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Als Lee Yoosung am Abend nach Hause kommt, wird er in einen Raubmord in seinem Apartment verwickelt, bei dem ein rotes Amulett, das seit Jahrhunderten in Familienbesitz ist, gestohlen wird. Der Detektiv Hwang Minho will den Täter festnehmen, jedoch kommen sowohl er als auch Yoosung ums Leben. Umso überraschter ist Yoosung, als er plötzlich aufwacht und sich im Körper von Hwang Minho wiederfindet. Nun macht er es sich zur Aufgabe, seinen Mörder zu finden und und das Geheimnis des Amuletts zu lüften.
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Seitenzahl: 167
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3, 1.Fall: Das Castle
Kapitel 4, 2.Fall: Die Frau ohne Augen (Pt.1) Das Festival
Kapitel 4, 2.Fall: Die Frau ohne Augen (Pt.2) Eine neue Spur
Kapitel 5, 3.Fall: Die Jungfrauengeister
Kapitel 6, 4.Fall: Der Koloss
Kapitel 7, Letzter Fall: Hwang Minho
Vor langer Zeit in Korea, zu Beginn der Silla-Dynastie*, lebte ein Priester namens Hwang Sehun, der zu seiner Zeit sehr berühmt für seine Talente und seine Schönheit war. Er konnte mit seiner Gabe mystische Kreaturen sehen und verschlüsselte sie in einem besonderen Amulett, das seit seinem Tod von Generation zu Generation weitervererbt wird. Jedoch nicht in der Familie Hwang. Einige hundert Jahre später zerstritten sich zwei Brüder wegen des Erben des Amuletts und so kam es, dass einer der Brüder das Amulett stahl. Um seine Tat zu vertuschen, änderte er seinen Namen und die Familie Lee war geboren.
Lee Yoosung lief wie jeden Abend von der Schule nach Hause. Er war Student, obwohl er sein Studium nicht gerade als die höchste Priorität ansah. Stattdessen sah er sich, wie jetzt, auf seinem Handy Interviews von Hwang Minho an, ein Detektiv der Polizei Seoul, der Yoosung ein großes Vorbild war. Selbst in der Schule spielte Yoosung ständig Detektiv und machte sich so in den Augen seiner Klassenkameraden lächerlich. Immerhin war er schon zwanzig. Aber da das Alter bekanntlich nur eine Nummer ist, machte es ihn nicht wirklich reifer und so wurde er auf dem Weg zu seiner Wohnung regelmäßig fast von Autos angefahren, was ihn nicht weiter störte. „Ich glaube ich hab vergessen das Fenster zuzumachen…“, dachte er. So klang das meiste, an das er tagsüber einen Gedanken verschwendete. Schwach leuchteten die letzten Sonnenstrahlen durch die Blätter an den Bäumen der Allee. Kurz bevor er an diesem Tag in seine Einfahrt einbog, steckte er sein Handy in die Hosentasche, dessen Akku bereits leer war, und blickte zur Eingangstür seiner Wohnung, die sperrangelweit offenstand. Yoosung hatte schon von weitem bemerkt, dass etwas nicht stimmte.
„Die Polizei zu rufen kann ich wohl fürs Erste vergessen.“ Dachte er und blickte erneut auf den Akkustand seines Telefons. Obwohl er wusste, dass es falsch war, schlich er langsam die rostige Stahltreppe zum fünften Stock nach oben und blickte durch die Tür. Er spürte jeden zittrigen Atemzug, der ihm in seiner Aufregung entwich. Ein mulmiges Gefühl machte sich in seinem Bauch breit. Leise legte er seinen Rucksack ab, bevor er einen Blick in das Zimmer wagte. Vor Schreck blieb er wie angewurzelt stehen. In dem dunklen Raum, vor den zugezogenen Vorhängen, stand eine Gestalt mit zwei glühend roten Augen. Sie schien nicht einmal wirklich menschlich zu sein. In den Händen hielt sie ein rubinrotes Amulett, das zu zersplittern drohte. Yoosung ballte die Hände zur Faust. Das Blut schoss ihm in den Kopf.
„GIB ES HER!!!“ Yoosung rappelte sich auf und stürmte unkontrolliert auf die unbekannte Person zu. Das Amulett war von ungeheurem Wert, denn es wurde seit Jahrhunderten in der Familie Lee weitervererbt. Zudem besaß Yoosung eine besondere Fähigkeit, die mit dem Amulett in Verbindung stand. Schon als Kind sah er Dinge, die andere nicht sehen konnten, wie Geister oder dämonische Wesen der Unterwelt. Er hatte es jedoch immer als normal empfunden und gelernt sie zu ignorieren, weshalb die Fähigkeit mit der Zeit geschwächt wurde. Yoosung stolperte. Ihm entglitt das Amulett ganz knapp aus den Händen als er einen scharfen Gegenstand in seinem Bauch spürte. Er riss seine grünen Augen auf. Ein spitzer Schrei ertönte aus seinem Mund und der schlug gegen die Tischkante, bevor er vor Schmerz gekrümmt zu Boden fiel. Wie war diese Gestalt so schnell zu ihm gekommen? Yoosung drückte mit aller Kraft auf die Wunde, um sein Ausbluten zu verhindern, doch die Schmerzen wurden stärker und brannten wie Feuer. Er kniff die Augen fest zusammen. Die letzten Minuten liefen an ihm vorbei, wie ein Film, bevor ihn hektische Schritte aus seiner Apathie rissen. Gefolgt von einer Stimme, die Yoosung nur allzu gut kannte.
„Stehen bleiben!“
Hwang Minho. Er rannte an Yoosung vorbei, dessen Bewusstsein mittlerweile am seidenen Faden hing. Minho riss dem Täter den Sockel des Amuletts aus der Hand, dessen Stein in Einzelteile zersprungen war und wollte ihn überwältigen, als dieser plötzlich die Vorhänge zurückzog und die geöffnete Balkontür offenbarte. Minho bremste ab, doch es reichte nicht mehr. Er rutschte über das kaputte Geländer und hing an einer Hand dreizehn Meter über der Erde. Mit aller Kraft versuchte er, sich auf die Plattform zurückzukämpfen, aber der Täter wusste dies zu verhindern, indem er ihm gewaltsam auf die Hand trat. Minho stürzte in die Tiefe.
„Ich bin nicht tot?“ Yoosung öffnete die Augen und er sah - nichts. Instinktiv fasste er sich an die Stelle, an der er verwundet worden war, doch er schien nicht mehr verletzt zu sein. Auch der brennende Schmerz war wie weggeblasen. Wo er auch hinsah, nur schwarz. Er stand auf und lief ein paar unsichere Schritte, die Hände nach vorn gestreckt und in der Hoffnung auf einen Gegenstand, oder eine Lichtquelle zu stoßen. Etwas, woran er sich orientieren konnte.
„Hallo!“ rief Yoosung, doch nicht einmal sein eigenes Echo kam zurück.
„Dieser Raum ist unheimlich groß…hier ist rein Garnichts“, stellte Yoosung erschrocken fest und musste sich anstrengen, um nicht in Panik zu verfallen. Nach einer Weile hatte er die Hoffnung schon fast aufgegeben, als plötzlich der Boden unter seinen Füßen begann zu leuchten. Erst ein kleiner Funke, dann immer mehr und mehr, bis es so hell war, dass Yoosung eine rote Schnur über dem leuchtenden Boden erkennen konnte. Mit dem Ärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn. In Windeseile klammerte er sich an die Schnur, denn die erschien ihm in diesem Moment wie ein Hoffnungsschimmer und begann der Schnur zu folgen, so wie er es in den unzähligen Detektivromanen gelesen hatte. Mit jedem Schritt, den er machte, erloschen die Lichter hinter ihm und er ging wieder in totaler Finsternis.
Er wusste nicht, wie lange er schon gegangen war, als erneut ein helles Licht erstrahlte und Yoosung sah, wohin ihn die Schnur geführt hatte. Vor ihm sah er die Silhouette eines jungen Mannes, der ihm den Rücken zuwandte. Auf einmal drehte sich die Person um und streckte ihm die Hand entgegen. Es war jedoch unmöglich das Gesicht zu erkennen, da Yoosung geblendet war, von dem gleißenden Licht, das ihn zwang, seine Augen zu schließen.
Biep, biep, biep…Yoosung wachte auf. Erschrocken öffnete er die Augen. Die sterile Krankenhausluft stach ihm in die Nase. Seine Sicht war verschwommen als er versuchte, sich aufzusetzen, jedoch zuckte er sofort zusammen. Ihm tat alles weh und sein Körper fühlte sich schwer an wie Blei. Verkrampft sank er zurück auf sein Bett und starrte an die weiße Decke.
„Ich habe also tatsächlich überlebt…“ murmelte er zu sich selbst.
Yoosung schreckte auf und fasste sich an den Hals. Etwas stimmte nicht, das hatte er eindeutig bemerkt. Er drehte den Kopf, verzweifelt nach einem Spiegel suchend, als er plötzlich sein Spiegelbild im Fenster erkannte und erstarrte. Selbst das Sprechen erschreckte ihn, denn seine Stimme war nicht dieselbe. Trotz der Schmerzen setzte er sich schnell auf und fing an, panisch sein Gesicht abzutasten. Die Person im Fenster war nicht er selbst. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und eine Krankenschwester im weißen Kittel kam herein. Schnell nahm Yoosung seine Hände von seinem Gesicht, um eine peinliche Situation zu vermeiden, aber die Krankenschwester schien sich nicht darum zu kümmern, sondern brach eher fast in Tränen aus.
„Herr Hwang! Sie sind wach!“
„Hwang…?“ wiederholte Yoosung in seinem Kopf, doch die Krankenschwester ließ ihm keine Zeit nachzudenken.
„Es grenzt an ein Wunder, dass sie wach sind!“ sprudelte es aufgeregt aus ihr heraus als sie zur Tür lief und jemanden hereinwinkte, und nur wenige Augenblicke später betrat ein junger Mann das Zimmer. Er war groß und schlank und hatte sein wildes schwarzes Haar im Nacken zusammengebunden. Seine schmalen Augen waren zusammengekniffen und er lächelte.
Grübchen erschienen auf seinen schlanken Wangen.
„Hyung*! Ein Glück; Du bist wach!“
Yoosung verstand gar nichts mehr.
„Ich bin nicht …da liegt eine Verwechslung vor…Ihr verwechselt mich mit jemandem, ganz bestimmt!“ stammelte er, doch als Antwort sahen ihn die Personen um ihn herum nur verständnislos an. Da meldete sich die Krankenschwester wieder zu Wort.
„Sie erlitten eine starke Gehirnerschütterung und brauchen noch einige Zeit, um ihre Erinnerungen zu sortieren. Ah, da fällt mir ein,“ Die Schwester drückte Yoosung einen Spiegel in die Hand, „Hat sich Ihr Sehvermögen verändert? Durch den Schock oder verändertem Hirndruck bildete sich eine Heterochromie* und ihr rechtes Auge veränderte die Farbe. Zudem waren einige Ihrer Rippen gebrochen und ebenso Ihr rechtes Bein. Sie müssen noch einige Zeit zur Observation hierbleiben.“
Yoosung dachte, seine Augen hätten ihm einen Streich gespielt, aber nun war er bei Bewusstsein, und was er sah, war Fakt. Person im Spiegel war tatsächlich nicht er selbst. Anstatt glattem schwarzem Haar hingen silberne Locken über dem Kopfverband, er hatte eine Narbe auf der Nase und an der Wange und ein Muttermal an der Oberlippe. Das Einzige, was ihm geblieben war, war sein rechtes Auge, das um einiges heller war als das andere und grünlich schimmerte. Ungläubig legte Yoosung den Spiegel beiseite. Es war zweifellos das Gesicht seines Idols, Hwang Minho.
„Aber wie? Reinkarnation?“ dachte er mit einer Mischung aus Verwirrung und Panik, bevor er sagte:
„Nein, nein mir geht es gut…“
„Da bin ich aber froh; ich glaubte schon, meinen besten Freund verloren zu haben“, Sprach plötzlich der junge Mann in einem traurigen Ton, „Aber sag, kannst du dich wirklich nicht an mich erinnern?“
Yoosung schüttelte den Kopf.
„Nein, es...es tut mir leid.“
„Also gut. Ich heiße Juwon Lin. Wir arbeiten zusammen in der Abteilung für Sonderfälle bei der Polizei Seoul und kennen uns seit Jahren.“
„Seltsam. An meinen Arbeitsplatz erinnere ich mich ganz genau…“
Juwon schaute verdutzt, dann lächelte er.
„Wundert mich nicht. Du bist ja auch nur am Arbeiten.“
Ein sarkastischer Unterton lag in seinen Worten und obwohl Yoosung ihn erst vor wenigen Minuten kennengelernt hatte, hatte er etwas in seiner Art, das ihn sympathisch machte.
Einige Wochen später konnte Yoosung aus dem Krankenhaus entlassen werden und Juwon begleitete ihn zu seinem Arbeitsplatz.
„Ich studiere doch noch, wie um alles in der Welt soll ich denn arbeiten?!“ dachte Yoosung verzweifelt als er den Fahrstuhl betrat. Treppen waren ausgeschlossen, denn er musste sein Bein schonen. Auf der zweiten Etage hielt der Fahrstuhl an und die beiden stiegen aus. Yoosung hatte etwas Neuartiges und Fremdes erwartet, doch als sich die Tür zum Büro öffnete, war ihm die Umgebung völlig bekannt. Er kannte jeden Tisch, jedes Fenster und jeden Kratzer in der Wand. Selbst der braune Trenchcoat, der an seinem Stuhl hing, kam ihm bekannt vor. Das einzig Unbekannte waren die zwei Gesichter, die ihn ansahen und dann in freudiges Gelächter ausbrachen.
„Herr Hwang, Sie sind zurück! Ein Glück, wir dachten schon, wir würden Sie nie wieder sehen!“, weinte eine junge Frau.
„Warte bitte einen Augenblick Sumi, “ redete Juwon dazwischen, „Wegen einer Gehirnerschütterung hat er einiges an Erinnerungen verloren, also gib ihm bitte etwas Zeit, ja?“
„Sumi?“ fragte Yoosung.
„Äh, ja. Ich bin Sumi Kang und arbeite erst seit kurzem in dieser Abteilung. Ich bin die Nichte des Senior Officers und habe Ihnen bei ihrem letzten Fall assistiert.“ stellte sich ihm die kleine, zierliche Frau vor. Ihr langes braunes Haar hing offen über ihre Schultern und sie sah irgendwie müde aus.
Yoosung hörte nicht, sondern lief zu seinem Schreibtisch, an dem hunderte Akten von gelösten Fällen säuberlich übereinandergestapelt waren. Er konnte sich an beinahe jeden einzelnen Fall erinnern. Ganz oben sah er seinen Namen mit einem Bild. Daneben eine durchsichtige Tüte mit dem Sockel des zersplitterten Amuletts.
„Herr Hwang! Ich bin froh, dass es Ihnen gut geht!“ ertönte plötzlich eine tiefe Stimme und riss Yoosung aus seinen Gedanken. Als er sich umdrehte, streckte ihm ein älterer Mann mit einem freundlichen Lächeln die Hand entgegen.
„Das ist Senior Officer Park“, stellte Juwon ihn sofort vor, „Er ist unser Vorgesetzter.“ Yoosung gab ihm die Hand.
„Sehr erfreut.“
„Von so vielen netten Menschen war Minho also umgeben. Nur wegen mir musste er sterben, doch ich finde heraus, wer der Täter war!“, dachte Yoosung entschlossen, als er sich den braunen Trenchcoat überzog, „Ich lege meinen Namen ab, von heute an bin ich Hwang Minho!“
Die folgenden Tage gewöhnte sich Minho wieder an seinen Arbeitsplatz. Er hatte durch seinen Kollegen und Freund Juwon seine Adresse und alles Nötige erfahren und war nun darin vertieft, jede einzelne der vielen Akten auf seinem Schreibtisch genau unter die Lupe zu nehmen, denn er versuchte dadurch Hinweise auf seinen eigenen Tod zu finden-ohne Erfolg. Ebenso hatte er in einer der Schubladen ein Notizbuch mit seinem Namen gefunden, indem Notizen zu einzelnen Fällen verzeichnet waren. Nach Stunden von Arbeit lehnte er sich seufzend zurück und rieb sich die brennenden Augen, die seit dem frühen Morgen Akten inspiziert hatten. In diesem Moment kam Juwon mit einem Grinsen im Gesicht herein und stellte Minho eine Tasse heißen Kaffee auf den Schreibtisch.
„Hyung, gönn‘ dir doch mal ‘ne Pause! Du bist erst vor ein paar Tagen entlassen worden und arbeitest schon wieder wie ein Wahnsinniger. Die Akten werden dir schon nicht davonlaufen“, beschwerte sich Juwon als er sich an seinen Schreibtisch gegenüber von Minho lehnte und an seinem eigenen Kaffee nippte.
Minho sah ihn nur mit einem verständnislosen Blick an, trank den Kaffee aber trotzdem.
„Schwarz, so wie du ihn magst“, grinste Juwon, aber Minho ignorierte ihn weitestgehend.
Da er in den Akten keine Hinweise auf den Mörder gefunden hatte, sah er seine letzte Chance darin, an den Tatort zurückzukehren.
„Juwon“, sagte Minho plötzlich als er sich das Notizbuch in die Tasche schob, „Fahr mich bitte zum Apartment von Lee Yoosung.“
Juwon war kurz überrascht, dann antwortete er mit scherzhaftem Lächeln:
„Zu Diensten geehrter Herr Hwang“, und verbeugte sich zusätzlich. Wie sehr Minho es auch versuchte, er fand in diesem Moment keine Belustigung in Juwons Humor.
„Lass die Faxen und komm. Wir haben es eilig.“
Minho war schon zur Tür hinaus.
„Wir hauen ab!“ rief Juwon Sumi schnell zu, bevor er Minho zum Auto folgte.
Die Wohnung war zum Glück nicht weit entfernt, ungefähr zehn Minuten zu Fuß. Als die beiden ankamen, war das ganze Gelände mit Absperrband bespickt.
Im Garten, wo Minho abgestürzt war, waren getrocknete Blutspritzer und plattgedrücktes Gras am Ort des Aufpralls. Auf dem Boden war Minhos Körperumriss nur noch leicht mit weißer Farbe abgezeichnet. Minho hatte einen bitteren Geschmack im Mund, als er das sah, denn unweigerlich kehrten die Erinnerungen von jenem Tag wieder. Schnell ging er zum Eingang des Apartments und begann mühevoll die Treppe hinaufzusteigen, nachdem er Juwons Vorschlag, ihn hochzutragen, energisch abgelehnt hatte. Juwon schmollte hinter Minho als sie ihren Weg zum fünften Stock fortführten. Als sie oben waren, sahen sie schon Blumen und Grablichter vor Lee Yoosungs Apartment-Tür, in der Mitte ein Bild von ihm. Je näher Minho der Tür kam, desto emotionaler wurde er, und es wurde ihm mehr und mehr bewusst, dass die Person auf dem Foto nicht mehr existierte. Zumindest nicht in dieser Form. Gleichzeitig stiegen die Wut und der Tatendrang in ihm, den Täter zu finden und sich zu rächen. Vorsichtig schob Juwon die Dekorationen auf die Seite und öffnete die Tür. Das Code-Schloss war mit Gewalt zertrümmert worden. Minho trat ein und fand einen verwüsteten Raum vor sich.
„Der Täter hat wohl etwas Bestimmtes gesucht, wahrscheinlich das Amulett“, dachte Minho und ging weiter in den Raum. Neben einem Tisch direkt am Eingang waren ebenfalls noch schwache weiße Farbreste im Gegensatz zu Juwon, der neutral im Türrahmen stehen blieb und zusah, wie Minho etwas in seinem Notizbuch nachsah.
„Was liest du denn da, Hyung?“ fragte Juwon neugierig als er ebenfalls den Raum betrat und sich Einweghandschuhe anzog. Sofort entzog Minho das Notizbuch Juwons Blick und schob es in seine Tasche.
„Durchsuch‘ lieber mal die anderen Räume, anstatt in Notizbüchern anderer Leute herumzuschnüffeln.“
Warum er in so rauem Ton reagierte, wusste er selbst nicht so ganz. War das die Art, mit der Minho mit seinen Kollegen sprach?
„Zu Befehl!“ antwortete Juwon, wieder in seiner üblichen Laune und ging der Aufforderung nach. Minho seufzte und setzte seine Untersuchung fort. Er hatte sich schon durch Stapel und Berge von Papier und unnützen Sachen gegraben, aber nichts schien von der Normalität abzuweichen. Nach einigen Minuten kam auch Juwon von seiner Spurensuche mit leeren Händen zurück.
„Wir gehen“, sagte Minho.
„War’s das schon?“, fragte Juwon zweifelnd als er seine Handschuhe in seine hintere Hosentasche stopfte.
„Wenn du nichts weiteres mehr hast?“
Juwon schüttelte den Kopf. Die beiden verließen den Raum und schoben die Blumen wieder an Ort und Stelle zurück, bevor sie zum Polizeirevier zurückfuhren. Minho betrat gerade das Büro und wollte sich etwas ausruhen, als ihm Sumi außer Atem entgegenrannte.
„Wir haben einen neuen Fall.“
„Die Medien gaben vor kurzem bekannt, dass im Hotel „The Castle“, am anderen Ende von Seoul, spurlos Leute verschwinden. Einige Hotelbesucher als auch Personal wurden nicht mehr wiedergesehen, seit sie das Hotel vor einigen Wochen betraten. Derzeit gelten mehrere hundert Leute als vermisst. Zeugen sagen aus, sie hätten rote Augen in der Nähe des Gebäudes gesehen“, berichtete Sumi als sie Akten von vermissten Personen auf den Schreibtisch legte, „Alle Polizeireviere in ganz Seoul sind an diesem Fall beteiligt. Einige Beamte waren schon im Hotel, doch sie haben nichts Verdächtiges festgestellt. Deshalb weigert sich die Regierung, das Hotel zu schließen. Nun sollen wir dort als Gäste verdeckt ermitteln“, Sumi legte eine weitere Akte auf den Tisch, „Das ist die Hotelbesitzerin Seo Yong, 25.“
„Wie kann ein so hübsches Gesicht mit einem so grausamen Fall in Verbindung stehen?“, fragte Juwon und klang dabei so dramatisch, als spräche er den letzten Akt eines Bühnenstücks. Sumi warf ihm einen kurzen, aber unmissverständlichen Blick zu. Im selben Augenblick kam Senior Officer Park ins Büro und blickte ein wenig besorgt zu Minho.
„Sind Sie sicher, dass Sie an diesem Fall teilnehmen können? Ihr Bein ist immer noch verletzt. “
Minho nickte: „Mir geht es gut. Ich möchte euch gern bei diesem Fall unterstützen.“
„Nehmt doch bitte meine Nichte Sumi mit. Sie kann euch bestimmt eine große Hilfe sein“, schlug Senior Officer Park vor, woraufhin Minho und Juwon sich ansahen und zustimmten.
„Gut, je mehr Unterstützung, desto besser.“
Minho nahm das Telefon des Büros und rief im Hotel an, um kurzfristig zwei Zimmer für drei Tage zu reservieren. Als er auflegte, nickte er.
„Geht packen.“
Mit je einer Tasche und in Zivilkleidung erschienen sie später wieder im Büro. Verwirrte Blicke waren auf Juwon gerichtet, und das nicht zu Unrecht. Er hatte die Aufgabe nicht zu vollster Zufriedenheit erledigt und war in einem Hemd mit Ananas-Muster, bunten Shorts und Flipflops erschienen. In der Hand hielt er eine Kokosnuss und ein Blumenkranz war um seinen Hals gebunden.
„Was habt ihr denn?!“, fragte Juwon in einem amerikanischen Akzent. Minho schüttelte den Kopf.
„Lass die Dekoration da. Wir haben es eilig! Außerdem machen wir keinen Urlaub“, zischte er genervt, als er versuchte seine Wut im Zaum zu halten.
„Eilig, eilig, immer hast du’s eilig…“ nörgelte Juwon, „Wir hatten dieses Jahr noch nicht frei, ich hatte gehofft, das irgendwie verknüpfen zu können…“ Seufzend legte er die Kokosnuss zur Seite. Sie verließen das Büro und fuhren zum Hotel.
„Wow!“ rutschte es den dreien heraus. Sie hatten sich das Gebäude zwar bereits auf Bildern angesehen und sich den Plan eingeprägt, doch in der Realität sah das Hotel atemberaubend aus und war viel größer als jedes andere Gebäude der Umgebung. Dennoch hatte es etwas Bedrohliches an sich.
„Bleibt hinter mir!“, befahl Minho und zog die Glastür auf. An der Rezeption wartete schon eine junge Frau, deren Aussehen mit dem Bild der Akte übereinstimmte. An ihrer Bluse hing ein Namenschild mit der Aufschrift „Seo Yong“.
„Guten Tag. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte die Frau mit einem Lächeln.
„Wir haben reserviert auf den Namen Hwang.“