The First Light - Ally G. Dickson - E-Book

The First Light E-Book

Ally G. Dickson

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Beschreibung

"Du kannst mich stattdessen töten", raunte ich und musterte mein Spiegelbild in Blakes dunklen Augen. "Tu es. Na los. Worauf wartest du?", wollte ich wissen und lehnte mich etwas vor. Beinahe spöttisch. Der Dolch bohrte sich unweigerlich tiefer in die verletzliche Haut an meinem Hals. Sofort floss mehr Blut über die Klinge und sickerte in Blakes Hand. Mythische Wesen sind real. Und sie leben in uns. Sieben Königreiche voller magischer Wesen und deren Hüter, verborgen vor Menschenaugen. Fairyville, wo die Magie am stärksten und wo die Gefahr eines absolut tödlichen Hunterangriffs am größten ist. Die neunzehn-jährige Megan ist auf dem College of Magic and Mystery in Fairyville die Einzige, die noch nicht weiß welches Schutztier ihr innewohnt. Neben ihrem Ruf als unbrauchbarer Normalo fällt sie durch nichts besonders auf. Zumindest bis sie einen mysteriösen, düsteren, unheimlich athletischen und gut aussehenden Elite-Wächter der königlichen Garde davor bewahrt, von feindseligen, gefährlichen Kreaturen getötet zu werden. Die Hunter, die in den Königreichen Angst und Schrecken verbreiten und bisher von niemandem bezwungen werden konnten. Wenn Megan nur wüsste, wie sie das angestellt hatte.

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Ally G. Dickson findet es seltsam über sich selbst in der dritten Person zu schreiben. Sie ist seit ihrem 10. Lebensjahr begeisterte Schriftstellerin. Während ihres Studiums in Englischer Literatur und Geschichte schrieb und veröffentlichte sie den ersten Teil zu ihrer Hüter Trilogie.

Inhaltsverzeichnis

Warnhinweise

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Danksagung

The Darkest Night

Für alle, die mit ihren persönlichen Huntern zu kämpfen haben.

Warnhinweise

The First Light ist ein Fantasy-Buch, welches in einer fiktiven, magischen Welt spielt, in der tödliche Schattenmonster namens Hunter ihr Unwesen treiben. In diesem Buch kommen Kriegselemente vor. Themen wie Gewalt, Kämpfe, Blut und Tod werden bildhaft und detailliert geschildert. Auch derbe Sprache, Alkoholkonsum, sexuelle Handlungen, sowie sexuelle Übergriffe und Traumata werden behandelt.

Leserinnen und Leser, die solchen Dingen gegenüber empfindlich sind, mögen dies bitte zur Kenntnis nehmen und sich wappnen, um die gefährliche Welt von Megan und der Hunter zu betreten.

Prolog

Ein lauter, gequälter, das Mark durchdringender Schrei erregte als erstes meine Aufmerksamkeit. Eigentlich hatte ich doch nur neue Bleistiftminen besorgen wollen. Es war ein relativ kurzer Weg von der Bushaltestelle an der Ost-Mauer bis hin zum Bronzenen Kessel. Der einzige Schreibwarenladen, der tatsächlich in meiner Preisklasse lag und um diese unchristliche Zeit noch offen hatte. Es war gerade mal ein zwei Minuten Fußweg. Nur ein kurzer Abstecher zur Stadtmauer bevor der kleine Laden schließen würde und bevor ich wieder zurück zur Waldübung musste.

Und jetzt das.

Meine Nackenhärchen stellten sich auf, als ein tiefes, bedrohliches Knurren durch die dunklen Gassen donnerte. Ein Teil von mir wollte rennen. Zurück zum Bus. Irgendwohin wo es sicher war. Zweifellos der vernünftige Teil von mir. Aber dieser Schrei kurz zuvor war definitiv menschlich gewesen. Eigentlich noch ein Grund mehr, schnell das Weite zu suchen, aber meine Neugier und mein Pflichtgefühl schalteten sich schneller ein als mein Fluchtreflex.

Ich verfluchte mich bereits selbst, als ich sowohl meinen Rucksack als auch meine Einkaufstüte mit den Bleistiftminen auf die geteerte Straße fallen ließ und direkt zum Ursprung dieser unheimlichen Geräusche rannte. Als hätte ich einen Schalter umgelegt, wurde ich einen Moment langsamer und schärfte die Sinne. Zuerst würde ich mich orientieren müssen. Ich lauschte in die lauwarme Spätsommer-Nacht und versuchte die Schreie trotz des Halls genauer zu lokalisieren. Die Reihenhäuser zu beiden Seiten machten das nicht unbedingt einfacher.

Wieder ein Schrei. Diesmal ganz nah. Ich erschauderte, obwohl mir nicht kalt war. Aber vor mir war nichts.

Die Parallelstraße. Direkt beim Ost-Turm. Dort wo auch das Tor war, welches aus der Stadt führte.

Mich trennte jedoch eine lange Häuserreihe ohne Gässchen von der Gefahr. Ohne Möglichkeit zwischen ihnen hindurch zu huschen.

Gut so - würde ich normalerweise sagen, aber es erfüllten nun immer öfter Schreie die langsam immer kälter werdende Luft. Ich musste mir schnellstens überlegen wie ich da rüberkommen sollte. Die Mauer war noch etwa dreißig Meter von mir entfernt. Vermutlich hätte ich dort einen Überweg in die Parallelstraße gefunden. Aber das dauerte zu lange. Jetzt wo ich der Gefahr so nah war, hörte ich auch mehr Kampfgeräusche. Klirrende Klingen und Pfeile, die in schnellen Abfolgen von Bogensehnen schnalzten.

Ich konzentrierte mich kurz und spürte wie meine Beine anfingen zu kribbeln. Es war ein angenehmes Gefühl, als würde all meine Macht für kurze Zeit einfach zu meinen Beinen fließen. Eine Sekunde lang musterte ich noch das in Fliederfarben gestrichene Haus vor mir. Es war zweifellos an die viktorianische Architektur angelehnt. Die kunstvollen Säulen am Eingang, der kleine, erkerartige Turm im rechten Teil des Hauses und die kleingliedrigen Details, die auf die Fassade gemalt waren, waren beeindruckend. Außerdem war das Haus nicht so hoch wie seine beiden Nachbarn.

Kurz atmete ich noch durch, dann sprang ich hinüber. In einem gewaltigen Satz flog ich über das Dach und den kleinen Turm hinweg und landete sanft auf meinen Füßen auf der anderen Seite. Die Hauptstraße zum Ost-Turm. Hier war kein Teer mehr, sondern wieder altmodisches Kopfsteinpflaster.

Ich sah von meiner preisverdächtigen Landung auf und das Erste was ich sah, war Blut.

Jede Menge davon.

Und Leichen. Ebenfalls eine Menge davon. Leblose, erschlaffte Körper, die seltsam verdreht da lagen, pflasterten meinen Weg zur eigentlichen Schlacht. Einige hatten ihre starren Augen noch geöffnet und schienen mich flehend und schmerzerfüllt anzusehen. Es waren Wächter. Vermutlich von der Mauergarde. Sie waren abgeschlachtet worden. Geradezu zerfleischt. Jeder Einzelne von ihnen.

Brutal.

Bei manchen standen sogar vereinzelte, zersplitterte Knochen aus dem Körper hervor. Ihr eigenes Blut tränkte ihre blauen Kimonos und lief über ihre Fingerspitzen und ihre Gesichter, wie schaurige Masken, die ihre Gesichter bis zur Unkenntlichkeit verschleierten. Der Rest sickerte in den Boden.

Ein echtes Massaker.

Den Schuldigen zu finden war nicht schwer, das hätte jedes Kleinkind geschafft. Denn er war noch voll dabei. Die gigantische Kreatur grub seine messerscharfen Zähne in alles was in seiner Reichweite war. Sein massiger, dunkler, nebelartiger Körper zerquetschte gerade Soldaten, die verzweifelt versuchten nach Hilfe zu rufen oder ihren Schmerzen Luft machen wollten. Sie hatten keine Chance. Sein Schlangenkörper glitt durch die Gasse wie ein geölter Blitz und wich jedem noch so klug durchdachten Angriff aus, den die Wächter starteten. Es hatte keinen Zweck.

Der Hunter hatte sie schon lange besiegt. Sie wussten es nur noch nicht.

Nun schlich sich doch ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. Ich würde dieses Vieh fertig machen.

Ich zog mein rasiermesserscharfes, in rötlichen Flammen loderndes Katana hervor und begann damit auf den Kämpfer dieses Kommandos zuzulaufen, der inzwischen als Einziger noch stand. Es war ein dunkelhaariger, finster dreiblickender Kerl, der anders als die anderen in keinen blauen, sondern einen schwarzen Kimono gehüllt war. Er versuchte sich mit eleganten aber kraftvollen Angriffen zu verteidigen, aber er war der Einzige, der übrig war. Sein Kampfstil ließ ihn wirken als würde er mehr tanzen, statt um sein Leben kämpfen. Obwohl all seine Schritte wohlüberlegt und flüssig waren, war er dabei zu verlieren. All seine Kollegen verteilten bereits alles Blut was ihr Körper fasste auf den gepflasterten Weg oder an die Hauswände im näheren Umkreis.

Außerdem rief sich unser Schlangenfreund Verstärkung. Nun kamen noch zwei Hunter auf diesen mutigen, jungen Kerl zu. Er konnte einem wirklich nur leidtun. Denn ich glaubte von einer ehemalig wunderschönen nun doch eher gespenstischen Waldnymphe aufgefressen zu werden, war sicher nicht die angenehmste Erfahrung. Genauso wenig wie von einem Fenriswolf. Der Krieger hatte die Lippen fest aufeinandergepresst und kleine Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Sein Blick war zwar entschlossen, jedoch lagen Zweifel in seinen Augen, zusammen mit einer unbändigen, alles verschlingenden Wut. Musste für ihn wohl ziemlich erniedrigend sein. Zumal er ein sehr seltenes Schutzwesen in sich trug. Einen Drachen. Eines der mächtigsten Schutztiere auf diesem Planeten. Noch dazu fast ausgestorben.

Naja vielleicht gerade mal halb so mächtig wie ich.

Gerade als der riesige Fenriswolf seine Krallen in dem am Boden liegenden Kerl versenkte, als würde er ihn zu Kebab am Spieß verarbeiten wollen, erreichte ich sie. Mit meinem gesamten Körpergewicht warf ich mich gegen das Geschöpf wie ein Rammnbock. Überrascht stolperte er zur Seite und jaulte empört auf.

„Bist du verrückt geworden?!“, brüllte das letzte Opfer der Hunter, der hinter mir am Boden lag. Er drückte auf die tiefen Wunden in seiner Brust, die ihm der Hunter verpasst hatte. Jedoch schien das nicht viel zu bringen. Denn der Boden um ihn herum nahm ziemlich schnell eine rote Färbung an. Ich schmunzelte dennoch über seine Bemerkung.

Ja. Es war verrückt gegen diese mächtigen, angeblich unbezwingbaren Wesen anzutreten. Ohne Rüstung, ohne Rückendeckung und ohne Verstärkung. Als wäre das etwas Neues.

„Lauf! Bring dich in Sicherheit!“, befahl er im herrischen Tonfall. Ich war arrogant genug, den Huntern den Rücken zuzukehren und ihn breit und vielleicht etwas verrückt anzulächeln. Er sah mich im Gegenzug an, als wäre ich total übergeschnappt.

„Warum sollte ich, Drache? Ich habe doch ohnehin nichts zu verlieren.“ Und damit warf ich mich in den Kampf. Es war unglaublich. Wie in einem Rausch hackte und schnitt ich in alles was in meine Reichweite kam. Das Feuer brach in Salven aus meinem Körper aus, verwandelte die Straße in ein Inferno und versengte die Pfoten des Fenriswolfs, während es die Hunter-Nymphe komplett verschluckte. Das grässliche Wesen mit den messerscharfen Zähnen zerfiel kreischend zu Rauch und Asche und rieselte auf die Leichen, über die ich mich bemühen musste, während des Kampfes, nicht darüber zu stolpern.

Meine Welt wurde in rote Flammen getaucht, während ich mein Katana wie einen Morgenstern um meinen Kopf kreisen ließ.

Ich vermute, dass das der Moment war in dem die zwei übrigen Hunter beschlossen keine Chance zu haben, denn sie wollten klammheimlich einen systematischen Rückzug antreten. Jedoch ließ ich das nicht zu. Ich sprang hoch und schnitt der Schlange in einem Ruck den zischenden Kopf ab. Anders als bei einer Hydra würde der zu Asche zerfallende Kopf wohl nicht mehr nachwachsen. Ich stieß einen lauten Kampfschrei über das laute Stöhnen und Schreien der sterbenden Soldaten aus und stellte mich dem Fenriswolf in den Weg, der wohl in einem letzten verzweifelten Akt wenigstens dem Drachen noch den Rest geben wollte.

Ich trat ihm in den Weg und fing seine Krallen mit meiner freien Hand auf. Dabei strauchelte ich etwas nach hinten und sank auf ein Knie, da ich die Kraft seiner gigantischen Pfote etwas unterschätzt hatte. Sie war so schwer als hätte er einen ganzen LKW unter seinem Pelz versteckt. Ich schnaubte angestrengt und sog so leider die volle Dosis seines Geruchs nach Tod und Verderben ein.

„Böser Fifi“, knurrte ich schwer atmend, ehe ich ihm mein Katana ohne weitere Umwege in den weit aufgerissenen Rachen stieß. Er jaulte noch laut auf, ehe er erstarrte, zu Staubflocken zerfiel und zu Boden rieselte. Langsam erhob ich mich aus seiner Asche. Er war tot. Doch mit ihm erstarben auch alle Schreie.

Außer einer.

Kapitel 1

Niemand überlebt einen Hunterangriff, stand in plakativen, ernsten, schwarzen Buchstaben auf dem blutroten Schild. Vermutlich würden meine Augen und Ohren anfangen zu bluten, wenn ich diesen Satz noch einmal lesen oder hören musste.

Sollten Sie sich jemals in der Situation eines Hunterangriffs vorfinden, befolgen sie diese drei Regeln:

1. Wegrennen

2. Verstecken

3. Beten, dass er Sie nie findet

Rennen war nicht meine Stärke, wie ich feststellte, als mich einer meiner besten Freunde - Henry - mit einem sehr echten und sehr tödlichen Speer-Stab-Ding über das Collegegelände jagte. Am Amphitheater angekommen, drehte ich mich blitzschnell um und hob meinen eigenen sehr schweren und sehr unhandlichen Kampfstab. Genau im richtigen Moment, um Henrys sehr heftigen Schlag abzufangen, der mich vermutlich getötet hätte.

„Willst du mich etwa umbringen?!“, beschwerte ich mich augenblicklich und wehrte mehr schlecht als recht seine nächsten unerbittlichen Angriffe ab, die er in unfassbarer Geschwindigkeit auf mich herabprasseln ließ. Und er hielt sich zurück. Das hatte er zumindest vorhin behauptet, als er meinte, dass er mir helfen wollte die Abschlussprüfungen am Ende des kommenden Semesters zu bestehen.

In dieser mehrteiligen Prüfung würden wir bis aufs Blut kämpfen, um zu beweisen, dass wir würdige Krieger waren. Das College of Magic and Mystery, kurz CMM, rühmte sich schon seit Jahrhunderten damit die stärksten und mächtigsten Kämpfer hervorzubringen. Ja, zu diesem würde ich vermutlich nicht gehören, denn kaum drehte ich mich um, um vor Henrys Speer wieder davonzulaufen, rannte ich auch prompt in eines dieser sehr motivierenden Hunter-Schilder, die überall auf dem Campus verteilt waren. Sofort ging ich zu Boden, wie ein nasser Sack Reis.

„Versuchst du es überhaupt?“ wollte Henry wissen, als ich verwirrt in den blauen Himmel blinzelte, der die letzten Reste der Sommerferien noch mit uns teilte. Schon bald würde der Herbst einbrechen, der schon anfing unerbittlich an den Blättern der Bäume zu zerren. Der blonde Krieger beugte sich über mich, während sich auf seinem pockennarbigen, aber markanten Gesicht der Anschein von Besorgnis zeigte. Offenbar hatte ich unseren Trainingskampf in den Sand gesetzt. Schon wieder. Denn Henry hatte mich definitiv erwischt.

Und da half auch nicht der Zusatz ganz unten auf dem Schild:

Sollten Sie sich, trotz den oben genannten Regeln, einem Hunter gegenübersehen, bitten Sie Ihr Schutztier um einen schnellen Tod.

Motivierend, wirklich. Henry fuhr sich lässig und völlig entspannt durch die blonden Locken, als hätte er es gar nicht eilig und deutete dann mit seinem Stab auf meine Brust. Er könnte ja wenigstens so tun, als müsste er sich ein winziges bisschen anstrengen.

„Ich bin einfach nicht fürs Laufen gemacht“, stellte ich fest, robbte unter dem Schild weg und stützte mich auf meine Ellbogen.

„Ich habe dich in die Mensa sprinten gesehen, wenn es Sinclasisches Hühnchen gibt. Du kannst rennen. Du entscheidest dich nur dazu es im Sportunterricht nicht zu tun“, argumentierte Henry, entfernte das Spitze Ding von meiner Brust, ohne mich zu durchbohren und streckte mir seine Hand hin.

Okay. Vielleicht hatte er einen Punkt. Aber das Essen aus Sinclas war einfach göttlich. Diese unfreundlichen, eiskalten Gesellen vom anderen Ende der magischen Welt, konnten verdammt gut kochen. Vermutlich, da es zwischen Schnee, Eis und Tod in ihrem Land nicht viel anderes gab, was man genießen konnte.

„Tja. Dafür lohnt sich Rennen. Bei Huntern überspringe ich im Ernstfall einfach alle drei Schritte und komme gleich zu Nummer 4: Sterben“, witzelte ich und ließ mich von Henry hochziehen.

„Ich fürchte nur, dass dir das für die Abschlussprüfung nicht helfen wird. Aber ich mag deine positive Einstellung“, scherzte er nun ebenfalls und ich rieb mir den Kopf, der nach der sehr uneleganten Kollision mit dem Schild wirklich weh tat. Aber Henry hatte Recht. Ich musste dieses letzte Semester wirklich ranklotzen, wenn ich die Abschlussprüfung überleben wollte, denn ja, natürlich, das CMM sortierte mit der Abschlussprüfung jedes schwache Glied unter den Kriegern aus. Denn hier überlebten nur die Besten der Besten.

Das bekam ich am nächsten Tag in der letzten Stunde des Tages auch deutlich zu spüren.

„Unser Thema heute:“, rief Miss Twinkle über unsere Köpfe hinweg, während sie uns bereits durch das magische, mit Fallen gespickten Labyrinth laufen ließ. Ich hielt mich so weit es ging in der Mitte des Weges, während um mich schon die ersten Schmerzensschreie ertönten. Wir hatten vorhin eine volle Minute auf das riesige Labyrinth von der Empore der Turnhalle schauen dürfen, um uns eine Strategie zurecht zu legen. „Überleben“, verkündete sie feierlich. Ich nahm mir nicht die Zeit genervt zu ihr aufzusehen.

War „Überleben“ nicht eher Grundvoraussetzung, als eine Übungsstunde?

Miss Twinkle war kein Fan von Theorie. Sie wahr wohl eher der Typ: Tod, statt Theorie. ‚Heute lernen wir, wie man sich gegenüber wütenden Waldnymphen verhält und ihren tödlichen Illusionen entkommt‘ war auch keine dreißigseitige PowerPoint-Präsentation. aUnd das obwohl sie wohl mit das theorielastigste Fach am ganzen College unterrichtete: Transformation, Kommunikation und Schutztierkunde. Oder kurz: TKS. Ein Fach, in dem sich die Krieger statt mit ihren Waffen auch mit ihrer spirituellen Seite auseinandersetzen lernen sollten. Nicht wirklich deren Stärke. Meine auch nicht, wie ich merkte, als Miss Twinkle die Arme erhob und die nächsten Fallen auslöste. Keine in meinem Segment. Zum Glück.

„Aufgabe Nummer Eins!“ Echt jetzt? Aufgaben?

Fast hätte ich ihre folgenden Worte überhört, da ich durch einen Seitengang, den ich passierte einen anderen Studenten sah, der sich gerade einen blutigen Pfeil aus dem Oberschenkel zog.

Es gab wohl auch automatische Armbrüste. Super.

„Verbinden Sie sich mit ihrem Schutztier und lassen sie sich vorhersagen, welche Gefahr um die nächste Ecke lauert, ohne nachzusehen“, wies Miss Twinkle an.

Dieses Labyrinth sollte die Unvorhersehbarkeit eines Hunterangriffs simulieren, aber ich bezweifelte so langsam, dass Miss Twinkles Unterrichtsmethoden so effektiv waren.

Es konnte pädagogisch nicht wertvoll sein, nach einer Unterrichtsstunde erstmal in den Krankenflügel zu müssen, um sich von Heilern mit Magie Pfeilwunden flicken zu lassen. Ganz zu schweigen von den Särgen, die stets bereitstanden. Sicher auch nicht sonderlich nachhaltig oder ressourcenschonend.

Vorsichtig lugte ich um eine Ecke und schaffte es so vor einer Feuersalve zurückzuweichen, die eine drachenförmige Vorrichtung in die Wegkreuzung feuerte.

„Aus dem Weg, Freak“, knurrte einer meiner Kommilitonen und ich verdrehte prompt die Augen, als er mich zur Seite und gegen die magische Hecke schubste. Wenigstens sorgte das Karma gleich für Gerechtigkeit. Der Kerl verlor wegen seiner mangelnden Geduld und Voraussicht auch gleich seine sauber gezupften Augenbrauen und seinen sicherlich teuren Markenmantel an das Feuer. Er hatte Glück, dass er noch rechtzeitig eine Schutzwand hochgezogen hatte, sonst wäre er Kebab. Für die erste Aufgabe bekam er wohl trotzdem null Punkte.

Der mechanische Drache schien wohl eine Art Bewegungsmelder zu haben. Die Frage war nur: war er oben oder unten angebracht?

Okay, wahrscheinlich bekam ich auf diese Aufgabe auch null Punkte, da ich mich nicht mit meinem Schutztier verband und mir von ihm sagen ließ, wo besagter Melder war. Mein Problem, welches mich nun schon meine gesamte akademische (und soziale) Karriere verfolgte, war wiedermal Grund dafür, dass ich fast umkam. Nichts Neues also.

Denn, im Gegensatz zu den meisten meiner Kommilitonen in diesem Labyrinth, konnte ich mein Schutztier nicht befragen. Die magischen Wesen, die uns vor unserer Geburt erwählten, um uns magische Kräfte zu verleihen und sich von uns beschützen und „hüten“ zu lassen, hatten wohl alle kollektiv dazu entschieden mich auszulassen. Oder zu ignorieren. Vielleicht auch beides.

Zumindest schien mein Schutztier es nicht für nötig zu halten sich mir zu offenbaren, mir mehr als nur ein armseliges Bisschen magische Kräfte oder irgendwelche Fähigkeiten zu verleihen, oder – wie gerade – ein oder zwei nützliche Kommentare abzugeben, die mich davor bewahrten frittiert zu werden. Aber nur um wenigstens so zu tun, als würde ich mein Schutztier befragen, schloss ich ganz kurz die Augen und rief in mich hinein. Nichts. Absolute Funkstille. Wie immer.

Fein. Dann machte ich das eben auf die altmodische Art.

Ich griff neben mich in den Busch des magischen Labyrinths und riss einen großen, buschigen Stock heraus. Sofort wuchs er wieder nach und flickte das kleine Loch, dass ich hineingerissen hatte. Natürlich tat es das. Sonst könnte jemand zum Beispiel mit einem Feueratem sich einfach durch das Labyrinth durchbrennen, ohne einen Weg zu laufen oder die Aufgaben zu erledigen.

„Bitte funktionier“, murmelte ich und schob den Stock zuerst Stück für Stück über den Boden, bis zum anderen Ende des Ganges. Nichts. Entweder das war der sichere Weg oder der Bewegungssensor war mit Wärmebild ausgestattet. Nur ein Weg das herauszufinden.

Ächzend hob ich den Ast hoch, nachdem ich ihn zu mir zurückgezogen hatte und schob ihn dann auf Kopfhöhe langsam in den Gang hinein. Ein lautes Zischen und schon war der buschige Ast ein wohlriechendes Duftstöckchen. Oben also. Perfekt. Ich warf den Ast über die Kreuzung hinweg und sank dann auf den Boden. Und legte mich so flach wie möglich auf den Boden und versuchte mich wie eine Eidechse Stück für Stück voran zu schieben.

„Uhm… Was machst du da?“, fragte eine angewiedert klingende, hohe Stimme und ich drehte leicht den Kopf, der bereits leicht in die Kreuzung reinragte.

Hinter mir war eine Nymphen-Hüterin ganz in lavendel gekleidet aufgetaucht. Sie hatte einen Bogen in der Hand. Vermutlich hatte sie ihn von einer der Fallen geklaut, da wir hier keine Waffen reinbringen durften. Viele hatten am Eingang des Labyrinths als sie sich entwaffnen mussten, fast das Heulen angefangen. Denn die Leute hier trugen ihre Waffen immer und überall. Sogar in den Hörsälen. Man musste zwischen den Stunden immer aufpassen, dass man von herausstehenden Waffen nicht versehentlich geköpft wurde. Denn die Krieger sahen es gar nicht ein, die Waffen in Schaumstoff oder so einzuwickeln und das College ließ es einfach durchgehen. Immerhin müssen sich die Studenten ja gegen die Hunter (und einander) verteidigen können.

Aber keine Waffen hier drinnen. Wir durften sie uns nur verdienen. Wobei ich mir bei dieser speziellen Licht-Nymphen-Hüterin nicht sicher sein konnte, ob sie nicht einfach schummelte. Denn Persephone Flagwell hielt sich nicht an Regeln. Sie war vermutlich die Lexikondefinition von fies, gemein und – leider – gutaussehend. Ihr langes, beneidenswertes, dunkles Haar und dem perfekten Kleidungsstil nach, war sie inzwischen auf der Beliebtheitsskala noch weiter über mir als letztes Semester. Wenn sie mich überhaupt mal beachtete, dann nur so wie jetzt: Abschätzig.

Und irgendwie schaffte sie es auch immer genau in den Momenten aufzutauchen, in denen ich mich lächerlich machte. Aber hey. Lieber lächerlich mit dem Gesicht im Dreck liegend, als tot.

„Geh voraus und finde es heraus“, knurrte ich nur und robbte weiter. Sie konnte mich mal. Sollte sie sich doch ihre lächerlichen Stilettos verbrutzeln lassen. Ich meine ernsthaft: Wer zog sich so für eine Praxisübung auf Leben und Tod an? Man muss zwar sagen, dass alle Reichen und Schönen, aus denen das CMM zu einem erschreckend großen Teil zu bestehen schien, sich genau so anzogen, aber trotzdem. Etwas Bescheidenheit würde den Leuten hier echt nicht schaden.

Aber ich sah nicht mehr zurück, während ich mich bis ans andere Ende der Kreuzung kämpfte, mich aufrappelte und dann weiterkämpfte. Selbst als ich kurz einen Blick zurückwarf sah ich Persephone nicht mehr. Wahrscheinlich hatte sie sich für einen anderen Weg entschieden.

Ich wollte nicht schon wieder als letzte ankommen und von allen angesehen werden wie die größte Schande der sieben Königreiche. Und erst recht nicht so, als würden sich ein paar übereifrige Studenten heute Abend zur Aufgabe machen das schwächste Glied am College im Schlaf abzustechen. Ob ich das ihnen zutraute? Zu einhundert Prozent.

Vermutlich hätten sie es schon längst getan, wären letztes Jahr nicht die ersten Gerüchte aufgekommen. Gerüchte, die ich nie bestätigt oder verneint hatte. Gerüchte, in denen es hieß ich hätte einen Hunterangriff überlebt.

Ganz ehrlich: Ich hätte die Gerüchte nur zu gerne bestätigt und mir endlich mal wenigstens einen Hauch von Anerkennung verdient, aber ganz ehrlich: Ich erinnerte mich nicht daran. Alles, was ich über dieses Ereignis noch wusste, wurde mir von anderen erzählt. Vor allem von Henry – mein Sparringspartner von gestern und hier einer der wenigen mit echtem Humor – und Roy, seinem besten Freund.

Die beiden waren nämlich Teil der wenigen Leute, die sich mit mir abgaben, obwohl ich kein Schutztier hatte. Und damit hatten sie angefangen, nachdem ich ihnen bei diesen besagten überlebten Hunterangriffen angeblich das Leben gerettet hatte. Wie? Das hatten wir noch nicht herausgefunden. Aber unsere Freundschaft war seit letztem Jahr stetig an der Aufgabe alles herauszufinden gewachsen.

Aber wenn ich mich nicht bald mal auf meine derzeitige Aufgabe fokussierte, würde ich bald einen Kopf kürzer gemacht werden, denn im nächsten Gang musste ich alle paar Schritte rasiermesserscharfen Äxten ausweichen, die aus allen Richtungen aus der Hecke hervorschossen. Beim Ausweichen verlor ich dennoch nicht mal eine Haarsträhne, da ich einen Stein vorschickte, welcher zerteilt wurde, aber mir dafür zeigte in welchem Abstand und in welchem Winkel die Äxte aus der Hecke kamen.

Bisher hatte ich Glück gehabt, dass die meisten Fallen sich schon vorher auslösen haben lassen, aber je weiter ich kam, desto fieser wurden die Fallen und Aufgaben.

Ein sehr engagierter Allicorianer, die ja sowieso für ihren Kampfeswillen bekannt waren, rannte die Rampe, an der einige schon mit ratlosen Blicken standen, nach oben. Offenbar war das so eine Art Sammelpunkt, an dem jeder vorbeimusste. Die hatte ich mir vorhin bei dem Überblick schon eingeprägt. Es gab insgesamt drei. Drei Punkte an denen ich potentiell anderen Hütern ausweichen musste, die versuchten mich umzubringen. Doch im Moment sahen alle nur auf den Typ, der nach wenigen Metern abrutschte und dann seine Hände, die zu Krallen wurden in das Holz schlug und sich so, mit purer Muskelkraft hochzog.

Allicora war das zweitgrößte, der sieben Königreiche. Mildes Klima, kaum Hunterangriffe, da es dort wenig wirklich viel bevölkerte Städte gab. Mehr kleine, wenig bewohnte und weit verteilte Dörfer. Was ihnen strategisch gesehen schon zu jeder Zeit in der Geschichte der sieben Königreiche einen Vorteil gegeben hatte.

Obwohl Allicora eigentlich das Königreich der Musik war, war es besonders bekannt für seine wertvollen Erze und beeindruckenden unterirdischen, vorkriegszeitlichen Tunnelsysteme. Vor dem großen Krieg vor knapp zweitausend Jahren, in denen schlussendlich die Menschen von der magischen Welt abgeschnitten worden waren, wurden diese Tunnel genutzt, um die Schutztiere und Hüter vor den Menschen zu verstecken und zu schützen.

Heute leben die Menschen, die wir auch Normos nannten, auf ihrem eigenen Kontinent und haben uns vergessen. Wir existierten nur noch in ihren Legenden und Schauermärchen. Dafür hatten beide Seiten einen hohen Preis gezahlt. Aber diese lange und blutige Geschichte der sieben Königreiche war alles andere als interessant, wie ich diese Semesterferien bei meiner Hausarbeit über eben dieses Thema feststellen hatte dürfen.

Allicora war jedenfalls bekannt dafür nach der Dunklen Zeit des Krieges die Sanftheit und Friedfertigkeit abgelegt zu haben. Und allem Anschein nach wollte dieser Typ das nochmal betonen. Als er oben angekommen war, drehte er sich um und winkte einmal lässig runter, ehe er auf der anderen Seite runtersprang. In diesem Moment erkannte ich auch gleich, dass ich diesen Allicorianer sogar kannte: Roy.

Natürlich verriet er uns nicht seinen Trick, wie er den Fallen ausweichen konnte, denen nun der nächste mutige Krieger zum Opfer fiel. Denn das wäre ja gegen Roys heiß geliebte Regeln. Aber so sehr wie Roy die Regeln liebte, liebte ich es auch selbige zu meinem Vorteil zu verbiegen. Ich musterte die Rampe aus allen Winkeln und fand, während alle anderen den harten, richtigen Weg nahmen, heraus, dass die Rampe an den Seiten offen war. Die Streben, die sie oben hielten, waren zwar von den magischen Hecken teilweise verdeckt, aber niemand hatte gesagt, wie man diese Rampe überwinden musste. Es hieß nur, wir sollten das Labyrinth überleben.

Also schlich ich mich um alle herum und quetschte mich an der Seite der Rampe unauffällig in die Hecken. Eine Hand ließ ich immer an den Streben der Rampe, während ich langsam immer weiter rückte. Ich riskierte nicht an der Seite hochzuklettern. Vermutlich würden mich die Hecken runterreißen, so wie sie auch jetzt an meiner Kleidung zerrten. Aber sie verschluckten mich nicht.

Als ich auf der anderen Seite herauskam, sahen mich einige, die wohl auf ihre Freunde warteten, verdattert an.

„Das ist schummeln!“, meckerte eine von ihnen, aber ich zuckte nur mit den Schultern und begann wieder ins Labyrinth zu joggen.

„Aufgabe Nummer 2!“, verkündete Miss Twinkle nach einer Weile. Ich vermutete, dass diese Ankündigung bedeutete, dass alle den zweiten Teil des Todeslabyrinths erreicht hatten. „Keine Magie erlaubt. Überlebt ohne eurer Schutztier!“, verkündete sie und ich verdrehte die Augen. Okay. Das würde ich definitiv hinbekommen.

Ich wich nach links aus, um dem dunklen Schattenbereich auszuweichen, den ich mir vorhin eingeprägt hatte. Wenn ich richtig lag musste ich noch zweimal links, dann die leicht rechte Abzweigung und dann zwei Mal rechts und einmal links, bis ich zum zweiten Sammelpunkt kam. Es war nicht der schnellste Weg durch das Labyrinth, aber, wenn ich richtig lag, der sicherste. Wobei das hier am College nicht viel bedeutete.

„Na, Blueberry?“, sprach mich plötzlich eine bekannte Stimme an. Mir erhobenen Fäusten drehte ich mich um, nur um meine Faust kurz vor Henrys sommersprossigen Nase abzubremsen. Am Schluss wäre seine Nase noch so uneben wie die von Roy, wobei ich an der definitiv keine Schuld trug. „Ich wollte nur fragen, wie es so läuft. Aber ich sehe du bist voll im Spiel“, meinte er und schob lässig die Hände in die Hosentaschen und ging einfach um die nächste Ecke, ohne erst nachzusehen was da war. Dem Pfeil, der aus der Hecke geschossen kam, wich er in einer einzigen, eleganten Bewegung aus. Da war ja auch schon die nächste automatische Armbrust.

„Schleich dich in Zukunft nicht so an“, murrte ich und trat genau in seine Fußabdrücke, die er im Sand hinterließ.

„Wo wäre denn da der Spaß?“, feixte Henry und hopste beinahe schon um die restlichen Druckplatten herum, als würde er sehen wo sie verteilt waren.

„Wie siehst du die Druckplatten?“, wollte ich wissen und sah die Stellen lange an, die wir umschifften.

„Der Sand ist dunkler. Hier.“ Er deutete auf einen dunkleres Häufchen Sand, direkt neben seinem Fuß. Huh. Er hatte recht. Man sah es nur, wenn man ganz genau hinsah. Vermutlich hatte er mir gerade einen Pfeil in die Brust erspart. Zum Glück sah er das ganze Übungskonzept nicht so eng und hatte noch nie ein Problem gehabt mir etwas unter die Arme zu greifen. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass die Leute aus Meriad grundsätzlich einen eher entspannteren Surfer-Vibe hatten. Obwohl surfen wegen der Hunterangriffe im Wasser verboten war, war Henry so gebräunt, als hätte er in den Sommerferien nichts anderes getan. Ich vermisste das Surfen.

„Ich geh hier rechts. Das geht schneller. Aber ich schätze du gehst nach links?“

„Ja. Ist sicherer“, erklärte ich und Henry nickte knapp.

„Na dann: Hals- und Bein-Bruch“, feixte er und ich zeigte ihm den Mittelfinger, ehe ich mich wieder vorsichtig weitertastete.

Den zweiten Sammelpunkt zu durchqueren war vergleichsweise einfach, da er nur das fortsetzte, was ich sowieso schon die ganze Zeit tat. Er tauchte nämlich den Übergang in Dunkelheit und man musste sich praktisch blind vortasten. Ganz ohne Kräfte. Aber das war ja nichts neues.

Das Positive an der Übung war: Man hörte zwar noch, wie jemand durch eine verzauberte Rüstung mit Schwert einen Arm verlor, aber man sah es nicht mehr. Für meine Nerven war das aber weniger beruhigend.

„Aufgabe Nummer drei!“, ertönte wieder Miss Twinkles Stimme. Diesmal wesentlich später als zuvor. Ich war schon fast am dritten Sammelpunkt. Offenbar hatten meine ach so tollen Kommilitonen ein wenig Schwierigkeiten sich ohne ihr Schutztier zurecht zu finden. Pah! „Nutzen sie eine Art von Konvergenz, um die dritte Hürde zu überwinden.“

Na ganz toll. Für Konvergenz Zauber brauchte man entweder viel Macht oder einen Partner und im Moment mangelte es mir leider an beidem. Und wie ich Henry und Roy kannte, waren sie wahrscheinlich schon fertig. Sie hatten immerhin einen Titel zu verteidigen.

Henry und Roy waren die Captains des Kampf-Teams der Schule (welches den dämlichen Namen „Nero“ trug, den ich mich bis zum heutigen Tag weigerte zu benutzen) und somit nicht nur unfassbar stark, sondern auch talentiert. Das kombiniert mit ihrem guten Aussehen, brachte ihnen auf jeder Skala des Colleges einen verdammt hohen Platz ein. Auf der Beliebtheitsskala zum Beispiel den ersten. So weit über mir also, dass ich vermutlich nicht mal mehr auf der Skala auftauchte.

Trotzdem wurde ich von ihnen auf jede Party und jedes Besäufnis mitgeschleift. Und wir waren auf dem College. Es gab fast jeden Tag irgendwo irgendein Wohnheim, das feierte. Aber Henry und Roy waren immer die Stars auf jeder Party. Waren sie da, wurden die Partys erst als Erfolg gewertet. Kein Wunder. Sie waren nicht nur Stimmungskanonen und kamen auf die besten Ideen, sie waren auch beim Kämpfen die ungeschlagenen Meister des ganzen Colleges. Mussten sie als Captains des Kampf-Teams wohl auch sein.

Das Wächter-spezifische-Training war heißbegehrt. Jeder wollte unbedingt in Henrys und Roys Training, um eine höhere Chance zu haben in die Garde der Königin von Fayr aufgenommen zu werden, um Hunter zu töten. Denn die nahm, trotz der schwindenden Rekrutenzahl nur die Elite der Elite (diese Einstellung hätte ich an ihrer Stelle langsam angefangen zu überdenken). Und Henry und Roy waren für dieses Sondertraining sozusagen die Jury. Natürlich waren sie da beliebt und kampferprobt.

Das zeigten zumindest ihre zahlreichen, glatten, gut verheilten Narben, die sie wie Trophäen an ihren Händen und Unterarmen trugen. Bei den Leuten aus dem Kampf-Team sahen alle Hände und Arme ähnlich aus. Angeblich waren sie ein Statussymbol für Macht. Als würden Henry und Roy das brauchen. Sie hatten auch ohne Narben-Trophäen gute Chancen als Leibgarde der Königin ausgewählt zu werden.

Ich hingegen konnte mich laut den Kriterien der Garde glücklich schätzen, wenn ich nicht in der Gosse landete.

Oder in der Schlangengrube, wie es aussah.

Dafür, dass ich die zwei ersten Sammelpunkte gut hinbekommen hatte, wurde mir beim Anblick vom dritten ehrlich übel. Es war eine verdammte Schlangengrube und das einzige Seil, dass darüber führte, sah nicht gerade stabil aus. Keine Chance, dass ich da rüberkam, ohne dass jemand auf beiden Seiten das Seil festhielt und Roy und Henry waren tatsächlich beide schon auf der anderen Seite, jenseits der Ziellinie, was hieß, dass sie auch nicht zurückkonnten, um mir zu helfen.

Etwas ratlos sah ich mich um, aber es hatten sich bereits Grüppchen gebildet, die mit Konvergenzzaubern die Grube überschritten, ohne das Seil auch nur zu beachten. Ich überlegte und überlegte, während immer mehr die Ziellinie überschritten. Und irgendwann… war keiner mehr da. Scheiße.

Ich dachte nie, dass mein Mangel an Freunden mal tatsächlich mein Todesurteil sein würde. Mir blieb keine Wahl: Ich musste das Seil nehmen, das absolut keiner festhielt. Ich würde definitiv fallen. Aber wenn ich erstmal fiel, war es sowieso vorbei. Aber lieber in der Krankenstation landen, als durchzufallen. Wenn ich durch diesen Test durchfiel, gab es keine Chance für mich diese Note wieder auszugleichen.

Die Schlangen schienen nicht mal magisch zu sein, was hieß, dass ich sie auch nicht weg zaubern konnte. Wahrscheinlich waren die Schlangen von Erstsemestern gesammelt worden. An diese Aufgabe erinnerte ich mich noch relativ gut. Wer schickte Kinder bitte in einen riesigen, dunklen Wald mit der Aufgabe „Fang eine Schlange, ohne gebissen oder getötet zu werden – ach ja, und verärgere die Waldbewohner nicht, die wollen dich nämlich auch töten“. Es war ein Wunder, dass ich überlebt hatte. Ich wusste bis heute nicht wie man so viel Glück haben konnte. Eine Schlange hatte sich einfach in meine Kapuze geschlichen und da ein Nickerchen gehalten. Es wurde als bestanden gewertet, obwohl ich sie rein technisch gesehen nicht gefangen hatte.

Aber hey! Vielleicht waren diese Schlangen ja auch… nett?

Ich testete das Seil und befestigte es wenigstens an dieser Seite richtig. Es würde definitiv reißen. Ich bereitete mich mental schonmal darauf vor den restlichen Nachmittag in der Krankenstation zu verbringen, als ich mich auf die Knie sinken ließ und dann wie ein Faultier hängend am Seil entlangrobbte. Immer weiter. Stück für Stück. Meter für Meter. Ein Knacken und Knarren. Ich ignorierte es. Ich musste weiter. Nur weiter.

Gerade, als ich die halber-Weg-Markierung erreichte, hörte ich ein Lachen. Nun sah ich doch auf. Ein Typ, den ich nicht genau erkennen konnte, kniete sich vor die Befestigung des Seils.

„Schönes Sterben, Normo“, säuselte er und löste das Seil. Im Fall versuchte ich nicht zu schreien. Vergeblich. Aber ganz ehrlich: Wer konnte es mir verdenken? Ich war gerade dabei in eine verdammte Schlangengrube zu fallen. Hallo?

„Bitte nicht beißen. Bitte nicht beißen. Bitte nicht beißen“, betete ich, kaum war ich hart auf dem Boden angekommen. Mein Steißbein tat höllisch weh, aber ich wagte es nicht mich zu bewegen. Die Augen fest zusammengekniffen wartete ich auf den Schmerz, während ich immer weiter diese Worte vor mich hinmurmelte. Doch… er kam nicht. Kein Schmerz. Gar nichts.

Langsam und vorsichtig öffnete ich erst das eine und dann das andere Auge. Überall um mich herum waren Schlangen. Überall. Aber… sie hielten Abstand. Nur etwa dreißig Zentimeter, aber dennoch… Abstand. Was zur Hölle? Sie hatte alle die Mäuler zu, als würden sie auf mich hören.

Vielleicht hatte Miss Twinkle ja das damit gemeint: Konvergenz. Vielleicht meinte sie gar keinen Konvergenzzauber. Vielleicht meinte sie einfach das Annähern und Übereinkommen schaffen mit den Schlangen. Womöglich waren die Schlangen verzaubert auf unsere Stimmen zu hören. Einen Versuch war es wert.

„Ich…“ Kurz räusperte ich mich, um das Zittern aus meiner Stimme zu bekommen. „Ich muss nach da drüben und ich will nicht aus Versehen auf euch drauftreten. Lasst ihr mich vielleicht durch?“, fragte ich so höflich ich nur konnte durch und die Schlangen… taten rein gar nichts. Sie zischelten nur weiter und hielten Abstand. Was soll das jetzt bedeuten?

Was sollte ich tun? Einfach laufen und beten?

Naja… Viel mehr blieb mir nicht über, oder?

„Bitte nicht beißen“, murmelte ich immer wieder, während ich mich vorsichtig aufrichtete und dann tief durchatmend den ersten Schritt tat. Kurz bevor ich auf eine braun gemusterte Schlange treten konnte, kroch die zur Seite. Ich atmete tief durch und hob den anderen Fuß, während ich die Worte wie ein Mantra vor mich hinmurmelte. Und tatsächlich klappte es.

Es war absolut verrückt. Sie mussten wirklich verzaubert sein.

Und tatsächlich schaffte ich es, ohne zu Tode gebissen zu werden, an das andere Ende der Grube und dort waren dankenswerter Weise Löcher in der Wand, an denen ich hochkletterte. Als ich mir den Staub von den Klamotten klopfte und über die Ziellinie lief, starrten mich die anderen Kursmittglieder alle an wie einen Ameisen-Hüter. Was witzig war, weil Insekten keine Schutztiere werden konnten. Aber vermutlich standen, laut ihnen, meine Chancen dieses Labyrinth zu überleben ungefähr auf derselben Wahrscheinlichkeit.

„Jetzt wo es alle auf den einen oder anderen Weg“ Entweder lebend oder tot meinte sie wohl. „aus dem Labyrinth geschafft haben, gebe ich die Partner für die Gruppenübung bekannt, die Sie bis nächste Woche zu dritt erledigen müssen.“ Sie holte ein Klemmbrett hervor.

Inzwischen sah Miss Twinkle wesentlich entspannter aus, als noch heute Morgen bei der Anfang-des-Semesters-Ansprache im Amphitheater. Die schlanke, etwa vierzig Jahre alte Power-Frau, war nämlich nicht nur Lehrerin, sondern auch Cheffin von diesem Schuppen, was sie bei solchen Ansprachen wie heute gerne nochmal betonte. Da hatte sie zwar denselben stylischen, knielangen, dunkelgrünen Plissee Rock an, aber die Ärmel ihres weißen Rollkragenpullovers, den sie dazu kombiniert hatte, noch nicht bis zu den Ellbogen hochgeschoben. So betonte sie jetzt ihre langen, dunkel glänzenden Unterarme, an denen einige goldene Armbänder klimperten, die perfekt zu der filigranen Goldkette um ihren Hals passten. Neben den Models, um mich herum, die nebenberuflich noch meine Kommilitonen waren, sah auch Miss Twinkle aus, als würde sie gleich auf dem Laufsteg gehen.

So viel zum Thema Bescheidenheit und Zurückhaltung, die sie immer bei ihren Amphitheater Ansprachen predigte.

Ihre Stimme klang sanft und geheimnisvoll, als sie nun ihre Liste hochhob. „Wie immer werden die drei Besten und drei Schlechtesten jeweils eine Gruppe bilden. Für den Rest gilt: Keine Artgenossen zusammen und ansonsten freie Auswahl.“ Anstatt sich sofort Partner zu suchen, sahen alle gespannt zu ihr, bis sie die Gewinner und Verlierer bekannt gab.

„Den ersten Platz belegt: Roy Adams. Herzlichen Glückwunsch zur vollen Punktzahl.“

Niemand klatschte. So waren die Leute am CMM nicht. Sie überlegten eher wie sie Roy vom Thron stürzen konnten, anstatt ihn zu beglückwünschen. Sie beneideten ihn mehr, als sie ihn vergötterten. So lief das eben. Deswegen war ich manchmal meinem Status als Loser ehrlich dankbar. Immerhin ignorierte mich so jeder.

„Der zweite Platz geht an Henry Jackson. Ebenfalls volle Punktzahl, meine Glückwünsche.“ Sie hielt nun einen Moment inne, um Spannung aufzubauen. Die Frau schien für diese Pausen wirklich eine Schwäche zu haben.

„Und auf dem dritten Platz ist…“ Sie musterte uns alle, während ich mir schon überlegte, was ich tun sollte, jetzt wo ich nicht mit Henry und Roy in ein Team kam. Wenn es ein Team mit den letzten drei Losern gab, mussten die anderen beiden bestimmt begeistert sein mit mir in eine Gruppe zu kommen. Wahrscheinlich würden sie mich umbringen, bevor ich die erste Aufgabe erfüllt hatte. „Megan“, schloss Miss Twinkle und ich sah verdattert auf. Was? Es gab nur eine „Megan“ – ohne Nachnamen, weil Waisenhaus Schicksal. Und das war ich.

Hatte sie sich verlesen?

„Ebenfalls, volle Punktzahl. Glückwunsch.“

Nun drehten sich ausnahmslos alle zu mir um.

„Sie? Der Normo hat volle Punktzahl? Sie ist in die Schlangengrube gefallen!“, rief der Kerl aus, der wahrscheinlich der war, der die Leine gekappt hatte. Idiot. Aber hey, er hatte einen validen Punkt, den ich mit Sicherheit auch gebracht hätte, wäre ich nicht noch so verdattert.

„Und ich hab gesehen, wie sie bei der ersten Hürde geschummelt hat!“, rief jemand anderes und viele zustimmende Rufe waren zu hören.

„Genau! Sie hat sie überlistet, Miss Twinkle. Sie hat unfair gespielt!“, machte ein anderer klar und Miss Twinkle lächelte nachsichtig und winkte mich nach vorne zu Henry und Roy, die mich aber bereits breit angrinsten.

„Das Einzige, was Megan erfolgreich überlistet hat, ist der Tod. Keiner von den dreien hat auch nur einen Kratzer vom Labyrinth davongetragen. Seht ihr?“ Sie deutete an mir herab. „Sie haben mit Kraft und Intelligenz gleichermaßen gewonnen. Und zu dem Fairness Vorwurf: Denkt ihr wirklich die Hunter interessiert es, wie ihr ihnen entkommt? Es ging heute ums Überleben. Und das haben alle drei“, stellte Miss Twinkle fest und löste dann laminierte Blätter von ihrem Klemmbrett. Sie verkündete noch die Namen der letzten drei und dann verteilte sie die Aufgaben für die „Wald-Mission“, ebenfalls mit dem Überthema: Überleben.

Huh… Wie es aussah, war ich darin wirklich Profi geworden.

Kapitel 2

Ich hasste den Wald.

Auf meinem Weg zum Dunkelwald in den Süden von Fairyville überlegte ich mindestens sieben Mal einfach früher auszusteigen und wieder ins Wohnheim zurückzufahren. Aber es half ja alles nichts. Außerdem hatte ich schon so viele Jahre durchgehalten. Was machte da schon ein halbes Jahr? Ein halbes Jahr bevor ich mit meinem Abschluss irgendeinen vermutlich schlecht bezahlten Job annehmen würde, um irgendwie einen Pass zu bekommen, um aus dieser Stadt abhauen zu können.

Fairyville, die Hauptstadt des obersten Königreichs Fayr war wunderschön. Keine Frage. Das Magiezentrum der Welt war auf einer Halbinsel gebaut, die bestimmt irgendwann mal ein Vulkan war. Sie war an dessen Hang erbaut und auf der Spitze thronte ein pompöser Palast. Man konnte nur hoffen, dass der inaktive Vulkan nicht irgendwann aktiv würde, denn das Ungetüm neu aufzubauen, wäre sicher kostspielig – von dem Rest der Millionenstadt mal abgesehen. Der Palast war ein prächtiges, gigantisches Gebäude, das man von überall in Fairyville aus sehen konnte. Der Hauptsitz der obersten, königlichen Familie und Zentrum aller magischen Königreiche. Nirgendwo sonst war die Magie so konzentriert wie hier.

Auch das Militär war von den sieben Königreichen hier definitiv das Größte und Stärkste. Und dessen Soldaten schien offenbar langweilig zu sein, denn sie hatten anscheinend nichts Besseres zu tun, als den Bus, der an der Ostmauer entlangfuhr aufzuhalten und auf „Hunter-Aktivität“ zu checken. Na ganz toll. Henry und Roy würden wegen der Verspätung sicher denken ich würde sie hängen lassen. Genervt sah ich aus dem Fenster und versuchte die Soldaten mit angepissten Blicken dazu zu bringen schneller zu arbeiten.

Aber nicht nur wegen ihnen galt die Hauptstadt des Königreichs als eine uneinnehmbare Festung. Im Norden grenzte sie zwar an das Festland und hatte eine Brücke im Osten, aber man kam trotzdem nicht über die hundert Meter hohe, magische Mauer, die immer wieder von mächtigen Türmen gestützt wurde. Der Süden wurde vom Dunkelwald bewuchert, hinter dem nur halsbrecherische Klippen warteten. Im Westen verlor sich die Mauer zwar im Meer, doch dort wartete die gigantische Flotte der Königin. Aber auch der berühmte Hafen von Fairyville. Die bunten Gebäude, die die bunten Handelsschiffe empfingen, waren eines der Lieblingsmotive der Postkartendruckereien.

Fairyville galt nicht zuletzt wegen seiner Vielfalt und seiner weltoffenen Einwohner als schönste Stadt der Welt. Was an sich wirklich idyllisch wäre, aber wenn man hier schon sein ganzes Leben verbracht hatte, verlor es mit der Zeit an Charme.

Inzwischen kannte ich mehr heruntergekommene Flecken in Fairyville als die glänzenden, renovierten Touristenstraßen, an denen sich der Bus nun auch langsam leerte. Allein die verlassenen Tempelruinen im Norden von Fairyville, in denen vor mehreren hundert Jahren Schutztiere angebetet worden waren, waren heute mehr ein Schandfleck als ein Zentrum des Lebens und der Hoffnung. Den magischen Charme von Fairyville, von dem die Touristen hinter mir gerade sprachen, konnte man dort auf jeden Fall nicht finden. Zumindest nicht mehr.

Auch wenn es für normale Nicht-Hüter-Menschen sicherlich unglaublich wäre, das vor aller Augen verborgene Königreich auf der anderen Seite ihrer eigenen kleinen, stinknormalen Welt zu entdecken. Laut unseren Legenden hätten Menschen nur zwei Möglichkeiten in unsere Welt zu kommen – beide natürlich gleichermaßen unmöglich und/oder tödlich.

Entweder die überquerten die unüberwindbaren Stromschnellen, die jedes menschliche Schiff zum Kentern brachten, das es wagte in unser Reich zu segeln.

Oder man nutzte „Weltenbummler Münzen“, die einen mit etwas Magie – wovon die Menschen keine hatten – auf die andere, magielose Seite unserer Welt brachten. Sozusagen auf die andere Seite der Münze.

Aber selbst wenn die Menschen jemals davon wussten, hatten wir sie es schon lange vergessen lassen. Diese Normos waren wirklich unglaublich leicht auszutricksen.

Jedoch reizte mich die Welt der Normos. All ihre riesigen Städte, die sie ohne Magie aufgebaut hatten und all die unterschiedlichen Kulturen, die sich parallel zu denen in der magischen Welt entwickelt hatten. Ich wollte das alles sehen. Auch wenn ich damit eine sehr kontroverse Sicht hatte. Die Menschen waren weniger wert als Vieh. Hätten wir sie nicht aus unserer Welt verbannt, wären sie nach damaligen Standards sicher versklavt worden. So war es umso faszinierender, was sie allein auf die Beine stellen konnten. Ohne Magie.

Fast so wie ich. Wobei ich immerhin ein bisschen Magie besaß. Und damit motivierte ich mich tagtäglich nach meinem Abschluss endlich hier rauszukommen.

Alles was ich bis dahin tun konnte war den Kopf unten zu halten und zu hoffen, dass keiner mich bemerkte.

Wie es aussah, bestand das Opfer, das ich heute für dieses Ziel erbringen musste daraus in den Wald zu gehen.

Und ich hasste den Wald.

Insekten über Insekten, die auf mir rumkrabbelten, mich bissen, stachen und Blut abzapften. Darauf konnte ich verzichten. Der „Erfahrung“, die ich hierbei sammeln würde, würde ich auch nicht hinterhertrauern. Allein schon beim Gedanken daran hier eine ganze Nacht zu verbringen, wollte ich wieder in den Bus steigen. Theoretisch hätte ich diese Übung auch geschwänzt, würden wir nicht als Gruppe bewertet werden.

Außerdem hatte ich keine Lust verirrten Bergtrollen oder gelangweilten Waldnymphen über den Weg zu laufen. Denn obwohl einzelne Nymphen sich einen Hüter gesucht hatten, hielten es die meisten wohl für Zeitverschwendung oder so.

Es war für Seelentiere oder Seelenwesen im Allgemeinen nicht üblich keinen Hüter zu haben. Es war gefährlich für sie, da sie riskierten von anderen Seelenwesen getötet und um ihrer magischen Kräfte beraubt zu werden. Aber Nymphen waren arrogant.

Wenn sich diese Wald-Wesen nicht gerade auf der spiegelglatten Oberfläche eines Sees bewunderten, liebten sie es ahnungslosen Wanderern einen Streich zu spielen. Meistens spielten sie mit den Gedanken oder Gefühlen der Leute oder gaukelten ihnen eine falsche Realität vor, ehe sie sie umbrachten. Nette Geschöpfe also.

„Ich sagte doch sie würde uns nicht hängen lassen“, begrüßte mich Henry, der Roy auf seinem Motorrad mitgenommen hatte. Natürlich waren sie pünktlich zugegen, während ich mich mit den abgenutzten Bussen bis zum äußersten Rand der Süd-Mauer fahren lassen musste. Jeder mied die Mauern. Und das aus einem guten Grund. Außerhalb der Mauern lauerten alle möglichen Gefahren. Welche genau das jetzt waren, wusste ich auch nicht, was aber auch nur daran lag, dass ich Fairyville noch nie verlassen hatte.

Roy sah mir und meinem doch etwas kleinen Rucksack eher skeptisch entgegen. Manchmal war er etwas perfektionistisch veranlagt, weswegen er mir selten mein „Schummeln“ durchgehen ließ. Er konnte es nicht leiden, wenn ich nur mit mittelmäßiger Motivation die Praxisaufgaben erledigte. Dafür war er inzwischen ziemlich gut darin geworden mich trotzdem mitzuziehen. Wenn jemand für meinen verbesserten Notendurchschnitt verantwortlich war, dann er.

„Ich habe nie an dir gezweifelt“, versprach Roy und schulterte seinen Rucksack, der das Zelt der beiden beinhaltete. Bestimmt hatte er einen Zauberspruch darauf angewandt, der ihn leichter machte. Oder er und Henry sahen es als Ersatz für ihr entfallenes Kampftraining heute Nachmittag, den ganzen Weg durch den Wald mit dreißig Kilo extra Gewicht zu latschen. Darum beneidete ich sie wirklich nicht.

„Außer etwa sieben Mal in den letzten zehn Minuten“, merkte Henry leise an und Roy haute ihm eine runter. Henry verzog das Gesicht, als würde er es bereits bereuen, diesen Kommentar gemacht zu haben. Ich zuckte aber nur mit den Schultern.

„Ich hätte auch an mir gezweifelt“, beschwichtigte ich beide und sah mich auf den Parkplatz vor dem Dunkelwald um. Überall waren teure, glänzende Autos geparkt, die das Sonnenlicht reflektierten. Die meisten Eltern meiner Kommilitonen waren ja auch stinkreich. Ich war nur durch eine „Ausnahme“ aufs College gekommen und alle Kosten für meine Ausbildung, sowie mein Wohnheim wurden praktisch vom College übernommen. Eine Art Pro-Bono Programm, das nach mir wohl nie wieder Anklang finden musste.

Langsam ließ ich meinen Blick weiter zu dem Wald wandern, der sich nun vor uns ausbreitete. Große, allerlei Sorten von Bäumen, Gestrüpp und Gräser, die die Heimat für viele magische Wesen boten, die sich dort wohlfühlten. Das konnte ich irgendwie nicht nachvollziehen. Gequält verzog ich das Gesicht, bei dem Gedanken daran, jetzt erstmal ewig durch das Gestrüpp latschen zu müssen. Im Gegensatz zu Henry und Roy legte ich eher weniger Tatendrang an den Tag, ging aber trotzdem voraus.

Abgrundtief seufzend betrat ich den Hauptwanderweg, der uns vorerst tiefer in den Wald führen würde. Wir würden wohl eine Weile laufen müssen, bis wir tief genug im Wald waren, um uns hoffnungslos zu verirren… Ich meine natürlich, um die Aufgaben zu erfüllen.

Ich war wirklich nicht gut was Orientierung an fremden Orten anbelangte. Naja, ich verlief mich sogar manchmal noch auf dem College Campus und da war ich schon viereinhalb Jahre. Ich hatte schon mein halbes Leben gebraucht, um mit den Bussen und den Hauptstraßen von Fairyville klar zu kommen.

„Wir sollten hier links!“, rief Roy mir wie zur Bestätigung meiner absoluten Planlosigkeit hinterher, als ich schon den schönen, einfachen und vor allem gepflasterten Weg nehmen wollte. Henry und Roy hingegen hatten wohl den hügeligen, unebenen Trampelpfad mit faustdicken Wurzeln für uns auserkoren. Und sie schienen sich ehrlich darauf zu freuen, über den unebenen Boden zu fallen.

Ich versuchte ehrlich nicht zu stolpern, aber das war einfacher gesagt als getan. Immerhin hatte ich auch nicht wirklich die besten Schuhe für eine solche Wanderung an. Das zumindest machten mir Henry und Roy jedes Mal klar, wenn ich mich gerade so abfangen konnte, bevor mein Gesicht im Dreck landete. Aber die dreckigen, alten Chucks waren die Schuhe, die für so einen Ausflug noch am ehesten zu gebrauchen waren. Denn ich hatte keine Lust meine Hallen-Sport-Schuhe zu putzen, wenn ich sie hierfür zweckentfremdete.

Da stolperte ich lieber vor mich hin bei dem Versuch Henrys und Roys großen Schritten zu folgen. Wie man vielleicht aus meinem Mangel an passender Ausrüstung schließen konnte, war ich nicht gerade die Flinkste oder… Sportlichste von uns Dreien.

„Wir müssten bald an der Mauer sein“, meinte Roy, der sich wohl die Karte eingeprägt hatte. Denn die stand – gleich unter Handys – auf der Liste der Dinge, die wir nicht mitnehmen durften. Ich beneidete die Jungs wirklich um ihre Ausdauer. Vermutlich hatten sie das ihren Schutztieren zu verdanken. Jaguar und Panther waren wohl kaum Tiere, die mitten während der Jagd ein Päuschen brauchten. Tja. Von mir konnte ich nicht dasselbe behaupten. Während die beiden ihre Rucksäcke neu schulterten und dann noch einen Zahn zulegten, musste ich feststellen, dass ich schon ziemlich schwer atmete.

„An der Mauer? Sicher, dass das so eine gute Idee ist?“, erkundigte ich mich atemlos und die beiden Jungs drehten sich zu mir um, während ich mir noch den Ast eines stacheligen Brombeerbusches aus den Haaren zog und gleichzeitig eine Mücke abwehrte. Ich hasste Insekten. Es gab sicherlich einen guten Grund warum die Viecher keine Schutztiere wurden. An ihnen war nichts, das man schützen sollte. Das war dasselbe wie mit Spinnen. Da diese aber unter die Kategorie der „Arachniden“ fielen, konnten diese wohl trotzdem Hüter werden. Ich erschauderte. Bloß keine Spinnen.

„An der Mauer ist es am sichersten. Weniger Dryaden, Trolle oder Nymphen“, erklärte Henry gut gelaunt, als wäre es total offensichtlich und wir begannen nun den Trampelpfad zu verlassen.

Sein Mundwinkel zuckte doch tatsächlich, als ich einen misstrauischen Blick zu einem Baum warf, unter dessen Rinde sich eine Dryade versteckte und uns beobachtete. Dryaden waren wunderschöne, elfenhafte, elegante Wesen, mit grüner bis brauner Haut, spitzen Ohren und Haaren aus Moos, Blättern oder Wurzeln. Sie konnten mit Bäumen kommunizieren und hatten eine unglaublich starke Verbindung zur Natur im Allgemeinen. Meistens sah man kaum eine Fingerspitze dieser Wesen, weswegen sie lange Zeit unentdeckt geblieben waren. Zumal sie auch sehr scheu waren und eher zu den stillen Beobachtern gehörten. Ganz in Gegensatz zu ihren entfernten Verwandten, den Nymphen. In der sechsten Klasse war es noch eine Mutprobe gewesen, die gesicherten Pfade zu verlassen, so wie wir es nun taten. Wer es schaffte, den Pfad zu verlassen ohne sich von einer Nymphe erwischen zu lassen, gewann. Kaum einer schaffte das. Ich hatte es nicht getan. Immerhin war ich nicht lebensmüde. Und jetzt tat ich es auch nicht alleine. Immerhin würden Roy und Henry die ganze Zeit bei mir sein. Auf ihre Schutztiere konnten sie sich ja verlassen.

Es dauerte volle drei Stunden Wanderung vom Parkplatz, bis wir einen Platz gefunden hatten, der sowohl Henry als auch Roy passte. Der eine war zu uneben, der andere war zu feucht und der danach zu weit von der Mauer entfernt. Wir gingen bestimmt an sechzehn passablen Plätzen vorbei, bis wir einen fanden, mit dem sich beide Jungs anfreunden konnten.

Es war eine Lichtung in der Nähe eines kleinen Baches, den man entfernt plätschern hören konnte. Hohe Bäume schützen uns vor Wind, aber sicher nicht vor Regen. Dafür sollte das Lager sorgen, das wir nun aufbauten. Ich hatte mein Ein-Frau-Zelt ziemlich schnell zusammengeschustert und im Boden verankert, sodass ich begann unsere erste Aufgabe vorzubereiten. Gruppenzauber zum Feuer machen. Unsere Schutztiere sollten sich aufeinander abstimmen genug Feuer zu machen, ohne uns in die Luft zu jagen. Eine relativ einfache Aufgabe. Zumindest für uns drei, denn unsere Schutztiere verstanden sich super. Zumindest taten es Henrys und Roys. Meins bemühte sich nicht mal sich mir zu offenbaren, es war wohl erst recht nicht daran interessiert mit den beiden Stress anzufangen.

Vielleicht lag es daran, dass ich sie mal gerettet hatte, aber wir mussten uns nicht absprechen um das Feuer anzuzünden. Es knisterte also bereits als die Sonne unterging. Unsere Aufgaben hatten wir fast alle erledigt. Obwohl mir Roy und Henry bei ein paar vielleicht, oder vielleicht auch nicht etwas unter die Arme griffen. Ich hatte nun mal nicht wirklich so viel magische Kraft wie sie. Aber sie hatten des Öfteren betont, dass es ihnen nichts ausmachte mir zu helfen, auch wenn ich mich fühlte, als würde ich unsere Freundschaft ausnutzen. War ja irgendwie auch so. Trotzdem schafften wir es gemeinsam unsere Pflichten größtenteils vor Sonnenuntergang zu erledigen. Aber diesmal beschwerte sich nicht mal Roy, da das hier ja sowieso ein „Gruppenprojekt“ war.

Und so legten wir uns früh hin, sodass wir morgen so schnell wie möglich die restlichen Übungen machen konnten, um endlich wieder in die Zivilisation zurückzukehren. Ein wunderbarer Plan wie ich nach etwa hundert Mückenstichen feststellte. Ich war also, bis ich endlich einschlafen konnte, damit beschäftigt diese juckenden Plagen zu kratzen. Schlaf war eine echte Erlösung, als ich auch das letzte summende Vieh erwischt hatte.

„MEGAN!“, brüllte jemand aufgeregt in aller Herrgottsfrühe und ich drehte mich genervt weg. Was auch immer es war, es konnte warten bis die Sonne ganz aufgegangen war. Immerhin war der Himmel noch in alle möglichen Rottöne gehüllt. Das erkannte ich genau, als ich ein Auge kurz einen winzigen Spalt öffnete.

„Wir müssen sie da rausholen! Sofort!“, rief jemand anderes und ich stöhnte genervt. Konnten Roy und Henry nicht etwas leiser rumschreien? Am Schluss lockten sie noch Nymphen an, vor denen sie mich auch noch gewarnt hatten, als ich gestern das Holz hatte fallen lassen. Es wäre viel zu laut gewesen, hatten sie gemeint.

„Wie stellst du dir das denn vor? Da ist Feuer!“ Henry regte sich sicherlich gerade unnötig über das Camp Feuer auf. Das hatte Roy auch schon getan, als wir es über Nacht brennen lassen wollten. Immerhin war es magisches Feuer. Es konnte den Wald also nicht abfackeln.

„Wir machen es wie im Training. Manöver Delta-Fünf“ Roy schien wie immer die Ruhe in Person zu sein, während Henry die Nerven wegen nichts und wieder nichts verlor.

Doch plötzlich nahm ich eine Vibration direkt neben mir wahr und kurz darauf spürte ich Hände, die mich hochheben wollten. Mein Instinkt übernahm und ich wollte mich wehren, doch die Person drückte mich fest und bestimmt an sich. Kurz darauf wurde ich aus der angenehmen Wärme meines Schlafsacks gerissen und war gezwungen die Augen zu öffnen.

Erst drehte sich alles. Es war als würde ich in einem Karussell sitzen und nicht aussteigen können. Ich sah verschwommene Flecken und den roten Himmel. Moment…