The Last Knight - Ally G. Dickson - E-Book
NEUHEIT

The Last Knight E-Book

Ally G. Dickson

0,0

Beschreibung

"Wo ist sie?" Blakes grollende Stimme war so tief wie noch nie und so durchdringend, dass man ihn durch das ganze Anwesen hören konnte. Sie brachte die Wände zum Zittern. Dann sah er mich. Seine Stimme wurde noch dunkler. "Wer hat ihr das angetan?" Blakes Stimme hatte kaum mehr etwas menschliches an sich. _____ Die Kitsune ist aus dem Sack. Jeder weiß nun, dass in Megan eine der gefürchteten, als ausgerottet geltenden Kitsunes schlummert - und das Gesetz verlangt ihren Tod. Als Seelenführerin kann sie ihren Häschern entkommen, doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ihre Magie umgehen. Ihre einzige Hoffnung ist das Seelenband mit Blake. Doch steht er überhaupt noch auf ihrer Seite? Während sie verzweifelt nach einem Ausweg sucht, verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse, Freund und Feind. Ihre Gegner zögern nicht, genau diese Schwäche auszunutzen. Wenn Megan nicht bald erkennt, wer ihre wahren Feinde sind, wird sie nicht nur ihr Leben, sondern die ganze Hüter-Welt verlieren. Doch wem kann sie noch vertrauen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 839

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ally G. Dickson lebt in der historischen Stadt Regensburg und ist mit der vollen Unterstützung ihrer Familie und Freunde schon seit Jahren begeisterte Schriftstellerin. Während ihres Studiums in Englischer Literatur und Geschichte schrieb und veröffentlichte sie den ersten Teil zu ihrer Hüter-Trilogie.

Werke von Ally G. Dickson:

Blue I (2019)

The First Light – Band I (2023)

The Darkest Night – Band II (2024)

The Last Knight – Band III (2025)

Für alle, die trotz tiefster Dunkelheit noch an das Licht glauben.

Warnhinweise

For The Last Knight ist ein Fantasy-Buch, welches in einer fiktiven, magischen Welt spielt, in der tödliche Schattenmonster namens Hunter ihr Unwesen treiben.

In diesem Buch kommen Themen wie Krieg, Massenmord, Gewalt, Hinrichtungen, Kämpfe, Blut und Tod vor und werden bildhaft und detailliert geschildert. Auch derbe Sprache, sexuelle Handlungen, BDSM, rough-play, sowie sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung werden dargestellt. Zudem werden PTSD, Essstörungen, Depression, Selbstverletzung, Suizidversuche und Traumata behandelt.

Leserinnen und Leser, die solchen Dingen gegenüber empfindlich sind, mögen dies bitte zur Kenntnis nehmen und sich wappnen, um die gefährliche Welt von Megan und der Hunter zu betreten.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

BLAKE

Kapitel 1

MEGAN

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 25

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Epilog

Prolog

BLAKE

Bevor du da reingehst und ihnen die Hölle heiß machst, solltest du einen Moment innehalten und dir ganz genau überlegen, was du sagen willst.“ Mein Vater hatte meinen Oberarm gepackt, oder es zumindest versucht, denn ich riss mich sofort los. Ich kochte vor Wut. Es war ja nicht genug, dass sie versucht hatten Megan vorletzte Woche wirklich jeden Tag umzubringen. Nein, jetzt ließen sie sie auch noch unter mehr als inakzeptablen Bedingungen in einer Zelle verrotten.

Wann immer ich unsere Verbindung aufrief, ging es ihr schlecht. Deswegen und weil es sie unglaublich viel Kraft kostete, mit mir zu reden, hielt ich mich immer kurz. Es brachte mich um, sie so zu sehen und zu spüren. Wie sie sich jeden Tag für mehrere Minuten im Spiegel selbst anstarrte und feststellte, wie sie immer mehr verblasste.

Sie war so unglaublich dünn geworden. Das Essen – wenn man es überhaupt als solches betiteln konnte – bestand aus, wenn es hochkam, Resten und Müll. Nicht genießbar. Nicht mal Nutztieren würde man so einen Fraß vorsetzen.

Das Schlimmste war aber, dass Megan sich nicht wehrte. Sie nahm ihr Schicksal einfach hin. Anfangs hatte sie noch Witze gerissen, aber nach dem dritten Tag der Hinrichtungen war sie verstummt und hatte seitdem kein Wort mehr gesprochen. Mit niemandem. Auch nicht mit mir.

Ich mimte zwar den gesetzestreuen Major, aber als ich ihren leeren Blick an zweiten Morgen der Hinrichtungen gesehen hatte, als man sie aus ihrer Zelle geholt hatte, hätte ich fast auf alles geschissen und sie in die Arme genommen.

Es hatte mich umgebracht, sie so zu sehen. Mit blassem Gesicht, den matten Augen und den hängenden Schultern. Aber ich konnte nichts tun. Es gab keine Möglichkeit sie vor ihrem Schicksal zu bewahren. Ich zerbrach mir jede Sekunde den Kopf, aber mir fiel nichts ein. Absolut nichts.

Und Megan ging es immer schlechter. Ich spürte es am eigenen Leib. Ich spürte wie ihre Kräfte immer weiter schwanden. Sie glitt zwischen Leben und Tod hin und her, als wären die Grenzen für sie inzwischen fließend. Aber ich zog sie jedes Mal zurück. Manchmal wachte ich mitten in der Nacht schweißgebadet auf und musste sie erstmal zurückziehen, da sie in der Nacht erfroren war. Es brachte mich um den Verstand. Jedes verdammte Mal.

Und an diesem Tag war mein Geduldsfaden gerissen.

Heute war sie gar nicht erst aufgestanden. Sie konnte nicht. Ihr fehlte die Kraft. Megan hatte es versucht. Ehrlich versucht. Aber sie wollte meine Kraft nicht annehmen, da sie befürchtete, dass ich dann auch eingesperrt werden würde. Sie nahm keine Hilfe an, aus Angst jemand würde es herausfinden und mich als erstes verdächtigen.

Aber es reichte mir. Wenn sie meine Hilfe nicht annahm, würde ich das Problem eben direkt bei der Wurzel packen und die Herrscher der sieben Königreiche zusammenstauchen, die sich während ihres Aufenthalts auf dem Anwesen meiner Familie, um ihre Versorgung kümmerten. Oder nicht kümmerten.

Und wenn das nichts half, würde ich sie da rausholen. Sofort. Ob sie wollte oder nicht. Sie hatte es mir verboten, als ich es immer wieder im Kopf durchging. Sie hatte mich angefleht es nicht zu tun.

Ich funkelte meinen Vater an, der nun vor mich trat.

„Geh mir aus dem Weg“, knurrte ich und war mir ziemlich sicher, dass ich noch nie so mit meinem Vater gesprochen hatte. Noch nie hatte ich es gewagt ihn derartig zu behandeln. Er war mein Vater und der König. Aber in diesem Moment, war ich definitiv nicht ganz zurechnungsfähig. Er stellte sich zwischen meine Seelengefährtin und mich. Allein dieser Gedanke brachte meinen Drachen dazu zu toben und mein Innerstes in ein Inferno zu verwandeln. Als würde er sagen: Er ist im Weg – Bring ihn um.

„Sie können sie nicht töten. Und bis das Hunterproblem nicht gelöst ist, werden sie es auch nicht tun. Jake greift immer noch an. Er will Megan befreien und rächen. Es ist ihm egal, was sie von ihm verlangt hat. Aber wenn Megan stirbt, kann die Hunter keiner mehr besiegen“, erinnerte er mich und legte mir eine Hand auf die Brust. Bestimmt. Befehlend. Ich hätte sie fast gepackt und in zwei gebrochen, wie einen Zahnstocher. Ich tobte vor Zorn. Megan ging es immer schlechter und sie konnte nicht einmal im Tod Erlösung finden.

Sie hatte es versucht. Mir war jede Sekunde schmerzhaft bewusst, dass sie es versuchte.

Besonders seitdem ihr Schwur mit Persephone – bei den Schutztieren ich hatte diese Nymphe für diesen Schwur geliebt – sie nicht mehr zwang jedes Mal zurück zu kehren, übernahm ich es. Egal wie sehr sie sich wehrte. Allein daran zu denken, bereitete mir einen tiefen Stich in der Brust.

Ich mahlte mit dem Kiefer.

Er musterte mich. Seine blauen Augen sahen mich ganz genau an. Meine Schultern bebten immer noch etwas, da ich bei jedem Atemzug tief Luft holen musste, um nicht augenblicklich die ganze Welt in Schutt und Asche zu legen. Mein Drache signalisierte mehr als einmal, dass er dafür mehr als bereit wäre.

„Du liebst sie wirklich, oder?“ Seine Stimme hielt er gesenkt. Niemand sollte uns hören. Ich ließ mir meine Verwirrung über diese Frage nicht anmerken und antwortete ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.

„Ja.“

„Weiß sie das auch?“ Ja. Nein. Vielleicht? Hoffentlich. Ich hatte es ihr nicht gesagt. Ich war nicht dazu gekommen. Und ich würde mich hüten es nur über unsere Verbindung zu sagen. Ich wollte, dass sie dabei vor mir stand und mich mit diesem warmen, weichen Lächeln ansah, dass jede Zelle in meinem Körper dazu brachte, sich zu erhitzen und mein Herz jedes Mal schneller schlagen ließ.

Ich antwortete nicht. Denn ich konnte es nicht sagen.

„Und liebt sie dich?“, wollte er wissen ich nickte nur. Es tat zu sehr weh mir dieser Tatsache in diesem Moment bewusst zu sein. Weil mir jede Sekunde mehr als schmerzlich bewusst war, dass Megan mich liebte. Mit Allem was sie hatte. In dieser Sekunde akzeptierte sie es lieber zu leiden, als mich leiden zu sehen. Sie hatte ihr Leben weggeworfen, um mich zu retten. Mich und den Rest der Hüter, die unter den Flammen des Phönix restlos ausgelöscht worden wären.

Mein Vater nahm die Hand von meiner Brust und sah kurz den Gang zum Besprechungsraum entlang. Die Versammlung der Könige würde erst in ein paar Minuten starten. Als neuer König von Sinclas würde er daran auch teilnehmen. Es war immer noch seltsam ihn mit einer Krone auf dem Kopf zu sehen. Oder ihn im offiziellen Rahmen nicht als „Dad“ sondern als „Eure Majestät“ anzureden. Er kniff kurz die schmalen Augen zusammen. Doch auf dem Gang war niemand zu sehen. Ich beobachtete ihn genau, als er in die Innentasche seines Jacketts griff und kurz inne hielt.

„Das hier heißt nicht, dass ich damit einverstanden bin“, stellte er klar und zog seine Hand sehr langsam wieder hervor. Ich konnte nicht erkennen, was er in der Hand hielt. „Aber… sie hat dein Leben gerettet.“ Er atmete kurz durch, packte meine Faust und öffnete sie. „Mehr als einmal“, schloss er und legte den kleinen, glatten, kalten Gegenstand hinein. Es fühlte sich an wie ein geschliffener Stein. Doch er nahm seine Hand noch nicht weg. Ich konnte es nicht sehen. Mein Vater sah mir sehr ernst in die Augen.

„Es ist im Moment die einzige Möglichkeit, das Gesetz zu ändern und ihr Leben zu retten.“ Er ließ mich einen Blick auf die flache, glänzende, ovale Silberschatulle werfen, ehe er meine Finger darum schloss. „Verbock es nicht.“

Dann stürmte er an mir vorbei und ließ mich einfach mit dieser seltsamen Schatulle zurück. Einen Moment sah ich ihm skeptisch hinterher. Was war das denn gewesen? Er verhielt sich seltsam. Mehr als seltsam.

Langsam richtete ich meinen Blick wieder auf die kleine, ovale, silberne Schatulle, die flach in meiner Handinnenfläche ruhte. Mit einem leichten Stirnrunzeln öffnete ich sie.

Mir ging sofort auf, was es bedeutete. Es war mehr als offensichtlich. Noch offensichtlicher hätte es mein Vater mir gar nicht zeigen können. Das Geschenk, das er mir damit gemacht hatte, war größer als alles, was ich jemals von ihm erwartet hätte. Unsere Familie hatte einen gewissen Ruf. Und der kam nicht von ungefähr. Niemals hätte ich erwartet, dass mein Vater so etwas tun würde. Das er mir das hier geben würde.

Denn mit dem Öffnen der Schatulle erblickte ich die Lösung für all meine Probleme.

Kapitel 1

MEGAN

Mir war schlecht.

In den letzten Wochen ging es mir praktisch andauernd schlecht. Ich war so schwach, dass ich mich weder aufsetzten, noch den Schimmel und die Tierchen von meinem Essen kratzen konnte. Ich hatte nicht einmal die Kraft die Arme zu heben. Es war Ende Januar. Das hatte mir Blake verraten, als ich feststellte, dass ich mein Zeitgefühl komplett verloren hatte.

Blake besuchte mich nur selten in meinem Geist. Wenn blieb er nur kurz. Ich wusste nicht warum. Ich bat ihn immer zu bleiben, aber er hörte nicht darauf und bat mich, mich auszuruhen. Kaum war er aus meinen Gedanken verschwunden, vermisste ich ihn. Und jedes Mal wünschte ich mir, ich hätte ihn doch noch zum Bleiben überredet. Nach jedem seiner Besuche versuchte ich wenigstens seiner Bitte nachzukommen und schlief erstmal. Doch ich war zu schwach, um wenigstens von ihm zu träumen.

Ich vermisste Blake. Sehr.

Nach allem was passiert war, wollte ich nichts lieber, als mich in seine Arme zu kuscheln und für immer dort zu verweilen. Denn seit dieses neue Jahr angefangen hatte, war alles mehr als scheiße. Alles war den Bach runtergegangen.

Ausnahmslos alles.

Es reichte ja nicht, dass Blake, kurz nachdem ich ihn als meinen Seelengefährten akzeptiert hatte und ihm gesagt hatte, dass ich ihn liebte, an der Neujahrswende von unseren Feinden entführt worden war. Nein. Der Entführer war mein mehr-oder-weniger-Exfreund Jake Pinewood. Aber das Allerbeste kam erst noch: Jake und seine Hunter-Armee hatten das Ziel die Kitsunes zu rächen. Mein Volk. Dasselbe Volk, das mein Seelengefährte übrigens geholfen hatte auszurotten. Also bis auf mich.

Jake hatte mich bei seinem Amoklauf dazu gezwungen, mich als Kitsune zu outen.

Das hatte all meine Lügen, die ich wie in einem Mienenfeld um mich herum verteilt hatte, alle auf einmal zum Explodieren gebracht. Es war ein wahres Spektakel gewesen, meiner eigenen Hinrichtung ganze siebzehn Mal beizuwohnen. Kein einziges Mal war ich tot geblieben. Captain Simons hatte das mehr als nur ein wenig frustriert. Verständlich, irgendwie. Aber er hatte es immer und immer wieder versucht. Mit allem was den sieben Königreichen einfiel: Bannzauber, Enthauptung, Zweiteilung – erst horizontal dann vertikal –, dann noch Folter (vermutlich um einen Herzinfarkt auszulösen), den elektrischen Stuhl, Gift und so weiter. Ihrer Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.

Die Albträume verfolgten mich nicht nur wenn ich schlief. Immer wieder durchlebte ich einzelne Szenen und musste mich zusammenreißen nicht jedes Mal zu weinen zu beginnen. In den eiskalten Nächten, endete ich jedes Mal in der Schattenwelt. Für ein paar Momente glaubte ich immer, dass es noch ein Traum war und ging einfach weiter, doch dann riss Blake mich zurück.

Er tat so unglaublich viel für mich. Doch ich bremste ihn aus. Jedes Mal, wenn er überlegte wie er mir zur Flucht verhelfen konnte, hielt ich ihn zurück. Er würde, wenn er es versuchte gleich in der Zelle neben mir landen und solange ich lebte, würde ich das nicht zulassen. Niemals.

Blake riskierte alles, wenn er sich für mich einsetzte. Einfach alles.

Wenn man ihm vorwarf noch immer mit mir zu sympathisieren, würde auch er hingerichtet werden.

Und trotzdem stand an diesem kalten Morgen, Ende Januar eine warme und vorallem richtige Mahlzeit in meiner Zelle. Kein Schimmel, keine Kriechtiere, kein Gift. Einfach ganz normaler Haferbrei. Einfach und gut. Es hatte fast zehn Minuten gedauert bis ich meine klammen, steif gefrorenen Glieder dazu bringen konnte sich zu bewegen. In der Sekunde, als ich auch den Löffel daneben liegen sah, hätte ich fast angefangen zu weinen. Ich schluckte die Tränen zusammen mit dem Kloß, der sich in meiner Kehle gebildet hatte, runter.

Ich musste gar nicht durch die Verbindung nachfragen, ob das Blakes Verdienst war. Es musste sein Verdienst sein. Keine Ahnung, was er dafür hatte tun müssen. Wem er drohen musste, oder wessen Gunst er sich erkaufen hatte müssen. Es war mir in diesem Moment auch herzlich egal. Ich wärmte meine Extremitäten an der, durch Magie warm bleibenden Schüssel und genoss jeden verdammten Löffel des warmen Breis.

Trotzdem war mir nun schlecht.

Wahrscheinlich hatte ich zu viel gegessen. Mein ausgemergelter Körper war mit dem plötzlichen Überfluss an Nahrung völlig überfordert. Es kostete mich all meine Willenskraft das Essen nicht sofort wieder auszukotzen.

Ich wurde gegen Mittag das erste Mal während meiner Zeit hier, aus meiner Zelle geholt. Acht Soldaten eskortierten mich aus dem winzigen Raum und taten so, als würden die dicken Metallreifen um meine Handgelenke nicht fast all meine Magie unterdrücken. Ich konnte noch in die Schattenwelt und wieder zurück, aber das wars auch. Man könnte jetzt argumentieren, dass mir diese Tatsache ermöglichte meine Waffen zu ziehen, aber daran dachte ich gar nicht.

Denn der Erste, der leiden würde, wenn ich so einen Scheiß abziehen würde, wäre Blake.

Ich wurde ohne einen einzigen Kommentar der Wachen zu den Duschen geführt, die im Vergleich zu meiner Zelle sehr sauber waren. Auf dem Weg hatten meine Beine fünf mal unter mir nachgegeben. Die Wachen waren einfach stehen geblieben und hatten schweigend, ohne mich eines Blickes zu würdigen, gewartet, bis ich mich wieder auf die Füße gekämpft hatte.

„Fünf Minuten“, war das Einzige, was eine von ihnen sagte, während sie und drei andere Wächterinnen mich dabei beobachteten, wie ich mich auszog. Wenigstens waren die Männer draußen geblieben. Sie hatten bei jeder meiner Bewegungen die Hände an den Waffen.

Das Wasser war warm und die Seifen dufteten fantastisch. Wobei ich feststellte, dass so ziemlich alles besser roch als mein eigener Körper. Ich schaffte es die Knoten restlos aus meinen Haaren zu entfernen und fühlte mich fast wieder halbwegs lebendig, als ich mir die neue Kleidung – ein dicker grauer Pulli mit ebenfalls dicker, grauer Jogginghose – anzog. Obwohl sie meine Größe auf dem Etikett stehen hatten, war mir beides viel zu groß geworden. Was vielleicht auch daran lag, dass es kaum einen Knochen an meinem Körper gab, der nicht herausstand.

Den Fressflash vom Kampf hatte ich in den Zellen durchmachen müssen. Er war durch meine stetigen Ausflüge in die Schattenwelt nicht besser geworden. Die Hinrichtungen und das Nachtblüten Gift, das meinen Körper erst langsam verließ, waren zu viel. Diese Ausflüge entzogen meinem Körper mehr Energie, als gesund war, aber dennoch stützte ich mich zu keiner Sekunde auf meine Geretteten. Trotzdem sollte niemand ihnen vorwerfen können, mich zu unterstützen.

Ich nahm all die Energie aus meiner eigenen Quelle. Das hatte mein Fett und Muskelgewebe auf ein absolutes Minimum reduziert.

Als wir wieder in meine Zelle zurückkamen, war die dreckige, kaputte Matratze einem echten Bett gewichen. Sogar ein kleiner Nachttisch mit einer Lampe war daneben aufgetaucht. Die Wände waren inzwischen sauber, der eiskalte Wind wurde nun durch einen Zauber aus der Zelle ferngehalten und sowohl die Toilette, als auch das Waschbecken waren ausgetauscht worden. Es war sauber und modern.

Ich sagte nichts, aber ich machte mir auch nicht die Mühe meine grenzenlose Dankbarkeit in diesem Moment zu verstecken. Allein die Tatsache, dass ich einatmen konnte, ohne dass die kalte Luft meine Lungen durchstach, trieb mir Tränen in die Augen. Ich erkannte erst, als ich mich auf das Bett sinken ließ, dass am Fußende des Bettes meine Bücher und Schulhefte gestapelt lagen.

Wenn ich für eine Sekunde hinterfragt hatte, ob das wirklich Blakes Werk war, wurde es mir nun zweifellos bestätigt. Als ich mir ganz am Anfang eine schlimme Erkältung eingefangen hatte, hatte ich ihm halb im Fiebertraum versunken gesagt, dass ich es bereute, dass ich meinen Abschluss nicht machen konnte.

Ziemlich dämlich, oder? Mir war das Atmen schwer gefallen, sodass mir selbst das Denken wehgetan hatte.

Nein. Es ist nicht dämlich, Megan. Beim Klang seiner Stimme, die meinen Namen aussprach war mir sofort ein angenehmes Prickeln durch meinen Körper gegangen. Ich hatte mich an seinen Worten festgeklammert, als ich wieder in der Dunkelheit versunken war.

Danke. Du weißt gar nicht, wie viel mir das bedeutet. Ich wusste nicht, ob Blake überhaupt gerade zuhörte, aber als ich mich auf das Bett sinken ließ und die warme Decke um meinen Körper schlang, konnte ich die Tränen nicht zurückhalten. Ich schluchzte ungehemmt. Es war mir egal, was die Wachen dachten. Ich weinte so lange, bis warmes Mittagessen auftauchte. Wieder eine Art Brei. Diesmal portioniert in drei Schüsseln. Als wollte mich jemand ermahnen, meinem Körper Zeit zu geben sich wieder an die Nahrung zu gewöhnen.

Als das Essen über meine Kehle in meinen Körper floss, hätte ich fast nochmal angefangen zu weinen.

Will ich wissen, was du tun musstest, um das hier möglich zu machen? Meine Stimme zitterte selbst in meinen Gedanken etwas. Diesmal antwortete Blake auch. Vorsichtig, als wollte er unter keinen Umständen zu lange bleiben. Hatte er Angst, dass wir aufflogen?

Oh nein...

Was wenn jemand erkennen konnte, wenn er in meinen Gedanken war? Jake konnte es im Thronsaal sehen, als ich Blake aufgespürt hatte. Er hatte mich sofort durchschaut.

Nur die richtigen Worte an die richtigen Leute gerichtet.

Du hast ihnen gedroht, bis sie eingeknickt sind. Ich durschaute seine schöne Umschreibung sofort, auch wenn ich gerade durch das Essen etwas abgelenkt war. Obwohl ich unbedingt die nächste Schüssel verschlingen wollte, zwang ich mich zu warten. Keine schlechte Idee, denn kaum fünf Minuten später, hob sich mein Magen bereits.

Ich habe nur Tatsachen dargelegt. Blakes Stimme gab mir irgendwie den Rest. Vielleicht war es die Tatsache, dass er immer so tief und sanft sprach. Vielleicht weil ich mich wieder wie ein Mensch fühlte. Vielleicht war es auch einfach die Erkältung in Verbindung mit den Resten des Nachtblüten Gifts, von dem ich noch nichts richtig auskuriert hatte. Ich schaffte es gerade noch zur Toilette, ehe ich mich auch schon erbrach und all das Essen wieder auskotzte.

In der Nacht bekam ich kein Auge zu. Trotz der Wärme und der weichen Decke und der Matratze, auf der ich mich fühlte, als würde ich auf Wolken liegen, im Vergleich zur Letzten. Ich kotzte mir jede Sekunde die Seele aus dem Leib. Immer wenn ich glaubte, ich könnte wieder ins Bett zurück, drehte ich auf halben Weg um und erbrach mich wieder.

Ich sank auf der Klobrille zusammen und schlug kurze Zeit später hart auf dem Boden auf, da mein geschwächter Körper der Belastung von Verdauung und Erbrechen nicht standhalten konnte. Mein Herz schmerzte und ich rollte mich auf dem durch Magie warm gehaltenen Boden zusammen und ließ es zu, dass der Schmerz meinen Körper vollständig lähmte.

Ich bekam Medizin und wurde an einen Tropf gehängt, der mir half die Mangelernährung auszugleichen und mich mit Vitaminen und anderem Zeug, von dem ich gar nicht wissen wollte, was es war, wieder aufpäppelte.

Nach ein paar Tagen voll Wärme und gutem Essen nahm ich das erste Mal ein Buch in die Hand. Aber es war keines meiner Schulbücher. Noch nicht.

Ich holte es aus meiner Zwischendimension. Aus dem Teil der Schattenwelt, wo ich auch meine Waffen aufbewahrte. Es war das Buch mit dem Titel „Das große Buch der Kitsunes“, welches ich aus der Bibliothek in den Katakomben unter den Ruinen von Fairyville gestohlen hatte. Es war verboten Bücher über Kitsunes zu besitzen. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass alle Bücher über Kitsunes verbrannt oder anderweitig zerstört worden waren. Oder wenigstens in einer verbotenen, geheimen Bibliothek aufbewahrt wurden.

Doch das hier war einfach dagelegen, also hatte ich es mitgenommen. Es war in der Sprache der Kitsunes verfasst worden. Eine uralte und sehr melodische Sprache, die aus vielen Vokalen bestand und dennoch ein völlig anderes Alphabet und andere Buchstaben benutzte, als ich kannte. Ich konnte sie lesen, als wäre es meine Muttersprache. War es vermutlich auch irgendwie.

Ich schlug das scharlachrote Buch mit den goldenen Einstanzungen auf dem Cover auf und musste sofort lächeln, als ich die andersartigen Buchstaben erkannte und feststellte, dass ich sie völlig flüssig lesen konnte.

Das Inhaltsverzeichnis des Buches verriet mir, dass es die gesamte Geschichte der Kitsunes enthielt, zusammen mit Legenden zu unserer Entstehung. Außerdem enthielt es einen magischen Stammbaum, der sich selbst ergänzte, sobald ein neues Mitglied geboren wurde. Ich war mehr als erleichtert festzustellen, dass diese Seiten mit einem starken Bann belegt waren, der nur Kitsunes den Blick darauf gestattete. Das Buch führte ebenfalls mehrere Kapitel mit Kitsunes vorbehaltenen Zaubersprüchen, Ritualen und Formeln auf. Ich überflog das restliche Inhaltsverzeichnis nur und beschloss einfach ganz vorne anzufangen.

Je mehr Seiten ich umblätterte und mit heruntergefallener Kinnlade die Informationen in mich aufsaugte, desto mehr wurde mir bewusst, wie wenig ich über mich selbst wusste. Es war erschreckend. Als ich das erste Mal über diesen Fakt stolperte, rief ich fast automatisch in mich hinein, um zu testen, ob mir jemand antwortete. Doch ich hörte nur das Echo meiner eigenen Stimme. So wie immer.

Deswegen las ich den Absatz gleich nochmal.

Kitsunes als solche werden nicht gehütet. Sie müssen sich keine menschliche Hülle suchen, um menschliche Gestalt anzunehmen. Aus diesem Grund werden Kitsunes nicht zwingend den Schutztieren des heutigen Sprachgebrauchs zugeordnet. Jede Kitsune ist ein Wesen, das die Natur schützt, also im weitesten Sinne ein Schutzwesen. Jedoch gelten Kitsunes mit ihren gestaltwandlerischen Fähigkeiten als eigenständige, magische Wesen, ohne Hüter.

Ich las den Absatz noch ein drittes Mal, weil ich es immer noch nicht glauben konnte. Ich spürte in jeder meiner Zellen, dass es die Wahrheit ist, aber ich konnte es nicht begreifen.

Ich war keine Hüterin. Ich hatte nie meine Kitsune gehütet.

Ich hätte nie nach meinem Schutztier suchen müssen.

Ich war ein Schutztier.

Oder ein Schutzwesen, wenn man genau war. Mein ganzer Körper kribbelte aufgeregt und ich blätterte wissbegierig weiter. Das war unfassbar! Welche Offenbarungen dieses Buch wohl noch für mich bereit hielt? Ich sog jedes Detail in mich auf wie ein Schwamm und konnte schon nach kurzer Zeit das erste Kapitel: „Die Entstehungsgeschichte der Kitsunes“ auswendig rezitieren. Es war unglaublich.

Es gab viele Theorien zur Entstehung der Schutztiere. Sehr viele. So viele, dass es einen eigenen Studiengang dafür gab. Aber das hier war anders als alles, was ich bisher gehört hatte. Bisher hieß es immer, dass sich die Magie in einem normalen Tier, welches sich für seine Artgenossen geopfert hatte, versammelt hatte. Davon gab es tausende Fabeln und Kindergeschichten. Das Tier wurde zum Schutztier erhoben und bekam magische Fähigkeiten, die es an andere Tiere weitergeben konnte. Davon wiederum gab es tausende Abwandlungen, die ich alle schon oft genug durchgekaut hatte, aber diese hier war völlig anders. Obwohl es sich wie so eine Fabel las, war es mehr als nur eine schöne Geschichte. Es war das Glaubenssystem meiner Spezies. Und das war viel schöner als alles, was ich bisher gehört hatte.

Die Erde und all die anderen Planeten tanzten jedes Jahr um die Sonne herum und priesen sie und ihre Wärme, die allem Existierenden Licht und Magie schenkte. Eines Tages wurde die Erde von lebendiger Dunkelheit getroffen und verlor ein Stück von sich selbst. Seither versuchte die Erde dieses Stück, welches wir heute Mond nennen, immer wieder an sich zu ziehen, während sie weiterhin um die Sonne tanzte.

Die Sonne war so gerührt von der bedingungslosen Treue und Hingabe der Erde, die sich nicht eine Sekunde abwandte oder in ihrem Tanz innehielt, um sich selbst wieder zusammenzusetzen, dass sie ein paar Tränen vergoss. Diese Tränen, welche auf die Erde fielen waren hell und voller Licht und Leben. So erblühten auf der Erde die Natur und das Leben und sie beschloss dieses Geschenk der Sonne tief in sich zu verstauen und für immer in Ehren zu halten.

Ich strich über die faszinierende Illustration mit den goldenen Elementen, welche die Sonne zum Leuchten brachten. Die Erde war ebenfalls mit einer schimmernden Farbe bemalt, als wären sie beide wirklich lebendig und würden in dem Licht meiner Nachttischlampe tanzen. Ich merkte erst, dass ich weinte, als meine Tränen auf die geschwungenen Buchstaben fielen und mit der Seite eins wurden.

Was liest du da? Ich zuckte zusammen, als ich Blakes Stimme in meinem Kopf hörte. Mein Körper und mein Geist waren so völlig von der Geschichte eingenommen gewesen, dass ich gar nicht gemerkt hatte, wie ich Blake, der über unser Band gekommen war, Einlass gewährt hatte.

Die Legenden meines Volkes. Nicht eine Sekunde dachte ich daran Blake schon wieder anzulügen. Dennoch kam ich nicht umhin zu bemerken, dass er zusammenzuckte.

Woher hast du das Buch? Automatisch verstärkte sich mein Griff um den Einband. Ganz so, als würde Blake es mir wegnehmen wollen.

Was tut das zur Sache? Was wollen sie machen? Ich bin doch schon zum Tode verurteilt. Mein Kiefer mahlte. Unter keinen Umständen würde ich dieses Buch hergeben. Nicht ehe ich ihm jedes noch so kleine Geheimnis über mich und meine Spezies entlockt hatte.

Du weißt, so meinte ich das nicht. Ich dachte nur, dass du es vielleicht von deiner Mutter hast. Blakes Stimme war sanft und er strich mir mit seiner mentalen Hand, leicht über meinen verkrampften Handrücken, bis sich mein Klammergriff um das Buch etwas lockerte.

Ich habe es gestohlen. Aus den Katakomben. Ihr hattet kein Recht es überhaupt zu besitzen. Meine letzten Worte klangen in meinen eigenen Gedanken etwas schärfer, als ich eigentlich beabsichtigt hatte. Ich wollte es schon zurücknehmen, aber Blake hatte es schon gehört. Und ich spürte wie sich auch sein Geist bei meinen scharfen Worten versteifte.

Ihr? Seit wann unterscheidest du zwischen dir und mir? Blake klang verletzt.

So meinte ich das nicht, das weißt du. Nicht ganz unabsichtlich verwendete ich seine eigenen Worte. Das ist alles was von den Kitsunes übriggeblieben ist. Ich weiß rein gar nichts über mich selbst. Das hat mir dieses Buch gezeigt. Und dieses Buch wurde den Kitsunes geraubt. Ich habe es zurückgeholt.

Mit einem Mal wurde es ruhig in meinen Gedanken.

Ich spürte Blakes Anwesenheit, aber er sagte nichts. Eine ganze Weile lang schwieg er nur. Er war nur da. Gespannt wartete ich darauf was er sagen wollte. Denn ich spürte genau, wie er nach Worten rang und sich folgendes ganz genau zurechtlegte.

Es ist dein gutes Recht, alles über dein Schutztier herauszufinden. Das denke ich wirklich. Und ich denke auch, dass es dein Recht ist, mich zu hassen für das, was ich und meine Familie deiner angetan haben.

Ich erstarrte auf meinem Bett. Fast automatisch presste ich das Buch an meine Brust, als könnte es mich vor Blakes Worten schützen und von der Schwere, die in ihnen lag. Das meinte er doch nicht ernst!

Ich schwieg ebenfalls eine ganze Weile und legte mir meine Worte genau zurecht. Denn es war Zeit die Wahrheit zu sagen. Die volle Wahrheit. Schluss mit verstecken und leugnen.

Ich werde nie in der Lage sein zu verzeihen was meinen Leuten – meinem Volk angetan wurde. Sofort wollte sich Blake zurückziehen, aber ich hielt ihn auf. Ich nahm seine geisterhaften Hände in meine und drückte sie sanft. Verwirrt sah er mich an, als ich mit seinen Fingern spielte. Doch ich spürte die Berührung nicht. Sie war nur in meinem Kopf. Aber ich hasse dich nicht Blake. Ich könnte dich nicht hassen. Niemals. Auch deine Familie nicht. Ihr habt das getan, was ihr für richtig gehalten habt. Augenblicklich verspannte sich Blakes Körper. Aber ich ließ mich nicht beirren. Wie ich Jake bereits gesagt habe, bringt uns dieser Teufelskreis aus Rache und Mord nichts. Er zerstört mehr Leben als er rettet. Diesen Weg habe ich geschworen niemals einzuschlagen.

Kurz hielt ich inne und seufzte leise. Ich würde es ihm erzählen. Nach und nach würde ich ihm alles erzählen. Angefangen mit der vollen Wahrheit über den Schwur, den ich geleistet hatte, der mich unter anderem daran hinderte Hüter zu töten.

Mein Schwur… Der den ich gegenüber Rat der Kitsunes, noch vor meiner Geburt geleistet habe. Sie wollen, dass ich unsere Spezies räche und die Hüter für das richte… oder naja, eher hinrichte, was sie uns angetan haben. Aber ich habe mich geweigert. Stattdessen habe ich etwas anderes geschworen. Ich habe geschworen die Schutztiere zu beschützen, so gut ich kann und dabei keinen Hüter zu töten. Keine Rache. Kein neuer Teufelskreis.

Er hatte mich nicht unterbrochen. Er hatte mir zugehört. Nicht eine Sekunde hatte er sich abgewandt oder wollte gehen. Nicht eine Sekunde. Blake sah wieder auf mich herab. Unsere Geist-Körper standen eng aneinander. Und dennoch spürte ich ihn nicht. Es war eine ganz andere Art von Folter, als die, die überall Narben auf meinen Armen und meinem restlichen Körper hinterlassen hatte. Sie waren zwar verblasst, als ich aus der Schattenwelt zurückgekehrt war, aber nicht so gut wie die anderen. Meine Arme sahen fast aus wie die von Blake, Henry und Roy. Bloß waren es bei mir keine Narben vom Kampf. Zumindest nicht von derselben Art von Kampf.

Und deswegen lässt du es zu, dass sie dich so behandeln? Dich immer wieder hinrichten? Blake fuhr mit seinen Daumen sanft über meine Handrücken.

Sie wissen es nicht besser. Sie haben Angst, weil sie die Kitsunes nicht verstehen. Und nach dem, was ich bisher gelesen habe, liegt das vermutlich auch daran, dass mein Volk ein Haufen von esoterikbesessenen Geheimniskrämern war.

Mein Seelengefährte strich mir über die Wange. Ich lächelte ihn zaghaft an. Dann drehte ich mich leicht, sodass er durch meine Augen auf das Buch sehen konnte. Ich zeigte ihm die Illustration der Sonne und der Erde, die zusammen mit dem Mond und den anderen Planeten um die Sonne tanzten.

Es ist wunderschön. Ich spürte, wie er versuchte die Zeichen zu entziffern. Ich kann es nicht Lesen. Ist das ein Bannzauber? Ich lachte leise in mich hinein und fuhr ein paar Buchstaben mit dem Finger nach. Er erschauderte leicht. Womöglich dachte er gerade darüber nach, wie ich mit meinen Fingern über seine Brust strich. Die Gedanken waren eines der wenigen Dinge, die mir noch kurze, vergängliche Momente der Freude bereiteten. Bei den Schutztieren – ich vermisste ihn.

Es ist die Sprache der Kitsunes. Ich spreche und lese sie fließend. Aber ich weiß nicht, wann oder wie ich das gelernt habe. Vermutlich ist es angeboren.

Und was steht da? Wenn ich fragen darf. Blake wurde doch tatsächlich nervös, als er zurückruderte.

Natürlich darfst du fragen. Ich bin kein esoterikbesessener Geheimniskrämer. Ich zwinkerte ihm zu. Es ist unsere Version der Entstehungsgeschichte. Ich übersetzte so gut ich konnte und musste ein paar Mal nach den richtigen Worten suchen, da sich ein paar Begriffe nicht wirklich übersetzen ließen.

Kannst du mir einen Satz in deiner Sprache beibringen? Ich lächelte Blake an und strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die ihm sogar in seinem Geist-Körper ins Gesicht fiel. Er hatte sich die Haare definitiv geschnitten, seit ich ihn dem letzten Mal gesehen hatte.

Wenn wir uns wiedersehen. Das ist ein Versprechen. Damit schloss ich die Augen, ließ das Buch wieder verschwinden und rutschte in meinem Bett tiefer.

Nicht verschickte Briefe von Blake Sinclair an Megan Knight. Wenn nicht verbrannt, liegen die Briefe noch immer zwischen den Seiten von Blakes Lieblingsroman über verbotene Liebe.

An Megan, An Megan Knight, Meine Megan, Liebe

Dieser Brief wird dich nie erreichen.

Aber ich will damit beginnen wie sehr mir alles leidtut. Das soll keinesfalls eine Rechtfertigung sein, oder das was ich oder jeder andere Hüter getan hat abmildern oder verharmlosen, aber ich muss es dir dennoch sagen.

Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich bei der Auslöschung deiner Spezies mitgeholfen habe. Es tut mir leid, dass ich so viele Kitsunes umgebracht habe. Es tut mir leid, dass ich deine Mum umgebracht habe. Es tut mir leid, dass ich so ein Monster war bin.

Es tut mir leid, dass ich dich nicht beschützt habe. Es tut mir leid, dass ich nicht mehr getan habe, um all das zu verhindern. Es tut mir leid, dass sie dich hingerichtet haben. So verdammt oft.

Es lässt sich nicht in Worte fassen, wie sehr alles in mir schmerzt beim Gedanken daran, wie viel Leid ich verursacht habe. Ich habe weder deine Vergebung noch deine Liebe verdient. Aber womöglich liebst du mich trotzdem noch. Und wenn ja

Und ich hoffe du kannst mir verzeihen darüber hinwegsehen, was ich alles getan habe.

Es tut mir leid, dass ich deine Mum getötet habe. Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen. Ich werde es niemals leugnen, das hast du richtig erkannt, aber das heißt nicht, dass ich es nicht vom tiefsten Punkt meines Herzens bereue – denn das tue ich.

Ich hoffe du weißt, wie ernst ich diese Entschuldigungen meine. Womöglich bedeuten sie dir lange nichts mehr. Wahrscheinlich bedeute ich dir schon lange nichts mehr. Nicht nach allem was ich zugelassen habe.

Du schickst mich immer wieder weg, aber ich will nicht mehr wegbleiben. Ich kann nicht mehr zusehen. Dich leiden sehen. Ich kann das nicht mehr mit ansehen. Aber ich kann helfen.

Bitte, bitte, bitte, bitte lass mich dir helfen.

Deine Verzweiflung zu spüren, zu wissen, dass du mich wegen dieser Handschellen nicht spüren kannst, ist mehr, als ich ertragen kann. Ich kann mich nicht von dir fernhalten.

Ich spüre dich schreien, auch wenn kein Ton deinen Mund verlässt.

Jeder Tropfen deines vergossenen Blutes tränkt meine Gedanken und meinen Geist.

Warum lässt du mich dir nicht helfen? Warum stößt du mich von dir? Ich will dir helfen!

Ich will die Welt niederbrennen und alles zerstören, alles töten und auslöschen, was auch nur einen Tropfen deines Blutes vergossen hat. Ich will dich zurück! Ich will dich küssen!

Lass uns ins Normo-Reich flüchten. Die Magie und den Hass hinter uns lassen und alles was uns auseinanderhält.

Ich kann nicht ohne dich Leben.

Ich weiß, du brauchst mich. Warum willst du mich dann nicht? Warum blockst du mich ab und lässt mich nicht helfen? Ich will helfen. Ich will dir helfen. Ich will uns helfen.

Lass mich bei dir sein.

Lass mich dich zurück an meine Seite holen.

Lass mich dich halten.

Ich will dich halten. Ich will deinen blumigen Geruch nach Freiheit einatmen. Ich will deinen wunderschönen Körper wieder auf mir spüren. Ich will meine Fingerspitzen wieder über die Kuhle an deinem Schlüsselbein streifen lassen. Ich will dich schmecken. Ich will dich spüren.

Egal wie. Auch in einer Zelle neben deiner.

Aber ich will nicht mehr diese Leere spüren, wo du einst gewesen bist. Ich kann und werde nicht ohne dich leben. Ich werde es nicht. Und wenn wir uns erst im Tod wiedersehen. So sei es.

Ich werde dafür sorgen, dass wir es tun. Uns wiedersehen. Bald.

Dein total bescheuerter, unnützer Seelenverwandter, der seine Zeit damit verschwendet Briefe zu schreiben, die du nie erhalten wirst, weil das Schicksal scheinbar keine gemeinsame Zukunft für uns sieht.

Aber weißt du was? Scheiß auf das verdammte Schicksal!

Blake

Kapitel 2

Das Buch offenbarte mir bereitwillig jedes Geheimnis, das es über mich, meine Familie und meine Abstammung in sich trug. Ich verschlang das ganze Buch in zwei kurzen Tagen und ich wusste nicht was mich erwarten würde. Aber dieses Buch hatte mir Trümpfe – mächtige Trümpfe – in die Hand gegeben, die ich jetzt nur noch richtig ausspielen musste. Denn anders als es im Moment vielleicht den Anschein machte, hatte ich nicht vor, ewig hier drin zu versauern und auf meinen Tod zu warten.

Meine Freunde und Blake konnten mir nicht helfen, ohne sich unmittelbar in Gefahr zu bringen. Also musste ich mir selbst helfen und das Buch gab mir mehr als eine Option genau das zu bekommen, was ich wollte. Oder zumindest offenbarte es mir Informationen, die sich perfekt als Druckmittel eigneten.

Die Dinge, die ich in Erfahrung gebracht hatte, hellten meine Laune sichtlich auf. Die Albträume konnten sie jedoch nicht vertreiben. Auch nach fast einem Monat nicht. Aber immerhin brachte mir der anbrechende Februar etwas Hoffnung. Womöglich… Vielleicht würde doch noch alles gut.

Wer sich aber sichtlich über meine fast gute Laune aufregte, waren die Wachen. Sie zischten immer wieder giftige Kommentare oder Beleidigungen in meine Zelle, aber ich ignorierte sie. Das schien sie jedoch noch mehr aufzuregen. In ihren Blicken lag Wut und in ihrem Herzen wuchs der Hass stetig an. Einem Teil von mir war bewusst, dass sie bald ausrasten würden. Vielleicht hatte es Blake bisher geschafft, dass sie mir ein Mindestmaß an Menschlichkeit entgegenbrachten, aber er war nicht hier. Er konnte sie nicht für ihre Drohungen in Grund und Boden starren. Blake war nicht hier, um das was kommen würde zu verhindern.

Und mir blieb nichts anderes übrig, als den Kopf einzuziehen und zu hoffen.

Sie kamen in der Nacht.

Sie waren zu fünft.

Die Wachen, die eigentlich immer zu beiden Seiten meiner Zelle standen, waren verschwunden. Die Zellentür war offen, als ich laute, schwere Schritte hörte. Sie machten sich nicht einmal die Mühe zu verstecken, dass sie kamen, indem sie sich anschlichen oder sowas. Ich tat nichts. Ich konnte nichts tun.

Weder sie meinerseits töten, noch mich richtig verteidigen. Alles was ich tat fiel auf die, die ich liebte zurück. Das würde ich nicht zulassen. Also nahmen sie mir alles was ich noch hatte. Meinen Stolz, meine Ehre und mein Leben.

Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, ehe sie alte Traditionen wieder aufleben lassen würden. Immerhin war es ein offenes Geheimnis, was mit Kitsunes in den Zellen passierte.

Ihre Gesichter lagen in Schatten oder verformten sich in meinen eigenen Gedanken zu Fratzen. Ein Schutzmechanismus meines eigenen Verstandes, um mich von dem abzuschotten, was sie mir antaten. Ich wehrte mich nicht. Keine Sekunde. Auch nicht, als sie, nachdem sie mir alles genommen hatten, ihre Hände auf den Mund pressten, ehe sie mich auszogen und ganz langsam aufschlitzten.

Mein Blut spritze an die Wände, doch meine Schmerzensschreie wurden durch ihre Hände unterdrückt.

„Nun passen wir dein Äußeres an dein Inneres an“, schnurrte einer von ihnen. Die anderen lachten dunkel. Meine Schreie wurden zu Schluchzern, während ich spüre wie immer mehr Tränen über meine Wangen rannten.

In dem Moment, als sie ihre Hosen halb auszogen, versuchte ich den Blick genauso wie mein Bewusstsein von dem was passierte abzulenken. Verzweifelt versuchte ich mich an irgendetwas zu klammern. Aber das Einzige was ich fand war ein Geruch. Erst verstand ich nicht woher dieser Geruch, der mir so seltsam vertraut war, herkam. Dann sah ich das Schimmern. Er versteckte sich unter einem Schleier und sagte nichts. Er tat nichts. Egal, wie grob und hart die anderen waren. Egal, wie sehr ich mich unter ihren Berührungen wand. Egal, mit welchen abartig erregten Geräuschen sie meine Schreie quittierten. Aber ich konnte seine Blicke spüren. Der Schmerz erreichte ein Hoch und ich konnte nicht länger versuchen einzuordnen, warum mir der Geruch so bekannt vorkam. Trotzdem konzentrierte ich mich darauf. Es war egal woher ich den Geruch kannte. Er war alles, was meinen Verstand gerade zusammenhielt.

Ich spürte in der Sekunde, als der Mann nochmal sein Messer sehr langsam in die Mitte meines Körpers stieß, wie Blake an meinen Schild hämmerte, der ihn aussperrte. Doch ich ließ ihn nicht rein.

Egal, wie sehr er sich dagegen warf.

Egal, wie sehr er mich anflehte.

Egal, wie sehr er mir helfen wollte.

Er würde das hier nicht mitansehen.

Er sollte davon nie erfahren. Niemals.

Meine Schreie wurden von ihren Händen unterdrückt aber mein Schmerz und der Geruch meines Blutes hing in der Luft wie eine schwere Decke und unterdrückte all meine Gedanken. Ich konnte nichts denken. Ich konnte nur schreien und weinen, während sie mich auf den nun wieder eiskalten Boden pressten. Sie nahmen mir damit jede Möglichkeit mich zu bewegen, völlig gleichgültig wie sehr ich es nun versuchte. Meine Oberarme wurden so fest nach unten gepresst, dass ihre Finger blaue Flecken auf meiner Haut zurückließen. Dasselbe auf meinen Schenkeln.

Der vertraute Geruch des nichts tuenden Zuschauers war das Einzige, was mich meinen Verstand nicht vollkommen verlieren ließ. Aber es war nur gerade so genug, denn es zog sich in unermessliche Längen. Ihr Keuchen, ihr Lachen und die Geräusche die immer wieder aufeinander gepresste Körper von sich gaben. Jede Sekunde fühlte sich an wie ein ganzes Leben.

Die Männer hörten erst auf, als ich endgültig aufhörte mich zu wehren und mein Blut die Wände und den Boden bedeckte.

„Richte deinem Seelengefährten schöne Grüße aus“, säuselte einer von ihnen. Ich wusste nicht welcher. Womöglich war es der Zuschauer, aber irgendwie glaubte ich, dass ich seine Stimme erkannt hätte. Aber ich war mir nicht sicher. Es war auch irrelevant.

Mein Geist und mein Körper fühlten sich leer und hohl an, als sie meine Zelle verließen und mich blutend und misshandelt in meiner Zelle zurückließen.

Als ich diesmal in die Schattenwelt trat, war es nicht wie sonst eine Erlösung. Selbst hier spürte ich alles. Ich erinnerte mich an jede schreckliche Sekunde. Ohne in der Lage zu sein einen Schritt zu gehen sank ich auf den sandigen Boden und blieb liegen. Ich starrte einfach in die Dunkelheit und konnte nichts anderes tun, als die Leere mich auch hier in ihren Besitz nehmen zu lassen.

Megan. Megan! MEGAN!

Ich ignorierte es. Ich wollte hierbleiben. Nicht ganz tot, aber auch nicht am Leben. Kein Herzschlag, keine Vitalzeichen, kein Licht in den Augen.

Du musst aufstehen! Komm schon! Du kannst nicht hierbleiben! Blake zog und zerrte an dem Band, bis er mich durch den Sand ziehen konnte. Ich reagierte nicht. Ich konnte nicht. Ich konnte es einfach nicht.

Ich schloss die Augen und öffnete sie nicht mehr. Auch nicht, als Blake es mit aller Kraft geschafft hatte mich wieder ins Licht zu ziehen. Ich lag immer noch am Boden. Immer noch in meinem Blut. Immer noch mit den Wunden, die sich nun sehr langsam verschlossen. Die Narben verblassten diesmal bis zur Unkenntlichkeit, aber ich sah sie. Ich spürte sie. Das würde ich immer können.

Die Sonne ging gerade auf, als die Wachablösung kam. Sie stürmten meine Zelle, als sie sahen, dass die Tür offen war. Ich rührte mich nicht. Ich lag noch genauso am Boden, wie die Männer mich zurückgelassen hatten. Ich starrte nur die Wand an, spürte immer noch ihre Hände, die mich nach unten drückten und hörte ihre Worte.

Ich weinte nicht einmal. All meine Tränen waren aufgebraucht.

Ich bewegte mich nicht, als die Wachen mich auf den Rücken drehten und meinen Puls checkten. Ich starrte einfach nur auf einen Punkt. Sie hatten mich brechen wollen. Und nachdem sie mir alles genommen hatten, als ich so dalag, wusste ich, sie hatten es geschafft. Sie hatten gewonnen.

Blake versuchte jede Sekunde in meinen Kopf zu gelangen und mit mir zu reden, aber ich sperrte ihn aus. Ich ließ nicht zu, dass er in mich hineinsah, dass er mit mir sprach und mir mit seiner sanften, tiefen Stimme sagte, dass alles gut werden würde. Richte deinem Seelengefährten schöne Grüße aus.

Zwei Wächterinnen hatten mich unter meinen Schultern gepackt, hochgehoben und zu den Duschen getragen. Ich hatte nur an der Fließenwand gehockt und ins Leere gestarrt, während sie mich abgeduscht hatten und das Blut, das an meinem Körper geklebt hatte, in den Abfluss gespült hatten. Sie hatten nichts gesagt. Aber die Blicke, die sie einander zugeworfen hatten, sprachen Bände.

Erst als der siebte Februar anbrach, schaffte ich es langsam mich aus meiner Starre zu befreien. Nur sehr, sehr langsam. Ich gab als erstes dem Hunger nach, aber ich starrte die ganze Zeit beim Essen auf den Steinboden. Das Blut war verschwunden, meine Zelle war wieder sauber, nichts wies mehr darauf hin, was passiert war. Nichts, außer meinen Erinnerungen, die mir jede Sekunde, zu jeder Tages- und Nachtzeit zeigten, was passiert war. Immer und immer wieder. Ich war wieder an derselben Stelle wie vor genau einem Monat, als sie mich in die Kutsche gesetzt hatte. Wenn nicht sogar an einem schlimmeren Ort.

Denn ich sank tief. Sehr tief. Ich erreichte den Tiefpunkt meines Lebens in dieser Zelle, allein. Auf dem Boden, der sich, obwohl er wieder warm war, eiskalt anfühlte.

Das war das erste Mal seit drei Tagen – das erste Mal seit dieser Nacht –, dass Blake es schaffte über das Band in meinen Kopf zu sehen. Ich zuckte heftig zusammen, als meine eigene Hand, die von ihm geführt wurde, den Dolch weit von mir wegschmiss. Er fiel klappernd gegen die Wand gegenüber von der, an der ich lehnte.

Megan! Was zur Hölle?! Megan, sieh mich an. Sieh mich sofort an! Sprich mit mir! Blakes Geistergestalt rüttelte meine. Aber ich reagierte nicht. Ich starrte einfach weiter das Blut an, das sich mit dem vermischte, das ich niemals ganz abwaschen können würde. Blake sah es nicht. Ich versteckte alles vor ihm. Log ihn schon wieder an. Aber ich konnte nicht. Ich konnte es nicht. Ich konnte nicht mehr.

Er schloss panisch seine Geisterhände um meine Wunden, als würde er tatsächlich vor mir knien. Es kostete ihn viel. Aber er drückte meine Wunden zu. Er flickte sie zusammen, bis sie nicht mehr bluteten. Aber ich war am Ende.

Megan! Megan! Bitte! Das seltsame Gefühl eines Déjà-vus befiel mich, als mich Blakes geisterhafte, unsichtbare Gestalt, an sich zog und fest drückte.

Ich kann nicht mehr, Blake. Bitte. Lass mich gehen. Ich habe genug.

Blake keuchte auf.

Nein. Nein! Du bist eine Kämpferin! Du bist eine Knight. Die stärksten Kitsunes, die es je gegeben hat. Die Mächtigsten Hüter der Welt! Du gibst nicht auf!

Ich verzog das Gesicht. Ich spürte nicht mal den Schmerz mehr, als die Wunden wieder aufgingen. Blake packte panisch meine Handgelenke.

Das ist mir egal. Mein Leben ist nichts mehr wert. Lass mich gehen. Meine Stimme zitterte nicht, sie klang nicht einmal traurig oder verzweifelt. Sie war genauso hohl und leer wie mein Innerstes. Nun passen wir dein Äußeres an dein Inneres an. Die Erinnerung traf mich tief und zog mich von Blake weg.

Dann lebe für mich. Egal, was passiert ist. Du überstehst das. Ich bin bei dir. Und wenn du keinen anderen Grund findest zu bleiben, dann bleib für mich. Aber tu so etwas nie, nie wieder! Hörst du? Du darfst diesen Schritt niemals gehen! Er verschloss die Wunden vollständig und strich die Narben glatt, bis sie hellrosa waren. Noch mehr als deutlich sichtbar.

Ich hob das erste Mal seit jener Nacht den Blick. Ich sah Blakes Umrisse vor mir knien. Seinen Geist in meinem Kopf sah ich ganz deutlich. Langsam sah ich ihm in die Augen. Mein leerer Blick ließ ihn kaum merklich zusammenzucken.

Sie haben es geschafft, Blake. Ich gebe auf. Sie haben mich gebrochen. Ich kann mich nicht mehr von dir zurückziehen lassen. Ich will gehen. Was es mich kostet ist egal. Ich kann nicht hierbleiben. Nicht nach- Meine Stimme versagte. Ich sah Blakes Pein in seiner Mimik. Ich tat ihm mit meinen Worten weh. So wie ich es schon zu oft getan hatte. Aber diesmal war es ein völlig neuer Schmerz. Eine völlig andere Art.

Das glaube ich nicht. Man kann dich nicht brechen. Du bist stark, klug und du bist wunderschön! Und ich liebe dich, Megan. Ich liebe dich mit allem, was ich habe und ich werde dich nicht gehen lassen. Nicht jetzt. Niemals. Blake versuchte mit seinen warmen, weichen Worten eine Reaktion zu bekommen. Irgendetwas. Aber ich konnte nicht. Ich sah ihn einfach nur an.

Ein winzig kleiner, fast vergessener Teil von mir flammte bei seinen Worten auf, aber die Leere erstickte das Feuer und ließ nur einen winzigen Funken zurück. Unglaublich winzig, aber ich klammerte mich daran fest. Auch, wenn ich es Blake nicht zeigen konnte.

Gerade als ich mich und meinen Verstand von der Kante, an der ich dank Blake hängen geblieben war, wieder an den Rand des Abgrunds zurückgezogen hatte, wurde ich auch schon wieder mit Anlauf hinuntergeschubst.

Ich hatte meine Gedanken bis zu diesem Zeitpunkt mit Lernen abgelenkt. Meine Schulbücher hatte ich durchgewälzt. Mehrmals.

Könnte ich die Abschlussprüfungen Ende März tatsächlich mitschreiben, hätte ich sicherlich nur die besten Noten. Ich konnte jeden Satz, jede Formel und jeden Spruch auswendig. Ich kannte jede Regel und jedes Gesetz. Ich hatte sogar alles über Manieren, Etikette und die anderen Königreiche gelernt.

Dabei war ich auch über ein interessantes Detail gestolpert. An meinem Geburtstag letztes Jahr hatte Blake, als er das Kleid gesehen hatte, das mir Roy geschenkt hatte, gesagt: Die Chance, dass sie das Ding trägt, ist genauso hoch, wie das verschollene Königreich zu finden. Damals hatte ich nicht einmal gewusst, was oder wo dieses „verschollene Königreich“ war, doch dann hatte Jake mir erzählt, dass er versuchen würde das Land der Kitsunes – Kir – zu finden. Ich hatte nicht viel darauf gegeben.

Aber jetzt, wo sich auch dieses Puzzlestück an seinen Platz rückte, fügte ich dieses Detail gleich noch auf meine Druckmittel-Liste hinzu. Denn im großen Buch der Kitsunes gab es eine detaillierte Karte von den sieben Königreichen und Kir war darauf verzeichnet. Diese Information gab mir ein Stück meiner Hoffnung zurück. Eine Hoffnung, von der ich dachte, sie wäre durch alles, was in den letzten vier Monaten passiert war, für immer verloren gewesen.

Kir. Mein Land. Mein verschollenes Königreich. Mein Zuhause.

Oder zumindest ein Ort, der mein Zuhause werden könnte.

Mit diesem Gedanken wachte ich auch an diesem Morgen auf. Ein ganzer Monat war vergangen seit jener Nacht. Ich hatte die Männer seitdem nicht mehr gesehen. Ich hatte versucht zu vergessen, aber es war mir nur mehr schlecht als recht gelungen. Wenigstens war Blake jedes Mal sofort da, wenn ich auch nur daran dachte, wieder zu einem weiteren Tiefpunkt abzurutschen.

Dadurch blieb es auch bei dem einen Mal.

Inzwischen hatte ich mich soweit erholt, dass ich nicht mehr nach hinten in den Abgrund kippen würde. Ich konnte mich ohne Blakes Hand zu halten vom Abgrund abwenden und nur mit ein paar einzelnen Blicken zurück, der Zukunft zuwenden.

Naja. Zumindest bis ich es nach dem Mittagessen zu spüren begann. Ganze zwanzig Tage nach dem Tiefpunkt meines Lebens. Der letzte Tag im Februar. Und da passierte das.

Ein stechender, eiskalter Schmerz, der mich sofort erschaudern ließ. Bereits nach der ersten Sekunde. Ich konnte zuerst nicht ganz einordnen, woher der Schmerz kam. Es war kein übermächtiger Hunter, der in den Zellenblock eindrang. Es war auch nicht Blake. Ich suchte weiter, ehe der Schmerz mit einem Mal explodierte. Sofort knickten meine Beine unter mir weg. Ich stützte mich auf meine, mit roten Tätowierungen verzierten Arme und bemühte mich, mich nicht augenblicklich zu übergeben. Vergeblich. Ich würgte und sofort verteilte sich das Mittagessen auf dem Boden, zusammen mit Blut.

Mein Körper versteifte sich nun nochmal aus einem völlig anderen Grund.

Was ist los? Was ist passiert? Blake war sofort da. Wie immer, wenn ich auch nur den Anschein machte, als würde es mir schlecht gehen.

„Ich weiß es nicht.“ Mir fehlte die Kraft, ihm in Gedanken zu antworten. Ich erbrach noch einmal Blut, da vom Essen lange nichts mehr in mir war.

Doch in diesem Moment brachen sie einfach hervor. Ich hatte es nicht darauf angelegt mich in dieser Zelle in eine Kitsune verwandeln. Die Metallarmreifen, die meine Magie unterdrückten, hätten mich nicht davon abhalten können, aber ich hatte das Gefühl gehabt, als würde das den Wachen einen Grund geben, mich anzugreifen. Doch diese halbe Verwandlung war keine Absicht gewesen. Es war reiner Instinkt.

Ich starrte meine sieben Schweife an. Dabei erkannte ich es sofort. Einer von ihnen veränderte sich. Der dritte, der mir neben meinem Eigenen und Henry’s gewachsen war, als ich Roy gerettet hatte. Er verfärbte sich. Wurde von einem schneeweiß, mit pechschwarzer Spitze, erst grau und schließlich zu einem intensiven, dunklen Rot. Er starb ab.

Mir wurde eiskalt, als ich mir dessen bewusst wurde.

Roy stirbt.

Das war alles, was ich Blake noch zurufen konnte, ehe ich wieder Blut erbrach.

Kapitel 3

Ich konnte nicht anders. Ich musste einfach sehen was los war.

Mit einem letzten, leisen Fluch folgte ich Blake über unsere Verbindung in seinen Geist. Er ließ mich hinein, ohne es zu hinterfragen, oder mich aufzuhalten. Es war riskant. Für uns beide. Mehr als riskant. Wenn man uns erwischte, war auch er dran.

Ich sah alles durch seine Augen. Er lief durch den Palast und schien gerade erst beim Mittagessen gewesen zu sein. Als wir eine Tür passierten, wurde mir – trotz all dessen, was in mir tobte – immer wieder aufs Neue bewusst, wie riesig Blake eigentlich war. Aus seiner Perspektive wirkte selbst der größte und furchteinflößendste Wächter wie ein hilfloses Kleinkind.

Blake begann zu rennen, als unglaublicher Schmerz durch meinen Körper zuckte und ich zusammenbrach. Ich wäre fast in die Pfütze hineingefallen, schaffte es aber gerade noch so mich abzurollen und daneben auf dem Rücken zu landen. Ich musste den Kopf etwas drehen, damit das Blut sich nicht in meinem Mund sammelte und mich erstickte.

Die anderen sind heute in den Palast eingeladen worden. Ich weiß nicht warum, aber ich wurde aus dem Raum geschickt, bevor sie angekommen sind.

Mein ganzer Körper zitterte. Völlig unwichtig was sie Roy antaten… Sie würden dafür bezahlen. Das wusste ich, obwohl ich gerade dabei war das Bewusstsein zu verlieren. Die Schmerzen, die Roy ebenfalls durch den Körper zuckten und sein Schutztier langsam aber sicher aus ihm und dieser Welt rissen, wuchsen an. Exponentiell. Ich wusste nicht wie lange ich seinen Panther noch festhalten konnte. Meine Kraft schwand genauso schnell wie unsere Verbindung. Ich war zu weit weg, um ihn ohne diese Verbindung zurückzuholen.

Ich würde ihn verlieren.

Wir hatten keine Seelenverbindung, an der ich ihn zu mir ziehen konnte, als er nun langsam in die Dunkelheit rutschte.

In diesem Moment stürmte Blake den Raum mit dem Wasserfall. Der Raum, in dem wir uns kennengelernt hatten. Also mehr oder weniger.

Der Wasserfall wurde von Roys Schmerzensschreien übertönt, die man vor der Tür nicht gehört hatte, nun aber durch den ganzen Palast hallten und Blake und mir entgegendonnerten. Lautes Tosen von einem regelrechten Orkan, der keinen Ursprung zu haben schien und den Wasserfall im Raum verteilte, heulte in Blakes Ohren und blies ihm die Haare aus dem Gesicht. Aber Roy übertönte auch das Tosen. Er war sogar lauter als Persephones und Henrys Flehen, dass „sie“ aufhören sollten. Henry war von Peter gepackt worden, während Persephone von Percy festgehalten wurde, der den Blick aber abgewandt hatte. Percy entdeckte Blake als erster.

Persephone und Henry bettelten wieder, dass sie aufhören sollten. Sie. Die Königin, Simons und drei Heiler, die hinter einem am Boden kauernden Körper standen. Es war Roy. Es hatte eine Weile gedauert, dass Blake und ich ihn erkannt hatten. Seine Haut war kohlrabenschwarz und glimmte. Sein Schutztier brüllte und fauchte, als es aus ihm rausgerissen wurde. Der Panther kämpfte mit allem, was er hatte, gegen den Zauber an, den die fünf Personen immer noch murmelten.

Langsam verstummten Roys Schreie und auch mir entglitt seine Hand langsam.

Tu was! Meine Stimme war kaum mehr als ein leises Keuchen.

Blake war beim Anblick der Szene völlig erstarrt. Geschockt. Völlig entsetzt.

Er spürte meinen Schmerz nur dumpf in seinen eigenen Gliedern, wusste aber genau, dass er in mir sehr viel größer war. Der heftige Wind blies die anderen fast weg, während Blake einfach durch den Raum schritt. Direkt auf Roy zu. Er hob noch im Gehen seinen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand, murmelte schnell einen Spruch vor sich hin und blieb schließlich zwischen Roy und den fünf Hütern stehen, die nicht aufhörten, selbst als Roy nun endgültig wegsackte.

Blake zog seine zwei Finger mit einem hellen, weißen Aufleuchten durch den Raum und schuf zwischen sich und Roy und den fünf Monstern eine magische Grenzline. Ein Zauber, den nur die Mächtigsten der Hüter tatsächlich ausführen konnten. Es erforderte jahrelanges Training. Denn mit einer solchen Line konnte man alle Zauber beenden, die gerade gesprochen wurden. Sofort. Ohne zu wissen, um welchen Spruch es sich handelte oder welchen Ursprung er hatte.

Ich achtete nicht auf das erschrockene Einatmen aller Anwesenden, ich packte Roy und zog ihn und sein Schutztier zurück. Sofort verschwand das Glühen und die schwarze Farbe von seiner Haut und er atmete tief ein.

Mein Körper entspannte sich, als er die gold-braunen Augen aufschlug und begann zu husten. Er hustete Asche und Blut. Als wäre auch sein Inneres verbrannt. Meine Schweife verschwanden wieder und seiner nahm langsam wieder seine normale Färbung an. Ich konnte mich nicht bewegen. Das gerade hatte mich alles gekostet.

„Was hast du getan?“ Roy sah immer noch heftig atmend zu Blake auf, der ihn kurz gemustert hatte und checken wollte, ob es ihm gut ging. Blake war mindestens so verwirrt wie ich, festzustellen, dass Roy ihn damit ansprach.

„Deinen Arsch gerettet. Du warst drauf und dran dein Schutztier zu verlieren und auszubrennen. Möchte mir mal jemand erklären, was zur Hölle das werden sollte?“, knurrte Blake. Seine Stimme war tief und gefährlich. Roy war auch sein Freund geworden. Vielleicht zählte er ihn auch schon zur Familie, so wie ich es tat.

Ich bekam kaum Luft, wollte aber unbedingt wissen, was passierte. Also blieb ich in Blakes Geist. Er hielt mich fest, als ich drohte abzurutschen. Ganz nebenbei, als würde es ihn kaum Anstrengung kosten.

„Aber ich wollte das!“ Roys Worte trafen mich wie ein Blitz. Nein, wie ein ganzes Gewitter. Ich keuchte auf, als ich den Hass in seinen Augen erkennen konnte. Als ich erkannte, was er mit diesen Worten aussagte. Blakes Blick verfinsterte sich. Die Schatten um ihn herum nahmen Gestalt an und schlängelten sich um seine Arme, als er Roy am Kragen seines Poloshirts packte und auf die wackeligen Füße zog.

„Du wolltest was?! Sterben?“ Blakes Stimme war kaum mehr als ein tiefes Grollen. In Blakes Kopf stieg ein anderes Bild auf. Eines, das noch vor nicht so langer Zeit bittere Realität war – eine Erinnerung. Ein Bild, das mich kurz taumeln ließ, obwohl Blake mich festhielt. Es war ein Bild von mir, wie ich am Boden kauerte und mit leerem Blick auf das Blut sah, dass aus meinen Handgelenken kam. Wie ich auf meinen Tod gewartet hatte. Ein tiefer Schmerz nistete sich in Blakes Brust ein. Er hatte das Gefühl, dass alle um ihn herum ihn verlassen wollten. Und ich konnte nichts tun, um irgendetwas davon besser zu machen. Dieses Gefühl mit ihm zu fühlen, zerriss mir das Herz. Ich rang immer noch nach Luft. Blake spürte es. Sein Herz stolperte genauso vor sich hin wie meines. Wie immer völlig synchron.