This could be home - Lilly Lucas - E-Book

This could be home E-Book

Lilly Lucas

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Beschreibung

Wenn sie aneinandergeraten, schlagen die Wellen hoch Sunshine Laurie, angehende Rettungsschwimmerin, trifft auf Grumpy Lifeguard Tristan im zweiten New-Adult-Roman der Hawaii-Love-Trilogie von Bestseller-Autorin Lilly Lucas. Seit Laurie Greenfield von dem gefeierten Big Wave Surfer Griffin »Chip« Chipman vor dem Ertrinken gerettet wurde, steht für sie fest, dass sie Rettungsschwimmerin werden möchte. Dafür ausbilden soll sie Chips Bruder Tristan, der Lifeguard ist, allerdings kein Geheimnis daraus macht, dass er Laurie für völlig ungeeignet hält, den harten Bedingungen am rauen North Shore standzuhalten. Doch während er Laurie trainiert, merkt er, dass viel mehr in ihr steckt, als er dachte. Und dass sie ein ziemlich bezauberndes Lächeln hat. Auch Laurie muss ihre Meinung von Tristan überdenken, als ihr bewusst wird, dass er nicht nur zu ihr hart ist, sondern auch zu sich selbst. Vor allem fragt sie sich, was der Grund dafür ist … Eine charmante Enemies-to-Lovers-Geschichte von der Bestseller-Autorin der New-Adult-Reihen »Green Valley« und »Cherry Hill«. Zum Wegträumen und Verlieben! Die Hawaii-Love-Trilogie auf einen Blick: - This could be love (Louisa & Vince: Enemies to Lovers) - This could be home (Laurie & Tristan: Grumpy & Sunshine, Enemies to Lovers, Forced Proximity) - This could be forever (Millie & Chip: Second Chance Romance, Forced Proximity)

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Seitenzahl: 410

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Lilly Lucas

This could be home

Roman

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Wenn sie aneinandergeraten, schlagen die Wellen hoch

 

Sunshine Laurie, angehende Rettungsschwimmerin, trifft auf Grumpy Lifeguard Tristan im zweiten New-Adult-Roman der Hawaii-Love-Trilogie von Bestseller-Autorin Lilly Lucas.

Seit Laurie Greenfield von dem gefeierten Big Wave Surfer Griffin »Chip« Chipman vor dem Ertrinken gerettet wurde, steht für sie fest, dass sie Rettungsschwimmerin werden möchte. Dafür ausbilden soll sie Chips Bruder Tristan, der Lifeguard ist, allerdings kein Geheimnis daraus macht, dass er Laurie für völlig ungeeignet hält, den harten Bedingungen am rauen North Shore standzuhalten.

Doch während er Laurie trainiert, merkt er, dass viel mehr in ihr steckt, als er dachte. Und dass sie ein ziemlich bezauberndes Lächeln hat. Auch Laurie muss ihre Meinung von Tristan überdenken, als ihr bewusst wird, dass er nicht nur zu ihr hart ist, sondern auch zu sich selbst. Vor allem fragt sie sich, was der Grund dafür ist …

Eine charmante Enemies-to-Lovers-Geschichte von der Bestseller-Autorin der New-Adult-Reihen »Green Valley« und »Cherry Hill«. Zum Wegträumen und Verlieben!

 

Die Hawaii-Love-Trilogie auf einen Blick:

• This could be love (Louisa & Vince: Enemies to Lovers)

• This could be home (Laurie & Tristan: Grumpy & Sunshine, Enemies to Lovers, Forced Proximity)

• This could be forever (Millie & Chip: Second Chance Romance, Forced Proximity)

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Charakterillustration

Widmung

Motto

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Danke

Für Oma und Opa

 

Danke, dass ihr mir das Schwimmen beigebracht habt.

Ich hoffe, dort, wo ihr jetzt seid, ist das Meer so blau wie auf Hawaii.

For whatever we lose (like a you or a me)

it’s always ourselves we find in the sea.

 

E. E. Cummings

Kapitel 1

Ich strampelte wie wild nach oben, um Luft zu kriegen. Als mein Kopf die Wasseroberfläche durchstieß, brach eine weitere Welle über mir zusammen. Salzwasser schoss in meinen Mund, meine Nase, und der Drang nach Sauerstoff wurde übermächtig. Ich japste, hustete, spuckte. Orientierungslos zuckten meine Augen umher, während mein Körper wie eine Stoffpuppe von den Wellen hin und her geschleudert wurde. Ich mobilisierte meine letzten Kraftreserven und schrie um Hilfe. Brüllte gegen das Brausen der Brandung an, während ich nur noch einen Wunsch hatte. Ich will nicht ertrinken. Ich will nicht ertrinken. Ich will nicht … Mit einem Ruck fuhr ich hoch und saß senkrecht im Bett. Meine Schreie klingelten mir noch in den Ohren nach, und mein Körper schauderte vom Nachhall des Traums. Schwer atmend verharrte ich zwischen den Laken und lauschte dem Rauschen der Wellen, das durchs gekippte Fenster drang. Silbriges Mondlicht fiel durch die Jalousien und erhellte das Zimmer. Ich tastete nach der Wasserflasche auf meinem Nachttisch und stellte fest, dass sie leer war. Kurzerhand schwang ich die Beine aus dem Bett, zog einen Cardigan über mein Top und lief die Treppe hinunter. Die Holzdielen knarzten unter meinen Fußsohlen und durchbrachen die gespenstische Stille, die im Haus herrschte. Auf dem Weg in die Küche sah ich, dass Licht auf der Terrasse brannte. Sanfte Gitarrenklänge drangen durch die offen stehende Schiebetür. Stirnrunzelnd warf ich einen Blick auf meine Uhr, versicherte mich, dass es wirklich zwei Uhr morgens war. Tropische Nachtluft strich durch mein verschwitztes Haar, als ich ins Freie trat. Eine feine Brise trug den Geruch des Pazifiks an meine Nase. Den Duft der Plumeriabäume, die hier auf Hawaii überall wuchsen. Mein Bruder Vince saß in einem der Segeltuchstühle und zupfte eine melancholische Melodie auf seiner Gitarre. Als er mich bemerkte, hielt er inne und sah auf. Selbst im schummrigen Licht fielen mir die Schatten unter seinen Augen auf. Der trübsinnige Gesichtsausdruck. Die Ereignisse der letzten Tage hatten auch bei ihm Spuren hinterlassen.

»Kannst du nicht schlafen?«, fragte ich und ließ mich ihm gegenüber auf der Palettenlounge nieder.

Er schüttelte kaum merklich den Kopf. »Hab ich dich geweckt?«

»Ich hatte nur Durst.«

Keine Ahnung, warum ich ihn anlog. Warum ich ihm nicht erzählte, dass mich Albträume plagten. Oder doch. Ich wusste es. Weil er ein liebeskrankes Wrack war, seit Louisa die Insel verlassen hatte. Sie war Profitennisspielerin und hatte die letzten sechs Wochen bei ihrer Patentante auf Hawaii verbracht, um sich für ihr Comeback bei den US Open fit zu machen. Sie und Vince hatten sich schnell und heftig ineinander verliebt, aber einsehen müssen, dass sie keine gemeinsame Zukunft hatten. Louisas Leben spielte sich in den großen Tennisstadien dieser Welt ab, mein Bruder hingegen würde bald das Hostel eröffnen, das wir in den letzten Monaten gemeinsam renoviert hatten. Ich hatte meine Sommersemesterferien bei ihm auf O’ahu verbracht und dabei geholfen, das Ohana in altem Glanz erstrahlen zu lassen, hatte Stühle und Tische abgeschliffen, Fensterläden gestrichen, Dielen ausgebessert und Möbel aufgebaut. Es war schön gewesen, so viel Zeit mit Vince zu verbringen, sein neues Leben auf Hawaii kennenzulernen, seinen Alltag, seine Freunde. Umso merkwürdiger war die Vorstellung, bald nach Colorado zurückzufliegen und wieder in einem Hörsaal zu sitzen statt auf dieser Terrasse.

»Ich hätte ihr heute fast eine Sprachnachricht geschickt.«

Ich war in doppelter Hinsicht überrascht. Weil mein Bruder eher zugeknöpft war, was seine Gefühlswelt anbelangte, und weil er nicht der Typ für Sprachnachrichten war. Ich konnte mich nicht daran erinnern, je eine von ihm erhalten zu haben.

»Warum hast du’s nicht gemacht?«

»Wär nicht fair gewesen«, raunte er und fuhr einen Kratzer auf dem Klangkörper seiner Gitarre nach. Ein Überbleibsel von Jim, der uns dieses Haus vererbt hatte. Er war wie ein Großvater für Vince und mich gewesen, auch wenn wir uns nur einmal im Jahr gesehen hatten. Immer dann, wenn wir mit Mom und Dad Urlaub in seinem B&B am Sunset Beach gemacht hatten.

»Wahrscheinlich nicht«, pflichtete ich ihm bei, wenngleich die Romantikerin in mir sich wünschte, er hätte die Nachricht abgeschickt. In den sechs Wochen, die wir hier in direkter Nachbarschaft gewohnt hatten, waren Louisa und ich Freundinnen geworden, und insgeheim trauerte ich immer noch der Tatsache hinterher, dass sie kein fester Bestandteil meiner Familie werden würde. Einer Familie, die nach dem Tod unserer Eltern nur noch aus Vince und mir bestand. Mom und Dad waren beim Segeln ums Leben gekommen, als ihr Boot in einen heftigen Sturm geraten war. Es hatte viele Jahre und eine Therapie gebraucht, um sie lächelnd und nicht ertrinkend vor Augen zu haben, wenn ich an sie dachte. Aber es ging nach wie vor mit Schmerz und Sehnsucht einher.

»Alles okay?«, holte Vince’ Stimme mich zurück ins Jetzt.

Ein wenig abwesend blinzelte ich. »Ich musste nur an Mom und Dad denken.«

»Ich hab in den letzten Tagen auch oft an sie gedacht.«

Den Grund dafür kannten wir beide. Es war keine Woche her, dass Vince um ein Haar das nächste Familienmitglied an den Ozean verloren hätte. Flashbackartig kehrten die Erinnerungen an jenen Tag am Ehukai Beach zurück. Vor meinem inneren Auge sah ich mich ins Meer waten. Die Brandung war stark gewesen, aber ich hatte mich nicht davon beeindrucken lassen. Zu groß war der Drang nach einer Abkühlung gewesen. Ich war ein paar Züge geschwommen, dann hatte mich aus dem Nichts eine Unterströmung erfasst. Ein unsichtbarer Sog, der mich nicht mehr losgelassen hatte. Ich war in Panik geraten, hatte die Orientierung verloren. Wie in einem riesigen Betonmischer war ich hin und her geschleudert worden. Das Wasser ein wütendes Grünblau, das an mir gezogen und gezerrt hatte. Ich hatte um mein Leben geschrien, aber anders als in meinen Albträumen war ich nicht aufgewacht. Es hatte eine halbe Ewigkeit gedauert, bis jemand auf mich aufmerksam geworden war – meinem Empfinden nach. Laut Vince waren es keine zwei Minuten gewesen, bis Chip mich erreicht hatte. Ausgerechnet Chip. Ich konnte nicht leugnen, dass ich dem mit Abstand heißesten Surfkumpel meines Bruders lieber auf andere Weise nähergekommen wäre. Und dass es meinen kleinen Crush auf ihn nur befeuerte, dass er mir das Leben gerettet hatte.

»Ich hab mich noch gar nicht richtig bei Chip bedankt«, sprach ich meinen nächsten Gedanken laut aus.

»Ach, er ist nicht der Typ, der da irgendwas erwartet.«

Damit hatte Vince vermutlich recht. Griffin Chipman – oder Chip, wie ihn alle nannten – war zwar durchaus jemand, der gerne im Mittelpunkt stand, allerdings hauptsächlich, wenn es ums Surfen ging. Im vergangenen Jahr war er im Guinnessbuch der Rekorde gelandet, indem er in Portugal die höchste Welle bezwungen hatte, die je ein Mensch gesurft hatte. 26,5 Meter. Nicht erst seitdem war er der Shootingstar der Big-Wave-Szene und das Gesicht der aktuellen Kampagne von Rip Curl, die auf ihren Plakaten mit »Chip Curl« warben.

»Ich würde mich trotzdem gerne persönlich bedanken. Vielleicht … können wir ihn ja mal zum Grillen einladen.«

Meine Stimme war nicht ohne Grund ein wenig piepsig geworden. Sosehr mir die Vorstellung von Chip und mir bei Sonnenuntergang auf dieser Terrasse gefiel, so wenig wollte ich, dass Vince von meiner kleinen Schwärmerei erfuhr. Zumal er mir garantiert davon abgeraten hätte, mich auf den größten Draufgänger dieser Insel einzulassen – Kumpel hin oder her.

»Klar, warum nicht. Wir sind morgen zum Surfen verabredet. Da kann ich ihn fragen. Oder willst du ihn lieber selbst einladen?«

»Nein, nein, mach du ruhig.«

»Vielleicht hat er gleich morgen Zeit. Ich meine, du bist ja nicht mehr lange hier.«

Ich schluckte, während sein letzter Satz wie ein Echo durch meinen Kopf hallte. »Ja. Stimmt.«

Ein paar Sekunden hing jeder von uns seinen Gedanken nach, dann kündigte ich an, wieder ins Bett zu gehen. »Solltest du vielleicht auch machen.«

Er seufzte leise. »Ich glaub, ich bleib noch ein bisschen hier draußen.«

»Okay.« Ich wandte mich zum Gehen. »Aber denk dran, was Mom immer gesagt hat, wenn wir nicht schlafen wollten.«

Er runzelte die Stirn. Dann blitzte etwas in seinen Augen auf. Ein Schmunzeln um die Mundwinkel, sagte er: »Dann bekommt ein anderer eure Träume.«

Ich schenkte ihm ein Lächeln und verschwand ins Haus. Nach einem kurzen Abstecher in die Küche kehrte ich in mein Zimmer zurück. Ich trank die kleine Flasche Wasser so schnell leer, dass mein Bauch gluckerte, als ich unter die Bettdecke kroch. Aber auch in meinem Kopf war es alles andere als still. Aufgekratzt starrte ich an die Decke. Ich hatte meinen Bruder lange nicht mehr so niedergeschlagen erlebt, und es tat mir im Herzen weh, dass ich ihm nicht helfen konnte. Keinen Masterplan herbeizaubern konnte, der ihm und Louisa das Happy End ermöglichte, das sie verdient hatten. Und es bedrückte mich, dass ich ihn schon bald mit seinem Liebeskummer allein lassen würde. In den letzten Tagen hatte sich der Gedanke, Hawaii zu verlassen, immer mal wieder merkwürdig angefühlt. In diesem Moment jedoch fühlte er sich regelrecht falsch an. Vince war der Mensch, der mir am meisten auf der Welt bedeutete, und ich ließ ihn zurück für ein Leben, in dem ich einigermaßen zufrieden, aber nicht glücklich war. Für ein Studium, das mir einen Job in Aussicht stellte, der mich ernähren, aber nie erfüllen würde. Für eine Stadt, in der ich geboren, aber nicht mehr zu Hause war. Nur was war die Alternative? Meinen Master zu schmeißen und hierherzuziehen? Fast war ich überrascht, dass der vernünftige Teil von mir nicht laut aufschrie. Mir nicht augenblicklich eine Million Gegenargumente servierte. Etwa, dass es kompletter Irrsinn war, ohne Geld und ohne Job in den mit Abstand teuersten Bundesstaat der USA zu ziehen. Klar, ich konnte Vince um Unterstützung bitten. Wir hatten das Ohana gemeinsam geerbt, insofern stand mir die Hälfte des Immobilienwerts zu. Aber mein Bruder konnte mich nicht auszahlen, und bis sich das Hostel trug, würde noch einiges an Zeit ins Land gehen. Unschlüssig rümpfte ich die Nase und drehte mich zur Seite. Womöglich konnte ich ihn um einen Übergangsjob bitten. Als Rezeptionistin oder … Zimmermädchen? Hatte er überhaupt vor, jemanden fürs House Keeping einzustellen? Erwähnt hatte er nichts. Kurz war ich erschrocken, welche Richtung meine Gedanken genommen hatten, aber das Gefühl verwandelte sich rasch in Neugier. Ich fischte mein Smartphone vom Nachttisch und rief das Jobportal auf, das mir als Erstes in den Sinn kam. Ich gab »O’ahu« als Ortsmarke ein und ließ mir Stellen aus dem Bereich »Economics« anzeigen. Die Trefferliste war überschaubar, und die meisten Firmen befanden sich in der Hauptstadt Honolulu, wo ich ohne Führerschein nur schwer hingelangte. Das Nahverkehrssystem auf der Insel war ausbaufähig und bediente hauptsächlich touristische Ziele. Ich änderte »O’ahu« in »Pūpūkea«, den kleinen Ort am North Shore, an dem sich das Ohana befand. In direkter Umgebung wurden allerdings nur FedEx-Fahrer gesucht. Ich tat es als Spinnerei ab und wollte das Portal wieder schließen, als mir ein Banner mit der Beschreibung »Be a hero« ins Auge stach. Aus irgendeinem Grund war mein Interesse geweckt. Ein Videoclip startete, als ich die Anzeige anklickte. Ein dunkelhaariger Typ lief auf einen Wachturm am Strand zu. Er trug rote Badeshorts und ein gelbes Surfshirt, und seine Augen waren von einer verspiegelten Sonnenbrille verdeckt. Im unteren Bildschirmbereich wurde sein Name eingeblendet. Dennis Halemano – Hawaiian Lifeguard. Ich stellte den Ton lauter. Zu Meeresrauschen und stimmungsvoller Gitarrenmusik begann er zu erzählen: »Ich war sechs Jahre alt, als mir klar wurde, dass ich Rettungsschwimmer werden will.« Er lief die Rampe zu seinem Tower hinauf, der sich blütenweiß vom Himmel abhob. Im Hintergrund glitzerte der Pazifik im Morgenlicht, als hätte man Pailletten über ihn verstreut. Dicht bewachsene Berge ragten sattgrün in die Höhe. »Ich war mit meinen Eltern am Strand und bin beim Baden in eine Rippströmung geraten. Dann war da dieser coole Typ mit der Rettungsboje.« Dennis schmunzelte. »Er hat sich, ohne zu zögern, in die Wellen gestürzt und mich aus dem Wasser gezogen. Und ich dachte mir: Genau das will ich auch mal machen.« Die nächsten Sequenzen zeigten Dennis dabei, wie er auf seinem Tower stand und den Ozean mit einem Fernglas im Blick behielt. Wie er mit einem Quad den Strand entlangfuhr und von einem Jetski einen Kopfsprung ins Meer machte. Es folgte eine Unterwasseraufnahme mit bunten Korallen und Fischschwärmen. Zu südpazifischen Klängen glitt Dennis in geschmeidigen Bewegungen durchs Wasser. »Das klingt jetzt vielleicht kitschig«, hörte man seine Stimme im Voiceover, »aber ich glaube wirklich, dass der Ozean eine heilende Wirkung hat. Egal, welche Probleme ich mit mir herumtrage oder was mich belastet. Das Meer spült sie von mir ab in dem Moment, in dem ich ins Wasser springe.« In einer letzten Sequenz sah man ihn an einem einsamen Strand entlanglaufen, während sich hinter ihm gigantische Wellen auftürmten. Dann wurde das Display schwarz und der Slogan »Be a hero. Become a lifeguard.« eingeblendet. Ich ließ die Bilder noch ein paar Sekunden auf mich wirken und spürte, wie es in mir zu arbeiten begann.

Kapitel 2

Ein Klopfen weckte mich am nächsten Morgen. Ich richtete mich auf und rieb mir über die Lider. Sonnenlicht flutete mein Zimmer und ließ den Staub in der Luft tanzen. Ein hübscher Anblick, der mich gleichzeitig daran erinnerte, dass ich hier dringend mal wieder staubsaugen musste.

»Laurie?«

Ein verschlafenes »Hm« kam über meine Lippen. Die Tür ging einen Spalt auf, und mein Bruder schob seinen Kopf hindurch.

»Alles okay?«, fragte er über den Rand seiner dampfenden Tasse hinweg.

Verständnislos sah ich ihn an.

»Es ist schon nach elf. So lange schläfst du nie.«

Ich schielte auf meine Uhr und hob die Brauen. »Oh.«

Er trat durch die Tür, und der Duft von Kaffee stieg mir in die Nase. Übertrieben sehnsüchtig streckte ich die Hand nach seiner Tasse aus.

»Den kriegst du nicht runter.«

Vince und ich waren alles andere als Kaffee-kompatibel. Er trank ihn schwarz wie die Nacht, ich mit viel Milch und Zucker.

»Heute schon«, erwiderte ich unterm Gähnen. »Bin erst um fünf ins Bett.«

»Was hast du noch so lange gemacht?«

Er reichte mir die Tasse, und ich nahm einen Schluck. Verzog das Gesicht, als das bittere Gebräu durch meine Kehle rann. Vince schenkte mir einen Blick, der nichts weniger sagte als »Told you«, während er auf meine Antwort wartete. Eine Antwort, die wohlüberlegt sein wollte, weshalb ich einen Moment zögerte und mich aufrechter hinsetzte.

»Ich hab eine Entscheidung getroffen.« Auch ohne Koffein wäre ich an dieser Stelle hellwach gewesen. »Ich gehe nicht zurück an die Uni.«

Vince hätte nicht überraschter aussehen können, und ich nutzte den Moment, um fortzufahren.

»Ich will meine Zeit nicht weiter damit verschwenden, in einem Hörsaal zu sitzen und zu lernen, wie ich Leute dazu bringe, irgendwas zu kaufen, das sie nicht brauchen.«

Er runzelte die Stirn. »Du hast nie erwähnt, dass es dir nicht gefällt.«

»Wann haben wir je über mein Studium gesprochen?«

Es klang vorwurfsvoller als beabsichtigt. Dabei hatte ich nur ausdrücken wollen, dass sich unsere Themen in den letzten Jahren um andere Dinge gedreht hatten. Den Tod unserer Eltern, das Ende meiner ersten und einzigen Beziehung, Vince’ Burn-out, seinen Umzug nach Hawaii, die Renovierung des Ohana …

»Laurie, hätte ich gewusst, dass du unglücklich …«

»Ich bin nicht unglücklich«, unterbrach ich ihn. »Das Studium ist keine Qual für mich. Aber es erfüllt mich nicht. Nicht auf die Weise, wie dich hier alles erfüllt.« Ich machte eine flüchtige Geste mit der Hand. Erinnerte ihn wortlos daran, was ihm dieser Ort alles gegeben hatte, am Tiefpunkt seines Lebens. Einen Neustart. Ein Zuhause. »Ich will so etwas auch für mich.«

Er schien einen Moment über meine Worte nachzudenken. Vielleicht machte er auch einen gedanklichen Ausflug in seine Vergangenheit. Seine Zeit im Silicon Valley. Als Founder eines millionenschweren Fin-Tech-Unternehmens, an dessen Erfolg er fast zugrunde gegangen wäre.

»Okay. Und was hast du jetzt vor? Gehst du auf Jobsuche?«

»Nein, eigentlich … will ich eine Ausbildung machen.«

»Eine Ausbildung?« Er blinzelte. »Als was?«

Ich räusperte mich, denn nun stand mir der schwierigste Part des Gesprächs bevor. »Zur Rettungsschwimmerin.«

Er starrte mich an, als hätte ich Schlangenmelkerin oder Golfballtaucherin gesagt, aber ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen.

»Ich will etwas Sinnvolles tun. Einen Beruf, mit dem ich etwas bewirken kann.«

»Und da ist dir als Allererstes Rettungsschwimmerin eingefallen?« Ich sah den Zweifel in seinen Augen.

»Rettungsschwimmer retten Leben. Ich meine, ich wäre letzte Woche selbst fast ertrunken, wenn Chip nicht gewesen wäre. Und Mom und Dad … Vielleicht hätten sie … Vielleicht …« Meine Kehle schnürte sich schmerzhaft zusammen, und ich brach ab.

Sein Blick wurde nachgiebiger.

»Wo würdest du diese Ausbildung denn überhaupt machen wollen? In einem Schwimmbad? Aqua Park?«

Überrascht sah ich ihn an. »Eigentlich möchte ich sie hier machen. Auf O’ahu.«

»Du …« Er stutzte. »Moment. Du willst hierbleiben?«

Ich nickte.

»Und Rettungsschwimmerin werden?« Eine Mischung aus Unglauben und Irritation schlug mir entgegen. »Das ist doch nicht dein Ernst!«

Ich fühlte mich in die Enge gedrängt und ergriff die Flucht nach vorn. »Warum?«

»Na, weil … weil …« Er fing an, mit seinen Händen zu gestikulieren. »Weil das keine Entscheidung ist, die man mal eben trifft, weil man nicht einschlafen kann.«

Gekränkt verzog ich das Gesicht. »So ist das nicht. Ich spiele schon länger mit dem Gedanken.«

»Rettungsschwimmerin zu werden?!«

»Hierzubleiben. Bei dir. Und ehrlich gesagt dachte ich, du freust dich darüber.«

In seinen Augen blitzte etwas auf. Ich wäre nicht so weit gegangen, es Reue zu nennen, aber ein Anflug von Zerknirschtheit war es in jedem Fall. Er rieb sich mit der Hand übers Gesicht.

»Natürlich freue ich mich, wenn du hierbleibst.«

»Hört sich nicht so an.«

»Weil ich nicht verstehe, wie du auf die Idee kommst, ausgerechnet Rettungsschwimmerin werden zu wollen. Ich meine, ich verstehe, dass du aufgewühlt bist nach der ganzen Sache. Und dass es dich an Mom und Dad erinnert, aber … das ist doch kein Grund, dein Leben aufs Spiel zu setzen.«

»Mein Leben aufs Spiel zu setzen?!«

»Der Ozean ist kein Swimmingpool, Laurie. Erst recht nicht auf Hawaii. Die Wellen hier werden bis zu fünfzehn Meter hoch, die Brandung ist so gefährlich wie fast nirgendwo sonst auf der Welt. Und du willst mir erzählen, dass du in der Lage bist, unter diesen Umständen Leute aus dem Wasser zu ziehen? Ausgerechnet du?«

Ich verengte die Augen. »Was soll das heißen? Ausgerechnet du?«

»Du bist nun mal«, er zögerte, »klein.«

Das brachte das Fass zum Überlaufen. Ich schlug die Decke zur Seite und sprang aus dem Bett. »Weißt du was, du kannst mich mal!«, zischte ich und stürmte aus dem Zimmer.

»Laurie!«, rief Vince mir nach.

Wütend stapfte ich die Treppe hinunter. Ich hörte, dass er mir folgte, machte aber keine Anstalten, stehen zu bleiben.

»Laurie, jetzt warte!«

Unbeirrt setzte ich meinen Weg fort und flüchtete hinaus auf die Terrasse. Die Mittagssonne war grell, und für einen Moment fühlte ich mich wie erblindet. Als sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, nahm ich eine Bewegung neben mir wahr. Zu meinem Entsetzen lümmelte kein Geringerer als Chip auf unserer Lounge. Sein dunkles Haar war wie immer zu einem nachlässigen Man Bun gebunden, und er trug blaue Surfshorts mit Paisley-Print, ansonsten … nichts. Auch wenn ich ihn schon oberkörperfrei gesehen hatte, klappte mir fast die Kinnlade runter. Meine Augen wanderten schamlos über seine gebräunte Haut, die breite Brust und die Wölbungen seines Sixpacks. So sah nur jemand aus, der täglich sämtliche Muskeln seines Körpers anspannte, um auf einem schmalen Brett durch gigantische Wellen zu surfen.

»Hey!«, sagte er völlig entspannt.

Als hätte ich ihn nicht gerade unverhohlen angestarrt. Als würde ich nicht in Slip und Top vor ihm stehen. Ohne BH. Hastig verschränkte ich die Arme vor der Brust. Ärgerte mich darüber, dass ich nicht noch ein zweites Paar besaß, um die Flamingos auf meiner Unterhose zu bedecken.

»Hey«, presste ich hervor und spürte, wie ich knallrot anlief.

Was zur Hölle machte er hier? Warum hatte Vince mich nicht vorgewarnt? Da fiel mir wieder ein, dass er erwähnt hatte, er und Chip wären zum Surfen verabredet.

»Sorry«, hörte ich meinen Bruder hinter mir sagen. Nur dass sich seine Entschuldigung offenbar nicht an mich richtete. »Hat ein bisschen länger gedauert.« Seine Stimme war zu einem Grummeln geworden.

»Kein Ding.« Chip richtete sich auf und leerte die Dose Eistee, die auf dem Tisch stand. Sein Blick erwischte mich, als ich ihn dabei beobachtete, und ich wurde – wenn überhaupt möglich – noch röter. Peinlich berührt sah ich zu Boden, stellte fest, dass der mintfarbene Nagellack auf meinen Zehennägeln größtenteils abgeblättert war. Wow. Das Gegenteil von sexy hatte einen Namen: Laurie Greenfield.

»Also«, durchbrach Chip die unangenehme Stille auf der Terrasse. »Wir können natürlich so tun, als hätte ich euch nicht gehört. Aber«, übertrieben bedauernd zog er die Luft durch die Zähne, »das Fenster da oben steht offen«, aus irgendeinem absurden Grund folgten Vince und ich Chips Zeigefinger, »und ihr wart nicht gerade leise.«

»Dann weißt du ja bereits, dass Laurie den Verstand verloren hat.«

Empört schnaubte ich.

»Vielleicht kannst du sie zur Vernunft bringen«, wandte Vince sich an seinen Kumpel. »Deine halbe Familie besteht aus Lifeguards. Du weißt, wie hart der Job ist. Sag ihr, dass sie sich da in was verrannt hat.«

Chip wirkte überrumpelt.

»Sie ist keine gute Schwimmerin«, fuhr Vince fort. »Sie wäre ertrunken, hättest du sie nicht gerettet.«

»Sie ist vor allem anwesend«, zischte ich und stemmte die Hände in die Hüften. Für zwei Sekunden. Dann fiel mir wieder ein, dass ich keinen BH trug und der Stoff meines Tops hauchdünn war.

»Es ist ein verdammt harter Job, vor allem hier auf Hawaii«, begann Chip mit ernster Stimme, und ich konnte mir ein entnervtes Stöhnen nicht verkneifen. »Aber«, das war der Moment, in dem ich aufhorchte, »man kann ihn lernen wie jeden anderen.«

Verblüfft riss ich die Augen auf.

»Das kann nicht dein Ernst sein!« Vince machte eine Handbewegung in meine Richtung. »Sieh sie dir doch an!«

Nein, sieh mich nicht an!, stöhnte ich innerlich, während mein Bruder nicht mehr zu bremsen war.

»Sie ist gerade mal 1,60. Wie soll …«

»Ich bin1,64!«, unterbrach ich ihn scharf und reckte das Kinn.

»Auch mit 1,64 kannst du keinen Hundert-Kilo-Kerl aus dem Wasser ziehen«, entgegnete Vince.

»Das ist so nicht ganz richtig«, schaltete Chip sich ein und kassierte einen weiteren ungläubigen Blick von Vince. »Sorry, Mann, aber das stimmt einfach nicht.« Er zuckte mit den Schultern, und während mein Bruder aussah, als wollte er ihm am liebsten den Hals umdrehen, wäre ich ihm liebend gern um genau diesen gefallen.

»Ihr habt sie doch nicht mehr alle«, brummte Vince.

Fassungslos sah ich ihm dabei zu, wie er ins Haus verschwand. Stille senkte sich über die Terrasse.

»Der kriegt sich schon wieder ein«, sagte Chip, der neben mich getreten war. Er roch nach Sonnencreme und Surfwachs, und ich musste mich davon abhalten, diesen unwiderstehlichen Duft zu inhalieren.

»Sorry, dass du da mit reingezogen wurdest«, seufzte ich.

»Ich hab mich doch selbst reingezogen.«

Ich schenkte ihm ein dankbares Lächeln. »Ja, aber das hättest du nicht tun müssen. Ich meine, Vince und du seid Freunde.«

»Und du und ich nicht?« Seine Brauen zuckten ganz leicht nach oben, und in seinen Augen blitzte etwas auf, das mich überforderte. Sie waren braun, aber wenn man genau hinsah, und das tat ich ab und an, schien es, als wäre das eine Auge ein wenig heller als das andere.

»Äh … doch. Schon«, stammelte ich, nachdem mich seine Reaktion kurz aus der Fassung gebracht hatte.

Um seine Mundwinkel spielte ein fast ungezogenes Lächeln, als er »Gut« hauchte. Die darauf folgende Stille flirrte ein wenig zu lang in der Luft.

»Glaubst du das wirklich? Dass ich … es lernen kann?«

»Klar«, erwiderte er, ohne zu zögern. »Niemand wird als Lifeguard geboren.« Er neigte den Kopf. »Außer mein Bruder natürlich.« In gutmütigem Spott verdrehte er die Augen.

Ich kannte Chips Bruder nicht, wusste nur, dass er als Lifeguard arbeitete. Genauso wie Chips Vater, der sogar Chief der Ocean Safety war.

»Warum bist du eigentlichnicht Rettungsschwimmer geworden?«

»Konnte ich meiner Mom nicht antun. Ich meine, es geht auch so schon bei jedem Familienessen um nichts anderes.« Er schmunzelte, bevor seine Miene ernster wurde. Und dann war da plötzlich etwas in seinem Blick. Etwas Dunkles. Düsteres. Ein alter Schmerz. »Ich zieh Gefahr an. Deswegen.«

Ich schluckte, und die Härchen auf meinen Armen richteten sich auf. Auch wenn er es nicht ausgesprochen hatte, wusste ich, dass er auf Keiko anspielte. Seinen besten Freund, der vor ein paar Jahren ums Leben gekommen war, nachdem er Chip mit dem Jetski in eine gigantische Welle gezogen hatte. Eine Schwere, die nicht zur Umgebung passen wollte, machte sich auf der Terrasse breit. Ehe ich etwas erwidern konnte, deutete er mit dem Zeigefinger in Richtung Haus. »Ich seh mal nach deinem Bruder und frag ihn, ob er ein Taschentuch braucht.«

Sein Grinsen erreichte seine Augen nicht. Er war noch nicht bei der Tür, als er innehielt und über seine Schulter zu mir blickte.

»Ich find’s cool, dass du hierbleibst, Laurie.«

Es war sicher nicht das erste Mal, dass er meinen Namen sagte. Aber es fühlte sich ein bisschen so an.

 

Für den restlichen Tag blieb die Stimmung zwischen Vince und mir angespannt. Wir gingen uns aus dem Weg und redeten nur das Nötigste miteinander. Statt gemeinsam auf der Terrasse zu essen, zog ich mich in mein Zimmer zurück und verbrachte den Abend damit, mich durch die Website der Ocean Safety zu klicken. Eine Tüte Chips im Schoß, informierte ich mich über die Anforderungen für die Tryouts, das Auswahlverfahren, das zweimal im Jahr am Ala Moana Beach in Honolulu abgehalten wurde. Um daran teilnehmen zu dürfen, musste ich neben einem Highschool-Abschluss einen gültigen Führerschein besitzen – was ein Problem darstellte. Ich war zweimal durch die praktische Prüfung gerasselt und hatte beschlossen, dass ein Leben auch lebenswert war, wenn man mit öffentlichen Verkehrsmitteln vorliebnahm. Eine Argumentation, mit der ich bei der Ocean Safety vermutlich nicht weit kam. Ich schob den Gedanken vorerst beiseite und befasste mich mit dem Ablauf des Auswahlverfahrens. Als Teilnehmerin musste ich mich im Schwimmen, Laufen und Paddeln beweisen. Ich wollte gerade die Zeitvorgaben in Erfahrung bringen, als eine Nachricht von Chip auf meinem Smartphone einging. Augenblicklich hielt ich in meiner Kaubewegung inne.

 

Na, wie ist die Stimmung bei euch?

Meine Finger verselbstständigten sich und tippten eine Antwort, die ich wieder löschte. Ich setzte erneut an und schrieb:

Unverändert. 🤷

Weil ich nicht wollte, dass der Chat abbrach, schickte ich rasch »Wart ihr noch surfen?« hinterher – und verzog das Gesicht, weil es peinlich nach Small Talk klang. Er antwortete mit einem hochgestreckten Daumen, und ich stierte unzufrieden aufs Display. Was sollte ich jetzt noch schreiben? Zu meiner Freude hatte er wieder zu tippen begonnen.

Hast du morgen Abend zufällig schon was vor? Hätte da so eine Idee … 😉

Ich blinzelte. Las die Nachricht ein zweites und ein drittes Mal. Legte mein Smartphone beiseite, um es im nächsten Moment wieder in die Hand zu nehmen und aufs Display zu starren. War das …? Bedeutete das …? Mein Puls schnellte in die Höhe.

Bisher nicht. 🙂

Mit angehaltenem Atem wartete ich auf seine Antwort.

Dann haben wir ein Date. 😉 Passt dir 18 Uhr?

Da stand es. Schwarz auf weiß: Date. Plötzlich war es, als würde sich mein Magen mit Seifenblasen füllen. Meine Daumen kribbelten, als sie über die Buchstaben flogen.

Klingt gut. Wo treffen wir uns?

Prompt vibrierte mein Smartphone wieder.

Ich hol dich ab.

Er schickte ein GIF von einer weißen Limousine, aus der ein Typ im Smoking stieg, der nicht ansatzweise mit Chip mithalten konnte. Ich musste schmunzeln.

Verrätst du mir, wo wir hingehen?

Lass dich überraschen. 😉

Eigentlich mochte ich keine Überraschungen, aber mein Gefühl sagte mir, dass mir diese hier gefallen würde. Mit wild klopfendem Herzen schrieb ich:

Ich freu mich.

Ich mich auch.

Nachdem ich seine Nachricht gelesen hatte, drückte ich das Smartphone an meine Brust und stieß ein albernes Quietschen aus.

Kapitel 3

Zugegeben, ich hatte mir den ein oder anderen Sommerflirt erhofft, als ich zu Beginn der Semesterferien in den Flieger nach Hawaii gestiegen war. Nach einer prüfungsbedingten Dating-Durststrecke war ich mehr als bereit für ein kleines Urlaubsabenteuer gewesen. Ein bisschen feiern und flirten, ein bisschen rummachen oder auch mehr, wenn es sich ergab. Dass meine Dating-Bilanz sieben Wochen später äußerst ernüchternd ausfiel, lag hauptsächlich daran, dass ich gnadenlos unterschätzt hatte, wie müde ich sein würde, wenn ich Vince den ganzen Tag bei den Renovierungsarbeiten half. Wie kräftezehrend körperliche Arbeit war. Die meisten Abende hatte ich auf der Couch verbracht oder mit Vince und Louisa auf der Terrasse gechillt. Pyjama statt Partyfummel getragen. Umso euphorischer war ich, doch noch das rote Slipkleid aus dem Schrank ziehen zu können, das ich mir eigens für Hawaii gekauft hatte. Es war kurz und figurbetont. Vielleicht ein bisschen zu sexy für ein Date um 18 Uhr, aber Chip durfte ruhig sehen, dass ich eine erwachsene Frau war. Zuvor hatte ich mit einem kornblumenblauen Maxikleid geliebäugelt. Die Farbe betonte meine blauen Augen, ließ mich aber ein wenig blass wirken. Im Gegensatz zu Vince, der nach unserer italienischen Mutter kam, hatte ich Dads milchweiße Haut geerbt. Ich bekam schon Sonnenbrand, wenn ich nur an das Wort dachte, und verließ das Haus nur mit Lichtschutzfaktor 100. Das rote Kleid vor den Körper haltend, drehte ich mich noch einmal vor dem Spiegel hin und her und begutachtete mich aus verschiedenen Blickwinkeln. Zufrieden nickte ich und hängte es außen an die Schranktür. Ich schlüpfte aus Shorts und Top, tauschte meinen BH gegen ein trägerloses Modell und meinen Baumwollslip gegen einen nahtlosen Tanga. Mein braunes Haar föhnte ich so, dass es mir in sanften Wellen über die Schultern fiel, was die karamellfarbenen Strähnen zur Geltung brachte, die ich der Tropensonne zu verdanken hatte. Den hohen Temperaturen geschuldet, setzte ich auf ein schlichtes Make-up. Ich tupfte Concealer unter meine Augen, tuschte mir die Wimpern mit wasserfester Mascara und trug einen nudefarbenen Lippenstift auf, der meinen Mund dezent betonte. Anschließend frischte ich den Nagellack auf meinen Zehen auf und schlüpfte in Espadrilles mit Keilabsatz, die meine Beine länger wirken ließen. Nach einem letzten Blick in den Spiegel schnappte ich mir meine Macramé-Clutch und verließ das Zimmer. Auf der Treppe nach unten kam mir Vince entgegen und starrte mich an, als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen.

»Was hast du denn noch vor?«

Seit unserem Streit gestern Morgen hatten wir kaum ein Wort miteinander gewechselt. Immerhin hatte es mich nicht in Zugzwang gebracht, ihm von meinem Date mit Chip erzählen zu müssen. Garantiert hätte er tausend Einwände gehabt, die sich allesamt darauf runterbrechen ließen, dass Chip ein Draufgängerwar.

»Und mit wem, wenn ich fragen darf?«

»Du darfst«, erwiderte ich ungerührt und setzte meinen Weg fort.

»Laurie«, hörte ich ihn seufzen.

Fast war ich überrascht, dass er mir nicht folgte. Stattdessen entfernten sich die Schritte. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich erleichtert oder betrübt war. Ich hasste Streit, und noch mehr hasste ich Streit mit Vince. Aber er hatte mich mit seinem Verhalten zu sehr gekränkt, um einfach darüber hinwegsehen zu können.

Chips alter VW-Bus bog gerade in unsere Einfahrt, als ich ins Freie trat, und von einer Sekunde auf die andere wurde meine Trübsal von Nervosität abgelöst. Der Wagen war ein Klischee auf vier Rädern. Oben weiß, unten himmelblau, mit einem auf dem Dach festgezurrten Surfbrett und Aufklebern auf den hinteren Fenstern, die sich bereits ablösten. Die Sorte Auto, die eine ganze Generation geprägt hatte und sechzig Jahre später für den Lifestyle von Surfern, Aussteigern und Globetrottern stand. Die Beifahrertür ließ sich nicht so leicht öffnen, wie ich es gewohnt war, weshalb Chip auf der Sitzbank durchrutschte und mir zu Hilfe kam. Er machte den Mund auf, um mich zu begrüßen, vergaß aber offensichtlich, was er hatte sagen wollen. Geschmeichelt und ein wenig verlegen strich ich mir eine Strähne hinters Ohr und lächelte.

»Hi.«

Blinzelnd löste Chip sich aus seiner Starre. »Hi.«

Er rutschte wieder auf die Fahrerseite und machte mir Platz. Zwei Dinge fielen mir gleichzeitig auf, als ich einstieg. Dass es im Wagen nach Chip roch. Und dass er mit seinen Surfshorts, dem Flatterhemd und den Flipflops ein ziemlich legeres Outfit für unser Date gewählt hatte. Auch sein Haar sah aus, als würde er direkt vom Strand kommen. Spröde und salzwasserverstrubbelt. Ich schnallte mich an und strich mein Kleid an den Oberschenkeln glatt.

»Hast du heute noch was vor?«, fragte Chip in einer Tonlage, die ich nicht recht deuten konnte. War das ein Kompliment? Ich überspielte meine Irritation mit einem Lächeln und säuselte: »Kommt drauf an.« Es sollte flirty klingen, aber meine piepsige Stimme machte alles zunichte. Wärme kroch mir in die Wangen. Wow, das ging ja schon mal gut los. »Also … verrätst du mir jetzt, wo wir hinfahren?«

»Nope«, antwortete er und machte keinen Hehl daraus, dass es ihm Spaß machte, mich im Unklaren zu lassen.

»Komm schon, gib mir wenigstens einen Tipp.«

Grinsend schüttelte er den Kopf. »Würde zu viel verraten.«

Er ließ den Bus rückwärts aus der Einfahrt rollen und fuhr los. Der Fahrtwind wehte ein angenehmes Lüftchen durch die heruntergelassenen Fensterscheiben, und ich sog den Duft des Ozeans ein.

»Hat sich Vince wieder eingekriegt?«

»Keine Ahnung, wir reden nicht wirklich miteinander.«

»Mist.« Chip drehte das Radio etwas lauter, bis es die Musik mit den knatternden Motorengeräuschen aufnehmen konnte. Ein Song von den Common Kings, der hier auf der Insel häufig lief. »Also … hast du ihm hiervon nichts erzählt?« Ohne den Blick von der Straße zu nehmen, ließ er seinen Zeigefinger zwischen uns hin und her wandern, und diese harmlose Geste genügte, um meine Wangen noch wärmer werden zu lassen.

»Er hat mitbekommen, dass ich verabredet bin, aber nicht, mit wem.«

Über Chips Lippen kam ein Laut, den ich nicht einordnen konnte. Aber am ehesten erinnerte er mich an Beunruhigung.

»Wir brauchen seine Erlaubnis nicht, wenn wir«, ich stockte, »was zusammen unternehmen wollen.«

»Klar«, beeilte er sich zu sagen. »Ich will nur nicht, dass es noch mehr Ärger zwischen euch gibt.«

»Das will ich auch nicht.« Ich seufzte. »Aber dafür muss Vince erst mal kapieren, dass ich eine erwachsene Frau bin.«

»Was schwer zu übersehen ist«, säuselte Chip mit einem Lächeln, das mir tief in die Eingeweide fuhr. Jetzt hatte er mir definitiv ein Kompliment gemacht. Ich presste die Lippen aufeinander, um nicht grinsen zu müssen, lehnte mich im Sitz zurück und nutzte die kurze Stille, um mich im Wagen umzusehen. Das Lenkrad und der Tacho verströmten einen nostalgischen Charme, und der Holzanhänger, der vom Rückspiegel baumelte, sah aus, als hätte ihn Duke Kahanamoku, Pionier des Surfens, höchstpersönlich um den Hals getragen. Im Fußraum herrschte Unordnung. Ein Paar Sneakers lag neben einer zusammengedrückten Coladose und einer Banana Boat Sonnencreme. Unmengen von Sand hatten sich in die Fasern der Fußmatte gegraben, die so zerschlissen war, dass man den Boden durchschimmern sah.

»Sorry. Hätte vielleicht ein bisschen aufräumen sollen.«

Ertappt sah ich auf. »Oh, nein! Ich hab nur … Das ist ein echt cooler Bus.«

»Hab ich mir von meinem ersten richtigen Preisgeld gekauft.«

»Verdient man eigentlich gut als Big Wave Surfer?«

»Genug für einen rostigen Bulli mit kaputter Stoßstange.« Er lachte. »Im Vergleich zu Sportarten wie Football und Basketball wird in der Surfindustrie eher wenig bezahlt. Aber wenn man die richtigen Sponsoren an Land zieht, kann man sehr gut davon leben. Medina und Fanning bringen es auf eineinhalb bis zwei Millionen im Jahr.«

Ich gab mich beeindruckt, auch wenn mir die Namen nichts sagten.

»Davon bin ich noch weit entfernt«, schob er schnell nach.

Ich lächelte und ließ den Blick aus dem Fenster schweifen. Wir fuhren auf der Küstenstraße Richtung Hale’iwa, einem kleinen Ort am North Shore, der es in der Surfszene zu weltweiter Berühmtheit gebracht hatte. Neben beliebten Surfspots und Traumstränden bot Hale’iwa ein überschaubares, aber charmantes Angebot an Cafés, Bars und Restaurants. Ob Chip mit mir dorthin wollte? Verstohlen musterte ich noch einmal sein Outfit. Auf Hawaii ging es leger zu, trotzdem würden wir ein kurioses Bild abgeben. Vielleicht hätte ich doch besser das lange Kleid anziehen sollen. Und flache Schuhe. Meine Überlegungen zerschlugen sich, als wir die Hauptstraße verließen und zum Strand abbogen. Wir fuhren auf einen großen Parkplatz zu, auf dem abendliche Aufbruchstimmung herrschte. Mit Badetaschen, Kühlboxen und Luftmatratzen bepackte Familien kehrten von ihrem Strandtag zurück, Surfer schnallten ihre Bretter aufs Autodach, und hier und da wusch sich jemand mit einer Flasche Wasser den Sand von den Füßen. Wir ließen den Parkplatz rechts liegen und folgten der Straßenführung noch etwa fünfzig Meter, bis wie aus dem Nichts ein schmuckloses Gebäude mit hellgrauer Fassade vor uns aufragte. Chip setzte den Blinker und fuhr in einen schmalen, verlassenen Hinterhof, wo er den Bus neben einer Reihe von Abfallcontainern parkte, die so voll waren, dass die Deckel nicht mehr schlossen. In einem Thriller wäre das der Moment gewesen, in dem ich nach dem Pfefferspray in meiner Handtasche getastet hätte. In der Realität begann Chip zu lachen.

»Du siehst aus, als würdest du um dein Leben fürchten.«

Ich spürte, wie ich rot wurde. »Wo sind wir hier?«

»Wirst du gleich sehen. Komm mit.«

Ich stieg aus dem Wagen und rümpfte die Nase, als der Gestank der Mülltonnen zu mir rüberwehte. Kurz fragte ich mich, ob es der Hinterhof irgendeines Restaurants war. Aber das Gebäude erinnerte von außen eher an eine Behörde.

»Nicht der schönste Parkplatz, ich weiß. Aber er ist immer frei.«

Chip steuerte auf eine Metalltür zu, die wie der Ausgang eines Warenlagers aussah. Er zog sie auf und ließ mir den Vortritt. Ich betrat ein klimatisiertes Treppenhaus mit einem Aufzug, dessen Türen aufglitten, als Chip auf den Knopf drückte. Während der kurzen Fahrt in den ersten Stock betrachtete ich uns im Spiegel. Mit den hohen Schuhen und dem Slipkleid sah ich wirklich overdressed aus neben ihm. Er schien zur selben Erkenntnis gekommen zu sein, denn als unsere Blicke sich im Spiegel trafen, lächelte er mich verlegen an. Dann kam der Aufzug zum Stehen. Von einem Pling begleitet, öffneten sich die Türen. Oh, hier sind wir wohl falsch, dachte ich – im exakt selben Moment, in dem Chip neben mir »Da wären wir« sagte.

Kapitel 4

Die Art, wie Chip mich ansah – ein bisschen selbstzufrieden, ein bisschen triumphierend –, sagte mir, dass er davon ausging, ich hätte inzwischen verstanden, was hier vor sich ging. Warum der Fahrstuhl uns in einer Bürozentrale ausgespuckt hatte. Zumindest dem Anschein nach. Ich sah Schreibtische, die in lockerer Anordnung im Raum verteilt waren, und hörte ein paar Leute telefonieren. Wo genau ich mich hier befand, realisierte ich allerdings erst, als mein Blick auf das großflächig aufgemalte Logo an der Wand fiel. Ein einem Rettungsring nachempfundener Kreis in den Farben Rot und Gelb, in dessen Mitte sich ein Wappen mit der hawaiianischen Staatsflagge befand. Und der Schriftzug »Ocean Safety«.

»Ich dachte, ich zeig dir schon mal deinen künftigen Arbeitsplatz«, bemerkte er mit einem verschmitzten Grinsen.

»Ist das hier so was wie die Zentrale?«, fragte ich, während meine Augen fasziniert umherschweiften und wie ein Schwamm jedes Detail aufsogen. Die Whiteboards mit Notizen und Strichlisten, die Bildschirme mit zirkulierenden Pfeilen in Rot und Blau, mit Satellitenaufnahmen und Wettervorhersagen.

Chip nickte. »Hier werden die Dienstpläne geschrieben, die Einsätze koordiniert, Fahrzeuge verwaltet und …«

»Mädels beeindruckt, wie es scheint.«

Ohne dass wir es bemerkt hatten, war eine Frau mit einer Sporttasche an uns herangetreten. Spontan schätzte ich sie auf Mitte, Ende zwanzig. Sie war hübsch mit ihren langen schwarzen Haaren und den braunen Augen, in denen Belustigung aufblitzte. Ihr leuchtend gelbes Lifeguard-Shirt betonte ihre dunkle Haut, und die roten Shorts brachten wohltrainierte Beine zum Vorschein. Um ihren rechten Unterschenkel wand sich ein polynesisches Tattoo. Ein Kunstwerk aus Linien, Dreiecken und Wellen, das meine Aufmerksamkeit für ein paar Sekunden in Beschlag nahm. In den knapp zwei Monaten, die ich nun hier auf Hawaii war, hatte ich gelernt, dass diese Art von Tätowierung mehr war als Körperschmuck. Jedes Motiv, jedes Muster, hatte seine eigene Symbolik und erzählte eine persönliche Geschichte.

»Kimie«, sagte Chip in einem Tonfall, der deutlich machte, dass er sich über ihre Bemerkung amüsierte.

»Griffin.«

Es war das erste Mal, dass ihn jemand in meiner Gegenwart bei seinem richtigen Namen nannte.

»Dein Dad hat schon Feierabend gemacht. Ihr habt euch knapp verpasst.«

»Ich will sowieso zu TJ«, sagte Chip.

»Du weißt, dass er es hasst, wenn du ihn so nennst«, rügte sie ihn nur halb ernst. Während ich mich fragte, wer TJ war, schien Kimie bewusst zu werden, dass noch eine weitere Person anwesend war. Entschuldigend sah sie mich an. »Hi, ich bin Kimie.« Sie streckte mir ihre Hand entgegen und lächelte. Ein warmes, sympathisches Lächeln. Die Sorte, die kleine Fältchen in den Augenwinkeln entstehen ließ.

Ich schüttelte ihre Hand und stellte mich ebenfalls vor.

»Laurie will Rettungsschwimmerin werden«, erklärte Chip mit einem Lächeln in meine Richtung. »Deswegen …«

»Zeigst du ihr gleich mal den Ort, an dem sie dann langweilige Einsatzberichte schreiben muss?« Kimie schnitt eine Grimasse.

»Hey, es ist auch der Ort mit dem besten Süßigkeitenautomaten weit und breit«, entgegnete Chip.

»Stimmt. Ich vergesse immer, dass du hier quasi aufgewachsen bist.«

Ich verfolgte das Geplänkel mit Belustigung, aber auch einem Hauch Neugier. Sie schienen sich gut und lange zu kennen, wobei mir ihr Umgang miteinander nicht flirty, sondern freundschaftlich vorkam.

»Er ist übrigens draußen im Becken«, sagte Kimie schließlich, und ich vermutete, dass es wieder um diesen TJ ging.

Chip seufzte etwas, das wie »wo auch sonst« klang, und Kimie zuckte kaum merklich mit den Schultern. Für den Bruchteil einer Sekunde war es, als wäre die Leichtigkeit zwischen den beiden verschwunden. Ehe ich mich weiter darüber wundern konnte, deutete Kimie auf den Fahrstuhl hinter uns: »Ich mach dann mal Feierabend.« Sie lächelte mich an. »War nett, dich kennenzulernen, Laurie. Meld dich jederzeit, wenn du Fragen hast. Wir brauchen dringend mehr Frauen bei der Ocean Safety.« Sie zwinkerte, bevor ihr Blick von mir zu Chip glitt. »Griffin.«

»Kimie.« Grinsend neigte er den Kopf.

»Schönen Feierabend«, rief ich ihr noch zu, als Chip sich in Bewegung setzte.

Ich folgte ihm durch einen langen Flur, von dem zu beiden Seiten Bürotüren abgingen. Eine rothaarige Frau in Lifeguard-Montur kam uns entgegen. Auch wenn sie uns freundlich zunickte, rief mir ihr neugieriger Blick in Erinnerung, dass ich in meinem Kleid wie ein Fremdkörper in dieser nüchternen Umgebung wirken musste. So süß die Geste war, wünschte ich mir, Chip hätte mich nicht ausgerechnet vor einem Date hierhergebracht.

»Aloha, Marla«, trällerte Chip, als uns eine Frau um die fünfzig durch eine offen stehende Bürotür zuwinkte. »Dads Sekretärin«, erklärte er mir. »Hab als Kind immer ihren Tacker versteckt.« Er grinste, und ich musste schmunzeln, weil ich mir bildlich vorstellen konnte, wie er hier Schabernack getrieben hatte.

Inzwischen hatten wir das Ende des Flurs erreicht und bogen wie selbstverständlich nach links ab. Der Geruch von Chlor stieg mir in die Nase und überdeckte den Kaffeeduft, der aus einigen Büros drang. Chip machte vage Handbewegungen nach rechts und links, zeigte mir Duschen, Umkleiden, Besprechungsräume und das Fitnesscenter. Es war nicht zu übersehen, wie gut er sich hier auskannte. Kurz darauf gelangten wir über eine Glastür ins Freie. Ein Schwimmbecken mit abgetrennten Bahnen erstreckte sich vor meinen Augen. In beeindruckend hoher Geschwindigkeit kraulte ein Schwimmer von einem Ende zum anderen. Mit einer fast anmutigen Gleichmäßigkeit drehte er seinen Kopf immer wieder zur Seite, um Luft zu holen. Ich hätte ihm ewig dabei zusehen können, wie sein lang gestreckter Körper durchs Wasser glitt, seine Arme kraftvoll ein- und wieder auftauchten. Chip war indessen an den Beckenrand getreten und in die Hocke gegangen. Der Schwimmer schien ihn bemerkt zu haben. Statt eine Wende zu machen, schlug er mit den Händen am Beckenrand an und sah auf. Soweit ich es erkennen konnte, hatte er kurzes, dunkles Haar. Seine Haut war sonnengebräunt, und eine schwarze Schwimmbrille verdeckte seine Augenpartie. Ich hörte Chip etwas sagen, aber die Poolpumpe verschluckte das meiste davon. Vermutlich war es ein flapsiger Spruch gewesen, denn Chip ging lachend in Deckung. Mit zwei äußerst wohldefinierten Armen stemmte sich der Kerl vom Beckenrand hoch. Wasser tropfte von seinen Haaren auf seinen Körper, der dafür sorgte, dass mir einen Moment lang die Luft wegblieb. Er hatte die athletische Figur eines Schwimmers. Groß, breite Schultern, schmales Becken und ein ausgeprägtes V, das in knielangen Speedo-Shorts verschwand. Als er sich die Brille abzog, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das musste Chips Bruder sein. Tristan. Im ersten Moment war mir die Ähnlichkeit nicht aufgefallen. Dachte man sich Chips Bart und den Man Bun weg, war sie jedoch schwer zu übersehen. Die beiden hatten dieselbe Gesichtsform und dieselben braunen Augen. Sogar denselben Mund. Nur dass Tristan der verschmitzte Zug um die Lippen fehlte, was ihn etwas ernster wirken ließ.

»Warst du bei Dad?«, fragte Tristan, während ich noch damit beschäftigt war, ihre Gesichter abzugleichen. Er griff nach dem Badetuch, das über dem Handlauf des Schwimmbeckens hing, und rieb sich im Gehen Brust und Arme trocken.

»Nope, ich wollte zu dir. Das heißt, wir wollten zu dir.« Chip neigte den Kopf in meine Richtung und lenkte die Aufmerksamkeit auf mich. »Das ist Laurie.«

Tristans Augen wanderten zu mir, und mir fiel auf, dass sie eher dunkelgrün als braun waren. Etwas Wachsames lag in seinem Blick. Als würde ihm nichts entgehen. Auch das unterschied ihn von Chip, dem die Sorglosigkeit regelrecht ins Gesicht zementiert war.

»Laurie«, Chip vollführte eine Geste mit der Hand, »das ist mein Bruder. Tristan.«

»Hey«, sagte ich mit einem leicht abwesenden Lächeln, weil mich die Frage umtrieb, was Chip mit »Wir wollten zu dir« gemeint hatte.

»Hey«, erwiderte er knapp, aber nicht unfreundlich. Er legte sich das Handtuch um den Hals, und ich kam nicht umhin zu bemerken, dass das weiße Frottee einen netten Kontrast zu seinem Teint darstellte.

»Also … Laurie überlegt, Rettungsschwimmerin zu werden«, setzte Chip in einem beschwingten Ton an. »Und ich dachte«, er machte eine dramaturgische Pause, »du könntest sie doch mal mitnehmen.«

Mein Kopf schnellte zu Chip, als hätte ich mich verhört.

»Mitnehmen«, wiederholte Tristan mindestens so irritiert wie ich und runzelte die Stirn.

»Du weißt schon. In deinen Tower. Sie könnte dich ein paar Tage begleiten, und du zeigst ihr ein bisschen die Abläufe.«

Chip schien restlos überzeugt von seiner Idee, während ich so perplex war, dass ich kein Wort hervorbrachte.

»Das geht nicht«, sagte Tristan.

Chip bedachte mich mit einem entschuldigenden Blick, bevor er sich wieder an seinen Bruder wandte. »Warum nicht?«

»Erstens: weil so was über die Personalabteilung laufen muss. Zweitens: weil wir derzeit keine Praktikumsplätze anbieten. Personalmangel …«

»Hier steht die Lösung«, trällerte Chip und deutete auf mich.

Aus luftiger Höhe glitt Tristans Blick zu mir, und seine Augen sagten nicht weniger als: Wohl kaum. Röte schoss mir in die Wangen.

»Komm schon, TJ.«

»Hör auf, mich so zu nennen«, brummte Tristan.

»Hör du auf, wie ein Bürokratie-Hengst zu wiehern.« Chip verdrehte die Augen.