THE END - NEMESIS - G. Michael Hopf - E-Book

THE END - NEMESIS E-Book

G. Michael Hopf

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Beschreibung

Die beiden wichtigsten Tage deines Lebens sind der Tag, an dem du geboren wurdest, und der Tag, an dem du herausfindest, warum. – Mark Twain Lexi ist eine außergewöhnliche Frau, gefangen in einem durchschnittlichen Leben. Der frühe Tod ihres Vaters und die Lieblosigkeit ihrer Mutter haben ihre Spuren hinterlassen. Trost findet sie nur in oberflächlichen Freundschaften und Beziehungen. Die einzige Person, die sie liebt und der sie vertraut, ist ihre jüngere Schwester Casey, doch auch das Verhältnis zu ihr ist angespannt. Ohne einen wirklichen Sinn im Leben zu finden wechselte Lexi ziellos von Job zu Job – bis zu jenem verhängnisvollen Tag, an dem die Lichter ausgingen. In den frühen Morgenstunden wurden die Vereinigten Staaten von Amerika Ziel einer spektakulären, verheerenden Attacke. Ein Super-EMP zerstörte das gesamte Energienetz und machte beinahe jedes elektrisch betriebene Gerät nutzlos. Millionen Menschen fanden im unmittelbaren Chaos danach den Tod, und Millionen weitere sahen sich einem Schicksal gegenüber, das noch weitaus schlimmer als der Tod sein würde. In dieser neuen Welt, in der die Infrastruktur verwüstet und die Regierung handlungsunfähig geworden ist, findet Lexi endlich zu ihrer Bestimmung. Doch zu welchem Preis?

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THE END: NEMESIS

G. Michael Hopf

Copyright © 2016 by G. Michael hopf All rights reserved. No part of this book may be used, reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording, or by any information storage or retrieval system, without the written permission of the publisher, except where permitted by law, or in the case of brief quotations embodied in critical articles and reviews.

Dieser Roman ist ein fiktives Werk. Namen, Charaktere, Orte und Ereignisse entspringen der Fantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit zu tatsächlichen Ereignissen, Schauplätzen oder Personen, lebendig oder tot, ist rein zufällig.

Allen gewidmet, die kämpfen und niemals aufgeben.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: NEMESIS: INCEPTION Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Andreas Schiffmann Lektorat: Astrid Pfister

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-268-1

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

THE END: NEMESIS
Impressum
22. Februar 2015
3. Dezember 2014
4. Dezember 2014
5. Dezember 2014
6. Dezember 2014
7. Dezember 2014
8. Dezember 2014
22. Februar 2015
23. Februar 2015
24. Februar 2015
25. Februar 2015
26. Februar 2015
13. Januar 2015
26. Februar 2015
An meine Leser
Über den Autor

»Der einzige Weg zum Weltfrieden führt durch den Lauf einer Schusswaffe.« – Gordon Van Zandt

 

22. Februar 2015

»Die zwei bedeutendsten Tage in deinem Leben sind jener, an dem du geboren wurdest, und der, an dem du herausfindest, warum.« – Mark Twain

Crescent, Oregon

»Lexi … Lexi … WACH AUF!«, hörte sie eine Stimme zum wiederholten Mal im Traum rufen.

Sie setzte sich erschrocken auf. Ihr Herz raste und kalter Schweiß klebte auf ihrer Haut. Sie fuhr mit zittrigen Händen darüber und blinzelte, um klarer sehen zu können, bloß brachte das in der Stockfinsternis überhaupt nichts. Schließlich ertastete sie einen Leuchtstab, den sie zuerst knickte und dann kräftig schüttelte. Kurz darauf fing er an zu glühen und erhellte den Raum bis in seine dunklen Winkel hinein. Sie gewöhnte sich langsam daran, doch in der Umgebung gab es für ihre blassbraunen Augen sowieso nur wenig zu sehen. An der Wand stand ein hohes Metallregal voller Dosen und Flaschen und davor zahlreiche Kisten. Der Geruch im Raum stieß sie zunächst ab, aber bald erkannte sie ihn als Mischung aus Staub, Pappe und abgestandenem Bier. Das feuchte Lager hinten im Restaurant von The Mohawk Bar and Grill war zwar keine Luxusunterkunft, doch wenigstens ein relativ sicherer Platz, wo man sich geschützt vor der Kälte des Winters und den Gefahren draußen ausruhen konnte. Sie hatte das angebotene Obdach am Anfang abgelehnt und erst dann in Anspruch genommen, als ihr bewusst geworden war, dass es ihr dort nicht an Lebensmitteln mangeln würde und sie den älteren Mann, der hier lebte, ihres Erachtens im Kampf besiegen konnte. Nach zweimonatigem Ringen ums Überleben in der Neuen Welt befand sie sich ununterbrochen in Alarmbereitschaft. Diesen Umstand erachtete sie als einen der Hauptgründe dafür, dass sie noch nicht umgekommen war.

Lexi rieb sich die Augen und stöhnte frustriert, als ihr der nächtliche Traum wieder in den Sinn kam, der sie daran hinderte, die Ruhe zu finden, die sie so dringend nötig hatte. Sie war ihre Unfähigkeit, tief zu schlafen, mehr als leid geworden. Vor dem Zusammenbruch hatte sie immer ganz wunderbar schlafen können. Kein Wochenende war vergangen, an dem sie nicht erst gegen elf Uhr aufgewacht war, und werktags hatte sie sich beim Aufstehen deshalb umso schwerer getan – jeden Morgen das gleiche Drama – ein Dutzend Mal hatte sie die Schlummertaste an ihrem Wecker gedrückt. Jetzt störten Nachtängste und Ruhelosigkeit ihren Schlaf, falls man es überhaupt noch so nennen konnte.

Sie erschrak, als es plötzlich an der Tür klopfte, und schob sofort eine Hand unter das Kissen, um zu ihrer Pistole zu greifen; einer halbautomatischen Glock 17 9mm.

»Lexi? Alles in Ordnung bei dir? Ich hab dich schreien hören«, sagte jemand vor der Tür.

Sie schaute hinüber zur Schwelle, wo schwach Licht einfiel, das jedoch von einem dunklen Schatten unterbrochen wurde. Lexi kannte John nicht wirklich, geschweige denn, dass sie ihm vorbehaltlos traute, immerhin hatte sie ihn erst eine Woche zuvor getroffen.

Nach ihrer knappen Flucht vor ein paar Plünderern war sie mit dem Motorrad gestürzt, das sie am Highway südlich der Stadt gestohlen hatte. Ein kleines Kommando von Marines war dann auf sie gestoßen und hatte ihr Hilfe angeboten.

Da die Männer aber selbst nicht gewusst hatten, wo sie unterkommen sollten, waren sie mit ihr zum The Mohawk gefahren. Seit sie in der Stadt angekommen waren, pflegten sie eine gute Beziehung mit John. Crescent war nicht groß und besaß abgesehen von dem Restaurant keine weiteren aktiven Gewerbe mehr, also fand der verbliebene Rest der Gemeinde immer dort zusammen. Weil John keine Familie und auch sonst nichts hatte, lag es für ihn in der Natur der Sache, das The Mohawk als seine einzige Liebe am Laufen zu halten. Verderbliche Lebensmittel waren ihm rasch ausgegangen, wohingegen es ihm aber nicht an Alkohol mangelte, den er nun als Währung benutzen würde. John war ein großer, stämmiger Kerl mit schwarzen Haaren, die mittlerweile von silbergrauen Strähnen durchzogen wurden. Seine Frau hatte ihn schon Jahre zuvor verlassen, und da er kinderlos war, fungierten die Bewohner des Ortes als seine Ersatzfamilie.

Einige Zeit ihres Aufenthalts hatte Lexi mit Fitnesstraining und Kampfübungen mit ihren langen Fahrtenmessern zugebracht. Hinterher suchte sie üblicherweise nach einer Ausrede – jede war ihr dabei recht – zum Trinken.

John hatte sich dabei ertappt, sie zu beobachten, und war von ihren Fertigkeiten tief beeindruckt. Genauer gesagt war er neugierig, wen er da in seinem Hinterzimmer wohnen ließ. Heute nahm er sich vor, es endlich herauszufinden.

»Lexi, bist du da drin?«, fragte er erneut, dieses Mal, während er den Knauf der Tür umdrehte. Aber sie war verschlossen.

Lexi schaute die Tür an und ihr Instinkt, der bedingt durch die neuen Umstände äußerst geschärft war, sagte ihr, sie nicht zu öffnen. Da sie John noch nicht richtig kannte und im Laufe der Zeit einige schlechte Erfahrungen gemacht hatte, blieb sie zurückhaltend, was ihr Vertrauen anderen gegenüber betraf. Letzten Endes gewann aber ihre vernünftige und pragmatische Seite die Oberhand. Sie wusste nicht, wo sie hinsollte, wohingegen er aber über Mittel verfügte, die sie auf ihrer Jagd nach Rahab gut gebrauchen könnte.

»Alles klar bei mir!«, rief sie deshalb. Nachdem sie zur Tür gegangen war, sperrte sie diese auf und trat rasch wieder einen Schritt zurück.

John öffnete sie langsam und schob seinen Kopf vorsichtig durch den Spalt. Seine Lampe warf ein dämmriges gelbliches Licht in den Lagerraum.

»Ich habe Schreie gehört, darum habe ich mir Sorgen gemacht«, begann er, während er sich umschaute.

Lexi hatte sich wieder auf den Boden gesetzt und die Pistole zwischen ihre Oberschenkel geklemmt. »Mir geht's gut.«

»Dann lass ich dich mal weiterschlafen«, erwiderte er lächelnd.

Aber als er die Tür schließen wollte, rief Lexi: »Warte!«

John streckte seinen Kopf wieder hinein. »Ja?«

»Wie spät ist es jetzt?«

»Oh, äh … gegen fünf Uhr.«

»Okay, danke.«

»Bist du hungrig? Ich kann dir schnell was machen.«

»Eigentlich eher durstig.«

»Dort in der Ecke steht Wasser, bedien dich einfach«, bot John ihr an. Er stand jetzt mit einem Bein wieder im Zimmer und zeigte auf einen Stapel Flaschen.

»Ich dachte eher an etwas, das ein klein wenig härter ist«, druckste Lexi herum, die sich nun ebenfalls zu einem Lächeln hinreißen ließ.

John, der dem Alkohol selbst beileibe nicht abgeneigt war, überlegte kurz und drückte dann die Tür ganz auf. »Irgendein Anlass dafür findet sich doch immer, oder?«

Lexi nahm das Schnapsglas in die Hand. Es war übergelaufen und deshalb außen klebrig. Eines hatte sich nicht geändert, nachdem die Lichter ausgegangen waren. Sie liebte das Feiern und Hochprozentiges immer noch. Zuvor hatte sie nicht viel vertragen, aber da es mittlerweile weder Eis noch Mixer gab, musste sie nun einmal auf ihre Lieblingsgetränke verzichten. Mit dem Vorsatz, sich zu berauschen, was mit Alkohol ja hervorragend funktionierte, kippte sie sich alles hinter die Binde, was sie in die Finger bekam. Als sie nun auf die Flasche Grey Goose Wodka schaute, kicherte sie vor sich hin. Vor ihrer Ankunft in Crescent war sie einer Familie über den Weg gelaufen. Diese Leute waren so gastfreundlich gewesen, dass sie ihre selbst gebrannten Spirituosen mit Lexi geteilt hatten. Trotz des ekelhaften Geschmacks hatte sie das Zeug getrunken. Wenngleich sie nicht wusste, wie Abbeizmittel schmeckte, hatte sie es sich ungefähr so vorgestellt.

Nun hob sie ihr Glas und fragte: »Worauf stoßen wir denn an?«

»Ach, ich weiß nicht. Worauf haben wir denn noch nicht angestoßen?«, entgegnete John mit Bezug auf die sechs Gläser, die sie beide schon intus hatten.

»Ich weiß was!«, rief Lexi dann und hob das Glas noch höher. »Auf den Tod aller Dreckschweine. Mögen sie langsam und qualvoll verrecken!«

Verwundert zog John die Augenbrauen hoch. Er war zwar nicht zimperlich, aber Lexis loses Mundwerk und offensichtlich rabiates Ethos bestürzten ihn trotzdem.

Sie führte den Wodka an ihren Mund und stürzte ihn in einem Rutsch hinunter. »Ah, das tut gut!«, stöhnte sie begeistert, während sie das Glas auf die Theke knallte.

John zögerte zuerst, tat es ihr aber kurz darauf gleich und schluckte seinen Wodka ebenfalls hinunter.

»Noch einen, Barkeeper«, meinte Lexi grinsend und schob ihm ihr Glas hin.

Aber er ignorierte ihre Aufforderung und stellte ihr endlich die erste intime und persönliche Frage: »Lexi, was ist mit dir passiert?«

Sie sah ihn abfällig an, antwortete aber nicht.

»Warum bist du nur … so aggressiv?«

»Meinst du das ernst? Echt jetzt? Schau dich doch mal um. Wer kann denn in dieser Lage nicht aggressiv sein?«

»Ich!«

»Dann bist du ein Idiot!«, blaffte sie ihn an.

»Ha, ich finde, du hast jetzt eindeutig genug«, erwiderte John und nahm ihr das Glas weg.

»Warte, warte, warte, es tut mir leid. Das war zu …«

»… zu aggressiv«, ergänzte John.

Er ging mit dem Glas hinter den Tresen und stellte es dort zusammen mit der Wodkaflasche ab.

»Du hast ja recht, tut mir leid. Nicht du bist der Idiot, sondern ich. Ich will einfach nicht über … das Ganze sprechen.« Sie schwenkte beide Arme hin und her, um auf die Umgebung zu verweisen.

»Du setzt dich an meinen Tresen, schläfst unter meinem Dach, isst mein Essen, säufst meinen Wodka und bist trotzdem nicht bereit, mir ein bisschen von dir zu erzählen? Du wohnst jetzt schon eine Woche hier, aber ich weiß immer noch nichts weiter von dir, als dass du viel trinkst, trainierst und mit Messern spielst.«

Lexi dachte kurz über Johns Worte nach und sah ein, dass sein Ärger durchaus berechtigt war. »Du hast ja recht und ich bin manchmal wirklich eine Zicke. Es ist aber eben so, dass ich, äh … nicht über bestimmte Dinge reden will, weil mir dann unweigerlich bewusst wird, dass sie real sind. Einfach hier zu sitzen, wie wir es in den letzten zwei Stunden getan haben, und nur über alte Filme, Essen, Cocktails und solche Dinge zu reden, hilft mir dabei, die beschissene Welt, in der wir jetzt leben, kurz hinter mir zu lassen. Dadurch kann ich … vergessen.«

John kam wieder zurück und baute sich direkt vor ihr auf. »Ich habe da draußen eine Menge Scheiße erlebt. Ich habe gesehen, wozu Menschen in der Lage sind. Es ist wirklich widerlich und abstoßend, und ich hasse es wie die Pest«, fuhr sie fort.

»Ich kann nicht behaupten, das Gleiche wie du erlebt zu haben, weil ich mich dazu entschieden habe, mit meinem Arsch hierzubleiben. Die Stadtgrenzen zu verlassen, hielt ich nie für nötig.«

»Dann ändere auch nichts daran. Bleib einfach weiter hier. Da draußen existiert nur noch die Hölle.«

John griff wieder zur Flasche und stellte sie gemeinsam mit ihrem Glas vor Lexi ab.

Sie streckte sich danach aus, woraufhin er beides ein paar Zoll zurückzog, um anzudeuten, dass er noch nicht gänzlich bereit dazu war, den Wodka wieder herauszurücken.

Von draußen hörten sie nun leise Johns Truthahn gurren.

Lexi reckte den Hals und schaute zum nächsten Fenster. Zwischen den dünnen Metalllamellen des Ladens fielen die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen ein.

Als sie sich John erneut zuwandte, fragte sie: »Was willst du von mir?«

»Eigentlich nichts Besonderes, aber falls du hierbleiben willst, würde ich wenigstens gern wissen, wer du genau bist. Unschöne Einzelheiten darfst du dir auch gern sparen. Ich bin nur ein alter Mann, der wissen möchte, mit wem er hier spricht. Ich sehe es so: Früher habe ich mich nicht um andere Leute gekümmert und einfach so vor mich hingelebt. Ich war einer derjenigen, die nie irgendetwas auf die Worte von anderen gegeben haben. Während irgendwelcher Unterhaltungen dachte ich immer darüber nach, was ich dazu sagen sollte. Richtig zugehört habe ich aber nie.« Er machte eine kurze Pause, um nachzudenken. »Weißt du, aus diesem Grund ging bestimmt auch meine Ehe in die Brüche. Ich habe nie zugehört, ich habe immer nur geredet und geredet.«

»So wie jetzt?«, erwiderte Lexi scherzhaft.

John schmunzelte. »Genau, so wie jetzt. Aber wenn ich das Ganze noch zu Ende bringen darf: Nach allem, was passiert ist, beschloss ich, den anderen von nun an zuzuhören. Ich habe mir vor Augen gehalten, dass das Leben jetzt äußerst gefährlich ist und deshalb jederzeit vorbei sein kann – warum also nicht auf Leute eingehen, um sie richtig kennenzulernen? Jeder hat schließlich irgendetwas zu erzählen.«

Während Lexi sitzen blieb und John anstarrte, beschlich sie ein trauriges Gefühl. Aber weil sie vor niemandem mit ihren Emotionen hausieren gehen wollte, wählte sie freundlichere Worte anstatt solcher, die eigentlich ihrem brüsken Wesen entsprachen. »Gut, hört sich für mich nach einer gerechten Abmachung an. Du gibst mir zu essen und ein Dach über dem Kopf, also ist das Mindeste, was ich tun kann, dir zu sagen, wer ich eigentlich bin. Dummerweise gibt es über mich nichts Aufregendes zu erzählen, ganz im Gegenteil. Ich bin total langweilig, und der ganze Scheiß, der in letzter Zeit geschehen ist, war einfach nur grässlich. Falls ich aber noch ein oder zwei Drinks kriege, während ich dir meine Geschichte erzähle, dann bitte.« Ein erneutes Lächeln erhellte ihre stoische Miene.

John erwiderte sie stumm. Er betrachtete die junge Frau, die dort vor ihm saß. Müsste er ihr Alter schätzen, würde er sagen, dass sie Ende zwanzig war. Ihre zotteligen, ungleichmäßig geschnittenen Haare sahen aus, als seien sie einst blond gewesen, doch die dunkelbraunen Ansätze waren mittlerweile so weit herausgewachsen, dass sie nur noch helle Spitzen hatte. Dünn hätte er sie nicht bezeichnet, eher schlank mit sehnigen Muskeln. Zu den hellbraunen Augen passte ihr Teint gut, denn die Haut war goldbraun von der Sonne. In ihrem Gesicht, an den Händen und Armen erkannte man noch Spuren von Schnitten und Schrammen. Woher auch immer sie kam, sie hatte sich definitiv kämpfend bis hierher durchgeschlagen.

Nachdem er ihr das Glas wieder zugeschoben hatte, drehte er den Verschluss der Flasche auf und schenkte ihr noch einen ein.

Sie schnappte sich den Wodka und wollte ihn sofort trinken, aber er hielt sie auf.

»Moment, Schätzchen. Worauf stoßen wir denn jetzt an?«

Lexi lächelte wieder und ihre Antwort kam sofort: »Darauf, dass wir einander jetzt kennenlernen.«

»Das gefällt mir.«

Sie stießen an und tranken dann.

Wie zuvor knallte sie das Schnapsglas auf die Theke und fuhr sich über das Gesicht. Der Wodka wirkte allmählich. »Hast du vielleicht eine Kleinigkeit zu essen da?«

»Ich kann Frühstück machen.«

»Ich bin ziemlich pflegeleicht, eine Tüte Chips oder so etwas genügt vollkommen.«

»Würde ich dir gern geben, aber ich habe kein … oh, warte mal kurz.« John stand auf und verschwand eilig im Hinterzimmer.

Während er fort war, sah sich Lexi in der Bar um. Ihr früheres Ich hätte nie ein solches Lokal aufgesucht, weil es ihr zu »hinterwäldlerisch« vorgekommen wäre, wie eine Kneipe für die weiße Unterschicht. Sie hatte sich nie für solche Absteigen wie The Mohawk beziehungsweise eine Kombination aus Tränke und Fressbude für die Familie erwärmen können. Nun drehte sie sich auf ihrem Hocker um, bis sie die Jukebox erkennen konnte. Sie brauchte nicht aufzustehen und hinüberzugehen, um ungefähr zu ahnen, welche Scheiben darin steckten.

Als John zurückkam, war er fast überschwänglich vor Begeisterung. »Hätte ich fast vergessen, dass ich die noch habe«, sagte er und hielt eine Großpackung Cool Ranch Doritos hoch.

»Is' nicht wahr«, quietschte Lexi wie ein kleines Kind.

»Ist es doch!«

»Das ist meine Lieblingssorte.«

»Meine auch«, erwiderte er lachend.

»Du, mein Freund, bist absolut kein Idiot, sondern der Held des Tages«, sagte sie laut und war kaum imstande, ihre Freude zu verbergen.

»Falls du den Geschmack doch nicht magst, hab ich auch …« Er zog eine Tüte normale Nachos hinter seinem Rücken hervor.

»Ich bin nicht mal besoffen und glaube trotzdem, dass ich eine ganze Packung allein verdrücken könnte«, entgegnete Lexi aufgeregt.

»Nur zu.« John öffnete beide Beutel und legte sie auf die Theke.

Lexi fiel sofort darüber her. Die Nachos waren noch kross und knackig. Sie ging zwar davon aus, dass das Verfallsdatum abgelaufen war, konnte aber nicht feststellen, ob das etwas an der Qualität änderte. Vielleicht lag es daran, dass sie dergleichen schon so lange nicht mehr gegessen oder ganz vergessen hatte, wie es schmeckte.

»Wenn du dir jetzt noch einen Twinkie oder HoHo aus dem Arsch ziehst, steig ich vielleicht mit dir in die Kiste«, sagte sie grinsend.

»Um genau zu sein …«

»Ohne Scheiß?«, nuschelte sie, wobei Krümel aus ihrem offenen Mund fielen.

John wandte sich ab, um wieder zu verschwinden, hielt dann jedoch inne, drehte sich noch einmal um und sagte grinsend: »War nur ein Witz.«

»Bei mir auch. Ich würde nicht mit dir schlafen, bedauere. Du bist einfach ein bisschen zu alt für mich.« Lexi steckte sich eine weitere Handvoll Nachos in den Mund.

»Ha, nimm's mir nicht übel, Schätzchen, aber ich betrachte dich ohnehin eher wie jemanden, der meine Tochter sein könnte.«

»Da du dich schließlich über uns unterhalten wolltest, fängst du auch an«, forderte ihn Lexi auf.

»Nichts da, du zuerst. Ich stelle immerhin Snacks und Erfrischungsgetränke zur Verfügung.«

Nachdem sie sich noch ein paar Nachos in den Mund geschoben hatte, fing sie an: »Geboren und aufgewachsen bin ich in einer gar nicht mal so üblen Kleinstadt namens La Jolla. Meine Schlampe von Mutter kümmerte sich allerdings lieber um ihre nächste Dinnerparty oder um ihre Rolle als Gesellschaftsdame als um meine Schwester und mich. Heute kann ich darüber lachen, für sie waren wir eher so etwas wie Staffage. Unsere Erziehung übernahmen stets Kindermädchen, die im Laufe der Jahre ständig wechselten.«

Als John Lexi beim Sprechen betrachtete, beschäftigte ihn einzig und allein die Frage, wie jemand seine Kinder nicht lieben konnte. Er hatte zwar keine Erfahrungen dahingehend, aber das starke Gefühl, das er selbst, wenn er mit seiner Ex Nachwuchs gezeugt hätte, ein sehr liebevoller und gebefreudiger Vater gewesen wäre.

»Meine Mom war ein solches Miststück, dass sie meinen Dad vertrieben hat, als ich sechs und meine Schwester noch ein Baby war. Er konnte ihre Launen irgendwann einfach nicht mehr ertragen.«

»Das tut mir leid.«

»Mir auch, denn ich habe meinen Dad geliebt. Er gewann zwar dann das Sorgerecht für uns, starb aber nur zwei Wochen danach beim Absturz eines Kleinflugzeuges.«

Sie stockte kurz, während sie über das Leben fantasierte, das sie hätte führen können. »Wer stirbt denn schon bei einem Flugzeugabsturz? Ich meine, die Wahrscheinlichkeit ist so gering, dass es mir vorkam, als hätte das Schicksal bestimmt, dass ich von Geburt an verflucht war. Gott wollte einfach nicht zulassen, dass Carey und ich normal lebten.«

»Ich denke nicht, dass Gott …«

Lexi fiel ihm sofort ins Wort: »Keine Predigt jetzt, okay? Mir ist es egal, ob du an Gott glaubst. Kein Gott, der zulässt, dass Kinder schlecht behandelt werden und so ein Mist wie im Moment passiert, kann ein guter Kerl sein.«

John grinste. »Wenn du meinst«, sagte er.

»Mach mein Glas voll.«

Nachdem John es getan hatte, ließ er sich aus Lexis Schulzeit erzählen, wobei er noch zwei Mal nachschenken musste. Er schaute sie einfach nur an und dachte unterdessen, dass sie im Grunde ihres Herzens lediglich ein kleines Mädchen war, dem im Laufe der Zeit sehr oft wehgetan worden war. Sie hatte ihre Kindheit offenbar in relativ wohlhabenden Verhältnissen verlebt, aber für einen so jungen Menschen spielt so etwas eigentlich keine allzu große Rolle. Am wichtigsten ist Kindern, dass man ihnen Zeit und Aufmerksamkeit schenkt.

Später hatte sie dann ein Dasein in Armut ohne elterliche Liebe und Fürsorge gefristet. Soweit es John verstanden hatte, war sie ihrer Schwester sehr eng verbunden gewesen. Da sie diese nicht hatte alleinlassen wollen, war sie sogar auf ein College vor Ort gegangen. Danach hatte ihre Schwester wie in einen Film über Enttäuschungen, ihren High-School-Abschluss gemacht und ihre Koffer gepackt, um ein auswärtiges College zu besuchen. Lexi war deswegen tief gekränkt gewesen, hatte es aber wie eine Mutter akzeptiert und sich eingeredet, Carey sei damit nun alt genug, um für sich selbst aufzukommen.

Nach dem Auszug ihrer Schwester war Lexi in einen oberflächlichen und gleichmäßigen Trott aus Arbeiten und Partys mit Freunden gefallen. Ohne Ziele und Ambitionen hatte sie sich nur noch auf eines freuen können … auf die jeweils nächste Sause. Ihre Mutter war ihr komplett fremd geworden, und trotz gemeinsam verbrachter Ferien hatte Lexi nie schnell genug in einer Kneipe einfallen können, um zu versuchen, ihr Leben zu vergessen. Intime Beziehungen hatten nicht stattgefunden, denn die Männer waren ebenso so schnell gegangen, wie sie gekommen waren. Hatte einer mal aufrichtiges Interesse an ihr gezeigt, hatte sie versucht, ihn so schnell wie möglich loszuwerden. Nicht dass sie den Werbern misstraut hätte, vielmehr ihrem Schicksal. Sich von der Liebe leiten zu lassen, hätte nämlich Verletzlichkeit bedeutet, und jedes Glück, das ihr zugefallen wäre, hätte der Schmerz genau wie andere Dinge in ihrem Leben einfach nur zerstört, sobald die betreffende Person sie verlassen oder enttäuscht hätte. Ohne persönliche Beziehungen außer zu ihrer Schwester Carey hatte sie die Tage bis zu ihrem nächsten Besuch gezählt.

John hörte einfach nur weiter zu. Nach seiner ersten kurzen Bemerkung und Lexis pampiger Reaktion darauf war er einfach sitzen geblieben und hatte kein Wort mehr gesagt. Hin und wieder füllte er ihr Glas, doch nach ein paar weiteren, trank sie langsamer, weil sie sich mehr und mehr in ihrer Lebensbeichte vertiefte.

Die lange Tirade hörte auf, als sie vom letzten Treffen mit ihrer Schwester erzählte. Kurz darauf war der Strom ausgefallen und die Welt eine völlig andere geworden. Sie rührte sich nicht mehr, sondern schaute nur auf ihren Wodka und kippte ihn ruckartig hinunter.

John wollte ihr erneut einschenken, doch sie sagte: »Warte, ich bin gleich wieder da.« Nachdem sie abrupt aufgestanden war, hielt sie sich fest, weil der Alkohol ein Schwindelgefühl in ihr auslöste, und sie ging vorsichtig zur Toilette.

Sie konnte sich aber nicht schnell genug entziehen. Es kam ihr so vor, als erleide sie gerade eine Panikattacke. Noch nie zuvor hatte sie so viel von sich preisgegeben. Sich zu öffnen und ehrlich von sich selbst und ihrer Herkunft zu sprechen, gehörte definitiv nicht zu Lexis Stärken. Sie hatte nie Freunde gehabt, die an so etwas interessiert gewesen wären, und diese auch genau deshalb zu schätzen gewusst. Ihr war bewusst geworden, dass es einfacher war, andere auf Abstand zu halten, denn wenn sie jemanden genauer kennenlernte, stellte sie nachher womöglich fest, dass sie diese Person gar nicht mochte.

Als sie in den Schankraum zurückkehrte, war John nicht mehr da. Sie schaute sich um, fand ihn aber nirgendwo. Auf einmal polterte es laut in der Küche. Sie trat ein und sah, dass er gerade Eier in eine große Pfanne schlug.

»Hey, du warst ganz schön lange auf dem Klo.«

Lexi lehnte sich gegen die Wand. »Muss an den Doritos gelegen haben«, scherzte sie.

»Magst du ein Spiegelei? Ich dachte, du könntest ein wenig Proteine vertragen.« Er behielt das Brutzeln im Auge, während er dies sagte.

»Ich liebe Eier, gern. Aber jetzt erzählst du mir deine Geschichte.«

»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich kam ein paar Meilen von hier entfernt auf die Welt, ging in der Stadt zur Highschool, heiratete meine Freundin und fand 'ne Stelle bei einer Holzfirma. Dabei träumte ich aber immer von einem Lokal wie diesem. Meine Frau wollte etwas anderes mit ihrem Leben anfangen. In einer Kleinstadt zu wohnen wurde ihr irgendwann einfach zu langweilig. Sie hat sich schon vor Jahren von mir getrennt, und statt wieder zu heiraten, habe ich kurzerhand diesen Laden hier aufgemacht. Seitdem waren diese Arbeit und meine treuen Stammgäste die einzige Familie, die ich hatte.«

»Keine Kinder?«

»Nein, dieses Glück war mir leider nie beschieden.«

»Sei froh. Glaub mir, mit Kindern ist es ein Kreuz.«

»Oh nein, das finde ich nicht«, widersprach er ihr, während er vorsichtig einen Teil der Eier auf einen Teller gab.

Diesen nahm Lexi ihm ab und lächelte, als sie sah, dass das Eigelb noch flüssig und damit perfekt für sie war.

John ging zum Herd zurück und schlug noch ein paar Eier für sich selbst. »Ich danke dir«, sagte sie.

»Keine Ursache, Schätzchen.«

Lexi schaute dabei zu, wie sorgfältig er vorging. Mit dem Heber, den er fest in einer seiner breiten, runzligen Hände hielt, und der fleckigen weißen Schürze, die er sich vor den Bauch gebunden hatte, sah er aus wie ein professioneller Schnellkoch, was er als Besitzer eines Imbissrestaurants ja gewissermaßen auch war.

»Hast du auch Angestellte?«

»Ja, aber die lassen sich schon seit Wochen nicht mehr hier blicken. Angeblich sind sie nach Portland gezogen.«

Trotz der schrecklichen und brutalen Umstände auf der Welt hatte Lexi hier einen sanftmütigen, netten und großzügigen Mann vor sich. Jemanden wie ihn kennenzulernen war wirklich eine angenehme Überraschung.

Auf ihren Irrwegen, nachdem das Stromnetz im Zuge des Elektromagnetpulses zusammengebrochen war, hatte sie extreme Beispiele für gute und schlechte Menschen gesehen. Es schien so, als seien alle charakterlich zutiefst verkommenen oder schlechten Menschen plötzlich ans Tageslicht gekrochen, sobald sich die Gesetzesordnung mitsamt ihren abschreckenden Konsequenzen aufgelöst hatte. Sie waren zwar schon immer da gewesen, doch erst jetzt, wo sie nicht mehr befürchten mussten, festgenommen zu werden, auf die Straße gegangen. Die entgegengesetzte Seite – viele gute Menschen, risiko- und opferbereit – hatten das Gleiche getan. Lexi wusste zwar, dass es beides gab, rechnete aber immerzu mit dem Schlechten.

Sie schaute wieder auf ihren Teller. Auf solch eine Weise an sie zu denken und so umsichtig zu sein, nicht nur Eier für sie zuzubereiten, sondern dies auch noch auf genau die Art zu tun, wie sie es am liebsten hatte, sagte eine Menge über John aus. Sie mochte ihn wirklich.

»Iss besser mal, bevor sie kalt werden. Besteck liegt gleich links neben der Registrierkasse.«

Lexi verließ die Küche, nahm sich eine Gabel und setzte sich. Kurz bevor sie das Eigelb durchstach, betrachtete sie es erneut. Sie konnte sich nicht entsinnen, dass ihre Mutter so etwas auch nur einmal für sie getan hatte, doch dafür kamen ihre erneut frühe Erinnerungen an ihren Vater in den Sinn. Dieser hatte das Haus als betriebsamer Mann für gewöhnlich bereits verlassen, wenn sie an den Werktagen aufgestanden war, doch ihre Wochenenden waren immer etwas ganz Besonderes gewesen, denn er hatte so gut wie jeden Samstag etwas Tolles für sie gekocht. Pfannkuchen, French Toast oder eben Spiegeleier hatten oft auf der Speisekarte gestanden. Nachdem ihr Vater ausgezogen war, hatte sie zwar nicht darauf verzichten müssen, es aber viel seltener erlebt, weil Carey und sie nur alle zwei Wochen zu ihm gefahren waren. Lexi hatte ihre Mutter dafür gehasst, dass sie ihren Vater vertrieben und ihm den uneingeschränkten Umgang mit ihnen verboten hatte. Das hatte nämlich nicht mit etwaiger Sorge zu tun gehabt, sondern war eher aus Trotz heraus geschehen und um ihm mehr Geld abluchsen zu können. Ihr Vater hatte sich allerdings zu helfen gewusst und einen großartigen Anwalt an Land gezogen. Letzten Endes war das volle Sorgerecht an ihn übergegangen, doch dann hatte sich das Leben von seiner hässlichen Seite gezeigt und ihn unwiederbringlich von ihr weggerissen. Als sich der Gedanke an den Tod ihres Vaters immer mehr aufdrängte, schob Lexi ihn sofort zur Seite, während sie ihre Gabel durch die Eigelbe zog.

John kam nun aus der Küche und fragte: »Schmeckt's dir?«

»Ja, klasse, vielen Dank«, antwortete sie und griff zur Flasche, um sich noch einen Wodka einzuschenken.

»Du verträgst ja echt so einiges. Wie alt bist du?«

»Gerade neunundzwanzig geworden, aber ich fühle mich, als hätte ich schon drei Leben hinter mir.«

»Erzähl mir doch davon«, verlangte John. Nachdem er die Schürze auf die Theke geworfen hatte, trat er vor und nahm auf dem Hocker neben Lexi Platz.

Obwohl sie ihn mochte, bestand ihre Reaktion darin, ein kleines Stück am Tresen wegzurutschen, als er sich mit weniger als zwei Fuß Abstand neben sie setzte.

John bemerkte dies und sagte sofort: »Sorry.«

Sie überspielte seine Entschuldigung, indem sie fragte: »Das war also immer dein einziger großer Traum, dieses Restaurant?«

»So solltest du das aber nicht ausdrücken! Das hört sich doch ganz schön negativ an.«

»Tut mir leid, das kam wohl anders rüber, als ich es gemeint hatte.«

»Sag mal, hast du auf deinem Weg hierher noch jemanden kennengelernt, der so toll ist wie ich?«, erwiderte er halb ernst.

»So toll wie du, John? Niemanden! Du bist ganz und gar einzigartig.«

»Das will ich doch meinen«, entgegnete er zwinkernd.

»Du bist ein guter Kerl und ich habe zwar auch andere gute Menschen getroffen, aber die kamen und gingen immer.«

»Sind sie gestorben oder lediglich verschwunden?«

»Sowohl als auch, aber ja, einige sind auch gestorben. Ich schätze mal, auf mir lastet ein Fluch oder so etwas. Andererseits hatte ich auch viel Glück. Der eine oder andere half Carey und mir, aber da draußen geht's momentan echt drunter und drüber. Weißt du, ich kann nicht fassen, dass es hier so ruhig geblieben ist.«

»Hier gab es schon Ärger, aber das war wahrscheinlich nichts im Vergleich zu dem, was du da draußen erlebt hast.«

Lexi nickte nur und aß weiter.

»Darf ich dich noch etwas fragen?«

»Oh je, jetzt kommt's.«

»Wo ist deine Schwester? Du hast ja die ganze Zeit in höchsten Tönen von ihr geschwärmt und erwähnt, dass sie vor der Katastrophe bei dir gewesen ist.«

Lexi wandte sich John zu und schaute ihn kalt an. »Irgend so ein Wichser hat sie umgebracht – sie kaltblütig erschossen.«

John würgte einen Bissen hinunter und kam sich plötzlich dämlich vor, weil er nachgefragt hatte. »Ich, äh …«

»Du wolltest es wissen, und das ist eben passiert. Du fragst dich bestimmt, warum ich hier bin, an deinem Tresen sitze, deine Eier esse und deinen Wodka trinke, oder? Ich mache nur eine kurze Pause hier, bevor ich weiterziehe und dieses Stück Scheiße töte.«

»Treibt er sich denn irgendwo hier in der Nähe herum?«

»Er ist irgendwo in Oregon, soviel ich weiß.«

»Wie heißt er denn?«

»Ich bezweifle, dass du ihn kennst, aber sein Name lautet Rahab. Er ist der Anführer einer Sekte, der Carey und ich in der kalifornischen Wüste über den Weg gelaufen sind.«

John grübelte einen Moment lang nach, für den Fall, dass ihm dieser Name doch etwas sagte, doch das tat er nicht.

»Was geschah dann?«, fragte er, obwohl er genau wusste, dass er sie dadurch nur noch mehr aufwühlte. Er war aber neugierig, was genau dieser jungen Frau widerfahren war.

»Meine Schwester war immer – ich sag's nur ungern, aber es stimmt leider – das Dummerchen der Familie. Sie sah das Leben stets durch eine rosarote Brille und lief vollkommen sorglos durch die Gegend. Dass wir zwei wirklich die gleichen Gene hatten, ist echt schwer zu glauben. Sie tat sich ständig selbst weh. Du kennst solche Leute doch bestimmt. Diejenigen, die immerzu Pech haben, auch wenn es nichts Dramatisches ist. Doch wenn jemand ein Getränk verschüttete oder etwas durcheinander machte, dann war sie es. So war sie eben.«

John stellte sich wieder darauf ein, Lexi stumm zuzuhören, während er langsam seine Eier verzehrte.