Todesakt - Robert Ellis - E-Book
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Todesakt E-Book

Robert Ellis

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Beschreibung

Der Tod lauert im Herzen von Hollywood: Der fesselnde Thriller »Todesakt« von Robert Ellis jetzt als eBook bei dotbooks. Als Lena Gamble, Ermittlerin des Los Angeles Police Department, nachts zu einem Tatort gerufen wird, erwartet sie ein grausames Blutbad. Im angesagtesten Nachtclub der Stadt liegt die Leiche eines Mannes – brutal hingerichtet durch zwei Kopfschüsse: Jacob Gant, der wohl verhassteste Mann von L.A., seit er in einem Medienspektakel beschuldigt wurde, eine junge Frau vergewaltigt und ermordet zu haben. Handelt es sich hier um einen Racheakt – oder verbirgt sich dahinter etwas ganz anderes? Lena bittet den bisher in diesem Fall ermittelnden Detective um Hilfe – doch der hüllt sich in kaltes Schweigen. Und während sie auf der Suche nach der Wahrheit immer tiefer in den Fall hineingesogen wird, klingelt plötzlich ihr Telefon – denn der Killer hat seinerseits die Jagd auf sie eröffnet! »Fesselnd und unheimlich!« New York Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Thriller »Todesakt« von Robert Ellis aus der L.A.P.D.-Serie »Lena Gamble ermittelt« – jedes Buch der Serie kann unabhängig gelesen werden. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 428

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Über dieses Buch:

Als Lena Gamble, Ermittlerin des Los Angeles Police Department, nachts zu einem Tatort gerufen wird, erwartet sie ein grausames Blutbad. Im angesagtesten Nachtclub der Stadt liegt die Leiche eines Mannes – brutal hingerichtet durch zwei Kopfschüsse: Jacob Gant, der wohl verhassteste Mann von L.A., seit er in einem Medienspektakel beschuldigt wurde, eine junge Frau vergewaltigt und ermordet zu haben. Handelt es sich hier um einen Racheakt – oder verbirgt sich dahinter etwas ganz anderes? Lena bittet den bisher in diesem Fall ermittelnden Detective um Hilfe – doch der hüllt sich in kaltes Schweigen. Und während sie auf der Suche nach der Wahrheit immer tiefer in den Fall hineingesogen wird, klingelt plötzlich ihr Telefon – denn der Killer hat seinerseits die Jagd auf sie eröffnet!

»Fesselnd und unheimlich!« New York Times

Über den Autor:

Robert Ellis wurde in Philadelphia, USA, geboren. Ellis hat als Autor, Regisseur und Produzent in der Werbe- als auch Filmindustrie gearbeitet. Er ist der mehrfach preisgekrönte Autor zahlreicher Spannungsromane, die in 10 Sprachen übersetzt wurden.

Bei dotbooks veröffentliche Robert Ellis die drei Teile seiner Lena-Gamble-Thriller-Serie: »Todesqual«, »Leichengift« und »Todesakt«.

***

eBook-Neuausgabe November 2021

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2011 unter dem Originaltitel »Murder Season« bei St. Martin’s Minotaur, New York.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2011 by Robert Ellis

Published by arrangement with St. Martin’s Publishing Group. All rights reserved.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2013 Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/zhu difeng, Lysenko Andrii

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-96655-912-6

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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blog.dotbooks.de/

Robert Ellis

Todesakt

Ein L.A.P.D.-Thriller

Aus dem Amerikanischen von Karin Dufner

dotbooks.

Dieses Buch ist zwei Freunden gewidmet:

Joe Drabyak und John Truby.

Irgendwo muss es einen Faden geben, der sich

über das gesamte Universum spannt.

Eine gottverdammte Rettungsweste,

die meine abgewrackte Seele

aus diesem Drecksloch ans Licht zerrt.

Jimmy the Dime, Straßendichter,

Santa Monica, Kalifornien

Kapitel 1

Sie nahm den Geruch wahr, als sie das Kissen näher zu sich heranzog. In den Laken, als sie sich in der Dunkelheit herumrollte und vergebens nach einer kühlen Stelle tastete.

Mordsaison.

Sie schwebte und ließ sich treiben. Trudelte in einem schwammigen Zwischenraum zwischen Schlaf und Bewusstsein.

Sie warf einen Blick auf den Radiowecker, konnte aber nicht wirklich etwas erkennen, sank wieder zurück in den Sog und wurde weitergetragen. Es war bereits nach Mitternacht, irgendwann vor Morgengrauen. Obwohl es erst Frühling war, war die Luft im Haus stickig von der drückenden Hitze. Vor zwei Tagen war eine übermächtige, alles erstickende Hitzewelle aus der Wüste über Los Angeles hereingebrochen und hatte die Meeresluft und die kühle Brise unwiederbringlich auf den Ozean hinausgetrieben, wo sie auf Nimmerwiedersehen verschwanden.

Die in ihrem Kielwasser zurückbleibende Stadt war so staubig und beklemmend wie das Innere einer Konservendose. Vakuumverpackt, die Luft von Benzin- und Dieselabgasen geschwängert.

Die Mordsaison fing in diesem Jahr früher als gewöhnlich an und walzte zusammen mit der Hitzewelle heran, als seien sie die besten Freunde. Bettgefährten.

Vorsichtig tastete sie nach einem warmen Körper, aber die andere Bettseite war leer. Es blieben ihr nur ihre Träume. Ein Lächeln stieg langsam in ihrem Körper auf. Es war das Lächeln, das ihre Träume begleitete. Sie spürte es in ihrer Brust und zwischen ihren Beinen und auch, wie es sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, bis ihre Haut brannte und es sich in die Luft erhob und auflöste.

Sie hatte den Abend auf der Terrasse verbracht und mit Stan Rhodes und Tito Sanchez eiskaltes irisches Bier getrunken. Sanchez hatte ein Hüftsteak mitgebracht, das Fleisch mariniert und den Grill mit Mesquite-Holz angefacht, wie seine Großmutter es ihm beigebracht hatte. Nach dem Essen saßen sie auf der Steinmauer und blickten den Hügel hinunter, wo sich die Lichter der Stadt im Staub fingen und sich, strahlend wie beleuchtete Wattebäusche, vom Zentrum über die Bucht bis auf den Pazifik hinaus erstreckten. Sie hatten gelacht, sich in der gespenstischen Dämmerung Geschichten erzählt, weitere Flaschen geöffnet und gefachsimpelt. Rhodes und Sanchez ermittelten gerade in einem neuen Mordfall und hatten eine Achtundvierzig-Stunden-Schicht hinter sich. Beide Detectives brauchten Abstand und eine Mütze voll Schlaf. Lena hingegen hatte am nächsten Tag frei und konnte es sich leisten, auszuspannen und sich vielleicht sogar einen kleinen Schwips anzutrinken. Nachdem ihre Kollegen gegen zehn gegangen waren, hatte sie die letzte Bierflasche geöffnet, sich ausgezogen und war in den Pool gestiegen.

Mordsaison. Der Ärger war vorprogrammiert. Wenn es heiß wurde in den Straßen, kochten auch die Gemüter hoch.

Lena drehte sich auf den Rücken, während ihr Verstand im Zickzackkurs aus der Benommenheit auftauchte. Irgendwo im Haus war ein Geräusch zu hören – in der Tiefe ihres Bewusstseins. Es hallte durch die Stille. Lena versuchte so zu tun, als bilde sie sich das alles nur ein, bis sie sich nach einer Weile fragte, ob der Radau, der sie aus dem Schlaf riss, nicht nur Teil ihres Traums war.

Im nächsten Moment wurde ihr schlagartig klar, dass ihr Mobiltelefon läutete.

Als sie die Augen aufriss, stellte sie fest, dass das Display leuchtete. Sie griff nach dem Telefon, erkannte den Anrufer und entsperrte den Touchscreen. Es war ihr Vorgesetzter, Lieutenant Frank Barrera von der Mordkommission. Was er um diese Zeit von ihr wollte, konnte sie sich schon denken. Sie warf einen Blick auf die Uhr: 2:54.

Die Mordsaison näherte sich unaufhaltsam.

»Alles in Ordnung, Lena?«, fragte er. »Mir ist klar, dass heute Ihr freier Tag ist. Ist alles okay bei Ihnen?«

»Alles bestens. Was ist los? Was ist denn das im Hintergrund für ein Krach?«

Sie drehte sich um und schaute aus dem Fenster – sie hörte von draußen und durchs Telefon Sirenen. Sie kombinierte: Barrera war ganz in der Nähe, offenbar sogar in ihrem Viertel. Wenn sie den Hals reckte und den Hügel hinunterspähte, glaubte sie, blinkende Lichter auszumachen. Irgendwo westlich des Capitol Records Building tat sich etwas.

»Wir stecken ordentlich in der Scheiße, Lena. So richtig bis über beide Ohren.«

Seine Stimme erstarb. Barrera, sonst die Gelassenheit in Person, klang richtiggehend verängstigt.

»Was soll ich tun?«, fragte sie.

»Wir haben zwei Tote in Hollywood. Mehr kann ich am Telefon nicht sagen.

Er brach ab, als müsse er Luft holen. In Los Angeles wurden die meisten Morde von Ermittlern vor Ort bearbeitet. Wenn die Mordkommission eingeschaltet wurde, hatte man es entweder mit einem prominenten Opfer oder mit einem besonders grausigen Verbrechen zu tun. Und dass man einen Detective von der Mordkommission aus dem Bett holte, während der Tatort noch untersucht wurde, verhieß nichts Gutes, sondern ließ eher auf eine unglückselige Verknüpfung von beidem schließen.

Als Lena Licht machte, spürte sie, wie ein Adrenalinstoß die letzten Überreste des Alkohols in ihrem Organismus tilgte. Da sie noch immer keinen Partner hatte, musste sie bis zum Herbst allein arbeiten.

»Warum ich?«, erkundigte sie sich.

»Befehl vom stellvertretenden Polizeichef Ramsey. Sie erfahren mehr, sobald Sie hier sind.«

Ramsey gehörte zu den wenigen Mitgliedern der alten Garde, die der Umstrukturierung der Behörde getrotzt hatten. Er war nur Polizeichef Logan rechenschaftspflichtig und inzwischen sein Vertrauensmann und seine rechte Hand. Derjenige, der für ihn die Kastanien aus dem Feuer holte. Wie Lena wusste, befand sich Logan auf einer zehntägigen Dienstreise, um Nachwuchskräfte für die kriminaltechnische Abteilung SID anzuwerben. Dank des Erfolgs der Fernsehserie CSI wurde die Schlange der Studenten, die in diesen Beruf einsteigen wollten, immer länger. Und da Logan nicht nur ein ausgesprochen großzügiges Gehalt, sondern auch einen Wohnsitz in L. A. im Angebot hatte, hatte er freie Auswahl unter den Klügsten und Besten. Die Abteilung hatte in letzter Zeit eine Schlappe einstecken müssen und brauchte dringend frisches Blut.

»Wohin?«, fragte Lena.

»Kennen Sie ein Lokal in Hollywood mit dem Namen Club 3 AM?«

Lena warf einen Blick auf ihre .45er, die auf dem Nachttisch lag. Obwohl Barrera ihr die Adresse gab, konnte sie sich die Mühe sparen, sie zu notieren. Jeder in L. A. kannte den Club 3 AM, inzwischen der beliebteste Treffpunkt der Schönen und Reichen. Ein privater Nachtclub, ausschließlich für A-Promis.

»Wen hat es denn erwischt?«, fragte sie.

»Am Telefon geht das nicht, Lena. Kommen Sie her, so schnell Sie können.«

Barrera beendete das Telefonat. Lena ließ ihr Mobiltelefon sinken.

Mordsaison. In diesem Jahr fing sie wirklich früh an.

Kapitel 2

Eine Viertelstunde später hatte Lena geduscht und sich angezogen und brauste den Hügel hinunter. Als sie die gerade Strecke an der Gower Street erreicht hatte, raste sie am Monastery of the Angels vorbei und trat das Gaspedal durch. Ihrer Schätzung nach würde sie in knapp vier Minuten vor Ort sein. Lena fuhr einen metallicgrünen Crown Victoria mit getönten Scheiben, der unmissverständlich nach einem Polizeiwagen aussah. Es war ihr Dienstwagen, der jetzt jeglichen Luftstrom verdrängend über die Straße schlingerte. Allerdings dachte Lena im Moment weder an ihren fahrbaren Untersatz noch daran, dass ihr Honda vor kurzem seinen Geist aufgegeben hatte, weshalb trotz ihrer angespannten Finanzlage ein neues Auto hermusste. Denn sie wurde den Klang von Barreras zitternder Stimme nicht los.

Die Straßen waren leer. Als Lena an der Franklin Avenue eine rote Ampel überfuhr, verursachte der V8-Motor einen Rückstoß wie bei einer Schrotflinte. In Gedanken war sie beim Club 3 AM. Und bei dem Mann, der die treibende Kraft hinter dem Unternehmen war und dem ein gewisser Ruf vorauseilte, zum Beispiel: Er mischte überall mit.

Johnny Bosco.

An der Yucca Street bog Lena rechts ab. Als sie die Ivar Street überquerte und in raschem Tempo um die Kurve bog, erkannte sie in der Ferne den Nachtclub und ging vom Gas. Der Club 3 AM lag zwischen der Yucca Street und der Grace Avenue und erinnerte eher an eine zweistöckige mediterrane Villa als an ein Nachtlokal. Beim Näherkommen fiel Lena die hohe Mauer rings um das Gebäude auf. Vermutlich war die Vorderseite des Gebäudes nur eine Attrappe, und es gab einen Hintereingang, sodass Hollywoods Oberpromis unbemerkt ein und aus gehen konnten. Nachdem sie an einem rechts parkenden weißen Transporter vorbeigefahren war, hatte sie eine bessere Sicht. Zehn schwarzweiße Streifenwagen blockierten die Straße. Als Lena eine Lücke in der Barrikade suchte, bemerkte sie einen Polizisten, der ihr mit einem Klemmbrett zuwinkte. Noch während sie langsam über die Kreuzung rollte, wurde die Nacht auf einen Schlag taghell, und grellweiße Lichtexplosionen bombardierten ihr Auto.

Lena zuckte zusammen. Sie drehte sich um und stellte fest, dass sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Reportermeute drängte. Hunderte von Kameras veranstalteten ein nicht enden wollendes Blitzgewitter. Offenbar hatten die Paparazzi Blut gewittert: zwei Leichen in Hollywood. Sie schoben sich schreiend zu den Absperrbändern vor und beschimpften die uniformierten Polizisten, die sie in Schach zu halten versuchten.

Lena ließ das Autofenster herunter und kniff die Augen zusammen, als das Scheinwerferlicht, nicht mehr gedämpft von den getönten Scheiben, gleißend hell wie ein Blitzschlag ins Wageninnere eindrang. Nachdem der Polizist Lena auf seiner Liste eingetragen hatte, wies er auf die mit einem Tor gesicherte Auffahrt, wobei er sich schützend die Hand vor Augen hielt.

»Der Laden ist verkehrtrum!«, rief er. »Hinten ist vorne.«

Auf seinem Gesicht war nicht die Spur eines Lächelns zu sehen, und er verkniff sich eine Bemerkung zu dem Tohuwabohu. Lena fühlte sich von seinem Augenausdruck an Barreras ängstlichen Tonfall erinnert. Der Mann machte Platz, bevor sie ihm noch eine Frage stellen konnte, griff nach seinem Funkgerät und winkte sie durch. Lena erwiderte die Geste. Dann lenkte sie ihren Crown Vic die Auffahrt entlang außer Sichtweite der Paparazzi, die sich weiter die Hälse verrenkten.

Lena stieg aus und verriegelte die Türen. Als sie den Blick über den von Palmen gesäumten Parkplatz schweifen ließ, fielen ihr die vielen Polizeifahrzeuge am Tatort auf. Der schwarze Lincoln, der mit laufendem Motor in der Dunkelheit stand, wies darauf hin, dass der stellvertretende Polizeichef Ramsey bereits eingetroffen war. Lena warf einen Blick auf den Transporter des SID, wo einige Kriminaltechniker ihre Tatortkoffer bestückten. Dann sah sie sich noch einmal rasch auf dem Parkplatz um.

Etwas fehlte, und zwar das, womit sie eigentlich fest gerechnet hatte.

Kein einziger Ferrari oder Lamborghini war zu sehen, ebenso wenig die Besitzer der Luxuskarossen, also mögliche Zeugen. Da es im Club 3 AM keine Sperrstunde gab, hatten die Stars allem Anschein nach die Flucht ergriffen, ehe jemand die Polizei verständigt hatte. Das Revier von Hollywood befand sich nur wenige Straßen südlich von hier. Also waren die ersten Kollegen sicher schon wenige Minuten später eingetroffen und hätten es niemals jemandem erlaubt, sich vom Tatort zu entfernen. Die Mordkommission von Hollywood war gewiss kurz darauf hier gewesen.

»Hier entlang, Lena, schnell.«

Als sie sich umdrehte, erblickte sie ihren Vorgesetzten auf einer verschnörkelten Treppe, die rings um einen Brunnen verlief. Barrera winkte sie zur Veranda und zum Haupteingang hinauf. Lena hastete nach oben zur Tür. Als sie im Lichtschein einen Blick auf sein Gesicht erhaschte, erschreckte sie seine besorgte Miene.

»Was ist passiert, Frank? Wer ist gestorben?«

Er schaute ihr nicht in die Augen.

»Nicht hier«, erwiderte er. »Folgen Sie mir.«

Barrera wandte sich ab und ging voraus durch das Foyer. Als sie die Bar passierten, bemerkte Lena an den Tischen einige Detectives von der Mordkommission. Manche sprachen in ihre Mobiltelefone, andere schienen Bereitschaftsdienst zu haben. Sie hatten Styroporbecher mit Kaffee in der Hand, sahen Lena bedrückt an und begrüßten sie mit einem knappen Nicken. Hinter ihnen bemerkte sie Dante Escabar, Johnny Boscos Geschäftspartner. Er stand allein hinter dem Tresen und schenkte sich ein Glas Bourbon ein, als hätte er es bitter nötig.

Lena wandte sich wieder zu Barrera um. Während sie ihm den Flur hinunter folgte, dachte sie über die Szene nach.

»Wie viele Leute sind heute denn hier?«

»Alle«, antwortete er.

Barrera wurde schneller und marschierte die Haupttreppe hinauf. Lena hatte keine Zeit, Einzelheiten wahrzunehmen. Sie stellte nur fest, dass der Nachtclub Eleganz verströmte und nichts mit einem öffentlichen Vergnügungsort gemeinsam hatte. Die mediterrane Villa hatte hohe, mit kunstvollem Stuck verzierte Decken und war offenbar rings um einen großen Hof mit Swimmingpool erbaut. Das Licht brach sich im Wasser, strömte durch die Fenster herein und tauchte die Treppe in einen blauen Schein.

Schließlich hatten sie die oberste Etage erreicht. Sie kamen an einigen offenen Türen vorbei, Privaträume mit gut bestückten Bars. Terrassentüren führten auf zurückgesetzte Balkone, die vom Parkplatz aus nicht auszumachen waren. Hinter dem Ende einer Kurve lagen private Suiten mit Schlafzimmern.

Hier spielt sich bestimmt so einiges ab, dachte Lena. Johnny Bosco sorgte dafür, dass seine prominenten Gäste sich wie zu Hause fühlten, und erfuhr dabei ihre Geheimnisse.

Nach der letzten Biegung am Ende des Flurs traten sie durch eine Glastür in ein Büro. Die Balkontüren standen offen. Barrera forderte Lena auf zu warten und ging hinaus in die Dunkelheit. Fünf oder sechs schemenhafte Gestalten waren zu erkennen, die allerdings so leise sprachen, dass Lena nichts verstand. Allmählich wurde sie ungeduldig. Für gewöhnlich hatte ein Ermittler nur eine einzige Gelegenheit, einen Tatort richtig in Augenschein zu nehmen. Und dieser Tatort wirkte auf sie, als solle hier etwas beschönigt, ja, sogar vertuscht werden. Wo waren die Leichen? Warum war die gesamte Armee zusammengetrommelt worden, die nur tatenlos herumstand? Und weshalb hatte man sie nicht als Erste verständigt, sondern offensichtlich als Letzte – obwohl es doch angeblich ihr Fall war?

Sie versuchte, sich nicht den Kopf zu zerbrechen, und schaute sich im Zimmer um. Mit Jalousien ausgestattete Fenster gaben die Sicht auf die Bar und die Speiseräume in der Etage darunter frei. Was mit bloßem Auge nicht wahrzunehmen war, wurde von Überwachungskameras aufgezeichnet, die Verbindung zu einem hauchdünnen Flachbildschirm über dem Kaminsims hatten. Lena betrachtete Sofa und Sitzecke und trat hinter den Schreibtisch, um die Wände besser begutachten zu können. Die geschnitzte Holzvertäfelung ahmte den Faltenwurf der Vorhänge nach. Lena hatte so etwas noch nie gesehen und konnte sich nicht vorstellen, wie man es bewerkstelligte oder wie viel es wohl gekostet haben mochte. Offenbar war es Boscos und nicht Dante Escabars Büro. Die zahlreichen Fotos an der Wand, die Bosco Arm in Arm mit seinen berühmten Gästen zeigten, bestätigten diese Vermutung. Oscarpreisträger, hochdekorierte Sportler und einer der wenigen kalifornischen Senatoren, der vier Legislaturperioden ohne Amtsenthebungsverfahren durchgestanden hatte. Als Lenas Blick an einem Foto von Bosco mit Oberstaatsanwalt Jimmy J. Higgins hängen blieb, bekam sie ein beklommenes Gefühl in der Brust.

Sie wusste, dass Bosco und Higgins Freunde waren, und kannte das Foto sogar, denn die Los Angeles Times hatte es erst vor wenigen Wochen abgedruckt.

Zwei Tote in Hollywood. Zwei einflussreiche Persönlichkeiten, die alle Ressourcen mobilisiert hatten. Alle Mann an Deck.

Lena bemerkte, dass ihre Finger zitterten. Im nächsten Moment kam jemand hinter ihr vom Balkon ins Zimmer. Sie drehte sich um.

Kapitel 3

Der stellvertretende Polizeichef Albert Ramsey umrundete Johnny Boscos Schreibtisch und fixierte Lena dabei mit seinen stahlblauen Augen. Ramsey war ein hochgewachsener, unnahbarer Mann mit kahl rasiertem Schädel, kantigem Kiefer und einer blassen, fleckigen Haut, vermutlich weil er so viele Stunden damit zugebracht hatte, die Karriereleiter zu erklimmen. Seine Art hatte etwas Einschüchterndes, was an seinen funkelnden Augen liegen mochte und daran, dass er nicht viele Worte machte. Ramsey hatte über fünfunddreißig Jahre bei einer Polizeibehörde überlebt, die häufig kurz davor gestanden hatte, im politischen Intrigensumpf zu versinken, und wusste deshalb, wo er suchen musste. Wenn er einen Raum betrat, merkten alle auf, denn er war ebenso schwer zu übersehen wie Kapitän Ahab aus Moby Dick. Heute jedoch war es anders. Der stellvertretende Polizeichef wirkte eher wie ein Preisboxer, der einen rechten Haken abbekommen hatte. Obwohl er sich mit Müh und Not auf den Beinen hielt, wirkte er so benommen, als würde er jeden Moment umkippen.

»Danke, dass Sie so schnell kommen konnten«, begann er mit leiser, belegter Stimme. »Detective Sanchez und Rhodes sind unterwegs. Aber wir haben eine Entscheidung gefällt, Gamble. Das hier ist Ihr Fall. Also liegt die Entscheidung, was jetzt passiert, bei Ihnen. Ab heute Nacht sind Sie auf sich allein gestellt.«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, steuerte er schnurstracks auf die Flügeltür neben dem Kamin zu. Barrera war Ramsey ins Zimmer gefolgt, wich jedoch Lenas Blick weiterhin aus. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass die anderen sich zu ihnen gesellten, doch sie standen tuschelnd in der Dunkelheit auf dem Balkon.

Ramsey versetzte der Tür einen heftigen Stoß. Als sie erneut einen Flur betraten, hatte Lena das Gefühl, sich der Ziellinie zu nähern. Sie durchquerten eine Suite, die größer war als die anderen – es musste die von Bosco sein. Durch ein Ankleidezimmer kamen sie in ein großes, mit einem Massagetisch, einer offenen Dusche und einem Whirlpool ausgestattetes Bad.

Rasch wanderten Lenas Augen über den Fliesenboden: Volltreffer – die Mordopfer. Sie betrachtete die gewaltige Blutlache auf dem Boden und tastete unwillkürlich in ihrer Hosentasche nach einem Paar Vinylhandschuhe.

Die beiden Toten waren männlich. Einer lag zusammengekrümmt da, der andere war blutverschmiert und lehnte an der Wand.

Ramsey ließ Lena nicht aus den Augen.

»Alles ist so, wie wir es vorgefunden haben, Detective. Soweit wir informiert sind, hat niemand etwas angefasst.«

Soweit wir informiert sind …

Lena holte tief Luft und atmete kräftig aus, als hätte sie Rauch inhaliert. Neben dem Whirlpool standen die Fenster offen. Ein Häufchen Kokain – mindestens zehn Riesen wert – auf einer Marmorplatte und daneben die übliche Rasierklinge. Der Tote im seidenen Anzug war in den Rücken geschossen worden. Dicht unterhalb seiner linken Schulter breitete sich ein Blutfleck auf dem Sakko aus. Lena machte einen Schritt über die Blutlache hinweg, um das Gesicht des Mannes zu betrachten. Er war etwa fünfundvierzig und breitschultrig und hatte kurzes braunes Haar und ein markantes Kinn. Bis vor wenigen Stunden hatte er sicherlich als attraktiv gegolten. Nun war ein Auge geöffnet, die überkronten Zähne standen hervor, und Lena konnte weißes Pulver in seinen geblähten Nasenlöchern erkennen.

Es bestand kein Zweifel: Johnny Bosco war noch vor dem Kick gestorben und hatte den Sensenmann nicht kommen sehen. Die Kugel im Rücken – die finale Überraschung – hatte ihn völlig unerwartet erwischt.

Rasch musterte Lena den zweiten Toten, um auf Nummer sicher zu gehen. Der Oberstaatsanwalt war ein kräftig gebauter Mann von Mitte fünfzig mit einer silbergrauen Föhnwelle. Der Tote mit dem blutigen Gesicht an der Wand trug hingegen Jeans und ein T-Shirt und war um einiges schlanker und jünger. Schätzungsweise Ende zwanzig, Anfang dreißig. Oberstaatsanwalt Jimmy J. Higgins mochte heute Nacht mit Johnny Bosco einen prominenten Freund verloren haben, doch er selbst erfreute sich offenbar bester Gesundheit und war irgendwo in der Stadt unterwegs.

Ein wenig erleichtert, wandte sie sich an Barrera und Ramsey. Doch die beiden Männer verharrten in der Tür und musterten sie, als ob es nicht den geringsten Grund gäbe, erleichtert zu sein. Nicht heute Nacht. Nicht an diesem Tatort.

»Wer ist Leiche Nummer zwei?«, fragte Lena. »Ein Schauspieler? Ein Dealer? Ein Promi-Söhnchen?«

Ramseys scharfer Blick wurde unsicher, als er sich auf die Leiche richtete. Dass er ihr die Antwort schuldig blieb, gab Lena zu denken. Warum war sie als Letzte verständigt worden? Weshalb das bedrückende Schweigen? Sie fühlte sich wie eine Schachfigur, ein Versuchskaninchen. Die beiden trieben ein Spielchen mit ihr, obwohl alle wussten, dass es bei Mordermittlungen vor allem auf Schnelligkeit ankam.

Allerdings lief da offenbar etwas hinter den Kulissen. Etwas Außerplanmäßiges.

Johnny Bosco war in dieser Stadt ein Strippenzieher gewesen. Die Times berichtete sicher auf der Titelseite über seine Ermordung. Und seine Freundschaft mit dem Oberstaatsanwalt und der Haufen Schnee im Badezimmer sorgten dafür, dass der Artikel ganz vorne erschien und die Sache für alle verkomplizierte. Allerdings war Higgins ohnehin bereits angezählt, insbesondere in den Augen der Polizei von Los Angeles. Wenn man der Times glauben konnte, stand seine Wiederwahl im nächsten Jahr in den Sternen. Lena fragte sich, ob er in der Behörde wirklich genug politischen Einfluss genoss, um die gesamte Besatzung zusammenzutrommeln. So viel Macht, dass selbst der stellvertretende Polizeichef Ramsey mitten in der Nacht am Tatort antanzte. Noch beunruhigender war, was wohl zwei der erfahrensten Polizisten an diesem Tatort in Angst und Schrecken versetzt haben mochte.

Lena durchquerte das Zimmer und kniete sich vor die zweite Leiche. Der Herzschlag dröhnte ihr in den Ohren. Der Mann hatte einen Bauchschuss und Gesichtsverletzungen, die ihr die Arbeit nicht unbedingt erleichterten. Jemand hatte ihm die Augen weggepustet. Trotz des vielen Blutes konnte Lena verbrannte Haut und versengte Augenbrauen erkennen. Der Schütze hatte dem Mann die Mündung an die Augen gehalten und abgedrückt. Da beide Geschosse den Hinterkopf durchschlagen hatten, war die Hirnmasse angesaugt worden wie in einem Vakuum und gegen die Wand gespritzt.

Außerdem hatte sie sich verschätzt, was sein Alter anging, er war viel jünger, höchstens Anfang bis Mitte zwanzig.

Als Lena sich vorbeugte, um seine Nasenlöcher zu untersuchen, konnte sie keine Spuren von weißem Pulver entdecken. Dafür fiel ihr ein großer Bluterguss am Hals auf. Ähnliche Blutergüsse bedeckten beide Arme. Beim Anblick seiner abgeschürften Fingerknöchel und der sauberen Nägel hielt sie kurz inne und dachte nach. Der Junge war in den letzten ein bis zwei Wochen offenbar in eine Schlägerei verwickelt gewesen, denn die Verletzungen heilten bereits ab. Allerdings wies nichts darauf hin, dass er heute Nacht Gelegenheit gehabt hatte, sich zu verteidigen. Der Bauchschuss hatte ihn zu Boden gehen lassen. Und nach der großen Blutlache um ihn herum zu urteilen, hatte das Geschoss eine Arterie durchtrennt. Die beiden Schüsse in die Augen waren erst danach abgegeben worden. Sicher war er noch am Leben, vielleicht sogar bei Bewusstsein gewesen, als der Täter näher kam, allerdings hatte ihn der Blutverlust benommen und wehrlos gemacht.

Der Bauchschuss allein hätte genügt, um den Jungen zu töten. Also lag hinter den Schüssen in die Augen eine andere Absicht. Etwas Wahnwitziges. Ein Mörder, getrieben von rasender Wut.

Plötzlich fiel Lena etwas aus einem Film ein, den sie vor über zehn Jahren gesehen hatte. Die Komantschen glaubten, dass ein Getöteter ohne Augen keinen Zutritt zur Geisterwelt hatte. Ohne Augen sei er dazu verdammt, für immer zwischen den Winden umherzuwandern. Wahrscheinlich stammte die Szene aus Der schwarze Falke von John Ford, aber Lena war nicht sicher. Und dennoch konnte sie sich der Frage nicht erwehren, ob die Seele dieses Jungen nun zwischen den Winden verloren war, als sie sein zerschmettertes Gesicht betrachtete.

Nachdem sie ihn eine Weile gemustert hatte, kehrte sie wieder in die Gegenwart zurück, und sie senkte den Blick. Sie erkannte ihn nicht. Nicht ohne Augen und mit den blutverschmierten Zügen. Aber vermutlich wäre das jedem so ergangen.

Lena rappelte sich auf und suchte den Boden vergeblich nach Geschosshülsen ab. Als sie hochblickte, bemerkte sie, dass Sanchez und Rhodes neben Barrera standen. Sie hatte sie nicht hereinkommen hören, und nun schien Barrera sie aus unerklärlichen Gründen zurückzuhalten. Doch eigentlich spielte es keine Rolle. Beide Detectives wirkten nach zwei Arbeitstagen ohne Schlaf und dem gestrigen Grillabend als krönendem Abschluss erschöpft und hatten glasige Augen.

Lena wandte sich an den stellvertretenden Polizeichef. »Erzählen Sie mir, was los ist.«

Ramsey öffnete eine Rolle Bonbons und legte sich seine Worte sorgfältig zurecht.

»Escabar hat die Leichen gefunden, jedoch die Polizei erst angerufen, nachdem er alle Gäste gewarnt hatte. Die Detectives aus Hollywood waren gegen halb zwei hier. Sie haben Bosco identifiziert und den Fall an die Mordkommission weitergeleitet. Daraufhin erschienen zwei Ihrer Kollegen, identifizierten auch den Jungen und verständigten Ihren Vorgesetzten. Frank hat mich informiert, und ich habe den Polizeichef in seinem Hotel in Philadelphia unterrichtet. Als wir ankamen und sich alle Angaben als richtig erwiesen, habe ich den Chef noch einmal angerufen, und wir haben eine Entscheidung gefällt. Anschließend hat Frank Sie herbeordert.«

Lena fragte sich, ob Ramsey wohl klar war, dass eine gerade Linie noch immer die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten darstellte. Wer genau wen angerufen hatte – oder auch nur warum –, spielte jetzt keine Rolle mehr. Nur dass der zweite Tote nicht Higgins war.

»Wer ist er?«, fragte sie.

»Ein Wichser«, erwiderte Ramsey. »Ein richtiges Arschloch. Der macht uns jetzt als Toter genauso viel Ärger wie zu Lebzeiten. Deshalb haben wir Sie an Ihrem freien Tag gestört. Die Polizei braucht Sie jetzt. Ihre Kollegen, Gamble.«

Ramsey nahm einen Asservatenbeutel mit zwei Brieftaschen aus der Jackentasche und reichte ihn ihr.

»Die wurden da drüben im Müll gefunden«, erklärte er. »Der Mörder hat das Geld mitgenommen, aber die Kreditkarten zurückgelassen. Johnny Bosco hatte bekanntermaßen immer große Mengen Bargeld bei sich. Direkt vor diesen offenen Fenstern ist eine Feuerleiter. Sein Partner, Dante Escabar, geht von einem Raub aus und meint, dass wir diese Sauerei einem Profi zu verdanken haben. Was denken Sie?«

Nach einem Blick auf den Toten drehte Lena sich wieder zum Polizeichef um. Sie senkte die Stimme, da sie Ramsey anmerkte, dass er ihre Antwort bereits kannte. Was sollte dieses Theater? Warum beharrte er auf dieses Zeitlupentempo?

»Die Zielperson war Nummer zwei, nicht Bosco«, entgegnete sie.

»Sind Sie sicher?«

Lena nickte.

»Der Täter kannte ihn. Die Sache riecht nach einem Racheakt. Einem Freund pustet man nicht die Augen weg, und man vergeudet seine Zeit nicht damit, einen Toten zu erschießen, den man nicht kennt, sondern ergreift die Flucht.«

Ramsey musterte sie forschend. Sein Blick fühlte sich an wie Nadelstiche.

»Wie lange sind Sie schon bei der Mordkommission, Gamble?«

»Lange genug, um zu sehen, dass wir es hier nicht mit einem Raubüberfall zu tun haben und dass der Täter kein Profi war. Es ging um etwas Persönliches.«

»Ich teile diese Auffassung«, erwiderte er. »Allerdings weiß ich im Gegensatz zu Ihnen, wer der Tote ist. Erklären Sie mir, warum Sie von einem persönlichen Motiv ausgehen, Detective. Ich will es von Ihnen hören.«

»Wenn es um Raub ginge, wäre das Koks nicht mehr da. Und wenn der Täter ein Profi wäre, würden die Brieftaschen noch in den Hosentaschen der Opfer stecken. Kein Profi hätte das Bargeld mitgenommen. Höchstens eine von Boscos Kreditkarten, weil allgemein bekannt ist, dass er Geld hatte wie Heu. Eine Karte mit einem ordentlichen Kreditlimit, deren Fehlen in den ersten ein oder zwei Tagen niemand bemerkt. Länger würde er nicht brauchen, um das Konto leer zu räumen.«

Während Ramsey ihre Worte auf sich wirken ließ, wechselte Lena einen Blick mit Rhodes und öffnete den Asservatenbeutel. Sie hatte die Warterei ebenso satt wie das Frage-und-Antwort-Spiel an einem Tatort, wo alles auf der Stelle trat. Lena legte die lederne Brieftasche beiseite und griff nach der anderen aus Nylon und mit Klettverschluss. Sie nahm den Führerschein heraus und hielt ihn ans Licht.

Das Opfer war fünfundzwanzig Jahre alt. Als sie den Namen las, begannen ihre Finger wieder zu zittern. Endlich verstand sie, warum der Polizeichef so verstört war. Warum Barrera ihr den ganzen Abend nicht hatte in die Augen schauen können. Warum es keine Rolle spielte, dass Escabar die Gäste nach Hause geschickt hatte, bevor er die Polizei rief. Und warum es nicht einmal von Bedeutung war, dass die Seele des Opfers für immer zwischen den Winden umherirrte.

Der Polizeichef hatte recht. Den Jungen, dem das Licht ausgepustet worden war, als Arschloch und Wichser zu bezeichnen wäre noch beschönigend gewesen. Und er würde tot tatsächlich noch mehr Ärger machen als zu Lebzeiten.

Als sie jemanden hinter sich spürte, wurde ihr klar, dass Ramsey ihr über die Schulter spähte. Er starrte auf den Führerschein, ohne ihn zu sehen, und wirkte völlig in seine ganz persönliche Verzweiflung versunken.

»Jacob Gant«, flüsterte er mit angespannter Stimme. »Jetzt wissen Sie, warum wir Sie brauchen, Gamble. Jetzt wissen Sie, warum die Kacke am Dampfen ist.«

Kapitel 4

Zahltag.

Ein Killer mit einer Überdosis Wut im Bauch. Daran gab es nichts zu rütteln.

Lena verließ Boscos Büro.

Jacob Gant hatte seine sechzehnjährige Nachbarstochter Lily Hight vergewaltigt und ermordet und war dennoch vor sechs Wochen als freier Mann aus einem Gerichtssaal in L. A. spaziert. Und heute Nacht hatte sich das Glücksrad des Lebens gedreht. Yin und Yang waren einander endlich begegnet. Der Mann war tot.

Gant war bei seinem Verbrechen ungewöhnlich brutal vorgegangen. Er hatte das Mädchen in seinem Zuhause überfallen, ihm nach der Vergewaltigung einen dreißig Zentimeter langen Schraubenzieher in den Rücken gerammt und seinem Opfer beim Verbluten zugeschaut.

Der Freispruch hatte den ganzen Gerichtssaal entsetzt innehalten lassen. Beinahe zehn Minuten lang hatte Totenstille geherrscht, nur unterbrochen von dem leisen Schluchzen von Tim Hight, Lilys Vater. Lena erinnerte sich gut an die Szene und hatte Hights Weinen noch im Ohr. Wie alle anderen hatte sie den Prozess vom Schreibtisch aus im Fernsehen verfolgt. Die Nachricht von dem Skandalurteil hatte sich verbreitet wie eine ansteckende Krankheit. Schon im nächsten Moment wusste die gesamte Stadt, was im Gerichtssaal geschehen war, und allen wurde beim bloßen Gedanken übel.

Allerdings beschränkte sich der Radius nicht auf Los Angeles. Das Verfahren gegen Jacob Gant wegen Mord an Lily Hight hatte die Gemüter bewegt, und die öffentliche Empörung war über die Ufer getreten wie ein Hochwasser führender Fluss, wo immer Satelliten, Computerserver und Smartphones zum Einsatz kamen. Die Wogen schlugen insbesondere nach Gants Verhaftung hoch, denn Lilys Vater hatte der Staatsanwaltschaft Schnappschüsse und Privatvideos seiner geliebten Tochter, seines einzigen Kindes, zur Verfügung gestellt, mit der Erlaubnis, sie über die Medien allgemein zugänglich zu machen.

Die Bilder hatten gewirkt, wie wenn man Öl in ein Feuer gießt, das sich nicht mehr eindämmen lässt. In einer Welt, abgestumpft von willkürlichen Morden, hatte Lily Hight alles zu bieten, was das Verbrechen von den anderen abhob. Sie war eine hinreißende Blondine mit auffälligen blaugrauen Augen und einer offenen, aber einfühlsamen Art gewesen, eine harmlose Jugendliche, die kurz vor dem Erblühen zur Frau auf die denkbar grausigste Weise misshandelt worden war. Der trauernde Vater, der versuchte, seine verzweifelte Frau ebenso zu schützen wie die Privatsphäre der Familie, wirkte auf jedem Pressefoto noch ein Stück gealtert.

Und dann waren da die Gerüchte, die kurz nach Gants Festnahme die Runde machten, Skandalgeschichten in den Boulevardblättern, in denen es hieß, der fünfundzwanzigjährige Mörder und sein minderjähriges Opfer seien ein Paar gewesen.

Es ging ein Aufschrei durch die Bevölkerung, und das Mitgefühl für Lily und ihren Vater ebbte nicht ab, sondern wuchs sich zu einem regelrechten Mythos aus. Schon Monate vor Prozessbeginn tauchten Fotos von Lily Hight auf Kaffeetassen und T-Shirts auf. Straßenkünstler pflasterten die Stadt mit Plakaten und Wandgemälden, die ihr Gesicht zeigten. IST DIE JUSTIZ WIRKLICH BLIND? lautete die Bildunterschrift. Lokale Fernsehsender brachten landesweit Interviews mit Jugendlichen, die Lily angeblich gekannt, sie getroffen oder sie gesehen hatten und genau so sein wollten wie ihre Freundin.

Es ging zu wie auf dem Rummelplatz. Wieder einmal eine bühnenreife Gerichtsverhandlung mit Schauplatz L. A. Ein Mordprozess mit eindeutigem Ausgang, da jedes, aber auch wirklich jedes am Tatort sichergestellte Indiz einzig und allein auf einen möglichen Täter hinwies.

Jacob Gant hatte seine Nachbarin Lily Hight vergewaltigt und ermordet. Und die Polizei von Los Angeles und die Staatsanwaltschaft hatten die Sache vermasselt.

Wieder einmal.

Die Kriminaltechnik hatte Blutproben unsachgemäß behandelt und anschließend im Labor verschlampt.

Wieder einmal.

Die DNA-Analyse der am Opfer gefundenen Spermaspuren wies ohne jeden Zweifel auf Jacob Gant hin, war aber, ebenso wie die Blutproben, plötzlich verschwunden und konnte im Labor nicht mehr ausfindig gemacht werden.

Wieder einmal.

Zwei stellvertretende Staatsanwälte hatten sich von Buddy Paladino vorführen lassen und tatenlos zugesehen, wie der Verteidiger ihre doch so wasserdichten Beweise in der Luft zerriss und sie auf seine unnachahmliche Art als unfähige Pfeifen hinstellte.

Wieder einmal.

Und so wurde ein Mörder auf freien Fuß gesetzt, um das Leben hier, in der Stadt der Engel, oder an jedem x-beliebigen Ort auf der Welt zu genießen.

Wie gesagt, wieder einmal.

Als Lena die Treppe hinunterging, hallten diese Wörter in ihr wider. Im Foyer des Clubs im Erdgeschoss hielt sie Ausschau nach Dante Escabar, konnte ihn jedoch nicht hinter der Bar entdecken. Jemand hatte die Lichter gedämpft; der Raum war inzwischen menschenleer. Nur die benutzten Kaffeebecher, Überreste der Großversammlung, waren von den endlich nach Hause in die Freiheit entlassenen Detectives zurückgeblieben. Lena zog sich einen Barhocker heran und setzte sich. Als sie das Zigarettenpäckchen neben der angebrochenen Bourbonflasche bemerkte, widerstand sie der Versuchung und schob es weg. Noch immer schwirrte ihr der Kopf von den vielen Einzelheiten. Doch sie war auch zornig, weil man ihr den Fall aufgenötigt hatte.

Zahltag.

Ein Killer mit einer Überdosis Wut im Bauch.

Ein Vater, der einen wahrhaft triftigen Grund vorweisen konnte. Und der in manchen Kreisen sogar als der moralische Sieger gelten würde.

Abgesehen von Jacob Gants Angehörigen würden wohl niemandem in dieser Stadt wegen seines Todes graue Haare wachsen. Weit gefehlt. Lena konnte sich gut vorstellen, dass es in den Kneipen hoch hergehen würde, sobald sich die Nachricht herumsprach. Allerdings würde die Party nicht lange dauern. Wenn Tim Hight wegen Mord an dem Mann, der seine Tochter auf dem Gewissen hatte, festgenommen wurde und wenn Lena den Fall aufklärte und dem trauernden Vater Handschellen anlegte – einem Vater, der vor den Trümmern seines Lebens stand, weil er gehandelt hatte, wie es von einem Vater zu erwarten war …

»Alles in Ordnung?«

Als Lena sich umdrehte, sah sie Rhodes hereinkommen. Sie versuchte zu antworten, doch ihre Stimme klang belegt und heiser.

»Das Gleiche wollte ich dich auch fragen.«

Er zuckte nur wortlos die Achseln und durchquerte den dämmrigen Raum, um aus dem Fenster zu spähen. Die Reporter brüllten noch immer die Polizisten an, die sie in Schach zu halten versuchten. Nach einer Weile kehrte Rhodes zum Tresen zurück.

»Barrera hat mich gebeten, dem Leichenbeschauer den Weg zu zeigen, wenn er ankommt«, erklärte er.

»Wen haben sie angerufen? Wer war der Glückspilz?«

Rhodes warf ihr einen Seitenblick zu.

»Außer dir, meinst du?«

Sie nickte.

»Ed Gainer«, erwiderte er.

»Tja, das Treppensteigen wird ihm gar nicht gefallen.«

»Richtig, Eddie steigt nicht gerne Treppen.«

Rhodes griff nach dem Zigarettenpäckchen, entdeckte neben einem Tablett voller heruntergebrannter Kerzen ein Feuerzeug und zündete sich eine an. Als er sie Lena reichen wollte, schüttelte diese den Kopf. Sie rauchten eigentlich beide nicht. Und obwohl sich die heutige Nacht mit Fug und Recht als Krise bezeichnen ließ, hatte Lena keine Lust mehr darauf. Stattdessen betrachtete sie die x-förmige Narbe an Rhodes linkem Ohrläppchen, die ihr so gut gefiel. Er trug sein braunes Haar wieder kurz, und seine Figur war vom täglichen Joggen rund um das Hollywood Reservoir durchtrainiert. Er sah gut aus. Die Schusswunde in der linken Schulter, die er sich vor einigen Jahren eingefangen hatte, war inzwischen längst Geschichte und meldete sich nur noch bei Regenwetter.

Rhodes holte sich hinter dem Tresen einen Teller, den er als Aschenbecher benutzte.

»Wahrscheinlich hat Hight sich so lange wie möglich zusammengerissen. Ich habe ihn zwar nie persönlich kennengelernt, doch beim Prozess wirkte er recht gefasst. Vielleicht ein bisschen angeschlagen, aber in Ordnung.«

Lena nickte anstelle einer Antwort. Niemand in ihrer Abteilung war Tim Hight je begegnet, da die örtliche Polizei in Westside wegen des Mordes an seiner Tochter ermittelt hatte. Der Fall wurde erst explosiv, nachdem die Staatsanwaltschaft die Familienfotos an die Presse weitergeleitet hatte. Als die Öffentlichkeit Bekanntschaft mit Lily Hight machte, war Jacob Gant bereits verhaftet und von seinem Elternhaus in Venice in eine Einzelzelle im Men’s Central Jail verfrachtet worden.

Rhodes lehnte sich auf der anderen Seite an den Tresen.

»Nach der heutigen Nacht werden die Menschen Tim Hight für einen Helden halten. Sie werden sagen, dass er das zu Ende gebracht hat, woran wir gescheitert sind. Dass er seiner Tochter endlich zu Gerechtigkeit verholfen hat.«

»Er ist kein Held«, flüsterte sie.

»Das spielt keine Rolle, Lena. Sie werden ihn zu einem machen.«

Sie ließ die Worte auf sich wirken.

»Er ist kein Held«, wiederholte sie. »Er hat Gant nicht erschossen und die Waffe weggelegt, um sich den Konsequenzen zu stellen. Derjenige ist hereinspaziert und hat Johnny Bosco zuerst getötet. Er hat ihn in den Rücken geschossen, Stan. Und danach hat er versucht, das Ganze als Raubüberfall hinzustellen, und ist geflohen. Der Mann ist vollkommen durchgedreht.«

»Da stimme ich dir zu, doch das werden die anderen nicht so sehen. Für uns ist es trotzdem vertrackt. Wer die Bösen laufenlassen und die Unschuldigen einknasten will, braucht sich nur vertrauensvoll an die Polizei von Los Angeles zu wenden.«

Lena schwieg, denn sie wusste, dass Rhodes recht hatte. Barrera und Ramsey waren sich vermutlich ebenso darüber im Klaren.

Sie beschloss, sich doch noch eine Zigarette zu gönnen, und streckte die Hand aus, hielt aber inne, als sie im Flur hinter sich Schritte hörten. Etwa zehn Leute eilten zielstrebig auf die Eingangstür zu. Lena erkannte den Stabschef des Bürgermeisters, eine Stadträtin aus Hollywood und Abraham Hernandez, den neuen Assistenten des Polizeichefs von L. A. Lena vermutete, dass sie auf dem Balkon von Boscos Büro getuschelt hatten. Als sie Steven Bennett und Debi Watson bemerkte, stieß sie Rhodes an.

Bennett und Watson waren die Staatsanwälte, die die Anklage gegen Jacob Gant vor Gericht vertreten hatten. Bevor sie von Buddy Paladino im Prozess vor laufenden Fernsehkameras mit direktem Draht ins Internet herunterputzt worden waren, hatten sie als die besten und gewieftesten Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft von L. A. gegolten, insbesondere Steven Bennett, den der Oberstaatsanwalt ins Herz geschlossen hatte und zu seinem Nachfolger aufbaute, falls er zum dritten Mal wiedergewählt werden sollte. Heute Nacht wirkten Bennett und Watson allerdings weniger wie Staranwälte, sondern eher wie geprügelte Hunde. Als sie mit schlurfenden Schritten und gesenktem Kopf an den Ermittlern vorbeigingen, waren sie nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Kapitel 5

Lena traf Dante Escabar an einem Tisch neben dem Pool an. Obwohl er offensichtlich lieber allein sein wollte, zog sie sich einen Stuhl heran und setzte sich. Es verging eine Weile, bis er sie überhaupt zur Kenntnis nahm, so tief war er in sich selbst versunken. Er trank Bourbon und brütete vor sich hin, während sich die grellblauen Lichtblitze des Wassers in seinen dunklen Augen spiegelten.

»Ich habe Ihren Leuten schon alles gesagt, was ich weiß«, sagte er schließlich.

Dabei blickte er nicht auf, sondern starrte weiter in seinen Drink, in dem das Eis langsam schmolz.

»Manchmal geht im Eifer des Gefechts etwas unter«, entgegnete Lena.

»Eifer des Gefechts? Nennt man das jetzt so bei der Polizei?«

Sie hörte die unterdrückte Wut in seiner Stimme. Den Hass. Escabar war mindestens zehn Jahre jünger als sein Geschäftspartner, ein attraktiver Mann mit glatter brauner Haut, einem kräftigen Körperbau und schwarzem, seidenweichem Haar, das ihm bis kurz über die Schultern reichte. Lena wusste nicht viel über ihn, weil Bosco den Club 3 AM nach außen vertreten hatte. Allerdings hatte sie irgendwo gelesen, dass Escabar in seiner Jugend ein Straßenkind gewesen war. Sein langer Weg nach oben hatte in einer Tacobude am San Fernando Boulevard begonnen, bis er irgendwann Bosco begegnet war, der ihn unter seine Fittiche genommen hatte. Vor einigen Monaten hatte die Times Escabars Haus am Mullholland Drive und die Schauspielerin fotografiert, mit der er zusammenlebte. Obwohl sein gesellschaftlicher Aufstieg nun schon eine Weile her war, fragte sich Lena, ob er noch zu Gewalttätigkeit neigte. Sie beobachtete, wie er einen großen Schluck aus seinem Glas trank und den Blick auf einen Punkt neben dem Pool richtete.

»Wie sehr profitieren Sie von Johnny Boscos Tod?«, fragte sie.

»Was soll das heißen?«

»Was springt für Sie dabei heraus?«

Endlich drehte Escabar sich zu ihr um.

»Sie haben recht, Officer. Nach dem, was heute Nacht hier passiert ist, werde ich ein reicher Mann sein. Ich habe gemütlich rumgesessen und die verdammte Kohle in meinem Kopf zusammengezählt. Während Sie Schwachköpfe die letzten drei Stunden damit verbracht haben zu vertuschen, dass jeder Einzelne von Ihnen Scheiße gebaut hat, habe ich hier draußen die Ermordung meines besten Freundes gefeiert.«

Eine Pause entstand. Lange Zeit herrschte angespanntes Schweigen.

»Ich weiß, dass es nicht leicht ist«, sagte Lena. »Der Zeitpunkt ist mehr als ungünstig. Aber ich muss ein paar Punkte klären, und zwar schnell.«

Escabar trank noch einen kräftigen Schluck Bourbon.

»Für mich klingt es, als ob Sie da noch einiges mehr zu klären hätten. Sie liegen voll daneben.«

»Das hoffe ich«, erwiderte Lena. »Doch ich brauche Antworten.«

»Hier geht es nicht um meinen Partner, sondern um dieses kleine Arschloch.«

»Wie viel bringt Ihnen der Tod Ihres Partners ein?«

Escabar betrachtete sie mit einem fast unmerklichen Kopfschütteln.

»Nada«, verkündete er. »Absolut nichts. Keinen einzigen Cent. Ich habe das große Glück, einer von sieben Partnern zu sein.«

»Wer sind die anderen fünf? Studiobosse?«

»Drei davon. Die anderen beiden sind Schauspieler. Wenn Sie ihre Namen brauchen, müssen Sie unseren Anwalt anrufen. Doch es profitiert niemand von Johnnys Tod. Der Club ist durch seine Kontakte zu den Studios entstanden. Es war sein Laden. Seine Idee. Nichts ändert sich, nicht einmal die Beteiligungen. Er hat Angehörige an der Ostküste, South Jersey. Seine Eltern. Falls Sie wirklich Lust haben, Ihre Zeit zu verschwenden, reden Sie mit denen. Vielleicht haben die ja heute Nacht ihren einzigen Sohn umgelegt. Oder Sie müssen der Tatsache ins Auge schauen, dass Johnny Bosco tot ist, weil die Polizei ihren Job nicht auf die Reihe kriegt. Deshalb musste ein anderer Jacob Gant ausschalten, und dieser Jemand hat Scheiße gebaut und Johnny umgebracht. Offenbar ist der Typ noch unfähiger als Sie.«

Escabar wandte sich ab. Während Lena über seine Worte nachdachte, musterte sie seine Körperhaltung und seine Hände und erinnerte sich an seinen Gesichtsausdruck. Obwohl sie ihm nicht traute, hielt sie seine Reaktion auf ihre Fragen für echt. Anscheinend trog ihr Bauchgefühl sie nicht: Gant war die eigentliche Zielperson gewesen und Bosco dem Täter nur in die Quere gekommen.

»Warum haben Sie dem stellvertretenden Polizeichef gesagt, Sie vermuteten einen Raubüberfall?«, erkundigte sie sich.

Escabar blieb regungslos, zuckte nicht mit der Wimper; sein Blick war in die Vergangenheit gerichtet.

»Ich habe Schüsse gehört«, erwiderte er, inzwischen ruhiger. »Als ich nach oben lief, habe ich sie gefunden. Johnny lag auf dem Boden. Aber das Gesicht des Jungen war so voller Blut, dass ich ihn nicht erkannt habe. Nachdem ich wusste, wer er war, wurde mir klar, dass ich mich geirrt hatte. Es war kein Raubüberfall.«

»Wer hat Ihnen seinen Namen genannt?«

»Keine Ahnung. Ich habe nach Ihrer Ankunft ein Gespräch zwischen einigen Polizisten in der Bar aufgeschnappt.«

»Wann haben Sie die Schüsse gehört?«

»Gegen halb eins«, antwortete er.

»Was hat Gant hier gewollt? Warum war er oben bei Bosco?«

Escabar kippte seinen Drink auf den Boden und stellte das Glas weg.

»Dasselbe habe ich mich auch schon gefragt. Keinen blassen Schimmer.«

»Haben Sie ihn schon einmal hier gesehen, Dante?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein.«

»Hat Bosco je über ihn geredet oder seinen Namen erwähnt?«

»Nie.«

»Was ist mit dem Vater des Mädchens? Was ist mit Tim Hight?«

Obwohl das blaue Flackern Escabars Augenausdruck kaschierte, schien sich etwas zu verändern. Er überlegte. Offenbar flammte seine Wut wieder auf.

»Er kennt den Club«, sagte Escabar. »Vor langer Zeit, ehe seine Tochter ermordet wurde, war er manchmal hier. Nicht oft, aber oft genug, um sich auszukennen.«

»Wie ist Tim Hight denn in den Club 3 AM reingekommen?«

»Er hat früher Regie bei einer Show im Kabelfernsehen geführt. Sie hat den Leuten gefallen und war recht erfolgreich.«

»Haben Sie ihn heute hier gesehen?«

»Nein, und ich habe bereits alles überprüft. Er ist nicht zum Haupteingang reingekommen und auf die Liste eingetragen worden. Aber er kannte sich ja, wie gesagt, aus.«

Escabars Stimme erstarb. Nach einer Weile stand er mühsam auf und stützte sich am Tisch ab. Als Lena nach rechts schaute, stellte sie fest, dass Barrera ihr durch die Fenster zuwinkte. Er ging auf der Suche nach einer Tür durch das Foyer.

»Ich hätte noch eine Frage, Dante?«

»Nur eine, Detective Gamble?«

»Sie kennen meinen Namen.«

Er nickte wortlos.

»Das Kokain«, begann sie. »Sie wussten, dass es dort lag. Warum haben Sie es nicht beseitigt?«

Er hielt nachdenklich inne.

»Welches Kokain? Ich habe kein Kokain gesehen. Der Mörder muss es mitgebracht haben.«

»Guter Versuch. Warum haben Sie es nicht beseitigt?«

Er betrachtete sein leeres Glas und antwortete nicht.

»Wie bitte?«, hakte Lena nach. »Glauben Sie, dass ich Ihrem Partner was anhängen werde? Ich glaube, nach dem, was heute Nacht passiert ist, hätte ich vor Gericht keine Chance. Verraten Sie mir, warum Sie es liegen gelassen haben.«

Die Tür öffnete sich, und Barrera kam heraus. Als er sich von der anderen Seite des Innenhofs näherte, senkte Escabar die Stimme.

»Ich habe versucht, mich um alles zu kümmern«, erwiderte er. »Ich musste meine Partner anrufen und ihnen mitteilen, was Johnny zugestoßen ist. Es war ein ziemliches Durcheinander. Alle hatten Angst. Ich habe mir eine Stunde Zeit genommen, um den Laden dichtzumachen.«

»Haben Sie den Staatsanwalt verständigt?«

Die Frage überraschte ihn offenbar, und er schien um eine Antwort verlegen.

»Sie waren Freunde«, fuhr Lena fort. »Also wäre es nur natürlich gewesen, wenn Sie Higgins zuerst informiert hätten.«

Er schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.

»Ist das eine Antwort?«, fragte sie.

»Ich habe den Staatsanwalt nicht informiert.«

Als Barrera zu ihnen stieß, ging Escabar davon. Lena wandte sich zu ihrem Vorgesetzten um. Nach seiner Miene zu urteilen, hatte Barrera Neuigkeiten.

»Wir haben ihn«, flüsterte er. »Tim Hight ist unser Mann. Überwachungskameras an der Straße haben aufgenommen, wie er vom Club wegfuhr. Sein Auto. Sein Nummernschild. Man konnte sein Gesicht am Steuer erkennen.«

»Wann?«

»Vor etwa einer halben Stunde. Wahrscheinlich hat er sich hier herumgedrückt, um die Show zu genießen. Das machen die meisten so.«

Lena sah auf die Uhr. Die Nacht verging rasch. Zu viele Personen waren beteiligt.

»Ich möchte Gants Eltern benachrichtigen«, sagte sie. »Sie sollen nicht durch die Medien herausfinden, was passiert ist.«

»Er hatte einen Vater und einen Bruder. Die Mutter ist tot.«

Das war auch während des Prozesses erwähnt worden. Gants Mutter war einem Mord zum Opfer gefallen, als er vierzehn Jahre alt gewesen war. Man hatte ihre Leiche auf einem Sportplatz gefunden, einen Häuserblock entfernt von der Santa Monica Highschool. Als Barrera Lena die Karteikarte mit Gants Kontaktdaten reichte, wurde ihr klar, dass sie nicht so voreilig sein durfte. Sie musste gründlicher nachdenken und sich besser konzentrieren.

»Nehmen Sie Rhodes mit«, sagte Barrera. »Tito kann mir mit den richterlichen Anordnungen helfen. Aber danach brauchen die Jungs Ruhe. Ich möchte sie nach Hause schicken, sobald Sie mit Gants Vater geredet haben. Um sieben treffen wir uns wieder im Parker Center. Der stellvertretende Polizeichef arrangiert eine Besprechung mit der Staatsanwaltschaft. Dann können wir alles erörtern, einverstanden?«

Sie nickte und steckte die Karte in ihren Notizblock. Barrera sah sie an und zuckte die Achseln.

»Tut mir leid, Lena«, sagte er leise. »Ein Jammer, dass Hight wirklich der Täter ist und dass Sie diesen Fall am Hals haben. Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass wir uns irren.«

»Schon gut, Frank, alles in Ordnung.«

»Mag sein, aber das ändert nichts daran, dass die Sie benutzen. Wenn man bedenkt, wie Ihre letzten beiden Fälle ausgegangen sind, haben Sie bei denen da oben einen Stein im Brett. Und das werden sie skrupellos ausnützen, glauben Sie mir.«

»Ich sorge dafür, dass wir die Sache so schnell wie möglich hinter uns bringen«, entgegnete Lena.

Barreras Lippen unter dem Schnurrbart verzogen sich zu einem freundlichen Lächeln.

»Ich habe denen gesagt, dass Sie so reagieren würden. Und jetzt schnappen Sie sich Rhodes, und ab durch die Mitte mit Ihnen. Und nicht vergessen, Hight wohnt nebenan. Also halten Sie die Augen offen. Seien Sie vorsichtig und gehen Sie kein Risiko ein.«

Kapitel 6

Als sie den Club 3 AM verließen und die Stufen hinuntergingen, schlug ihnen heiße Luft entgegen wie eine Wand. Lena warf Rhodes einen Blick zu, bemerkte sein erschöpftes Lächeln und wies auf den Crown Vic, der im hinteren Teil des Parkplatzes stand.

»Hoffentlich funktioniert in dieser Klapperkiste die Klimaanlage«, sagte er. »Wie kommst du trotz der Mittelkürzungen eigentlich an einen Dienstwagen, den du privat nutzen kannst? Hast du jemanden bestochen?«

Sie wusste, was hinter seiner flapsigen Bemerkung steckte. Die Angehörigen zu verständigen war immer eine heikle Angelegenheit. Und wie sie Jacob Gants Vater erklären sollte, dass sein Sohn heute Nacht ermordet worden war, überstieg derzeit noch ihre Vorstellungskraft.

»Ich habe ihn geklaut«, erwiderte sie. »Vor zwei Tagen, als mein Auto den Geist aufgegeben hat. Bis jetzt ist es keinem aufgefallen.«

Rhodes lachte.

»Die werden es schon noch merken. Und dann kreuzt ein kleiner Mann mit einem Klemmbrett bei dir auf und fragt dich nach deiner Kreditkartennummer. Das ist kein Scherz. Sie werden dich für die Kiste belangen. Und die Kohle geht dann …«

Lena packte Rhodes am Arm, damit er stehen blieb, und musterte den Crown Vic. Im Auto bewegte sich etwas. Trotz der Dunkelheit bestand kein Zweifel: Die miserablen Stoßdämpfer wippten fast unmerklich in der windstillen Nacht, und hinten stand ein Fenster einen Spalt weit offen, um frische Luft hereinzulassen.

»Ich habe abgeschlossen«, flüsterte sie.

»Bist du sicher?«

»Ja, bin ich.«