu dir kommen und mit dir lernen. Du wirst sehen, das wird schon. Außerdem hat Elisabeth, unsere Maklerin, eine wirklich hübsche kleine Wohnung gefunden, die perfekt für dich wäre. Das hat die Gute übrigens nebenbei noch erledigt. Eigentlich hat sie ja alle Hände voll zu tun damit, eine Investitionsanlage für uns zu finden. Du kannst dich also glücklich schätzen. Die Wohnung hat zwei Zimmer, eine neue Küche und ein neues Bad. Sie ist näher an der Uni und gar nicht so teuer, wie man meinen könnte. Wir werden diese Wohnung für dich bezahlen. Du ziehst hier aus und kannst dich dann ganz und gar auf dein Studium konzentrieren.«

Ich lasse meine Mutter in Ruhe reden. Verziehe keine Miene bei ihren Worten. Erst als ich sicher bin, dass sie fertig ist, werfe ich einen kurzen Blick zu meinem Vater, der offensichtlich versucht, einzuschätzen, was ich denke. Auch meine Mutter sieht mich an und wartet auf eine Reaktion. Ihre Stirn ist gerunzelt, und ihre großen braunen Augen sehen mich so eindringlich an, dass es mir schwerfällt, ihrem Blick standzuhalten.

»Mama, Papa …«, beginne ich. »Ich bin euch wirklich dankbar dafür, dass ihr mich unterstützen wollt, und für alles, was ihr sonst für mich getan habt. Ihr seid meine Eltern, und ich liebe euch, aber ich habe mich entschieden, das Pharmaziestudium aufzugeben. Es ist eure Welt, das verstehe ich. Aber es ist nicht meine. Ich möchte nicht noch mehr Zeit mit einer Ausbildung verschwenden, die mir nicht liegt und die mir nicht gefällt. Und ich möchte nicht … in eurer Firma arbeiten.« Bei meinen letzten Worten werden die Augen meiner Mutter so groß, dass ich denke, sie springen mir gleich entgegen. Sie presst die Kiefer aufeinander, und ihre perfekt manikürten Finger krampfen sich auf ihrem Schoß zusammen. Sie ist kurz davor zu explodieren. Aber ich werde nicht klein beigeben. Nicht mehr.

Mein Blick huscht rüber zu meinem Vater. Ich sehe, dass er enttäuscht ist. Enttäuscht, aber nicht sauer, und das ist ein himmelweiter Unterschied.

»Papa?«, flüstere ich, als niemand etwas sagt. Er atmet tief durch und legt seine große Hand auf die meiner Mutter. Das scheint sie etwas zu entspannen.

»Es ist schade, Nina, dass du nun doch nicht das machen möchtest, wofür wir all die Jahre gearbeitet haben«, sagt er. Sein Tonfall ist strenger, als ich es erwartet habe.

»Ich weiß«, erwidere ich kleinlaut.

»Aber wenn du dir wirklich ganz sicher bist …« Ich horche auf. » … dann werden wir deine Entscheidung akzeptieren.«

Ein riesiger Stein fällt mir vom Herzen, und ich wäre am liebsten aufgesprungen und meinem Vater um den Hals gefallen. Allerdings weiß ich, dass die Sache noch nicht ganz durchgestanden ist. Nun kommt es auf die Reaktion meiner Mutter an. Wieder blicke ich sie an. Sie sieht so wütend aus, wie ich es selten erlebt habe, und trotzdem hat sie bisher nicht losgebrüllt. Ich sehe, wie mein Vater ihre Hand leicht drückt, was sie dazu bringt sich endlich wieder zu bewegen. Sie blinzelt ein paarmal, und ihre Schultern entspannen sich langsam wieder.

»Was willst du stattdessen machen?«, fragt sie. Ihre Stimme ist hart.

Verdammt! Genau hiervor habe ich mich gefürchtet. Ich kann meinen Eltern keine ordentliche Alternative nennen, und das wird meine Mutter als weiteren Grund nehmen, meine Wünsche nicht zu berücksichtigen. Ich schlucke und fahre mir durchs strubbelige Haar.

»Also, bisher weiß ich das noch nicht, aber ich bin mir sicher, dass ich bald auf irgendwas stoße, was mich vollkommen begeistern wird. Versprochen«, erkläre ich mit weit aufgerissenen Augen. Meine Stimme klingt fast flehentlich. Ich kann ganz genau sehen, wie meine Mutter mich verurteilt. Allein mit ihrem Blick. Wie macht sie das nur? Es ist gruselig.

Sie schnaubt.

»Hast du denn gar keine Idee?«, fragt mein Vater. Schuldbewusst schüttle ich den Kopf. Dann schaltet sich meine Mutter wieder ein.

»Nina, du bist einundzwanzig Jahre alt. Wann willst du anfangen, dich wie eine Erwachsene zu verhalten? Erwachsensein bedeutet auch, Entscheidungen zu treffen, die einem nicht gefallen. Manchmal muss man eben über seinen Schatten springen. Bitte, überleg es dir doch noch mal.«

»Mama!«, rufe ich jetzt lauter. »Hör endlich damit auf. Ich werde dieses Studium nicht weiterverfolgen. Ich hab’s dir jetzt hundertmal gesagt. Bitte lass es jetzt gut sein.«

»Sanne«, flüstert mein Vater in Mamas Richtung. Sie sieht ihn an und knirscht hörbar mit den Zähnen. Dann steht sie plötzlich auf. Sie streicht ihren Bleistiftrock glatt, kommt ein paar Schritte auf mich zu und sieht mir fest in die Augen.

»Schön. Wenn du dich weiter wie ein Kind benehmen willst, dann tu das! Wohn weiter in diesem …« Sie lässt ihren Blick kurz durchs Zimmer wandern. » … diesem Loch. Beantrage doch Hartz IV oder Sozialhilfe oder wie man das nennt. Ist mir egal. Solange du mir aber keinen vernünftigen, anständigen Beruf und Studiengang nennen kannst, den du machen willst, sprich mich nicht mehr an!« Entsetzt sehe ich sie an.

»Sanne!«, rügt mein Vater sie und erhebt sich ebenfalls. Doch meine Mutter ignoriert ihn vollkommen.

»Du brauchst nicht mehr nach Hause kommen, mich nicht anrufen, mir keine Nachrichten schicken. Du meinst, dass du allein klarkommst? Dann los. Viel Erfolg in deinem Kellnerjob!« Mit diesen Worten dreht sie sich um und stampft zur Haustür. Panisch sehe ich meinen Vater an.

»Keine Angst, Mäuschen. Sie wird sich schon beruhigen«, sagt er hastig und folgt dann meiner Mutter nach draußen.

»Schatz! Jetzt warte doch!«, höre ich ihn noch rufen. Dann fällt die Haustür ins Schloss, und ich bin allein.

Kapitel 4

»Sie hat was gesagt?«, hakt Tini entsetzt nach. Wir sitzen am Tresen vom Wunderhof, der Bar, in der wir beide arbeiten, und trinken noch schnell eine jungfräuliche Piña Colada, bevor Tilo, der Türsteher, die Pforten für diesen Freitagabend öffnet. »Die spinnt ja wohl! Warum macht sie so einen Aufstand? Wenn du keinen Bock auf diesen Scheiß hast, dann ist das eben so!«, erklärt Tini, und ich sehe ihr ihr Unverständnis deutlich an. Sie hätte sich niemals von jemandem vorschreiben lassen, was sie studieren soll. Marie-Christin Naumann ist der selbstsicherste Mensch, den ich kenne. Sie hat eindeutig nicht alle Tassen im Schrank, aber gerade das ist es, was sie so interessant macht. Innerhalb der letzten zwei Jahre ist sie zu einer der besten Freundinnen geworden, die ich je hatte.

»Und jetzt?«, fragt sie und pustet sich eine ihrer schwarzen Locken aus dem Gesicht. Ich hatte mit ihr gewettet, dass sie sich nicht traut, sich eine Dauerwelle machen zu lassen. Tja, was soll ich sagen? Ich habe verloren.

»Keine Ahnung. Ich muss mir eben überlegen, was ich machen will. Mit dem Geld vom Kellnern komm ich erst mal klar.«

»Das ist aber wohl keine endgültige Lösung, oder?«, fragt Tini. Ich schüttle den Kopf.

»Natürlich nicht! Aber ich hab echt so gar keinen Plan, was ich machen will. Das frustriert mich selbst. Aber was soll ich denn tun? Soll ich zu so einer dämlichen Berufsberatung gehen? Die können doch auch nicht mehr, als Vorschläge machen. Und die krieg ich vom Internet auch.« Tini kaut auf ihrer vollen Lippe.

»Du brauchst ’nen Kerl!« Ich bin so überrascht, dass mir die Piña Colada beinahe aus der Nase gelaufen wäre.

»Wie bitte? Was soll denn bitte ein Kerl an meiner Situation ändern?«, will ich wissen.

Tini grinst. »Kerle können ziemlich inspirierend sein.« Sie wackelt anzüglich mit den Augenbrauen. Ich muss lachen und schüttle leicht den Kopf. »Im Ernst! Mein Ex war’s, der mich auf die Idee gebracht hat, Literatur zu studieren. Ich hab früher echt nicht viel gelesen!« Ich ziehe eine Augenbraue hoch und sehe meine Freundin ungläubig an.

»Wie auch immer. Ich hab jetzt aber nun mal keinen Freund. Das lässt sich ja nicht so einfach ändern«, sage ich und denke insgeheim, dass ich auch gar keinen Freund will. Schließlich ist der Junge, in den ich verknallt bin, definitiv unerreichbar.

Anscheinend bin ich beim Gedanken an Jonas mal wieder etwas abgedriftet, denn das Nächste, was ich sehe, sind Tinis Finger, die vor meinem Gesicht herumschnipsen.

»Hallo? Erde an Nina! Sag mir bitte nicht, dass du immer noch nach diesem YouTube-Schönling schmachtest.« Tini rollt mit den Augen und räumt dann unsere Gläser ab. Ich antworte nicht, sondern werfe unsere Trinkhalme in den Mülleimer.

»Im Ernst? Du bist echt bekloppt, Mädchen«, fügt sie hinzu und reicht mir die kleine Schürze, die wir während der Arbeit tragen müssen.

»Weiß ich selbst. Aber lass mich doch einfach ein bisschen träumen. Ich hab ja sonst nichts, worüber ich mich freuen kann.«

»Stimmt«, erwidert Tini, ohne zu zögern, und wir müssen beide lachen. Dann öffnet Tilo die Türen, und Tini und ich stellen ein paar Tische und Stühle in dem kleinen Bereich vor der Bar auf. Bei dem herrlichen Wetter sitzen die Gäste gerne draußen. Es scheint sie nicht zu stören, dass der Wunderhof mitten auf der Reeperbahn, also auf einer der meistbefahrenen Straßen Hamburgs liegt. Ich schalte die Musikanlage ein. Der DJ ist erst für zweiundzwanzig Uhr bestellt. Bis dahin gibt’s Musik vom Laptop. Es dauert nicht lange, und die ersten Gäste nehmen Platz.

Außer Tini und mir arbeiten heute Abend noch drei weitere Mädels als Kellnerinnen, die allerdings erst später anfangen sollen. Dann wäre da noch der Türsteher Tilo. Max und Elif hinter der Bar und das Küchenpersonal. Ich rechne damit, dass ich gegen zwei Uhr morgens Feierabend machen kann, was bedeutet, dass ich frühestens, wenn der DJ kommt, Pause machen sollte. Ich verabrede mich also um zehn Uhr abends mit Tini im Aufenthaltsraum und konzentriere mich dann ganz auf meine Arbeit.

Das Kellnern macht mir Spaß. Ich arbeite gern mit Menschen zusammen, und in der Regel sind die Gäste sehr nett und großzügig, was Trinkgelder angeht. Dass ich an einem Freitagabend mein Gehalt dadurch verdreifache, ist ganz normal. Klar, es wird einem auch mal an den Hintern gepackt von irgendwelchen besoffenen Idioten, aber ein Wort zu Tilo, und die Saufnasen müssen draußen weitergrabschen.

Es ist voll. Typisch fürs Wochenende. Bereits um halb neun treibt es die ersten Gäste auf die Tanzfläche. Es ist ein Haufen Mädels in pinken Shirts. Junggesellinnenabschied. Und da sie vorhin ihre Bestellung in perfektem Englisch aufgegeben haben, sind sie wohl den ganzen Weg von der Insel rübergekommen, um auf der berühmten Reeperbahn zu feiern. Ich kann’s ihnen nicht verübeln.

Die Zeit vergeht mal wieder wie im Flug. Langweilig wird es bei dieser Arbeit jedenfalls nie. Um kurz vor halb zehn muss Tilo schon zwei Typen rausschmeißen, die an einem von Tinis Tischen eine Essensschlacht angefangen haben. Die Ärmste. Ich hätte ihr gern beim Saubermachen geholfen, aber ich muss mich um meine Seite des Clubs kümmern. Eines der Mädchen vom Junggesellinnenabschied hat gerade ihren Drink fallen lassen und angefangen, die Scherben mit der bloßen Hand aufzuheben. Ich kann gar nicht so schnell reagieren, da hat sie sich schon geschnitten. Ich bringe sie an die Bar, und Max verarztet sie mit einem charmanten Lächeln, während ich die Scherben aufkehre.

Als alles wieder sauber ist und ich sehe, dass endlich unsere Kellnerverstärkung ankommt, atme ich erleichtert auf.

»Ich mache dann jetzt Pause«, rufe ich Lydia über die Musik hinweg zu, nachdem ich sie kurz instruiert habe, dass Tisch 5 noch eine Runde Rum-Cola bestellt hat und der Typ mit dem roten Shirt an Tisch 9 eine Portion Chickenwings bekommt, die jeden Moment fertig sein müsste. Lydia zeigt mir ihren erhobenen Daumen, und ich quetsche mich durch die Feierwütigen bis zur Tür hinterm Bartresen.

»Puuuhhh!«, drängt es sich zwischen meinen Lippen hindurch. Tini sitzt schon an dem kleinen Tisch im Aufenthaltsraum und raucht eine Zigarette. »Gut was los heute.«

»Diese Arschlöcher mit ihrer Essensschlacht, nee … ich hätte sie killen können!« Trotz Tinis Wut muss ich schmunzeln.

»Versteh ich«, sage ich. »Aber Tilo hat sie ja rausgeschmissen.«

»Das war auch besser! Ich weiß nicht, was ich sonst mit denen gemacht hätte.«

Ich lasse mich ihr gegenüber auf einen der unbequemen Metallstühle fallen und nasche von den Chips, die jemand in einer Schüssel auf den Tisch gestellt hat. Ich drehe die Fußgelenke ein paarmal und krümme meinen schmerzenden Rücken. Kellnern ist anstrengender, als man vielleicht denkt.

»Wer ist außer Lydia noch da?«, frage ich und checke kurz mein Handy. Keine Nachrichten. Auch nicht von meinen Eltern. Tini tippt ebenfalls auf ihrem Handy herum.

»Mira und diese Neue. Wie heißt sie noch mal?«

»Welche Neue?«, hake ich nach und erhebe mich kurz, um aus dem kleinen Kühlschrank zwei Flaschen Wasser zu holen.

»Na die mit den blauen Haaren«, erwidert Tini und legt ihr Handy jetzt zur Seite. Sie zieht an ihrer Zigarette und legt die Kippe dann auf dem Aschenbecher ab. Dann steht sie auf und schaltet das Radio ein. Irgendein Achtzigerjahre-Song dröhnt uns entgegen, und sie dreht die Lautstärke etwas runter.

»Keine Ahnung, kenne ich nicht«, erwidere ich.

»Ach, egal.«

Einen Moment sitzen wir da und sagen nichts. Der Song endet, und die Stimme des witzigen Radiomoderators Janosch klingt durch das kleine Zimmer.

»Einen wunderschönen guten Abend, Hamburg! Was läuft in der schönsten Stadt der Welt? Ich sag euch, was läuft! Mehr Abwechslung mit den besten Songs der letzten vierzig Jahre! Es ist zweiundzwanzig Uhr an diesem sommerlichen Freitagabend, und die Stadt füllt sich mit partywilligem Frischfleisch aus aller Welt. Aber auch wenn ihr heute Abend mal nicht auf dem Kiez unterwegs seid, soll euch die beste Musik natürlich nicht entgehen! Außerdem kann ich euch versprechen, dass es noch diese Stunde so weit sein wird –«

In diesem Moment klingelt mein Handy. Es ist eine Nachricht von meinem Vater. Ich sehe noch einmal auf die Uhr und wundere mich, dass er überhaupt noch wach ist.

Papa:

Hallo, Mäuschen,

es tut mir leid, wie das heute gelaufen ist. Ich hab versucht, mit Mama zu sprechen, aber sie ist einfach sehr enttäuscht und wütend. Gib ihr etwas Zeit, okay? Wenn du etwas brauchst, dann sag Bescheid.

Wir lieben dich!

Papa

Ich:

Alles klar!

Mehr schreibe ich nicht. Ich bin zwar erleichtert, dass Papa das alles etwas lockerer sieht und versucht, die Wogen zu glätten, aber ich bin noch immer der Meinung, dass ich nichts falsch gemacht habe. Mama ist es, die sich wie eine Bescheuerte aufführt. Und ich hoffe sehr, dass ihr das bald bewusst wird.

Als ich wieder aufsehe, läuft ein Usher-Song im Radio, und Tini sieht mich erwartungsvoll an.

»Deine Mutter?«, fragt sie. Ich schüttle den Kopf. Sie pikst mich leicht mit dem Zeigefinger an und lächelt aufmunternd. Ihre Art von Mitgefühl. Ich zucke mit den Schultern. Den Rest der Pause erzählt Tini davon, dass sie sich unbedingt einen neuen Laptop kaufen will, aber es einfach nicht schafft, die Kohle zusammenzusparen.

»Hör auf zu rauchen«, sage ich trocken, weil ich weiß, dass sie das aufregt. Sie zieht eine Schnute und redet dann einfach weiter.

Als unsere Pause zu Ende ist, erzählt Tini noch immer, und gerade als wir uns erheben, klingelt erneut ein Handy. Diesmal ist es Tinis. Sie geht ran, während ich unsere Wasserflaschen wegstelle. Doch plötzlich ist irgendetwas komisch. Ich höre Tinis Stimme doppelt. Verwirrt sehe ich auf und schaue zu ihr. Sie steht mit weit aufgerissenen Augen da und deutet wie wild auf das Radio. Dann verstehe ich: Tini telefoniert mit Janosch! Mit dem Radiomoderator! Verdammt! Mein Mund klappt auf, und ich springe zum Radio, um es lauter zu schalten.

»Hey, Tini, wie geht’s dir?«, fragt Janosch.

»Mir geht’s super!«, erwidert meine Freundin und wippt von einem Bein aufs andere. »Wie krass, dass du mich anrufst.« Ich muss lachen und klatsche ein paarmal lautlos in die Hände.

»Ich find’s auch echt krass, mit dir zu telefonieren, meine Liebe, aber tust du mir einen Gefallen?«

»Klar. Was denn?«

»Kannst du dein Radio ausstellen? Ich höre mich doppelt.«

»Oh!«, bringt Tini hervor und hüpft rüber zur Anlage, um sie auszuschalten. Stattdessen schaltet sie den Lautsprecher an ihrem Handy an. »Besser?«

»Ja, vielen Dank«, sagt Janosch. »Also, liebe Tini. Es ist Freitagabend, es ist zwischen zehn und elf Uhr, ich hab dich angerufen. Du weißt was das bedeutet?« Ich starre Tini an, denn ich selbst habe keine Ahnung, was genau das bedeutet. Sicher hat sie irgendwas gewonnen oder so.

Meine Freundin legt sich eine Hand an die Stirn und lässt sich zurück auf den Stuhl sinken.

»Ist das dein verfickter Ernst?«, fragt sie nur, und ich kann nicht glauben, dass sie dieses Wort gerade live im Radio gesagt hat. Ich drücke kurz die Hände aufs Gesicht, sehe sie dann aber sofort wieder an.

»Ja, Tini, das ist mein verfickter Ernst«, antwortet Janosch lachend, und Tini kreischt ins Telefon. »Du, liebe Tini, bist die Gewinnerin unseres Flugmeilen-Marathons! Die Magische 99,9 zahlt dir einen Flug an das Reiseziel deiner Wahl« Wieder kreischt sie. »Inklusive aller Gebühren!« Kreischen. »Inklusive VIP-Flight-Meal-Gutschein!« Kreischen. »Und ein offizielles Magische 99,9-Shirt gibt’s auch noch obendrauf. Ist das was?« Jetzt kreischen wir gemeinsam und hüpfen wie kleine Mädchen im Aufenthaltsraum herum. Ich fasse es nicht! Was für ein gigantischer Gewinn!

»Danke! Danke! Danke! Das ist der absolute Hammer!«, ruft Tini, während wir immer noch hüpfen.

»Schön, dass du dich so freust«, lacht Janosch. »Verrate uns doch noch, wo es hingehen wird.«

Jetzt stoppt Tini ihr Gehüpfe, und ich tue dasselbe. Sie sieht mich an, als hätte ich irgendwas im Gesicht.

»Was ist?«, frage ich leise. Dann blinzelt sie und lächelt mich an.

»Janosch?«, fragt sie.

»Ja?«

»Das Reiseziel ist ganz egal, oder?«

»Jap, es sollte nur auf diesem Planeten liegen.«

»Dann würde ich den Gewinn gerne weitergeben.« Entsetzt schaue ich sie an. Was redet sie da?

»Du meinst verschenken? An jemand anderen?«, fragt Janosch.

»Ja, genau.«

»Also, das hat bisher, glaub ich, noch nie jemand gemacht, aber … sicher! Wenn du möchtest.«

»Gut! Dann schenke ich meinen Fluggutschein meiner Freundin Nina.« Mir bleibt der Mund offen stehen, und ich berühre Tini kurz an der Schulter.

»Was soll denn das?«, will ich wissen. »Bist du verrückt?«

»Okay! Und womit hat Nina so ein großzügiges Geschenk verdient?«, will Janosch wissen. Tini lächelt noch immer.

»Sie ist meine beste Freundin und macht grad ziemlich viel Scheiße durch. Und der Typ, in den sie verknallt ist, lebt auf Kuba. Sie soll den Gutschein nutzen, um zu ihm zu fliegen.«

Völlig entsetzt starre ich Tini an. Alles, was die beiden ab diesem Zeitpunkt noch sagen, kommt nicht mehr bei mir an. Hat sie den Verstand verloren? Sie kann mir doch nicht so einen Wahnsinns-Gewinn überlassen. Und schon gar nicht für eine Reise nach Kuba, um … Das ist doch vollkommen verrückt! Erst als Tini mich an den Schultern nimmt und rüttelt, begreife ich, dass das alles kein Traum ist, sondern wirklich passiert.

»Hey! Hast du gehört?« Offensichtlich hat sie aufgelegt und sieht mich nun freudestrahlend an.

»Tini, bist du irre?«, frage ich. »Das geht doch nicht! Du kannst doch nicht … Ich kann doch nicht! Nein! Das ist verrückt!«

Sie verschränkt die Arme vor der Brust und sieht mich mit gerunzelter Stirn an.

»Jetzt hör mir mal zu. Du hast hier im Moment nichts, was dich davon abhält, vor einen Zug zu springen. Dein Studium ist im Arsch, deine Mutter ist ein Miststück, und du hast keine Ahnung, was du mit deinem kleinen, süßen Leben anfangen sollst. Welcher Zeitpunkt würde wohl besser passen für eine vollkommen irre Reise auf die andere Seite des Ozeans, um einem Typen nachzustellen, den du nur aus dem Internet kennst?« Stumm starre ich sie an. »Außerdem hab ich sowieso nur für dich teilgenommen.« Den letzten Satz sagt sie leiser. Fast beschämt.

»Was? Warum denn?«, will ich wissen.

»Keine Ahnung. Ich hab von diesem Gewinnspiel gehört, und da hast du gerade wieder wegen dieses Jonas rumgeheult. Ich dachte, es wäre witzig, wenn du zu ihm fliegen könntest. Allerdings hätte ich doch nie im Leben damit gerechnet, dass ich tatsächlich gewinne.« Sie zuckt mit den Schultern und runzelt entschuldigend die Stirn. Ich kann noch immer nicht fassen, was hier gerade passiert, was sie erzählt.

»Du hast da nur für mich mitgemacht?«, frage ich. Sie nickt.

»Damit ich nach Kuba fliegen kann?« Wieder nickt sie.

»Damit ich Jonas kennenlerne?«

»Ja, verdammt!«

»Tini, ist dir bewusst, wie völlig, und ich meine VÖLLIG irre das klingt?«, frage ich. »Das kann ich nicht machen.«

»Es ist mir bewusst, und: Klar kannst du. Du sagst doch selbst immer, wie bescheuert es ist, dass du in diesen Typen verknallt bist. Jetzt steh auch zu deiner Verrücktheit und handle nach ihr! Auf Radiokosten!« Sie wackelt mit den Augenbrauen.

Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Was den Zeitpunkt angeht, hat sie natürlich recht. Im Moment hält mich hier nichts. Aber … ich kann doch nicht einfach so nach Kuba fliegen und Jonas suchen. Oder doch? Was soll ich denn machen, wenn ich vor ihm stehe? Sagen, dass ich ein bekloppter Fan bin und mich in ihn verknallt habe? Niemals!

»Tini, ich –«

Sie unterbricht mich. »Nichts da. Du flegst dahin! Und falls du ihn nicht findest oder feststellst, dass er ein Arsch ist, dann schwingst du deinen weißen Arsch eben an den Strand und holst dir einen ordentlichen Sonnenbrand, klar? DU FLIEGST DAHIN!«

Ich schlucke und versuche noch immer all die wild kreisenden Gedanken in meinem Kopf zu sortieren. Doch etwas erwidern kann ich nicht mehr. Ich fürchte, das letzte Wort ist gesprochen. Das ist wirklich ihr verfickter Ernst!

Kapitel 5

»Ich brauche ein Visum«, sage ich, als ich am Samstagnachmittag zusammen mit Tini in meinem Zimmer sitze und die kubanischen Einreisebestimmungen studiere. Im Hintergrund läuft People Need Love von ABBA. Der Song bringt sogar Tini dazu, mit dem Fuß zu wippen. Sie sagt zwar immer, dass sie meine ABBA-Obsession nervt, aber ich glaube, eigentlich mag sie die Musik auch.

»Na, dann beantrage eins«, erwidert sie und dreht sich auf meinem Schreibtischstuhl herum. Ich sitze im Schneidersitz auf dem Bett und kann noch immer nicht fassen, was ich hier mache. Ich bereite eine völlig irrsinnige Reise vor, von der ich noch vor vierundzwanzig Stunden nicht einmal wusste, dass ich sie machen würde.

»So was dauert doch bestimmt ewig«, erwidere ich.

»Lass mal sehen.«

Ich reiche Tini meinen Laptop und lehne mich zurück in die Kissen. Mein Blick wandert an die Decke, und ich kann nicht verhindern, dass ein Haufen wunderbarer Bilder anfängt, vor meinem geistigen Auge herumzutanzen. Azurblaues Wasser, ein weißer Strand, Kokosnüsse, Cocktails und … Jonas! Ich seufze leise, und eine kribbelnde Wärme breitet sich in meinem Bauch aus. Die Vorfreude packt mich, obwohl ich das Ganze noch immer für eine völlig verrückte Idee halte.

»Hier steht, dass man das Visum auch im Eilverfahren beantragen kann. Dann dauert’s nur drei oder vier Tage. Hast du einen Reisepass?«, fragt meine Freundin. Ich nicke. Glücklicherweise war ich schon oft mit meinen Eltern in verschiedenen Teilen der Welt im Urlaub. Und nachdem ich nachgesehen habe, bin ich auch sicher, dass mein Pass noch über sechs Monate gültig ist. So wie es verlangt wird.

»Außerdem brauchst du noch eine Auslandsreisekrankenversicherung. Die Police musst du bei Einreise in spanischer Ausführung vorlegen.«

»Das sollte kein Problem sein«, gebe ich zurück. »Ich ruf da nachher gleich mal an und sage, die sollen mir den Wisch per Mail schicken. Noch irgendwas?«

Tini scheint die Website noch einmal zu überfliegen.

»Das Visum ist nur neunzig Tage gültig. Als Touristin darfst du nicht länger im Land bleiben.«

»Na, das wird ja wohl reichen, oder?«, sage ich. »Ich will da ja nicht hinziehen! Außerdem …« Ich stocke, weil mir der Gedanke, den ich habe, nicht gefällt. Tini spricht den Satz für mich zu Ende.

»Außerdem könnte Jonas ja auch ein Arsch sein.« Ich atme tief durch und nicke. Aber tief in meinem Innern weiß ich, dass es nicht so ist. Er kann kein Arsch sein. Dafür ist er viel zu süß, viel zu energiegeladen. Er hat so eine sympathische und herzliche Ausstrahlung. Er muss einfach nett sein.

»Tja, dann gucken wir doch mal nach Flügen, oder?«, fragt Tini und sieht mich strahlend an. Mein Herz macht einen Hüpfer, und in meinem Magen beginnt es zu kribbeln.

»Oh Gott!«, quietsche ich und mache ihr Platz auf dem Bett.

Nach etwa einer Stunde intensiven Suchens haben wir einen Flug gefunden, der gut klingt. Die einzige Auflage, die ich vom Radio zum Thema Buchung bekommen habe, ist die, dass ich Economy Class buchen muss. Ein First-Class-Flug wäre zwar wesentlich cooler gewesen, aber ich will mich ja nicht beschweren.

Der ausgewählte Flug ist kein Direktflug. Die gibt es leider nicht von Hamburg aus, und ich habe keine Lust von Berlin oder Frankfurt aus zu fliegen. Eine kleine Zwischenlandung in Zürich werde ich schon überleben. Zumal mir die Flugzeiten sagen, dass ich keine Wartezeit habe und direkt von einem Flieger in den anderen umsteigen kann. Insgesamt erwarten mich knappe zwölf Stunden Flug. Schon in neun Tagen würde es losgehen. Tini meint, das sollte reichen für die Beantragung des Visums und um mich mit Sonnencreme einzudecken.

Ich habe ein bisschen gegoogelt, und die Bar, in der Jonas jobbt, tatsächlich gefunden. Aus einem seiner Videos weiß ich, dass sie La Rosa heißt und ein sogenanntes paladares, ein privat geführtes Restaurant, ist. Eher selten im sozialistischen Kuba, wie Jonas erklärt hat. Die meisten Restaurants und Unternehmen sind immer noch staatlich.

Das La Rosa liegt auf einer kleinen Landzunge nahe einem Ort namens Casilda bei Trinidad. Der nächste Flughafen ist Cienfuegos und gute eineinhalb Stunden entfernt. Die Umgebung scheint keine typische touristische Schlangengrube zu sein. Es gibt zwar auch ein, zwei Hotels auf der Landzunge, aber von der riesigen Masse an Hotelbunkern, die zum Beispiel den Ort Varadero fluten, ist hier nichts zu sehen. Zumindest laut Jonas und Google Earth.