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Wenn dein Herz gewählt hat, folgst du ihm in flüsternde Mitternachtsschwärze? Die Schatten sind an die Seite der ersten farblosen Königin der Kontinente zurückgekehrt. Während das Licht die Goldene Stadt verbrennt und ihre Bewohner verdammt, versucht Alamea ihre Gefühle zu kontrollieren. Denn ihre Wahl ließe auch die Schattenlande in ewiger Finsternis vergehen. Doch was, wenn nicht farblose Tristesse für den Fall Argijas und Andtherâs verantwortlich ist? Sondern eine Macht, die die aurumfarbene Energie als Waffe nutzt. Eine Waffe, endlicher als jedes Schwert …
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Seitenzahl: 405
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Dunkelstern Verlag GbR
Lindenhof 1
76698 Ubstadt-Weiher
http://www.dunkelstern-verlag.de
E-Mail: [email protected]
Coverdesign: Bleeding Colours Coverdesign
ISBN: 978-3-98947-032-3
Alle Rechte vorbehalten
Ungekürzte Taschenbuchausgabe
Für Khaos, Elio und Alamea –
Für die Dunkelheit, das Licht und ihr Gleichgewicht in uns allen.
Inhalt
Prolog
1 – Elio
2 – Alamea
3 – Khaos
4 – Elio
5 – Alamea
6 – Khaos
7 – Elio
8 – Alamea
9 – Khaos
10 – Alamea
11 – Khaos
12 – Alamea
13 – Elio
14 – Khaos
15 – Alamea
16 – Khaos
17 – Evara
18 – Alamea
19 – Khaos
20 – Elio
21 – Alamea
22 – Elio
23 – Khaos
24 – Alamea
25 – Elio
26 – Khaos
Epilog – Khaos
Die Sprache der Schatten
Glossar
Nachwort
Prolog
Nevân
10 Sonnenjahre zuvor
Jeder Aufgang der Schattensonne zeichnete die erstarrte Königstadt in goldenen Schimmer. Warf tanzende Partikel reinen Lichts über farblose Dächer, während sich die schwarzen Rauchfäden zurückzogen. Seine Hand umfing den Stoff seines von Aurum durchwirkten Hemdes und ließ den Schmerz in seiner Brust, die Erinnerungen an ihr langes nachtschwarzes Haar und ihre von grauem Funkeln durchzogenen Augen erneut aufbranden, einer monströsen Welle gleich. Tränen verschleierten seine Sicht und er wandte sich ab. Ließ die unheilvoll schimmernden Gebäude Barashs zurück. Als er die Tür zu seinen Gemächern öffnete, fiel sein Blick auf eine kunstvoll gestaltete Pahnari, deren Finsternis sich über den marmornen Boden ergoss. Seine Fäuste bebten, wenngleich er versuchte, das Zittern aus seiner Stimme zu verbannen.
»Stellt sie in meine Gemächer. Sofort.«
Der Lucid-Wächter zuckte zusammen und sah für einen Augenblick irritiert zwischen seinem in schwarz gekleideten Gefährten und seinem König hin und her. Sein Herz stolperte.
»Habe ich mich missverständlich ausgedrückt?«
»Nein, Eure Majestät.« Eilig griff der Angesprochene nach der Schattenlaterne und verschwand.
Seine Augen fingen die Gefühlsregung des verbliebenen Merakî ein. Schwere und Trauer umschlangen sein Innerstes, doch er straffte die Schultern und wandte sich zum Gehen.
»Falâis Nerîmee, Rîan.«
Aus dem Augenwinkel sah er, wie sein Vertrauter Haltung annahm, sah das schmerzhafte Schlucken und das Anspannen der Muskeln des Schattengeborenen. Rîans Schweigen ließ seine Seele in einem mitternachtsfarbenen Strom bluten. Klanglos verhallten seine Schritte auf dem glattgeschliffenen Stein.
»Es schmerzt. Glaube mir, das ist uns nur allzu bewusst.« Schlanke Finger umfassten seinen Unterarm. Iriden, durchgetränkt von Amber, fingen das tanzende Licht ein, das sich durch die bodentiefen Fenster ergoss.
»Ist die Finsternis erst einmal fort, wirst du wieder atmen können. Du musst an die Prinzessin denken. An deine ... eure Tochter.« Das zaghafte Lächeln erreichte ihre Augen nicht, ließ ihn trotz des warmen Windes, der ihm über die Haut strich, frieren, als er hinab in die Gärten blickte. Weiß, umgeben von Schwarz und Gold. Alameas Lachen erklang glockenhell, während ihr lichtumflossener Wächter Blütenblätter auf ihre zarte Gestalt regnen ließ.
Sein Blick verweilte jedoch auf dem jungen Merakî, dessen dunkles Haar ungezähmt in seine Stirn fiel. Dünne Rauchfäden huschten über seine Haut, als wären sie sich ihrer Bestimmung nicht sicher. Er beobachtete das Spiel Elios und seiner Tochter, bis diese sich von ihrem hellen Sciath löste und auf die Dunkelheit zueilte.
»Khaos!« Sein Name. Aus ihrem Mund klang er wie ein Versprechen.
So zärtlich habe ich sie angesehen, wenn ich ihren Namen geflüstert habe.
»Nevân? Soll ich dir helfen?«
Die gesäuselte Frage holte ihn zurück in die Wirklichkeit und die Erinnerung verblasste, flüchtig wie Nebel. Er nickte, richtete sich auf und drehte der Szenerie des Glücks weit unter sich den Rücken zu.
Seine Welt stand still, bevor sie in schattenverzehrender Helligkeit verbrannte.
***
Die kühlen Strahlen des Lichtmondes tauchten das Zimmer in blassen Schein. Er erwachte schweißgebadet. Kissen und Decken lagen außerhalb des zerwühlten Bettes. Suchend fuhr er mit der Hand über die kalte Leere zu seiner Rechten.
»Kaena?« Er hatte geträumt, denn die Realität zeigte ihm eine gänzlich andere Wahrheit. Sie war fort. Sein Herz. Seine eigene sternenklare Nacht. Er keuchte. Schmerz zerriss seine Gedanken, brach sein Innerstes auf wie eine glasige Hülle. Die Scherben zerschnitten seine Haut, bis seine Seele Düsternis blutete.
Taumelnd erreichte er die beinahe verwaisten Gänge. Das Aurum, welches ihn umgab, nahm Haltung an. Wurde zu einer Masse aus leuchtenden Partikeln.
Keine Schatten mehr.
»Es ist falsch, mein Liebster.«
Er öffnete die Tür und stürzte an das Bett seiner Tochter.
»Alamea, mein Kleines.«
Verschlafen öffnete sie die Augen. Mitternachts- und Saphirblau. Warum litt er noch immer? Sie hatte versprochen, es würde aufhören. Dass diese Qualen vergehen würden.
»Vater? Geht es dir nicht gut?«
»Du musst dein Herz beschützen. Die Schatten. Beschütze dein Herz, meine Tochter.«
Er schloss ihren schmalen Körper in seine Arme. Hielt sich an ihr fest, während er dahinschwand. In Leid und Trauer.
In jener Nacht verlor das Königshaus sein ganz eigenes Gleichgewicht.
Und die Dunkelheit verging in ewigem Licht.
1 – Elio
Schreie. Schmerz. Trauer, erleuchtet von einem nicht enden wollenden Funkenregen.
Staub. Sand. Angst, gezeichnet von flimmernder Hitze.
Lucid rannten an mir vorbei. Stolpernde Schritte, Hände die hastig nach einander griffen. Nur meine eigenen Füße schienen sich nicht bewegen zu wollen. Erstarrt stand ich auf dem größten Marktplatz der Stadt und sah, wie die bunten Farben in gleißender Helligkeit vergingen. Schweiß perlte von meinen Schläfen, brannte gemeinsam mit ungeweinten Tränen in meinen Augen. Ich hatte zurückkehren wollen, nach Barash. Zu meiner Königin, der zweiten Hälfte meines Herzens. Und zu ihm ... meinem Hîjen. Meinem besten Freund, der zu einem Mann, einem außergewöhnlichen Keress geworden war.
Meine Sicht verschwamm, löste meine Heimat in einem Schleier aus Seelenschmerz auf. Das Zupfen am Saum meines von Schmutz bedeckten Hemdes ließ mich blinzeln.
»Miejî, ich habe Angst.« Die Augen des kleinen Lucid waren rot geweint und ein Zittern schüttelte seinen Körper. Ein dunkler Lockenkopf und graue Iriden fluteten meine Erinnerung. Ich ging in die Knie, breitete die Arme aus und zwang mich zu einem zaghaften Lächeln.
»Ich bin jetzt bei dir. Wie heißt du?« Ohne zu zögern drückte der Junge sein Gesicht an meine Brust und ich hob ihn hoch.
»Dirâs.« Seine Antwort war ein kaum verständliches Murmeln nahe meiner Halsbeuge. Ich wandte mich um und begann zu laufen. Die Gasse zu meiner Linken wirkte ausgestorben.
»Ich bringe dich in Sicherheit. Versprich mir, dass du dich festhältst und nicht loslässt, ganz gleich, was passiert, in Ordnung?«
Ein Nicken. Ich biss die Zähne zusammen und duckte mich unter herabgestürzten Dachbalken und Sonnensegeln hindurch. Mein Elternhaus war der einzige Ort, welcher immer wieder klar vor meinem inneren Auge auftauchte. Wenn mein Vater dort war, würde er wissen, was zu tun war. Er musste es wissen.
Sandsteinbrocken lösten sich aus den Fassaden der Gebäude und zerbrachen zu funkelnden Staubwolken. Schützend legte ich eine Hand über Dirâs‘ Gesicht und hielt die Luft an. Doch das trockene Blut der Goldenen Stadt verklebte meine Lunge und ließ mich husten.
Die enge Passage, die ich genommen hatte, endete in einer Sackgasse. Zwei Häuser waren in sich zusammengesackt, als hätte sie der Mut des Aufrechtstehens verlassen. Geröll versperrte uns den Weg, dessen Beschaffenheit mehr als fragwürdig war. Behutsam setzte ich meinen jungen Begleiter ab, der sogleich meine Hand umschloss.
»Du sagtest nicht loslassen.« Er schniefte und ich schmunzelte trotz der Umstände.
»Richtig und deshalb gehen wir jetzt gemeinsam durch diesen Spalt dort vorn. Du musst dich kleinmachen, wie eine Sandschwalbe.« Ich wartete auf das bestätigende Nicken und schob mich dann vorsichtig durch die schmale Öffnung.
Goldene Partikel erfüllten die Luft. Vollführten einen Tanz zwischen flirrender Hitze und schier endloser Zerstörung. Dirâs grub seine Nägel in meinen Handrücken und ein leises Wimmern verließ seine Kehle. Mein Herz stolperte, brannte und hinterließ nichts als Leere in meinem Inneren.
»Mama sagt, unsere Energie ist gut. Das Licht ist sanft.«
Ich blieb stehen und blickte über meine Schulter. Bäche stürzten die beschmutzen Wangen hinab, tropften von seinem Kinn, während er versuchte, sie fortzuwischen. Vorsichtig traten wir aus der Enge des von Sandstein und Schutt gezeichneten Durchgangs hinaus.
»Sie hat recht, das ist es.«
Energisch schüttelte Dirâs den Kopf. »Nein, etwas Sanftes tut so was nicht. Nie!«
Er warf sich in meine Arme und ich schrie. Stumm und voller Schmerz.
Das Summen Adestas dröhnte in meinen Ohren. Entfernte Klagelaute und glühendes Licht, das die Erde in gleißenden Fluten unter sich begrub. Ein gewaltiger Riss hatte den verzierten Platz gespalten, der sich halbmondförmig vor meinem ehemaligen Zuhause erstreckte. Eine klaffende Wunde, die vielleicht heilen, aber niemals gänzlich verschwinden würde. Der Versuch, meine Atmung zu beruhigen, misslang. Der Druck um meine Finger löste mich aus meiner Starre.
»Warum halten wir an?« Mein Begleiter schniefte und die Verunsicherung in seiner Stimme biss unnachgiebig in den bereits erloschenen Teil meiner Seele.
Ein weiteres Lächeln streifte meine Lippen, das mir so fremd war wie die Sterne über Andtherâ. »Wir werden den Statthalter um Hilfe bitten.«
Dirâs presste sich an meine Seite. Hoffnungsvoll schob ich das bereits angelehnte Türblatt gänzlich auf.
Das Entrée war verwaist. Staub hatte die Luft vergiftet. Legte sich wie dichter Wasserdampf über meine Sicht.
»Emrys? Vater?« Hohl und angsterfüllt durchdrangen meine Worte die unheilvolle Stille. Im Innenhof waren die Palmwedel von der Helligkeit aufgebrochen worden. Gold sickerte aus dem zerfaserten Grün, verklebte die einstige Vegetation und ließ mich würgen.
»Elio? Beim Lichtmond, du solltest nicht hier sein.«
Ich wirbelte herum. Erblickte den Vertrauten meines Vaters, der sich schwer auf den Rand einer zerborstenen Kommode stützte. Getrocknetes Blut zeichnete die linke Seite seines Gesichts und Furcht ließ seine Stimme entzweispringen. Für einen Augenblick vergaß ich den kleinen Lucid und stürzte auf den ergrauten Mann zu, der mich in seine zitternden Arme zog.
Meine Finger gruben sich in den beigen Stoff seines Hemdes und ein ersticktes Schluchzen schüttelte mich. Emrys strich meinen Rücken entlang und ich spürte, dass Dirâs sich in die Umarmung stahl. Eine Weile verharrten wir in vollendetem Kummer, in still geteiltem Schmerz.
»Er ist nicht hier«, seine Augen sahen in die meinen, »und wir sollten es auch nicht sein.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wenn ich helfen kann, werde ich bleiben. Bring meinen tapferen Freund nach Barash und lasst euch dort versorgen.«
Während ich Dirâs‘ Haar zerzauste, hielt ich Emrys‘ Blick fest. Mein Gegenüber zögerte.
»Ich komme, so schnell ich kann, nach. Versprochen.«
Wieder und wieder wandten sich die beiden um, als sie schweigend das einst beeindruckende Haus verließen, das unter der schwelenden Hitze Argijas zu schwinden schien. Aurumfarbener Nebel, davongetragen von glutheißem Wüstenwind.
Sandkörner rieben über meine erhitzte Haut. Die Zunge klebte an meinem Gaumen. Ich hatte vor unzähligen Lichtläufen das letzte Mal etwas getrunken. Und immer wieder flimmerte meine Wahrnehmung, passte sich der konturlosen Umgebung an. Die meisten Viertel Adestas waren inzwischen verwaist.
Emrys hatte recht behalten: Mein Vater war weder in seinem Zuhause, noch in den Hängenden Gärten oder auf dem Marktplatz zu finden gewesen.
Ich ballte die Fäuste und schmeckte Blut, das aus meiner aufgesprungenen Unterlippe perlte. Die Mauer hinter mir strahlte eine unerträgliche Wärme aus und ich schloss die Augen. Sah Khaos‘ Gesicht, Alameas Lächeln und meinte zu spüren, wie der kühlende Wind der Königstadt unter meine Kleidung kroch. Schweiß und Tränen verbanden sich zu einem feinen Rinnsal, das meine Wangen benetzte.
Ich vergrub die Finger in meinem Haar und sank auf die Knie, während die einst so vertraute Energie der Lichtlande als Feind an meine Seite zurückkehrte.
Die Atmosphäre knisterte, lud sich auf, ehe sie die Hitze in Wellen freigab, die mich nicht länger umspülten, sondern zu ertränken drohten.
Schwindel brandete über mich hinweg. Keuchend versuchte ich aufzustehen – und scheiterte. War am Ende meiner Kräfte. Verloren an einem Ort, der sich nicht länger wie meine Heimat anfühlte.
Entfernte Schritte ließen mich blinzeln. Schemenhafte Umrisse vor einem Meer aus bunten Stoffen und zerbrochenen Existenzen.
»Hîjen ...« Ein Hauch. Ein verzweifelter Wunsch.
Dann erlöste mich Mitternachtsschwärze aus meinem Albtraum aus brennendem Gold.
2 – Alamea
Die goldene Stadt brennt.
Die Welt zerbrach. Splitterte in Facetten aus verzehrendem Weiß. Formte sich erneut zu einem Käfig aus kalter Gewissheit und Ewigkeit.
Meine Schuld.
Der einzige Gedanke, zu dem mein Geist fähig war, wurde zerschnitten, geteilt von scharfen Kanten, und zu einem Echo tausender Stimmen.
Die ewige Prinzessin darf sich nicht verlieben.
Niemals darf ihr Herz seinen Takt ändern.
Ein Fluch, ausgelöst durch Liebe.
»Alamea?« Zart wie ein Flüstern verwob sich mein Name mit einem Lied, dessen Melodie ich kannte, dessen Klang ich jedoch nie zuvor vernommen hatte. Sanft strichen kühlende Schatten über meine Finger, die angespannt Halt aneinander suchten.
Nachthimmeldunkle Augen fanden meinen Blick, holten mich zurück auf den Balkon. Zurück in die Welt, in der die Hoffnung gerade in gleißendem Licht verbrannte.
Elio.
Ein Zittern durchlief meinen Körper und übertrug sich auf die durchscheinenden rauchgrauen Fäden, die noch auf meiner Haut verweilten. Ihr Lied veränderte sich. Wurde durchzogen von einem schrillen Missklang, der meine Sorge zu Khaos trug. Seine Augen weiteten sich, als die Erkenntnis ihn ebenso für sich einnahm wie mich.
Vergessen war der Moment der Zweisamkeit, vergessen der schmerzliche Riss der Trennung. Die Sorge um unseren Freund verdrängte jedes andere Gefühl.
Entschlossen straffte ich die Schultern, die unter der Last meiner Schuld nach unten gesackt waren. Mein Blick fand erneut den Lucid, der auf Anweisungen seiner Königin wartete. Meine Anweisungen. »Weckt die Bewohner der Stadt. Sucht jedes Haus auf, in dem Merakî wohnen, und bittet sie um Hilfe. Die Lucid sollen sich an der Grenze einfinden, um den Fliehenden und Verletzten in die Stadt zu helfen.«
Er nickte und scheinbar erleichtert, eine Aufgabe zu haben, eilte er davon.
»Es wird nicht reichen. Es leben zu wenige Schattengeborene in der Königsstadt.« Mein Flüstern verlor sich in der Nacht und dennoch wusste ich, dass er mich gehört hatte.
»Ich werde meine Mutter um Hilfe bitten.« Dunkelheit wallte auf und drohte seine Gestalt zu verschlucken.
»Warte.«
Er verharrte. Finsternis tropfte von seinen Armen, umhüllte seine Beine, während seine Finger in ihrem Tanz innehielten. Doch was wollte ich überhaupt sagen? Gab es Worte für all das Unausgesprochene zwischen uns? Oder sollten manche Dinge für immer in Stille verklingen?
Er beugte sich nach vorn und seine Finger strichen hauchzart über meinen Handrücken. »Ich bin bald zurück.«
»Pass auf dich auf.« Die Schatten trugen ihn mit sich fort und mein Herz folgte ihnen. Verweilte bei dem Jungen, der sich bereits vor so langer Zeit hineingeschlichen hatte und Gefühle weckte, die selbst das Vergessen nicht hatte auslöschen können.
***
Der Tumult Barashs empfing mich, bevor ich die Gelegenheit hatte, einen Fuß vor die Tore des Palastes zu setzen. Aufgeregtes Rufen verwob sich mit tränenerstickter Stille. Angst und Unglaube legten sich wie eine erdrückende Decke über jeden Bewohner und erschwerten das Atmen.
Die Palastwachen nahmen Haltung an, doch ich sah ihre Zweifel und Fragen. Ihre Heimat wurde in diesen Augenblicken vernichtet, von der Energie, die so viele Jahre das Leben der Kontinente gespeist hatte. Die Energie, von der sie alle gedacht hatten, sie wäre zu rein und gut, um jemals einen Schaden anzurichten.
Elio.
Erneut klang der Name meines Vertrauten durch meinen Geist. Zittrig suchten meine Finger Halt an dem schimmernden Medaillon um meinen Hals. »Kommandant?«
Ein älterer Lucid trat vor und neigte den Kopf.
»Weckt alle verfügbaren Wachen. Die Verwundeten sollen zum großen Marktplatz gebracht werden. Jeder, der sich auf Heilkünste versteht, soll sich dort einfinden. Auch all jene in Lehre oder in Altersruhe. Wir werden Wasser brauchen. Und Decken. Die leeren Räume des Palastes müssen vorbereitet werden. Barash wird nicht ausreichend Platz bieten, um allen eine Übernachtungsmöglichkeit zu gewähren.«
Er nickte und gab dem Mann neben sich ein Handzeichen. »Oryn, du bleibst bei der Königin. Der Rest von euch kommt mit mir.«
Bevor ich widersprechen konnte, wandte er sich ab und verschwand in Richtung der Schlafräume der Königsgarde. Der Anhänger meiner Kette ruhte noch immer in meiner Handfläche, während ich den Blick der Lucid-Wache auf mir spürte. Verloren im silbernen Schein des Lichtmondes verweilte ich auf der Palasttreppe. Schwach, als habe das Erteilen weniger Befehle, mir jegliche Kraft geraubt.
»Alamea!« Liadain rannte über den Vorplatz auf mich zu. Ein schwarzer Umhang lag um ihre Schultern und bauschte sich hinter ihr wie eine unheilvolle Gewitterwolke. Stürmisch schlang sie die Arme um mich und ich konnte ein wenig freier atmen. »Khaos war bei mir. Ich breche sofort nach Adesta auf.« Ihr Blick streifte den Lucid schräg hinter mir, der wortlos auf seinem Posten verharrte. »Wo ist Elio?«
Ein hörbares Schlucken drang aus meiner Kehle. Antwort genug, um ihre bernsteinfarbenen Augen mit Schrecken zu erfüllen. »Oh nein.«
Tränen brannten in meinen Augen. Bilder von Elio, eingeschlossen von alles verzehrendem Gold, sandten kalte Schauer meinen Rücken hinab. Meine Schuld. »Ich begleite dich.«
Liadain schob mich von sich, um mich ansehen zu können. »Das ist zu gefährlich. Die Völker brauchen ihre Königin.«
»Und mein Licht braucht mich. Ich ...« Meine Stimme wankte und brach unter der Last meiner Schuld. Mir zu verzeihen, dass die Goldene Stadt, die Heimat der Lucid, zerstört wurde durch das zaghafte Flattern meines Herzens, würde bereits unmöglich werden. Wie sollte ich mit dem Wissen leben, dass der Mensch, der so viele Jahre meine einzige Familie gewesen war, wegen meiner Verfehlung zu Schaden gekommen war?
Noch für einen Moment ruhte ihr forschender Blick auf mir, bevor er sich auf die Palastwache richtete. »Wird er dich begleiten?«
Ich nickte zögerlich. Der Gedanke, in Begleitung eines Fremden zu sein, bereitete mir größeres Unbehagen, als ich zugeben wollte. Seine Anwesenheit verstärkte die Klagelaute der Leere, die meine Sciath gewöhnlich ausfüllten.
»Der Schutz unserer Königin hat oberste Priorität. Ihr wird nichts geschehen.« Die Stimme des Lucid namens Oryn war sanfter, als sein strenger Gesichtsausdruck vermuten ließ. Ihr Klang trug eine Erinnerung mit sich, die ich nicht greifen konnte. Als würde ich eine vertraute Melodie aus weiter Ferne vernehmen. Verwaschen und zu leise, um sie zuordnen zu können.
Gemeinsam begaben wir uns in den Strom aus Menschen, die Richtung Grenze strebten. Zahlreiche Lucid trugen grüngoldene Palmblätter mit sich, um vermeintliche Kühle zu spenden, während Merakî mit Schattenlaternen der sengenden Hitze Argijas entgegentraten.
Liadain schlug die Kapuze ihres Umhangs hoch, kurz bevor die Strahlen der Schattensonne uns dem Schutz des Lichtmondes entrissen. Der Anblick der Lichtlande ließ uns gleichermaßen erstarren. In der Ferne ertrank der Stadtkern Adestas in gleißendem Gold. Die Helligkeit verschluckte jede Kontur, machte die Gebäude unkenntlich.
Merakî eilten an uns vorbei. Trugen die wertvollen Pahnari zu den Ausläufern der ehemals eindrucksvollen Hauptstadt Argijas. Doch ihr zartes Flüstern wurde verschluckt vom zornigen Brüllen der Lichtströme. Gierig fraßen sie sich durch sandfarbene Fassaden und ließen Häuser in Staub vergehen.
Etliche Lucid eilten zwischen den Gebäuden hervor. Der schützenden Grenze entgegen. Die feinen Linien, die seit der Krönungszeremonie meinen linken Unterarm zierten, begannen zu brennen. Als wollte die Energie des Landes mich strafen. Mich teilhaben lassen an dem Leid, das mein schwaches Herz verursacht hatte.
Immer wieder tauchten die Merakî in die Schatten ein und erschienen kurz darauf mit neuen Laternen. Es war aussichtslos. Zu wenig, um dem rasenden Zorn des Lichts Einhalt zu gebieten.
Liadain löste sich aus ihrer Starre und ihre Finger begannen zu weben. Als würde sie einen Stoff anfertigen, sponn sie die durchscheinende Dunkelheit zu einem Vogel, dessen Schwingen den Flüchtenden Schatten spendeten. Ein Stöhnen entwich ihren Lippen und sie schwankte unter der Anstrengung. »Ich muss zu den Pahnari.«
»Ich begleite dich.« Einen Arm um ihre Taille geschlungen stützte ich sie, während sie mit immer neuen Fäden aus Schwärze die Löcher flickte, die das Licht in das Gefieder des Vogels fraß. Die Wüste der Lichtlande verschlang jeden unserer Schritte. Dehnte den Weg an die Stadtgrenze ins Unermessliche. Oryn folgte uns wortlos. Der vertraute Misston seiner Melodie eine stetige Erinnerung an seine Anwesenheit.
Eine junge Frau trat vor uns aus einer Häuserschlucht. Staub bedeckte ihre Wangen und ihre luftige Kleidung entblößte etliche feine Kratzer auf ihrer Haut. Ein Arm lag um die Schultern ihres Begleiters, ihre freie Hand hielt die eines Jungen. Hellblondes Haar fiel ihm in die Stirn. Verdeckte einen Teil der saphirblauen Augen.
Elio.
Kurz bevor sie uns passierten, stoppte das Kind seine Schritte. Ein unbekanntes Wort verließ seine Lippen, dann riss es sich los und rannte zurück zwischen die zerfallenden Gebäude.
Wie von selbst setzen sich meine Beine in Bewegung. Der Aufschrei der Mutter zog an mir vorüber. Liadains Rufen verblasste.
Elios Augen vermischten sich mit denen des Jungen. Wurden zu Erinnerungen eines Mädchens, gefangen in weißer Einsamkeit, dessen einziger Trost das Lachen dieser Augen war. Das Brennen meines Armes verschlimmerte sich mit jedem Schritt. Staub drang in meine Lunge, ließ meine Augen tränen. Dennoch erhaschte ich einen Blick auf hellblondes Haar, das um eine Ecke verschwand. Bevor ich die Stelle erreichte, stürzte das sandfarbene Haus neben mir in sich zusammen. Die Wolke aus Schmutz nahm mir die letzte Sicht, doch ich hörte ihn rufen.
»Hilfe!« Panik färbte seine Stimme und ließ die Silben zittern.
»Ich komme zu dir. Sprich mit mir, damit ich dich finde. Ich bin Alamea. Wie heißt du?«
»Sky.«
Trümmer ließen mich stolpern. »Wieso bist du zurückgelaufen, Sky?«
»Ich habe meine Freundin vergessen.« Tränen erstickten die Worte, doch ich konnte hören, dass er nicht mehr weit entfernt war. Der Staub legte sich für einen Moment und eine kleine Silhouette kam zum Vorschein.
Reglos stand der Junge inmitten seiner verlorenen Heimat. Wo noch vor wenigen Lichtläufen sein Lachen widergehallt hatte, herrschte nun das Schweigen zerbrochener Träume. Auf seinen Händen hielt er eine kleine Sandschwalbe, deren Flügel leblos an ihrer Seite hing. Tränen schimmerten in seinen himmelblauen Augen. »Sie kann doch nicht allein weg.«
Ich kniete mich vor ihn. »Das war sehr mutig von dir. Ich habe auch einen Freund wie dich.«
»Wo ist er?« Sky trat zu mir und die Sandschwalbe hüpfte nervös auf seinen kleinen Fingern vor und zurück.
Ich schluckte gegen den schmerzhaften Knoten an, der versuchte, mir meine Stimme zu nehmen. »Vermutlich bei jemandem, der seine Hilfe braucht.«
Eine Erschütterung fuhr durch den unebenen Boden und ließ die glühenden Funken um uns herum aufleuchten. »Lass uns deine Freundin in Sicherheit bringen, Sky.«
Tapfer wischte sich der kleine Lucid die Tränenspuren von den Wangen und reichte mir eine Hand. Mit der anderen stützte er die verletzte Schwalbe, die sich mit ihren Krallen an seinem Leinenhemd festklammerte.
Erneut zitterte die Erde und eine Welle verzehrender Helligkeit stob aus den Trümmern auf. Die Kraft der entfesselten Energie ließ die Sommersprossen auf den Wangen meines Begleiters aufflammen, als würde die Schattensonne selbst in ihnen wohnen. Er keuchte schmerzerfüllt, als sein kleiner Körper von Licht übergossen wurde.
Die goldenen Linien auf meiner Haut fingen das Leuchten auf und das Brennen wurde zu einem Inferno. Breitete sich in mir aus, durchdrang jede Zelle, wie es die Häuser um uns herum durchfloss und nichts hinterließ als Zerstörung. Und dann war es vorbei.
Beruhigend pulsierte das flüsternde Schwarz meines rechten Armes. Verband sich mit dem zornigen Licht und besänftigte es, bis die zarte Melodie das perfekte Gegenstück seines dunklen Liedes wurde. Weiße Partikel erfüllten die Luft. Kühlend wie Schatten und leuchtend wie Lumix. Das vollkommene Gleichgewicht. Eine Sinfonie aus Schwarz und Gold.
Sky atmete auf, als hätte ich eine Last von seinen Schultern genommen. Die Punkte auf seinen Wangen hatten wieder ihren ruhigen Glanz angenommen und das Saphirblau seiner Augen war nicht länger übersättigt von Licht. »Wie hast du das gemacht?«
Ich betrachtete die wogende Finsternis auf meiner Hand. »Ich weiß es nicht.« Zögerlich trat ich einen Schritt vor. Dem wütenden goldenen Brüllen entgegen. Sofort stürzte es auf mich nieder und wurde erneut von den flammenden Mustern meiner Haut aufgefangen, um kurz darauf als glitzernde Flocken die Luft zu durchziehen.
Aufmunternd lächelte ich den kleinen Lucid an. »Bleib dicht hinter mir, ja?«
Er nickte mit großen Augen und der Griff seiner zarten Finger verstärkte sich, als er hinter mich trat.
Und während uns jeder Schritt aus den Trümmern der Goldenen Stadt herausführte, hallte eine Frage in mir nach.
Ich hatte das Licht erzürnt, warum besaß ich die Macht, es zu besänftigen?
3 – Khaos
Dämmergrau umhüllte mich. Doch die lindernde Kühle der Dunkelheit verflüchtigte sich, während die Schatten mich freigaben. Zischend stieß ich die Luft aus.
»Melêo.« Ich grub die Fingerspitzen tief in die tanzenden Rauchfäden, hörte Raiden neben mir erschrocken keuchen.
Wir standen auf Höhe des äußeren Ringes der Goldenen Stadt. Entlang einer unsichtbaren Grenze reihten sich unzählige Pahnari auf. Ihre wohltuende Finsternis nicht mehr als das flackernde Licht verlöschender Lumix.
»Senkâ zu mir. Wir werden die Energie nutzen und Dunkelsegel spannen.« Die Stimme meiner Mutter zerschnitt die murmelnde Stille wie die Klinge eines Dolches. »Ihr anderen hört auf die Befehle des Sciath Ihrer Majestät.« Für den Bruchteil eines Augenblicks fand ihr Blick den meinen. Ich presste die Zähne zusammen und nickte knapp, spürte die Hand meines Freundes meine Schulter umfassen, als sich die Anführerin der Merakî, gefolgt von einer Gruppe Schattengeborener, abwandte.
»Die Lucid werden nicht nur geschwächt, sondern auch überhitzt sein. Nehmt euch ihrer an und senkt ihre Körpertemperatur.«
Ich sah zu Âme, die mit erhobenen Brauen und verschränkten Armen unweit einer Schattenlaterne stand.
»Die verbleibende Keress und ich werden die inneren Viertel nach Lichtgeborenen durchsuchen, die zu schwach sind, um sich selbst in Sicherheit zu bringen.«
Die Merakî zuckte zusammen, als hätten meine Worte ihr Schmerzen zugefügt.
»Khaos ...« Raidens Blick war in die Ferne gerichtet. Seine Augen wurden groß und seine Wangen nahmen die Farbe der erstarrten Königstadt an.
Ich wirbelte herum und mein Herz verfehlte seinen Takt.
Zwischen den Trümmern Adestas erkannte ich eine schmale Gestalt, deren Erscheinung in alle Töne des Gleichgewichts gehüllt war.
»Alamea!« Mein Schrei hallte als Echo durch die Ruinen aus Sandstein, verfing sich in flimmerndem Staub. Aufgebracht züngelte schwarzer Nebel meine Stiefel empor und ich setzte mich in Bewegung.
»Riath!«
Ich hörte meinen Freund Anweisungen brüllen, ehe jegliche Geräusche um mich herum verstummten und die Szenerie stillzustehen schien. Die Schatten federten jeden meiner Schritte, legten sich als wabernde Wolken unter meine Sohlen. Erhitzter Sand rann sintflutartig zu beiden Seiten des beinah unzugänglichen Weges entlang.
Schlitternd wich ich einem herabfallenden Stützbalken aus und winzige Holzsplitter stachen in meine Haut. Das Ausmaß der Vernichtung durch die wärmende Energie war allumfassend.
Ihre verschiedenfarbigen Augen füllten sich mit Tränen und ein kleiner Körper drückte sich auf Höhe ihrer Oberschenkel eng an sie. Ein Junge, kaum älter als vier Mondjahre. Sein helles Haar verklebt von Schmutz und Schweiß. Ein Stechen durchfuhr mein Innerstes.
Elio.
»Er braucht Hilfe. Er war allein. Ich ...« Sie schluchzte, hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Ich zog sie an mich, gab ihr Halt. Ihre Stirn sank gegen meine Brust.
»Se‘k amnes.«
Mitternachtsschwärze linderte für die Zeit eines Wimpernschlags den Schmerz von verbrennender Helligkeit.
***
Liadain hatte sich Sky angenommen, wenngleich der junge Lucid nicht von der Seite seiner Königin hatte weichen wollen.
»Was hast du dir dabei gedacht?« Auf Raidens Stirn erschien eine Sorgenfalte. Seine Hände bebten, als er versuchte, die winzigen Splitter zu lösen, die brennendes Gift durch meine Adern zu senden schienen.
Ich hob eine Braue und schwieg.
»Du bist ihr Sciath, nirgendwo steht, dass du jederzeit dein verdammtes Leben riskieren musst.«
Ein Schmunzeln schob sich in meine Mundwinkel und ich sah auf. Begegnete ihrem Blick.
Der Moment auf dem Balkon füllte mich aus, ließ meinen eigenen lebendigen Takt zu einer berauschenden Sinfonie anschwellen. Das Glühen ihrer Iriden flackerte, verbarg sich hinter einem Schleier aus Furcht und Sorge. Ich verfluchte mein Herz. Stumme Schreie erfüllten meine Gedanken, zeigten mir Augenblicke, die nie Teil meiner Wirklichkeit werden würden.
»Ich werde dich nicht allein nach dem Glühwürmchen suchen lassen, das ist dir nach dieser kopflosen Entscheidung hoffentlich klar.«
Warmes Braun traf auf den gefangenen Nachthimmel meiner Augen und im Gesicht meines Gegenübers legte sich eine Spur wissende Belustigung über tiefe Entschlossenheit, als Alamea ihm zulächelte. Ich erhob mich und begutachtete die roten Striemen entlang meiner Handrücken.
»Ich brauche dich hier. Du musst die Unseren anweisen.«
Ein Grinsen erschien auf seinen Lippen. »Weil du niemandem vertraust außer mir.«
Es war keine Frage und dennoch antwortete ich: »Weil niemand so handeln würde wie ich.«
Raiden zog mich in eine Umarmung, die ich ohne zu zögern erwiderte. »Ich lasse unsere Hoheit nicht aus den Augen, auch wenn die ihren sich nicht von der Stelle lösen werden, an der du verschwunden sein wirst.« Er gab mich frei und zwinkerte, bevor er sich an die Merakî wandte, die eine dichtgesponnene Linie aus Pahnari in unserem Rücken errichtet hatten.
Ich ging auf meinen Schützling zu, wahrte einen Abstand, der mir nur allzu schmerzhaft bewusst war. »Ich werde ihn finden und zurückbringen.«
Ihre Fingerspitzen verharrten in der Leere zwischen uns und die Schatten umflossen sie, ließen ihr die Nähe zuteilwerden, die mir versagt blieb. Die alles Leben dem Untergang weihen würde.
»Bitte sei vorsichtig.« Sie blickte auf die Dunkelheit hinab, die sich wie eine finstere Decke um ihre Hand schmiegte, sie liebkoste und mich meiner Sinne beraubte. Eilig trat ich an ihr vorbei.
»Khaos ...«
Gänsehaut rann meine Arme hinab. Tropfte unaufhörlich in mein wild stolperndes Herz.
»Mein Gleichgewicht kann ohne die Finsternis nicht existieren. Konnte es nie und es wird niemals dazu imstande sein.« Federleicht streifte Alameas Haut die meine und für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte ich, das veränderte Lied ihres Herzens hören zu können.
»Sie wird dich nicht wieder verlassen, meine Königin.«
Ich vernahm das Zittern ihres Atems, ehe ich nach der Schattenlaterne zu meinen Füßen griff und die verzehrende Hitze Adestas mich verschlang.
Der Wind wirbelte helle Sandkörner in den gleißenden Himmel empor, bevor sie als entflammte Tropfen wieder hinabregneten und zischend im Dämmergrau meiner Schatten ertranken. Ich duckte mich unter einem zerborstenen Marktstand hindurch. Das Knacken des verzierten Holzes hallte als Echo von den Überresten der Goldenen Stadt wider. Schweiß klebte mir Haare und Kleidung an den Körper. Leise knarzend schob sich das Leder meiner Armschienen zurück an seinen Platz, als ich den Stützbalken, der die verwüstete Gasse blockierte, zur Seite stieß.
Ich hatte die Lichtlande nie zuvor betreten, kannte sie nur aus Erzählungen meines Freundes und aus den Büchern, die ich aus den Bibliotheken der Königstadt entwendet hatte.
Ein verkniffenes Schmunzeln erschien auf meinem Gesicht. Ein Schattengeborener, der mehr Geschichten aus Argija als aus seiner eigenen Heimat besaß ...
»Du hättest deinen Speichellecker mitnehmen sollen.« Âmes Stimme klang gepresst.
Ich warf einen Blick über die Schulter und bemerkte das deutliche Zittern der Keress, deren Finger die Pahnari umklammerten wie einen rettenden Anker inmitten eines aurumfarbenen Ozeans.
»Mein Interesse, den Sciath zu finden, könnte nicht weniger vorhanden sein.« Sie hob das Kinn und funkelte mich zornig an.
Eine Sandböe nahm uns die Sicht und ein klagendes Seufzen drang an meine Ohren. Âme stolperte nach vorn und ihre Schulter stieß gegen die meine.
»Bei der Schattensonne, dieser Kontinent verachtet die Dunkelheit. Wieso also sollten wir den Kâjiev helfen?« Sie spie die abfällige Bezeichnung für die Lucid zwischen die Gebäudeschluchten, wartend, ob die Wüste selbst ihr antworten würde.
»Nein, er verachtet nur die deine, Kilith.«
Ohne mich noch einmal umzusehen, verschwand ich in den schreienden Verwirbelungen brennender Helligkeit.
Mein Hals fühlte sich wund an und ich lehnte mich hustend gegen eine zerbrochene Säule. Ich wusste nicht, wie viele Schattenläufe vergangen waren, denn wenngleich sich der Schein des grell leuchtenden Himmelskörpers etwas abzuschwächen schien, verlor die Wärme nicht an Kraft. Das immer gleiche Bild der Zerstörung hatte mich die Orientierung verlieren lassen. Mit dem Handrücken wischte ich die salzige Feuchtigkeit von meiner Stirn. Versuchte, meine Atmung zu beruhigen. Doch mit jeder verstreichenden Sekunde schrie meine Lunge mehr nach der wohltuenden Kühle Andtherâs.
Mein Fuß stieß gegen das Laternengehäuse und ein letzter schwarzfunkelnder Rauchfaden verband sich mit der Finsternis, die meine Gestalt träge umfloss. Ein überreiztes Lachen löste sich aus meiner Kehle, während ich den Kopf in Nacken legte und blinzelnd das endlose Firmament betrachtete.
»Bestraf mich! Dafür, dass ich fühle, was ich nicht fühlen sollte. Lass mein Herz in Flammen aufgehen, weil ich niemals ihre Zukunft sein werde. Aber du wirst uns nicht den Goldjungen nehmen. Riath!« Meine Faust traf auf hellen Stein und goldene Partikel stoben davon, stachen schmerzhaft in meine Haut. Aufgebracht zischend wanden sich die Schatten um die haarfeinen Schnitte meiner Fingerknöchel, doch ihre beruhigende Wirkung verblasste im Angesicht der zerbrochenen Hauptstadt. Wurde zu einer fernen Erinnerung.
Meine Sicht verschwamm und ein unerträglicher Schwindel erfasste mich. Ich ballte die Fäuste und setzte mühsam einen Schritt vor den anderen.
Von Staub bedeckte Farben bäumten sich zaghaft auf, als ein Luftstrom die Stoffe durchdrang und sie zu einem Inferno aus Tönen verwirbelte. Flüsternd stürzten graue Rauchfäden auf Höhe meiner Brust der Erde entgegen, beschleunigten meine Schritte. Trugen mich der Grenze aus wabernder Schwärze entgegen, die als fließende Linie am Horizont erschien. Durch einen undurchdringlichen Schleier aus flimmernder Hitze sah ich Raiden auf mich zulaufen. Ich wandte mich schwer atmend zu den Trümmern Adestas um und ein grimmiges Lächeln schob sich in meinen Mundwinkel.
»Licht ohne Schatten verbrennt ...«
Meine Worte verloren sich zwischen Sand und Gold. Dann fiel ich auf die Knie und Mitternachtsschwärze flutete meine Sinne. Nahm die verzehrende Helligkeit mit sich fort.
***
Das Brennen wich sanfter Frische und der Geruch von Gewürzen kitzelte meine Nase. Ich öffnete die Augen, fand den Blick von verschiedenfarbigen Iriden. Ein strenger Zug hatte ihren Mund für sich eingenommen und ihre Finger hielten das feuchte Tuch so fest umklammert, dass ein stetiges Zittern sie überfiel. Augenblicklich tropfte die Finsternis von meiner noch immer erhitzten Haut, umfing mein Gegenüber und Alamea atmete tief ein und aus.
»Ihr solltet euch um ihn sorgen. Mir geht es gut.«
Ein liebevolles Funkeln trat in ihr Saphir- und Mitternachtsblau. Das Beben ihrer Hände versiegte und einem Impuls folgend schob ich meine Fingerspitzen über die ihren. Die Schatten malten verschlungene Muster, die über ihren Handrücken zu tanzen schienen. Rosa betupfte die Wangen meines Schützlings und mein Herz fiel, ehe es in einem allumfassenden Funkenregen explodierte.
»Du kannst sie nicht belügen.« Meine Stimme klang rau, als würden die Worte über Fels geschliffen. Sie vermied es, mich anzusehen, legte den kräutergetränkten Stoff zur Seite und betastete meine linke Schläfe. Ich zuckte unwillkürlich zusammen.
»Es wird eine Narbe zurückbleiben. Du bist auf einem Stein aufgeschlagen. Raiden ist beinah umgekommen vor Sorge.«
Ihr Blick fand den meinen. Ich umfasste ihr Handgelenk, bevor sie die Möglichkeit hatte, sich zu entfernen.
»Khaos, ich …« Ich fuhr mit dem Daumen über ihre Lippen, ignorierte die Gänsehaut, die meine Arme hinabrann. Spürte, wie sich ihr Atem beschleunigte, fand den Gleichklang unserer Herzen und richtete mich auf.
»Auch wenn ich nicht mehr haben darf ... gib mir diesen einen Moment. Damit ich mich erinnern kann. Prinzessin ...«
Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und sie umklammerte meine Finger. Ich fing den salzigen Tropfen auf, wischte die verräterische Spur fort, deren Geheimnis sich nur allzu offensichtlich auf Alameas Zügen spiegelte.
»Es ist meine Schuld, all das Leid und der Schmerz. Elios, der Lucid, der Merakî ... der deine«, flüsterte sie und ich betrachtete sie. Nahm jeden Zentimeter ihrer Gestalt in mich auf, füllte meine Seele mit ihrer Anwesenheit, ehe mein Blick zwischen dem ihren und dem leicht geöffneten Mund unendliche Kreise zog.
»Dann bin ich ebenso schuldig.« Strähnen ihres weißen Haares umflossen meine Fingerspitzen, verfingen sich in nebelgrauen Rauchfäden. »Und meine Schuld wiegt schwerer.«
Irritiert runzelte sie die Stirn. »Weshalb?«
Lächelnd gab ich sie frei. Zog mich zurück, als Schritte vor dem Eingang des vor Dunkelheit wispernden Zeltes erklangen. »Weil sie bereits seit zehn Mondjahren besteht.«
Ein erstickter Laut drang an meine Ohren, schlug seine Klauen in mein Innerstes, während ich mich erhob.
Ein ewiger Wunsch, zerfasert im vollendeten Fall der Wirklichkeit. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Alamea ebenfalls aufstand. Halt suchte und ihn fand, weil ich ihr meinen Arm anbot. Die Wärme ignorierend, die mich in Wogen umspülte.
»Du bist wach.« Ein stummes Dem Lichtmond sei Dank verlor sich in der Kehle meiner Mutter, die kurz darauf den Kopf in Richtung meines Schützlings neigte.
»Aufgrund deines Zusammenbruchs habe ich entschieden, die Goldene Stadt von den Unseren nicht mehr betreten zu lassen. Es ist zu riskant, insbesondere für die Flüsterer in unseren Reihen.«
Ich presste die Zähne zusammen und nickte, fühlte im selben Moment, wie schwer und gegensätzlich die Entscheidung zu meinem eigenen Willen wog.
»Sind nicht gerade die Keress, neben den Senkâ, unsere größte Hoffnung, was die Kontrolle der Lichtenergie betrifft?« Die filigranen Linien entlang Alameas linkem Unterarm glommen auf, lockten die neugierigen Schatten an, die sich leise wispernd entlang ihrer funkelnden Haut drängten.
Die Anführerin der Merakî hob eine Augenbraue und vermied es, mich anzusehen. »Kennt ihr die Bedeutung der Erwählten nicht, Euer Hoheit?«
Ich räusperte mich vernehmlich, doch meine Mutter lächelte wissend, ehe sie fortfuhr.
»Natürlich hat euch mein Sohn nicht offenbart, dass die Ausbildung eines Keress nicht nur hart und kräftezehrend, sondern für die meisten zum Scheitern verurteilt ist. Es zählt weniger der eigene Traum als die innere Kraft und Reinheit der Seele, die man vor der Finsternis nicht verbergen kann. Wenn man seine Wahl getroffen hat, ist die Dunkelheit weder zurückhaltend noch sanft.«
Bestätigend formierten sich die dunklen Rauchfäden um meine Beine, ertränkten meine Stiefel und krochen bis zu meiner Brust hinauf. Ihre Hand verließ meinen Arm, da die Schwärze beinah beißend kalt und so dicht wurde, dass meine Umrisse in wirbelnden Strudeln verwischten. Ihr Blick fand den meinen.
»Wie viele Schattengeborenen bestehen die Prüfung?« Alameas Frage war kaum mehr als ein Hauch, ehrfürchtig und von Verunsicherung umklammert.
»Âme war die Letzte«, entgegnete ich leise.
Erstaunen tanzte durch saphir- und mitternachtsblaue Iriden.
»Unser Volk zählt zwei Flüsterer, seit Belem vor fünfzehn Mondjahren zu den Sternen gegangen ist.« Eine Mischung aus Stolz und Trauer zeichnete Rîonas Züge weich.
Ich runzelte die Stirn und vermied es, in die Augen meines Schützlings zu sehen. Umfing stattdessen die kribbelnden Nebelfäden und ließ meine Finger behutsam dem Takt des Liedes folgen, das mich bereits mein Leben lang begleitete.
»Ihr versteht also möglicherweise, weshalb ich sie nicht länger in Gefahr bringen möchte. Auch nicht, um den sonnengeküssten Sciath zu retten, der Euch mehr zu bedeuten scheint als der Wächter an eurer Seite.«
Ich ballte die Fäuste, während die Kälte auf das Antlitz meiner Mutter zurückkehrte. »Ich erwarte dich an unserem äußeren Flügel.« Eine weitere Verbeugung, ehe sie das Zelt verließ und der Knoten, der mein Innerstes zusammenpresste, mir den Atem nahm.
»Bitte bleib hier. Ich werde Raiden zu dir schicken und komme zurück, sobald ich kann.« Ich spürte den Luftzug ihrer Bewegung, doch befand mich bereits außerhalb ihrer Reichweite. Wenngleich ich wusste, dass die Wahrheit nicht weiter entfernt hätte sein können, fraßen die letzten Worte der Anführerin der Merakî ein Loch in mein Herz. Und der Schmerz, der aus einem Regenschauer einen Gewittersturm geformt hatte, begrub jegliche Vernunft unter sich.
Ich wartete Alameas Zustimmung nicht ab, sondern verließ den von Emotionen durchzogenen Raum, bevor das hämmernde Trommeln in meiner Brust zur Qual wurde.
»Meelias, die Segel reichen bis in den ersten inneren Kreis.« Der junge Mann wischte sich über die schweißnasse Stirn und seine linke Hand vollführte eine Bewegung, die an den Fall einer Welle erinnerte. Eine respektvolle Geste, die für gewöhnlich nur meiner Mutter zuteilwurde. Hauchzart umgab die Finsternis seine Gestalt, zog sich augenblicklich zurück, als das Dämmergrau von meiner Silhouette tropfte.
»Wie geht es euch?« Meine Frage schien ihn zu verunsichern und er senkte den Kopf. Ich trat auf ihn zu, legte eine Hand auf seine Schulter und vorsichtig hob er den Blick.
»Es ... es ist kraftraubend. Für uns alle. Aber wir wollen helfen und unsere Königin unterstützen.« Ein stolzer Glanz schob sich in seine Augen, während er nickend seine Worte bestätigte.
Ein Schmunzeln teilte meine Lippen.
»Liberare.« Ebenso wispernd wie meine Stimme wanden sich die Schatten entlang der Arme meines Gegenübers und der Merakî seufzte. Ich hatte nicht die Macht, Wunden zu heilen, jedenfalls nicht solche, die von außen sichtbar waren, aber ich konnte Linderung verschaffen.
»Das solltet Ihr nicht tun, ich bin ...«
»Ein starker, aufopferungsvoller Mann, der sein Leben riskiert, um das der Anderen zu bewahren. Ich danke dir.« Ich zog meine Finger zurück und er sank in eine Verbeugung.
»Es steht mir nicht zu, diese Dinge laut zu äußern, aber ... die Euren sind glücklich, dass Ihr vor zehn Mondjahren unverhofft zurückgekehrt seid. Wir erweisen der Anführerin Respekt und sind dankbar für ihren Schutz. Doch Ihr verleiht uns Hoffnung.« Ein Lächeln erschien auf seinen Zügen, ehe er noch einmal die Geste wiederholte und an mir vorbei trat.
»Wie ist dein Name?«
»Neerio, Meelias.« Der Wüstenwind schob eine dunkelgraue Haarsträhne aus seiner Stirn und entblößte eine frische Narbe entlang der rechten Schläfe. Ich verneigte mich und hörte ihn überrascht Luft holen.
»Ich danke dir, Neerio. Mira soleire adras.« Das Rot stand in starkem Kontrast zu seinen blassen Wangen und ließ mich erneut schmunzeln. Ich sah ihm nach, genoss die Kühle auf meiner Haut und betrachtete die dicht gewobenen Segel aus Dunkelheit, die einen breiten Korridor bildeten. Und somit nicht nur die Schattengeborenen, sondern auch die Lucid vor der einst lebensspendenden Energie der Schattensonne schützten.
»Wenn du nicht willst, dass sie dir ein Denkmal errichten oder deine Hütte mit Khoeli fluten, solltest du aufhören, so unsäglich liebenswert zu sein, Meelias.« Die andtherianische Bezeichnung für Anführer betonte Raiden breit grinsend, ehe er einen Arm um meine Schultern legte und ich sein Grinsen augenrollend erwiderte.
Wir setzten uns in Bewegung, bahnten uns einen Weg zwischen Pahnari, verletzten und trauernden Lichtgeborenen und erschöpften Merakî hindurch. Das Lager entlang der unsichtbaren Grenze war unzulänglich errichtet worden, es fehlte an Bequemlichkeit und ausreichend Platz, um Wunden zu versorgen. Mein Blick glitt in die Ferne, zu den Trümmern der Goldenen Stadt, deren imposante Bauwerke vereinzelt noch immer in funkelnde Stürme aus Licht zerfaserten. Der gleißende Himmelskörper hatte seinen Höchststand verlassen und erlaubte seinem Volk, zu Atem zu kommen, bevor der Verlust ihrer Existenzen ihre Herzen erneut zerbrechen würde.
»Khaos, ich muss dich sprechen.« Liadain fuhr sich unwirsch durch die gelösten Strähnen ihres Zopfes. Ihr Brustkorb hob und senkte sich unstet und die Hitze hatte Spuren auf ihrer Haut hinterlassen, die sich gemeinsam mit hellem Staub zu filigranen Mustern entlang ihres Gesichts und Halses verband. In diesem Moment umfing meine Finsternis ihre verschränkten Hände und sie atmete dankbar auf.
»Elio ist noch nicht gefunden worden. Ich halte es für das Beste, wenn du Alamea zurück ins Schloss begleitest. Wir dürfen sie keiner weiteren Gefahr aussetzen. Und sie braucht einen Vertrauten an ihrer Seite.«
Nickend stimmte mein Freund unserem Gegenüber zu. »Ich habe vor einem halben Schattenlauf nach ihr gesehen. Sie ist erschöpft und ihre Sorge um ihren Sciath wird sie ohnehin den Schlaf kosten. Aber vielleicht lässt ein weiches Bett sie zumindest bis zum nächsten Licht-Schatten-Wechsel ausruhen.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und musterte die beiden aufmerksam. »Dieser Vertraute kann nicht ich sein.«
Liadain und Raiden wechselten einen Blick, den ich nicht zu deuten vermochte.
»Wir sollten es nicht den zuständigen Palastwachen überlassen, über ihren Schutz zu entscheiden. Wenngleich Oryn seine Pflicht sicherlich erfüllen würde, lässt er sich leicht von anderen Aufgaben ablenken.« Die Merakî schüttelte nachdenklich den Kopf.
Ich runzelte die Stirn. Dieser Name war mir fremd und sorgte dafür, dass ein leises Vibrieren die rauchgrauen Fäden entlang meines Körpers aufschreckte.
»Raiden wird dich über alles unterrichten. Sobald es unserer Königin besser geht, kannst du zurückkehren und bei der Suche helfen.« Die Senkâ lächelte wissend, doch die Sorge in ihren Augen konnte sie nicht verbergen. Die Lucid, die bereits vor unzähligen Schattenläufen aus der tödlichen Hitze Adestas entkommen waren, waren geschwächt und innerlich leer. Wie wahrscheinlich war es, dass Elio im von Aurum zerflossenen Herzen Argijas noch immer ausharrte?
***
»Ich danke Euch.« Die Schattengeborene eilte davon, nachdem ich das Innere ihrer Pahnari mit Dunkelheit geflutet hatte, und ich warf einen Blick über meine Schulter. Nicht einmal die Hälfte des Weges lag hinter mir. Die Lagerstätte war überfüllt, zwischen mattem Gold war das Aufbäumen der Schatten einem kraftlosen Fluss diffusen Halbdunkels gewichen. Noch immer waren die Weber damit beschäftigt, durchscheinende Bahnen aus Schwärze zu erschaffen oder auszubessern, um der erschöpfenden Wärme Einhalt zu gebieten.
»Khaos.« Die Stimme meiner Mutter erklang zu meiner Rechten und in ihre sonst von Beherrschung gezeichneten Zügen hatten sich Müdigkeit und Sorge gemischt.
»Ich werde meinen Schützling zum Palast zurückbringen, dann kannst du über alle verbleibenden Energien meinerseits frei verfügen.«
Ihre Hand umfasste meine Schulter, als ich im Begriff war, an ihr vorbeizutreten. »Wir haben den Sohn des Statthalters nicht finden können. Und es gibt niemanden, den ich der Gefahr von tödlichem Licht und herabstürzenden Ruinen aussetzen werde.«
Ich spürte die Kälte meine Arme hinaufkriechen, hörte das zornige Flüstern meiner Nijalî.
»Keine Sorge, Anführerin, ich werde gehen.« Dünne Rinnsale geformt aus der Farbe der Nacht benetzten meinen Hals, umfingen mein Kinn, hoben es an und ich sah, wie Rîona beinah unsicher einen Schritt zurücktrat.
»Das kann ich nicht zulassen ...« Ihre Augen ertranken in ungeweinten Tränen.
»Ich werde dich nicht um Erlaubnis bitten.« Ich wandte mich ab, sah die Welt durch einen rauchgrauen Schleier.
»Du bist mein Sohn! Du wirst dich nicht für einen von ihnen opfern.«
Mit geballten Fäusten wirbelte ich herum, meine Antwort ein düsteres Knurren: »Er ist mein Bruder, mein Gleichgewicht. Nichts, was du jemals verstehen könntest, da dein Herz zerfressen wurde von Angst, Wut und dem Gefühl, dich stetig beweisen zu müssen. Aber das meine ist bereit, für diejenigen zu kämpfen, die Spuren auf meiner Seele hinterlassen haben.«
Dann nahm die Dunkelheit mich mit sich fort und ich fand mich binnen eines Atemzuges vor dem Zelt wieder, in dem ich Alamea zurückgelassen hatte.
Ich schlug die schweren Stoffbahnen zurück und betrat den verwaisten Raum, dem noch immer der Duft nach Jasmin anhaftete. Mein Puls beschleunigte sich und ihr Name verließ lautlos meine Kehle, während ich rückwärts aus der Unterkunft stolperte.
»Du bist zurück.« Wüstenstaub bedeckte ihre weißen Strähnen, klebte auf ihrer feuchten Haut. Alamea gab einen überraschten Laut von sich, als ich sie an mich zog, meine rechte Hand in ihrem Haar vergrub und nah an ihrem Ohr murmelte: »Festhalten, Prinzessin.«
Die hellen Töne ertranken im Mitternachtsdunkel, das uns zurück hinter farblose Mauern brachte. Fort von ewiger Wärme, zerrinnender Helligkeit und der zerstörten Balance unseres Seins.
Fort von der vertrauten Melodie des Lichts.
Seiner Melodie.
4 – Elio
Schritte erklangen auf dem hellen Stein. Sie wirkten nicht ängstlich, nicht wie ich mich fühlte, seit ich der Prinzessin begegnet war. Unsicher. Angst hatte ich keine, nicht vor ihr. Ich war älter und ihr Sciath, da durfte ich mich nicht fürchten.
Vaters Finger drückten sanft meine Schulter und ich machte mich größer. Die Tür öffnete sich und ich hielt die Luft an. Als hätte eine fremde Stimme mir zugeflüstert, dass das Licht besonders hell scheinen musste, wenn die Dunkelheit anwesend war.
»Elio, das ist Khaos. Er wird die Prinzessin gemeinsam mit dir beschützen.« Das Lächeln meines Vaters war warm und seine Hand schob mich in Richtung des fremden Jungen. Ich schluckte. Seine schwarze Kleidung war anders. Grob und schmucklos. Mit zusammengepressten Zähnen drehte ich den verzierten goldenen Knopf meiner Jacke, versuchte, ihn in meiner Faust zu verstecken, und beugte mich vor. Ein leises Lachen erklang.
»Was tust du da?« Seine Stimme jagte einen Schauer über meine Arme. Ich hatte sie noch nie zuvor gehört und dennoch brachte sie etwas tief in mir zum Klingen. Er streckte mir seine Hand entgegen und ich sah ihm ins Gesicht. Er hatte die linke Augenbraue erhoben und ein schiefes Grinsen kräuselte seine Lippen. Doch das war es nicht, was mich schlucken ließ. In seinen Iriden tanzten Sterne. Ein Nachthimmel, umrahmt von dunklen Wimpern.
»Ich weiß nicht ...«, murmelte ich und ergriff beinah vorsichtig seine Finger. Zuckte zusammen, als sich die Kühle seiner Haut mit der Energie Argijas verband.
Khaos lehnte sich verschwörerisch vor. Das Grinsen hallte in seinen Worten nach. »Dann lass es. Tu nie etwas, dessen du dir nicht sicher bist. Und niemals etwas, nur weil es jemand von dir erwartet.«
Unsere Blicke hielten einander fest. Schattensonne und Lichtmond. Verbunden durch farblose Ewigkeit.
***
Getrocknete Tränen verschleierten meine Sicht. Brannten salzige Spuren auf meine Wangen und die Hitze, die meine Lunge versengt hatte, stach Glassplittern gleich in meine Kehle. Stöhnend versuchte ich mich aufzurichten, sah den nächtlichen Himmel Andtherâs und mein Herz stolperte. »Hîjen ...« Ein Hauch, den der Wüstenwind davontrug, gefolgt von einem leisen Brummen, das mich inmitten der Bewegung innehalten ließ.
Auf meinem Oberschenkel saß, den Kopf zur Seite gelegt und die runden Ohren aufmerksam aufgestellt, ein Kôhara. Ein sandfarbenes Nagetier mit buschigem Schwanz und amberfarbenen Knopfaugen. Diese Geschöpfe waren für gewöhnlich eher scheu und wagten sich selten in die Nähe von Menschen.
»Sei nicht so aufdringlich, Meelo! Du bist der Einzige deiner Art, der die gesunde Vorsicht den Lichtgeborenen gegenüber verloren hat.« Der kleine Kerl schien summend zu antworten und ich versuchte, die Quelle der Stimme auszumachen, die wie ein leises Echo zwischen den schiefen Wänden des höhlenartigen Raumes widerhallte.
»Wer bist du? Und wo bin ich?« Die Worte ließen mich husten und klangen so fremd, als wären es nicht meine eigenen gewesen. Ein weiteres Mal versuchte ich aufzustehen und ein entsetzter Schrei entkam meinen trockenen Lippen. Ich konnte mein rechtes Bein nicht belasten. Panisch umfasste ich mein Knie mit beiden Händen und unterdrückte ein schmerzerfülltes Wimmern.
»Das würde ich lassen, wenn ich du wäre, Sirîn.«