The Players' Table – Wer nicht mitspielt, hat verloren - Jessica Goodman - E-Book
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The Players' Table – Wer nicht mitspielt, hat verloren E-Book

Jessica Goodman

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Beschreibung

Der perfekte Highschool-Thriller: eine Prise »Gossip Girl«, ein Hauch »Elite« und viel Spannung. Demnächst als Miniserie bei HBO MAX mit Sängerin Halsey. Graham hat Shaila nicht getötet. Diese SMS stürzt Jills Welt ins Chaos. Dabei will sie doch nur ihr Abschlussjahr genießen, an der Spitze der Players – der It-Clique ihrer Eliteschule. Die Players feiern nicht nur die besten Partys, sie haben auch beste Beziehungen und viel Macht. Aber Macht schützt nicht vor Unglück, sonst wäre Jills Freundin Shaila drei Jahre zuvor nicht von ihrem Freund erschlagen worden. Schwer genug, mit dieser Erinnerung zu leben. Doch falls Graham wirklich unschuldig ist, gibt es ein Problem: Shaila starb auf einer Players-Party. Und Jills Freunde waren alle mit dabei.  Elitär und hochgefährlich - ein Thriller zum Mitfiebern! »Dieser Highschool-Thriller – eine perfekte Variante von Gossip Girl und der Netflix-Serie Elite – hat alles, was es braucht.« Elle

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JESSICA GOODMAN: THE PLAYERS’ TABLE – WER NICHT MITSPIELT, HAT VERLOREN

Aus dem Englischen von Birgit Maria Pfaffinger

Graham hat Shaila nicht getötet. Diese SMS stürzt Jills Welt ins Chaos. Dabei will sie doch nur ihr Abschlussjahr genießen, an der Spitze der Player – der It-Clique ihrer Eliteschule. Die Player feiern nicht nur die besten Partys, sie haben auch beste Beziehungen und viel Macht. Aber Macht schützt nicht vor Unglück, sonst wäre Jills Freundin Shaila drei Jahre zuvor nicht von ihrem Freund erschlagen worden. Schwer genug, mit dieser Erinnerung zu leben. Doch falls Graham wirklich unschuldig ist, gibt es ein Problem: Shaila starb auf einer Player-Party. Und Jills Freunde waren alle mit dabei.

Messerscharf und hochgefährlich – ein Thriller zum Mitfiebern!

WOHIN SOLL ES GEHEN?

Buch lesen

Viten

 

Für Mom und Dad

Weil ihr mir Flügel und Wurzeln geschenkt habt

PROLOG

Es ist ein Wunder, dass überhaupt wer die Highschool überlebt. Überall lauern Gefahren und versteckte Fallen. Wenn du nicht an gebrochenem Herzen stirbst, kannst du immer noch bei einem total klischeehaften – aber deswegen nicht weniger tragischen – Unfall umkommen: Alkohol am Steuer, aufs Handy geschaut und eine rote Ampel übersehen, zu viele von den falschen Pillen geschluckt. Aber Shaila Arnold hat was anderes das Leben gekostet.

Technisch gesehen lautete die Todesursache stumpfe Gewalteinwirkung, ausgeübt durch ihren Freund Graham Calloway. Angesichts des in ihrer Lunge gefundenen Salzwassers wäre eigentlich Tod durch Ertrinken die naheliegende Schlussfolgerung gewesen, aber bei genauerem Hinsehen fand man eine Beule an ihrem Kopf und zähes, klebriges Blut in ihren langen, honigblonden Haaren.

Stumpfe Gewalteinwirkung. So steht es im Totenschein. So steht es in den Akten. Trotzdem ist es nicht der wahre Grund für ihren Tod. Nie und nimmer. Wenn man mich fragt, dann ist sie an Wut gestorben. Und an Verrat. Daran, dass sie zu viel auf einmal wollte. Daran, dass sie nie genug bekam. Ihre Wut war grenzenlos. Das weiß ich, weil meine es auch ist. Warum mussten wir leiden? Warum wir? Und wie haben wir die Kontrolle verloren?

Ich weiß schon gar nicht mehr so genau, wie wir davor waren – als Wut noch etwas war, das wieder verging. Ein vorübergehendes Gefühl, ausgelöst durch einen Streit mit Mom oder meinem jüngeren Bruder Jared, weil er sich zu Thanksgiving das letzte Stück Apfelkuchen krallte. Damals war Wut noch etwas Einfaches, denn sie hatte keinen Bestand. Sie war wie eine Welle, die krachend ans Ufer schlägt, bevor das Wasser sich wieder beruhigt. Immer beruhigte sich alles wieder.

Aber jetzt ist es, als würde in meinem Innern ein Monster hausen, das nur darauf wartet, ans Freie zu dringen. Ob Shaila sich kurz vor ihrem Tod auch so gefühlt hat?

Es heißt, nur die Guten sterben jung. Aber das ist nur eine dumme Zeile aus einem dummen Lied, das wir früher immer gesungen haben. Es ist nicht die Wahrheit. Die Wahrheit sieht anders aus. Das weiß ich, weil Shaila Arnold vieles war – klug und witzig, selbstsicher und wild. Aber mal ganz ehrlich? Gut war sie nicht.

1

Der erste Schultag nach den Ferien ist jedes Jahr unweigerlich mit einem verbunden: dem Gedenken an Shaila. Eigentlich sollte sie heute ihr letztes Schuljahr antreten. Aber stattdessen ist sie – wie schon seit drei Jahren – tot. Und wir werden ein letztes Mal daran erinnert.

»Bist du bereit?«, fragt Nikki, als wir in den Parkplatz einbiegen. Sie schaltet den glänzend schwarzen BMW, den ihre Eltern ihr zum Schulbeginn geschenkt haben, in den Parkmodus und nimmt einen großen Schluck von ihrem Iced Latte. »Ich nämlich nicht.« Sie klappt die Sonnenblende auf und pinselt sich wassermelonenfarbenen Lippenstift auf den Mund. Dann kneift sie sich so lange in die Wangen, bis sie rot leuchten. »Wieso bringen sie nicht einfach eine Gedenktafel an oder veranstalten einen Wohltätigkeitslauf? Das hier ist die reinste Folter.«

Nikki hat schon am letzten Tag vor den Ferien angefangen, die Tage bis zum Beginn unseres letzten Schuljahres zu zählen. Heute rief sie mich um 6:07 Uhr an und wartete nicht mal, bis ich ein schläfriges Hallo murmeln konnte. »Sieh zu, dass du in einer Stunde fertig bist, sonst musst du dir eine andere Mitfahrgelegenheit suchen«, rief sie ins Telefon, während im Hintergrund der Fön rauschte.

Sie musste nicht mal hupen, als sie bei uns vorfuhr. Der ohrenbetäubende Klang von Whitney Houstons »How Will I Know« verriet mir, dass sie draußen wartete. Wir beide haben eine Schwäche für Achtzigerjahre-Musik. Nikki sah aus, als hätte sie schon zwei extragroße Starbucks-Kaffees intus und käme direkt vom Stylisten. Ihre dunklen Augen funkelten unter einer Schicht aus glitzerndem Lidschatten, die Ärmel ihres Blazers waren betont lässig über die Ellbogen gekrempelt. Nikki ist eine der wenigen, die es hinkriegen, in unserer hässlichen Schuluniform cool auszusehen.

Zum Glück war ich in der Nacht davor von Albträumen verschont geblieben und meine fast schon chronischen Augenringe waren verschwunden. Außerdem schadete es nicht, dass ich genug Zeit gehabt hatte, mir die Wimpern zu tuschen und die Augenbrauen zu zupfen.

Als wir losfuhren, war ich vor Aufregung ganz hibbelig. Endlich war es so weit. Endlich standen wir an der Spitze.

Aber jetzt, wo wir tatsächlich hier sind, auf dem für die Abschlussklasse reservierten Parkplatz der Gold Coast Prep Highschool, läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Erst müssen wir noch die Gedenkfeier für Shaila hinter uns bringen, die über uns hängt wie eine Wolke, die uns jederzeit die Party verregnen kann.

Shaila ist die einzige Schülerin, die während ihrer Zeit an der Gold Coast Prep gestorben ist. Deshalb wusste anfangs keiner so recht, was das Protokoll in einem solchen Fall vorsieht. Irgendwie gelangte man schließlich dennoch zu einer Entscheidung. Die Schule beschloss, jedes Jahr mit einer viertelstündigen Zeremonie für Shaila zu beginnen. So lange, bis unser Jahrgang seinen Abschluss macht. Im Gegenzug spendierten die Arnolds der Englischabteilung einen neuen Flügel in Shailas Namen. Das hatte unser Rektor, Mr Weingarten, geschickt eingefädelt.

Die Erinnerung an Graham Calloway wollte niemand hochhalten. Er wurde mit keinem Wort erwähnt.

Letztes Jahr war die Veranstaltung ganz okay gewesen. Rektor Weingarten hatte sich vorne hingestellt und uns erzählt, wie gerne Shaila Mathe gemocht hatte – totaler Schwachsinn – und mit welcher Begeisterung sie den Mathe-Leistungskurs belegt hätte, wenn sie noch unter uns wäre – echt daneben. Wie im Jahr davor waren auch Mr und Mrs Arnold anwesend. Sie saßen in der ersten Reihe und tupften sich mit verschlissenen altmodischen Baumwolltaschentüchern, in denen wahrscheinlich noch die Rotzreste der vergangenen Jahrzehnte hingen, die Tränen von den Wangen.

Wir saßen zu sechst neben ihnen, an vorderster Front. Shailas Hinterbliebene. Ursprünglich waren wir mal zu acht, aber seit jener Nacht sind nur noch sechs von uns übrig.

Quentin erwartet uns auf dem Parkplatz. »Wir sind in der Zwölften, Bitches!«, ruft er und wedelt mit einem Blatt Papier vor meinem Fenster herum. Darauf ist eine Zeichnung von uns dreien: Nikki mit dem Richterhammer der Jahrgangssprecherin, ich mit einem Teleskop, das doppelt so groß ist wie ich, und ein feuerroter Quentin – passend zu seinen Haaren. Beim Anblick dieses kleinen Trios wird mir ganz warm ums Herz.

Ich kreische vor Freude über den echten Quentin, stoße die Autotür auf und falle ihm um den Hals.

»Da bist du ja!«, sage ich und vergrabe das Gesicht in seiner weichen Brust.

»Ach, Jill.« Er lacht. »Komm her, Nikki.« Sie schlingt die Arme um uns und ich atme den Duft von Quentins frisch gewaschenen Klamotten ein. Nikki drückt mir einen klebrigen Kuss auf die Wange. Kurz darauf tauchen auch die anderen auf. Robert, das dunkle Haar zurückgegelt, zieht noch mal an seinem nach Minze duftenden Vaporizer, bevor er ihn in der Tasche seiner Lederjacke verschwinden lässt. Eigentlich müsste er jede Menge Strafpunkte kassieren, weil er seinen Blazer nicht trägt, aber irgendwie kommt er immer damit durch. »Muss das wirklich schon wieder sein?«, fragt er.

»Was meinst du? Die Schule oder den Gedenkgottesdienst?« Henry stellt sich hinter mich, legt mir eine Hand auf den Hintern und knabbert an meinem Ohrläppchen. Er riecht unfassbar männlich, nach frisch gemähtem Gras und teurem französischen Deodorant. Ich werde rot und muss daran denken, dass man uns heute zum ersten Mal zusammen in der Schule sieht. Ich schmiege mich enger an ihn und lege den Kopf an seine Schulter.

»Was glaubst du denn?« Robert verdreht die Augen.

»Hört auf, ihr zwei«, sagt Marla und schleudert ihren platinblonden Zopf über die muskulöse Schulter. Sie ist braun gebrannt, denn sie hat den Sommer in Neuenglands bestem Feldhockey-Trainingscamp verbracht. Hinter ihrem Rücken ragt der mit Klebeband umwickelte Schaft ihres Schlägers aus einem Batikbeutel und weist sie unverkennbar als Mitglied der Schulmannschaft aus.

»Na gut«, brummt Robert. »Bringen wir’s hinter uns.« Er geht voran in den grasbewachsenen Innenhof, der nach einem Sommer ohne Schüler unberührt und perfekt getrimmt ist. Wenn man richtig steht – zwei Schritte rechts vom Uhrturm –, kann man einen schmalen Streifen des nur gut einen Kilometer entfernten Long Island Sound erkennen und die sanft nebeneinander schaukelnden Segelboote. Die Luft ist so salzig, dass sich einem die Haare kräuseln. Nicht mal ein Glätteisen bringt hier etwas.

Ich betrachte die perfekten Umrisse meiner Freunde im Gegenlicht. Für einen Augenblick gibt es nur die Player. Wir sind ein Kraftfeld. Und nur wir wissen, was wir tun mussten, um es so weit zu schaffen.

Ein paar Schülerinnen und Schüler aus der ersten Unterstufe – Nikki nennt sie Ersties – trotten über die gepflasterten Wege, aber niemand von ihnen kommt in unsere Nähe. Sie weichen uns aus, zupfen an ihrem zu steifen weißen Hemd, nesteln an der Gürtelschnalle oder ziehen den karierten Faltenrock höher. Keiner wagt es, Blickkontakt mit uns aufzunehmen. Sie kennen die Regeln.

Als wir in der Aula ankommen, schwitze ich. Henry hält mir die Tür auf und ich fühle Angst in mir aufsteigen. Die samtgepolsterten Stühle sind zum größten Teil schon besetzt und alle gaffen uns an, als wir durch den Mittelgang zu unseren Plätzen in der ersten Reihe neben Mr und Mrs Arnold gehen. Die beiden tragen Schwarz. Als sie uns sehen, stehen sie auf und verteilen mit gespitzten Lippen Luftküsse. Das Schmatzgeräusch hallt durch den Saal. Mir wird übel und ich muss an das Begräbnis meines Großvaters denken, bei dem wir stundenlang dastanden und einen Gast nach dem anderen begrüßten, bis meine geschürzten Lippen sich taub und welk anfühlten. Ich bin die Letzte, die Mrs Arnold begrüßt, ihre purpurfarbenen Nägel graben sich in meinen Arm.

»Hallo, Jill«, flüstert sie mir ins Ohr. »Frohen Schulanfang.«

Ich zwinge mich zu einem Lächeln und befreie mich, später als mir lieb ist, aus ihrem Griff. Dann setze ich mich mit pochendem Herzen zwischen Henry und Nikki. Shaila starrt uns von einer Staffelei auf der Mitte der Bühne aus einem vergoldeten Bilderrahmen entgegen. Das goldblonde Haar fällt ihr in dichten Locken über die Schultern, die grünen Augen sind dank Photoshop noch leuchtender. Während dem Rest von uns neue Pickel, zunehmende Periodenschmerzen und stärkerer Mundgeruch beschert wurden, ist sie unverändert. Für immer fünfzehn.

Die Aula riecht nach frischen Kopien und Bleistiftspänen. Der Moschusduft, der sich zum Ende des letzten Schuljahres eingenistet hatte, ist verschwunden. Die Gedenkfeier hier abzuhalten ist das Einzige, was die Arnolds bei der ganzen Angelegenheit richtig gemacht haben. Die Aula war Shailas Lieblingsort. Sie spielte in praktisch jedem Theaterstück die Hauptrolle und kam jedes Mal mit einem Hochgefühl von den Proben, das ich nicht nachvollziehen konnte. »Ich brauche das Rampenlicht«, erklärte sie irgendwann und ließ ihr tiefes Lachen erschallen. »Aber immerhin stehe ich dazu.«

»Guten Morgen, Gold Coast Highschool«, bellt Rektor Weingarten. Seine Fliege hängt etwas schief unter seinem spitzen Kinn und sein grauer Schnurrbart dürfte frisch gestutzt sein. »Ich sehe viele neue Gesichter, die ich herzlich willkommen heißen möchte. Bitte unterstützt mich dabei.«

Alle wenden sich den Neuzugängen aus den öffentlichen Schulen zu, für die der erste Tag nach den Ferien bisher bedeutete, dass der Klassenlehrer die Anwesenheitsliste vorliest, und nicht, dass man einem toten Mädchen Hallo sagt. Jetzt sind sie an einem neuen, fremden Ort und ihr verstörter Blick verrät sie. Sie sind nicht zu übersehen. Ich war eine von ihnen, damals in der Sechsten. Ich hatte erst eine Woche vor Schulanfang von meinem Stipendium erfahren und kannte bei meinem Start an der Gold Coast Prep keinen Menschen. Bei der Erinnerung daran bekomme ich Gänsehaut.

»Herzlich willkommen«, echot der Rest des Publikums. Unsere Reihe schweigt.

»Ihr fragt euch vielleicht, was wir hier machen und warum wir jedes Schuljahr an diesem Ort beginnen.« Rektor Weingarten hält inne und wischt sich mit einem Taschentuch die Stirn ab. Obwohl die Klimaanlage auf Hochtouren läuft, glänzen die Schweißperlen auf seinem Gesicht im Licht der Bühnenscheinwerfer. »Wir tun es, um einer unserer besten und klügsten Schülerinnen zu gedenken. Shaila Arnold.« Alle Köpfe wenden sich Shailas Porträt zu, aber Mr und Mrs Arnold lassen den Blick weiterhin fest auf Rektor Weingarten gerichtet.

»Shaila weilt nicht mehr unter uns«, fährt er fort, »aber zu Lebzeiten ging ein Leuchten von ihr aus und wir werden sie nie vergessen. Sie lebt weiter in ihrer Familie, ihren Freunden und diesen Hallen.«

Mr und Mrs Arnold nicken.

»Ihr sollt wissen, dass die Gold Coast Prep eine Familie ist – und immer sein wird. Wir müssen einander beschützen. Wir werden nicht zulassen, dass noch jemandem aus unseren Reihen etwas passiert.« Nikkis Ellbogen bohrt sich in meine Rippen.

»Betrachtet das als Erinnerung«, sagt Rektor Weingarten. »An der Gold Coast Prep bemühen wir uns Gutes zu tun. Unser Ziel ist es, Großes zu leisten. Und wir helfen, wo immer wir können.«

Ah, das Schulmotto.

»Wenn ihr diese Zeilen kennt, dann sprecht sie mit mir«, sagt er mit einem Lächeln.

Fünfhundertdreiundzwanzig Schülerinnen und Schüler im Alter von sechs bis achtzehn erheben die Stimmen. Sogar die Neuen, die das dämliche Motto auswendig lernen mussten, bevor sie auch nur einen Fuß auf den Campus gesetzt haben.

»An der Gold Coast Prep ist alles gut. Wir verbringen hier eine großartige Zeit. Und wir helfen, wo wir können«, sagt der Chor in einem gruseligen Sprechgesang.

»Sehr schön«, lobt Rektor Weingarten. »Und jetzt ab in den Unterricht. Vor uns liegt ein aufregendes Jahr.«

Zur Mittagszeit hat es sich ausgetrauert. Wir haben die Hürde, bestehend aus der Gedenkfeier für Shaila, hinter uns gebracht.

Als ich den Tisch sehe, der für die Player aus der Abschlussklasse reserviert ist, macht mein Herz einen Sprung. Die Jüngeren sind bereits auf ihren Plätzen, aber der Toptisch ist noch frei und wartet auf uns.

Er hat mit Abstand die beste Lage, genau in der Mitte der Cafeteria, sodass alle an uns vorbeigehen müssen und sehen, wie viel Spaß wir sogar beim Mittagessen haben. Die umliegenden Tische sind den Playern der unteren Stufen vorbehalten, und danach ist alles nur noch eine Frage davon, wie weit von uns entfernt man sitzt.

Ich bin ganz hibbelig, als Nikki und ich uns am Salatbuffet entlangschlängeln und weich gekneteten Grünkohl, eingelegten Feta und Grillhähnchen auf unsere Teller häufen. Bei den Nachspeisen angekommen, angle ich mir ein Keksteigbällchen aus dem Glas. Sich so eine buttrige Kugel aufs Tablett zu packen gilt seit Jahrzehnten als Zeichen der coolen Girls. Shaila hat jeden Tag eine gegessen. An der Kasse werden wir – wie es sich gehört – von einer Gruppe Neuntklässler vorgelassen, dann gehen wir zu dem Tisch, von dem wir immer schon wussten, dass er eines Tages uns gehören würde. Und trotzdem überrascht es mich irgendwie, dass mein Platz frei ist und mich erwartet. Beim Anblick des leeren Stuhls, der ganz klar mir vorbehalten ist, packt mich ein merkwürdiges Hochgefühl. Er ist eine Erinnerung. Nach allem, was passiert ist, gehöre ich hierher. Ich habe es verdient. Ich habe überlebt.

Nikki und ich sind die Ersten. Als wir unsere Plätze einnehmen, stellt sich das vertraute Aquariumgefühl ein. Wir wissen, dass wir beobachtet werden. Das macht einen Teil des Reizes aus.

Nikki schleudert die langen schwarzen Haare in den Nacken, öffnet ihren Rucksack und zieht eine neonfarbene Pappschachtel heraus. »Ich bin vorbereitet.« Als sie den Deckel aufmacht, kommen Mini-KitKats in so ungewöhnlichen Geschmacksrichtungen wie Kürbis, Matcha und Süßkartoffel zum Vorschein. Wahrscheinlich ein Mitbringsel ihrer Eltern, die vor Kurzem auf Geschäftsreise in Japan waren – ohne Nikki, versteht sich. Ein paar von den Zehntklässlern recken den Hals, um einen Blick auf Nikki Wus glamouröse Pausensnacks zu erhaschen.

»Noch ein Geschenk von Darlene.« Sie deutet auf die bunten Süßigkeiten und verdreht die Augen, als sie den Namen ihrer Mutter ausspricht.

Ihre Eltern sind Textilmagnaten und aus Hongkong hierhergezogen, als wir in der Siebten waren. Während ihres ersten Semesters an der Gold Coast klebte Nikki meistens am Handy und schrieb sich Nachrichten mit ihren Freunden in Hongkong. Das Spießerleben hier interessierte sie nicht im Geringsten. Dass sie uns so gleichgültig gegenüberstand, verlieh ihr eine coole Unberührbarkeit. Im darauffolgenden Frühling freundete sie sich bei den Proben für das Mittelstufen-Musical mit Shaila an. Die hatte wenig überraschend die Rolle der Sandy in Grease bekommen und Nikki war für die Kostüme verantwortlich. So fanden wir auch heraus, dass sie ein totaler Modecrack ist. Sie entwarf stylische, eng anliegende Lederhosen und broadwaytaugliche Tellerröcke.

Als sich herausstellte, dass ich meine beste Freundin Shaila mit Nikki würde teilen müssen, tat ich alles, um meine Eifersucht im Keim zu ersticken. Ich gab mir Mühe, um an ihre gemeinsamen neuen Vorlieben anzuknüpfen (»Hulu ist viel besser als Netflix«) und das Verpasste aufzuholen, nachdem die beiden sich mit der Theatergruppe zum ersten Mal in ihrem Leben betrunken hatten (»Bier auf Wein, das lass sein!«). Es funktionierte, mehr oder weniger, und in der Achten waren wir eine eingeschworene Gemeinschaft.

Aber während Shailas letztem Lebensjahr kämpften Nikki und ich stillschweigend um ihre Aufmerksamkeit und gingen einander dabei wohlweislich aus dem Weg. Dabei war das eigentlich Quatsch: Shaila hatte keine Lieblinge. Sie war uns beiden gegenüber loyal. Nach ihrem Tod wurden Nikki und ich von Zwangs- zu unzertrennlichen Freundinnen. Wir hatten unser Bindeglied verloren, und so schmiedeten wir ein neues Band. Es war, als wäre jegliche Spannung zwischen uns verpufft. Wir hatten nur noch einander und das unstillbare Bedürfnis nach Vertrautheit. Seit damals ist Nikki meine Shaila. Und ich bin ihre.

»Ich finde die mit roter Bohnenpaste am besten«, sagt Nikki, während sie einen Riegel auspackt und ihn sich in den Mund steckt. Ich greife ebenfalls in den Karton und ziehe ein knallpink verpacktes KitKat heraus. Es ist süß und klebrig.

»Nei-in«, entgegne ich. »Erdbeer toppt alles.«

»Nur in Kombination mit Matcha.«

»Pffft. Du Snob.«

»Ich habe eben Geschmack!«

»Was ist mit Zartbitter?«

Kauend denkt Nikki nach. »Schlicht. Klassisch. Ich finds gut.«

»Es hat Kultstatus.«

»Genau wie wir.« Nikki schaltet ihr Megawattlächeln ein und schnappt sich ein lavendelfarbenes Kitkat. »Das Leben ist zu kurz, um nur eins zu essen.«

»Voll.«

Hinter mir schwillt das Grundrauschen der Cafeteria zu einem Dröhnen an. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass die Jungs im Anmarsch sind. Die Neuen und die Leute aus der Unterstufe beeilen sich ihnen Platz zu machen. Robert ist den anderen ein paar Schritte voraus, gefolgt von Henry, dem der Rucksack lässig von der Schulter baumelt. Die Krawatte trägt er lose um den Hals und das dichte, rotblonde Haar wippt im Takt seiner Schritte, als er im Vorbeigehen Topher Gardner mit einer Gettofaust begrüßt – einen stämmigen, zu Akne neigenden Player aus der Elften, der immer um Henrys Aufmerksamkeit ringt. Als Letzter kommt Quentin und zwinkert einem niedlichen Zehntklässler aus dem Baseballteam zu, der sofort knallrot anläuft. Robert lässt sich auf seinen Stuhl fallen, reißt seine Cola auf und trinkt die Hälfte in einem Zug.

»Hallo, Süße.« Henry gleitet auf den Platz neben mir. Dann presst er die Lippen auf das Dreieck zwischen meinem Hals und dem Schlüsselbein. Ein wohliger Schauer überläuft mich und ich höre, wie ein Raunen durch den Tisch hinter uns geht. Ein paar der neuen Mädels mit großen Augen und zu tief sitzenden Röcken haben sich die Plätze in der ersten Reihe geschnappt. Wenn sie glauben, sie könnten den Tisch das ganze Jahr behalten, irren sie sich. Der gehört ebenfalls uns. Wir übergeben ihn dann den Playern aus der Neunten, wie ein Geschenk. Sie werden schon sehen.

Aber fürs Erste kichern die Mädels, tuscheln hinter vorgehaltener Hand und beobachten uns verstohlen.

Jetzt setzt sich auch Marla auf ihren Stuhl, und damit sind wir wieder vereint. Der Tisch ist geräumig, schließlich ist er für acht gedacht. Mit Shaila und Graham hätten wir ihn genau ausgefüllt. Aber wir haben gelernt, uns breitzumachen und mehr Platz einzunehmen, als wir eigentlich brauchen. Das hilft. Und jetzt, wo alle Player hier sind, kann das Spiel beginnen.

Gesprächsfetzen wirbeln durch die Luft, in denen sich alles ums kommende Wochenende dreht, denn es dreht sich immer alles ums kommende Wochenende.

»Ich habe gehört, dass Anne Marie Cummings dir einen runterholt, wenn du behauptest, dass du ihre miese Band gut findest.«

»Reid Baxter hat versprochen für heute Abend eine Flasche Schnaps zu besorgen. Lass ihn nicht rein, wenn er nicht Wort hält.«

»Wenn du nicht wieder mit Edding vollgeschmiert werden willst, darfst du dich halt nicht so volllaufen lassen.«

Kleine Ausschnitte unserer Unterhaltung steigen über unseren Köpfen auf und verbreiten sich im Raum, wie Brieftauben, die dem Rest der Schule die wichtigsten Nachrichten überbringen. An manchen Tagen stecken wir die Köpfe so dicht zusammen, dass es von oben aussehen muss, als würden sie sich berühren. An anderen Tagen machen wir uns ganz klein, schließen Bündnisse und gehen Partnerschaften ein. Wer ist auf meiner Seite? Freund oder Feind?

»Ähem!« Nikki klopft mit dem Messer gegen ihr Wasserglas.

Robert stöhnt zwar, schickt aber trotzdem ein Lächeln in ihre Richtung. In guten Wochen verbringen sie die Mittagspause damit, sich über ihre Essenstabletts Obszönitäten zuzuhauchen. In schlechten Wochen tut sie so, als wäre er Luft.

»Idiot.« Nikki streckt ihm die Zunge heraus, dann stemmt sie die Hände in die Hüften und plustert sich auf, bis ihre Brüste fast ihr Kinn berühren. Robert lehnt sich zurück und zieht beeindruckt die Augenbrauen in die Höhe. Anscheinend ist es jetzt schon eine besonders gute Woche.

»Na dann, Miss Wu«, sagt Quentin. »Sprechen Sie.«

Nikki beugt sich vor und senkt die Stimme, sodass wir näher kommen müssen, um sie zu verstehen. Dabei ist uns nichts von dem, was sie gleich sagen wird, neu. Sie schmeißt heute Abend die Party. (Ohne Scheiß.) Ihre Eltern sind weg. Kurztrip nach Paris. (Na klar.) Es gibt ein Fass Bier. (Keine Frage.)

Henry dreht sich zu mir und legt mir unter dem Tisch die Hand auf den Oberschenkel. Sein Daumen beschreibt kleine Kreise auf meiner nackten Haut. »Ich hol dich um halb neun ab«, sagt er.

Ich verziehe den Mund zu einem Lächeln und versuche die brennende Hitze zwischen meinen Beinen zu ignorieren. Seine Hand ist so warm wie ein Sommertag und ich bin überzeugt, dass ich auf seinem Nasenrücken noch den Bräunungsstreifen erkennen kann, den seine Sonnenbrille an dem Tag hinterlassen hat, als er mich gefragt hat, ob ich seine Freundin sein will. Es war an einem der heißesten Nachmittage im Juni. An Land herrschte eine Bombenhitze, aber auf dem Boot von Henrys Eltern, mit dem wir über den Long Island Sound schipperten, war es angenehm kühl. Im Gruppenchat tat sich genau gar nichts, denn alle waren noch mal weggefahren, bevor sie ihre elitären Sommerprogramme antraten. Auch mein Praktikum beim hiesigen Planetarium hatte noch nicht angefangen. Außer mir war nur noch Henry hiergeblieben.

Du magst doch Sterne?, hatte er mir in einer privaten Nachricht geschrieben.

Jeder weiß, dass ich von Astronomie besessen bin. Von Astronomie und Astrophysik, um genau zu sein. Ich begeistere mich schon ewig dafür. Meine Fixierung auf die Sterne begann, als ich fünf war und Dad anfing, nach jedem stärkeren Regen, wenn der Himmel besonders klar war, mit mir zum Ocean Cliff zu fahren, um mir Konstellationen, Galaxien, Planeten und Sterne zu zeigen. Das Ocean Cliff ist der höchste Punkt an der Gold Coast, eine riesige Steinformation, die sich über dem Wasser erhebt. »Und so bringt man Ordnung in das Chaos«, erklärte Dad mir, als wir auf den Felsen saßen. Er sagte, er habe immer Astronaut werden wollen, aber aus irgendeinem mir unerfindlichen Grund ist er stattdessen Buchhalter geworden. Als wir an jenem ersten Abend wieder nach Hause kamen, klebte er spiralförmig angeordnete Leuchtsterne an meine Zimmerdecke.

Die Fähigkeit, dort oben Dinge zu erkennen, kleine Wunder, die schon seit Ewigkeiten existieren, beruhigt mich. Es vertreibt die Albträume und macht die Dunkelheit erträglicher. Zumindest manchmal.

Weißt du doch, antwortete ich Henry.

Wie wärs mit einer Sonnenuntergangstour mit dem Boot?

Ich antwortete nicht gleich. Henry legte nach.

Ich könnte ein Teleskop mitbringen.

Henry versuchte schon seit Ferienanfang bei mir zu landen. Er kam mich unangemeldet besuchen, bot mir an, mich zu Partys zu chauffieren, und schickte mir bizarre Nachrichtenmeldungen, von denen er dachte, ich fände sie lustig. Ich hatte es satt, dauernd Nein zu sagen, hatte es satt, auf jemand anderen zu warten. Also sagte ich mir: Scheiß drauf, und nahm seine Einladung an.

Bin dabei. Aber das Teleskop kannst du dir sparen. Ich hab eins.

Das Celestron-Reiseteleskop, das ich zu Chanukka von Dad bekommen hatte, prangte auf meinem Nachtisch.

Ein paar Stunden später befanden wir uns in der Mitte des Long Island Sound, auf seinem kleinen Motorboot, der nach Henrys zwölfjährigem Golden Retriever benannten Olly Golucky. Die Sonne war bereits untergegangen und langsam ließ auch die Hitze nach. Eine schwache Brise wehte und allmählich erschienen die ersten Sterne am Himmel. Ich lag rücklings auf dem feuchten Deck und atmete die salzige Seeluft ein. Um uns herum rauschten die Wellen, während Henry mich mit überraschend lustigen Geschichten aus seiner ersten Praktikumswoche bei CNN unterhielt. Mit leuchtenden Wangen erzählte er mir, wie er auf den Gängen des Nachrichtensenders seinen Idolen begegnet war. Es war wirklich ganz hinreißend. Dann brachte er eine Flasche Rosé und eine Dose russischen Kaviar zum Vorschein, die er in dem kleinen versteckten Kühlschrank gefunden hatte. Beides offerierte er mir gemeinsam mit seiner Frage, die Augen hoffnungsvoll aufgerissen: »Was meinst du? Magst du’s mit mir versuchen?«

Die Antwort lag auf der Hand. Er war der Kapitän des Lacrosseteams und Chefsprecher beim Nachrichtensender der Schule. Wortgewandter als die meisten unserer Lehrer. Sogar im betrunkenen Zustand, wenn die meisten Jungs zu Monstern mutieren, noch zuckersüß. Es schadete auch nichts, dass er auf sehr augenscheinliche Art attraktiv war, wie ein Scotch&Soda-Model. Dichtes, blondes Haar. Grüne Augen. Nahezu perfekte Haut. Er war zu Großem bestimmt. Er war ein Player. Mit ihm zusammen zu sein würde alles so einfach machen.

Außerdem war derjenige, mit dem ich eigentlich gerne zusammen wäre und der mich unbeabsichtigterweise genau hierhergeführt hatte, Hunderte von Meilen weit weg. Die Frage beantwortete sich also von selbst. Henry war hier und interessiert. Im Gegensatz zu Adam Miller.

»Klar«, sagte ich. Henry ließ die Dose fallen und legte mir die klebrigen Hände um die Hüfte. Fischeier hafteten an meinem nackten Rücken. Er konnte nicht wissen, dass ich mir, während er mir die Zunge in den Mund steckte, wünschte, Adam würde uns so sehen und realisieren, was er sich hatte entgehen lassen.

Die Schulglocke läutet und Robert versetzt Henry einen Tritt. »Komm schon. Wir müssen zu Spanisch.«

»Englisch«, sage ich zu Nikki. Die wirft in einer verzweifelten Geste den Kopf in den Nacken, hakt sich aber bei mir ein und zieht mich durch die Doppeltüren in den Innenhof. Das Licht verändert sich, während wir gehen, und wenn ich die Augen zusammenkneife, kann ich am Personalparkplatz vorbei bis zu den Austernständen sehen, wo die Verkäufer für heute Feierabend machen, ihre Kisten verräumen und die Segeltuchvorhänge schließen.

Als es zum zweiten Mal klingelt, haben Nikki und ich es auf die andere Seite des Campus geschafft, wo wir uns nebeneinander auf unsere Stühle fallen lassen. Ich zücke meine Ausgabe von Der große Gatsby, einem Klassiker, wie Mr Beaumont uns versprochen hat, als er ihn uns über die Ferien zu lesen gab.

»Hallo, ihr zwei«, sagt Mr Beaumont, als er an unseren Tischen vorbeigeht. »Hattet ihr einen schönen Sommer?«

Nikki legt den Kopf schief und blickt ihn schelmisch an. »Er war toll.«

»Das freut mich.« Mr Beaumont lächelt und schiebt seine dick umrandete Brille nach oben. Er sieht brauner aus als letztes Jahr. Als hätte er den ganzen Sommer in den Hamptons am Strand gelegen wie eine erwachsene Version von uns, was er irgendwie ja auch ist.

Er ist vor drei Jahren an die Gold Coast Prep gekommen, gleich nach Thanksgiving, als Mrs Mullen in Mutterschutz ging. Nikki, Shaila und ich waren damals in der Neunten und bekamen ihn in Englisch. Da hatten wir gerade das mit den Playern erfahren. In der ersten Stunde gewann er uns mit der folgenden Ansage für sich:

»Solange ihr keinen Scheiß mit mir abzieht, ziehe ich auch keinen mit euch ab«, erklärte er mit einem Lächeln. Das war lustig gemeint. Er hatte Scheiß gesagt, das hieß, dass er cool war. Er hatte es geschnallt. Mitten in der Stunde brummte mein Handy. Eine Nachricht von Shaila. BESESSEN stand da, gefolgt von roten Herzchen. Als ich den Kopf hob, trafen sich unsere Blicke.

»Träum weiter«, flüsterte ich ihr lautlos zu.

Wenige Tage nach seinem Auftauchen fanden wir heraus, dass er in Gold Coast aufgewachsen war. Sein Abschluss lag zehn Jahre zurück. Auf seinem Jahrbuchfoto sieht er total albern aus – mit nach allen Seiten abstehenden dunklen Haaren und einem verdreckten Lacrosseshirt. Henry glaubt, dass er ein Player war. Gerüchten zufolge soll er das Ganze sogar angestoßen haben. Wobei ich das eigentlich nicht glaube.

Nach Mr Beaumonts erstem Jahr war Rektor Weingarten so zufrieden mit ihm, dass er ihm eine Vollzeitstelle gab und ihm den Literaturkurs der Oberstufe anvertraute. Seitdem nennt Mr Beaumont unseren Jahrgang seine »Erstgeborenen«.

Während er sich in einem Monolog über East Egg und West Egg ergeht, schreibe ich hektisch alles mit. »Das kannst du dir sparen«, flüstert Nikki und deutet auf meinen Block. »Du brauchst doch keine Notizen.«

Da hat sie natürlich recht. In den Player-Akten gibt es jede Menge Infos zum Großen Gatsby – neben Hunderten wahnsinnig detaillierter Lernhilfen für die Zwischen- und Abschlussprüfungen. Dazu eine Reihe von College-Zulassungstests, Leistungskursprüfungen und vertraulichen Tipps für den perfekten College-Aufsatz von den Dekanen von Harvard und Princeton höchstpersönlich. Letzten Frühling habe ich bereits einen Ausschnitt davon gesehen, eingeklemmt zwischen einer Reihe von Chemie-Abschlussprüfungen, die mir von einem Player geschickt wurden, dessen Namen ich noch nie gehört hatte.

Es kommen immer die gleichen Fragen!, hatte er geschrieben. Hol dir deinen verdammten Einser!

Die Akten sind unser Eintrittsschein zur Elite der Elite. Sie ermöglichen uns, überragende Leistungen zu bringen, selbst wenn wir das auch alleine schaffen würden. Sie sind eine Belohnung für unsere Treue, geben uns die Möglichkeit, unseren Status als Player und alles, was damit verbunden ist, voll auszukosten. Die Partys. Den Spaß. Die Privilegien. Sie nehmen uns etwas von dem Stress, lindern den Druck. Die Akten machen alles einfach. Golden. Abgesehen von den entsetzlichen Schuldgefühlen und der Scham, die mich jedes Mal überkommt, wenn ich die App öffne, in der sie gespeichert sind. Die Akten sind unsere Absicherung.

Vor allem für diejenigen von uns, die sich keine privaten Nachhilfelehrer und Collegeberater leisten können, die fast so viel kosten wie das Schulgeld für die Gold Coast Prep. Oder die einen Durchschnitt von mindestens 93 Punkten halten müssen, um ihr Stipendium nicht zu verlieren. Aber dieses kleine Detail brauchen die anderen nicht unbedingt zu wissen.

»Miss Wu«, sagt Mr Beaumont jetzt zu Nikki. »Was schreibt Miss Newman denn so Spannendes? Es ist ja ganz was Neues, dass Sie sich für etwas anderes als Ihr Telefon interessieren.«

Nikki richtet sich auf und das dunkle Haar fällt ihr über die Schultern. »Wissen Sie, Mr Beaumont, das Buch hat mir so gut gefallen, dass ich wissen wollte, was Jill davon hält.«

»Und, Miss Newman, was halten Sie von Gatsby?«, fragt er, als würde es ihn wirklich interessieren.

»Na ja …«

Die Schulglocke ertönt.

»Sagen Sie’s uns beim nächsten Mal, Miss Newman. Schönes Wochenende miteinander. Und passen Sie gut auf sich auf.« Die Worte sind an alle gerichtet, aber sein Blick ruht auf mir, als würde er unsere Geheimnisse kennen und wissen, was es heißt, bei den Playern zu sein. Was wir opfern mussten. Was wir tun mussten, um alles zu überstehen. Vor allem die Mädchen.

2

»Jill!« Henry lehnt an seinem Auto, einem fast neuen Lexus, den er liebevoll Bruce nennt. »Lass uns abhauen.« Mir wird ganz warm ums Herz, als ich auf ihn zugehe und spüre, wie alle uns beobachten.

Ich steige ein und lege meine Tasche vor mich auf den Boden neben einen Stapel Bücher.

»Die kannst du einfach ignorieren«, sagt er und deutet auf die Bücher. »Das ist meine neue Ausbeute.« Sie sehen uröde aus, auf dem Cover prangen Wörter wie Krieg oder Demokratie. Als Henry NPR einstellt, seinen Lieblingsradiosender, muss ich mir ein Lächeln verkneifen. Es ist einfach zu süß, wenn der Journalismusnerd in ihm rauskommt.

»Wir haben ein paar von den Neuen zu Nikkis Party heute Abend eingeladen.« Henry fährt vom Schulparkplatz und winkt dabei Dr. Jarvis zu, dem ältlichen Physiklehrer, dem immer Essensreste an der Krawatte kleben, der aber ganz vernarrt in mich ist.

»Jetzt schon?«, frage ich. »Ist es nicht noch ein bisschen früh, um mit den Ersties abzuhängen?« Ich versuche mich zu erinnern, wann ich angefangen habe auf Player-Partys zu gehen, wann Adam mich zum ersten Mal mitgenommen hat. Damals war die Luft kross und roch eher nach trockenem Laub als nach Sonnencreme. Jetzt dagegen ist eindeutig noch Lichtschutzfaktorzeit.

»Robert hat sich die Kleinen während der Lacrossevorsaison schon mal angeschaut«, fährt Henry fort. »Ihm zufolge gibt es ein paar heiße Kandidaten.«

Ich beiße mir auf die Lippe. »Es ist trotzdem noch zu früh. Findest du nicht?«

»Vielleicht«, antwortet Henry vorsichtig, als würde er wirklich darüber nachdenken, als hätte meine Stimme Gewicht. »Aber wir müssen rechtzeitig damit anfangen, uns Üs auszudenken. Das macht schließlich jede Abschlussklasse, oder etwa nicht?«

Ach ja, die Üs. Kurz für Übungsaufgaben. Auch bekannt als der Fluch meines Lebens. Ich wurde eine Woche nachdem man mich als Player auserkoren hatte, zu meiner ersten verdonnert. Dieser Kotzbrocken Tommy Kotlove befahl mir, nach dem Tennisunterricht in das Chemielabor der Mittelstufe einzubrechen und für seine Freundin, Julie Strauss, ein Becherglas zu klauen, das sie als Vase benutzen konnte. Fast wäre ich an Ort und Stelle in Tränen ausgebrochen. Da ahnte ich noch nicht, dass das noch eine von den einfacheren Aufgaben sein würde.

»Mir kommt es immer noch früh vor«, sage ich.

»Bryce Miller könnte ganz vielversprechend sein.«

»Schön möglich«, erwidere ich langsam.

»Hat Adam was zu dir gesagt?«

Tatsächlich hatte Adam mir am Morgen vor der Schule deswegen eine Nachricht geschickt. Obwohl sie nur kurz war, hatte sie mich den ganzen Tag beschäftigt: Pass auf meinen kleinen Bruder auf, ja? Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann, Newman.

»Bestimmt rechnet er damit«, sage ich.

Henry verdreht die Augen. »Tja, Bryce muss schon ein bisschen mehr vorweisen als seinen Bruder. Er bekommt keinen Freifahrschein, nur weil er mit Adam Miller verwandt ist.«

»Stimmt«, sage ich, um das Gespräch zu beenden. Wenn Henry Adams Namen sagt, klingt es immer irgendwie giftig und hingespuckt.

»Wir werden sehen, ob er das Zeug zum Player hat. Das tun wir schließlich immer.« Henry bleibt vor meinem Haus stehen.

Mich schaudert und ich kann es kaum erwarten, seinen Fragen über Adam zu entkommen. Schnell drücke ich ihm einen Kuss auf die Wange. »Bis später.«

»Jilly! Bist du das?«, ruft Mom, als ich die Haustür öffne. »Komm her! Ich bin in der Küche.«

So begrüßt sie mich oft: in ein unförmiges Leinenhemd und einen langen Seidenschal gehüllt und gerade damit beschäftigt, etwas aus dem Ofen oder ihrem Farbkasten zu holen. Heute schlägt sie eine großzügig bemessene Lasagne in Alufolie ein. Die macht sie traditionell jedes Jahr zum Schulanfang. »Wie wars? Der erste Tag von deinem letzten Schuljahr!« Ihre Stimme überschlägt sich und vor lauter Aufregung verwandeln sich ihre Fältchen in Krater.

»Super«, sage ich mit einem breiten Lächeln, um ihr keinen Grund zu geben, mir nicht zu glauben.

»War das Henrys Auto?«

»Ja.«

Lachend schüttelt sie den Kopf. »Was für ein Junge.«

Obwohl sie bereits in der deprimierenden Hälfte der Fünfziger angelangt ist, ist Mom nach wie vor die umwerfendste Frau in unserer Straße. Sie ist in drei Buchklubs, engagiert sich im Tempel und bei mehreren gemeinnützigen Projekten und töpfert daneben noch elegante Töpfe und raffinierte Vasen, für die sie einmal pro Saison in der Vogue und der Architectural Digest erwähnt wird. Dank ihrem Coolnessfaktor wirkt es nach außen hin so, als könnten wir mit allen anderen an der Gold Coast Prep mithalten, aber in Wahrheit braucht es dafür viele Stunden, in denen sie an der Volkshochschule Töpfern unterrichtet und den überprivilegierten Nachkommen der Mayflower Privatkurse gibt. Sie sagt, das sei es ihr wert. So kann sie ihrer Leidenschaft nachgehen und uns die Kindheit geben, die sie nicht hatte. Ihre Eltern waren Hippies, die Ende der Siebzigerjahre immer noch zugedröhnt mit ihrem Campingbus durchs Land fuhren und für zweitrangige Bands Merchandise verkauften. Dass sie in der Lage ist, Jared und mich auf eine Privatschule zu schicken, ist so was wie ein Ehrenabzeichen für Mom, aber für mich fühlt es sich so an, als würden ihre und Dads Hoffnungen und Träume auf mir lasten wie ein tausend Kilo schweres Gewicht.

Wie wichtig ihnen mein Erfolg ist, merkte ich in der Fünften, als sie mir auf wenig subtile Weise nahelegten, mich an der Gold Coast Prep um das Stipendium für außerordentliche Leistungen in den MINT-Fächern zu bewerben. Das Stipendium wird einmal im Jahr inoffiziell vergeben und gewährt einem glücklichen Schüler oder einer glücklichen Schülerin Zugang zu der mehrere Millionen Dollar teuren naturwissenschaftlichen Abteilung der Schule sowie zu allen Leistungs- und Wahlfächern. Es ist kein Wunder, dass Dutzende Ehemalige an den besten naturwissenschaftlichen Unis des Landes angenommen wurden. Ich habe Mom und Dad noch nie so glücklich erlebt wie an dem Tag, als ich die Zusage bekam.

Es ist nicht so, als hätte ich Stipendiatin auf die Stirn tätowiert, aber manchmal glaube ich, dass es trotzdem offensichtlich ist. Ich trage keine Designerslipper, um den karierten Faltenrock meiner Schuluniform aufzuwerten. Ich habe kein eigenes Auto. Ich verbringe die Sommerferien nicht in den Hamptons. »Wer braucht ein Strandhaus, wenn er praktisch am Strand wohnt?«, fragte Mom, als Shaila mich in der Mittelstufe einlud, sie in die Hamptons ins Ferienhaus ihrer Familie zu begleiten.

Das Stipendium deckt allerdings nicht alle Kosten – Uniform, Bücher und Teilnahmegebühren für Wissenschaftswettbewerbe müssen wir nach wie vor aus eigener Tasche bezahlen. Und Jareds volles Schulgeld natürlich. Mom und Dad tun alles, damit wir auf der Privatschule bleiben können, in der Hoffnung, dass es sich eines Tages bezahlt macht. Dass mein kleiner Bruder und ich an einer besseren Uni – im besten Fall an einer Eliteuni – genommen werden, als dies mit einem Abschluss von der öffentlichen Highschool der Fall wäre, den auch nur die Hälfte der Leute dort schaffen.

Wie wir die Unigebühren bezahlen sollen, ist ein heikles Thema, das ich bewusst vermeide. Ich tue so, als würde ich es nicht hören, wenn sie sich nachts mit gedämpfter Stimme streiten. »Warten wir erst mal ab, ob sie überhaupt genommen wird«, hörte ich Dad flüstern, als er uns schlafend glaubte. »Irgendeinen Weg werden wir schon finden.«

Aber ist es das wirklich wert? Die vielen Stunden, die Dad in einem tristen Büro damit verbringt, Zahlen zu wälzen? Das falsche Lächeln, das Mom jedes Mal aufsetzt, wenn sie so tun muss, als wären diese grässlichen Snobs, die zu tief ins Weinglas geschaut haben, brillante Künstler? Zielstrebigkeit ist gefragt. Und da kommen die Player-Akten ins Spiel. Ich muss gute Noten schreiben. Für mich, aber vor allem für meine Eltern.

Mom ist eine unverbesserliche Optimistin. Sie gehört zu den Leuten, die allen vertrauen, weil die Menschen von Natur aus gut sind, Jill. Das ist einfach so. Sogar nach der Sache mit Shaila denkt sie das noch.

Dieses Motto war es auch, das sie dazu bewogen hat, Ja zu sagen, als Cindy Miller ihr eines Tages bei einem Treffen der Schwesternschaft des Tempels anbot, ihr achtzehnjähriger Sohn könne Jared gegen ein kleines Entgelt Englischnachhilfe geben.

»Du bist erlöst«, erklärte Mom, als sie mir mitteilte, ich müsse Jared in Zukunft nicht mehr bei den Hausaufgaben helfen. »Adam Miller übernimmt das jetzt.«

»Wie bitte?« Ich war fassungslos. Jeder an der Gold Coast Prep wusste, wer Adam war. Zum einen war er unfassbar gut aussehend mit seinen langen drahtigen Armen, den dunklen Locken und den blauen Augen, mit denen er das Eis zum Schmelzen bringen konnte. Und darüber hinaus war er auch noch ein Genie. Er hatte drei Jahre in Folge den nationalen Preis für junge Drehbuchautoren gewonnen und war angeblich mit mehreren lokalen Theatergruppen im Gespräch, die seine Stücke aufführen wollten. Dabei ging er noch auf die Highschool. Alle Unis mit einem Kurs für kreatives Schreiben rissen sich um ihn. Und zudem war er, wenig überraschend, ein Player.

Warum zum Teufel wollte er also seine Freitagabende damit verbringen, einem Sechstklässler bei den Hausaufgaben zu helfen?

Mom zog ihren labbrigen Wollpulli zurecht und legte sich eine klobige Tonhalskette um. »Das war Cindys Idee. Er will echte Arbeitserfahrung sammeln oder so ähnlich. Wahrscheinlich für seine College-Bewerbungen.«

Mom und Dad gingen an dem Abend zum Essen aus und ich war eigentlich bei Shaila zum Filmeschauen eingeladen, aber bei der Vorstellung, mit Adam abzuhängen, geriet ich ganz aus dem Häuschen.

Außerhalb der Schule.

Allein.

Na ja, wenn er mit der Nachhilfe fertig war.

Schnell schickte ich Shaila eine Entschuldigung: Hab Halsweh. SORRY!!!!!

Sie antwortete mit einem weinenden Smiley, aber ich war aus dem Schneider.

Als ich Mom erklärte, ich würde mich nicht wohl fühlen und bliebe zu Hause, trat ein kleines, wissendes Lächeln auf ihr Gesicht. »Alles klar, Jill.«

Lachend kämmte Dad sich die Haare. »Manche Sachen ändern sich nie.«

Da klingelte es.

Ich versuchte, cool zu bleiben und nicht zu schnell zur Tür zu rennen, aber Jared kam mir zuvor.

»Bist du mein neuer Nachhilfelehrer?«, fragte er Adam grinsend.

»Genau. Dann bist du wohl Jared.« Adam setzte ein breites Lächeln auf. Es war leicht schief, sodass seine Lippen ein rotes, volles J bildeten. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust und sein dünnes weißes T-Shirt spannte sich über seinen Bizeps. Seine Muskeln waren perfekt geformt, glatt und stark. Ohne den Blazer und die Khakihosen, die alle Jungs in der Schule tragen mussten, sah er viel älter aus. Mir wurde vor Verlegenheit ganz heiß und ich musste dem Drang widerstehen, seine glatte Haut abzulecken. »Und du«, sagte er, »musst Jilly sein.«

»Ich … äh«, stammelte ich. »Eigentlich heiße ich Jill.«

»Jill.« Meinen Namen aus seinem Mund zu hören war berauschend. Sag ihn noch mal, flehte ich innerlich. »Jill«, wiederholte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Ich wusste nicht, dass du auch da bist.«

Bevor ich antworten konnte, platzte Mom ins Zimmer.

»Adam! Wir sind ja so froh, dass du hier bist, um Jared zu helfen. Wir sind für den Rest des Abends unterwegs, aber du findest unsere Handynummern auf dem Küchentresen neben deinem Geld. Es gibt auch Pizza. Bedien dich einfach.« Und damit waren sie und Dad verschwunden.

Adam warf mir noch so ein Lächeln zu, das mich förmlich zum Zerfließen brachte, und wandte sich dann an Jared. »Bist du bereit?«

Jared murrte zwar, folgte Adam aber brav in die Küche. Ich ließ mich auf die Couch fallen, schaltete den Fernseher ein und stellte ihn so leise wie möglich, damit es so wirkte, als wäre ich beschäftigt und keineswegs daran interessiert, die beiden zu belauschen.

Nach einer Stunde stürmte Jared ins Zimmer. Mit den Worten Jetzt bin ich dran schnappte er sich die Fernbedienung und schaltete auf irgendeinen doofen Superheldenfilm um.

Als Adam nicht auftauchte, schlich ich mich in die Küche, um nachzusehen, ob er noch da war.

»Hey«, sagte er, als er mich im Türrahmen sah.

Sofort lief ich rot an. »Wie ist es gelaufen?«

Adam streckte sich, sodass zwischen seiner Jeans und seinem T-Shirt etwas nackte Haut und ein schmaler Streifen dünner, gekräuselter Haare zum Vorschein kamen. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht nach Luft zu schnappen.

»Ziemlich gut. Der Kleine ist echt süß.« Er deutete auf die halb volle Pizzaschachtel. »Leistest du mir Gesellschaft? Ich esse nicht gern allein.«

Ohne meine Antwort abzuwarten, nahm er den Karton und ging durch die Hintertür hinaus auf die Terrasse. Ich folgte ihm. Er stellte die Schachtel auf den Glastisch, verschwand wieder nach drinnen und kehrte mit zwei Gläsern voller Eiswürfel und zwei Dosen Cola zurück.

»Danke«, sagte ich, als er mir mein Getränk überreichte.

Bevor er trank, zog er aus seiner Hosentasche einen rechteckigen Metallgegenstand hervor, öffnete den Schraubverschluss und goss sich eine dunkle, glänzende Flüssigkeit ein. »Willst du auch?« Er sah mich fragend an. »Du kannst ruhig Nein sagen, ich erzähls auch keinem.«

Ich nickte. Nach dem ersten Schluck musste ich husten.

»Das wird mit der Zeit besser«, lachte Adam.

Ich hätte ihm gerne gesagt, dass ich nicht zum ersten Mal trank. Dass ich ebenfalls cool war. Aber stattdessen setzte ich einfach wieder das Glas an und nippte noch einmal. Die Eiswürfel knisterten unter dem Alkohol. Ein Brennen stellte sich ein und brachte meine Fingerspitzen zum Kribbeln. Ich tat, was ich immer tat, wenn ich nervös war. Ich schaute nach oben. Ich brauchte nicht lange, um zwischen den funkelnden Sternen meine Lieblingskonstellationen zu finden. Dabei hatte ich Dads Anweisungen im Ohr. Such den Polarstern. Dann wander mit den Augen ein Stück nach links und unten. Leg den Kopf schief. Tada. Der große Wagen. Langsam wurde ich ruhiger.

Ich nahm noch einen Schluck.

»Und, Jill«, sagte Adam und zog den letzten Buchstaben meines Namens in die Länge. Ji-llllll. »Wer bist du?«

Ich lachte. »Wie bitte?« Die Nervosität machte sich wieder breit. Ich zwang mich, den Gürtel des Orion zu suchen und mich auf die drei blinkenden Lichter zu konzentrieren statt auf Adams Frage.

»Du hast schon richtig verstanden. Wer bist du? Wer ist Jill Newman?«

Ich kaute auf der Innenseite meiner Wange herum und schaute erst nach unten und dann ihn an.

»Ich bin niemand.«

»Das stimmt nicht.«

»Ach nein?«

»Nein. Du bist gerade erst dabei, jemand zu werden.«

Mein Mund klappte auf. Das war so zutreffend, dass es mir einen Stich versetzte.

»Das ist okay. Mir gehts genauso«, fuhr er fort. Dann hielt er mir sein Glas hin, als würde er anstoßen wollen. »Wir finden es gemeinsam heraus.«

Als Nächstes streckte er die Hand aus und zog mir in einer fließenden Bewegung das Handy aus der Hosentasche. Bei der Berührung verwandelte sich mein Magen in Wackelpudding und meine Haare stellten sich auf. »So«, sagte er, während er mit fliegenden Fingern tippte. »Ich schicke mir eine Nachricht, damit ich deine Nummer habe.«

Später an diesem Abend, Stunden nachdem wir die kalte Pizza aufgegessen hatten und er nach Hause gefahren war, brummte mein Handy.

Ich weiß, wer du bist, schrieb Adam.

Ach ja? Lass hören.

Meine neue Kritikerin. Die drei Pünktchen, die anzeigten, das Adam schrieb, standen still, dann kam ein riesiger Textblock gefolgt von einer Erklärung. Das ist die erste Szene von meinem neuen Stück. Du bist die Erste, die das liest. Sag mir, was du Scheiße findest, Newman. Ich bin hart im Nehmen.

Mein Herz schlug schneller, als ich seine Worte las. Ich verkniff mir ein Lächeln und schrieb zurück.

Es ist mir eine Ehre.

Das war der Anfang.

Schon bald kam er einmal die Woche, um Jared bei den Hausaufgaben zu helfen. Und anschließend mit mir abzuhängen. Normalerweise am Freitag. Manchmal auch am Mittwoch, wenn Mom abends unterrichtete und Dad Überstunden machte. Nie am Samstag. Seine Samstagabende waren den Playern vorbehalten.

Anfangs erzählte ich niemandem davon. Ich wollte, dass es mein Geheimnis blieb. Ich wollte unbedingt mehr davon. In der Schule beobachtete ich ihn zwischen den Stunden im Gang oder wenn er sich an den Player-Tisch setzte. Er war zwar nicht der Toastmaster, aber er hielt die Gruppe zusammen. Alle wollten seine Zustimmung, wollten, dass er über ihre Witze lachte, wollten seine wilden, verwickelten Geschichten hören.

Zwischen uns gab es eine unausgesprochene Übereinkunft. Unser Haus war sicher. Die Schule war es nicht. Nur manchmal riskierten wir ein verstohlenes Lächeln, wenn wir uns im Flur begegneten. Aber dann, an einem Donnerstag zwischen der zweiten und dritten Stunde, änderte er einfach die Spielregeln. Er streckte den Zeigefinger aus und pikte mich im Vorbeigehen kurz in die Schulter. Seine Berührung durchfuhr mich von Kopf bis Fuß und beamte mich in ein Paralleluniversum.

So erfuhr Shaila davon. »Was war das?«, fragte sie und kaute an ihrer Nagelhaut – eine schlechte Angewohnheit, die sie sich aber einfach nicht abgewöhnen konnte. Nach ihrem Tod habe ich selbst damit begonnen. »Wieso weiß Adam Miller, wer du bist?«

Ich unterdrückte ein Grinsen. »Er gibt Jared Nachhilfe. Unsere Mütter sind befreundet.«

»Hm.« Shaila schaute Adam nach, während er durch den Gang eilte, Richtung Matheflügel abbog und eine Schneise durch die versammelte Schülerschaft hinterließ. »Wusstest du, dass er mit Rachel zusammen ist?«, flüsterte sie mir zu. »Rachel Calloway.« Mein Herz hörte auf zu schlagen und barst. Rachel war Grahams atemberaubende ältere Schwester. Kapitänin der Hockeymannschaft. Jahrgangssprecherin. Eine Göttin. Sie war in der Oberstufe. Eine Playerin. Und das machte es noch schlimmer.

»Klar«, log ich.

»Wir haben in den Ferien ein paarmal zusammen abgehangen. Mit Graham.«

Ich schwieg, schäumend vor Wut, weil Shaila mir mal wieder was voraushatte. Erst einen festen Freund, dann Adams Aufmerksamkeit.

Anscheinend merkte sie das, denn sie ruderte gleich wieder zurück. »Aber eigentlich wollte er uns gar nicht dabeihaben.«

Ich war schon immer neidisch auf Shaila gewesen. Darauf, dass ihre Klamotten nach Sommer dufteten und immer superweich waren. Darauf, dass ihre langen Beine und wachsenden Brüste ihr kein Unbehagen zu bereiten schienen. Darauf, dass sie nie kleine Eiterpickel am Rücken und dunklen Flaum über der Oberlippe hatte. Sogar ihre Haare gehorchten ihr, trotz der hohen Luftfeuchtigkeit in Gold Coast.

Ich war neidisch, weil ihr alles so leichtfiel. Weil sie Klassenbeste sein konnte, kilometerweit laufen, im Theater die Hauptrolle spielen und alle bezaubern, ohne sich auch nur im Geringsten anzustrengen. Sie behauptete von sich, nur eine Sache zu fürchten. Eine völlig harmlose, banale Sache. Die Höhe.

»Nein. Auf keinen Fall«, sagte sie, als ich in der Siebten beim Austernfest mit ihr Riesenrad fahren wollte. Das Riesenrad stand jedes Jahr am Rand des Ocean Cliff, sodass es sich, wenn man ganz oben angekommen war, anfühlte, als würde man direkt in den Abgrund stürzen. »Du weißt doch, dass ich Höhe nicht abkann«, sagte sie und verzog beim Anblick des Metallungeheuers das Gesicht.

Davon abgesehen konnte Shaila alles glamourös erscheinen lassen, mysteriös und aufregend. Als würde es in ihrer Gegenwart nie langweilig.

Sogar ihr Aussehen war besonders. Sie hatte grasgrüne Augen, die noch heller leuchteten, wenn sie aufgeregt war. Sie war die Erste in unserem Jahrgang, die einen BH trug. Mrs Arnold kaufte ihr sogar einen Push-up, der alles nach vorne und oben schob. Shailas Körper schien sich nach und nach in sich selbst zu verwandeln, während mich die Veränderungen, die mit meinem vorgingen, ebenso verunsicherten wie die Frage, was ich damit bewirken konnte. Aber irgendwas an mir musste Adam gefallen, denn irgendwas an mir brachte ihn dazu, Zeit mit mir zu verbringen, obwohl er eine Freundin hatte. Vielleicht, dass ich eine gute Zuhörerin war. Oder dass ich so bereitwillig Ja sagte. Seit einer Ewigkeit hatte ich Shaila etwas voraushaben wollen, jetzt hatte ich Zugang zu Adam. Es war ein seltsames Ungleichgewicht, das ich mir zunutze machen konnte.

»Vielleicht kann ich ja mal vorbeikommen«, schlug sie vor. »Wenn er da ist?«

»Fände Rachel das nicht komisch?« Ich versuchte zu überspielen, dass mir die Vorstellung gegen den Strich ging.

Shaila zuckte mit den Achseln. »Quatsch. Rachel ist so was wie meine große Schwester. Sie hätte sicher nichts dagegen. Außerdem könnte es uns Zugang zu den Playern verschaffen. Rachel hat gesagt, dass sie nichts versprechen kann.«

Gegen das Argument kam ich nicht an, und das wusste sie. Aber immerhin konnte ich Shaila das Versprechen abnehmen, Nikki nichts zu erzählen. Wenn wir zu dritt bei mir rumhingen, sehe es wie ein Hinterhalt aus, sagte ich. Adam sollte schließlich nicht denken, dass wir uns an ihn ranschmissen, um zu irgendwelchen Partys eingeladen zu werden. Shaila gab mir recht.

Als sie am folgenden Freitag nach der Schule mit mir nach Hause kam, war ich total nervös. Ich hatte Angst, dass er sie vielleicht lieber mochte als mich. Dass in seiner »Neuntklässlerinnen-mit-denen-ich-abhänge«-Gruppe nur ein Platz zu besetzen war. Die Abende, wenn er hier war, glichen einem Eiertanz. Ich durfte mir keinen Fehltritt erlauben. Eine weitere Person aufs Parkett zu holen, erhöhte den Schwierigkeitsgrad noch zusätzlich.

Als es an der Tür klingelte, rannte Shaila die Treppe hinunter. Ich war nur ein paar Schritte hinter ihr, aber sie war es, die die Tür aufmachte und sich dabei vor mich schob, zwischen Adam und mich.

»Shaila«, sagte er mit einem überraschten Grinsen.

»Ich übernachte heute hier«, sagte sie.

»Cool.« Er sah mich kurz mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann fragte er Shaila: »Ist Graham auch weggefahren?«

Sie nickte. »Das letzte Wochenende in den Hamptons.«

»Rachel war total angepisst«, sagte Adam.

»Graham auch.« Shaila verzog das Gesicht.

Ich versuchte ihrer Unterhaltung zu folgen, aber es war, als würden sie eine mir fremde Sprache sprechen. Eine Sprache, die nur Leute beherrschen, die mit den Eigenheiten einer bestimmten Familie vertraut sind, den Dingen, die hinter geschlossenen Türen passieren. Doch gerade als mein Unbehagen fast nicht mehr auszuhalten war, schob Adam sich an Shaila vorbei und umarmte mich, wobei er mir das Kinn auf den Scheitel legte.

»Hey, Newman«, murmelte er. Ich schlang die Arme um ihn und spürte die von ihm ausgehende Wärme. Da wusste ich zum ersten Mal, dass wir Freunde waren. Und Shaila durfte es aus erster Hand miterleben.

Während der nächsten Stunde schauten Shaila und ich uns YouTube-Videos an, bis Adam aus der Küche kam und Jared zum Zocken in den Keller verschwand.

»Gehen wir auf die Terrasse?«, fragte Adam und setzte sich in Bewegung, ohne unsere Antwort abzuwarten. Inzwischen wusste er, welche Bodenbretter knarzten und wohin er treten musste, um nicht in Harz zu steigen. Er setzte sich auf seinen Stammplatz unter dem Apfelbaum, der noch nie auch nur eine Frucht hervorgebracht hat, und suchte etwas in seiner Tasche.

Shaila und ich ließen uns links und rechts von ihm nieder. Sie kaute an ihren Fingern und zog mit den Zähnen die Haut ab.

»Ich habe eine Überraschung«, erklärte Adam und legte die Hände auf den Tisch.

»Bourbon?«, fragte ich, bemüht, den feinen Grat zwischen wissend und geltungsbedürftig nicht zu überschreiten.

Er schüttelte den Kopf. »Besser.« Damit hob er die Hände wie ein Zauberer und brachte einen kleinen, länglichen Gegenstand zum Vorschein, der ein bisschen wie ein zerknülltes Strohhalmpapier aussah und an einem Ende schmaler zusammenlief.

Shaila gluckste freudig. »Juhu!«

»Hast du schon mal gekifft?«, fragte Adam. Ich warf ihr einen Blick zu. Darüber hatten wir noch nie gesprochen.

»Einmal mit Kara. Sie hatte richtig fettes Dope aus der Stadt dabei.« Richtig fettes Dope. Drei Worte, die ich noch nie aus Shailas Mund gehört hatte, vor allem nicht im Zusammenhang mit ihrer schicken Freundin, deren Familie ebenfalls ein Sommerhaus in den Hamptons besaß.

Ende der Leseprobe