The Secret Book Club – Liebesromane zum Frühstück - Lyssa Kay Adams - E-Book
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The Secret Book Club – Liebesromane zum Frühstück E-Book

Lyssa Kay Adams

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Beschreibung

Liebesromane sind auch (k)eine Lösung Noah Logan hat ein Problem: Er ist in seine beste Freundin Alexis verliebt. Und das ist ein Problem, weil … na ja, weil sie eben seine beste Freundin ist. Er will Alexis auf gar keinen Fall verlieren. Nur, wenn er ihr seine Gefühle gesteht, könnte genau das passieren. Noah hat keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Und verzweifelte Männer tun verzweifelte Dinge. Wie sich dem Secret Book Club anzuschließen. Die Jungs aus dem Buchclub sind der Überzeugung, dass sich jede Beziehung mit Hilfe von Liebesromanen verbessern lässt. Noah hat da seine Zweifel. Vor allem als der erste Kuss mit Alexis katastrophal endet … Romantisch, sexy und hinreißend komisch: Diesen Buchclub muss man einfach lieben! Der dritte Band der Secret-Book-Club-Reihe

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Lyssa Kay Adams

The Secret Book Club – Liebesromane zum Frühstück

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Angela Koonen

 

Über dieses Buch

Liebesromane sind auch (k)eine Lösung

 

Noah Logan hat ein Problem: Er ist in seine beste Freundin Alexis verliebt. Und das ist ein Problem, weil … na ja, weil sie eben seine beste Freundin ist. Er will Alexis auf gar keinen Fall verlieren. Nur, wenn er ihr seine Gefühle gesteht, könnte genau das passieren. Noah hat keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Und verzweifelte Männer tun verzweifelte Dinge. Wie sich dem Secret Book Club anzuschließen. Die Jungs aus dem Buchclub sind der Überzeugung, dass sich jede Beziehung mit Hilfe von Liebesromanen verbessern lässt. Noah hat da seine Zweifel. Vor allem als der erste Kuss mit Alexis katastrophal endet …

 

Romantisch, sexy und hinreißend komisch: Diesen Buchclub muss man einfach lieben!

Vita

Lyssa Kay Adams hat ihren ersten Liebesroman vom Bücherregal ihrer Oma geklaut. Das war in der achten Klasse, und seitdem ist sie ein treuer Fan des Genres. Das merkt man auch ihren eigenen Büchern an. In ihrer Reihe «The Secret Book Club» über Männer, die heimlich Romances lesen, findet man nicht nur hinreißende Liebesgeschichten, sie ist auch eine Hommage an das Genre selbst. Nach zwanzig Jahren als Journalistin schreibt Lyssa Kay Adams inzwischen in Vollzeit Romane. Sie lebt in Michigan und tauscht sich gern mit ihren Lesern aus. Mehr Informationen sind auf ihrer Homepage zu finden: www.lyssakayadams.com.

 

Die Übersetzerin Angela Koonen ist am Niederrhein aufgewachsen und liest schon, seit sie denken kann. Sie studierte aus Neugier Theologie, hat einen Sohn großgezogen und übersetzt seit zwanzig Jahren Unterhaltungsromane jeden Genres. Wenn sie nicht gerade liest oder übersetzt, hört sie gern Opern, Funk und Heavy Metal oder beschäftigt sich mit Malerei.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel «Crazy Stupid Bromance» bei Berkley/Penguin Publishing Group/Penguin Random House, LLC, New York.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2021

Copyright © 2021 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg «Crazy Stupid Bromance» Copyright © 2020 by Lyssa Kay Adams

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung Shutterstock

ISBN 978-3-644-00602-7

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

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www.rowohlt.de

Für Gerry, meinen Mann, besten Freund und Dreckige-Witze-Erfinder

Kapitel 1

Noah Logan hatte es immer geahnt: Eines Tages würde er sich so sehr verändern, dass er sich selbst nicht mehr wiedererkannte. Und wie es aussah, kam dieser Tag heute, an seinem einunddreißigsten Geburtstag.

Aber nur, wenn er sich nicht wehrte.

Und das würde er verdammt noch mal tun.

Er verschränkte die Arme vor der Brust, nahm die Sag-das-noch-mal-Haltung seines Soldatenvaters ein und spannte die Kiefermuskeln unter seinem Dreitagebart an. «Nein. Kommt nicht in Frage. Nicht in einer Million Jahren.»

Sein Freund Braden Mack sah ihn bittend an. «Ach komm, Mann. Das wird das beste Geburtstagsgeschenk überhaupt.»

«Das ist mein Geburtstag, Blödmann», knurrte Noah. Mit ausholender Armbewegung zeigte er auf den Kreis von Männern und einer Frau, die sich im Temple, einem von Macks Country-und-Western-Danceclubs, um einen Tisch versammelt hatten. «Und den Hundeblick kannst du dir für die anderen aufsparen. Der wirkt bei mir nicht.»

Das war gelogen. Macks Hundeblick hatte ihn überhaupt erst hierhergebracht. Als Mack ihn bat, zusammen mit seinen engsten Freunden seine Hochzeit zu planen, hatte er sich geehrt gefühlt. Zuerst. Doch dann machte Mack einen auf Bitte-bitte-spiel-mit-mir-Hundewelpe, und auf einmal beteiligte Noah sich an dem ganzen Scheiß, den eigentlich Bräute tun sollten. Liv, Macks Verlobte, hatte die Planung ihm überlassen, und Mack fand es anscheinend nur fair, wenn seine Kumpel zu spüren bekamen, was die Gesellschaft den Frauen abverlangte.

Womit Noah völlig einverstanden war. Aber Mann, in den letzten acht Monaten hatte er mit Mack zusammen Blumenarrangements ausgesucht, über Lichterkettenkonzepte nachgedacht, die zweischneidige Botschaft eines Bibelverses erörtert und sich mit einem anderen Trauzeugen ein hitziges Wortgefecht darüber geliefert, ob Mack auf die unzeitgemäße Tradition, seiner Braut vor aller Augen das Strumpfband auszuziehen, verzichten sollte. Die Hochzeit war in einem Monat, und inzwischen war Mack offiziell zu Groomzilla mutiert.

Und heute? Oh, heute wurde gebastelt. Mack wollte einen von Hand dekorierten Blumenbogen am Eingang zur Hochzeitslocation haben.

Weshalb sie sich an einem Donnerstag im Oktober um drei Uhr nachmittags in seinem Club trafen, um fünfhundert Papierblumen zu basteln. Aber das war eindeutig nur eine Ablenkungstaktik, damit Mack ganz nebenbei seine neueste hanebüchene Idee unter die Leute bringen konnte.

Sie sollten eine Tanznummer aufführen. Eine Tanznummer.

«Lass es mich so ausdrücken, dass auch du es verstehst: Fahr – zur – Hölle! Ich tanze nicht!»

Mack starrte ihn so frustriert an wie ein Kindergartenkind, dem in der Nachmittagspause eine zweite Trinkschokolade verwehrt wurde. Hinter sich hörte Noah Schritte auf dem abgenutzten Dielenboden. Mack bekam offenbar Verstärkung. Augenblicke später landete eine Pranke mit so viel Wucht auf seiner Schulter, dass Noah einen Schritt nach vorn stolperte und ihm die dicke schwarze Brille auf die Nasenspitze rutschte.

«Wir tanzen für Mack», sagte Vlad Konnikov, ein russischer Eishockeyspieler. Zu seinem kräftigen Akzent gesellte sich diesmal ein drohender Oder-sonst-Tonfall.

Der wiederum trieb Noahs Stimmlage auf Oh-Scheiße-Höhe, als er es mit einer anderen Taktik probierte. «Was ist mit Liam? Dein Bruder lebt in Kalifornien. Wie soll er die Schritte lernen, wenn er gar nicht hier ist?»

«Ich schicke ihm ein Video», antwortete Mack. «Er kriegt das schon hin.»

Noah schob die Brille hoch und drehte sich zum Tisch um. Alle Augen waren in Erwartung seiner unausweichlichen Niederlage auf ihn gerichtet. «Findet ihr das etwa okay?»

«Echte Freunde lassen nicht zu, dass sich einer von ihnen allein blamiert», antwortete Delaney Hicks, Baseballspieler der Nashville Legends. Mit seinen dicken Fingern faltete er überraschend geschickt ein Stück Seidenpapier zu einer Blüte, die einer Nelke bemerkenswert ähnlich sah.

«Meine Frau hat mir Prügel angedroht, wenn ich nicht mitmache.» Das von Gavin Scott, ebenfalls Baseballspieler. Seine Frau Thea war Macks künftige Schwägerin. Del verpasste Gavin einen Klaps gegen den Hinterkopf. Der zuckte zusammen und korrigierte seine Aussage. «Ich meine, ich mache gerne mit.»

Die einzige Frau in der Gruppe schnaubte und warf eine rosa Seidenpapierblüte in den Karton neben ihrem Stuhl. Sonia war seit vielen Jahren Geschäftsführerin des Clubs und die übellaunigste Person, die er je kennengelernt hatte. «Gib’s auf, Noah. Wenn Mack mich überzeugen kann zu basteln, dann kannst du dein Ego lange genug beiseiteschieben, um zu tanzen.»

Das hatte nichts mit Ego zu tun. Es war reiner Selbstschutz. Ja, er trug die Haare noch lang, und an seinem Kleidungsstil hatte sich nicht viel geändert, aber trotz Männerdutt und Comic-Shirts würden ihn seine damaligen Hacktivisten-Freunde nicht wiedererkennen. Der Mann, den das FBI mal festgenommen hatte, weil er sich in das Forschungszentrum einer Uni gehackt hatte, war dabei, sich in einen Smoking tragenden Tanzaffen bei einer pinteresttauglichen Millionenhochzeit voller reicher Promis zu verwandeln.

Zugegeben, Mack und seine Freunde waren ganz anders als die kriegstreibenden Drecksäcke, die er in seinen Hackertagen zu Fall bringen wollte. Sie waren sogar die anständigsten Leute, die er kannte. Und er selbst war inzwischen auch weit gekommen. Er war erfolgreicher Unternehmer. Ihm gehörte ein prosperierender Computersicherheitsdienst mit hochrangigem Kundenstamm. Er war eindeutig respektabel. Mit dreißig schon Millionär. Endlich hatte er seinem Vater seinen letzten Wunsch erfüllt: Stell etwas mit deinem genialen Hirn an.

Eine geschmacklose Trauzeugen-Tanznummer hatte seinem alten Herrn dabei bestimmt nicht vorgeschwebt.

Er griff zu seiner besten und letzten Ausrede. «Mann, hast du eigentlich mal daran gedacht, wie Liv das findet? Sie hasst solchen Romantikkitsch doch.»

Mack zuckte die Achseln. «Aber sie lacht gern.»

«Also ist der Sinn des Ganzen, dass wir uns vor allen Leuten demütigen?»

«Nein. Der Sinn ist, dass wir uns vor den Frauen, die wir lieben, verletzlich zeigen.»

Mack betonte besonders den Teil mit den Frauen. Es war ein Tiefschlag, und Mack wusste das. Aber er ließ keine Gelegenheit aus, um Noah wegen seiner Freundschaft mit Alexis Carlisle zu nerven. Mack und die Jungs verstanden nicht, wieso er es bei einem rein platonischen Verhältnis beließ, und Noah war es verdammt leid, das immer wieder zu erklären.

Er rieb sich über den Nacken, wo sich sein Dutt gelockert hatte, zerrte das Gummi heraus und band die Haare neu zusammen.

«Alexis wird es lieben.» Mack zog eine Braue hoch. «Das weißt du genau.»

Und das reichte, dass Noah die Arme herabfallen ließ und resigniert seufzte. «Was muss ich tun?»

«Komm einfach am Samstag her und lern die Schritte. Ich habe einen Choreographen bestellt.»

«Toll.»

Mack schlug Noah auf den Rücken. «Das bedeutet mir viel, Mann. Und warte nur ab, das wird lustig.»

Das würde grässlich. Noah trottete hinter ihm her zum Tisch und ließ sich auf einen Stuhl plumpsen. Sonia schob ihm einen Stapel Seidenpapier zu. Er murmelte ein Danke, richtete seinen finsteren Blick aber wieder auf Mack. «Ich schwöre bei Gott, wenn das irgendwas mit Twerken zu tun hat, steige ich aus.»

«Alter, keiner will Vlad twerken sehen», versicherte Colton Wheeler, ein Countrymusiker, der seine Karriere in Macks Nachtclubs begonnen hatte und jetzt zum Freundeskreis gehörte. Er war außerdem Noahs neuester Kunde. Und hatte recht, was Vlad anging. Der Hockeyspieler war groß, behaart und hatte die unglückliche Angewohnheit, in aller Öffentlichkeit zu furzen.

«Was ist twerken?», fragte Vlad.

Colton fischte sein Handy aus der Tasche und suchte rasch ein Video heraus. Vlad wurde puterrot und wandte sich seinen Papierblumen zu. «Kein Twerken.»

«Da wir gerade von deinem Geburtstag sprachen …» Mack bückte sich, um etwas vom Boden neben seinem Stuhl aufzuheben. Er kam mit einer Geschenktüte wieder hoch und gab sie Colton, der sie an Noah weiterreichte.

Noah spähte hinein und stöhnte. Ein Taschenbuch. Unter dem Titel Coming Home umarmten sich ein Mann und eine Frau, und der Mann hielt einen Football in der Hand.

Noah streckte Colton die Tüte hin, um sie loszuwerden. «Nein. Es reicht, dass du mich zum Tanzen zwingst.»

Colton schob Noahs Hand weg. «Vertrau uns. Du brauchst das.»

Noah ließ die Tüte auf den Tisch fallen. «Nein, ganz bestimmt nicht.»

«Aber die Geschichte wird dir gefallen», drängte Mack. «Sie handelt von einem Profi-Footballspieler, der in seine Heimatstadt zurückkehrt und entdeckt, dass seine alte Freundin noch da lebt und …»

«Ist mir egal, worum es geht. Wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich bei eurem Buchclub nicht mitmachen werde?»

Er war der einzige der anwesenden Männer, der nicht zu Macks Liebesromanbuchclub gehörte. Die Jungs glaubten, dass Liebesromane alle Lösungen für Beziehungsprobleme parat hielten. Zugegeben, Mack war glücklich verlobt, und alle anderen hatten Rat in den Büchern gesucht und damit ihre Ehen gerettet. Noah konnte ihre Erfolge also nicht leugnen, doch er hatte Macks literarische Avancen allesamt abgewehrt.

Mack stützte die Ellbogen auf den Tisch. «Du musst es nur lesen und auf uns hören, dann können wir dein kleines Problem beheben.»

Noah knirschte mit den Zähnen. «Es gibt kein Problem, das gelöst werden müsste. Lexa und ich sind befreundet.»

«Sicher.» Colton schnaubte. «Befreundet. Nur dass du jede freie Minute mit ihr verbringst, losrennst, wenn sie anruft, am Telefon ein dämliches Spiel spielst …»

«Es heißt Nerd Word.»

«… einen Spitznamen für sie hast, den kein anderer benutzt, und bei ihr zu Hause abhängst, obwohl du gegen ihre Katze allergisch bist. Hab ich was vergessen?»

«Ich bin auch allergisch gegen Mack und hänge mit ihm ab.»

Mack griff sich ans Herz. «Das tut weh. Wirklich.»

Colton hob beschwichtigend die Hände. «Ich sag ja nur, dass ich nicht verstehe, warum du mit Absicht in der Friendzone bleibst.»

«Lass ihn in Ruhe», sagte jemand ruhig, aber bestimmt am anderen Tischende. Es war Malcolm James, NFL-Spieler, Feminist und Zen-Meister. «Männer und Frauen können befreundet sein, ohne dass es sexuell werden muss.»

«Außer in seinem Fall», erwiderte Colton. «Er will Sex mit ihr.»

Noah ballte die Faust auf dem Tisch. «Pass auf, was du sagst.»

«Ja, Alter.» Mack schüttelte den Kopf. «Das war unangebracht. So reden wir nicht über Frauen.»

Colton zuckte verlegen die Achseln und murmelte eine Entschuldigung.

Malcolm fuhr fort. «Die sogenannte Friendzone ist bloß ein gesellschaftliches Konstrukt, mit dem sich Männer rechtfertigen, wenn eine Frau mit ihnen keinen Sex haben will. Eine blödsinnige Lüge, und wir alle wissen das. Also lasst ihn wegen seiner Beziehung in Ruhe. Wir sollten ihn unterstützen, weil er beweist, dass Männer und Frauen echte Freunde sein können.»

Wie eine Klasse, die gerade von ihrem Lieblingslehrer getadelt worden war, wurden alle still. Man hörte nur noch das Rascheln des Papiers.

Doch das Schweigen hielt nicht lange an. Mack blickte seufzend auf. «Ich meine ja nur, dass sie vielleicht bereit ist, Noah.»

Noah spürte eine Sicherung durchbrennen.

«Es ist jetzt anderthalb Jahre her, seit …»

«Halt die Klappe», schnauzte Noah. Als ob Mack ihn daran erinnern müsste. Er wusste selbst ganz genau, wie lange er Alexis kannte. Und nicht der Zeitraum war das Problem, sondern die Umstände.

Und die passten nicht. Weder damals noch heute.

Vielleicht sogar nie. Und der Gedanke war genauso deprimierend wie die Aussicht, eine Tanznummer aufzuführen.

Noah starrte auf die Geschenktüte mit dem Buch. Er wollte ihre Hilfe nicht, und er brauchte mit Sicherheit keine Liebesromane, um zu begreifen, dass er eine wandelnde Liebeskatastrophe war. Unerwiderte Liebe gab ein erbärmliches Happy End ab.

Doch eine Stunde später, als alle aufbrachen, nahm er das Buch mit. Wenn er Mack nur loswerden konnte, indem er vorgab, sich auf einen dämlichen Liebesroman einzulassen, dann tat er das eben.

Kapitel 2

Es war so weit. Alexis spürte es. Heute würde die schüchterne junge Frau endlich mit ihr reden.

Seit einer Woche kam das Mädchen mit den langen braunen Haaren in wechselnden Sweatshirts jeden Tag ins ToeBeans, Alexis’ Katzencafé, und setzte sich mit einem Buch an einen Ecktisch, wo sie ab und zu eine der Katzen streichelte und nervös zu ihr hinübersah.

Heute hielt sie kein Buch in der Hand. Sie schaute sich nur um und starrte Alexis an, wenn sie sich unbeobachtet glaubte.

In den vergangenen achtzehn Monaten, seit sich Alexis zusammen mit einem Dutzend Frauen als Opfer sexueller Übergriffe durch den prominenten Koch Royce Preston geoutet hatte, war ihr Café zu einer Anlaufstelle für Frauen geworden, die Ähnliches erlebt hatten. Fast jede Woche kam jemand, der ein offenes Ohr, eine verständnisvolle Umarmung oder Hilfe brauchte, um sich aus einer üblen Situation zu befreien. Alexis hatte sich diese Aufgabe nicht ausgesucht, aber sie hatte sie angenommen. Und in der Zwischenzeit hatte sie gelernt, die Signale zu erkennen, wenn jemand bereit war, zu reden.

Sie drehte sich zur Barista um, ihrer Freundin Jessica Summers, einer anderen Royce-Überlebenden. «Kannst du kurz die Theke übernehmen? Ich will etwas versuchen.»

Jessica nickte. Alexis lief nach hinten und durch die Küche zu dem Schrank mit den Gartenutensilien, mit denen sie die kleinen Beete vor dem Café pflegte. Da musste dringend Unkraut gejätet und welke Blüten abgeschnitten werden, und vielleicht ließen sich dabei zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie schleppte die Kiste durchs Café und tat, als wäre sie ihr zu schwer. An der Tür angelangt, lehnte sie die Kiste, betont mühsam auf eine Hand gestützt, gegen die Fensterscheibe und griff mit der anderen nach der Klinke.

Das Schauspiel wirkte. Die junge Frau kam zaghaft lächelnd zu ihr. «K-kann ich helfen?»

Alexis bemühte sich, eine sanfte Freundlichkeit auszustrahlen und sich nicht anmerken zu lassen, dass sie innerlich vor Freude hüpfte. «Ja, danke.» Sie hob die Kiste an und drückte sie an den Bauch. «Ich brauche einfach mehr Hände.»

Die Frau öffnete ihr die Tür und ließ sie an sich vorbei.

«Kühl heute, hm?» Alexis bückte sich, um die Kiste auf dem Pflaster abzusetzen.

Die Frau ließ die Tür hinter sich zufallen und zog die Ärmel über ihre Hände. «Ja. Ich … hätte nicht gedacht, dass es hier so viel kälter ist.»

«Du bist nicht aus Nashville?» Alexis hockte sich vor die Kiste und kramte zum Schein darin herum. Sie wollte die Unterhaltung aufrechterhalten, ohne aufdringlich zu wirken. Die Frauen, die ihr Café besuchten, konnten es nicht gebrauchen, zum Reden gedrängt zu werden.

«Nein, aus Huntsville. Da ist es noch ziemlich warm.»

Alexis nahm ihre Gartenhandschuhe heraus und stand auf, als hätte sie endlich gefunden, was sie gesucht hatte. «Ich war noch nie in Alabama. Wie weit ist es bis Huntsville?»

«Man fährt etwa zwei Stunden. Deshalb dachte ich, das Wetter wäre ähnlich.»

Alexis schob sich die Handschuhe in die Hosentasche. «Das ist nur ein früher Kälteeinbruch.» Sie wählte bewusst einen unbeschwerten, beiläufigen Ton.

«Vielleicht.» Die junge Frau zog die Unterlippe zwischen die Zähne.

Alexis streckte ihr die Hand hin. «Ich bin Alexis. Ich habe dich schon ein paar Mal hier gesehen, aber wir haben bisher nicht miteinander gesprochen.»

Die Frau schluckte nervös, bevor sie ihr die Hand gab. «Candi. Also, eigentlich Candace, aber alle nennen mich Candi.»

«Freut mich, dich kennenzulernen, Candi.» Alexis deutete mit dem Kopf zur Tür. «Kann ich dir etwas zu trinken bringen?»

«Oh, nein.» Sie schüttelte fast hektisch den Kopf.

Enttäuschung dämpfte Alexis’ Freude.

«Ich meine, ja», stammelte Candi nervös schluckend, «ich möchte etwas trinken, aber du wirkst so beschäftigt, da kann ich doch selbst an die Theke gehen.»

«Ich tue das gern.» Alexis lächelte sie an. «Und danach kannst du mir ja Gesellschaft leisten, während ich versuche, diese Pflanzen nicht umzubringen.»

Sie hielt gespannt den Atem an, bis Candi wieder ihr zaghaftes Lächeln sehen ließ. «Sicher. Ja. Das … wäre schön.»

«Chai Latte mit Zimt?»

Das Lächeln wurde breiter. «Du hast dir gemerkt, was ich trinke?»

«Setz dich.» Alexis deutete zu den Terrassentischen. «Ich bin gleich wieder da.»

Als wäre es nichts Besonderes, schlenderte sie nach drinnen und fing Jessicas Blick auf. «Einen Chai Latte mit Zimt, bitte.» Sie blickte verstohlen über die Schulter nach draußen.

«Hat sie endlich mit dir geredet?» Jessicas Blick hellte sich auf, als sie anfing, das Getränk zuzubereiten.

Alexis nahm einen Muffin und einen Scone aus der Kuchenvitrine. Essen war ein guter Eisbrecher, und man konnte sich darauf konzentrieren, wenn Blickkontakt zu schwierig wurde. Ihr war schon vieles anvertraut worden, während zitternde Finger einen Muffin zerkrümelten.

Sie trug Gebäck und Tee nach draußen zu Candi. Die zog ihr Portemonnaie aus der Tasche. «Wie viel …»

«Geht aufs Haus», sagte Alexis und wandte sich wieder der Gartenkiste zu.

«Das kann ich nicht annehmen», widersprach Candi hastig.

«Betrachte es als Willkommensgruß in Nashville.» Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite. «Sind wir uns schon mal irgendwann begegnet?»

Für einen Moment wurden Candis Augen größer, dann schüttelte sie den Kopf. «Nein.»

«Du kommst mir bekannt vor.»

Candi blinzelte. «Wirklich?»

«Irgendwie schon. Liegt vielleicht an deinen Augen.»

Candi erstarrte wie ein Kaninchen, das beim Fressen aufhorcht.

Alexis nahm ihre Gartenschere und wandte sich den Chrysanthemen zu, denen mangelnde Gießfreude und die nächtliche Kälte arg zugesetzt hatten.

Sie schnitt eine braune Blüte ab. Wartete. Schnitt die nächste ab. Doch vom Tisch her hörte sie nur das leise Klirren der Tasse.

Als sich das Schweigen hinzog, entschloss sie sich, den Anfang zu machen. «Ich möchte dir sagen, dass du dich nie zum Reden gedrängt fühlen solltest. Wenn du einfach nur jemanden brauchst, der still bei dir sitzt, dann bin ich da. Jederzeit.»

«O-okay.»

Die nächste verwelkte Blüte fiel. «Viele Frauen wie du kommen hierher und wollen einfach nur Gesellschaft.»

Candi schluckte hörbar. Alexis legte die Schere in die Kiste und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch, was Candi nervös verfolgte. Aus der Schürzentasche zog Alexis eine Visitenkarte, die sie nur Frauen wie Candi gab. «Meine Handynummer. Du kannst mich zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen.»

Candi schaute so verblüfft auf die Kontaktdaten, als hätte Alexis ihr gerade einen Hundert-Dollar-Schein gegeben.

«Ich weiß, wie schwer das ist», sagte Alexis. «Es ist eine Qual, so etwas allein mit sich herumzutragen.»

«Ich … ich muss wirklich mit dir reden.»

«Wann immer du willst.»

In dem Moment wurden sie von einer schrillen weiblichen Stimme gestört. «Entschuldigen Sie, aber ich habe ein Hühnchen mit Ihnen zu rupfen.»

Candi riss die Augen auf und blickte über die Schulter zum Bürgersteig, wo Alexis’ Erzfeindin heranstürmte und auf ihren Tisch zuhielt.

Alexis blieb ruhig. «Entschuldigen Sie, Karen. Ich bin mitten in einem Gespräch. Kann das warten?»

«Absolut nicht.»

Und plötzlich wurde Candi blass, sprang auf und wich vom Tisch zurück. «Ich … ich kann später wiederkommen.»

«Candi, warte.» Alexis streckte den Arm nach ihr aus, bekam sie aber nicht zu fassen, und einen Moment später war Candi die Straße hinunter verschwunden.

Alexis nahm das benutzte Geschirr und stand auf. Ohne Karen zu beachten, ging sie ins Café und zur Theke. Sie stellte es in die Plastikschüssel unter dem Tresen, wischte sich die Hände an dem Handtuch ab, das sie sich in die Schürze geklemmt hatte, und wandte sich dann erst Karen zu. «Womit kann ich Ihnen heute helfen?»

«Vermutlich mit gar nichts. Bisher waren Sie schließlich auch nicht sehr hilfreich», antwortete Karen.

Alexis rang sich so etwas wie ein Lächeln ab. «Tut mir leid zu hören, dass unsere bisherigen Begegnungen für Sie unbefriedigend waren. Möchten Sie sich nicht setzen? Ich spendiere Ihnen einen Tee, und wir unterhalten uns.»

«Hier drinnen würde ich nicht mal für Geld etwas zu mir nehmen.»

«Was kann ich dann für Sie tun?» Sie versuchte nicht Karen zuliebe ruhig zu bleiben. Das tat sie um ihrer selbst willen. Denn eines hatte sie in den letzten achtzehn Monaten gelernt: Menschen glaubten, was sie glauben wollten, und nur bei wenigen lohnte sich die emotionale Anstrengung, sie umstimmen zu wollen. Außerdem war sie Karens Auftritte schon gewohnt. Karen Murray besaß das Antiquitätengeschäft auf der anderen Straßenseite, und seit Alexis ihre Vorwürfe gegen Royce Preston öffentlich gemacht hatte, wurde sie von ihr schikaniert. Bis dahin hatte Karen kein einziges Mal mit ihr gesprochen, seitdem aber beschwerte sie sich mindestens einmal die Woche bei ihr.

Karen riss einen durchsichtigen Plastikbeutel aus ihrer Handtasche. «Hiermit können Sie mir helfen.»

Sie ließ den Beutel auf den Tresen fallen. Jessica wich mit einem Aufschrei zurück, da der Inhalt klar zu erkennen war. Die toten Augen einer Ratte starrten stumm flehend durch die Plastikfolie.

Alexis trat näher und hob den Beutel an einer Ecke hoch. «Danke für das Geschenk, Karen, aber ich bin Vegetarierin.»

«Für Sie ist alles ein Witz, oder?» Karen rückte den Henkel ihrer Handtasche höher auf die Schulter. «Dieses Tier lag heute Morgen auf der Fußmatte vor meinem Geschäft.»

Alexis warf den Beutel in den Abfalleimer unter dem Tresen. Sobald Karen gegangen war, würde sie ihn leeren, auswaschen und desinfizieren. «Ich kann nicht ganz folgen. Wieso bin ich an der Ratte schuld?»

«Weil Ihre Katze sie dort hingelegt hat!» Verächtlich zeigte sie auf Beefcake, Alexis’ Maine-Coon-Kater, der schlafend auf einem Kratzbaum am Fenster lag.

Alexis zwang sich zu lächeln. «Karen, Beefcake kann das nicht getan haben. Ich nehme ihn abends mit nach Hause, und seit wir heute Morgen hergekommen sind, habe ich ihn nicht nach draußen gelassen.»

Jessica spritzte Flüssigreiniger auf die Glastheke. Karen trat einen großen Schritt weg und drückte ihre Handtasche an sich. «Wissen Sie, es war schlimm genug, als wir nur mit Ihren wöchentlichen Katzenadoptionsabenden klarkommen mussten. Und jetzt sollen wir auch das noch hinnehmen?»

Karen deutete wedelnd zu den Tischen, wo etliche Frauen saßen und sich unterhielten, einige vergnügt, andere weinend.

«Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz», sagte Alexis. «Sie sind wütend, weil ich viele Kundinnen habe?»

«Diese Frauen sind nicht bloß Kundinnen.»

«Sie bezahlen, was sie essen und trinken. Für mich sieht das nach Kundinnen aus.»

«Sie wissen, was ich meine. Sie belegen die Parkplätze und gehen nie in eins der anderen Geschäfte im Viertel. Es ist unfair, dass Sie für Ihren kleinen Kreuzzug sämtliche Parkplätze beanspruchen.»

Alexis verschränkte die Arme. «Mit Kreuzzug meinen Sie wohl den Versuch, für Frauen, die sexuelle Gewalt erleben mussten, eine vorurteilsfreie unterstützende Umgebung zu schaffen?»

Karen rollte die Augen, was mehr sagte, als Worte es je könnten. «Nur weil jemand behauptet, ein Opfer zu sein, muss es noch lange nicht stimmen. Soweit wir wissen, wollen diese Frauen nur Aufmerksamkeit.»

«Klar, denn nichts bringt einer Frau so viel positive Aufmerksamkeit ein, wie wenn sie ihren Arbeitgeber wegen sexueller Belästigung anzeigt.»

Karens Gesicht nahm einen beunruhigend dunklen Rotton an. «Ich werde mich an den Bezirksrat wenden, wenn es sein muss.»

Die alte Alexis hätte sich durch die Drohung einschüchtern lassen, doch darüber war sie hinausgewachsen, als sie ihren alten Chef öffentlich anprangerte. Wenn Karen ihr Angst machen wollte, müsste sie schon andere Geschütze auffahren. «Dann grüßen Sie die Vorsitzende von mir. Richten Sie ihr aus, dass wir die Pumpkin-Spice-Scones demnächst wieder auf die Speisekarte nehmen.»

Karen drehte sich auf ihren hohen Absätzen um und stöckelte wütend zur Tür. Die wurde in dem Moment von draußen geöffnet, und Alexis lachte laut, als sie sah, wer da kam. Ihre beste Freundin, Liv Papandreas, trat zur Seite, um Karen vorbeizulassen, und machte dann hinter ihrem Rücken eine obszöne Geste.

Alexis sah sie tadelnd an, aber sie liebte sie dafür. Sie hätte die vergangenen anderthalb Jahre nicht überlebt ohne die Unterstützung ihrer Freunde.

«Muss ich ihr eine knallen?» Liv kam an die Theke, über der Schulter einen Kleidersack.

«Bin schon selber fast so weit», antwortete Alexis und zog den Abfalleimer unter der Theke hervor.

«Oh, das würde ich zu gern sehen. Es wird Zeit, dass du mal zurückschlägst.»

«Mein Therapeut würde das nicht als gesunde Bewältigungsstrategie bezeichnen, und es würde auch gar nichts bringen.» Sie blickte zur Schwingtür und bedeutete Liv, nach hinten mitzukommen. «Was hast du da in dem Sack?»

Liv hüpfte fast vor Begeisterung. «Ein Geschenk für euch beide», sang sie fröhlich. Hinter der Theke hielt sie an, um Jessica zu begrüßen. Seit ihrer gemeinsamen Aktion gegen Royce waren die drei Freundinnen fürs Leben.

«Brautjungfernkleider?», riet Jessica grinsend.

«Jep. Wurden endlich geliefert.»

Liv folgte Alexis durch die Schwingtür, die den Gastraum von Küche und Büro trennte. Während Alexis den Abfalleimer an der Hintertür in den Müllcontainer leerte, hängte Liv den Kleidersack an die Bürotür. Sie zog gerade den Reißverschluss auf, als Alexis zurückkehrte, schlug die Klappen zur Seite und enthüllte zwei bodenlange, schulterfreie Kleider aus rubinroter Seide.

«Wow.» Alexis bestaunte sie. «Die sind noch schöner, als ich sie in Erinnerung hatte. Mack hat sie gut ausgesucht.»

Dass Liv die gesamte Planung ihrer Hochzeit ihrem Verlobten überlassen hatte, sagte alles über ihre Beziehung. Mack war von den beiden der romantische Part, Liv der Lass-uns-nach-Vegas-durchbrennen-Part. Und Alexis liebte sie beide.

Mit einem frechen Lächeln trat Liv zur Seite. «Ich kann es kaum erwarten, wie Noah reagiert, wenn er dich darin sieht.»

Alexis fühlte ihre Wangen heiß werden. Über ihre Freundschaft mit Noah Logan wurde ständig spekuliert, und genauso oft wurden sie deswegen aufgezogen.

«Guck nur, wie rot du wirst.» Liv lachte. «Und da soll ich ernsthaft glauben, dass ihr beide nur Freunde seid?»

Doch es war wahr. Sie hatten sich während der turbulenten Vorfälle um Royce Preston kennengelernt und sich auf Anhieb gut verstanden. Abgesehen von Liv, war er ihr engster Freund. Er war lustig, intelligent, freundlich, und vor allem fühlte sie sich bei ihm sicher. Und kam sich nicht wie die platte Karikatur der verschmähten Frau vor, die die Medien so gern von ihr zeichneten. Es hatte Augenblicke gegeben, wo sie sich mehr von ihm wünschte, doch er hatte nie erkennen lassen, dass er genauso empfand. Sie war im Hinblick auf Männer noch ängstlich, und außerdem wollte sie auf keinen Fall die beste Beziehung ruinieren, die sie je mit einem Mann gehabt hatte, indem sie nun auf mehr drängte.

Die Küchentür schwang auf. Liv lachte. «Wenn man vom Teufel spricht.»

Kapitel 3

Man braucht kein Genie zu sein, um zu merken, wenn man kurz vor Betreten der Bildfläche das Gesprächsthema war. Und Noah, der nach IQ-Maßstäben tatsächlich ein Genie war, schloss aus Alexis’ geröteten Wangen und Livs Grinsen sofort, in was für ein Gespräch er da reinplatzte.

Er betrat die Küche und hielt die weiße Papiertüte, deretwegen er beim Café einen Zwischenstopp einlegte, am ausgestreckten Arm hoch. «Bin ich besagter Teufel?»

Alexis machte große Augen. «Nicht wenn in der Tüte das ist, was ich glaube.»

«Ist es.» Er hielt sie ihr hin, und Alexis machte ein Geräusch purer Gier. Er lachte, als sie sie hungrig aufriss und den in Folie eingewickelten vegetarischen Taco herausholte. Er stammte von dem mexikanischen Foodtruck, der neben seinem Bürohaus stand.

Alexis verschlang ihn zur Hälfte und legte ihn dann neben Liv auf die Arbeitsfläche. «Rühr das ja nicht an», warnte sie ihre Freundin.

«Was machst du?», fragte Noah, als sie in das winzige Büro verschwand.

Zwei Augenblicke später kam sie mit einem Geschenk zurück und gab es ihm. «Happy Birthday.»

Er nahm es schief lächelnd. «Ich dachte, wir feiern erst morgen Abend.»

«Ich weiß, aber ich kann nicht abwarten. Das ist heute Morgen gekommen.»

Sie klatschte in die Hände, als er das Papier aufriss. Und dann blieb ihm der Mund offen stehen. «Heilige Scheiße. Ist das dein Ernst?»

Alexis quietschte freudig. «Und wie! Unglaublich, nicht?»

Er hielt einen Doctor-Who-Bausatz von Lego in der Hand. «Wo hast du den herbekommen?»

«Ich habe eine Woche lang mit einem Typen auf eBay darum gekämpft.»

Noah drehte die Packung um. «Original verpackt und ungeöffnet?»

«Ja!»

«Ich will lieber nicht wissen, wie viel das gekostet hat.» Er blickte auf.

«Spielt keine Rolle. Die einzige wichtige Frage ist, ob du es aufbauen oder in der Packung lassen willst.»

«Aufbauen», sagte er ehrfürchtig. «Und dabei können wir uns die Doku über Purpur und seine Entdeckung als Färbemittel ansehen.»

Liv schnaubte und stand von ihrem Hocker auf. «Okay, das ist das Nerdigste, das ich je gehört habe.»

«Pfft», machte Noah. «Das ist nicht mal in den Top Ten unserer nerdigsten Beschäftigungen.»

Alexis nickte und biss wieder in ihren Taco. «Letztes Wochenende», sagte sie nach hastigem Kauen, «waren wir beim Vortrag eines Vanderbilt-Professors über Wikingerkriegerinnen.»

Liv formte mit den Lippen ein lautloses Wow, dann drückte sie Alexis kurz an sich. «Ich muss wieder los. Hab noch mehr Kleider auszuliefern.» Als sie an Noah vorbeiging, grinste sie. «Hast du das Treffen überlebt?»

Noah stöhnte. «Dein Verlobter hat sie nicht mehr alle.»

«Sei nachsichtig mit ihm», erwiderte Liv. «Er plant seine Traumhochzeit schon, seit er ein kleiner Junge war.»

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, gab ihm einen Kuss auf die Wange und rauschte hinaus. Noah sah ihr hinterher, dann drehte er sich zu Alexis um, die seinem Blick mit einem neckenden Lächeln begegnete. «Welche verrückte Idee hatte Mack jetzt wieder?»

«Wir müssen eine Tanznummer einstudieren.»

Alexis lachte schallend, und das allein war es wert. Er würde jede Demütigung ertragen, wenn sie das zum Lachen brachte. Denn er erinnerte sich nur zu gut an die Zeit, als jedes Lachen ein hart erkämpfter Sieg war. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er sie weinen sehen. Da war es gerade ein paar Stunden her, dass sie Royce Preston als Sexualstraftäter öffentlich bloßgestellt hatte. Sie waren bei Mack gewesen, um die geglückte Aktion zu feiern, und sie verzog sich plötzlich still und leise in den Garten.

«Alexis.»

Als er sie ansprach, fuhr sie erschrocken herum und wischte sich hastig die Tränen weg.

Entschuldigend hob er die Hände. «Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich habe dich hinauslaufen sehen und wollte nur fragen, ob du okay bist.»

Alexis wischte sich erneut über die Wangen und zuckte die Achseln. «Sicher. Ich … ich wollte nur …», sie deutete etwas hilflos auf ihre verweinten Augen, «ein bisschen Anspannung abbauen.»

«Das ist der Adrenalinabfall.»

«Du meinst den Moment, wo einem der Körper sagt: Oh mein Gott, was hast du getan?»

Er lachte leise. «Genau der.»

Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen, und streckte ihm die Hand hin. «Du bist Noah, stimmt’s?»

Er trat näher und schüttelte ihr die Hand. Klein und warm fühlte sie sich an. «Noah Logan.»

Alexis zog die Hand zurück. «Danke für das, was du getan hast. Dass du uns geholfen hast, meine ich.»

«Ich sollte dir danken, weil du etwas gegen den Kerl unternommen hast.»

Alexis schlang die Arme um sich. «Das hätte ich schon vor langer Zeit tun sollen.»

«Die Wahrheit hat kein Verfallsdatum.»

«Und was ist mit Demütigung?»

In Noah regte sich etwas, das er nicht so ganz deuten konnte. Eine Mischung aus Respekt und Sehnsucht. «Ich hoffe, du meinst seine. Denn du brauchst dich wegen nichts gedemütigt zu fühlen.»

Sie sah weg, als ob sie ihm nicht glaubte.

«Was wirst du jetzt tun?», wollte er wissen.

«Keine Ahnung. Ich habe das so lange allein mit mir herumgeschleppt. Ich weiß gar nicht mehr, wie es ist, ohne dieses Geheimnis zu leben. Ich glaube, ich brauche jetzt einfach Ruhe.» Sie sah ihn mit großen Augen an und musterte ihn. «Keine Ahnung, wieso ich das bei dir ablade.»

«Weil ich gerade da bin?»

Sie schnaubte. «Du Glückspilz.»

Und das war er. Er wusste es damals nur noch nicht. In tausenderlei Hinsicht war Alexis das Beste, was ihm je passiert war. Und er hatte keine Ahnung, wie er ihr das sagen konnte, ohne alles zu ruinieren.

Das Rascheln von Papier holte ihn in die Gegenwart zurück. Alexis lehnte sich neben ihn an die Arbeitsplatte und packte ihren zweiten Taco aus. «Danke. Du weißt gar nicht, wie sehr ich das gebraucht habe.»

«Ich habe mir gedacht, dass du wieder zu essen vergisst.»

«Hier war heute die Hölle los.»

«Ist die Schüchterne wieder hier gewesen?»

«Ja.» Sie stöhnte verärgert.

«Wieso bist du sauer deswegen?»

Alexis zog die Brauen zusammen. «Weil sie endlich bereit war, sich zu öffnen, und dann kam Karen und quatschte dazwischen.»

Noah bemerkte ein Korianderblättchen an ihrem Mundwinkel und wischte es weg. «Worüber hat sie sich diesmal beschwert?»

Alexis begann, die Geschichte zu erzählen, in der es unter anderem um Parkplätze und eine tote Ratte ging.

«Er kann es nicht gewesen sein», sagte sie schließlich über den Kater, der zu fünfzig Prozent ein Dämon und zu hundert Prozent der Horror war. «Er war den ganzen Tag drinnen.»

Sie zeigte auf den Kratzbaum am Schaufenster, und Beefcake fuhr gemächlich die Krallen aus. Noah sah sein Leben in Sekundenschnelle an sich vorbeiziehen. Er stand ohnehin nicht auf der sehr kurzen Liste von Leuten, die der Kater halbwegs leiden konnte, und vor einem Monat hatte sich ihr Verhältnis auch noch von schlecht zu katastrophal entwickelt. Die Tierärztin hatte eine Diät angeordnet, und seitdem fixierte ihn der Kater wie eine Platte mit gegrillten Hähnchenkeulen. Er sah zerzaust und gefährlich aus, so als hätte er ein paar Runden im Wäschetrockner gedreht und das genossen. Sein Fell stand nach allen Seiten ab, an den Ohren hatte er spitze Fellbüschel und über den Augen eine Monobraue in finsterem Grau, sodass er aussah wie ein permanent zorniger Kavallerist auf alten Bürgerkriegsfotos.

«Na ja.» Alexis gab einen langen Seufzer von sich. «Zum Schluss hat sie gesagt, sie wird sich an den Stadtrat wenden, und ist wieder abgedampft.»

«Was glaubt sie denn, was die Stadt unternehmen wird? Die Parkverordnungen ändern? Du hast gegen kein Gesetz verstoßen.»

«Das interessiert sie gar nicht. In ihren Augen bin ich eine dreckige Nutte.»

Noah erstarrte. «Das hat sie gesagt?»

Alexis strich sich eine Locke aus der Stirn. «Nicht wortwörtlich. Aber die Botschaft war eindeutig. Wir sind bloß ein Haufen verlogener Huren.»

Noah zog die Brauen zusammen. «Ich hasse es, wenn du so etwas sagst.»

«Ich spreche nur aus, was alle denken.»

«Kein anständiger Mensch denkt das.»

«Ich glaube, du überschätzt den menschlichen Charakter.»

Noah schnaubte. «Das hat mir noch nie jemand vorgeworfen.»

Nach fünf Jahren in der Hacktivisten-Community hatte er wenig Hoffnung für ihre Gattung. Und sie hatte nicht unrecht. In den Monaten nach der Royce-Aktion hatten sie in die Abgründe menschlicher Schlechtigkeit geblickt. Wenn er an einige Sprachnachrichten und E-Mails dachte, die Alexis von Royce-Fans bekommen hatte, kam ihm jetzt noch die Galle hoch. Obwohl ein Dutzend Frauen glaubwürdige Anschuldigungen gegen ihn vorgebracht hatten, weigerten sich die meisten seiner Fans zu glauben, dass ihr Idol etwas so Verabscheuungswürdiges tun konnte. Folglich logen die Frauen. Sie waren bloß unzufriedene Ex-Angestellte oder verschmähte Liebhaberinnen.

Noah hatte für Alexis einen neuen E-Mail-Filter eingerichtet, der die übelsten Nachrichten blockierte, doch sie erhielt trotzdem noch einige. Mittlerweile löschte sie sie kurzerhand, aber die schlimmsten zeigte sie ihm manchmal noch. Sie behauptete achselzuckend, sie habe sich daran gewöhnt, doch er kannte ihre Körpersprache inzwischen zu gut. Ihre Lippen wurden dann schmal, und sie musste schlucken, bevor sie redete. Es machte ihr zu schaffen. Sehr. Doch wenn er vorschlug, sie solle mehr dagegen tun, sagte sie, es sei die Zeit oder die Mühe nicht wert. Ihr gehe es nur darum, in Ruhe zu leben.

Noah spürte ihren Blick und sah zu ihr. «Was ist?»

«Hm?»

«Du starrst mich an. Habe ich etwas im Gesicht?»

«Ja, den.» Sie kratzte über seinen Bart. «Wie siehst du unter dem Gewächs eigentlich aus?»

Er wackelte mit den Brauen. «Das willst du gar nicht wissen.»

«Wow. So übel, hm?»

«Nein, so gut. Der Bart muss sein. Ein solches Ausmaß an männlicher Schönheit kann kein Sterblicher ertragen.»

«Also ist der Bart ein Dienst an der Allgemeinheit?»

«Absolut.»

Alexis schluckte den nächsten Bissen hinunter. «Kommt Zoe morgen auch?»

Es war ein Geburtstagsessen bei seiner Mutter geplant. Seine Schwester wollte auch mitfeiern, aber … Er zuckte die Achseln. «Wer weiß? Zoe ist Zoe. Sie tut, was sie will.»

«Und Marsh?», fragte Alexis beiläufig.

«Er wird da sein.»

Sie lächelte ihn verständnisvoll an, weil sie wusste, dass mehr dazu nicht gesagt werden musste. Das Verhältnis zwischen ihm und Pete Marshall, einem alten Army-Freund seines Vaters, war kompliziert. Ohne seine Hilfe und Ratschläge wäre Noah nicht so weit gekommen, wie er es war, doch die Unterstützung hatte ihren Preis. Marsh ließ permanent durchblicken, dass Noah nie so ein Mann sein würde wie sein Vater.

Noah stand auf und streckte sich laut gähnend. «Brauchst du nach dem Yoga heute Abend Hilfe beim Aufräumen?»

Alexis bot in ihrem Café auch einen Yogakurs an, der ein Mal im Monat stattfand und auf Frauen, die sexuelle Übergriffe erlebt hatten, zugeschnitten war.

«Ich glaube, Jessica und ich schaffen das allein, aber danke.»

«Mist. Ich dachte, ich könnte mich um den Abend bei Colton herumdrücken.»

«Warum?»

«Er hat wieder mal eine Phishing-Mail geöffnet und sein ganzes System lahmgelegt.»

Alexis lachte mitfühlend. «Hast du Lust, morgen Abend nach dem Essen bei deiner Mutter das Lego-Set aufzubauen?»

«Na klar.» Um die Abmachung zu besiegeln, hielt er ihr den kleinen Finger zum Einhaken hin. «Bis dann», sagte er und ging.

«Hey», rief sie hinter ihm her.

Er drehte sich um.

«Frag deine Mutter, was ich mitbringen soll.»

Er ging rückwärts weiter in Richtung Ausgang. «Du weißt, was sie sagen wird.»

«Nur dich selbst.»

Er grinste.

Alexis schüttelte lächelnd den Kopf. «Bis morgen dann.»

Und seine innere Uhr zählte sofort die Minuten bis zu ihrem Wiedersehen.

Kapitel 4

«Wir haben bald nicht mehr genug Platz», sagte Jessica einige Stunden später, während sie sich einen Pferdeschwanz band.

Von der Theke aus schauten sie über die freigeräumte Fläche. Tische und Stühle standen an der Seite gestapelt, um Platz für Yogamatten zu schaffen, und wenn heute alle angemeldeten Frauen kamen, die ihr Leben und ihren Körper durch die Kraft achtsamer Bewegung zurückerobern wollten, würden sie an die zwanzig sein.

«Sollten wir uns vielleicht nach einem anderen Raum umsehen?», schlug Jessica vor.

Alexis nickte unverbindlich. Sie wollte das jetzt nicht angehen, wenn auch nur, damit Karen nicht glaubte, sie hätte einen Teilsieg errungen. Die Befriedigung gönnte sie ihr nicht.

«Wir finden schon eine Lösung», sagte sie schließlich. Dabei ging sie zur Tür, um das Schild aufzuhängen, auf dem «Geschlossene Veranstaltung» stand. Sie schob einen Keil zwischen die Tür, damit die Frauen hereinkonnten. Beefcake hatte sie schon nach Hause gebracht, weil zwei Teilnehmerinnen auf Katzen allergisch waren.

Mariana Mendoza, die Yogalehrerin, traf als Erste ein. Sie begrüßte Alexis und Jessica mit zwei gehauchten Wangenküssen und einem Fauststoß. Der Kurs war eigentlich auf Marianas Initiative hin entstanden. Vor vier Monaten war sie mit der Idee ins Café gekommen, und Alexis hatte sofort begeistert zugesagt. Mariana war nicht nur ausgebildete Yogalehrerin, sondern auch Psychologische Beraterin. Ihr Konzept war nicht neu. Bei Opfern sexueller Gewalt wurde Yoga schon sehr lange erfolgreich bei der Therapie eingesetzt. Doch in Nashville hatte es dieses spezielle Angebot bis dahin nicht gegeben, und Alexis war sofort klar gewesen, dass sie den Raum dafür zur Verfügung stellen würde.

Zum ersten Yoga-Abend war außer Alexis und Jessica nur eine weitere Frau gekommen. Aber durch Mundpropaganda waren es jede Woche mehr geworden, bis schließlich der gesamte Platz ausgenutzt wurde. Jessica hatte recht. Sie würden bald einen anderen Veranstaltungsort suchen müssen, wenn sie noch mehr Frauen die Teilnahme ermöglichen wollte. Ein weiterer Punkt auf ihrer To-do-Liste.

Während Alexis und Jessica sich fürs Yoga umzogen, betraten einige Frauen das Café. Als sie zurückkamen, dehnten sich mehrere bereits auf ihren Yogamatten.

Mariana kam zu Alexis. «Und wie geht es uns?» Sie sprach fast immer im Pluralis Majestatis.

«Gut.» Alexis zuckte die Achseln. «Viel Arbeit, aber gut.»

«Wir sehen müde aus. Schlafen wir denn gut?»

«Ja.» Offenbar antwortete Alexis ein bisschen zu begeistert, denn Mariana blickte sie skeptisch an.

«Gibt es etwas, worüber du reden möchtest?»

«Nein. Da ist nichts, wobei mir ein paar gute Yogaübungen nicht helfen könnten», sagte Alexis und umging die nächste Frage mitsamt der Fragestellerin. «Ich will nur schnell ein paar Leuten hallo sagen.»

Alexis begrüßte die regelmäßigen Teilnehmerinnen und stellte sich den neuen vor, dann nahm sie ihren Platz auf einer Matte in der vordersten Reihe ein. Die hinterste Reihe überließ sie immer denen, die noch nicht bereit waren, von allen gesehen zu werden. Manchmal verlangte es schon Mut, überhaupt hierherzukommen, und auch wenn der Kurs für Anfängerinnen aller Fitnessstufen gedacht war, empfanden viele Neulinge es als unangenehm, vor lauter Fremden den Herabschauenden Hund zu praktizieren.

Auch Alexis ging das manchmal noch so. Sie fühlte sich permanent den Blicken und dem Urteil anderer ausgeliefert. Nicht mehr so sehr wie anfangs, nachdem sie sich als Opfer Royce Prestons geoutet hatte, aber das Gefühl war immer noch da. Wenn sie einkaufen ging. Wenn sie neue Leute kennenlernte. Wenn fremde Leute sie auf der Straße anstarrten. Immerzu bemerkte sie jemanden, der sie neugierig betrachtete, als überlegte er, wo er sie schon mal gesehen hatte. Und ihr erster Impuls war dann, kehrtzumachen und sich zu verstecken. Den Kopf oben zu halten war leichter gesagt als getan, wenn man auf sämtlichen Titelseiten des Landes abgebildet gewesen war.

«Okay, Leute, sind wir bereit, unsere Kraft wiederzuentdecken?»

Zustimmendes Gemurmel war die Antwort, worauf Mariana ihre Frage wiederholte. Diesmal klang das Ja der Frauen schon selbstbewusster.

«Wir haben heute Abend ein paar neue Gesichter unter uns. Wir heißen euch willkommen bei unserer Suche nach Frieden und Heilung.»

Darauf hörte man leise Hallos.

«Beginnen wir heute Abend mit der Sukhasana-Haltung und sprechen unsere Affirmationen.»

Die Frauen begaben sich in den Schneidersitz und legten die Hände auf die Knie.

«Ich bin stark», sagte Mariana.

Die Frauen wiederholten das.

«Heute Abend erkenne ich meine Kraft. Mein Körper gehört mir …»

Alexis schloss die Augen und wiederholte die Worte. Sie brauchte sie wie schon lange nicht mehr. Zwar war sie an Karens kleinliche Beschwerden gewöhnt, aber ihr heutiger Auftritt ärgerte sie mehr als sonst, weil sie Candi verscheucht hatte. Bald jedoch verlor sie sich in den Bewegungen, im heilsamen Dehnen und Anspannen, der Einheit von Körper und Geist.

Mariana führte sie ruhig durch jede Übung, ermutigte sie und half ab und zu einem Neuling, die richtige Haltung einzunehmen. Dabei fasste sie die Frauen nur an, nachdem diese es ihr erlaubt hatten. Das gehörte zu den wichtigsten Aspekten des Unterrichts: den eigenen Körper wieder in Besitz zu nehmen, Kontrolle auszuüben, die ihnen einst gestohlen worden war.

In diesem Raum gab es unter den Frauen keine Konkurrenz um die Größe ihres Leids. Keine verglich die eigenen Erlebnisse mit denen der anderen. Jede war sexuell genötigt und zum Schweigen gebracht worden und hatte am Ende doch beschlossen, ihre Stimme zu gebrauchen.

Zehn Minuten vor Schluss hörte Alexis die Tür aufgehen und blickte über die Schulter. Sie taumelte in ihrer Baum-Pose. Candi stand mit überrascht aufgerissenen Augen da und errötete, als zwanzig Gesichter sie ansahen.

«Entschuldigung», stammelte sie und drückte ihre große schwarze Tasche an sich. «Ich wusste nicht … tut mir leid.»

«Kein Grund, sich zu entschuldigen, Liebes», sagte Mariana. «Bitte, schließ dich uns an. Hier ist jede willkommen.»

Doch Candi zog sich hastig zurück. «Ich komme später wieder.»

Alexis huschte auf Zehenspitzen zur Tür,. «Bitte bleib», drängte sie leise. «Wir können in meinem Büro reden, wenn du willst.»

«Tut mir leid, dass ich euch gestört habe», flüsterte Candi. «Ich wusste nicht, dass hier ein Kurs stattfindet.»

«Schon gut. Wir sind fast fertig.» Alexis sah kurz zu den anderen. Offenbar konnte sich niemand mehr so richtig konzentrieren. «Gehen wir in mein Büro.»

Candi kaute einen Moment lang auf der Unterlippe, dann nickte sie. Mit gesenktem Kopf wie ein Kind, das zum Direktor zitiert wurde, folgte sie Alexis hinter die Theke und durch die Küche. Das dumpfe Schlagen der Schwingtür erschien in der Stille laut wie ein Feuerwerkskracher.

Alexis betrat vor ihr das schrankgroße Büro und deutete auf den Stuhl an der Wand. «Es ist zwar sehr eng hier, aber möchtest du dich setzen?»

Unentschlossen stand Candi zwischen Schreibtisch und Tür. Schließlich hockte sie sich auf die vordere Stuhlkante und wippte mit einem Knie. «Das ist echt toll. Der Yogakurs.»

Alexis nickte und setzte sich auf ihren Schreibtischstuhl. «Er kommt gut an.»

«Die Frauen sind also alle … ich meine …»

«Haben alle sexuelle Gewalt hinter sich, ja.»

«Wow. Das ist furchtbar.»

Alexis hörte das ständig und gab dieselbe Antwort wie immer. «Es ist furchtbar, was ihnen angetan wurde, aber was sie heute Abend für sich tun, gibt ihnen ihre Kraft zurück, und das ist wunderbar.»

Candi schluckte mühsam.

«Du bist nicht allein, Candi.»

«Ich … nein.» Sie schüttelte den Kopf. Zweimal öffnete sie den Mund, schloss ihn wieder und seufzte dann frustriert. «Ich bin nicht deswegen hier. Also, ich meine, ich wurde nicht … äh …»

«Dir wurde so etwas nicht angetan?»

«Genau. Ich will über etwas anderes mit dir reden.»

Alexis neigte den Kopf zur Seite, weil sie wieder das Gefühl hatte, sie zu kennen. «Bist du sicher, dass wir uns noch nie begegnet sind?»

«Du meintest vorhin, es liegt an meinen Augen. Dass meine Augen dir bekannt vorkommen.»

Alexis sah genauer hin. Candi hatte recht. Sie hatte die gleiche goldgrün gesprenkelte Iris mit dem dunkelbraunen Rand wie sie selbst. Das Gefühl der Vertrautheit ging in Unruhe über. Ihr war immer gesagt worden, wie ungewöhnlich ihre Augen waren, und jetzt war es, als blickte sie in den Spiegel. Wieso war ihr das vorher nicht aufgefallen?

«Du siehst es, oder?» Candi klang atemlos. «Die Ähnlichkeit. Mir ist es sofort aufgefallen, als ich zum ersten Mal hier war. Da wusste ich, dass es stimmt.»

Die Unruhe wurde zu Angst. «Ich verstehe nicht. Worauf willst du hinaus …»

«Wir sind Schwestern.»

Alexis hörte die Worte, aber die Aussage war so absurd, dass ihr Gehirn sie nicht verarbeitete. Ein kleines, verzweifeltes Lachen entrang sich ihr. «Entschuldige, wie bitte?»

Candis Gesicht nahm den sanft mitfühlenden Ausdruck an, mit dem Alexis anderen Frauen begegnete, und Candi schlug auch den gleichen freundlich-beiläufigen Ton an, den Alexis ihr gegenüber benutzt hatte. «Du hast deinen Vater nie kennengelernt, oder?»

Alexis sprang auf und stieß dabei gegen den Schreibtisch, sodass ihr Stiftebecher umkippte und die Stifte auf den Boden prasselten. «D-das ist ein Irrtum. Ich habe keine Geschwister.»

«Keine, von denen du weißt.»

«Das ist unmöglich.»

Nur dass es das nicht war. Es war nicht unmöglich. Candi hatte recht: Sie hatte ihren Vater nie kennengelernt. Die Chancen, dass der geheimnisvolle Mann nach ihr noch weitere Kinder gezeugt hatte, standen ziemlich gut. Hin und wieder hatte sie daran – an ihn – gedacht, aber es nicht weiterverfolgt. Wozu auch? Was hätte es ihr genützt, das zu wissen? Er hatte nie an ihrem Leben teilgehabt, und dabei würde es bleiben. Mehr als ihre Mutter hatte sie nicht gebraucht.

«Mein Vater ist Elliott Vanderpool», sagte Candi.

Alexis wich zurück, bis ihr Stuhl gegen die Wand stieß.

«Du kennst den Namen, oder?»

«Nein», log Alexis. Sie wollte von ihrem Stuhl wegtreten, blieb aber mit einem Schnürsenkel hängen und stolperte, sodass sie sich am Schreibtisch abfangen musste.

«Er ist auch dein Vater», sagte Candi.

«Nein, ich … ganz bestimmt nicht.» Alexis erkannte ihre Stimme kaum wieder. «Es tut mir leid, dass du den ganzen Weg umsonst gekommen bist. Das ist ein Irrtum.»

«Das ist bestimmt ein Schock für dich.»

Ein Schock? Das war die Untertreibung des Jahrhunderts. Alexis hätte glatt gelacht, wenn sie sich nicht wie betäubt fühlen würde. Sie wollte wegrennen – nicht nur vor Candi, sondern vor der aufsteigenden Panik. Etwas in ihr schrie sie an, zu flüchten. Doch ihre Füße gehorchten nicht. Sie stand da, als wäre sie mit dem Boden fest verwurzelt, wie das Efeu an der Hauswand. Aber das hatte wenigstens Halt.

«Ich habe eine DNA-Analyse, die es beweist», sagte Candi.

Alexis’ Blick zuckte zu ihr. «Wie kommst du an meine DNA?»

«Du hast vor ein paar Jahren deine genetische Herkunft analysieren lassen.»

Oh Gott. Alexis schlug sich die Hand vor den Mund und drehte sich weg. Da war sie spontan einer Eingebung gefolgt, in einem schwachen Moment, nachdem ihre Mutter erkrankt war. Weil sie den Drang verspürte, Verwandte zu finden, bevor ihr einziger Halt auf Erden verschwinden würde. Das Ergebnis des Online-Anbieters bestätigte jedoch nur, was sie längst wusste – sie war zu hundert Prozent osteuropäisch und stammte von keiner bekannten Persönlichkeit ab. Sie warf das Schreiben damals in eine Schublade und sah es nie wieder an.

«Ich habe auch einen DNA-Test machen lassen», sagte Candi gerade von weit her. «Und du wurdest mir als mögliche Schwester genannt.»

Alexis suchte nach Worten. «Testergebnisse können falsch sein.»