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Ein Krimifall zum Wohlfühlen: Der Cozy-Crime-Roman »Tod im Trödelladen« von Anna Grue jetzt als eBook bei dotbooks. Die dänische Provinz – freundliche Menschen, tiefblaues Meer und jede Menge Hygge. Oder ist da doch was faul im Staate Dänemark? Zumindest in der kleinen Provinzstadt Odsherred scheint so einiges im Argen zu liegen. Im örtlichen Second-Hand-Laden gibt es eine Reihe mysteriöser Todesfälle. Die Polizei geht von natürlichen Ursachen aus, aber das kann die resolute Rentnerin Anne-Maj Mortensen beim besten Willen nicht glauben. Hartnäckig macht sie sich daran, den Fall selbst aufzuklären. Dabei arbeitet die selbsternannte Detektivin unter erschwerten Bedingungen: Ihr Alltag ist mit Gartenarbeit, Hundeerziehung und immer neuen Diätversuchen schon stressig genug. Aber mit Nachdruck und dem richtigen Riecher findet sie schließlich eine heiße Spur … Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Tod im Trödelladen« von Anna Grue ist der amüsante Auftakt ihrer Hygge-Krimireihe und wird alle Fans der Bestseller von Richard Osman und M.C. Beaton begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 381
Über dieses Buch:
Die dänische Provinz – freundliche Menschen, tiefblaues Meer und jede Menge Hygge. Oder ist da doch was faul im Staate Dänemark?
Zumindest in der kleinen Provinzstadt Odsherred scheint so einiges im Argen zu liegen. Im örtlichen Second-Hand-Laden gibt es eine Reihe mysteriöser Todesfälle. Die Polizei geht von natürlichen Ursachen aus, aber das kann die resolute Rentnerin Anne-Maj Mortensen beim besten Willen nicht glauben. Hartnäckig macht sie sich daran, den Fall selbst aufzuklären. Dabei arbeitet die selbsternannte Detektivin unter erschwerten Bedingungen: Ihr Alltag ist mit Gartenarbeit, Hundeerziehung und immer neuen Diätversuchen schon stressig genug. Aber mit Nachdruck und dem richtigen Riecher findet sie schließlich eine heiße Spur …
»Tod im Trödelladen« erscheint außerdem als Hörbuch und Printausgabe bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.
Über die Autorin:
Anna Grue ist eine der meistgelesenen dänischen Krimiautorinnen und hat unter anderem die Buchvorlage zur ZDF-Fernsehserie »Dan Sommerdahl – Tödliche Idylle« geschrieben. »Tod im Trödelladen« ist der erste Roman ihrer neuen Cosy-Crime-Reihe mit der eigenwilligen Ermittlerin Anne-Maj Mortensen.
Bei dotbooks erscheint ihre Hygge-Krimireihe mit den Einzeltiteln »Tod im Trödelladen«, »Mord im Kurhotel« und »Der Schlüssel zum Mord« als eBook.
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eBook-Ausgabe Juni 2023
Die dänische Originalausgabe erschien erstmals 2020 unter dem Originaltitel » Mysteriet i Genbrugsen « bei SAGA Egmont, Kopenhagen.
Copyright © der dänischen Originalausgabe 2020 by Anna Grue
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2022 by Anna Grue, SAGA Egmont
Copyright © der eBook-Ausgabe 2023 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Karol Kinal unter Verwendung von Motiven von Shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)
ISBN 978-3-98690-638-2
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Anna Grue
Tod im Trödelladen
Ein Hygge-Krimi
Aus dem Dänischen von Roland Hoffmann
dotbooks.
Die Familie Mortensen:Anne-Maj Mortensen, Arzthelferin im VorruhestandIben Mortensen, Anne-Majs Tochter, Verkäuferin in einem SchuhgeschäftDitte-Marie (Didi) Mortensen, Anne-Majs Enkelin, SchülerinMortensen der Dritte, Anne-Majs Dackel
Das Personal des Trödelladens:Else Simonsen, Witwe eines LandwirtsStanley Hjort, Frührentner nach GehirnverletzungValborg von Schilling, pensionierte Lehrerin, ehemalige BürgermeisterinLis Klausen, verheiratet mit arbeitslosem MaschinenschlosserHelmer Bergstrøm, toter RechtsanwaltVips Bergstrøm, Witwe von HelmerRuth Møllegaard, pensionierte GewerkschaftlerinKylle Poulsen, ehemalige Tagesmutter
Die Familie Bergstrøm:Thomas Bergstrøm, RechtsanwaltFeline Bergstrøm, Inhaberin eines Geschäfts für InneneinrichtungChristian Bergstrøm, Koch
Die Polizei:Jan Krause, ErmittlungsleiterSigne Olsted, ErmittlerinAnders Hall, Ermittler
Die Stadt:Nykøbing Sjælland (gut 5.000 Einwohner) in der Kommune Odsherred (circa 33.000 Einheimische – plus die Besitzer von 26.000 Ferienhäusern; in der Saison 100.000 Touristen).
Zentrum von Nykøbing Sjælland
1.Anne-Maj Mortensens Haus
2.Trödelladen
3.Iben und Didis Wohnung
4.Der Wald Grønnehave
5.Kirche von Nykøbing
6.Friedhof
7.Bahnhof
8.Richtung Kildehusene
9.Apotheke
10.Richtung Hafen
Nykøbing Sjælland existiert natürlich, doch ich habe mir in diesem Roman gewisse Freiheiten genommen. Es gibt mehrere hervorragende Trödelläden im Stadtkern, doch keinen direkt neben dem Supermarkt Irma – und Irma hat keine Warenanlieferung, die am Parkplatz liegt. Das Schuhgeschäft ist ein anderes als das, das es in Wirklichkeit gibt, und Anne-Majs hellblaues Stadthaus gibt es nicht, und auch die Villa in der Siedlung Kildehusene und Ibens Wohnung habe ich erfunden.
Und so weiter …
Anna Grue
Sonntag, 17. März
Jede Mahlzeit beginnt mit einem Menschen, der Essen macht. Oder nein, das ist eigentlich nicht wahr: Sie beginnt mit einem Menschen, der Zutaten einkauft, sie zubereitet und das fertige Gericht serviert. Doch das ist ein Prozess, den immer weniger in Ehren halten. Immer mehr Menschen kaufen ihre Mahlzeiten stattdessen fertig zubereitet, um nur noch in die Mikrowelle gepfeffert und dann direkt aus der Verpackung verzehrt zu werden.
Das ist eine traurige Entwicklung, findet Anne-Maj Mortensen, die mindestens ebenso glücklich ist, wenn sie Essen macht, wie wenn sie es isst – was schon einiges sagt; die leidenschaftliche Freude am Essen lässt sich an ihrer umfangreichen Figur ablesen. Wenn Anne-Maj ihren schweren Körper mit den schaukelnden Brüsten, den massiven Schenkeln und dem weich schwellenden Bauch in der Küche bewegt, sieht es wie ein sorgfältig choreografierter Stammestanz aus, und jede Bewegung dient einem Zweck; wenn sie Paprika, Zwiebel und Sellerie in akkurate, kleine Würfel schneidet, wenn sie tief konzentriert steif geschlagenes Eiweiß unter die leicht abgekühlte Mehlschwitze für ein Gratin hebt oder wenn sie mit einem beinahe schon verliebten Ausdruck Bratensaft über einen Rehrücken gießt, der im Ofen vor sich hin schmort.
Man darf nicht versuchen, mit Anne-Maj zu kommunizieren, wenn sie am Kochen ist. Wenn man das tut, verliert sie den Faden und den Überblick und beißt um sich. Selbstverständlich weiß das ihre Familie, aber ab und zu passiert es, dass sich ein Gast versehentlich in die Küche begibt, um ein bisschen zu plaudern oder seine Hilfe anzubieten, sodass Anne-Maj gezwungen ist, ihr Terrain abzustecken: Liebes, bitte nimm dir ein Glas Wein und setz dich ins Wohnzimmer. Ich komme mit dem Essen, wenn es fertig ist.
Trotz der leicht kriegerischen Pose ist die Arbeit in der Küche jedoch vor allem mit warmen Gefühlen verbunden. Für Anne-Maj ist es nicht bloß ein liebes Hobby; es ist gleichzeitig ihre bevorzugte Art, Gefühle zu zeigen. In jedem einzelnen Gericht ist Liebe eine wichtige Zutat. Auf diese Weise zeigt sie ihrer Tochter, ihrer Enkelin und ihren Freunden, wie viel sie ihr bedeuten. Das weiß sie, und das wissen die anderen; und wenn auch nur in ihrem Unterbewusstsein. Hausgemachtes Essen, das mit Fürsorge und Sorgfalt abgeschmeckt ist, schmeckt per definitionem immer besser als das, was von einem Fabrikarbeiter hergestellt wurde, der nur ein paar Zutaten nach irgendeinem Standardrezept zusammenklatscht, um seinen Lohn zu erhalten.
Anne-Maj fragte einmal einen jungen Mann, einer der ersten festen Freunde ihrer Tochter, was sein Lieblingsessen wäre. Ohne zu zögern, antwortete er: »Etwas Hausgemachtes!« Sie bat ihn um eine Präzisierung, und er erklärte, dass seine Eltern nie gern gekocht hätten und das Abendessen daher aus Tiefkühlpizzen, belegten Broten, Hafergrütze oder fertig gekauften Fleischbällchen in Curry bestanden habe. Für ihn war allein die Tatsache, dass eine Mahlzeit von Grund auf zu Hause in der Küche zubereitet wurde, der pure Luxus. Von diesem Tag an behandelte Anne-Maj ihn wie eine Foie-gras-Gans: Sie mästete ihn jedes Mal, wenn er sich bei ihr blicken ließ. Als der junge Mann und Iben sich nach einem Jahr trennten, war Anne-Majs größte Sorge, ob er zukünftig wohl etwas Ordentliches zu essen bekommen würde.
Nein, denkt sie und wäscht sich den Fleischsaft von den Händen: Erwachsenen Menschen, die ihr Essen nicht selbst machen wollen, sollte eigentlich das Recht entzogen werden, sich Erwachsene zu nennen. Oder zumindest, Kinder zu bekommen. Wenn man nicht dafür sorgen kann, dass die eigene Familie dreimal täglich gesundes, wohlschmeckendes Essen bekommt, ist man ganz einfach ... Sie sucht nach dem richtigen Wort, während sie sich die Hände mit einem sauberen Geschirrtuch abtrocknet ... Man ist ganz einfach unreif. Sie bestätigt sich mit einem Nicken, zufrieden mit ihrer Schlussfolgerung. Es kommt ihr nicht einmal in den Sinn, dass dieses Vorurteil auch für ihre eigene Tochter gilt, die in der Küche ein notorischer Tollpatsch ist.
Anne-Maj sieht liebevoll zu Mortensen hinunter, einem jungen Rauhaardackel, der das einzige männliche Wesen in Anne-Majs Leben ist und es sich damit verdient hat, ihren Nachnamen zu tragen. Wenn man ganz korrekt sein möchte, lautet sein vollständiger Name Mortensen der Dritte, da er zwei Vorgänger gehabt hat – dieselbe Rasse, derselbe Name. Im Augenblick sitzt er ganz still in seinem Körbchen an der Terrassentür und hat ein Auge darauf, wann Anne-Maj das Schneidbrett mit den Resten vom geputzten Schweinefilet nimmt und auf den Boden stellt, damit er seinen Teil zum Abwasch beitragen kann.
»Du musst noch ein bisschen warten, Dickerchen«, sagt Anne-Maj. »Du bekommst deinen Happen, wenn wir zu Tisch gehen.«
Mortensen sieht sie traurig an, doch in seinen braunen Augen ist immer noch Hoffnung. Der Hund ist der Einzige, der in Anne-Majs Küche willkommen ist. Er steht nie im Weg, stellt keine störenden Fragen, ob mit tiefen oder flachen Tellern gedeckt werden soll, und es fällt ihm nicht im Traum ein, den Koch mit Kommentaren zum Wetter oder Wahlkampf oder etwas auf Facebook abzulenken. Mortensen ist der perfekte Küchenpartner.
Anne-Maj bereitet die übrigen Zutaten zu: stellt geschabte Kartoffeln, in feine Scheiben geschnittene Pilze, Öl, Fleisch, Fond, Sahne, frisch geschnittene Kräuter und so weiter in einer Reihe auf die Arbeitsplatte, sodass alles chronologisch dasteht – in der Reihenfolge, wie es in die Pfanne oder den Topf soll. Auf diese Weise kann sie jederzeit beinahe blind nach der nächsten Zutat im Programm greifen und ihre Denktätigkeit auf Abschmecken, Temperaturen, Koch- und Bratzeiten verwenden. Das sind die Dinge, denkt sie selbstgefällig, bei denen die Leute Fehler beim Kochen machen und hinterher behaupten, dass es schwer ist. Es ist nicht schwer, Essen zu machen. Es ist nur eine Frage der Vorbereitung und der richtigen Reihenfolge der Arbeitsschritte, damit man nicht wie irgendein Amateur beim Kartoffelschälen in Stress gerät, weil gerade die Soße anbrennt. Einst deutete einer der Ärzte in ihrer Arbeit an, dass die offen gesagt rigiden Routinen in Anne-Majs Arbeitsprozessen ein Symptom für irgendeine Form von Zwangsneurose sein könnten, was natürlich vollkommen schwachsinnig war. Nur weil man gern etwas Ordnung und Logik in seinem Leben hatte. »Das ist doch vollkommen normal«, hatte sie ihrem geschäftigen Chef geantwortet. Sie kann sich nicht erinnern, ob sie eine Antwort erhielt.
Als alles bereitsteht, setzt sie sich ins Wohnzimmer. Mortensen kommt mit einem enttäuschten Ausdruck hinterhergetrottet. Anne-Maj möchte Herd und Ofen erst einschalten, wenn die Gäste aufgetaucht und in der Sofaecke verstaut sind, mit einem Glas Wein für Iben und einer Cola für Didi, wie ihre Enkelin genannt werden will. Didi. Das klingt wie eine Nebenfigur in einer deutschen Fernsehserie oder eine dieser Schnepfen mit Arschgeweih aus Paradise Hotel. Doch das ist vielleicht auch der Sinn, muss Anne-Maj feststellen; zumindest in letzterem Fall. Sie persönlich findet ja, dass der Taufname der Zehnjährigen, Ditte-Marie, viel schöner ist. Doch Großmütter haben in dieser Art von Fragen ja kein Vetorecht, was ärgerlich ist.
Sie fischt sich den ersten Teil der Sonntagszeitung aus dem Stapel auf dem Sofatisch, blättert auf die Seite mit Kreuzworträtseln und geht direkt zu dem unten rechts: »Das kleine, aber schwere«, wie die Zeitung es getauft hat. Erst wenn das gelöst ist, erlaubt Anne-Maj es sich, die beiden anderen anzusehen. So ist die Regel, Woche für Woche. Sie beißt in den Kugelschreiber und denkt über das erste Wort im Kreuzworträtsel nach. »Ungeborenes« mit zehn Buchstaben ... Ihr Gehirn beginnt zu surren, und sie vergisst das Kochen, die Gäste und den bettelnden Hund, während sie in Gedanken verschiedene Möglichkeiten für waagrechte Wörter durchgeht, die ihr bei der Suche nach einem Synonym für Fötus helfen können. Es würde ihr im Traum nicht einfallen, die weißen Felder auszufüllen, ehe sie sich ihrer Sache sicher ist.
Kurz darauf klingelt es an der Tür. Nur ein kurzes Klingeln, dann wird sie geöffnet. Mortensen bellt nicht, wie er es üblicherweise tut, wenn jemand kommt; ein sicheres Zeichen dafür, dass die Besucher zu den festen Gästen des Hauses gehören. Er stürzt so schnell zur Eingangstür, wie seine kurzen Beine ihn tragen. »Hallo«, ruft Iben von draußen. »Hallo, Oma«, ist Didis Stimme kurz danach zu hören. Anne-Maj wirft einen letzten Blick auf das Kreuzworträtsel, das immer noch ziemlich jungfräulich ist, und faltet die Zeitung zusammen, ehe sie sich erhebt und in den Flur geht.
»Genau rechtzeitig«, sagt sie.
»Etwas anderes trauen wir uns auch nicht.« Iben hält Mortensen im Arm wie ein schwanzwedelndes und ziemlich behaartes Baby und dreht ihm ihr Gesicht zu. »Wer ist ein braver Hund?«, singt sie in hellem Tonfall, während sie ihn im Arm wiegt. »Wer ist ein guter Junge?« Iben darf in ihrer Wohnung keine Haustiere halten, kompensiert dies aber umso stärker im Zusammensein mit dem kleinen, kommodenbeinigen Begleiter ihrer Mutter.
Sie machen es sich im Wohnzimmer mit ihrem jeweiligen Glas bequem.
»Und, Frau Mortensen, bringst du die Zeit rum?«, fragt Iben. Jedes Mal dieselbe Frage; als ob der Vorruhestand Anne-Majs Dasein mit einem Schlag allen Inhalts beraubt hätte.
»Na klar.«
»Ich frage aus freundlichem Interesse. Du brauchst nicht zu keifen.«
»Ich keife doch nicht.«
»Wenn du es sagst.«
»Aber ich hab’ reichlich zu tun«, sagt Anne-Maj und nippt am Weißwein. »Ich mache lange Spaziergänge mit Mortensen, lese stapelweise Bücher, kümmere mich um den Garten, habe meinen festen Tag im Trödelladen, fahre nach Holbæk zum Einkaufen ... Ich habe jede Menge zu tun«, wiederholt sie. »Ich genieße es einfach, dass ich nicht jeden Tag in das arschlangweilige Ärztehaus muss.«
»Mutter!« Iben wirft einen vielsagenden Blick zu Didi, die tief konzentriert mit ihrem Smartphone beschäftigt ist.
Ohne ihren Blick vom Bildschirm zu heben, sagt Didi trocken: »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich das Fluchen von Oma lerne, oder?«
»Ich finde bloß, dass wir alle miteinander anständig sprechen sollten«, antwortet Iben ein bisschen spitz.
Didi blickt mit erhobenen Augenbrauen zu ihrer Großmutter, während sie übertrieben schielt. Dann fokussiert sie wieder auf den offensichtlich ziemlich aufmerksamkeitsbedürftigen Kontakt mit dem Teil des Universums, der sich nicht hier in Anne-Majs kleinem hellblauen Stadthaus befindet – auf der Lindealle-Nykøbing-Odsherred-Seeland-Dänemark-Europa-Erde, wie Didis Reim aus der Kindheit immer lautete. Wann hat sie eigentlich aufgehört, dies zu sagen?
»Du hast deinen Job doch gern gemacht«, setzt Iben nach. »Ansonsten wärst du dort doch kein Menschenalter geblieben.«
Anne-Maj zuckt mit den Schultern. Wenn sie ehrlich ist, vermisst sie ab und zu die Arbeit als Arzthelferin für drei Allgemeinärzte im Ärztehaus. Von ihrem kleinen, gut definierten Königreich hinter der Theke hatte sie sowohl Ärzte als auch Krankenschwestern und Patienten im Griff gehabt. Das war ihrem Drang, die Ordnungspolizei zu spielen, ganz ausgezeichnet zupassgekommen. Also natürlich vermisst sie es. Ein bisschen. Doch die meiste Zeit genießt sie es, frei zu sein, nicht zuletzt frei von den immer mehr oder komplizierter werdenden elektronischen Portalen und Systemen, mit denen man heute im Gesundheitswesen arbeiten muss, und genau diese Tatsache will sie der ganzen Welt einschließlich ihrer geschäftigen Tochter deutlich machen.
»Ich bin hungrig«, meldet sich Didi.
Jetzt müssen Iben und Anne-Maj einen verblüfften Blick wechseln. Didi, die wie ein Vögelchen isst. Ein besonders verwöhntes Vögelchen, wohlgemerkt. Sie muss immer gezwungen werden, und wenn sie dem Druck endlich nachgibt, verzehrt sie ausschließlich Spiralnudeln – nicht die Vollkornversion, nicht Nudeln in anderen Formen, nicht die vegane Art ohne Ei – sowie Pommes frites und Gurkenstifte. Eine etwas einseitige Ernährung. Das ist eigenartig, findet Anne-Maj. Sie betrachtet die dünnen Arme ihrer Enkelin, die aus den Ärmeln des T-Shirts wie abgemagerte Flügel eines Vogels herausstehen. Abkömmling einer ganzen Reihe esslustiger Frauen. Iben ist zwar noch nicht ganz so füllig wie Anne-Maj, aber das kommt schon noch. Was ist nur passiert, dass das jüngste Familienmitglied so große Probleme mit dem Essen hat? Kann Ibens mangelndes Interesse für das Kochen schuld daran sein? Anne-Maj befürchtet, dass Didis Verwöhntheit sich zu einer richtigen Essstörung entwickelt. Dass das Kind jetzt spontan Lust auf Essen ausdrückt, ist ein glückliches Ereignis.
»Dann ist es ja gut, dass wir in Kürze essen können«, antwortet Anne-Maj und erhebt sich. Mortensen der Dritte reißt sich von Iben los; er hat die Reste nicht vergessen, die draußen auf der Arbeitsplatte liegen und duften. »Wenn ihr hier sitzen bleibt und es euch gemütlich macht«, fährt Anne-Maj fort, »dann gehe ich und mache das Essen fertig. Das dauert eine Viertelstunde.«
»Was gibt es denn?«, fragt Iben.
»Filetsteaks mit Kartoffeln, geschmorten Pilzen und Spargel. Und einen Salat«, antwortet Anne-Maj und blickt zu Didi: »Ich habe die Fritteuse eingeschaltet, damit du eine ordentliche Portion Pommes frites bekommst.«
»Danke, aber ... das ist nicht notwendig.« Didi sieht von ihrem Mobiltelefon auf. »Ab heute esse ich variiert.«
Das ist kein Wort, das das Kind selbst wählen würde, weiß Anne-Maj, also fragt sie: »Hat jemand dir gesagt, dass du variiert essen sollst? Etwas, das ihr in der Schule gelernt habt?«
»Nee ...« Sie windet sich ein wenig. »Es ist ... Niemand.«
Anne-Maj und ihre Tochter sehen sich erneut an. Iben zuckt mit den Schultern.
»Du isst jetzt also gekochte Kartoffeln und Fleisch und Soße und Gemüse, Didi?«, fragt Anne-Maj, um ganz sicher zu gehen. »Und die Fritteuse kann ich ausschalten?«
»Aaach ...« Didi sitzt immer noch unruhig da. »Du kannst schon ein paar Pommes machen, Oma, wenn du sie eh schon vorbereitet hast. Die schmecken doch gut zu ... all dem Variierten.«
Sonntag, 17. März
Iben ist seit ihrer Kindheit irgendwie ein Problemkind gewesen, findet Anne-Maj. Sie ist ungewöhnlich begabt, aber sie ist ... wenn auch nicht direkt faul, so doch zumindest schlecht darin, Prioritäten zu setzen, und sie ist nicht im Geringsten daran interessiert, sich geistig anzustrengen, auch wenn sie spielend leicht Mitglied von Mensa, dem Verein für hochbegabte Menschen, werden könnte. Iben schaffte damals mit Mühe und Not ihr Abitur, und seither hat sie eigentlich nur falsche Entscheidungen getroffen: Sie gibt sich mit den falschen Männern ab, hat die falsche Ausbildung, sucht sich die falschen Jobs.
Iben selbst beteuert, dass sie mit ihrer Stelle als Verkäuferin in einem Schuhgeschäft in der Algade recht zufrieden ist, und sie fühlt sich auch wohl dabei, Single zu sein, so wie ihre Mutter. Ehrlich gesagt wirkt sie direkt erleichtert darüber, dass ihr Exmann zu seiner neuen Geliebten nach Kopenhagen gezogen ist und vor kurzem einen kleinen Sohn bekommen hat, der ihn so sehr beschäftigt, dass er sich nur gelegentlich daran erinnert, dass er auch eine zehnjährige Tochter hat.
Die drei – Mutter, Tochter und Enkelkind – sehen sich dagegen häufig; mindestens jeden Sonntag. Sie wohnen nur wenige hundert Meter voneinander entfernt, und das kommt allen Beteiligten gelegen. Besonders jetzt, wo Anne-Maj in den Vorruhestand gegangen ist, sodass Ditte-Marie sie ab und zu nach der Schule besuchen kann ... Didi! korrigiert Anne-Maj sich selbst. Sie lässt ihren Blick über den Herd schweifen und stellt fest, dass es wieder einmal gelungen ist: Die Zubereitung ist so getimt, dass alles genau zur selben Zeit fertig ist. Ich sollte eigentlich eine Medaille bekommen, denkt Anne-Maj. Oder zumindest irgendeine Art von Diplom.
»Wir essen in fünf Minuten«, ruft sie ins Wohnzimmer und erhält zur Bestätigung ein paar Grunzlaute. Dann richtet sie die Filetsteaks und den grünen Spargel auf der schönen, blaugeblümten Platte an, die sie vor vielen Jahren von ihrer Großmutter geerbt hat. Didis Ururgroßmutter. Daran zu denken ist völlig verrückt. Anne-Maj hat immer noch den Duft ihrer Großmutter in der Nase, das Gefühl ihrer weichen, faltigen Haut in ihren Händen. Für sie gehört die Erinnerung an die Großmutter zur realen Welt, auch wenn es fast vierzig Jahre her ist, dass sie starb, während Iben ... Für sie ist die Urgroßmutter nur ein Begriff; sie kann sich wohl kaum an sie erinnern. Und fragt man Didi, so gehört ihre Ururgroßmutter in eine so graue Vorzeit, dass sie ebenso gut ein Brontosaurier sein könnte. Sie kann sich wohl nicht einmal mehr an ihre Urgroßmutter erinnern, denkt Anne-Maj, meine Mutter – die immer tiefer in der Demenz verschwand und schließlich starb, als Didi noch ein Kindergartenkind war. Die Zeit vergeht so schnell, und die Frauen in unserer Familie sterben viel zu früh. Anne-Maj stellt die Platte auf den Esstisch und kehrt zurück, um Kartoffeln und Soße zu holen; jetzt bin ich die älteste Generation. Ich werde irgendwann Urgroßmutter und höchstens eine schwache Erinnerung für Didis Kinder sein und totale Vergangenheit für ihre Enkelkinder. Der Gedanke erfüllt sie mit einer Mischung aus Stolz und Schrecken. Das Geschlecht muss dem Lauf der Geschlechter folgen. Das weiß man ja, aber ... Es läuft ihr kalt über den Rücken.
»Ihr dürft gern zu Tisch gehen«, sagt sie. Naiv, wie sie ist, geht Anne-Maj immer davon aus, dass die Gäste bei dieser Nachricht umgehend ihre Plätze einnehmen, auch wenn sie sehr wohl weiß, dass es niemals so läuft. Immer muss mindestens einer noch auf Toilette; einer, der sein Telefon ans Ladekabel stecken muss, zwei, die Hände waschen müssen. Wenn sie die Leute zu Tisch bittet, dauert es in der Regel mehrere Minuten, bis alle auf ihrem Platz sitzen – ganz egal, ob sie sie rechtzeitig vorgewarnt hat oder nicht – und in diesen Minuten explodiert Anne-Maj beinahe vor Ungeduld. Verstehen sie denn nicht, dass das Gemüse seine Knackigkeit verliert, dass die Soße abbindet, dass der feine rosa Ton vom Fleisch bleich und gräulich wird, während sie herumlatschen und nicht fertig werden?
So läuft es natürlich auch heute. Anne-Maj stellt die Schüssel mit heißen, gesalzenen Pommes frites an Didis Platz und geht zurück in die Küche, um einen Krug Eiswasser zu holen. Sie versucht an etwas anderes zu denken als das Essen, das dasteht und kalt wird.
»Hier, Mortensen«, sagt sie und stellt das Schneidbrett mit den Resten vom geputzten Schweinefilet auf den Boden. »Warte!«, kommandiert sie, und der kleine Dackel setzt sich gehorsam, wobei seine schönen dunkelbraunen Augen starr auf den Haufen von Sehnen und Häutchen gerichtet sind. »Bitte sehr«, sagt Anne-Maj dann, und im selben Augenblick wirft sich Mortensen auf die Beute. Als die ganze Herrlichkeit wenige Sekunden später inhaliert ist, leckt der Hund das Schneidbrett sorgfältig ab, während er so stark mit dem Schwanz wedelt, dass er fast aus dem Gleichgewicht kommt. Anne-Maj lächelt.
Sie geht zurück ins Wohnzimmer, und – oh Wunder! – jetzt sitzen sowohl Iben als auch Didi auf ihren Plätzen. Didi hat sich bereits die Hälfte der Pommes frites auf den Teller geschaufelt.
»Vergiss nicht, Platz für Fleisch und Gemüse zu lassen«, sagt Anne-Maj. »Das Variierte, du weißt schon.«
Didi nimmt widerstrebend die Platte entgegen, bugsiert einen Spargel und das kleinste Filetsteak auf ihren Teller. Beim Anblick der geschmorten Pilze sieht sie so verzagt aus, dass Anne-Maj so tut, als würde sie völlig vergessen, sie ihr zu reichen. Wenn das Kind wirklich sowohl ein Stück Gemüse als auch einen Happen Fleisch schafft, wäre das schon fast ein Wunder.
»Wie läuft es im Trödelladen?«, fragt Iben, eine Unterhaltung beginnend, als sie sich bedient haben. »Du warst letzten Freitag dort, oder?«
»Ich bin freitags immer da«, sagt Anne-Maj. »Das weißt du doch.«
Iben hat inzwischen den Mund voll und muss sich mit einem Nicken begnügen.
»Es läuft richtig gut«, fährt Anne-Maj fort, die aus dem Augenwinkel sieht, wie Didi mit dem Filetsteak kämpft, das sie in mikroskopisch kleine Bissen schneidet. »Helmer Bergstrøm ist letzten Dienstag gestorben.«
»Mutter!« Iben hat zu Ende gekaut. »Der nette alte Mann! Du kannst doch nicht in ein und demselben Atemzug sagen, dass es gut geht und dass einer der anderen Ehrenamtlichen gestorben ist.«
»Stimmt, nein«, gibt Anne-Maj zu, »so war es auch nicht gemeint. Aber ... Helmer war ja steinalt. Über neunzig.«
»Deshalb kann es doch wohl traurig sein, dass man stirbt. Und besonders, wenn es ganz plötzlich geschieht. Ich habe nicht einmal geahnt, dass er krank war.«
»Vielleicht wurde er ermordet!« Didi ist zu neuem Leben erwacht.
»Didi!« Das ist Iben. »So kann man doch nicht denken.«
»Kann man schon.« Didi hat Messer und Gabel hingelegt, offensichtlich bereit für eine schnelle, kleine Diskussion über die Wahrscheinlichkeit eines rätselhaften Mordes unter Nykøbings Ältesten.
»Das ist nicht nett.«
»Ach, hör schon auf«, sagt Anne-Maj. »Didi ist bloß ein kleiner Detektiv. Es ist schon in Ordnung, mit dem Gedanken zu spielen, wenn man es nur in diesen vier Wänden tut.«
»Mama, also.« Iben seufzt. »Du hättest der Kleinen nie ‚Der Hund von Baskerville‘ geben dürfen. Didi ist viel zu jung für Krimis.«
»Nein, bin ich nicht«, sagt Didi.
»Als ich in ihrem Alter war«, sagt Anne-Maj, »habe ich Agatha Christie mit großem Vergnügen gelesen.«
»Als ob dies in irgendeiner Weise beruhigend wäre.« Iben schüttelt den Kopf. »Iss jetzt, Didi«, sagt sie.
»Du kannst das Fleisch gern liegen lassen«, sagt Anne-Maj, die sehen kann, dass das Filetsteak ein unüberschaubares Projekt darstellt. »Probier’ stattdessen den Spargel.«
»Was ich meinte, war bloß ...« Iben ignoriert die Einmischung ihrer Mutter. »Wenn Helmers Todesfall plötzlich war, muss es schockierend für seine Angehörigen gewesen sein, egal, wie alt er war.«
»Man kann wohl nicht sagen, dass es plötzlich war ... Er lag zuerst ein paar Tage im Krankenhaus, und sie sagten, dass es das Herz wäre, also ...« Anne-Maj schenkt ihnen beiden Wein nach. »Ich habe zwar nie zuvor gehört, dass Helmer Herzprobleme hätte, doch zumindest mental war es in den letzten Monaten mit ihm bergab gegangen. Es hat niemanden überrascht, dass seine Zeit abgelaufen war. In Wirklichkeit schaffte er die Arbeit im Laden nicht mehr. Einer der anderen übernahm vor einiger Zeit den Dienst als Verwalter, doch er bestand darauf, sich weiterhin um die Buchecke zu kümmern. In vielerlei Hinsicht war es wohl eigentlich das Beste, dass er ...« Sie sucht nach einem passenden Abschluss des Satzes. Als sich dies als unmöglich erweist, wechselt sie das Thema: »Ich glaube, dass ich jetzt die Verantwortung für die Bücher bekomme.«
Seit Anne-Maj vor einem halben Jahr in den Vorruhestand gegangen ist, arbeitet sie als Ehrenamtliche im Trödelladen, der sich in einem ehemaligen Supermarkt hinter dem neuen Irma befindet. Nur einen einzigen Tag pro Woche, von zehn bis achtzehn Uhr. Bücher haben sie schon immer interessiert. Sie liebt es, sie zu lesen, sie zu spüren, und sie hat ein gutes Auge für schöne Titelseiten und raffinierte Details am Einband. Den Posten als Verantwortliche für die recht große Buchabteilung des Trödelladens hat sie daher schon lange im Blick, doch der alte Helmer hatte bis zuletzt Besitzansprüche geltend gemacht und jede Andeutung, die Aufgabe mit jemandem zu teilen, abgeschmettert. Wenn sie diese Position jetzt erben kann ...
Mit einem schuldbewussten Blick legt Iben schnell ihre rechte Hand auf den Tisch. Also hat sie wieder einen Happen Fleisch hinunter zu Mortensen befördert. »Es gibt also keinen Mann mehr bei euch, oder?«
»Stanley ist noch da. Stanley Hjort.«
»Der Zurückgebliebene?«
»Ach, so darfst du es nicht sagen.« Sie blickt verstohlen zu Didi, die jetzt dasitzt und die Spargelstange seziert. »Stanley hat eine Gehirnverletzung von einem Verkehrsunfall, und du hast Recht, er funktioniert nicht optimal. Er ist aber eine große Hilfe. Kommt jeden Tag und kümmert sich um alles, was wir anderen nicht schaffen. Steigt auf hohe Leitern, wenn die obersten Regale abgestaubt werden müssen, holt schwere Säcke mit Kleidung und Kisten von den Leuten ab, macht sauber und wartet unseren kleinen Lieferwagen.«
»Der Blaue Blitz«, sagt Didi, die offensichtlich mehr hört, als es den Anschein macht.
»Genau.« Anne-Maj lächelt. »Ohne Stanley wäre es schwer, den Laden am Laufen zu halten.«
»Ich wollte nicht schlecht über ihn reden.«
»Ich mag nur das Wort ‚zurückgeblieben‘ nicht.«
Sie sitzen eine Weile schweigend da und essen. Didi greift nach dem Wasserkrug. Sie tut nichts, um zu verhindern, dass alle Eiswürfel in ihr Glas plumpsen. Als sie den Krug zurückstellt, begegnet sie dem Blick ihrer Großmutter. Anne-Maj zwinkert ihr zu.
Iben nimmt das Gespräch von zuvor wieder auf: »Helmers Witwe arbeitet weiterhin im Laden, oder? Wie heißt sie noch gleich?«
»Vips. Vibeke.«
»Sie muss völlig am Boden sein.«
»Sie kommt verblüffend gut damit klar.« Anne-Maj lässt ihre Gedanken flüchtig um Vips kreisen, die trotz ihrer vierundachtzig Jahre und ziemlich wackeligen Beine immer noch diejenige ist, die die Verantwortung für die Abteilung mit Silberbesteck, Bijouterie und Uhren hat, was alles in einer Glasvitrine neben der Registrierkasse aufbewahrt wird, an der sie jeden Nachmittag ein paar Stunden in einem gemütlichen Stuhl sitzt und das Geld von den Kunden kassiert. Sie erhebt sich nur, wenn jemand die schönen Dinge näher betrachten möchte. Dann steht sie da, den Stock fest im Griff, während sie mit der anderen Hand die Vitrine aufschließt und eine samtbezogene, flache Schublade nach der anderen herauszieht. Den Schlüssel zur Vitrine bewahrt sie trotz der Proteste der Kollegen irgendwo in ihrer Handtasche auf, sodass es praktisch unmöglich ist, Schmuck und Silberbesteck außerhalb ihrer Arbeitszeiten zu verkaufen. Vips liebt ihren Job, und wie die übrigen im Trödelladen ist es ihr egal, dass er unbezahlt ist. Anlässlich des Todes ihres Mannes hat sie sich einen einzigen Tag frei genommen, doch am Tag darauf hat sie schon wieder auf ihrem Platz gesessen. »Vielleicht trifft sie die Trauer erst nach der Beisetzung.«
»Wann ist die?«
»Am Dienstag.«
»Gehst du hin?«
»Ich glaube, dass wir alle hingehen. Der Laden kann mitten am Tag wohl ein paar Stunden geschlossen bleiben. Helmer hat über neun Jahre da gearbeitet. Selbstverständlich müssen wir ihn ordentlich auf die letzte Reise schicken.«
»Natürlich.«
»Nicht, dass ihn jemand vermissen wird. Er war ein Tyrann.«
»Mama!«
Anne-Maj zuckt mit den Schultern. »Das war er aber.« Sie findet, dass sie lange genug über den Tod des kratzbürstigen alten Mannes gesprochen haben, und nach einer Pause ruft sie: »Oh, ich habe so viele Pläne für die Buchabteilung!«
Iben sieht sie an. »Ja?«
»Zuallererst werde ich all die veralteten Nachschlagewerke rauswerfen. Lademanns Lexikon, Atlanten ohne Datum und so weiter. Helmer war der Meinung, dass sie viel Geld wert seien, aber diese Art von Büchern will doch niemand mehr haben. Alles steht doch im Internet. Dann werde ich die Belletristik durchforsten und die abgegriffensten Buchklubausgaben rauswerfen. Vielleicht kann ich kleine Ausstellungen mit Kinderbüchern oder Krimis machen. Das zieht ein ganz neues Publikum an. Und dann werde ich ein System einführen, sodass jedes einzelne Buch mit dem Datum versehen wird, an dem wir es bekommen. Auf diese Weise lässt sich leicht feststellen, ob es viel zu lange im Regal gestanden und Staub gesammelt hat und ebenso gut rausgeworfen werden kann.«
»Hmmm.« Iben nickt abwesend. Ihre Aufmerksamkeit gilt ihrer Tochter, die dabei ist, mehr Pommes frites auf ihren Teller zu schaufeln. »Du musst auch den Rest vom Fleisch essen, Didi.«
»Oma hat gesagt, dass ich das nicht muss.«
»Aber du hast deinen Spargel gegessen, wie ich sehe.« Iben spricht im künstlichsten pädagogischen Tonfall, den man sich vorstellen kann. »Das ist toll, Liebling. Möchtest du noch einen?«
»Nein, danke.« Didi schiebt den Teller mit dem Haufen Pommes frites von sich. »Danke schön, Frau Mortensen.«
Anne-Maj schneidet eine Grimasse. Dass ihre Tochter sie beim Nachnamen nennt, wenn sie sie aufziehen möchte, ist eine Sache, aber dass jetzt auch Didi damit begonnen hat ... Sie schafft es nicht, zu protestieren.
»Darf ich aufstehen?«
Anne-Maj sieht ihrer Enkelin hinterher, die mit ihrem Mobiltelefon auf dem Weg zum Sofa ist. »Möchtest du keine Nachspeise?«, fragt sie. »Es gibt Eis.«
»Welche Sorte?« Didi sitzt bereits, ihr Blick klebt am Telefon.
»Vanille.«
Sie sieht auf. »Selbst gemacht?«
Ein beinahe unmerklicher Seufzer. »Nein, gekauft.«
»Dann möchte ich gerne etwas.« Sie begegnet Anne-Majs Blick. »Danke sehr.« Didi weiß sehr wohl, wie es ihrer Kochfanatikerin von einer Großmutter gegen den Strich geht, ihren Gefrierschrank mit industriell hergestellten Lebensmitteln zu besudeln; dem Kind ist sehr wohl klar, dass der Kauf von einem Liter ökologischem Hansen-Eis ausschließlich ihr, Didi, zuliebe getätigt wurde, und sie ist wohlerzogen genug, ihre Anerkennung zu zeigen. »Danke sehr, Frau Mortensen.«
Dienstag, 19. März
Die Kirche von Nykøbing ist fast achthundert Jahre alt; ein klassisches rotes Backsteingebäude ohne Schnickschnack. Sie ist umgeben von einer kleinen Anlage mit uralten Grabsteinen und Monumenten, doch der eigentliche Friedhof befindet sich ein paar Hundert Meter von dort entfernt; es ist ganz einfach nicht genug Platz in der unmittelbaren Nähe der Kirche, und daher hörte man bereits 1920 damit auf, die Toten der Stadt auf dem Grund der Kirche zu begraben. Das Innere der Kirche ist ebenso einfach wie ihr Äußeres: schwere, weiß getünchte Gewölbe, getragen von nackten, rustikalen Backsteinsäulen. Ein einfaches Kreuz und ein sehr detailreiches Segelschiff sind die einzigen Dekorgegenstände in dem strengen weißen Kirchenraum, dessen Wandgemälde schon längst verblasst sind. Sehr protestantisch, denkt Anne-Maj jedes Mal, wenn sie hier ist. Ein Katholik würde sich beim Anblick dieses spartanischen Gotteshauses im wahrsten Sinne des Wortes bekreuzigen. Sie selbst mag den diskreten Stil, mag insgesamt gesehen ihre Kirche. Hier wurde sie getauft, hier wurde sie mit ihrem untreuen Ehemann getraut und hier wird sie eines Tages begraben.
So weit ist es zum Glück noch nicht gekommen, und sie hat hoffentlich auch noch viele Jahre. Zwanzig? Vielleicht fünfundzwanzig, jetzt wo sie mit dem Rauchen aufgehört hat ... Anne-Maj nickt einer der anderen Ehrenamtlichen aus dem Trödelladen zu, einer Landwirtswitwe aus der Gegend von Nørre Asmindrup namens Else Simonsen. Sie ist in Ordnung, denkt Anne-Maj, beherzt und geradeheraus, wenn auch vielleicht eine Spur naiv. Sie rutscht auf der Bank etwas zur Seite, um der anderen Platz zu machen.
»Wie schön es hier geschmückt ist«, flüstert Else halblaut. »So viele Blumen.«
»Der da ist vom Laden«, sagt Anne-Maj und deutet auf einen Kranz mit weißen Blüten. »Wir müssen jeder hundertfünfzig Kronen bezahlen.«
»So viel?« Else sieht ganz erschrocken aus.
Anne-Maj zuckt mit den Schultern. »Er hat über tausend Kronen gekostet.«
»Ach du meine Güte«, sagt Else. »Wer hat es ausgelegt?«
»Das war ich.«
Else öffnet ihre Tasche, um ihren Geldbeutel herauszuholen und umgehend die Bezahlung zu regeln. Anne-Maj bremst sie, indem sie eine Hand auf ihre legt. »Warte«, sagt sie. »Wir können hier in der Kirche doch nicht mit Geldscheinen herumwedeln.«
»Stimmt, nein.” Else richtet sich auf, die Tasche immer noch auf dem Schoß. »Sie sieht da vorn so klein aus.«
Anne-Maj weiß sofort, wen sie meint. Vorne in der ersten Reihe sitzt Helmers Witwe, Vips, zwischen ihren beiden Söhnen mittleren Alters. Die etwas zu gleichfarbigen dunkelbraunen Locken ihrer Perücke sind leicht wiederzuerkennen, auch wenn sie gerade noch so über der hohen Rückenlehne der Kirchenbank auszumachen sind. Im selben Moment setzt die Orgel ein und ermahnt das Trauergefolge zum Schweigen.
Die eigentliche Feierlichkeit ist schön und würdig, die Rede des Pfarrers persönlicher, als man es häufig erlebt, auch wenn sie von einer gewissen professionellen Distanz geprägt ist. Das ist doch ein Argument dafür, ab und an in die Kirche zu gehen, denkt Anne-Maj: Man bekommt einen ordentlichen Abschied und keine gleichgültige Rede von einem, der den Verstorbenen ausschließlich aus der Beschreibung der Hinterbliebenen kennt. Dass der Pfarrer Helmers Tendenz, zänkisch und verdrießlich zu sein, nicht erwähnt, ist wohl ein Ausdruck von Höflichkeit gegenüber den Hinterbliebenen. Von ihrem Platz in der Kirche kann Anne-Maj sehen, dass die erwachsenen Söhne ein paar Mal die Taschentücher herausholen mussten. Er kann ja so gesehen sehr wohl ein liebender Vater gewesen sein, denkt Anne-Maj, auch wenn ihr diese Vorstellung schwerfällt. In Wirklichkeit kannte sie den Mann nicht besonders gut. Sie hatte nur ein wenig mit ihm und Vips zu tun, nachdem sie vor einem halben Jahr im Trödelladen begonnen hatte, und ihr stärkstes Gefühl gegenüber dem alternden Ehepaar ist Irritation.
Während der Rest des Trauergefolges den letzten Psalm singt – Anne-Maj ist vollkommen unmusikalisch und erspart es ihrer Umgebung immer, dies mit eigenen Ohren zu erleben –, geht sie in Gedanken die Einkäufe durch, die sie auf dem Nachhauseweg erledigen muss. Sie muss zu Irma wegen des guten Akazienhonigs und einem Päckchen frischer Hummerravioli, und dann muss sie auch noch schnell zu Netto wegen Toilettenpapier und anderen eher gängigen Bedarfsartikeln.
Else Simonsen hat ihre Hände immer noch auf der Tasche. Sie ist nicht ganz so rücksichtsvoll wie Anne-Maj und singt die Psalmen so laut und begeistert in einem unschönen Vibrato mit, das die Melodie nur sporadisch trifft – so viel kann selbst jemand Unmusikalisches feststellen; und wenn es nur dadurch geschieht, dass sie die Mimik der Umsitzenden betrachtet, wenn Else besonders laut aufdreht. Im selben Moment fallen Anne-Maj die Stubenküken ein, die sie kürzlich in Irmas Prospekt im Angebot gesehen hat. Vielleicht sollte sie ein paar mitnehmen und in den Gefrierschrank geben. Sie sollte das der Liste hinzufügen, um es nicht zu vergessen, aber man kann während einer Trauerfeier ja keine Einkaufszettel schreiben, muss sie mit einem gewissen Bedauern einsehen.
Endlich ist die Feierlichkeit überstanden; die Kirchenglocken schlagen ihren langsamen, monotonen Begräbnisschlag, während der Sarg hinausgetragen wird. Warten, warten, warten, während der Sarg in dem offenen Leichenwagen liegt und die Familie die langstieligen Rosen hinlegt, die heutzutage anscheinend dazugehören. Zumindest ist das Wetter gut, denkt Anne-Maj und gibt sich Mühe, bei dem Gedanken nicht allzu fröhlich auszusehen. Es ist einer der ersten richtigen Frühlingstage, warm und hell. Die Bäume haben noch nicht ausgeschlagen, aber am Rand des Vorplatzes stehen Haufen von Schneeglöckchen und Krokussen.
Dann schließt der Bestatter die Heckklappe und rollt vom Grund der Kirche. Während sich die Leute vor der Witwe und den Söhnen in einer Schlange anstellen, um zu kondolieren, halten sich Anne-Maj und ein paar andere Ehrenamtliche vom Trödelladen in einer kleinen Schar zurück, während sie darauf warten, dass sie an der Reihe sind: Else Simonsen, die jetzt ihren Beitrag zum Kranz geleistet hat und daher endlich an etwas anderes als ihre Handtasche denken kann, der Frührentner Stanley Hjort mit der gebückten Gestalt und einem ewig entschuldigenden Ausdruck im Gesicht – sowie natürlich Valborg von Schilling. Sie ist die Verwalterin des Ladens, kümmert sich um Dienstpläne und die Finanzen und nimmt etwaige Absagen entgegen. Sie ist es auch, die Betriebsversammlungen einberuft und den Kontakt zum Hauptbüro, zum lokalen Handelsverband und zur Gemeinde hält.
Valborg ist Mitte siebzig, groß und knochig mit einer gebogenen aristokratischen Nase. Immer in tadellosen und frisch gebügelten Kostümen. Ansonsten ist es unter den Ehrenamtlichen üblich, dass man in gebrauchten Klamotten aus dem Sortiment des Ladens geht, abgesehen von Unterwäsche und Strümpfen. Alle bezahlen natürlich für das, was man nimmt, aber die Preise sind niedrig, und die Kleidung ist immer sauber. Dass sie häufig etwas veraltet im Schnitt und an den Nähten etwas aufgegangen ist, stört keinen von ihnen – abgesehen von Valborg, die nicht sehr dafür zu haben ist, in anderer Leute abgelegter Kleidung zu gehen.
»Wo ist der Rest?«, fragt Else jetzt.
»Kylle besucht ihre Schwester in Nakskov, und Lis konnte nicht kommen«, antwortet Valborg. »Sie hat keinen Grund genannt.« Ein ernster Blick in die Runde, bis sie überzeugt davon ist, dass alle verstanden haben, wie unpassend es ist, eine Abwesenheit nicht zu begründen. »Ruth musste sich auch für die Feierlichkeit selbst entschuldigen, versucht aber, den Leichenschmaus zu schaffen. Sie hatte heute Vormittag einen Arzttermin.«
Niemand antwortet. Man nickt bloß. Im selben Moment kommt Ruth Møllegaard um die Ecke geschossen und schließt sich der kleinen Schar an. »Das habe ich ja gerade noch geschafft«, sagt sie außer Atem.
»Wenn man von der Sonne spricht«, sagt Anne-Maj.
»Ich bin tatsächlich früher drangekommen. Damit ist man beim Augenarzt ja nicht verwöhnt. Es sind dort immer so viele.« Als niemand die Frage stellt, die sie offensichtlich erwartet, fährt Ruth unaufgefordert fort: »Zum Glück war nichts, sagte er, abgesehen von ein wenig grauem Star. Doch den haben wir ja alle miteinander in unserem Alter, nicht wahr?«
Die anderen wechseln unruhig die Stellung. Es ist nicht schön, an den eigenen physischen Verfall erinnert zu werden. Und schon gar nicht bei einer Beisetzung.
Else räuspert sich. »Wir müssen wohl auch über die Zukunft sprechen«, sagt sie.
»Die Zukunft?«, fragt Valborg.
»Ja, was machen wir mit der Buchabteilung, jetzt wo Helmer von uns gegangen ist?«
Anne-Maj erstarrt. »Was meinst du damit?«, fragt sie. »Was wir machen?«
»Ja, jemand muss ja Helmers Verantwortungsbereich übernehmen«, fährt Else fort. »Ich übernehme gerne die Arbeit mit den Büchern, wenn jemand anderes das Bügeln und Ausbessern organisiert. Ich bin natürlich behilflich, wenn viel zu tun ist, aber ...«
Ein Eingreifen ist zwingend erforderlich. Und zwar jetzt. Wenn sie es nicht tut, hat Else den Job, ehe man sich’s versieht. »Wird dir das nicht zu viel, Liebes?«, sagt Anne-Maj mit ihrer freundlichsten Stimme. »Mit den Büchern ist ja so einiges zu schleppen, und du hast doch so einen kaputten Rücken.«
»Das geht schon.« Else blickt auf den einzigen Mann der Gesellschaft. »Stanley hat versprochen zu helfen. Nicht wahr, Stanley?«
Also haben sie, Stanley und Else, bereits darüber gesprochen. Ist Valborg auch eingeweiht? Anne-Maj blickt verstohlen zu ihr, aber das lange aristokratische Gesicht ist ganz neutral. Wenn Else auch sie schon für sich eingenommen hat, ist der Kampf schon im Voraus verloren.
»Das ist aber lieb von dir, Stanley.« Anne-Maj lächelt dem hirngeschädigten Mann mütterlich zu, dessen flackernder Blick jetzt einen tief bekümmerten Ausdruck bekommen hat. Er ist offensichtlich nervös, weil er in einen Konflikt geraten ist, den er nicht versteht. Anne-Maj fährt fort: »Aber du hast doch schon so viele andere Verpflichtungen.« Er antwortet immer noch nicht, also wendet sie sich an Valborg. »Es wäre doch dumm, Stanley damit zu belästigen, wenn andere die Arbeit mit Leichtigkeit ohne seine Hilfe bewältigen können. Hab’ ich nicht Recht?«
»Und das wärst dann du?« Elses Stimme ist nach wie vor höflich, doch ihre Wangen werden gefährlich rot. »Du, die am kürzesten im Laden ist?«
»Warum sollte das eine Rolle spielen, wie lange ...«
»Schluss jetzt.« Valborgs Stimme setzt der Diskussion ein Ende. »Dies hier ist weder der Zeitpunkt noch der Ort für diese Diskussion.«
»Nein.« Anne-Maj sieht weg.
Ihre Rivalin murmelt etwas, das niemand sonst hören kann. All das, was Anne-Maj ansonsten an Else mag – ihre Willensstärke, ihre Entschlossenheit, ihre Energie –, wirkt jetzt direkt alarmierend. Anne-Maj benötigt all ihre Gewitztheit, wenn sich ihr Wunsch erfüllen soll.
»Wir halten am Donnerstag eine Betriebsversammlung ab«, fährt Valborg fort und lässt ihren gebieterischen Blick wieder über das kleine Grüppchen von Menschen gleiten. »Nach Ladenschluss. Ich hoffe, ihr könnt alle kommen.«
»Ich mache eine Ankündigung in der Gruppe«, sagt Ruth. Der wichtigste Teil der Kommunikation zwischen den Ehrenamtlichen im Trödelladen erfolgt über die Facebook-Gruppe, die Ruth mit gebieterischer Hand steuert. Wenn umfassendere Informationen veröffentlicht werden sollen, wie die Suche nach neuen Ehrenamtlichen oder Sonderangebote an die Stammkunden des Ladens, stellt sie diese in die Lokalgruppe der Stadt. »Und du, Else, kennst den Termin jetzt schon.« Sie blickt auf die kleine rotwangige Frau, die wie auch Vips keinen Computer verwendet und daher immer telefonisch informiert werden muss.
Valborg marschiert hinüber zu Vips und ihren Söhnen, denen jetzt alle anderen schon ihr Beileid ausgedrückt haben. Der Rest von ihnen folgt schweigend. Anne-Maj kann Elses Blick spüren. Die arme Frau hat keine Ahnung, mit welch starken Kräften sie es zu tun hat. Anne-Maj fällt im selben Moment etwas ein. Sie holt ihren Einkaufszettel und einen Kugelschreiber aus der Tasche und fügt hinzu: »Stubenküken, Irma.«
Donnerstag, 21. März
Die glühend heiße Masse aus Kokos, Puderzucker, Butter und einem Schuss Milch gleitet aus dem Topf und legt sich als weiche, flüssige Schicht auf den fast fertig gebackenen Kuchenboden. Anne-Maj glättet mit dem Teigschaber nach, damit sich die braune Füllung gleichmäßig bis in die Ecken verteilt. Dann stellt sie die Backform wieder in den Ofen, der inzwischen eine höhere Temperatur erreicht hat. Danach stellt sie den Kurzzeitwecker und räumt die Küche auf; befüllt die Spülmaschine, spült den Topf sorgfältig mit der Hand, wischt alle Arbeitsplatten und den Herd mit einem sauberen, feuchten Lappen ab und ... »Nein, Mortensen«, sagt sie, als der Hund versucht, ins lecker duftende Innere der Spülmaschine zu kriechen. Sie schiebt das Tier zur Seite und macht die Klappe zu ... Pling! Das war das Signal, dass die nötigen fünf Minuten um sind. Anne-Maj nimmt den fertigen Traumkuchen aus dem Ofen, stellt ihn zum Abkühlen hin und geht ins Wohnzimmer.
»Wie geht es?«, fragt sie.
Didi sitzt am Esstisch und macht Hausaufgaben. Im Augenblick einen englischen Aufsatz über »A pet I love«. Sie hat sich (natürlich) dafür entschieden, über Mortensen zu schreiben, und ganz oben auf die Seite hat sie ein recht gelungenes Porträt des Hundes ihrer Großmutter gezeichnet.
»Ich bin fertig.« Sie richtet sich auf. »Willst du mal sehen?«
Anne-Maj greift nach dem Schulheft und setzt sich mit dem Aufsatz auf das Sofa. I love a dog cald Mortensen, so lautet die Überschrift. Der kurze Text ist inhaltlich richtig schön, aber voll von Rechtschreibfehlern. Dafür weiß Didi, dass ein Dackel Dachshund heißt, auch wenn sie es »dakeshund« schreibt, und ihr ist klar, dass die Hundeleine leash genannt wird – »lish«, schreibt sie. Der englische Wortvorrat des Kindes ist beeindruckend, wenn man in Betracht zieht, dass sie erst zehn Jahre alt ist. Oder vielleicht ist es gerade aufgrund des Alters, denkt Anne-Maj. Kinder und Jugendliche sind heutzutage ja gemästet mit englischsprachigen Fernsehserien und YouTube-Videos, und sie haben Englisch ab der ersten Klasse. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie die Sprache sehr früh beherrschen. Am meisten hapert es offensichtlich an der Rechtschreibung.
»Deine Geschichte ist richtig toll«, sagt sie laut. »Es wäre wohl eine gute Idee, hier und da ein paar Punkte einzufügen, damit man sehen kann, wie die Sätze zusammenhängen – beziehungsweise es nicht tun.«
Didi sieht sie verständnislos an. In ihrer Generation gelten Punkte und große Anfangsbuchstaben als überflüssig; Kommas und Fragezeichen werden als noch irrelevanter betrachtet, und alle anderen Zeichen sind in der Praxis nicht existent. Sie zuckt mit den Schultern.
Anne-Maj zeigt ihr, wie der Text mit bloß vier Punkten an den richtigen Stellen sofort verständlicher wird, doch die Rechtschreibfehler lässt sie unkorrigiert stehen. Darum muss sich die Englischlehrerin kümmern. Stattdessen lobt sie Didis Wortschatz, und das Kind strahlt mit einem breiten Lächeln. Sie ist so hübsch, denkt Anne-Maj. Massenhaft dickes blondes Haar in einem langen Zopf am Rücken, haselnussbraune Augen, massenhaft klitzekleine dunkelbraune Sommersprossen, sogar zu dieser Jahreszeit. Natürlich ist sie zu dünn, aber das lässt sich ja wohl ändern.