THOR und der Gott des Wassers - Christoph Fromm - E-Book

THOR und der Gott des Wassers E-Book

Christoph Fromm

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Beschreibung

Zurück im Überlebenskampf! Die meisten Menschen haben aus der atomaren Apokalypse nichts gelernt. Sie folgen immer noch rigoros ihrem Machtwillen. Der Katastrophe versuchen sie unter anderem damit zu begegnen, dass sie strahlenresistente Kinder züchten.  Den einzigen Hoffnungsschimmer im Kampf gegen die religiös geprägte Schreckensherrschaft des mit teuflischem Charisma gesegneten Zeno sieht dessen Widersacher Cee darin, die dunklen Geheimnisse von Zenos Herkunft zu lüften. Durch die Entführung von Cees Jugendliebe Eve, der intelligenten Ärztin, deren Hochzeit mit Zeno Cee unter allen Umständen verhindern musste, wird die Lage immer komplizierter.  Gibt es Liebe ohne Vertrauen? Kann man jemanden lieben, von dem man weiß, dass er einen verrät? Diese Frage muss sich Cee nicht nur in Bezug auf Eve stellen, sondern auch auf Zeno. Beide behaupten, Cee auf ihre Art zu lieben, aber was bedeutet Liebe in einer apokalyptischen Welt? Cee ahnt, der Schlüssel zu dem großen Geheimnis zwischen ihm und Zeno liegt in den Bergen, in der geheimnisvollen Eiswüste der Nanos.  Als moderne Interpretation der Nibelungensage wurzeln viele Motive in uralten mythischen Erzählungen bis hin zum Brüderkampf zwischen Abel und Kain.  Ein Muss für alle Sci-Fi und Fantasy Fans, die auf tiefgründige Figuren und komplex ausgearbeitete Welten stehen!

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Seitenzahl: 237

Veröffentlichungsjahr: 2025

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THORUND DER GOTT DES WASSERS

Buch 2

von

CHRISTOPH FROMM

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek.

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.de abrufbar.

Originalausgabe

Copyright © 2025 by Primero Verlag GmbH,

Kirchstraße 42, 88489 Wain

www.primeroverlag.de

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat:

Claudia Graßl, München

Anne Fessler, München

Yvonne Ramp, München

Michael Hild, München

Korrektorat:

Anne Fessler

Claudia Graßl

Umschlaggestaltung:

Maximilian Stark, München

Satz:

Agentur Marina Siegemund, Berlin

Druck und Bindung:

FINIDR s.r.o.

www.finidr.cz

Printed in Czech Republic

ISBN 9783982591629

eISBN 9783982591636

Für Anne und Michael, die wieder an meiner Seite waren

Inhalt

Figuren

1 Flucht

2 Misstrauen

3 Beinahe Liebe

4 Andrin

5 Gottes Sohn

6 Das Labyrinth

7 Die Schlange

8 Fenja

9 Die Skulptur

10 Der Schatz

11 Der Schwur

12 Verfolgung

13 Zenos Angst

14 Giulia

15 Heimweg

Figuren

Thor, wilde Motorradgang, die sich unter Zenos Herrschaft begibt:

Cee, ein Mann, der weder seinen wahren Namen noch seine Eltern kennt. Er ist der Einzige, der Zeno entgegentritt.

Eve, eine intelligente junge Ärztin, die sich immer wieder zwischen Cee und Zeno entscheiden muss.

Zeno, ein Kind des Krieges. Charismatisch, machtbesessen. Der einzige Mensch, dem er wirklich Gefühle entgegenbringt, ist ausgerechnet sein Widersacher Cee. Dahinter verbirgt sich das Geheimnis ihrer gemeinsamen Herkunft.

Gladiatores, ehemalige NATO-Soldaten und Mafiosi.

Hauptsitz in Roka:

Solon, amtierender General

Giulia, Herrscherin über die Gladiatores, Solons Geliebte

Nardo, Giulias und Solons Sohn

Nanos, rätselhaftes Gebirgsvolk, Meister der Schmiedekunst:

Andrin, eine grausame Kriegerin von unbändiger Kraft. Jugendliebe von Zeno.

Regula, ihre Schwester

Fenja, Königin der Nanos, angeblich Zenos Mutter

Jona, die falsche Fenja

Falkuns: Beherrschen dank brillanter Taktik Teile Nordafrikas und Europas bis zum Ostufer des Veleno:

Hannu, ihr Anführer

Belim, Hannus Bruder

1 Flucht

Cees Hand griff nach dem Rückspiegel. Es war der dritte in zwei Monaten und auch der hatte bereits wieder einen Sprung. Das Gelenk war so ausgeleiert, dass Cee ihn festhalten musste, um nach hinten zu sehen. Im gesprungenen Glas tanzte eine Wolke, klein, dicht, bestehend aus giftigem Staub. Sie näherte sich bedrohlich. An der Spitze der Wolke glitzerten wie unheilvolle Sterne die silberfarbenen Bikes von Zeno und Gatto. Cee schaltete herunter, umkurvte einige Panzerskelette, auf denen mittlerweile scharfkantige Gräser wuchsen, gab erneut Gas. Die Konturen der zerstörten Brücke über den Veleno zeichneten sich vor ihm ab. Auf dem Beifahrersitz begriff Eve, dass er mit ihr über die fünfzehn Meter breite Kluft springen wollte, die einige Raketen vor langer Zeit in die Betondecke gerissen hatten. Sie versuchte lautstark, ihren Protest zum Ausdruck zu bringen, aber festgegurtet an Cee hatten selbst ihre Fäuste keinen großen Erfolg. Es war nicht Eve, die Cee zu einer Vollbremsung veranlasste. Hannu und sein Bruder Belim versperrten mit dreißig weiteren Falkuns den Weg auf die zerstörte Brücke, deren abgerissener vorderer Betonteil wie eine Rampe in den bleigrauen Nachmittagshimmel ragte. Cees Vorderreifen kam so knapp vor Hannus braunem Mantel aus Kamelleder zum Stehen, dass sein Profil beinahe dessen Schienbein berührte.

Hannu rückte die schwarze Klappe zurecht, die sein rechtes Auge bedeckte, eine Geste, mit der er, wie Cee bereits bei ihrem letzten Treffen beobachten konnte, häufig unterstrich, dass er etwas Wichtiges zu sagen hatte. Wobei fast alles, was Hannu sagte, für seine Mitmenschen von überlebenswichtiger Bedeutung war.

»Wohin so schnell?« Die Worte entschlüpften seinem Mund mit dem für ihn typischen sanft schnurrenden Singsang, »willst du mich mal wieder bestehlen?«

Cee folgte seiner Kopfbewegung und entdeckte zwei Trucks, die einige hundert Meter weiter im Dunst des Veleno reglos verharrten. Ungefähr je fünfzig Falkun-Krieger saßen auf den metallisch leuchtenden Tanks der Auflieger wie auf dem Rücken von Kriegselefanten.

»Ich bestehle grade jemand anderen«, sagte Cee.

Hannu trat zwei Schritte nach vorne und berührte kaum merklich Eves Hand.

»Ja, das versteh ich«, sagte er und lächelte. »Was tust du, wenn ich jetzt dich bestehle?«

»Ich bin dir dankbar.« Cee erwiderte Hannus Lächeln. »Weil dann ab sofort du Zeno am Hals hast und nicht ich.«

»Vielleicht hat Hannu weniger Angst vor Zeno als du«, stieß Eve wütend hervor. Cee verzichtete auf eine Antwort. Nach einem kurzen kehligen Zuruf in der Sprache der Falkuns, ausgestoßen von einem seiner Krieger auf dem Tanklastwagen, wandte Hannu den Kopf. Die Bewegung besaß tatsächlich etwas Ruckartiges wie von einem Raubvogel.

»Zeno und Gatto haben angehalten und sich in ein Gefängnis zurückgezogen.«

Warum geht er an den Ort, wo er die Kinder eingesperrt hat, schoss es Cee durch den Kopf. Will er verhindern, dass Hannu sie sich krallt? Wie weit ist Zeno wirklich mit den Strahlenexperimenten? Ist Eve dabei seine wichtigste Unterstützerin? Und was weiß Hannu von all diesen Dingen? Dessen Stimme holte Cee aus seinen Gedanken.

»Zeno scheint Angst vor mir zu haben.«

»Darauf würde ich mich nicht verlassen«, sagte Cee. »Er wartet nur auf einen günstigeren Moment.« Er warf einen Blick auf die Tanklaster. »Für die Turks oder die Lions?« Er erwartete nicht wirklich eine Antwort und bekam auch keine. »Warum lässt du sie nicht auf deine Seite des Flusses kommen? Würde dir viel Arbeit ersparen.«

Hannu winkte ab. »Meine Leute bauen die Brücke viel schneller. Pontons aus ein paar zusammengeschweißten LKW- und Panzertanks sind für uns kein Problem. Für andere schon.« Er grinste kurz. »So sehr, dass sie sich den Hals brechen, wenn sie über zerschossene Brücken fliegen.«

Cee erwiderte sein Grinsen, aber er ließ ihn mit der Erklärung nicht durchkommen. Hannu war ein Meister darin, den unwichtigen Teil der Wahrheit zu sagen, um den wichtigen zu verschweigen.

»Warum gehst du das Risiko ein, durch das Gebiet von Thor zu fahren?«

»Wir haben Frieden mit Thor, hast du das vergessen? Noch!« Hannus einziges, waches Auge verengte sich zu einem dunklen Schlitz. »Mein Junge, Isaak, ist seit zwei Jahren verschwunden. Dachte, er ist tot. Meine Leute in Roka hörten Gerüchte, dass man in einem Lager mit Falkun-Kindern experimentiert, wegen der Strahlung. Aber als sie den Ort des Lagers fanden, war es verlassen. Weißt du etwas davon?«

Cee wechselte einen schnellen Blick mit Eve. Ihr Blick war undurchdringlich, aber Cee konnte unschwer die Angst in ihnen entdecken. Wenn Hannu erfuhr, dass sie mit diesen Kindern Experimente durchgeführt hatte, würde seine Sympathie für Eve sich mit Sicherheit schlagartig ins Gegenteil verkehren. Cees Gedanken ordneten sich zu einem gefährlichen Plan.

Eve verfolgte entsetzt, wie Cee sich bei Hannu nach Isaaks Aussehen erkundigte. Und ihr Entsetzen wuchs, als Cee behauptete, er habe Isaak unter den Kindern entdeckt, die Zeno in das Gefängnis nahe der Thorburg verschleppt habe. Eve wusste am besten, dass das eine Lüge war!

»Können wir jetzt gehen?«, fragte Cee und wollte mit einem Tritt auf den Kickstarter sein Bike wieder anwerfen. »Wenn Zeno uns erwischt …«

»Ihr müsst keine Angst vor Zeno haben, solange ihr meine Gäste seid.« Hannu stellte mit einem Knopfdruck Cees Motor wieder ab. »Und ihr seid meine Gäste, bis wir meinen Jungen gefunden haben. Ihr werdet mir den Weg zeigen.«

Er ging zu seinem Bruder Belim. Die beiden Warlords beratschlagten, wie sie das Lager gegen Zeno verteidigen würden, falls er doch angreifen sollte. Auf Belims Geheiß wurden Sprengstoffladungen an den Tanks der beiden LKWs angebracht.

»Dacht ich’s mir doch«, knurrte Cee. »In den Tanks ist überhaupt kein Sprit. Er ist nur hier, um seinen Jungen zu finden.«

»Daran kannst du erkennen, wie wichtig ihm der Kleine ist,« zischte Eve.

Cee war auch klar, dass er ein riskantes Spiel spielte.

»Sobald er rausfindet, dass sein Junge nicht unter den Gefangenen ist, wird er mich töten lassen und dich zwingen, seine Frau zu werden.«

»Dagegen sollten wir was unternehmen. Hast du was, um ihn außer Gefecht zu setzen?«

Cee zögerte, dachte an das Pulver in seinem Lederbeutel. Für Eve war es leichter, an Hannu ranzukommen, ihn zu täuschen. Trotzdem zögerte er.

»Kann ich mich ab jetzt auf dich verlassen?«

Eve nickte kurz, doch Cee war sicher, dass sie bei erstbester Gelegenheit versuchen würde, zu Zeno zurückzukehren. Die Rechnung in ihrem Kopf war ganz einfach: Hinter Zeno standen ein paar hundert Krieger, von denen ihn ein Großteil wie einen Gott verehrte, Cee hingegen war ganz allein. Trotzdem steckte er ihr unauffällig das Pulver zu. Sie wollte ebenso weg von Hannu wie er. Also waren sie Verbündete, zunächst.

Der frühe Abend tauchte den Himmel in ein schmutziges Gelb, wechselte in ein flammendes Orange, das vom blauschwarzen Schlund der Nacht verschlungen wurde, nur um im Morgengrauen wieder ausgespien zu werden. Der Vorgang erinnerte Cee an Zenos Feuerkunst. Wieso verglich er ihn immer wieder mit Naturgewalten? Er war ein Mensch, nichts weiter, auch wenn er ständig das Gegenteil vorzugaukeln versuchte. Die Götter entstehen in den Gehirnen der Menschen, dachte Cee bitter, aber Zeno wird es nicht gelingen, diesen Platz in meinem Kopf einzunehmen.

Im letzten Licht waren einige Zelte aus Ziegenfellen aufgeschlagen worden. Hannu bat Eve und Cee in sein Zelt. Er bot ihnen Wein aus einem großen Lederbeutel an, Eve schüttelte den Kopf, erhielt Wasser. Sie nahm einen Schluck, spuckte angewidert aus.

»Habt ihr kein besseres Wasser?«

Hannu verneinte. »Wir haben kaum noch sauberes Wasser. Deswegen haben wir so gute Zelte.« Er wandte Eve den Rücken zu und strich über das kurze Fell der Zelthaut. Eve nützte den Moment und schüttete das Pilzpulver in den Lederbeutel mit dem Wein. Hannu drehte sich wieder um. »Wir mussten beinahe unsere ganze Ziegenherde schlachten. Nicht genug Wasser. Weil alle meine Leute, die nicht dringend für die Ölgewinnung gebraucht werden, längst übers Meer gekommen sind und nördlich von Wilada hausen; der Stadt, die ihr mal eure heilige Stadt genannt habt. Kannst du dich noch an ihren ursprünglichen Namen erinnern?«

Cee schüttelte den Kopf.

»Niemand merkt sich den Namen von verlorenen Städten. Wir waren froh, dass die Gladiatores Roka gegen euch Falkuns verteidigen konnten.«

»Ich habe nie verstanden, wieso ihr die verlogenen Bastarde uns vorzieht«, sagte Hannu.

»Ganz einfach«, erwiderte Cee. »Sie haben bessere Erde als ihr.«

Hannu nickte grimmig.

»Und besseres Wasser. Wenn uns das Wasser ausgeht, werden wir über die Kavallas zu Thor kommen. Dann müsst ihr uns aufnehmen, wie die Savager.«

»Könnte eng werden.«

»Dann«, sagte Hannu, »werden wir so lange kämpfen müssen, bis es wieder genug Platz gibt.«

»Wenn du mir Zeno vom Hals hältst«, sagte Cee, »wird’s diesen Platz geben.«

Eve lehnte weiteres Wasser ab, Hannu bot Cee den Wein an. Hatte er etwas bemerkt? Cee wusste, er konnte nicht ablehnen, ohne sich verdächtig zu machen, und Hannu würde dann mit Sicherheit nicht mehr von dem Wein trinken. Er nahm einen möglichst kleinen Schluck und hoffte, dass die Dosierung des Pulvers nicht tödlich war. Hannu trank ebenfalls von dem Wein. Er griff nach einem Kästchen aus Ebenholz und öffnete es. In seiner Mitte glitzerte ein tiefroter Rubin.

»Da du mein letztes Geschenk in der Farbe deiner Augen, wie ich sehe, nicht trägst, erfreut dich vielleicht eher ein Stein in der Farbe deiner Lippen?«

Cee musterte Eves Lippen, die schmal und blass und von Entbehrungen gezeichnet waren, alles andere als tiefrot. Sie öffneten sich zu einem Lächeln, das vor Cees Augen verschwamm. Er spürte das Pulver bereits, im Gegensatz zu Hannu, dem es nichts anzuhaben schien. Undeutlich nahm er die weiteren Komplimente des Falkun-Feldherrn wahr. Eve erzählte ihm, dass sein erstes Geschenk, ein blauer Saphir, einen Ehrenplatz in ihrem Bunkerraum genieße, während der schneeweiße Falke leider vestorben sei. Er bot ihr sofort Ersatz an. Erzählte Eve von seiner ursprünglichen Heimat jenseits der Meerenge, einer großen Wüste, die die Falkuns über Jahrtausende dazu erzogen hatte, unter widrigsten Bedingungen zu überleben. Das verschaffte ihnen große Vorteile in einer Welt, die durch die Schuld der Menschen zu einer einzigen großen Wüste geworden war.

Die Worte rauschten an Cee vorbei, er hatte Mühe, ihren Sinn zu begreifen. Hannus Blick richtete sich auf ihn. Cee versuchte, den Schwächeanfall zu unterdrücken und sich auf das Zyklopenauge Hannus zu konzentrieren, das ihn spöttisch musterte.

»Wir werden Zenos Gefängnis um Mitternacht einen Besuch abstatten. Wir Falkuns sehen sehr gut im Dunkeln. Wie sieht es mit deinen Augen aus?«

Cee unterdrückte ein Zittern seiner Hände.

»Ich sehe auch ganz gut ohne Licht.«

Er versuchte, den Brechreiz, der in ihm hochstieg, zurückzuhalten. Konzentrierte sich auf Eves Lippen, die sich für den Rubin bedankten und hinzufügten: »Ich kann ihn nur annehmen, wenn du keine Gegenleistung erwartest. Ich bin arm und habe nichts zu geben.«

Hannu trat auf sie zu und wollte sie an sich ziehen.

»Eine schöne Frau hat immer etwas zu geben.«

Seine Arme fielen herab. Endlich wirkte das Gift. Eve spürte, wie seine Hände kraftlos über ihren Leib strichen. Seine Augen weiteten sich, er versuchte vergeblich, erneut die Arme zu heben, ehe er zu Boden fiel.

»Alles, was ich dir zu geben habe, hast du bereits erhalten.«

Sie griff sich den Dolch in seinem Gürtel und schlitzte, da der Zelteingang bewacht war, die Rückwand auf. Gleichzeitig spürte sie Cees festen Griff an ihrem Arm.

»Du wirst mich nicht los«, raunte er ihr ins Ohr.

»Will ich doch gar nicht«, gab sie zurück und verfluchte seine Zähigkeit.

»Ich weiß«, flüsterte er und seine Lippen verzogen sich zu einem sarkastischen Lächeln im Halbdunkel. »Ich kann mich felsenfest auf dich verlassen.«

Sie krochen ins Freie und robbten zunächst unbemerkt hinter einigen Wachen zum Lagerausgang. Cee konnte es nicht länger zurückhalten. In einem Schwall entleerten sich Essensreste und Magensäure. Das Geräusch lenkte die Aufmerksamkeit zweier Falkuns auf sie. Sie lachten zunächst, da sie dachten, zwei volltrunkene Kameraden entdeckt zu haben. Eves Dolch beendete ihr Lachen für immer. Sie war so schnell, dass selbst der Zweite mit einem Lächeln im Gesicht starb. Leise fluchend stützte sie Cee auf dem Weg zu seinem Bike. Diesmal fesselte sie ihn mit ihrem Gürtel an sich. Sie trat den Kickstarter, blendete mit dem Scheinwerfer einen heranstürzenden Krieger und raste los. Weniger der Überraschungseffekt als der Fund des ohnmächtigen Hannu rettete sie. Sie kurvte mit Cee den schmalen Pfad zu einem steinigen Plateau nach oben. Revanchierte sich in jeder Kehre, die sie mit driftendem Hinterrad nahm, für seine Fahrweise während der Flucht. Er musste erneut kotzen und als er in die kreisende Schwärze unter sich blickte, glaubte er, ohnmächtig zu werden. Auf den Felsen des Hochplateaus, die sich wie steinige, vom Sturm leergefegte Teller aneinander reihten, stoppte sie. Blickte ihn unternehmungslustig an.

»Weißt du, was wir jetzt tun?«

Er schüttelte benommen den Kopf.

»Wir fahren zu Zeno und warnen ihn vor Hannus Angriff.«

»Wird ne große Neuigkeit für ihn sein«, würgte er hervor.

Eve ignorierte seinen Einwand.

»Wenn ich ein gutes Wort für dich einlege, hackt er dir vielleicht nur eine Hand ab.«

Cee wollte erneut protestieren, aber mehr als ein langgezogenes Rülpsen brachte er nicht zustande.

Als die Wachtürme der Gefängisanlage einige Stunden später im Morgengrauen vor ihnen auftauchten, hatte Cee sich soweit erholt, dass er begriff, Eve hatte einen Fehler gemacht. Sie hatte es angesichts seiner momentanen Verfassung nicht für nötig gehalten, seine Hände zu fesseln. Er öffnete im Fahren einen der Gepäckkoffer, griff sich eine der altersschwachen 45iger und feuerte mehrmals auf den Wachturm. Eve stoppte abrupt.

»Was soll der Scheiß?!«

»Planänderung.«

Cee löste den Gürtel und stieg ab.

»Du bist wieder Beifahrer.«

»Das glaubst auch nur du.«

Cee wartete, bis Zeno mit seinen Kriegern aus dem Gefängnistor brach.

»Willst du ihm erklären, wir haben nur zum Spaß auf ihn geschossen?«

»Ich hab nicht auf ihn geschossen.«

Cee trat hinter Eve, riss ihren Arm hoch und feuerte auf den heranrasenden Zeno. Die Kugel prallte sirrend von seinem Schild ab.

»Jetzt schon.«

»Du verfluchter …«

»Komm. Oder willst du dich auf Zenos Güte verlassen?«

Er fuhr, noch etwas unsicher, mit Eve hinter sich auf das Hochplateau zurück, verfolgt von Zeno und seiner Meute. Der Motorenlärm hatte allerdings die sie verfolgenden Falkuns angelockt, die sich jetzt hinter Belim in einer Phalanx auf Zenos Biker stürzten. Eve stieg ab und betrachtete den Vulkanausbruch aus ineinander verkeilten Körpern und Bikes, der nach dem ersten Aufprall in den frühmorgendlichen Himmel stieg. Wütend musterte sie Cees zufriedenes Gesicht. Genau das hatte er geplant!

Die Silhouetten der Krieger tanzten durch den Staub, den die Hinterräder der sich wild umkurvenden Bikes aufwirbelten. Cee, den ein erneuter Übelkeitsanfall würgte, sah aus den Augenwinkeln, dass es Hannu nicht viel besser erging. Eve beobachtete mit grimmigem Lächeln, wie die beiden Männer sich wechselseitig übergaben, während Belim versuchte, die gegnerischen Bikes zu umfassen. Es misslang, weil Zeno wie ein Feuerstrahl durch seine Truppe stürmte, bis zu ihm vordrang und in wilder Fahrt einen Speer schleuderte, der durch Belims Schild und seinen Panzer schlug und wie ein blutiger Stachel aus seiner Schulter ragte. Belim stürzte von seiner Maschine und wurde unter den nachfolgenden begraben. Hannu, mühsam von zwei seiner Krieger aufgerichtet, betrachtete das Metallknäuel, unter dem sein Bruder verschwunden war. Seine Hand zeigte auf Zeno und seine Krieger stürzten sich von allen Seiten auf ihn. Zeno hatte seinen Schild auf den Rücken geworfen, sein Schwert gezogen und hieb gnadenlos alles nieder, was sich ihm in den Weg stellte. Das Blut seiner Gegner, das sein Gesicht wie eine zweite, rote Haut überzog, schien ihm zusätzliche Kraft zu verleihen, ihn unsterblich zu machen. Alle, Freunde und Feinde, wichen vor ihm zurück. Er riss Gatto den Speer aus der Hand und schleuderte ihn aus einer Entfernung von über fünfzig Metern auf Hannu. Dessen drei Leibwächter hielten ihre Schilde schützend vor ihren Befehlshaber. Trotzdem durchbrach der Speer alle drei Schilde und die Spitze blieb nur Zentimeter von Hannus Brust entfernt stehen. Hannu, immer noch von Eves Gift benommen, gab seinen Männern das Zeichen zum Rückzug. Zenos Krieger starrten bewundernd auf ihren Anführer. Die ersten beugten ihre Knie, legten ihre blutigen Schwerter darüber. Eve blieb aufrecht stehen, aber Cee entging nicht, dass auch sie den Blick nicht von Zeno lassen konnte, der mit einer leichten, beinahe spöttischen Verbeugung die Ehrerbietung seiner Kriegerinnen und Krieger entgegennahm.

»Du bewunderst ihn?«

»Bewunderung könnte ich nie für ihn empfinden«, erwiderte Eve, ohne den Kopf zu wenden. Cee wollte es nicht sagen, aber er stieß es hervor.

»Faszination? Leidenschaft?«

»Und wenn es so wäre?«

»Würde ich dich töten. Also: Ist es Leidenschaft?«

Eve schwieg unter seinem Blick.

Wäre er konsequent, müsste er sie töten, auf der Stelle!

Stattdessen packte er sie hinter sich auf seine Maschine und gab Gas. Redete sich ein, dass er sie immer noch als Geisel gegen Zeno verwenden konnte. Er spürte ihre Hände um seinen Leib, er spürte die böse Verzauberung, die durch ihre Finger in ihn kroch, und gleichzeitig genoss er sie so sehr, wurde so lebendig unter ihrem Atem, den sie in seinen Nacken hauchte, dass ihm der Sprung über die Brücke mühelos gelang. Zeno ließ sie ziehen, vorerst. Der Blick, den er ihnen hinterherschickte, ließ ahnen, dass er wusste, was Cee vorhatte, und dass er sicher war, die beiden würden ihm nicht entkommen. Er und seine Krieger wandelten über das Schlachtfeld wie Todesgeister. Ihre Schwerter und Speere durchbohrten die Schwerverletzten, vereinzelt hallte ein Schuss über das Schlachtfeld. Und doch waren die Geister Menschen, sonst hätten sie nicht die Harnische gebraucht, die sie den Toten mit gierigen Fingern von den Körpern montierten, nicht die Waffen und Schilde, nicht die Ringe und Goldmünzen, die sie in ihren Taschen und Beuteln verschwinden ließen. Zeno plünderte nicht. Er suchte sich nur die Stärksten unter den Sterbenden aus.

Er beugte sich zu ihnen und sprach: »Ich nehme deine Kraft in mich auf. Sie wird jetzt durch meine Adern fließen. Durch mich wirst du weiterleben.«

Beinahe zärtlich fuhr er den Schwerverletzten übers Haar und hielt ihre Hand, ehe er sie tötete. Er betete nicht mit den Toten, nicht einmal zur aufgehenden Sonne, die sich auf seinem Brustpanzer spiegelte. Er verehrte die Kraft, die er in sich spürte, und ließ sie dadurch, so behauptete er, ins Unermessliche wachsen. Als er sich erhob, unterbrachen alle ihr Plündern und knieten erneut vor ihm.

Für jeden unter ihnen war er ein in der aufgehenden Sonne strahlender Todesgott.

2 Misstrauen

Cee und Eve fuhren den ganzen Tag. Cee hielt nur einmal an einem in einer Höhle versteckten Benzindepot, um den 24 Liter Tank seines Bikes randvoll zu machen und auch die in seine Gepäckkoffer eingebauten Kanister zu füllen. Eve blickte sich in der Höhle um. Ein schwerer, von Fäulnis geprägter Geruch lag in der nasskalten Luft. Hinter dem Benzintank, der über tausend Liter fasste, lagen zwei Skelette. Ihre Handknochen berührten sich. Cee folgte ihrem Blick.

»Die lagen schon hier, als wir den Tank hergeschafft haben. Wir nennen sie Bonnie und Clyde.«

»Haben die schon immer Händchen gehalten?«

»Glaub nicht. Hat irgendjemand arrangiert, damit es wenigstens irgendwas Nettes beim Spritzapfen zu sehen gibt.«

»Ich wusste gar nicht, dass wir so weit im Süden ein Depot haben?«

Cee saß wieder auf, klopfte auf den Beifahrersitz.

»Wir kontrollieren das Gebiet bis zum Gebirge. Jede Gang, die hier Geschäfte macht, zahlt Schutzgeld an uns.«

Eves Augenbrauen hoben sich spöttisch.

»Dann hast du ja einiges erreicht in den letzten Jahren.«

»Was glaubst du, warum Zeno sich das alles unter den Nagel reißen will? Los komm, wär ungünstig für uns, wenn er uns einholt.«

»Woher weißt du, dass er uns folgt?«

»Seitdem du auf ihn geschossen hast«, Cee kostete jedes Wort aus, »denkt er, du bist mit mir durchgebrannt. Das muss er bestrafen.«

Eve zuckte die Achseln.

»So wichtig bin ich ihm nicht.«

»Hast du nicht genug Leidenschaft gezeigt?«

»Lass das.«

Er wollte sie hinter sich auf den Sitz ziehen, aber sie bestand darauf, neben der schwer beladenen Maschine herzugehen, um sie zu stützen, falls er das Gleichgewicht verlor. Er startete und lavierte das Bike vorsichtig über die glitschigen Steine. An einer Kante rutschte sein Hinterrad weg und die Maschine geriet gefährlich aus dem Gleichgewicht. Eve stützte ihn und schwang sich hinter ihm auf den Sitz. Sie tasteten sich die restlichen Meter ins Freie. Ein starker Wind riss die Wolkendecke kurzzeitig auseinander, sodass die Sonne ihnen wie eine goldene Kugel entgegenschoss und sie zu durchbohren schien. Cee lenkte das Bike zwischen einigen kopfgroßen Steinen entlang und erreichte einen schmalen Pfad, der auf die mächtige Silhouette der Kavallaberge zuführte. Der Wind stieß ihnen heftig in die Seite und sie mussten sich voll dagegenstemmen, um das Bike auf dem gefährlich schmalen Pfad zu halten, an dessen Seiten tückisch glattes Schiefergestein lauerte. Der Sturm blies neue Aschewolken vor die Sonne, als wolle er die grausamen Wahrheiten, die die Sonnenstrahlen ihnen wie verschlüsselte Lichtzeichen zusandten, verdecken.

Sie fuhren weitere Stunden, bis die Sonne verblasste. Der Wind wehte mit unveränderter Heftigkeit. Er trieb nicht nur Äste und vertrocknetes Gras, sondern auch kleinere, verrostete Blechteile von Autowracks vor sich her. Als sie, schräggelegt wie ein Segel im Sturm, eine ehemalige Straße passierten, auf der eine Autokolonne von einem Raketenangriff überrascht worden war, hörten sich die über den Asphalt taumelnden Blechteile an wie die Stimmen von Toten, die in einer eigentümlichen, von kurzen Konsonanten geprägten Sprache mit ihnen redeten.

»Bleibt am Leben!« schienen ihnen die mit Staub überzogenen Skelette zuzurufen. »Es ist besser, als tot zu sein!«

Cee hämmerte die Sätze in seinen Kopf, um alle Zweifel in sich zu ersticken. Weiterfahren, einfach immer weiter! Nicht daran denken, dass die Frau hinter ihm ihn verraten hatte und immer weiter verraten würde, dass die Gefühle in ihm an- und ausgingen wie die Kontrolllampen einer absterbenden Maschine, dass der Schmerz und die Angst in ihm hochstiegen und alles zu überfluten drohten, was ihm jemals etwas bedeutet hatte, dass er zwar das Bike kontrollieren konnte, aber nicht sich, und dass die wilde Zerstörungswut, die sich gegen Eve richtete, nur durch den Gedanken gebändigt wurde, dass ihm nach ihrem Tod nicht einmal mehr der Hass bleiben würde, der ihn gerade mit ungebändigter Kraft sein Bike durch die Trümmer der Welt pflügen ließ.

So wütete er stundenlang weiter, tobte über den felsigen Pfad und Eve war bei jedem Wegrutschen der Reifen, bei jedem Sprung ins Ungewisse klar, dass er bedenkenlos sein und ihr Leben riskierte. Sie sagte nichts, weil sie wusste, dass jedes Wort seinen Zustand nur verschlimmern würde.

Nach einigen Stunden spürte Cee seine Hände und Arme nur noch in Intervallen. Er musste anhalten, die Hände vom Lenker nehmen, die Finger bewegen, bis das Blut wieder zirkulierte. Eve musterte ihn mit fragendem Blick. Hatte er ihre Knochen für heute nicht genug malträtiert?

In einiger Entfernung entdeckten sie eine Horde Turks hinter einem Felsvorsprung, die mit einem Haufen verhandelte, der sich Warriors nannte. Wie so oft ging es um Benzin und Lebensmittel. Einer der Turks erkannte Cee an seinem schwarzen Helm mit den weißen Rabenköpfen an der Seite und steuerte auf ihn zu. Er wollte ihm den Tribut für das eben getätigte Geschäft überreichen. Cee nahm sich nur einen kleinen Sack Gold- und Silbermünzen für eventuelle Wegzollzahlungen im Gebirge, mit dem Rest schickte er den Turk zur Thorburg: »Du lieferst das Geld bei Wolf persönlich ab. Und vergiss nicht: Hugin und Munin sehen, wenn du bescheißt!«

Cee wies auf die Rabenköpfe auf seinem Helm. Es blieb offen, ob der Turk so vertraut mit germanischer Mythologie war, dass er wusste, dass Odins Raben für »Gedanke« und »Erinnerung« standen. Er schien mehr Respekt vor Cees Schwert zu haben, denn er erkannte, dass es aus Nanostahl geschmiedet war.

Ehe Eve Zeit hatte, Fragen zu stellen, ging es weiter. So konnte sie sich, während auch ihr ganzer Körper langsam in den Taubheitszustand überging, ihre Fragen alleine beantworten: Offenbar kontrollierte Thor tatsächlich das Gebiet bis zum Fuß der Kavallas. Aber mit Sicherheit würden die beiden mächtigsten Gangs, Hannus Falkuns und Solons Gladiatores, niemals Schutzgeld an Thor entrichten. Und Cees Deal mit Belim, frisches Gemüse an die Falkuns gegen Sprit zu liefern, hatte sich mit dessen Tod gründlich erledigt. Hannu würde seinen Bruder früher oder später rächen. Sollte Hannu feststellen, dass sein Sohn Isaak endgültig verschwunden war, würde das seine Verhandlungsbereitschaft sicherlich nicht stärken.

Hatte Zeno den Kampf gesucht, um Thor endgültig auf die Seite der Gladiatores zu zwingen? War er doch ein Spion Solons? Cees Strategie des Ausgleichs durch Verhandlungen war auf ganzer Linie gescheitert. Mit Zeno war die Zeit des Krieges um jeden Preis zurückgekehrt. Dieser Mann schien nicht leben zu können ohne Krieg. Aber war Cee so viel besser? Manövrierte er mit seinem unbedingten Willen zur Freiheit Thor nicht in den sicheren Untergang? War Thor nicht viel zu schwach für diese Ideale? Und war Cee nicht der Mann, der, falls die Lage aussichtslos wurde, alles im Stich lassen würde, um im Nirgendwo seine persönliche Freiheit zu finden, und sei es im Tod?

Mit jedem Meter, den sich Eve gemeinsam mit Cee durch die unbarmherzige Natur kämpfte, wurde ihr klarer: Sie konnte sich nur auf eine Person verlassen, auf sich selbst.

Im Niemandsland zwischen zwei zusammengebombten Dörfern fand Cee hinter einem Pulk ausgebrannter Einkaufszentren einen Unterschlupf für die Nacht. Hier war ein Panzergraben ausgehoben worden, in den tatsächlich zwei der Ungetüme hineingestürzt und zusammengeschossen worden waren. In dem Drahtgewirr, das sie hinter sich hergeschleift hatten, sahen sie aus wie gewaltige Tiere, die sich in einer Falle verfangen hatten. Zwischen den beiden verbarg sich ein halb verschütteter, tief ins Erdreich gegrabener Unterstand. Eine schwere Granate hatte vor vielen Jahren die Sandsäcke, mit denen ein auf dem Grabenrand liegendes MG-Nest gesichert worden war, in der Gegend verstreut, wo ihre weißen Hüllen jetzt, gespießt auf in den Himmel ragende Metallteile, wie die Haarbüschel einer Greisin im Wind flatterten. Cee stoppte, wartete einen Augenblick, bis das Blut wieder in seinen Füßen zirkulierte, und stieg ab. Sein Blick richtete sich starr auf den Unterstand, das durchgebrochene Stützholz auf der linken Seite, die verblasste Neonreklame des Baumarkts, die von einer der Explosionen in Stücke gerissen und hierher geschleudert worden war, die Backsteine, die weitere Detonationen beinahe kunstvoll um ein ausgetrocknetes Rinnsal gelegt hatten, die verrosteten Granatsplitter, die immer noch so scharf waren, dass man sie als vergiftete Pfeilspitzen verwenden konnte, die toten Augen der Geschützrohre, die rußgeschminkten Luken, die gesamte Landschaft schien ihn zu lähmen, während er gleichzeitig das Bild der Zerstörung wie kontaminierte Nahrung in sich aufnahm und es in seinem Gedächtnis in der langen Reihe von Bildern abspeicherte, die er im Laufe der Jahre inhaliert hatte. Immer wieder überkam ihn die jähe Angst, er könnte eines Tages mit einem neuen Bild des Schreckens nicht mehr alle anderen überdecken, sondern sie würden sich aus ihren Verliesen befreien, ihn überwältigen und jeden vernünftigen Gedanken mit sich reißen. Das war der Punkt der größtmöglichen Angst, dieses Tor musste er passieren, ehe er sich wieder bewegen konnte.

Eve lähmte die Umgebung auf andere Art. Sie erinnerte die Landschaft und der Sturm an einen Patienten, der von einer unbarmherzigen Herz-Lungenmaschine am Leben gehalten wurde.