Tochter der Götter - Schattenweg - Amanda Bouchet - E-Book
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Tochter der Götter - Schattenweg E-Book

Amanda Bouchet

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Beschreibung

Sterben ist eigentlich gar nicht so schlimm, oder? Verdammt, doch das ist! Vor allem, wenn man wie Cat gerade eine Entdeckung gemacht hat, die ihr ganzes Leben verändert. Und auch das ihrer großen Liebe Griffin. Dummerweise scheint der Kampf gegen Cats ebenso grausame wie übermächtige Mutter hoffnungslos. Jeder ihrer Schachzüge gelingt, während Cats magische Fähigkeiten nicht so funktionieren, wie sie sollten. Doch die Götter haben Pläne mit ihr. Um das Geheimnis ihrer Magie zu entschlüsseln, senden sie sie in den Tartarus, die Welt der Toten. Doch wie - verdammt noch mal! - soll sie die Pläne der Götter erfüllen, wenn sie tot ist?



Der finale Band der süchtig machenden Tochter der Götter-Trilogie

»Bouchet verschmilzt die Genres High Fantasy und Romance meisterhaft.« Washington Post

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 592

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Über die Autorin

Titel

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Über die Autorin

Über die Autorin

Amanda Bouchet, aufgewachsen in den USA, lebt heute zusammen mit ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern in Paris. Da sie griechische Wurzeln hat, haben die Legenden und Sagen der Antike sie schon immer fasziniert. Die griechische Mythologie diente daher auch als Inspiration für die Welt, die sie in ihrer Fantasy-Trilogie TOCHTER DER GÖTTER entwirft. Die Reihe hat in den USA einen wahren Hype ausgelöst.

Mehr Informationen über die Autorin finden Sie auf ihrer Homepage: amandabouchet.com

Amanda Bouchet

Schattenweg

Aus dem amerikanischen Englisch vonAnita Nirschl

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:Copyright © 2018 by Amanda BouchetTitel der englischen Originalausgabe:»Heart on Fire (The Kingmaker Chronicles 3)«Originalverlag: Sourcebooks imprint, an imprint of Sourcebooks, Inc.www.sourcebooks.com.

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Uwe Voehl, Bad SalzuflenTitelillustration: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unterVerwendung von Motiven von © Thinkstock/Istock (9);Thinkstock/moodboard; Shutterstock/sondem; Shutterstock/Popova_IrinaUmschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-5018-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Kapitel 1

»Siehst du auch, was ich sehe?«

Welcher normale Mensch würde bei so einer Frage nicht hochschauen? Das soll nicht heißen, dass ich völlig normal wäre. Aber wenigstens reißt mich Griffins Frage aus meinen unangenehmen Gedanken, in denen riesige metallische Vögel, Zyklopen, Feuer und Blut eine tragende Rolle spielen.

»Ich sehe … Piers?« Und da reitet noch eine weitere Person neben Griffins Bruder auf einem großen grauen Pferd. Unscheinbare Reisekleidung flattert an einer hochgewachsenen, schlanken Gestalt. Sie trägt einen merkwürdigen verbeulten Hut. Ich runzle die Stirn. »Kaia?«

»Also halluziniere ich nicht.« Mein Gatte klingt alles andere als begeistert. Er glaubte, alle seine Lieben befänden sich von seiner Armee beschützt hinter dicken Mauern in Sicherheit. Der Anblick seiner als Junge verkleideten kleinen Schwester auf der Straße nach Tarva-Stadt muss ein Schock olympischen Ausmaßes für ihn sein.

Mit einem gemurmelten Fluch treibt Griffin Braunes Pferd zum Galopp an. Ich drücke Panotii die Fersen in die Flanken, um ihm zu folgen. Die Beschleunigung lässt meine frisch verheilten Rippen leicht protestieren. Ein weiterer Tag Ruhe hätte ihnen gutgetan. Mir nicht jeden Morgen nach dem Frühstück die schwangeren Eingeweide aus dem Leib würgen zu müssen, würde auch schon helfen.

Wir erreichen Piers und Kaia und zügeln die Pferde, sodass ihre Hufe den halb getrockneten Schlamm auf der Straße aufspritzen lassen. Kaia macht sich nicht die Mühe abzusteigen, sondern wirft sich Griffin direkt in die Arme und landet fast auf seinem Schoß. Mit einem Ächzen hält er sie fest, um zu verhindern, dass sie zu Boden rutscht.

»Was machst du hier?«, knurrt er regelrecht. »Das hier ist kein Ort für dich.«

Sie klammert sich so eng an seine Brust, dass ihr Hut an sein Kinn stößt und verrutscht. Eine lange dunkle Haarsträhne purzelt darunter hervor. Kaia holt tief Luft, ihre Miene verzieht sich, und sie stößt einen heftigen Schluchzer aus.

Mein Herz fängt an zu rasen. Ist zu Hause was passiert?

»Was ist los? Geht es allen gut?«, nimmt Griffin meine Befürchtungen auf. Die Sorge verleiht seinen Worten Schärfe. Zwischen den Brauen bildet sich eine tiefe Falte, als er das grimmige Gesicht seines Bruders mustert.

Piers sieht verhärmt aus. Und wütend?

»Ob es allen gut geht?«, wiederholt Kaia, und ihre Stimme steigt schrill an, bevor sie sich mit einem Schluchzer bricht. Beinahe heftig schleudert sie sich den Hut ganz vom Kopf, um ihn aus dem Gesicht zu bekommen. »Ich dachte, ihr würdet sterben. Immer und immer wieder. Ihr alle.« Sie krallt die Finger in Griffins Tunika und hält sich daran fest. »Blut. Feuer.« Sie dreht sich um und durchbohrt mich mit einem blutunterlaufenen Blick. »Spinnen.«

Mir wird flau im Magen, es fühlt sich an wie ein klaffendes Loch im Bauch. Sie war bei den Spielen? Die fünfzehnjährige, behütete, unschuldige Kaia war bei den Agon-Spielen? Wie im Namen von Zeus und seinem Liebling Pegasus konnte das passieren?

»Aber dann seid ihr es doch nicht. Gestorben, meine ich. Ihr habt einfach weitergemacht. Aber Carver, ich dachte, er wäre gestorben. Er sah so … tot aus.« Schniefend wischt sie sich mit dem Handrücken die Nase. Ihre Hand zittert. »Und dann verbreitete sich die Nachricht, dass ihr Tarva übernommen habt, aber wir konnten nicht zu euch. Eure neuen Wachen kannten uns nicht und wollten uns nicht reinlassen. Sie wollten uns nicht reinlassen!«

Kaia ballt die Faust und schlägt Griffin hart gegen die Brust. Dann noch mal. Sie legt ihre ganze Angst und Frustration in den Schlag anstatt in einen Schwall Tränen – Tränen, die sie offenbar nur knapp zurückhalten kann.

Unbehaglich verlagere ich mein Gewicht im Sattel. Wir haben ihr das angetan. Und es war meine Idee, an den Spielen teilzunehmen, um Zugang zur ehemaligen tarvanischen Herrscherfamilie zu bekommen. Meinetwegen wurde fast jeder, den Kaia liebt, beinahe niedergemetzelt – bei mehr als nur einer Gelegenheit. Und was noch schlimmer ist, sie war offensichtlich Zeuge dieses Massakers.

Griffins Kiefermuskeln arbeiten, als er vom tränenbefleckten Gesicht seiner Schwester hochschaut. Sein ernster Blick fliegt zu Piers. »Hast du die Wachen gebeten, uns eine Nachricht zu überbringen?«

Piers nickt, die Augen nur auf Griffin gerichtet, als wäre ich zu abstoßend, um mich anzusehen. »Aber das haben stündlich ungefähr hundert andere Leute auch getan, mit allen möglichen Anreizen. Haben behauptet, sie wären Familienmitglieder. Bestechung angeboten.« Er macht sich nicht die Mühe, die Bitterkeit in seiner Stimme zu verbergen. »Alle wollten einen Blick auf die glorreichen Sieger der Agon-Spiele erhaschen – und auf das neue tarvanische Alpha-Paar.«

Ich sehe zu Griffin. Er bemerkt meinen raschen Blick und runzelt die Stirn. Der Grund, warum wir allein und in unserer schäbigen alten Reisekleidung hier draußen sind, ist der, dass es die einzige Möglichkeit war, an der Menge unerkannt vorbeizukommen, die vor unserem neuen Tor »Elpis« skandiert. Die alte Bedeutung des Namens ist Hoffnung, den wir unserem Team bei den Agon-Spielen gegeben hatten. Diese unerschütterliche Vorstellung von Hoffnung in einer Welt voller Übel scheint ansteckend wie ein Virus zu sein, der sich in Windeseile in nah und fern ausbreitet.

Obwohl die Menschen in Thalyria bereit für Veränderung sind, fällt es mir schwer zu glauben, dass sie nur auf mich gewartet haben, um dies zu bewirken. Überhaupt keine Hoffnung scheint sich über Nacht in zu viel Erwartung verwandelt zu haben, und jetzt kampiert all die wachsende Begeisterung vor unserer Türschwelle und dient als laute und beständige Erinnerung daran, dass ich noch viel herauszufinden habe – und zwar bald.

Jedenfalls haben wir uns heimlich herausgeschlichen.

Endlich schaut Piers auch mich an, und seine Miene wird härter. Als würde er meine Gedanken lesen, sagt er: »Elpis. Wie passend.«

Warum dann die Ironie? Mit schmalem Blick mustere ich das einzige Mitglied von Griffins Familie – meiner Familie –, das mich einfach nicht zu mögen scheint. »Du bist der Einzige, der etwas gegen die Hoffnung hat.«

»Ich bin der Einzige, der etwas dagegen hat, meine Familie und Freunde ins Gemetzel zu führen!«, schnauzt Piers zurück.

»Wir sind nicht tot!«, schnauze ich zurück.

»Wo ist Cassandra?«

Das Blut schießt mir so schnell aus dem Gesicht, dass mein Kopf taub und mein Gehör dumpf wird.

Piers’ Augen werden so kalt wie Winterfrost. »Man hat mir gesagt, sie kam mit euch, um bei den Spielen zu kämpfen, aber dann sah ich stattdessen meine Schwester Jocasta in dieser Schreckensgrube einer Arena.«

Ich öffne den Mund, um zu antworten, obwohl ich nicht weiß, was ich sagen soll. Dennoch, es ist meine Verantwortung, genau wie es Cassandras war. Aber bevor ich die unangenehmen Worte formen kann, die mir auf der Zunge brennen, schaltet Griffin sich ein. Seine Stimme ist ruhig und stark.

»Cassandra verließ nachts unsere Quartiere, um eigenmächtig Erkundungen anzustellen. Sie hat diese Entscheidung selbst getroffen, und das hat sie das Leben gekostet, noch bevor die Spiele überhaupt angefangen hatten. Es war nicht Cats Schuld.«

Piers wird blass, sein Gesicht bekommt dieselbe Farbe wie seine Fingerknöchel, mit denen er die Zügel umklammert. Er sieht krank aus, und in diesem Moment wird mir bewusst, dass er immer noch hoffte, vielleicht sogar glaubte, dass Cassandra noch lebt. Sie hätte einfach nur irgendwo in Burg Tarva bei uns sein können, in einem gesperrten Bereich, beschützt von Mauern und leicht übereifrigen Wächtern.

Aber das ist sie nicht. Sie sah keinen unserer Triumphe – den Sieg bei den brutalen Agon-Spielen oder die erfolgreiche Übernahme von Tarva –, und das war meine Schuld. Zum Teil wenigstens. Mein Plan, am Wettkampf teilzunehmen, brachte sie nach Kitros. Zur Arena. Sie kam, weil sie an Griffin und mich glaubte, um mit uns zu kämpfen, für ein neues Thalyria, und sie war das erste Opfer auf unserer Seite, seit ich dieser Sache beigetreten bin.

Langsam löst Piers den Blick von Griffin. Seine dunkelgrauen Augen richten sich auf mich und sprühen Funken wie Feuerstein an Stahl.

Die heftige Dosis Schuld, die auf meiner Brust lastet, macht es mir schwer zu atmen. »Es tut mir so leid. Ich mochte sie sehr gern.«

Schon in dem Moment, in dem ich es sage, möchte ich mir die hohle Phrase wieder zurück in den Hals stopfen. Zwei leuchtende Flecken tauchen hoch auf Piers’ blassen Wangen auf, und ich glaube, er will mir die Worte ebenfalls wieder zurück in den Hals stopfen, zusammen mit seiner Faust. Ich kann es ihm kaum verübeln.

Die Muskeln in Piers’ Gesicht zucken, als halte er sich nur mit Mühe zurück, mir gewaltig die Meinung zu sagen. Eindeutig um Beherrschung ringend, beschließt er dennoch, sein Pferd vorwärtszutreiben, bis er mir unangenehm nahe ist. Als er schließlich spricht, ist seine Stimme so angespannt und leise, dass sie vibriert wie die ersten unheilvollen Beben eines Vulkans, bevor er seine alles zerstörende Lava ausspeit.

»Damit ich das richtig verstehe, Cat. Du hast mir meine stellvertretende Befehlshaberin gestohlen, als ich nicht da war, um es zu verhindern. Du hast dafür gesorgt, dass sie getötet wurde, und dann eine solide, erfahrene Kriegerin in deinem Team durch meine völlig unausgebildete Schwester ersetzt?«

Ich schlucke. Götter, ich würde mich auch hassen, wenn ich an seiner Stelle wäre. »Jocasta hat sich in der Arena gut geschlagen.«

»Sie hätte nie in der Arena sein sollen!«

»Das wäre sie auch nicht gewesen, wenn Cassandra nicht eigenmächtig gehandelt hätte!« Verdammt! Auch das möchte ich am liebsten zurücknehmen.

Piers bläht die Nasenflügel. »Du gibst einer Toten die Schuld dafür, das Leben meiner Schwester in Gefahr gebracht zu haben?«

»Deine Schwester hat sich freiwillig angeboten«, antworte ich mit zusammengebissenen Zähnen. »Wir brauchten sechs Leute, um am Turnier teilnehmen zu können. Sie war mutig und stark.«

»Sie wäre tot, wenn Carver in der letzten Runde nicht eingeschritten wäre. Tagelang dachten wir, er wäre gestorben, als er sie rettete.«

Das wäre er fast. Schmerzhafte Erinnerungen voller Kummer und Angst treffen mich wie eine Reihe harter Schläge in den Bauch und rauben mir fast den Atem. Es war so, so knapp. Wenn Selena nicht so beängstigend mächtig und eine unvergleichliche Heilerin wäre, dann hätten wir Carver nie von der Schwelle des Todes zurückholen können.

Piers lässt die Zügel fallen, ballt beide Hände zu Fäusten und presst sie hart an die Oberschenkel. Seine Hände sind groß und stark, aber sie machen mir keine Angst. Manchmal wünsche ich mir, er würde mich einfach schlagen. Dann könnte ich ihm zeigen, wie unfreundlich ich werden kann.

»Ich hätte drei Geschwister verlieren können wegen deines unmöglichen, wahnsinnigen Plans«, stößt er hervor.

Meine Augenbrauen schnellen hoch. »Unmöglich? Unser Plan hat funktioniert! Als die Sieger des Turniers bekamen wir eine Audienz bei der tarvanischen Königsfamilie und gelangten somit in ihre unmittelbare Nähe. Wir haben sie entmachtet, ohne einen langen und blutigen Krieg führen zu müssen und mit nur einer Hand voll verlorener Leben. Ich bereue nur zwei Opfer: Cassandra und Appoline, die hellsichtige Prinzessin, die mein ungeborenes Kind und mich auf Kosten ihres eigenen Lebens beschützte.

»Ich hielt meinen Bruder für tot, wenn ich nicht endlich durch Neuigkeiten am Burgtor das Gegenteil erfahren hätte!«, kocht Piers vor Wut weiter.

Sein Gefühl des Verlustes und seine Sorge tun mir aufrichtig leid, aber allmählich steigt auch bei mir Verärgerung hoch. Begreift er denn nicht, was wir erreicht haben? Wie viele Leben wir gerettet haben? Was wir gewonnen haben?

»Wir haben eine Nachricht nach Hause geschickt.« Griffins zu ruhiger Tonfall bedeutet, Vorsicht walten zu lassen. Er hält Kaia immer noch auf seinem Schoß, und seine Finger auf ihrem Rücken krümmen sich vor Anspannung. »Wenn du dort gewesen wärst, wo du sein solltest – ihr beide –, dann hättet ihr gewusst, dass es uns gut geht. Und Cassandra hat ihre eigenen Entscheidungen getroffen. Ebenso wie Jocasta und wie Carver, was das betrifft.«

»Und du hast es gebilligt! Jeden Teil davon. Cat sagt marschiert, und ihr alle marschiert blind in den Tod!«

Griffins Gesicht verdunkelt sich vor Ärger. Ich merke, dass er sich nur noch mühsam beherrscht, und seine Toleranz ist weitaus größer als meine. Ich persönlich komme mir vor, als ob mein Kopf ein Geysir wäre und mir jeden Augenblick Dampf aus den Ohren kommen könnte. Ich verstehe, dass Piers Beschützerinstinkt verspürt und wütend ist, und er hat jedes Recht dazu; aber hier geht es um viel mehr als den Verlust seiner stellvertretenden Befehlshaberin oder sogar Jocastas Teilnahme an den Spielen. Er mochte mich noch nie. Anfangs, weil ich Griffins Ambitionen nicht unterstützte. Und jetzt, weil ich es tue? Ich bin zu einem wesentlichen Teil – nein, dem Dreh- und Angelpunkt – von Griffins großem Plan für Thalyria geworden, aber das ist immer noch nicht gut genug. Oder vielleicht ist es zu viel.

Götter! Bei Piers kann ich einfach nicht gewinnen.

Kaia richtet sich an Griffins Brust auf und wischt sich die restlichen Tränen fort. Ihr jugendliches Gesicht ist rot gefleckt. »Aber sie sind nicht tot.« Sie beißt sich so fest auf die Unterlippe, dass sie weiß wird. »Außer Cassandra«, fügt sie mit gesenktem Blick hinzu.

Piers zuckt zusammen. Ich auch. Dann lodern seine Augen vor so heftiger Wut, dass ich sie wie einen körperlichen Schlag spüre. »Du hast meine Schwester zu einer Mörderin gemacht.«

Bei seinen Worten bleibt mir die Luft weg. »Sie hat sich selbst zu einer Kriegerin gemacht. Du solltest stolz auf sie sein.«

»Du solltest dich schämen«, schießt Piers zurück. »Unschuldige Menschen dazu zu zwingen, deinen Krieg zu schlagen.«

Meinen Krieg? Ich öffne den Mund, um zu widersprechen, denn also wirklich, wie kann ich darauf nicht reagieren?

Aber Griffin hat offensichtlich genug gehört. »Du sprichst mit meiner Frau und deiner Alpha. Der Königin zweier Reiche. Jocasta hat große Tapferkeit bewiesen. Und Cassandra wurde zu nichts gezwungen.

Sie kam aus eigener Entscheidung mit uns, und wir haben ein Leben anstatt Tausende verloren. Als derjenige, der aktiv unsere Armee für uns rekrutiert, solltest du das große Ganze sehen und definitiv das Opfer deiner Freundin respektieren.«

»Als derjenige, der eure Armee rekrutiert, fühle ich mich nutzlos. Ihr braucht sie nicht einmal«, spuckt Piers aus, dabei starrt er mich finster an, als hätte ich eigenhändig sein Lebenswerk unterminiert.

»Doch, das tun wir«, kontert Griffin. »Fisa ist nicht ohne eine gewaltige Streitmacht einzunehmen.«

»Fisa.« Piers stößt ein verbittertes Lachen aus. »Also geht es hier bei allem um Cat und ihre Mutter? Du ziehst ganz Thalyria in einen Krieg hinein, um die Familienstreitigkeiten deiner Frau beizulegen? Um ihr Bedürfnis nach Macht zu befriedigen?«

Mir klappt die Kinnlade runter. Jedes seiner Worte trieft vor Säure, und Piers gibt an allem mir die Schuld, obwohl ich nichts davon je angeregt habe. Ohne Griffin und ein paar sich einmischende Götter, um mich anzutreiben, würde ich immer noch im Zirkus wahrsagen, gelegentlich für die Akrobaten einspringen, lügen, was meine Vergangenheit betrifft, meine Zukunft ignorieren und so weit weg von meiner grausamen Tyrannin von Mutter leben wie nur menschenmöglich.

»Das hat nichts mit einer Familienstreitigkeit oder dem Machtbedürfnis von irgendjemandem zu tun«, antwortet Griffin schroff. »Und das weißt du genau.«

Piers sieht Griffin nicht in die Augen. Stattdessen durchbohren er und ich uns mit Blicken. Ich habe eine Menge zu sagen, aber irgendwie halte ich den Mund. Ich will die Sache nicht noch schlimmer machen.

Kaia rutscht zwischen Griffin und mir zu Boden. Ich lenke Panotii ein paar Schritte rückwärts, um ihr mehr Platz zu machen. Ein zusätzlicher Nutzen ist, dass ich dadurch etwas Abstand zwischen Piers und mich bringen kann, ohne dass es so aussieht, als gäbe ich klein bei. Was ich nicht tue.

»Warum seid ihr allein hier draußen?« Kaia schaut sich um, als würde sie erwarten, den Rest von Team Beta die Straße entlanggaloppieren zu sehen. Team Alpha?

Nee. Daran werde ich mich nie gewöhnen.

»Wo sind die anderen?«, fragt sie.

»In der Burg«, antwortet Griffin. »Es geht ihnen gut. Cats Freundin Selena hat uns geraten, uns anzusehen, was auf der westlichen Straße ist.«

Griffin und ich wechseln einen Blick. Offenbar haben wir es gefunden.

»Wir sind auf der westlichen Straße.« Kaias Miene hellt sich auf. »Piers hat schließlich nachgegeben. Wir waren unterwegs zurück nach Sinta-Stadt, aber ich habe ihn überredet, umzukehren und es noch mal zu versuchen. Ich hatte so ein … Gefühl.« Sie rümpft die Nase mit den paar Sommersprossen, die sie sich während der vergangenen Wochen durch die Sonne eingehandelt haben muss.

Ein Gefühl? Wie das zweite Gesicht? Oder der Schubs eines Gottes?

Bei Griffins Immunität gegen schädliche Magie, Carvers unglaublichem Geschick mit dem Schwert und Kaias Gefühl muss ich mich fragen, ob diese Familie wirklich so Hoi Polloi ist, wie ich immer geglaubt habe. Manchmal ist Magie eine Art Intuition, und ihre Instinkte liegen für gewöhnlich goldrichtig.

Ich steige neben Kaia aus dem Sattel, dabei fühle ich mich steif und schwer und irgendwie außer Atem, obwohl ich mich nicht mal richtig bewegt habe. All das scheint zurzeit ein Dauerzustand zu sein. Es fing vor ein paar Tagen an, zusammen mit dem großzügigen Erbrechen.

»Du hast das Richtige getan«, sage ich zu ihr. »Du solltest immer auf deinen Bauch hören.« Ich lege Kaia den Arm um die Taille und drücke sie in einem Versuch, lässig meine Zuneigung zu zeigen. Es klappt gut, denke ich.

Griffin gesellt sich zu uns auf den Boden, stemmt die Hände in die Hüften und wirft Kaia unter gerunzelten Brauen hervor einen strengen Blick zu. Sofort fängt sie an, von einem Fuß auf den andern zu treten. Ich drücke sie noch einmal ermutigend, dann lasse ich meinen Arm fallen und trete einen Schritt zurück.

»Und was genau machst du hier?«, will Griffin mit schmalen Augen von seiner Schwester wissen. »Und warum im Namen der Götter warst du bei den Agon-Spielen?«

Griffin ist fast alt genug, um Kaias Vater zu sein, und genauso herrisch. Sie rückt näher zu mir und lässt den Kopf hängen, gehörig eingeschüchtert und offensichtlich stumm.

»Sie ist mir gefolgt«, presst Piers hervor, als er ebenfalls vom Pferd steigt. »Ich weiß nicht, wie sie aus Burg Sinta herausgekommen ist – so angezogen und mit einem Pferd –, und ich habe erst bemerkt, dass sie mir auf den Fersen ist, als ich schon in der Nähe von Kitros war.«

Findiges Mädchen. Mit einem leichten Lächeln stupse ich sie am Arm an. Und gut für sie, dass sie Piers ihre Geheimnisse nicht verraten hat.

Kaia erwidert das Lächeln mit dem schnellen Aufblitzen eines Grinsens, den Kopf immer noch gesenkt.

Wenn Piers mich mit einem Blick töten könnte, würde er es tun. Griffin sieht auch nicht begeistert aus, aber ich weiß nicht, ob wegen meines Stupsens oder weil Kaia allein auf der Straße unterwegs war.

»Ich hatte keine Zeit, sie zurückzubringen«, presst Piers widerstrebend als Erklärung hervor, »also habe ich sie mitgenommen.«

»Zu den verdammten Agon-Spielen? Was hast du dir dabei gedacht!«, explodiert Griffin.

»Ich wusste ja nicht, was uns erwartet!«

Ich schnaube, und Piers ist vernünftig genug, es noch mal zu versuchen.

»Ich wusste nicht, dass sie so sein würden. Es war schrecklicher und grausamer, als ich es mir je vorgestellt hatte.«

Ungläubig starre ich ihn an. Die Angst und der Schmerz sind immer noch frisch in meinem Kopf und den Muskeln. Schrecklich und grausam beschreibt es nicht mal annähernd.

Piers richtet den Blick wieder auf mich. »Und dann war da euer Siegesbesuch in Burg Tarva. Das hat gut für dich geklappt, nicht wahr?«

Wieder liegt ein abfälliger Unterton in Piers’ Worten, als hätte das Konfrontieren gefährlicher, feindlicher Herrscher und die Übernahme Tarvas alles nur dazu gedient, irgendeine kleine Laune von mir zu befriedigen.

Ich verschränke die Arme, hauptsächlich, um mich daran zu hindern, auszuholen und ihm eine zu verpassen. »Wäre es dir lieber, wenn es nicht geklappt hätte und wir alle gestorben wären?«

Er beißt die Zähne zusammen. Ein Muskel zuckt an seinem Kiefer. »Das habe ich nicht gesagt.«

»Nur angedeutet.«

Er schüttelt den Kopf, und erneut spannen sich seine Züge vor Ärger an. »Es gab andere, weniger gefährliche Möglichkeiten, das anzugehen.«

»Zum Beispiel? Galen Tarva namenlose, gesichtslose Soldaten an unserer Stelle entgegenzuwerfen? Er hätte eine Erdspalte geöffnet, die sie alle verschluckt hätte, was genau das war, was er in seinem eigenen Thronsaal mit mir versucht hat. Also wer ist dann entbehrlich? Jeder, den du nicht kennst?« Inzwischen angewidert starre ich ihn an. »So was nennt man Führerschaft.«

»Cat …« Griffins Stimme enthält eine Spur Warnung, die mich drängt, mich zurückzunehmen. Ich verstehe. Soldaten haben eine wichtige Rolle, und das sollte ich nicht vergessen. Griffin weiß, was Armeen bewirken können. Er hat sie selbst angeführt.

»Führerschaft ist, weise Entscheidungen basierend auf vernünftiger Überlegung zu treffen«, versetzt Piers.

»Führerschaft ist tatsächliches Anführen, nicht andere als Schild zu benutzen, während man im Hintergrund herumhüpft und Befehle brüllt.«

Piers’ Augen weiten sich vor offensichtlichem Schock. Ha!

Griffin packt mich über dem Ellbogen am Arm und drückt ihn leicht. »Piers hat an meiner Seite gekämpft. An unserer Seite.« Mit uns meint er Carver, Kato und Flynn. Meine Freunde. Mein Team. »Und da gab es kein Herumgehüpfe im Hintergrund.«

Sein tadelnder Tonfall ärgert mich, aber ich schätze, ich habe wirklich gerade die Klappe über etwas aufgerissen, bei dem ich nicht dabei war und von dem ich nicht wirklich Ahnung habe.

Mit einem leichten Stirnrunzeln löse ich meinen Arm aus Griffins Fingern. »Ich weiß, dass Piers auf Patrouille reitet. Ich weiß, dass er kämpfen kann.« Und das ist alles, was er an Entschuldigung kriegen wird.

»Wie gedenkt ihr, Tarva zu halten?«, fragt Piers. »Ein Reich zu übernehmen ist nicht dasselbe, wie es zu halten.«

Wenn du mich fragst, haben wir den schwierigsten Teil schon geschafft.

»Die Armee, die du aufbaust, könnte dabei nützlich sein.« Da. Ein weiteres Zugeständnis.

Allerdings höre ich den Sarkasmus, der sich in meine Stimme schleicht. Griffin ebenfalls. Er sieht mich scharf an, wahrscheinlich missbilligt er meine Feindseligkeit.

Beinahe verdrehe ich die Augen. Wenn Piers nicht sein Bruder wäre, hätte Griffin ihn dafür windelweich geschlagen, dass er so mit mir gesprochen hat.

Griffin zuliebe versuche ich einen neutraleren Tonfall anzuschlagen. »Ehrlich? Ich glaube nicht, dass das ein großes Problem sein wird. Sieh dir all die Tarvaner an, die am Burgtor jubeln und wieder neue Hoffnung geschöpft haben. Andererseits war ihr letzter Alpha ein größenwahnsinniger Massenmörder, also ist es schwer, schlimmer zu sein.«

Piers lacht leicht – trocken. Hält er mich für schlimmer? Bitte. Galen Tarva hat ein ganzes Viertel in seiner direkten Nachbarschaft dem Erdboden gleichgemacht, nur um meiner Mutter eine Botschaft zu senden. Er hat ihr genug Angst gemacht, dass sie ihm meine einzigartigen Fähigkeiten – und mich – anbot, nur um sich ihn vom Leib zu halten. Und wenn ein irres Monster Angst vor einem anderen hat … Nun, dann muss das schon was heißen.

Piers atmet so tief ein, dass sich seine Brust ausdehnt. Seine schiefergrauen Augen treffen meine. »Kann ich kurz mit dir reden? Allein.«

Ein argwöhnischer Schauer läuft mir über den Rücken und dann meine Arme hinunter und lässt meine Messerhand zucken. Ich sehe zu Griffin. Er runzelt die Stirn, nickt aber, ohne übermäßig besorgt wegen Piers’ Bitte zu wirken. Ich habe keine Ahnung, was Piers mir sagen wollen könnte, das er nicht auch vor Griffin und Kaia sagen kann. Ihre Anwesenheit hat ihn bisher nicht gerade zurückgehalten.

»Also gut.« Meine widerstrebende Zustimmung geht mit einer raschen und automatischen Bestandsaufnahme meiner Magie einher, die ich benutzen könnte, um mich zu verteidigen – keine. Die Magie, die ich während der Agon-Spiele aufgenommen hatte, ging durch die Verletzungen und Erschöpfung verloren. Außerdem kennt Piers meine außergewöhnlichen Fähigkeiten, Lügen zu erkennen und mich unsichtbar zu machen. Also würde es ihn nicht mal überraschen, wenn ich plötzlich verschwinden würde.

Bleiben immer noch körperliche Waffen. Ich habe meine Messer und ein Schwert. Aber ich bezweifle, dass Griffin es zu schätzen wüsste, wenn ich mit einer Klinge auf seinen Bruder losginge, ganz egal, wie er sich mir gegenüber benimmt. Verrat und hinterhältiger Angriff sind etwas, das man einfach nicht tut. Jedenfalls nicht in seiner Familie.

Kapitel 2

Piers führt mich fünfzig Schritte von der Straße fort. Der Abstand erscheint mir übertrieben, aber was weiß ich schon? Ich hatte noch nie eine private Unterredung mit ihm. Ich muss niedrigen Büschen und Felsen ausweichen, über die er mit seinen langbeinigen, schleichenden Schritten einfach drübersteigen kann. Durch den Marsch über unebenes Gelände komme ich außer Atem, und ich frage mich, wie Baby Eleni, die ich vor einer Woche noch nicht mal spürte und die wahrscheinlich nur die Größe einer kleinen Bohne hat, mit einem Mal so verdammt schwer sein kann.

»Weit genug, Piers.« Ich versuche, meine Kurzatmigkeit durch einen brüsken Tonfall zu tarnen. »Was willst du?«

»Gib es auf«, antwortet er schlicht. »Lass es hier gut sein.«

»Ich soll es hier gut sein lassen?« Ich starre hinunter auf meine Füße.

Gereizt über meine absichtliche Begriffsstutzigkeit zieht er ein finsteres Gesicht. »Du hast zwei Reiche. Hör auf, bevor noch jemand stirbt. Jemand, der dir am Herzen liegt.«

Das war ein Tiefschlag. Ein heftiger. »Ich bin nicht diejenige, die das alles geplant hat. Es kommt direkt vom Olymp.«

»Die Götter haben entschieden, dass du ganz Thalyria regieren sollst?« Spott. Schon wieder.

»Du glaubst, ich kann es nicht?« Traue ich es mir denn selbst zu? Eigentlich habe ich keine Wahl. Nicht mehr.

»Ich denke, du bist ein größenwahnsinniger Hitzkopf, und ich habe keine Ahnung, warum Griffin es mit dir aushält.«

»Oooh. Da werde ich ja rot.« Ich fächle mir Kühlung zu, die ich jetzt brauche. Die kleine Bohne in meinem Bauch scheint mich von innen her aufzuheizen. »Ich mag dich auch.«

Piers’ Gesicht verzieht sich zu etwas ziemlich Unattraktivem für einen gut aussehenden Mann. Körperlich zumindest. »Du bist unglaublich.«

Ich zucke mit den Schultern. »Ich kann nichts dafür, dass ich was Besonderes bin.«

Sein Gesicht wird sogar noch verkniffener. »Halt einen Moment lang inne und denk darüber nach, was du tust. Du könntest Thalyria in einen endlosen Krieg stürzen. Er könnte Generationen lang dauern. Ist das wirklich das Vermächtnis, das du hinterlassen willst?«

»Das geht doch schon seit Generationen so. Es ist mehr als lächerlich, mir dafür die Schuld zu geben.«

»Die einzigen Kriege, die ich zu meinen Lebzeiten gesehen habe, wurden von dir und Griffin begonnen.«

Genau genommen war das nur Griffin. Er hat Sinta mit einer Armee erobert. Er hat Schlachten geschlagen und gewonnen. Dann haben wir Tarva gemeinsam übernommen, geopfert mit unserem eigenen Blut, Schweiß und Leid.

»Das kommt nur daher, dass du noch nie einen Machtumbruch gesehen hast. Und was zwischen den Kriegen in den Reichen vorging, war nicht viel besser«, betone ich. »Raubzüge. Diebstahl. Misshandlungen. Es hat seit Jahrhunderten keinen dauerhaften Frieden mehr gegeben.«

»Den hätte es geben können, wenigstens für Sinta.«

Ich schüttle den Kopf. »All unsere Quellen sagen, dass Acantha Tarva mit ihrem endlosen Vorrat an Schlangen kurz davorstand, in Sinta einzufallen, und wir wären ohne die Silenoi nicht in der Lage gewesen, sie aufzuhalten.«

»Silenoi, für die ihr euer Leben riskiert habt, um sie für eure Zwecke einzuspannen und von denen ihr dann nicht mal Gebrauch gemacht habt. Jetzt wimmelt es überall entlang unserer Grenze von Pferdemenschen, und das ohne Grund, weil du einen Schritt weitergegangen bist, bevor irgendjemand überhaupt angriff.«

»Ist das nicht das Ziel im Leben?«, frage ich. »Die Leute sagen für gewöhnlich nicht, ›Gut gemacht! Du bist einen Schritt zurückgegangen.‹ Wir haben uns um die tarvanische Bedrohung gekümmert und dabei ein Reich gewonnen. Ich habe keine Ahnung, warum du dich deswegen so aufführst, anstatt uns auf die Schulter zu klopfen.«

Piers’ böser Blick sprengt alle Dimensionen. »Die Armee ist noch nicht vollständig ausgebildet und ausgerüstet, aber sie ist groß genug, um eine Invasion abzuschmettern. Stattdessen bist du mit einem unausgegorenen Plan losgezogen, der die Sicherheit meiner Familie aufs Spiel gesetzt hat. Und davor hast du Cassandras Leben gegen ein Was-wäre-wenn eingetauscht.«

Niemand bedeutet mir mehr als mein Mann und mein Team, und wenn er mir Cassandras Tod noch ein einziges Mal ins Gesicht schleudert, dann schwöre ich, schleudere ich irgendetwas zurück.

»Da du bei den Spielen warst«, stoße ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »bin ich sicher, du weißt, dass sie nicht die Einzige war, die mit Blut bezahlt hat.«

»Sie ist die Einzige, die tot ist.« Piers’ wütender Blick durchbohrt mich. »Und du hättest es verhindern können.«

Ich atme langsam und tief durch, um meine niederen Instinkte unter Kontrolle zu halten. »Worum geht es hier wirklich? Deine Familie? Thalyria? Mich? Die Tatsache, dass du nicht mit meinen Entscheidungen einverstanden bist, aber andere schon?«, frage ich spöttisch. »Such dir was aus, und bleib dabei. Oder einigen wir uns einfach darauf, dass wir uns uneinig sind. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«

Seine Augen werden schmal. »Zu beschäftigt damit, Königin zu sein?«

»Genau genommen ja. Und ich bin nicht eine Königin. Ich bin die Königin.« Ich winke mit den Händen. »Es gibt viel zu tun.«

»Zum Beispiel in Fisa einzufallen?«

Sein feindseliger Tonfall fängt wirklich an, mich zu ärgern, und meine Geduld ist alles andere als legendär. Daran werde ich noch arbeiten müssen, bevor Kleine Bohne ihren großen Auftritt hat.

»Unter anderem«, antworte ich trocken. Da stehe ich und verteidige etwas, das ich nicht mal tun will. Es ist das Letzte, was ich will: meine Mutter wiedersehen. »Bist du für uns oder gegen uns?« Am Ende ist das alles, was wirklich zählt.

Piers versteift sich erneut. »Ich bin niemals gegen meine Familie.«

Mit sengender Hitze lodert meine Königsmacherinnen-Magie auf. Ich spüre die Ausgrenzung in seinen Worten, und die Wahrheit trifft mich beinahe ebenso hart, wie es eine Lüge getan hätte. Für Piers gehöre ich nicht zu seiner Familie.

Selbst wenn es von jemandem kommt, mit dem ich mich nie vertragen habe, schmerzt es, so offensichtlich ausgeschlossen zu werden. »Griffin will die drei Reiche vereinen. Das war seine Idee. Das weißt du genau, und es war Poseidon, der ihn auf mich aufmerksam gemacht hat. Zeus, Hades, Athene und Artemis haben uns alle auf ihre Weise geholfen. Sie unterstützen uns, und alles, was wir wollen, ist, Thalyria wieder zu einem lebenswerten Ort zu machen, wie er früher einmal war, bevor das Reich sich aufspaltete und die Alphas gierig und verrückt wurden. Mir entgegenzuwirken bedeutet, Griffin und allem, was er zu erreichen hofft, entgegenzuwirken.« Ich breite die Hände aus. »Das musst du doch einsehen.«

»Warum hat er dich gekrönt? Warum legt er die Macht in deine Hände anstatt in seine eigenen?«

Offen gesagt wünschte ich, er würde es nicht tun. Griffin weiß das. Und auch jeder andere, der uns nahesteht – dachte ich. Aber ich habe auf die harte Tour gelernt, dass man dem Schicksal nicht so einfach entkommen kann. Es hängt dir an den Fersen und beißt dich in den Hintern. Man kann es nicht ignorieren, und in meinem Fall hat Griffin es erkannt und gehandelt.

Piers war nicht da, als wir dem Rest von Griffins Familie von unserer Zeit in den Eisebenen erzählt haben. Sie müssen ihn eingeweiht haben, aber ich sage es ihm trotzdem noch einmal. »Artemis hat uns gesagt, dass ich der Ursprung bin. Im Wesentlichen der Neubeginn. Das bedeutet, was auch immer wir erschaffen, hoffentlich ein vereintes Thalyria, in dem die Menschen nicht ständig in Angst vor ihren Herrschern leben, beginnt irgendwie mit mir. Aber Griffin und ich werden gemeinsam regieren. Natürlich werden wir das.«

»Bis du entscheidest, dass du alle Macht für dich willst.«

Völlig verblüfft sehe ich ihn an. Ist Piers blind? Taub? »Wann habe ich je irgendein Anzeichen dafür gegeben, das zu wollen?«

»Es liegt dir im Blut«, erwidert er rundheraus. »Du wirst dich nicht daran hindern können.«

»Oh, das ist wirklich fair.« Ich werfe die Hände in die Luft. »Wenn dein Vater ein Mörder war, dann soll ich also einfach annehmen, dass du auch einer bist?«

Seine Augen werden schmal. »Du bist eine Mörderin.«

Vor Empörung klappt mir der Kiefer runter. »Ich bin nicht meine Mutter.«

»Noch nicht. Und du bist trotzdem eine Mörderin.«

Er ist völlig überzeugt. Früher deckte meine Magie nur Lügen auf, außer bei sehr seltenen Gelegenheiten. Wahrheiten kamen meistens als natürliches Nebenprodukt von Falschheiten zu mir. Seit ich Griffin getroffen habe, kann meine Magie auch bei starker, tief empfundener Ehrlichkeit heiß und schmerzhaft auflodern. Im Moment verrät mir das Brennen in meinen Knochen, dass Piers jedes Wort ernst meint.

»Ich habe immer nur in Notwehr getötet. Oder um andere zu verteidigen«, presse ich an dem Kloß vorbei, der sich in meiner Brust bildet. »Du hast in einem Krieg gekämpft. Inwiefern ist das anders als das, was ich getan habe?«

»Ich habe dich bei den Spielen gesehen. Das ist Töten als Sport.«

»Wir haben nicht aus Spaß daran teilgenommen. Oder um ruhmreich zu werden.« Wut und Emotion steigen erneut in mir auf, und es kostet mich wirklich Mühe, ruhig zu bleiben. »Ich sage es dir noch einmal. Wir hofften, die Gelegenheit zu bekommen, Galen und Acantha Tarva entgegenzutreten, ohne jemand anderen als uns in Gefahr zu bringen. Und wir haben in der Arena alle verschont, bei denen es uns möglich war, sogar die Kreaturen. Seit Jahrhunderten haben es nicht mehr so viele lebend aus den Agon-Spielen geschafft.«

Piers verzieht höhnisch das Gesicht. »Oh ja. Elpis. Ich vergaß.«

Das wars. Wut bringt mein Blut zum Kochen, und wenn es möglich wäre, tatsächlich rot zu sehen, würde ich es tun. »Mir reicht’s. Geh nach Hause. Hilf uns nicht. Sei unparteiisch, wenn du willst, aber geh mir einfach aus dem Weg.«

»Dir?« Piers’ Stimme ist so überladen mit Verachtung, dass sie ein Schiff versenken könnte. »Siehst du? Es fängt schon an.«

Der Drang, ihn zu verprügeln, überfällt mich heftig. Ich balle die Hände zu Fäusten, drehe mich jedoch auf dem Absatz um und gehe, bevor ich etwas tue, das ich später bereuen würde.

»Elender scheinheiliger Mistkerl«, murmle ich, als ich mich zurück zu Griffin und Kaia in Bewegung setze. Zu körperlicher Gewalt getrieben zu werden ist der leichte und natürliche Weg für mich, und mein ganzer Körper bebt fast unter dem Bedürfnis, anzugreifen und zuzuschlagen. Ich versuche mich zu beherrschen und mir bessere Gewohnheiten anzueignen, aber Piers macht es mir sehr schwer.

Unvermittelt packt Piers von hinten mein Handgelenk und bringt mich mit einem Ruck zum Stehen. Ich wirble herum und halte mich gerade noch zurück, ihn mit meiner freien Hand zu schlagen. Knurrend fletsche ich die Zähne, und ich muss mich am Oberschenkel festhalten, um meine Faust daran zu hindern, in sein Gesicht zu fliegen. Ich bin zu sehr von Wut erfüllt, um zu verstehen, was er sagt, doch dann erkenne ich, dass es ein Sprechgesang ist, deren Worte mir vertraut sind.

Nein! Heftige Furcht erfasst mich und verdrängt meine Wut. Ich habe diese alten Worte schon einmal gehört, auf den Eisebenen. Nur galten dort andere Regeln. Hier …

»Hör auf!«, schreie ich, während ich versuche, mich aus seinem Griff loszureißen. »Du weißt nicht, was du da tust!«

Piers spricht schneller, lauter. Er ist ein Hoi Polloi, aber das macht keinen Unterschied. Man braucht kein Magoi zu sein, damit das hier funktioniert.

Seine eiskalten Augen glitzern vor Entschlossenheit, und ich lasse meine Faust fliegen. Ich versuche, ihn in die Kehle zu boxen, und erwische ihn, aber nicht hart genug, um ihn zum Schweigen zu bringen. Seine nächsten Worte kommen heiser heraus, aber immer noch zu deutlich, um den Fluss der Beschwörung zu unterbrechen. Er setzt zu einer neuen, heimtückischen Wiederholung an, die uns alle der schrecklichen Gefahr noch näher bringt.

Mit einem heftigen Ruck an meinem Handgelenk ziehe ich ihn näher zu mir und pflanze ihm meinen Fuß in den Schritt. Oder versuche es zumindest. Er ist schnell und dreht sich weg. Ich treffe seine Hüfte, und die Wucht erschüttert mir die Knochen in Fuß und Knöchel. Piers bewegt sich kaum, sondern steckt den Tritt genauso weg, wie Griffin es getan hätte. Er skandiert weiter.

»Cat!«, Griffin ruft von der Straße her meinen Namen. Panik steigt in mir hoch und lässt mein Herz doppelt so schnell pumpen. Er darf bei dem hier nicht in der Nähe sein.

Ich verlagere meine Haltung und ziehe schnell und kräftig das Knie hoch, um es Piers in die Eingeweide zu rammen, doch er blockt mich mit dem Unterarm ab und bringt mich dadurch aus dem Gleichgewicht. Bevor ich mich wieder fangen kann, wirbelt er mich herum und zieht mich an seine Brust, um meine Beweglichkeit einzuschränken.

»Cat!«

Ich schaue hoch und sehe Griffin auf mich zu sprinten. Piers schlingt beide Arme um meinen Oberkörper, drückt zu und zieht mich hoch auf die Zehenspitzen. Meine Hebelwirkung ist futsch, und ich kann kaum atmen, weil meine Brust unter Muskeln zusammengequetscht wird, die dicker und stärker sind, als ich je dachte. Ich versuche, an meine Messer zu kommen, aber dazu muss ich über Piers’ Arme greifen, und meine Finger streifen nur knapp die Griffe. So werde ich sie unmöglich aus meinen Gürtelschlaufen ziehen können.

»Hör auf zu beschwören!«, schreie ich erneut. Ich kralle die Nägel in die Haut an seinen Armen und spüre, wie Blut seine Unterarme schlüpfrig macht und meine Handflächen überzieht. »Noch ist es nicht zu spät!«

Die alten Worte taumeln weiter in meine Ohren, schnell und leise. Ich hämmere mit den Stiefelabsätzen gegen seine Schienbeine, aber Piers ignoriert meine trommelnden Füße und kratzenden Nägel einfach. Er setzt zu einer weiteren Wiederholung an.

Ein Teil von mir weiß, dass ich nicht so heftig gegen ihn kämpfe, wie ich könnte. Respekt und Zuneigung für Griffins Familie halten mich zurück. Und Piers wird aufhören. Das hier soll mir nur Angst einjagen, mich dazu bringen, einen Rückzieher zu machen. Oder?

Ich versetze ihm einen Kopfstoß gegen den Kiefer. Sein Sprechgesang gerät ins Stocken, aber nur einen Moment lang, und ich sehe Sterne.

Griffin hat uns jetzt fast erreicht, einen Ausdruck absoluter Wut auf dem Gesicht. Kaia ist nicht weit hinter ihm.

»Lauft weg!«, schreie ich ihm zu. »Nimm Kaia und lauft weg!«

In meiner Stimme liegt genug von der Panik, die ich spüre, um ihn zögern zu lassen. Er wird langsamer, und sein beinahe wilder Blick fliegt zwischen seiner Schwester und mir hin und her.

»Bring sie weg von hier!«, schreie ich mit dem letzten Rest Luft in meiner Lunge.

Piers’ Umklammerung verstärkt sich schmerzhaft, und er fängt an, mich von ihnen wegzuziehen. Er macht keinerlei Anstalten, mit seiner Torheit aufzuhören, was mich dazu zwingt, seine Sicherheit gegen unsere einzutauschen. Ich höre auf zu zögern und versuche, die Blitze zustande zu bringen, die ihn definitiv – und wahrscheinlich dauerhaft – zum Schweigen bringen würden.

Nichts passiert. Keine Blitze. Nicht mal ein Funken. Die olympische Magie in meinem Blut hat ihren eigenen wankelmütigen Kopf, und sie lässt mich wieder mal im Stich. Nur Panik zuckt durch meine Adern, zusammen mit eisiger Furcht.

»Lass. Cat. Los.« Griffins Befehl ist leise und wütend. Voller Zorn kommt er näher.

Entsetzen durchströmt mich erneut. Warum hört niemand auf mich? Wenn ich sage, lauft weg, dann lauft weg!

Piers zieht mich weiter rückwärts. Einen Schritt. Zwei. Er zerquetscht mir die Lunge. Ich ringe nach Luft.

»Was sprichst du da?« Griffin kommt weiter auf uns zu, aber er streckt eine Hand aus, um Kaia zurückzuhalten. »Was geht hier vor?«

Ich versuche weiter vergeblich, meine Blitze heraufzubeschwören. Obwohl Griffin nicht ganz begreift, was hier passiert, verrät mir sein Gesichtsausdruck, dass er seinen eigenen Bruder bis aufs Blut bekämpfen würde, um mich zu befreien.

In einem letzten, verzweifelten Versuch winde ich mich heftig in Piers’ Armen und kreische wie eine Verrückte. Das lässt Griffin wie angewurzelt stehen bleiben und scheint Piers so zu erschrecken, dass er seinen Griff um meine Rippen lockert. Kaum spüre ich das, höre ich auf, um mich zu schlagen, und lasse mich fallen. Mein Gewicht reißt mich aus seiner Umklammerung. Geduckt lande ich auf dem Boden und sprinte los, dabei schreie ich Griffin und Kaia zu, sie sollen rennen!

Den Göttern sei Dank, sie drehen sich um und rennen los, ohne Fragen zu stellen, weil sie wissen, dass ich nicht weit hinter ihnen bin. Ich bin schnell, dennoch haben Griffin und Kaia mich rasch abgehängt. Griffin schaut sich um, zögernd, und ich bedeute ihm wild gestikulierend, er soll weiterlaufen. Ich schaue nicht zurück, und ich werde nicht langsamer, selbst als sich mein Unterbauch zusammenzieht und die Muskeln dort sich anfühlen, als würden sie sich in Stein verwandeln. Piers setzt mir nach, und ich schätze, er ist ebenso schnell wie der Rest seiner Familie. Ich renne schneller als je zuvor in meinem Leben, mit fliegenden Beinen und brennender Brust.

Auf halber Strecke zur Straße prallt Piers mir in den Rücken. Alles kippt, ich werde eine übelkeitserregende Sekunde lang schwerelos, und dann schlagen wir beide mit einem erschütternden Aufprall auf. Ich kann kaum den Kopf oben behalten, und der Untergrund schürft mir die nackten Arme von den Handflächen bis zu den Ellbogen auf, als wir über den Boden schlittern. Piers landet flach ausgestreckt auf meinem Rücken, und ich stoße keuchend einen ängstlichen Laut aus, aus Furcht, die kleine Eleni könnte Schaden genommen haben, obwohl ich weiß, dass sie schon Schlimmeres überstanden hat.

Wieder ruft Griffin meinen Namen, und jeder Beschützerinstinkt in mir rebelliert. Komm nicht zurück!

Schritte donnern in meine Richtung. Piers ist so schwer und massig wie ein Zentaur. Irgendwie wiederholt er immer noch die Beschwörung, während er mich auf den harten Boden drückt. Ich versuche zu atmen, aber Angst schnürt mir das bisschen Luft ab, das ich noch habe. Er ist fast fertig, und ich darf das nicht zulassen. Griffin und Kaia sind zu nahe.

Es gelingt mir, einen Ellbogen freizubekommen. Ich reiße ihn wild nach hinten und treffe Piers an einer Stelle, die ihn das letzte Wort der letzten Wiederholung ächzen lässt und unser Schicksal für immer besiegelt. Ares.

Er hat soeben den Gott des Krieges herbeibeschworen.

Kapitel 3

Mit einem Fluch springt Piers von mir herunter und weicht zurück. Ich rolle mich herum und schnelle hoch. Luft strömt wieder ungehindert in meine Lunge, dennoch fühlt es sich immer noch an, als könne ich nicht atmen.

»Was im Namen der Götter geht hier vor?«, brüllt Griffin, als er die letzten paar Schritte auf mich zu stürmt. Er ist zurückgekommen. Er wird immer zu mir zurückkommen, und Kaia ist direkt hinter ihm.

Abwehrend reiße ich die Hände hoch. »Nein, Griffin! Bleib stehen!«

Ein ohrenbetäubendes Brüllen lässt eine Reihe von Explosionen in meinem Kopf detonieren, schmerzhaft, wie magische Schläge gegen mein Gehirn. Dann erbebt die Erde, als ein Mann – nein, Ares – wie ein Meteor vom Himmel rast und mit einem gewaltigen Knall auf dem Boden auftrifft.

Die Erde bricht um ihn herum auf. Risse breiten sich wie ein riesiges Spinnennetz aus, das sich unter unseren Füßen verfängt. Taumelnd versuchen wir, das Gleichgewicht zu behalten, während der Boden unter der Macht des Olymps selbst erzittert.

Griffin packt mich am Arm, um mich zu stützen. Mit der anderen Hand hält er Kaia fest. Die überwältigende Menge an Macht, mit der die Luft um uns herum plötzlich getränkt ist, lässt mich aufkeuchen. Das hier ist kein ätherischer, königlicher Auftritt wie der von Artemis auf den Eisebenen. Die verstohlene und leichtfüßige Göttin der Jagd schlich sich in unsere Sinne wie Mondlicht auf einer Melodie. Das hier ist der Gott des Krieges, der mit einem Donnerschlag in unserer Mitte landet.

Griffins Augen weiten sich entsetzt vor wachsendem Begreifen. Er schiebt Kaia und mich so heftig hinter sich, dass wir wie zwei klatschende Hände zusammenstoßen. Dann zieht er sich zurück und zwingt uns dadurch, mit ihm zurückzuweichen.

Ich verrenke mich weit genug, um am Arm meines Mannes vorbeizuspähen. Piers steht auf der anderen Seite von Ares und sieht ihn mit Ehrfurcht – und offensichtlicher Befriedigung an. Der Gott betrachtet ihn ebenfalls, den Menschen, der ihn herbeigerufen hat, und alles, was wir sehen, ist der breite und muskulöse Rücken des riesigsten Mannes, der mir je unter die Augen gekommen ist. Sein Oberkörper ist nackt, und er trägt einen breiten, mit Bronzenieten beschlagenen Gürtel, der vor Waffen aller Formen und Größen starrt. Mehrere flache Klingen, von denen jede einzelne noch tödlicher aussieht als die vorherige, streifen seine kräftigen, in Leder gekleideten Beine.

»Seit einer Ewigkeit hat mich niemand mehr gerufen.« Ares’ Stimme ist voll und tief. Ebenso wie das Lachen, das wie eine warme Welle über mich hinwegspült. Es erinnert mich an eine gefährliche Meeresbrandung, von der Sorte mit einer unberechenbaren Unterströmung. Sie zieht dich runter und schleudert dich gegen die Felsen, wenn du nicht weißt, wie man in den Gewässern schwimmt.

Und das hier? Ich glaube nicht, dass irgendeiner von uns weiß, wie wir hier wegkommen sollen.

Ares erhebt erneut die Stimme. »Das verspricht, interessant zu werden.«

Ich zucke zusammen. Oder herzzerreißend.

Ich tippe Griffin auf den Arm, und er dreht den Kopf weit genug, dass unsere Blicke sich einen Sekundenbruchteil lang treffen, während ich einen Finger an die Lippen halte. Wenn wir still und ruhig bleiben, vielleicht bemerkt Ares uns dann nicht?

Bevor Griffin den Blick wieder nach vorn richtet, sehe ich dieselbe quälende Angst in seinen Augen, die ich verspüre. Er weiß, was sein Bruder getan hat.

Ruf einen Gott, verlier eine Seele. Einer von uns wird nicht mit den anderen wieder von hier fortgehen.

Ares senkt den Kopf, und Haar von der Farbe polierten Olivenholzes glänzt in der Sonne. Dichte, lohfarbene Locken, großzügig von dunkleren Strähnen durchzogen, streifen seine massigen Schultern. »Ich verstehe. Hier geht es um die Frau, die du eine Kriegstreiberin nennst.«

Ein gewaltiger Adrenalinstoß lässt mir das Herz gegen die Rippen hämmern, und mein Puls schnellt hoch, um sich dem schnelleren Rhythmus anzupassen. Die Götter scherzen nicht, wenn sie sagen, dass sie alles wissen.

Mein Bauch zieht sich erneut zusammen und fühlt sich plötzlich wie Blei an.

Piers nickt und weist mit dem Kinn zu mir. Der Verräter. So viel dazu, still und unbemerkt zu bleiben. »Sie ist roh und gewalttätig. Sie wird perfekt zu dir passen.«

Roh und gewalttätig? Perfekt zu dir passen? Hat er gerade einen mächtigen Gott beleidigt? Mich hat er jedenfalls beleidigt.

Die Muskeln in Ares’ Rücken versteifen sich. »Das ist deine einzige Bitte? Dass ich sie mitnehmen soll?«

Entsetzen durchzuckt mich. Ich kann Griffin nicht verlassen. Da ist doch Eleni!

Aber wenn ich es nicht bin, dann Griffin oder Kaia. Das darf nicht geschehen. Ich werde es nicht zulassen.

Griffin wird stocksteif und gräbt die Finger in meinen Arm. Ich spüre es mehr, als dass ich es höre, wie ihm der Atem stockt, und weiß, dass ihn das ekelerregende Gefühl von Verrat durchfährt wie eine Axt, die ihn entzweispaltet.

»Einzige Bitte?« Bei dem leicht verblüfften Ausdruck auf Piers’ Gesicht drängt sich mir der Gedanke auf, dass er die alten Schriftrollen falsch übersetzt hat. Man ruft keinen Gott, nur um jemanden loszuwerden. Dafür gibt es Waffen, manchmal die bloßen Hände, und wenn man ein heimtückischer Kriecher ist, gibt es immer noch Gift. Man ruft keinen Gott, damit der die Drecksarbeit erledigt. Man ruft einen Gott, um etwas epischen Ausmaßes zu erbitten, etwas, das man unmöglich allein erreichen kann. Die Konsequenz ist der Verlust einer Seele in deiner Nähe, als eine Art Bezahlung – eine, die den Leuten letztlich bewusst wurde. Deshalb hat man die Schriftrollen versteckt und tief in den Archiven der Tempel der Weisheit vergraben.

Man hätte sie noch tiefer vergraben sollen.

»Glaub mir, sie ist genug«, sagt Piers schließlich mit so ätzender Stimme, dass es wie ein Schlag ins Gesicht für mich ist.

Entsetzt starre ich ihn an. Er ist unglaublich. Und kriminell kurzsichtig. Piers hat das Undenkbare getan, also könnte er auch wenigstens dem Bruder helfen, dem er gerade das Herz herausreißt. Ich kann es nicht fassen, so skrupellos ist es. Er will nicht mal die Unterstützung des Kriegsgottes, um Griffin zu helfen, Fisa zu erobern?

Ares verschränkt die Arme vor der Brust, wodurch sich sein monströser Bizeps wölbt. Etwas am Ausdruck des Olympiers muss Piers wohl glauben lassen, der Gott bräuchte noch etwas Überredung.

»Sie wird gut für dich kämpfen, wo auch immer sie hingeht.« Piers’ Blick trifft meinen über rissige Erde und spürbare Macht hinweg. »Sie ist wie ein wildes Tier, wenn sie Blut riecht. Unaufhaltsam.«

Ich schnaube. Ich kann nicht anders. Das war womöglich das beleidigenste Kompliment, das ich je gehört habe.

»Willst du damit sagen, dass du mich ohne Grund vom Olymp heruntergerufen hast?«, verlangt Ares scharf zu wissen.

Oh, er hat einen Grund. Piers will, dass ich endgültig aus Thalyria – und dem Leben seines Bruders – verschwinde, ohne mich selbst töten zu müssen. Lieber soll ich eine Sklavin des Krieges werden und in allen Welten kämpfen, bis zu meinem unausweichlichen, einsamen und womöglich schnellen Ende. Pah! Was für ein Prinz.

Zum ersten Mal wirkt Piers unsicher. »Ich gebe ihr eine Chance, das zu tun, was sie am besten kann – kämpfen. Sie hat mir keine andere Wahl gelassen. Sie ist bösartig, machthungrig und will keine Vernunft annehmen. Sie bringt alle, die mir am Herzen liegen, in Gefahr.«

Ich bin nichts von alledem! Na ja, ich kann ein bisschen wild sein. Und vielleicht nehme ich nicht immer Vernunft an.

»Piers«, stößt Griffin erstickt den Namen seines Bruders hervor. Noch nie habe ich so einen Laut aus seinem Mund kommen hören, und es bricht mir das Herz. Eine fürchterliche Enge legt sich um meine Brust, als mir das, was gleich geschehen wird, richtig bewusst wird, aber Griffins unverhohlene Verzweiflung ist es, die mich fast in die Knie zwingt.

Piers wirft einen Blick zu uns herüber. Wir müssen wie ein Trio Gespenster aussehen. Er reckt das Kinn und strafft die Schultern. Schon allein seine steife, selbstgerechte Körpersprache verrät mir, dass er absolut überzeugt davon ist, das Richtige zu tun. Griffin vor mir zu retten. Alle zu retten.

Glaubt er wirklich, die Verantwortung auf Ares abzuwälzen würde auch die Schuldgefühle und Vorwürfe abwälzen? Griffin wird ihm das niemals verzeihen. Und ich ebenso wenig. Wenn ich sterbe, das schwöre ich bei den Göttern, dann werde ich die Ufer des Styx so lange heimsuchen, bis Piers dort auftaucht. Ich werde ihn dafür bezahlen lassen, dass er Griffin und mich auseinandergerissen hat, in dieser Welt und in der nächsten.

Versteckt hinter Griffin schnappt Kaia keuchend nach Luft. Sichtlich zitternd sieht sie mich an, während ihr Tränen übers Gesicht laufen. »Wie konnte er nur?«

Unvermittelt brennen meine Augen. »Sei tapfer«, flüstere ich, für sie ebenso wie für mich.

Nickend presst sie die Lippen zusammen und blinzelt ihre Tränen fort. Ich zwinge die meinen, nicht zu kommen.

»Du bist ein Hoi Polloi«, stellt Ares fest. Er hat sich immer noch nicht umgedreht. Unsere Bedeutungslosigkeit könnte nicht offensichtlicher sein.

Piers ballt die Hände an den Seiten. »Ich mag zwar keine Magie im Blut haben, aber ich wusste, was diese Beschwörungsformel bewirkt. Ich habe sie verstanden.«

»Du hast zu viel verstanden. Und nicht genug.« Ares tritt auf Piers zu. »Selbst Magoi benutzen diese Beschwörung nicht mehr. Und definitiv nicht unterhalb der Eisebenen. Diese Schriftrollen wurden vor Jahrhunderten verborgen. Dafür könnte es einen guten Grund gegeben haben, denkst du nicht?«

Wieder zuckt Piers’ Blick zu uns herüber, zu seinem Bruder und seiner Schwester. Er schluckt, und etwas von der Selbstsicherheit und Farbe weichen ihm aus dem Gesicht. Begreift er endlich, in welche Gefahr er sie gebracht hat? Fühlt er etwas von unserer Furcht?

Ehrlich gesagt, es ist mir egal, wie er sich fühlt. Mein Mitgefühl mit Piers ist einen flammenden Tod gestorben und hörte in dem Moment auf zu existieren, in dem er beschloss, mich von meinem Mann fortzureißen und aus dieser Welt zu schleudern.

»Ich sehe hier keine Kriegstreiberin.« Das durchdringende Grollen von Macht in Ares’ beinahe hallender Stimme scheint all das Wissen und die Geheimnisse der sich wandelnden Zeiten und Welten zu beherbergen. Aus irgendeinem Grund kommt sie mir eigenartig vertraut vor. »Wenn hier jemand den Krieg hofiert, dann ist es dein Bruder. Soll ich ihn mitnehmen? Oder deine kleine Schwester? Soll ich sie durch die Welten schicken und in endlose Schlachten werfen? Sehen, wie lange sie überlebt?«

»Nein!« Piers’ Weigerung kommt sofort und von Herzen. Er reißt alarmiert die Augen auf.

Jetzt kapiert er es. Er hat Ares gerufen, und eine Seele hat mit dem Gott zu gehen, aber Piers darf nicht wählen, welche es sein soll.

»Du willst, dass ich Catalia Fisa nehme?«

Piers nickt steif, und ich kann mir kaum vorstellen, wie tief er Griffin mit seinem Handeln ins loyale Herz trifft. Ich kann kaum glauben, dass Piers’ Feindseligkeit mir gegenüber so weit geht. Er bürstet mich ständig gegen den Strich, aber ich habe nicht ein einziges Mal daran gedacht, ihn zu eliminieren. Und er hält mich für bösartig und unvernünftig?

»Du würdest deinen Bruder seiner Frau berauben?«, fragt Ares.

Griffins Hand rutscht zu meinem Handgelenk, dann wird sein Griff schmerzhaft, als könnte er allein mit der Kraft seiner Finger verhindern, dass ich ihm entrissen werde. Mit meiner freien Hand umfasse ich seinen Unterarm, um mich an ihm zu verankern. Aber falls Ares beschließt, mich zu nehmen, dann ist er nicht aufzuhalten.

Und ich werde es sein. Ich muss es sein. Ich werde nicht zulassen, dass er Griffin oder Kaia nimmt.

Kaia zittert jetzt heftig, als sie mich wieder ansieht. Ihre Lippen sind weiß, ihre Augen riesig. Sie hat schreckliche Angst. Ich frage mich, ob ich genauso aussehe.

Ares macht einen weiteren Schritt auf Piers zu, ohne uns auch nur die geringste Beachtung zu schenken. »Du würdest ihn seines ungeborenen Kindes berauben, das in diesem Moment unter ihrem Herzen wächst?«

Piers’ Blick schnellt zurück zu uns, und er zieht scharf den Atem ein. Seine Miene verändert sich völlig und wird zuerst ausdruckslos vor Schreck und dann überflutet von unverhohlenem Entsetzen. Beinahe stolpernd macht er einen Schritt rückwärts. Seine Körpersprache sendet jetzt eine völlig neue Botschaft. Familie bedeutet ihm wirklich etwas, vielleicht sogar alles. Er kann sich einreden, dass es okay ist, mich loszuwerden, die fisanische, kriegstreibende Magoi, selbst wenn er damit seinem Bruder wehtut, aber er würde niemals jemanden von seinem eigenen Blut verbannen.

Mit schmalen Augen sehe ich ihn an und lade meine Miene mit beißender Anklage auf. Danke, Onkel Piers. Du schenkst der kleinen Eleni einen fabelhaften Empfang in der Familie.

Er öffnet den Mund. Schließt ihn wieder. Seine Stiefel scharren rückwärts durch die Erde. »Vielleicht war ich etwas … voreilig.«

Ach wirklich? Am liebsten würde ich ihn anschreien. Beinahe explodieren Worte des Abscheus und des Vorwurfs aus meinem Mund, aber ich will Ares’ Aufmerksamkeit nicht auf uns ziehen.

Stumm und verzweifelt halten Griffin und ich uns aneinander fest. Ich weiß, dass er Kaia sicher ebenso fest umklammert hält. Trotz Piers’ plötzlichen Sinneswandels ist mein bleischweres Herz ohne Hoffnung. Man würfelt nicht mit den Göttern und hofft dann, einen Rückzieher machen zu können, bevor die Würfel gefallen sind.

Kaia weiß das wohl ebenso gut wie alle anderen. Ihr abgehackter Atem wird so laut, dass er meine Aufmerksamkeit jäh wieder zu ihr zurückschnellen lässt. Mit offenem Mund und großen Augen starrt sie auf meinen Bauch.

»Zu spät«, sagt Ares rundheraus und bestätigt damit meine schlimmsten Ängste. »Ruf einen Gott, verlier eine Seele. Aber Talia kann ich nicht nehmen.«

Kann er nicht? Aber das bedeutet … Nein. Nein. Nein! Nicht Griffin!

Griffin scheint sich um einen Bruchteil zu straffen. Sein Griff um mein Handgelenk verändert sich, aber wahrscheinlich nur, um Kaia fester zu umklammern. Sie zuckt zusammen, aber ich weiß nicht, ob deshalb, weil ihr Arm unter Griffins eisernem Griff schmerzt oder weil ihre Wahrscheinlichkeit, von Ares mitgenommen zu werden, gerade von einem Drittel auf volle fünfzig Prozent gestiegen ist.

Meine Kehle schnürt sich zu, bis ich kaum noch schlucken kann. Götter, das kann nicht wahr sein.

Moment mal? Hat Ares mich gerade Talia genannt? Ein neuer Schauer des Unbehagens läuft mir über den Rücken. Nur Leute aus meiner Vergangenheit und meiner Blutsfamilie – oder was davon übrig ist – nennen mich so.

»Die Gesetze des Olymps verbieten mir, zwei Seelen auf einmal zu nehmen. Sie trägt ein Kind und deshalb eine zweite Seele in sich. Aber ich würde sie ohnehin nicht nehmen. Nicht nachdem wir Jahre damit verbracht haben, sie in Position zu bringen.«

Er spricht von meiner Bestimmung. Zerstörer der Reiche. Und da dachte ich, ich hätte mich endlich mit meinem Schicksal abgefunden, aber das Rumoren in meinem Innern sagt etwas anderes. Oder vielleicht ist es Kleine Bohne. Im Moment ist das schwer zu sagen.

»Jahre, in denen Menschen und Ereignisse sorgfältig beobachtet und beeinflusst wurden, um den Ursprung zu seinem Thron zu drängen. All die Mühe in einem einzigen Augenblick untergraben, weil du nicht weiter als bis zu deiner Nasenspitze sehen kannst? Weil du in den Augen deines Bruders nicht mit der Macht und dem Wissen seiner Frau konkurrieren kannst? Weil sie beide so viel mehr sind, als du je sein wirst?«

Ares’ Zorn scheint sämtliche Luft um uns herum abzusaugen. Plötzlich kann ich nicht mehr atmen, und etwas krallt sich wie eine Faust in meine Eingeweide.

Ich fasse mir an den Unterbauch. »Griffin?«

Er schaut auf mich herunter, gerade als mein Schoß sich schmerzhaft verkrampft und zusammenzieht. Mit dem Schmerz kann ich umgehen. Das jähe Entsetzen ist es, das schwer zu ertragen ist. Ich stoße ein tiefes Stöhnen aus, das mir nicht im Geringsten hilft, aber Griffin noch blasser als zuvor werden lässt. Instinktiv lässt er Kaia los, um nach mir zu greifen.

Gleichzeitig legen sich kühle Finger auf meinen Nacken. Starke Magieströme kribbeln an meinem Haaransatz und breiten sich dann im Rest meines Körpers aus.

»Beug dich nach vorne«, gesellt sich Selenas vertraute Stimme zu ihrer heilenden Berührung. »Atme.«

Kaum berührt sie mich, lassen der Schmerz und die Panik ein wenig nach, und Verwirrung tritt an ihre Stelle. Wir haben sie vor Stunden in Burg Tarva zurückgelassen. Ich habe keine Ahnung, wie sie hergekommen ist, aber ihre Gegenwart schenkt mir augenblicklich Trost und Linderung. Griffin ächzt etwas vor Überraschung, wahrscheinlich über ihr plötzliches Erscheinen, aber ich halte weiter den Kopf unten, damit das Blut wieder zurückfließen kann.

»Wo kommst du denn her?« Ich stütze die Hände auf den Knien ab, als eine weitere Welle der Anspannung meinen Bauch erfasst. Selena ist schockierend mächtig und wahrscheinlich die beste Heilerin unserer Zeit – geschweige denn die Geliebte von Hades –, aber selbst nachdem ich acht Jahre lang von ihr mehr oder weniger bemuttert wurde, hatte ich keine Ahnung, dass sie wie aus dem Nichts auftauchen kann.

Selena antwortet nicht, was mich nicht überrascht. Der Druck ihrer Hand in meinem Nacken verstärkt sich und hält meinen Kopf weiter unten. »Atme«, wiederholt sie.

Griffin geht neben mir in die Hocke, um mir ins Gesicht zu sehen. Zwischen seinen Augenbrauen hat sich eine tiefe Falte eingegraben. Seine Gesichtsfarbe ist nicht gut. »Agapi mou?«

»Was passiert hier?« Ich keuche jetzt, und meine Stimme klingt grell vor Angst.

Ein Schatten huscht durch Griffins Augen. Er schüttelt den Kopf, besorgt und ratlos. Er weiß es auch nicht. Oder vielleicht wissen wir es beide, und keiner von uns will es zugeben.