Todestag - Adrian McKinty - E-Book

Todestag E-Book

Adrian McKinty

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Beschreibung

Nach zwölf Jahren auf der Flucht kehrt Michael Forsythe nach Belfast zurück. Er hat vierundzwanzig Stunden Zeit, die entführte Tochter seiner großen Liebe Bridget wiederzufinden. Versagt er, hat er zum letzten Mal versagt ... Michael Forsythe steht mal wieder auf der Abschußliste. Selbst nach zwölf Jahren im Zeugenschutzprogramm stöbern ihn zwei Killer in seinem Versteck in Lima auf. Sie halten ihm eine Knarre an den Kopf und drücken ihm ein Telefon in die Hand. Am anderen Ende der Leitung: Bridget Callaghan, seine große Liebe, die mit ihm noch eine Rechnung offen hat. Um sein Leben zu retten, soll Michael Bridgets entführte Tochter finden. Ihm bleiben dafür vierundzwanzig Stunden. Michael kehrt also in seine Heimat Belfast zurück und taucht in die Unterwelt der Stadt ein. Dort wird er mit einer erschreckenden Wahrheit konfrontiert …

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Michael Forsythe steht mal wieder auf der Abschussliste. Selbst nach zwölf Jahren im Zeugenschutzprogramm stöbern ihn zwei Killer in seinem Versteck in Lima auf. Sie halten ihm eine Knarre an den Kopf und drücken ihm ein Telefon in die Hand. Am anderen Ende der Leitung: Bridget Callaghan, seine große Liebe, die mit ihm noch eine Rechnung offen hat. Um sein Leben zu retten, soll Michael Bridgets entführte Tochter finden. Ihm bleiben dafür vierundzwanzig Stunden. Michael kehrt also in seine Heimat Belfast zurück und taucht in die Unterwelt der Stadt ein. Dort wird er mit einer erschreckenden Wahrheit konfrontiert …

Adrian McKinty, geboren 1968, wuchs in Carrickfergus in der Nähe von Belfast auf. An der Oxford University studierte er Philosophie, dann übersiedelte er nach New York. Sechs Jahre lebte und arbeitete er in Harlem, u. a. als Wachmann, Vertreter, Rugbytrainer, Buchhändler und Postbote. 2001 zog er nach Denver, seit 2008 wohnt er mit seiner Familie in Melbourne. Zuletzt sind im suhrkamp taschenbuch erschienen: Der sichere Tod (st 4159) und Der schnelle Tod (st 4232).

Kirsten Riesselmann ist Journalistin und Übersetzerin; u. a. hat sie Bücher von Elmore Leonard und DBC Pierre ins Deutsche übertragen. Sie lebt in Berlin.

Zuletzt sind im suhrkamp taschenbuch erschienen: Die verlorenen Schwestern (st 4595), Die Sirenen von Belfast (st 4612), Der katholische Bulle (st 4523), Ein letzter Job (st 4430), Der sichere Tod (st 4159) und Der schnelle Tod (st 4232).

ADRIAN McKINTY

TODESTAG

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen vonKirsten Riesselmann

Suhrkamp

Die Originalausgabe erschien 2007 unter dem TitelBloomsday Deadbei Simon & Schuster, Inc., New York

Copyright © 2007 by A.G. McKinty

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuch 4277.

Deutsche Erstausgabe

© der deutschen Ausgabe

Suhrkamp Verlag Berlin 2011

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Umschlagfoto: Daniel Allan/Getty Images

Umschlag: HAUPTMANN & KOMPANIE Werbeagentur, Zürich

eISBN 978-3-518-75560-0

www.suhrkamp.de

Nur die Waffen gestatte ich mir selbst zu benutzen – Schweigen, Verbannung und List.

James Joyce, ›Ein Porträt des Künstlers als junger Mann‹ (1916)

1: TELEMACHOS

(LIMA – 15. JUNI, 6 UHR)

»Luxus LY Pflaume P. Buck Mulligan.« Diese Nachricht drückte mir Hector auf den Klippen vor dem Miraflores in die Hand.

Ich richtete das Fernglas auf das Hotel, nahm den Zettel und steckte ihn in die Tasche. Hector sah mir aufmerksam ins Gesicht und suchte in meinem Blick nach Genervtheit oder sogar Angst, aber ich ließ mir nichts anmerken.

Über den Anden ging die Sonne auf und tauchte den Pazifik in ein rosa angehauchtes Blau. Der Himmel im Osten war von einem weiten, goldenen Grau, und im Westen waren das Kreuz des Südens und der Mond im Meer versunken.

Ich dankte Hector mit einem Nicken und setzte die Sonnenbrille auf.

Zwischen den Kakteen wuchs wilder Flieder, durch die Stämme der Pappeln wehte eine warme Brise. So früh am Morgen herrschte noch kein Autoverkehr, und im Normalfall war es hier oben friedlich. Nur die Klippen, der Strand und die schlafende Stadt hinter mir. Nebel wallte gegen die Landzunge, und einige wenige frühmorgendliche Gassi-Geher demonstrierten diese seltsame lateinamerikanische Vorliebe für Miniaturpudel und Lhasa-Apsos.

»Bezaubernd, oder?«, sagte ich auf Englisch.

Verständnislos schüttelte Hector den Kopf.

Lächelnd sah ich der wie üblich überwältigenden Schar von Seevögeln zu, die sich von der Thermik vor den Klippen aufwärts tragen ließ. Gelegentlich gesellten sich auch ein Albatros oder ein Wanderfalke hinzu, noch seltener sogar ein, zwei verirrte Kondore.

Es duftete nach Orangenblüten und Oleander.

»Lima hat zwar einen schlechten Ruf, aber mir gefällt’s«, sagte ich auf Spanisch.

Was vor allem auf diese Tageszeit zutraf – bevor die Zweitakter, Dieselmotoren und Kohlenfeuer so richtig loslegten. Angetan von meiner Bemerkung und froh, mich gefunden zu haben, bevor ich schlafen gegangen war, nickte Hector. Er wusste, wie gern ich nach der Nachtschicht mit einer Tasse Kaffee hier hochkam. Letzte Woche erst hatte ich mir den ersten Venustransit seit Menschengedenken von hier aus angesehen, üblicherweise aber betrieb ich nur ein bisschen Amateur-Ornithologie oder begaffte, was Hector natürlich ahnte, durch das Fernglas die hübschen Surfer-Mädchen, die da, wo der Ozean auf den Kontinent traf, die großen hereinrollenden Brecher nahmen.

Heute waren in aller Frühe schon ungefähr ein Dutzend Surfer im Wasser, alles Jugendliche, die Ganzkörper-Neoprenanzüge, Füßlinge und Handschuhe trugen. Die Hälfte von ihnen weiblich – ein ganz neues Phänomen innerhalb der Szene. Keines der Mädchen sah Kit ähnlich, dem Surfermädchen, das ich vor langer Zeit in Maine zu töten gezwungen gewesen war, aber jede Einzelne von ihnen erinnerte mich an sie – über so was kommt man einfach nie hinweg.

Ich schlürfte den Kaffee und runzelte die Stirn, als irgendwo eine Bohrmaschine ansprang. Sehr zu meinem Ärger war es an diesem speziellen Morgen überhaupt nicht ruhig hier oben. Rund zwanzig Helfer und Roadies bauten die Bühne für ein Umsonst-Konzert der Indian Chiefs auf. Sie arbeiteten mit völlig unperuanisch lärmendem Eifer, und es überraschte mich nicht im Mindesten festzustellen, dass der Bauleiter Australier war.

Auf seine wenig subtile Art zwinkerte Hector mir zu, um mir einen Anstoß zu geben.

»Danke für die Nachricht, Hector«, sagte ich, »du kannst nach Hause gehen.«

»Ist denn alles in Ordnung, Boss?«, fragte er.

»Nein, aber ich kümmere mich drum«, gab ich zurück.

Hector nickte. Er war noch ein Junge. Seit mittlerweile drei Monaten war er bei mir in Ausbildung, und mit dem Anzug und der Krawatte, die ich ihm gekauft hatte, schien er sich alles andere als unwohl zu fühlen. Ich hatte Hector beigebracht, sich höflich, zurückhaltend und gesittet zu benehmen, und man konnte ihn jetzt überall auf der Welt als Türsteher einstellen. Die Gäste des Hilton in Lima-Miraflores hatten ganz sicher nicht die Spur einer Ahnung, dass Hector in einem von ihm selbst gebauten Haus im Slum Pueblos Jóvenes wohnte, wo die Wände der Hütten aus Wellpappe waren, das Frischwasser aus Hydranten kam und das Abwasser die Straßen hinunterlief. Außerhalb seiner Hütte machte Hector einen eleganten, souveränen und aristokratischen Eindruck. Als wäre eine Konquistadoren-Blutlinie eine Ehe mit königlichem Inka-Adel eingegangen. Zudem war er schlau und mitfühlend. Der gemachte Stellvertreter. Älter als ein- oder zweiundzwanzig konnte er nicht sein; er würde es noch weit bringen, wahrscheinlich hätte er in fünf, sechs Jahren meinen Job.

»Ganz schön früh für so einen Quatsch«, sagte er mit resigniertem Kopfschütteln. Er bezog sich auf den Inhalt der Nachricht.

»So was kommt immer entweder zu früh oder zu spät«, pflichtete ich ihm bei.

»Bist du sicher, dass nicht ich mich darum kümmern soll? Macht mir nichts aus«, sagte Hector mit einem weiteren mitleidigen Blick auf mich.

Er wusste, was für eine anstrengende Nacht ich gehabt hatte. Ein Junge aus Schweden hatte eine Überdosis genommen, er musste ins Krankenhaus gebracht werden, dann hatte ich ein paar Nutten aus der Lobby geworfen, und anschließend hatten wir noch mit einem älteren Pärchen aus den USA fertig werden müssen, das behauptete, wegen der Luftverschmutzung nicht atmen zu können, und ein Sauerstoffgerät verlangte. Später am Tag sollte noch der japanische Botschafter eintreffen, um bei einem informellen Frühstück darüber zu verhandeln, den in Ungnade gefallenen peruanischen Ex-Präsidenten Fujimori aus seinem Schlupfloch in Tokio zu holen und auszuliefern. Die Gespräche würden zwar nirgendwo hinführen, aber es war gut für alle beteiligten Parteien, sich bei der Suche nach einer Lösung zu zeigen. Gut vor allem für das Hotel. Der Botschafter hatte zwar seine eigenen Security-Leute, aber eine Störung, die den ruhigen Ablauf des Besuchs zunichtemachte, konnten wir trotzdem nicht brauchen.

»Nein, ich regle das, Hector, du kannst wirklich nach Hause gehen«, sagte ich.

Hector nickte und überquerte die Straße, um für seine Fahrt mit dem Roller zurück in den Slum die Klamotten zu wechseln. Auch er hatte eine Nachtschicht geschoben und musste müde sein.

Die Surfer machten träge Cutbacks, und die Sonne schob sich Zentimeter für Zentimeter über die hohen, ausgedörrten Berge, denen ich eines Tages einen Besuch abstatten wollte. Letzthin hatte ein Blinder den Everest bestiegen, da könnte ich, der lediglich von einem künstlichen Fuß behindert wurde, ja wohl den Inka-Pfad nach Machu Picchu wandern.

Ich trank einen großen Schluck Kaffee und stellte die Tasse ab.

Ein paar Schulmädchen waren aufgetaucht, um von den Roadies Backstage-Pässe für die Chiefs zu ergattern; die Roadies hatten zwar keine Pässe, baggerten die Mädchen aber trotzdem an.

»Kommt in die Hufe, ihr Kanaken-Bastarde!«, bellte der australische Vorarbeiter. Ohne den Zettel, der mich zur Arbeit rief, wäre ich vielleicht rübergegangen und hätte dem Arschloch eine reingehauen, dafür, dass er mich in meinen Betrachtungen störte.

Ich sah mir noch einmal die Nachricht an. Sie war mehr als einfach zu dechiffrieren.

In der Luxussuite LY (die Suite Y im fünften Stock) machte eine Pflaume (mit anderen Worten: ein betrunkener Amerikaner) namens Mr. P. Buck einen Mulligan (will sagen: Probleme). Die Codes hatte der vorherige Sicherheitschef des Miraflores Hilton eingeführt, ein passionierter Golfer. Irgendwann würde ich die dauernden Anspielungen auf Abschläge, eins unter Par, zwei unter Par und Derartiges abschaffen. Aber ich war erst seit ein paar Monaten hier, und anderes, Dringenderes hatte Vorrang.

Ich seufzte, zerknüllte den Zettel voller Abscheu und warf ihn in den nächstbesten Mülleimer.

Ein betrunkener Amerikaner, der sich wahrscheinlich mit einer Prostituierten angelegt hatte.

P. Buck – ich überlegte, ob R.E.M. vielleicht in der Stadt waren, der Gitarrist hieß Peter Buck und war schon mal auf einem British-Airways-Flug wegen Trunkenheit und ungebührlichen Benehmens verhaftet, dann aber wieder freigesprochen worden. Ich schüttelte den Kopf. Wenn ein amerikanischer Rockstar in meinem Hotel abgestiegen wäre, hätte ich das schon früher erfahren. Trotzdem war Peter Buck einer meiner Helden, und ich überquerte die Straße in gesteigerter Erwartung.

Das Hotel war neu und groß, es glänzte vor lauter Glas und gebogenen Trägern aus rostfreiem Stahl – ein Gebäude, das Frank Gehry sich an einem schlechten Tag hätte ausdenken können.

Tinco, der nervöse ecuadorianische Nachtmanager, griff mich an der Eingangstür ab.

»Hab’s schon gehört«, sagte ich, bevor er den Mund aufmachen konnte.

»Luxussuite LY, bitte beeil dich, gleich kommt der japanische Botschafter«, sagte er und verschränkte in einer flehenden Geste die Hände vor der Brust.

»Ich weiß«, sagte ich. »Mach dir keinen Kopf, entspann dich, ich kümmere mich darum.«

»Eines der Mädchen hat sich beschwert«, sagte er und sah traurig zu Boden.

»Was für ein Mädchen? Eine von den Nutten?«

»Ein Zimmermädchen. Noch sehr jung.«

Er wollte eine Lösung von mir, noch bevor ich dem Problem überhaupt auf den Grund gegangen war.

»Okay, ich gebe ihr eine Woche frei, und wenn sie wieder da ist, bekommt sie von dir eine Gehaltserhöhung, danach behalten wir sie im Auge, ob sie den Mund hält. Verstanden?«

Tinco nickte. Ich gähnte und lief zu den Fahrstühlen.

Normalerweise ging ich um diese Zeit unter die Dusche und dann ins Bett und schlief bis zwei oder drei Uhr mittags, bis dann also, wenn auch die älteren, traditionsbewussteren Peruaner ihre Siesta beenden. Wie gesagt: Es war eine nervtötende, ermüdende Nacht gewesen, und ich freute mich wirklich auf ein Nickerchen.

Das hier würde mich hoffentlich nicht allzu lange in Anspruch nehmen.

Ich drückte den P-Knopf, und der Aufzug sauste mit mir bis zu den Penthouses im fünfzigsten Stock. Das Hotel brüstete sich damit, eines der höchsten Gebäude Südamerikas zu sein, und tatsächlich schienen sogar die Express-Aufzüge immer eine Ewigkeit zu brauchen.

Ich nutzte die Zeit, um im Spiegel mein Erscheinungsbild zu prüfen.

Die Haare trug ich so kurz wie ein israelischer Elitesoldat, sie waren schmutzig blond, aber neulich hatte ich rund um die Ohren ein paar graue Strähnen entdeckt. Zum Rasieren hatte ich keine Zeit mehr gehabt und sah deswegen ein bisschen derber aus als gewöhnlich, andererseits hatte die peruanische Sonne schon eine Menge dafür getan, meine verräterische irische Gesichtsblässe auszumerzen. Ich konnte einigermaßen zufrieden mit mir sein.

Die Aufzugtüren klickten.

Ich überprüfte meine Knarre, die ich am Fußknöchel trug, und trank meinen Kaffee aus. Dann bog ich nach links und marschierte auf Suite Y zu.

Die Kampfgeräusche waren schon im Flur zu hören. Nein, das war kein Kampf, da zertrümmerte jemand Sachen.

Er war also noch nicht am Ende seiner Kräfte.

Ich beschleunigte meine Schritte.

Schön hier oben. Dicke goldene Teppiche, Gemälde von den Anden und von Indio-Frauen mit Melonenhüten. Frische Blumen und ein Blick die ganze in Nebel gehüllte Küste entlang.

Ich bog um die Ecke. Da standen ein mir unbekanntes Zimmermädchen und Tony, einer meiner Jungs, der geduldig vor der Tür der Luxussuite wartete. Er lächelte mich an und zeigte mit dem Daumen durch die Tür.

»Wie schlimm ist es?«, fragte ich.

»Nicht schlimm, er hat zwar das Zimmer verwüstet, sich aber bis jetzt noch nicht verletzt«, sagte Tony.

»Ist er alleine?«

»So alleine wie einsam. Er hat versucht, Angelika hier anzugrapschen«, sagte Tony. »Sie spricht aber nicht so gut Spanisch und wusste nicht, was er wollte.«

Angelika nickte. Sie war ein Indiomädchen mit flachem Gesicht, wahrscheinlich gerade erst aus dem Hochland hierhergekommen. Ich zog mein Portemonnaie hervor, entnahm ihm zehn Zwanzig-Dollar-Scheine und hielt sie Angelika hin.

»Sag ihr, dass sie nichts gesehen hat und dass hier nichts vorgefallen ist.«

Tony nickte und übersetzte ins Quechua.

Angelika nahm das Geld, machte einen äußerst zufriedenen Eindruck und knickste vor mir.

»Sie soll den Rest der Woche frei machen«, sagte ich. »Vielleicht einen kleinen Urlaub einschieben.« Ich gab ihr noch fünf Zwanziger.

»Muchas gracias, Señor Forsignyo«, sagte Angelika.

»Keine Ursache, tut mir leid, dass Ihnen das hier passiert ist«, sagte ich, und Tony übersetzte.

Ich gab ihr meine leere Kaffeetasse und sagte »Yusulipayki«, das einzige Wort, das ich in Quechua beherrschte. Sie bedankte sich gleichermaßen und schlurfte den Korridor hinunter. Sie würde klarkommen. Aus dem Inneren des Zimmers kamen erneut berstende Geräusche.

»Er sagt ständig, dass er unglücklich ist«, sagte Tony.

»Verdammt noch mal, wer ist schon glücklich.«

»Höchstens mein Hund«, sagte Tony.

»Hey, aber das ist nicht Peter Buck, der Rockstar, oder?«, fragte ich.

»Peter Buck? Von welcher Band?«

»R.E.M.«

»Kenne ich nicht«, gab Tony zu. »Dieser Gentleman hier ist fünfzig, vielleicht sechzig Jahre alt, kahlköpfig und fett und sieht für mich rein gar nicht nach Rockstar aus.«

»Vielleicht ist es ja Van Morrison«, meinte ich, atmete tief ein und stürzte ins Zimmer.

Mit dem Fahrstuhl fuhr ich runter auf die siebte Etage und ging den Flur entlang zu meinem Eckzimmer. Hier waren die Teppiche nicht mehr ganz so dick, und die Bilder an den Wänden waren Drucke. Aber schön war es trotzdem noch.

Die Sache hatte nicht allzu viel Zeit in Anspruch genommen.

Ich hatte Mr. Buck dazu gezwungen, sich aufs Bett zu setzen und mit mir zu reden. Offensichtlich hatte das Zimmermädchen sich geweigert, mit ihm Sex zu haben, obwohl er ihr gutes Geld dafür geboten hatte. Während ich ihm mein Beileid aussprach, schüttete Tony ein Betäubungsmittel in seinen Gin-Tonic, und der Idiot war ausgeknockt. Der Reinigungsservice würde sein Zimmer wieder in Ordnung bringen, während er schlummerte. Er würde sich später an nichts erinnern – bis er auf seiner Hotelrechnung fünftausend Dollar extra entdeckte.

Alles in allem nicht weiter erwähnenswert, wie meistens bei derlei Zwischenfällen.

Mit der Schlüsselkarte öffnete ich die Tür zu meinem Zimmer.

Innen war es dunkel. Ich gähnte zum wiederholten Mal. Das Licht würde ich gar nicht erst anmachen. Geradeaus an Sofa und Ghettoblaster vorbei, dann links rein ins Schlafzimmer. Einschlafen, aufwachen und Eier mit Steak essen.

»Señor Michael Forsythe?«, kam es vom Sofa her.

»Qué?«, brachte ich hervor.

Das Licht ging an.

»Keine Bewegung.«

Hinter mir war jemand. Im Spiegel über der Kommode konnte ich sehen, dass mir ein Mann eine 9mm an den Kopf hielt. Ein bisschen überflüssig – immerhin hatte der Typ auf dem Sofa eine Pumpgun. Beide steckten in übertrieben glänzenden Halbwelt-Anzügen. Sie sprachen Spanisch mit nördlichem Akzent. Ich hätte auf Kolumbianer getippt, aber vielleicht ging ich da auch meinen eigenen Vorurteilen auf den Leim.

»Sind Sie Michael Forsythe?«, fragte der mit der Pistole.

»Nein, amigo«, sagte ich. »Keine Ahnung, wer das sein soll.«

»Sie sind Michael Forsythe«, sagte er, und diesmal war es keine Frage mehr.

Der mit der Pumpgun bedeutete mir, die Hände hochzunehmen, während der andere meinen Oberkörper abtastete, mir die offen getragene Pistole, das Fernglas und das Portemonnaie abnahm. Sie sahen sich das Foto auf meinem Pass an.

»Er ist es«, sagte Pumpgun.

Die beiden Männer wichen vor mir zurück. Einen kurzen Moment stand ich einfach so da, mit hoch erhobenen Händen.

»Okay, und was machen wir jetzt?«, fragte ich neugierig.

»Wir warten.«

Einer der Gangster setzte sich aufs Sofa, während mich der andere in die Mitte des Raumes dirigierte.

»Knie dich hin, Hände auf den Kopf«, sagte der mit der Pumpgun und warf mir ein schiefes Lächeln zu.

»Wollt ihr mich umbringen?«, fragte ich.

»Ziemlich wahrscheinlich«, sagte Pumpgun, was zumindest eine interessante Antwort war. Ich schwebte also nicht in unmittelbarer Todesgefahr.

»Also, ich durchkreuze eure Pläne ja nur ungern, aber ich weiß, dass Leute wie ihr gar nicht auf Überraschungen stehen. Ihr solltet also wissen, dass sie, wenn ich nicht unten an der Rezeption Bescheid gebe und sage, dass ich das Problem auf der fünfzigsten Etage beseitigt habe, ein paar Jungs hochschicken, die nach mir suchen.«

Die beiden Männer sahen sich an und beratschlagten leise. Dann brachte Neun-Millimeter mir das Telefon.

»Ruf an. Sag ihnen, dass du ins Bett gehst und nicht gestört werden willst«, sagte er.

Ich griff zum Hörer.

»Wenn du irgendwas von dir gibst, das sie warnt oder uns nicht gefällt, legen wir dich sofort um, nur, damit das klar ist. So lauten unsere Anweisungen«, fügte Pumpgun hinzu.

»Auf jeden Fall noch vor mir schießen, richtig?«, fragte ich.

»Ja.«

Ich wählte die Nummer der Rezeption und ließ mir Tinco geben.

»Tinco. Um das Problem auf der Fünfzigsten habe ich mich gekümmert. Sag Hector, dass er nach Hause gehen kann, ich will heute Morgen keine Vögel beobachten, ich hab schon einen Adler gesehen. Verstanden? Okay, ich gehe dann ins Bett.«

Ich legte auf und sah die beiden Männer an. Sie wirkten zufrieden. Wenn Hector noch nicht weg war, würde er in fünf Minuten hier sein. »Adler« war das Signalwort für »höchste Alarmstufe«.

Ich stand noch kurz so da, dann bedeuteten mir die Männer, mich wieder hinzuknien. Die Müdigkeit war jetzt gänzlich von mir gewichen, ich war bereit, einen Mordskrach zu veranstalten, wenn sich mir nur die geringste Chance dazu böte. Aber die Männer waren vorsichtig. Sie hielten sich außerhalb der Reichweite eines plötzlichen Tritts, einer Rolle oder eines Schlags. Ich wäre tot, bevor ich etwas Derartiges auch nur zur Hälfte ausgeführt hätte. Ich musterte die beiden. Mager und jung, aber so jung auch wieder nicht. Sie wirkten routiniert. Das hier war nicht ihr erster Coup. Beide Ende zwanzig, Anfang dreißig. Der mit der Pumpgun war etwas älter, etwas vergilbter, hatte die Haare über eine kahle Stelle zurückgegelt. Beide hatten merkwürdige Brandflecken über den Fingerknöcheln. Irgendwelche Gangster-Tattoos. Ich hatte ganz ähnliche schon mal gesehen. Sie standen für irgendetwas. Unwahrscheinlich, dass die beiden Freelancer waren. Unwahrscheinlich auch, dass sie Amateure waren.

»Wie lange warten wir denn noch?«, fragte ich, aber noch bevor einer von ihnen antworten konnte, klingelte das Handy des Jüngeren. Er klappte es auf und hielt es sich ans Ohr.

»Er ist es«, sagte er auf Englisch. »Definitiv. Was sollen wir tun?«

Die Person am Telefon sagte etwas. Die beiden Männer standen auf und richteten ihre Waffen auf mich. In Erwartung des sofortigen Todes machte ich die Augen zu, öffnete sie dann aber wieder – falls mir wirklich der Tod bevorstand, wollte ich ihm entschlossen gegenüberstehen. Außerdem hatte ich noch ein Ass im Ärmel, von dem die Gangster nichts wussten. Vielleicht würde ich einen der beiden Bastarde noch mit mir nehmen können. Das arrogante Arschloch mit der Pumpgun vielleicht.

Aber sie wollten mich gar nicht umbringen, sie mussten lediglich mit einer neuen Situation umgehen. Der Auftraggeber wollte zuerst mit mir sprechen. Der Mann mit der 9mm reichte mir das Telefon. Seine Augen waren ausdruckslos. Kalt.

»Für dich«, sagte er hohnlächelnd.

»Hola«, sagte ich.

»Michael«, antwortete Bridget.

Ich erkannte ihre Stimme sofort. Ich geriet ein bisschen ins Wanken, und der Mann mit der Pistole musste mir helfen, das Gleichgewicht wiederzufinden.

»Du«, murmelte ich, außerstande, etwas anderes über die Lippen zu bringen.

»Wenn du diesen Anruf entgegennimmst, Michael, heißt das, dass dir jemand eine Knarre an den Kopf hält«, sagte Bridget.

»So ist es«, bestätigte ich.

»Er hat Anweisung, dich umzubringen.«

»Aye, das habe ich mir schon fast gedacht.«

»Ich meine es ernst.«

Dass sie das tat, war mir klar. Vor einem Jahr, als die US-Armee gerade dabei war, Bagdad zu überrollen, und die meisten Leute andere Dinge im Kopf hatten, hatte sie eine fünfköpfige Killertruppe losgeschickt, um mich in meinem Versteck in Los Angeles zu erwischen. Eine üble kleine Truppe. Die es allerdings versiebt hatte – ich hatte mich um alle gekümmert. Aber ich wusste, dass sie weiter versuchen würde, mich zu kriegen. Das gebot die Ehre. Ich hatte ihren Verlobten getötet, den Mafiaboss Darkey White, und als Zeuge der Staatsanwaltschaft gegen meine alten Kumpane ausgesagt. Ich war ein Mörder und ein Verräter. Auch wenn das alles schon 1992 passiert war, vor beschissenen zwölf Jahren – Bridget wollte immer noch meinen Tod. Man musste ihre Hartnäckigkeit bewundern.

Nach dem Überfall hatte ich L.A. fluchtartig verlassen und mir den Job als Sicherheitschef in Lima besorgt.

Hatte gehofft, eine Zeitlang sicher zu sein. Mir gefiel es hier, ich mochte die Leute, vielleicht hätte ich mich sogar dauerhaft zuhause fühlen, mich niederlassen, eine Familie gründen können. Ein nettes ortsansässiges Mädchen. Zwei süße Kinder. Man konnte schon für kleines Geld ein Haus mit Meerblick bekommen.

Diese Pläne waren jetzt hinfällig. Bridget würde mich jetzt erst verspotten, danach würden ihre Jungs mich kaltmachen. Und falls Hector durch die Tür gestürmt käme, wäre der arme Kerl auch noch dran.

»Ich will, dass du mir zuhörst, Michael«, sagte Bridget.

»Ich höre.«

»Mach bloß keine Mätzchen, diese Männer sind gestandene Profis.«

»Oh, tatsächlich, Profis? Ach du liebes Bisschen, jetzt mach ich mir aber gleich in die Windeln«, stöhnte ich und versuchte, abgebrüht zu klingen.

»Michael, du wertloses Stück Scheiße, du hältst jetzt mal das Maul und hörst mir zu«, sagte Bridget.

»Wenn die Nonnen hören würden, wie du sprichst«, spöttelte ich.

»Ich mein’s todernst.«

»Weiß ich, Bridget, aber du hättest selbst herkommen sollen – ich hätte dich gerne noch ein letztes Mal gesehen.«

»Ich versuche seit über zehn Jahren, dich umzulegen, und glaub mir, wenn jetzt nichts derart Schreckliches vorgefallen wäre, wäre ich selbst gekommen und hätte zugesehen, wie man dich mit Schweißgeräten bearbeitet, bis du vor mir um deinen Tod bettelst. Aber wie gesagt, es ist etwas passiert.«

»Sag schon.«

»Meine Tochter Siobhan ist verschwunden«, sagte Bridget.

Ich hatte nicht gewusst, dass Bridget eine Tochter hatte. Es musste einen Freund, vielleicht sogar einen Ehemann in ihrem jetzigen Leben geben. Tja, schön für sie. Ich schätze, in dieser Hinsicht konnte meine Wenigkeit ihr nicht das Wasser reichen.

»Wo bist du? In New York?«, fragte ich.

»Nein, ich bin in Belfast. Sie ist jetzt seit drei Tagen verschwunden. Ich bin krank vor Sorge. Sie ist erst elf Jahre alt, Michael.«

»Was? Elf?«, fragte ich stockend nach.

»Ja, elf«, bestätigte Bridget.

»Ist sie Darkeys Tochter?«, fragte ich, einer spontanen Eingebung folgend.

»Ja.«

Diese Information war der nächste Hammer. Verdammte Scheiße. Bridget war also in der Nacht, als ich sie bewusstlos geschlagen und ihren Macker umgebracht hatte, schwanger gewesen. Sie hatte zwar im Gegenzug noch versucht, mich zu erschießen, aber trotzdem: Ich hatte eine schwangere Frau geschlagen und den Vater des kleinen Mädchens vorsätzlich ermordet. Ohne Frage, ich war ein überaus liebenswürdiger Mensch.

»Wo komme ich ins Spiel?«, fragte ich.

»Ich möchte, dass du sie findest, Michael. Du kennst Belfast wie kein anderer, du hast Kontakte, du kannst dich umhören. Ich brauche dich, Michael, und bei Gott, du bist mir was schuldig.«

»Nun ja, darüber lässt sich streiten, meine Liebe«, sagte ich. »Immerhin hat Darkey mir auch nicht zu knapp zugesetzt. Ich würde sagen, wir sind so weit quitt.«

»Das hier ist keine Bitte, Michael. Wenn du meinen Jungs nicht das richtige Stichwort sagst, bringen sie dich um.«

Sie spielte die Kaltschnäuzige nicht nur. Sie hatte sich sehr verändert. Aber eigentlich hatte sie diese Seite schon immer an sich gehabt, ich war nur nicht schlau genug gewesen, das zu erkennen. Ich lächelte in mich hinein. Hmmm. Wie würde sie nach all den Jahren wohl aussehen?

»Ich mach also entweder, was du willst – oder ich bin am Arsch«, sagte ich.

»Entweder du stirbst, oder sie bringen dich zum Flughafen und steigen mit dir in den Flieger nach Dublin, damit du den auch ganz sicher nimmst. Und dann treffe ich euch im Europa Hotel in Belfast. Und wenn du Siobhan nicht wiederfindest, werde ich dich eigenhändig erschießen«, fasste sie mit klinischer, kontrollierter Boshaftigkeit zusammen.

»Nur um das klarzuhaben: Du stellst mich vor die Wahl zwischen dem sicheren Tod und dem quasi sicheren Tod«, sagte ich.

Bridget seufzte vor Ungeduld. Und plötzlich konnte ich sie mir am anderen Ende der Leitung vorstellen. Älter geworden, ja, aber immer noch diese Kurven, das rote Haar, die Alabasterhaut, diese nicht ganz menschlichen Augen. Meine Bridget hatte immer etwas Überirdisches gehabt – als ob sie aus jenem Teil Westirlands käme, wo die Leute wahrscheinlich aus der Vereinigung von Menschen und Elfen hervorgegangen sind.

»Michael, ich kann ihnen befehlen, dich sofort zu töten. Ich weiß schon seit zwei Wochen, wo du steckst. Wir hatten den Anschlag auf dich schon geplant, aber dann kam das hier dazwischen.«

»Wie hast du mich denn diesmal gefunden, Bridget?«

»Wir hatten gehört, dass du nach Südamerika gegangen bist, und haben die Fühler ausgestreckt. Geld öffnet eine Menge Türen.«

Ich verzog das Gesicht. Es musste an der Altersschwäche liegen, dass ich so fahrlässig wurde. Ich hätte mir die Haare färben oder mir einen Schnurrbart stehen lassen sollen; stattdessen hatte ich mich in Sicherheit gewogen, nur weil ich auf einem anderen Kontinent war.

»Warum sollte ich dir vertrauen?«, fragte ich.

»Weil du, wenn du das nicht tust, tot bist. Weil du, wenn du irgendwelche Anstalten machst, tot bist. Weil du, wenn du mich auch nur das kleinste Bisschen verarschst, tot bist. Die zwei sind kolumbianische Profi-Killer, die hunderttausend pro Mord kriegen. Sie verstehen sich auf ihr Metier, sie sind jünger als du, sie sind besser als du. Sie haben Anweisung, dich auf keinen Fall entkommen zu lassen. Du bist mir tot und nutzlos lieber als lebendig und auf der Flucht.«

»Ich habe also keine Alternative«, sagte ich.

»Nein.«

Ich starrte die beiden kolumbianischen Spießgesellen an, schüttelte den Kopf und verwarf die Möglichkeit eines Katz-und-Maus-Spiels – jeder Versuch meinerseits würde ihre schlechte Seite zutage fördern. Außerdem sah es so aus, als ob Hector nicht mehr kommen würde. Welche Wahl hatte ich also?

»Ich habe keine Wahl. Punkt für dich, Bridget, ich mach’s«, sagte ich.

Bridget seufzte auf vor Erleichterung, was mir verriet, dass diese Tochter-Sache vielleicht keine Masche war. Dass sie mir vielleicht nichts vormachte. Derart viel Information in ein Seufzen zu legen, wäre auf jeden Fall selbst für Meryl Streep ein hartes Stück Arbeit gewesen.

»Was soll ich deinen Schergen sagen?«

»Folgendes: Die Muschi bittet euch, ihn nicht zu erschießen«, sagte Bridget.

»Und du bindest mir sicher keinen Bären auf, um mich vor meiner Ermordung noch zu demütigen?«, fragte ich.

»Eine Sekunde, nachdem du den Satz gesagt hast, wirst du’s wissen. Steig in das Flugzeug. Triff dich mit mir in Belfast. Es schmerzt mich, das zu sagen, aber ich brauche deine Hilfe, du elender Verräter, du Stück Scheiße von einem Spitzel.«

Dann war die Leitung tot.

»Ich liebe dich auch, Herzchen«, sagte ich und legte das Handy auf den Boden. »Sie hat aufgelegt«, erklärte ich.

»Okay, dann bringen wir dich jetzt um«, sagte Pumpgun.

»Einen Moment noch, Pablo, mein alter Freund. Sie hat gesagt, ich soll euch Folgendes sagen: Die Muschi bittet euch, ihn nicht zu erschießen.«

Das musste Pumpgun erstmal sacken lassen, auf seinem Gesicht wollte sich schon die Frustration breitmachen, aber dann nahm er die Waffe runter.

»Scheiße. Hatte mich schon drauf gefreut, dich kaltzumachen. Einen Hotel-Sicherheitschef in seinem eigenen Hotel. Das hätte uns ordentlich Prestige verschafft«, sagte er.

Der Mann mit der 9mm sah seinen Boss an.

»Also machen wir’s jetzt nicht?«, fragte er.

Sein Partner schüttelte den Kopf. Widerstrebend schob er die Pistole in ein Schulterhalfter.

»Wir fliegen alle zusammen nach Europa, oder nicht?«, fragte ich.

»Ja. Du hast fünf Minuten zum Packen, dann fahren wir zum Flughafen, unten wartet schon ein Wagen.«

Pumpgun warf mir ein Flugticket zu. Ich nahm es in Augenschein. British Airways, Erste-Klasse-Direktflug von Lima nach New York, dann erste Klasse mit Aer Lingus von New York nach Dublin.

Linienflüge, keine Privatjets. Du meine Güte. Eindeutig ein Fauxpas von Bridget. Man kann niemanden unter Zwang von Peru nach Irland verfrachten wollen und dabei auf Linienflüge setzen. Was glaubte sie, mit wem sie es zu tun hatte? Die Kohle für einen Learjet hätte sie schon locker machen müssen.

»Ist das der Plan? Wenn ich nicht kooperiere, bringt ihr mich um?«, fragte ich Pumpgun.

»Ganz genau«, gab er zurück.

»Also ihr zwei und ich.«

»Ja. Beeil dich, pack dein Zeug.«

»Ihr bringt mich um?«

»Wenn nötig. Ja.«

»Wie ihr das in einem Flugzeug, das nach New York fliegt, hinkriegen wollt, will ich sehen«, sagte ich.

Ich hatte nur vorgehabt, seine Grenzen zu testen, ein bisschen zu sticheln, merkte aber sofort, dass mir ein Patzer unterlaufen war. Seine Stirn legte sich in Falten. Ich hatte ihn tatsächlich dazu gebracht, über diesen alles andere als wasserdichten Auftrag nachzudenken. Über diesen offenkundigen Planungsfehler. Gottverdammt, ich musste ihn wieder auf Kurs kriegen.

»Nicht, dass ich Probleme machen werde. Ich mache euch ganz sicher keine Schwierigkeiten, ich will sowieso raus aus dieser beschissenen Stadt. Also, lasst uns nach New York und dann nach Irland fliegen«, sagte ich schnell.

Aber etwas an der Atmosphäre im Raum hatte sich ganz grundlegend verändert, und Pumpgun dachte jetzt entlang neuer Linien.

»Nein, nein, du hast recht, Forsythe. Wir handeln uns viel zu viel Ärger mit dir ein. Und die Kohle ist so oder so dieselbe«, sagte er. »Geh einen Schritt zurück, Rique.«

Rique begriff, dass Pumpgun mich erschießen wollte.

»Und was willst du ihr verklickern?«, fragte er.

»Dass wir dich töten mussten. Weil du fliehen wolltest. Weil es nur noch hieß: du oder wir«, sagte Pumpgun.

Rique nickte.

»Jetzt wartet mal kurz! Das ist doch nicht, was Bridget will, dafür bezahlt sie euch nicht. Sie will, dass ihr mich nach Irland bringt«, sagte ich verzweifelt.

Rique hob die Pistole.

Typisch, dass meine große Klappe mich in Schwierigkeiten brachte. Absolut scheißtypisch. Und wo war Hector, dieser Idiot? Auf dem Nachhauseweg? Gott steh uns bei, jetzt gab es nur noch einen Weg hier raus.

Ich fiel auf die Knie und fing an, in bibelfestem Spanisch um Gnade zu flehen. Ich rief die Muttergottes und die Jungfrau von Guadalupe an (die, glaube ich, ein- und dieselbe sind, aber ich bin auf diesem Gebiet kein Experte).

»Bitte, bitte, bitte tötet mich nicht, das sollt ihr nicht, das dürft ihr nicht, im Namen des Vaters, des Sohnes und des …«

Und während ich noch flehte, beugte ich mich nach vorn, fuhr mit der Hand am Bein entlang und tastete nach der winzigen .22er Drei-Schuss-Pistole, die ich dort für genau solche Notfälle verwahrte. Mein Ass im Hosenbein. In Südamerika hielt man es für feige, sich eine Waffe um den Fußknöchel zu binden. So etwas würde nur eine puta tun.

Lieber eine lebende puta als ein toter Held.

»Du wirst sterben, du irisches Schwein«, sagte Pumpgun.

»Ja, da hast du sicher recht, Großer, aber nicht heute«, sagte ich und machte aus meiner knienden Position eine Rolle vorwärts, quer über den Parkettboden, während ich zeitgleich die Pistole aus dem Knöchelhalfter zog und dem geschwätzigen Arschloch in den Hals schoss. Er fiel nach vorn, gurgelte schäumend, und die Schlagader pumpte Blut aus der tödlichen Wunde.

Ich krabbelte schnell zur Seite, Rique feuerte zwei Mal aus seiner 9mm und traf den Teppich dort, wo ich eine Zehntelsekunde früher noch gelegen hatte. Ich hechtete hinter das Sofa und gab ebenfalls zwei Schüsse ab, die den ausgebufften Mistkerl aber beide verfehlten. Scheiße. Das war’s gewesen für meine kleine Pistole. Jetzt musste ich mich beeilen. Ich schmiss die Pistole weg, hob den Ghettoblaster vom Fußboden und warf ihn gegen ihn. Er traf aber nicht und zerschellte stattdessen an der Wand, wobei er CDs, Batterien und Funken spuckte.

Rique schoss erneut und schickte eine Kugel in die Zimmerdecke direkt über meinem Kopf. Ich schleuderte erst eine Blumenvase, dann einen kleinen, gläsernen Beistelltisch.

Die Tür ging auf.

Hector kam herein.

»Gott sei Dank! Ich bin hier drüben, Kollege!«, rief ich.

Rique brüllte Hector an: »Er ist unbewaffnet. Erschieß ihn.«

Hector zog seinen Revolver.

»Ihr habt gesagt, ich würde nicht mit hineingezogen«, grummelte Hector.

Rique drehte sich um, um ihm einen Vortrag zu halten.

»Tu, was man dir sagt, und …«, fing Rique an.

Ich schnappte mir meinen ledernen Lieblingssessel und rannte damit auf Rique zu. Das Leder war nietenbesetzt, der Rücken metallverstärkt, würde also eventuell etwas Schutz bieten.

Ich stürmte auf das Arschloch zu und hoffte, dass er nicht klug genug war, mir in die Beine zu schießen.

Aber Rique war ganz durcheinander von der Gleichzeitigkeit der Ereignisse und verfeuerte den Rest seiner Munition in den Sessel, bevor ich gegen ihn prallte und ihn rückwärts in die getönte Spiegelglasscheibe schob. Ich war derart außer mir, dass die Wucht ohne Weiteres ausreichte, das dicke Sicherheitsglas splittern zu lassen.

Sessel und Killer krachten durchs Fenster und segelten durch die frühmorgendliche Luft auf den Parkplatz hinunter. Ich hatte Glück, nicht hinterherzufallen. Mit Ach und Krach kam ich zum Halten, gönnte mir aber keine Pause, um mich über mein Glück zu freuen oder zuzusehen, wie Rique auf der Kühlerhaube der Limousine des japanischen Botschafters zerschellte, der einigermaßen ungelegen gerade unten vorgefahren war. Stattdessen durchmaß ich mit großen Schritten das Zimmer und entwendete Hector die Waffe. Er war wie benommen und blutete an der Fingerspitze, weil er es irgendwie geschafft hatte, sich beim Ziehen der Pistole zu schneiden.

Ich schlug ihm die Knarre ins Gesicht und trat ihm die Beine weg. Er brach zusammen.

»Hector, Hector, Hector«, sagte ich voller Enttäuschung.

»Es tut mir leid, es tut mir so leid«, sagte Hector, dessen Augen sich mit Tränen füllten. Ich prüfte den Revolver und sah, dass er geladen, sauber, schussbereit war.

»Hector, dir ist sicher klar, dass das in deinen Lebenslauf kommt«, sagte ich zu ihm.

»Oh, bitte, tu mir nichts, sie haben gesagt, dass sie meine Familie umbringen, sie haben gesagt …«

Ich steckte ihm den Revolver in den Mund und klapperte damit zwischen seinen Zähnen herum.

»Lass stecken, Kumpel, sie haben mir schon längst erzählt, dass du auf sie zugekommen bist, sie geradezu gesucht hast. Wie hoch war der Finderlohn?«

»Keine Ahnung, wovon du sprichst, Boss, ich liebe dich doch, ich weiß gar nicht, was …«

In einer solchen Situation den Hahn zu spannen ist das totale Klischee, aber meiner Erfahrung nach ist es eine Abkürzung zur Wahrheit.

Ich spannte den Hahn.

»Zehntausend Dollar«, sagte er.

»Verdammt noch mal, Hector, wenn du Geld gebraucht hast, hätte ich dir auch welches geliehen.«

»Ich wollte es mir aber verdienen.«

»Da gibt’s bessere Wege«, murmelte ich.

»Du musst es ja wissen«, sagte er aufsässig und griff nach dem Messer, das er in der Tasche mit sich trug. Ich trat ihm die Arme auseinander, so dass er alle viere von sich gestreckt auf dem Boden landete. Dann nahm ich den Revolver aus seinem Mund und hielt ihn ihm ein paar Zentimeter vor die Stirn.

»Du bist nichts als ein vollkommen illoyales Arschloch«, sagte ich ohne allzu viel Leidenschaft.

Er schloss seine traurigen braunen Augen.

»Auch nicht illoyaler als du«, sagte er.

»Da gibt’s einen Unterschied«, erklärte ich ihm. »Ich hab’s getan, um meine Haut zu retten, du wegen dem gottverdammten Geld.«

»Was machst du jetzt mit mir?«

»Deine Ehre retten, mein Freund«, sagte ich.

Hector begriff. Er zuckte zusammen, blinzelte die Tränen weg.

Ich betätigte den Abzug. Der obere Teil seines Schädels flog weg, ich wurde über und über mit seinem Blut und Hirn bespritzt.

Ich legte Hectors Knarre in die Hand des toten Killers und platzierte meine Drei-Schuss-Pistole in Hectors blutiger Pranke.

Dann goss ich mir einen Whisky ein, griff zum Telefon und rief die Rezeption an.

»Hector hat mir das Leben gerettet, aber er stirbt, oh mein Gott, er stirbt, holt Hilfe, schnell!«, rief ich und legte auf.

Es dauerte nicht lange, bis ich Blinklichter sehen konnte, die an der Küste entlanggerast kamen. Die paramilitärische Polizei rückte an, warum auch immer, und ich bin sicher, Bridget hatte wie üblich einen Plan B bei der Hand. Höchste Eisenbahn, sich zu aus dem Staub zu machen.

Ich stand auf, streckte mich, trank den Whisky aus.

Und als der Schlachthausgestank stärker wurde, die kalte Meeresluft durch das zerborstene Fenster hereinwehte und die falschen Perserteppiche sich mit dem Blut der beiden Leichen vollsogen, wusch ich mir am Badezimmerbecken die Hände, schnappte mir meine Umhängetasche, packte und war bereit, ein weiteres Mal davonzulaufen.

2: SIRENEN

(NEW YORK – 15. JUNI, 16 UHR)

Die Nachforschungen der peruanischen Polizei würden Tage dauern. Tage hatte ich nicht. Meine Deckung war aufgeflogen. Blieb ich in diesem Land, würde ich draufgehen. Ich kam den Polizisten mit der Geschichte, dass diese beiden Gestalten aus Kolumbien bewaffnet in mein Zimmer eingedrungen seien und begonnen hätten, alle möglichen Fragen über den japanischen Botschafter zu stellen, dass dann Hector dazugekommen sei, den einen Kolumbianer aus dem Fenster gestoßen und den anderen erschossen hätte, wobei ihm selbst eine tödliche Wunde zugefügt worden sei.

Ein Anschlagsplan war rechtzeitig aufgeflogen, und ein Junge aus der Stadt war der Held: Die Geschichte würde funktionieren, wenn sie sie funktionieren lassen wollten.

Ich sagte ihnen, dass ich mich im Zeugenschutzprogramm der USA befand und mich jetzt mit dem erstbesten Flug aus dem Staub machen musste. Was ihnen überhaupt nicht recht war. Aber sich mit dem FBI anzulegen, darauf hatten sie auch keine Lust.

Eine unterzeichnete Aussage, eine gefilmte Aussage und eine gefälschte Kontaktadresse später war ich bereit zum Aufbruch.

Für eine Reservierung war es jetzt zu spät, aber ich musste ja keine Fluggesellschaft anbetteln. Mein Ticket für den Flug nach New York war tipptopp. Bridgets Ticket. Und von New York aus konnte ich überall hin.

Dieses Vorgehen war zwar nicht das ungefährlichste, dafür aber das praktischste.

Der Nachteil war offensichtlich. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würde Bridget von dem Schlamassel in Lima hören und schnell Leute abstellen, die mich am JFK vom Flieger abholen sollten. Sie hätten ein Foto von mir und würden bestimmt bedrohlich aus der Wäsche gucken, was mir aber vollkommen schnurzpiepe wäre, denn ich würde in New York die guten alten federales zum Rendezvous bestellen und dann mal wieder im schwarzen Loch des Zeugenschutzprogramms verschwinden. Aye, und dieses Mal würde ich volles Rohr den De Niro durchziehen: zehn Kilo zunehmen, die Haare färben, nach scheiß China umsiedeln.

Ich checkte ein, bestieg die Maschine, setzte mich auf meinen Platz und entspannte mich. Sie zeigten O Brother, Where Art Thou?, den ich schon gesehen hatte, weswegen mir nichts anderes übrig blieb, als meinen Sitz so weit wie möglich nach hinten zu kippen und zu versuchen, ein, zwei Stunden zu pennen. Aber sogar in der ersten Klasse war das praktisch unmöglich. Von einem Feuergefecht kommt man nicht so mir nichts, dir nichts wieder runter. Bis zur Essenszeit las ich im Peruanischen Golfer. Dann trug mir eine hübsche Stewardess ein Dutzend Möglichkeiten vor, aus dem ich die Eier wählte, und sie brachte mir Rühreier, die fast wie Eier schmeckten. Wir unterhielten uns ein bisschen, und eins führte zum anderen, sie gab mir ihre Telefonnummer in der Bronx, und wäre es Manhattan gewesen, hätte ich sie vielleicht sogar behalten.

Wir überflogen Panama, die Westspitze von Kuba und die Südstaaten und landeten ein paar Minuten zu früh in New York. Noch als die Reifen quietschten, rief ich Dan Connolly beim FBI an. Er war nicht im Büro, also versuchte ich es mit seiner Mobilnummer und hinterließ eine Nachricht.

»Dan, Michael F. hier, ich sitze mal wieder in der Patsche. Ich weiß, es ist lästig, aber jemand muss mich im British-Airways-Terminal am JFK abholen kommen. Internationale Ankunft. Wir sind gerade eben gelandet. Ich warte so lange, wie es dauert. Du kannst mich auf dem Handy anrufen.«

Ich legte auf, suchte nach meinem US-Pass, ging durch die Einreise und dachte viel zu spät an die Coca-Blätter in meiner Umhängetasche. In einem Anfall von Panik war ich mir plötzlich absolut sicher, dass der Zoll mich rausfischen würde, aber das tat er nicht, und ich ging weiter in die Ankunftshalle. Wartete.

Zehntausende. New York City direkt vor der Tür. Aber ohne FBI-Eskorte würde ich den Flughafen auf gar keinen Fall verlassen.

Wenn Bridget fix war, hatte sie schon jetzt neue Jungs auf mich angesetzt. Nicht, dass die hier drin irgendwas unternehmen konnten. Sie hatte ihre Chance schon wieder verspielt. Dabei hatte sie mich mit dem Ammenmärchen über ihre Tochter fast so weit gehabt loszufliegen. Je länger ich darüber nachdachte, desto unmöglicher schien mir, dass Bridget ein elfjähriges Kind haben sollte. Ich hätte davon gehört, jemand hätte es mir erzählt. Und außerdem hatte ich sie noch vor Gericht gesehen, als ich Darkeys Komplizen beschuldigte, Himmelarsch. Sie stand zwar nicht in der Anklagebank, aber ich hatte sie auf der öffentlichen Empore entdeckt, von wo sie mich in ihrem schwarzen Hosenanzug mit bösen Blicken bedachte. Unmöglich, dass sie da gerade erst entbunden hatte. Und außerdem wollte Darkey doch gar keine Kinder. Er hatte mir und Sunshine erzählt, das er, sobald er die sechzig überschritten hätte, einen hart arbeitenden asiatischen Jungen adoptieren wollte. Was ein Witz gewesen war, aber ich konnte mir trotzdem nicht vorstellen, dass Bridget sich einfach über ihn hinweggesetzt und ihre Pille nicht genommen hatte.

Auf keinen Fall.

Ich hatte Hunger und langweilte mich. Ich schlenderte zu Hudson News, kaufte die Times, die Daily News und die New York Post und stellte mich zu den anderen Kohlehydrat-Fans in die Schlange vor Au Bon Pain. Bestellte einen großen Kaffee und einen Frischkäse-Plunder, setzte mich und genoss es, die Presse zur Abwechslung mal auf Englisch zu lesen.

Löste das Dienstagskreuzworträtsel und betrachtete die Menschenmenge auf der Suche nach Bridgets Männern. Aber es herrschte viel zu viel Trubel hier. Vielleicht war sie wirklich auf Zack und hatte ihre Leute schon am Start, vielleicht aber auch nicht – egal.

Es wurde voll bei Au Bon Pain, und ein deutsches Pärchen mit Baby annektierte die freien Stühle an meinem Tisch. Ich stand auf und sah mich nach einem anderen Aufenthaltsort um.

Am anderen Ende des Terminals gab es einen dieser Pseudo-Pubs, der sich für langes Warten so gut eignete wie jeder andere Ort auch. Also betrat ich das City Arms und bestellte ein Sam Adams. Gerade, als ich das Bier ausgetrunken hatte und überlegte, ob ich mir noch eins gönnen sollte, klingelte das Handy.

»Wo bist du jetzt, Forsythe?«, fragte Dan.

»Kein Hallo?«

»Wo bist du?«

»Am Flughafen.«

»Was hast du da zu suchen? Nirgendwo kann man dich leichter als Ziel erfassen!«, sagte Dan.

»Wie bitte, als Ziel erfassen? Mein lieber Herr Gesangverein, du klingst langsam wie ein wandelndes FBI-Handbuch.«

»Entführen, kidnappen, verschleppen, schanghaien, was immer du willst. Du solltest doch nicht mehr nach New York zurückkommen«, sagte Dan mit Nachdruck.

Ich hatte die Stadt seit sieben Jahren nicht mehr betreten, seit den Vorbereitungen für meinen letzten Undercover-Einsatz im Büro des FBI in Queens.

»Mein Erste-Klasse-Ticket nicht zu benutzen wäre zu schade gewesen. Außerdem musste ich raus aus Lima. Bridget – Gott hab ihren Riesenarsch selig – hat zwei kolumbianische Killer vorbeigeschickt, die mir das Hirn rausblasen sollten.«

»Hab ich in einem Telegramm gelesen. Und du hast die Sache in deiner wie üblich äußerst unauffälligen Art erledigt, oder? Du weißt, dass die Geschichte bei CNN hochund runterläuft?«

»Echt? Tja, da kann man nichts machen«, sagte ich leutselig.

Dan nuschelte sich irgendeine Obszönität in den Bart, die sich auf meine Mutter bezog.

»Michael, wie gesagt: Über New York hatten wir doch eigentlich gesprochen. Du sollst hier nicht herkommen. Nie mehr.«

»Als ob mich mitten im am schärfsten kontrollierten Flughafen der westlichen Hemisphäre jemand als Ziel erfassen würde. Komm runter. Wir haben’s hier nicht mit Al Kaida zu tun, sondern mit Typen, die nach einem Attentat auch eine Exit-Strategie brauchen. Die würden hier drin doch keine zwanzig Meter weit kommen.«

»Tja, freut mich, dass du mit deiner Lösung zufrieden zu sein scheinst. Ich bin’s nicht. Wo genau steckst du?«

»Im City Arms, British-Airways-Terminal.«

»Kannst du da noch eine halbe Stunde ausharren? Ich schicke dir ein paar Jungs vorbei. Kann im Moment nicht selbst runterkommen. Aber wir sehen uns später.«

»Okay, kenne ich diese Jungs?«

»Nein. Ähm, einen Sekunde – okay, also: Sie werden dich fragen, ob du glaubst, dass die Jets nächstes Jahr eine Chance haben, worauf du antwortest …«

»Ich will nicht über Football reden«, unterbrach ich ihn. »Stell mir eine Basketball-Frage. Mit Basketball kenne ich mich aus.«

»Du musst dich in der Sportart nicht auskennen, Michael, du musst nur sagen, was du sagen sollst.«

»Ich will aber keine Frage zu den scheiß New York Jets bekommen. Ich will eine Basketball-Frage, da kenne ich mich aus«, protestierte ich.

»Herrgott. Es ist vollkommen egal, welche Sportart wir nehmen.«

»Das ist überhaupt nicht egal, ich gehe ja auch zu niemandem hin und sage: ›Und, welches Team gefällt Ihnen bei der Curling-Weltmeisterschaft? Das Eis dieses Jahr soll ja enorm schnell sein.‹ Da würde ich doch todsicher auffliegen.«

Dan lachte, dann seufzte er.

»Weißt du, Michael, manchmal wünschte ich, du wärst nicht so gut darin, am Leben zu bleiben. Manchmal wünschte ich mir …«

»Lass diesen Gedanken lieber unausgesprochen. Joe Namath spielt bei den Jets, oder?«

»Das ist dreißig Jahre her.«

»Okay, vergiss ihn. Sie können mich doch fragen, was ich von der riskanten Werfer-Rotation bei den Yankees halte. Und ich werde dazu sagen: ›Ich glaube, gegen die Sox ist sie unplausibel.‹ Wie wäre das?«

»Schön, wie du willst. Ich kümmere mich drum.«

»Danke, Dan.«

»In Ordnung, und du rührst dich nicht von der Stelle. Ich schicke sofort Leute los, die dich mal wieder aus der Klemme holen.«

»Ich merke schon, du hast mich wirklich ins Herz geschlossen.«

Grinsend klappte ich das Handy zu. Dan begriff einfach nicht, dass man es sich durchaus leisten kann, ein bisschen blöde Haarspalterei zu betreiben, wenn man noch vor ein paar Stunden um sein Leben gekämpft hat.

Ich bestellte Mittagessen – ein Irish Stew, in dem ketzerischerweise Erbsen und Mais waren.

Ging auf den Pott, wusch mir das Gesicht, bestellte eine Bloody Mary, setzte mich mit dem Rücken zur Wand, beschloss, mir mal die señoritas anzusehen. Nach vier Monaten Lima war New York das Paradies. Nicht, dass die peruanischen Mädchen unattraktiv waren, aber dort hatte man es eher mit Variationen über ein Thema zu tun, während einem hier eine Chorsinfonie geboten wurde. Studentinnen, Rothaarige, Blondinen, Geschäftsfrauen, Stewardessen, Polizistinnen, Soldatinnen – und auf der anderen Seite der Bar zwei Tussis, die einem Snoop-Dogg-Video entsprungen schienen und einen Chassiden provozieren wollten, indem sie direkt vor ihm herumknutschten. Der Mann, ich und ungefähr zweiundfünfzigtausend andere Leute versuchten, nicht hinzusehen. Blonde Haare, lange Beine, weiße Stilettos, hübsche Gesichter. Russinnen. Sie fassten sich gegenseitig an den Arsch und spielten sich an den Haaren herum. So etwas bekam man in Lima eher nicht zu sehen.

»New York«, sagte ich anerkennend.

Ein vertrottelt wirkender Typ, der neben dem Chassiden saß, schien auf mich aufmerksam geworden zu sein. Er winkte mir halb, kam dann schnell auf mich zu und ließ sich auf den Stuhl direkt vor mir plumpsen. Kurz bekam ich es mit der Panik. Genauso würde ich es nämlich machen. Zwei Nutten für Ablenkung sorgen lassen und den Killer losschicken, solange ich noch mit dem Schwanz dachte.

Allerdings machte er nicht im Geringsten einen furchteinflößenden Eindruck, und ich entspannte mich wieder ein bisschen, während ich ihn musterte. Er hatte ein Grinsen aufgesetzt, das nur um ein, zwei Dezibel leiser war als sein Ensemble aus Hawaiihemd, Shorts, violetten Sandalen, Gürtel- und Fahrradkuriertasche. Fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig, blond, Ziegenbärtchen. Einigermaßen gutaussehend. Er war unbewaffnet und interessierte sich nicht für die Flittchen, was bedeutete, dass er entweder schwul war, zu ihrem Team gehörte oder tatsächlich mit mir reden wollte.

»Hey, Sie nehmen mir die Sicht«, sagte ich.

»Mr. Forsythe?«, fragte er auf seriöse FBI-Art.

»Nein.«

»Mr. Forsythe, es freut mich, Sie zu treffen. Sie sehen etwas anders aus als auf dem Foto. Ein bisschen älter.«

»Aye, tja, Sie selbst sind auch nicht gerade eine Augenweide. Schon mal den Ausdruck modetechnisch minderbemittelt gehört?«

Seine Augen wurden glasig.

»Wovon sprechen Sie?«, fragte er.

»Wovon ich spreche? Wovon sprechen Sie denn? Sollten Sie mich nicht etwas über die Yankees fragen? Hat man Ihnen denn nichts beigebracht?«

Noch bevor er antworten konnte, kroch ein kaltes Gefühl meinen Rücken hinunter. Das war nicht Dans Mann. Ich stieß meinen Stuhl zurück und sah ihm in die Augen.

»Sie sind nicht vom FBI«, sagte ich.

»Nein, nein, überhaupt nicht«, sagte er mit einem kleinen Lachen. »Wie kommen sie darauf?«

»Wer sind Sie? Gehören Sie zu Bridget?«

»Ja. Ich arbeite für Ms. Callaghan. Man hat mir gesagt, ich soll Sie vom Flieger abholen. Ich habe Anweisung, Sie zu fragen, ob Sie nach Dublin weiterfliegen werden.«

»Das meinen Sie nicht ernst. Nach Dublin weiterfliegen? Damit Bridget mich mit – wie war das noch – Schweißgeräten foltern kann? Sie haben sie wohl nicht mehr alle. Nein, ich bleibe schön hier sitzen, warte, bis meine guten, alten Freunde vom FBI auftauchen und mache mich gemeinsam mit denen vom Acker. Ganz einfach. Und wenn Sie hier und jetzt irgendwas unternehmen wollen, mit hunderten von Zeugen und dutzenden von Bullen in Zivil drum rum – bitte sehr. Sie werden schon merken, wie weit Sie damit kommen.«

»Nein. Sie verstehen mich falsch. Ich bin kein angeheuerter Schläger, Mr. Forsythe, ich bin Anwalt, ich arbeite für Ms. Callaghan. Bitte entschuldigen Sie mein Aussehen, ich war gerade auf dem Weg nach Puerto Rico. Aber man hat mir gesagt, dass ich hier auf Sie warten und mit Ihnen reden soll.«

»Sie sind Anwalt? Verarschen kann ich mich selbst, Freundchen. Bleiben Sie bloß weg von mir«, sagte ich.

»Ich bin wirklich Anwalt, Mr. Forsythe, und ich arbeite tatsächlich für Ms. Callaghan. Ich soll Ihnen eine Botschaft übermitteln«, sagte er.

Ich ging weiter auf Abstand zu ihm und behielt seine Hände im Blick, dann stellte ich mein Getränk ab und schnipste mit den Fingern.

»Zeigen Sie mir irgendeinen beschissenen Ausweis«, forderte ich.

»Aber sicher doch.«

Er griff in die Tasche seiner Shorts, zog ein Portemonnaie hervor und zeigte mir einen Ausweis der Anwaltskammer, einen Ausweis der juristischen Bibliothek der Columbia University, einen Führerschein und eine Mitgliedskarte vom Princeton Club.

»Okay, Kleiner, nochmal von vorn: Was genau hat man Ihnen über mich erzählt und woher wussten Sie, mit welchem Flug ich ankomme?«, wollte ich wissen.

»Man hat mir gesagt, dass ich, wenn ich sowieso zum Flughafen fahre, Flug 223 aus Lima abpassen und einen Michael Forsythe ausfindig machen soll. Ihr Bild wurde mir gefaxt. Dummerweise musste ich kurz aufs Klo, und natürlich war das genau der Moment, nun ja … das war natürlich genau der Moment, in dem Sie rausgekommen sind. Ich hatte ein Schild mit Ihrem Namen gemacht, wollen Sie das Schild sehen?«

Ich durchbohrte ihn mit meinem Blick. Er fuhr fort: »Okay, kein Schild, vergessen Sie das Schild, okay, auch egal, ich bin dann in die Ankunftshalle und dachte schon, Sie verloren zu haben, aber wissen Sie, ich wusste, dass Sie Ire sind, und da dachte ich mir, warum nicht einen Blick in den Pub werfen, und dann habe ich …«

»Wenn ich Schwarzer gewesen wäre, hätten Sie dann einen Blick auf den Wassermelonenstand geworfen? Schluss mit dem Quatsch, was verflucht noch mal sollen Sie mir ausrichten?«, fragte ich.

Er durchwühlte die Fahrradkuriertasche, förderte ein gefaxtes Blatt Papier zutage und faltete es auseinander. »Es ist von Mr. Moran. Kennen Sie Mr. Moran?«

»Nein, ich kenne Mr. Moran nicht, und jetzt lesen Sie die verdammte Nachricht, bevor ich noch die Geduld verliere.«

»Ms. Callaghan entschuldigt sich für ihr plumpes Verhalten vom Vormittag. Sie schreibt, dass sie Ihre Hilfe dringend benötigt und gern noch einmal mit Ihnen reden würde«, sagte er und holte ein Handy aus seiner Fahrradtasche, das er auf den Tisch legte.

»Was soll das alles? Fliegt das Ding in die Luft, sobald Sie gegangen sind?«, erkundigte ich mich.

»Äh, nein, das ist einfach nur ein Telefon. Sie möchte mit Ihnen sprechen«, sagte er.

»Bridget möchte mit mir sprechen? Gut, okay, ein bisschen Zeit habe ich noch. Aber ich rufe sie von meinem Handy aus an. Schon mal von dem Nervengift Rizin gehört? Eine Berührung, und man ist hinüber. Soweit ich weiß, haben Sie sich die Hände mit einer Schutzcreme eingeschmiert, das Handy aber ist über und über mit Gift bedeckt, und ich soll draufgehen wie dieser Bulgare.«

Der Junge sah mich an, als ob ich ihn auf den Arm nehmen wollte, und, um ehrlich zu sein, tat ich das tatsächlich ein bisschen.

»Geben Sie mir doch einfach ihre Nummer. Falls Sie wirklich der sind, für den Sie sich ausgeben, rufe ich Bridget an«, sagte ich.

Ohne die geringsten Einwände gab er mir eine Nummer. Eine Nummer in Belfast. Ich wählte.

»Hotel Europa, guten Tag«, meldete sich eine Stimme.

»Hallo, ich möchte Bridget Callaghan sprechen, sie behauptet, bei Ihnen abgestiegen zu sein.«

»Einen Augenblick, bitte.«

»Hallo?«, sagte Bridget.

»Netter Versuch, Schwester«, sagte ich. »Aber ich habe das letzte Mal nicht angebissen, und ich werde auch diesmal nicht anbeißen, und um deine reizenden Abgesandten habe ich mich gekümmert.«

»Von deinen Heldentaten habe ich schon gehört, Michael. Beziehungsweise: Ich habe das Ergebnis deiner Spielchen auf BBC World gesehen. Himmelherrgott, sie waren nicht da, um dich zu töten. Glaubst du mir das denn nicht? Ich brauche deine Hilfe.«

»Aye, sie waren nicht da, um mich zu töten, deswegen haben sie auch ihre Knarren rausgeholt und mir gesagt, dass ich meinen Frieden mit Gott machen soll.«

Ich sah den Anwalt an und legte die Hand über den Hörer.

»Bekommen Sie auch wirklich alles mit, ja? Machen Sie sich doch mal eine Minute rar.«

»Ich setze mich dann da drüben hin, bis Sie mich wieder brauchen«, sagte er und zog an einen der nächsten Tische um.

»Sie sollten dir nichts tun, Michael«, beharrte Bridget.

Ich lachte laut auf.

»Oh Bridget, was hatten wir nicht schon für tolle Zeiten miteinander, jetzt muss ich fast lachen. Ich vermute mal, die Männer letztes Jahr in Los Angeles sollten mich eigentlich zu einer Überraschungsparty nach Malibu entführen.«

»Nein, die sollten dich umbringen. Sie sollten dich töten, dir deinen scheiß Kopf abschneiden und ihn mir bringen. Aber die beiden heute sollten nur sicherstellen, dass du nach Irland fliegst. Meine Tochter ist verschwunden, und ich brauche deine Hilfe. Herrgott noch mal, ich bin eine Mutter und mein einziges Kind ist verschwunden. Ich brauche deine Hilfe, Michael«, sagte sie, und ihre Stimme zitterte.

Ich schaute das Handy an. Ich fand sie richtig rührend. Sie war gut. Fast hatte sie mich überzeugt. Jetzt musste sie sich nur noch ein paar Tränchen rausquetschen, und ich wäre sofort auf dem Weg in Richtung Grüner Insel und sicherem Tod.

»Liebes, hör zu, es war toll, mit dir zu sprechen, und es war sehr gewieft von dir, mich zwei Mal an einem Tag aufzuspüren. Aber jetzt verschwinde ich ein für alle Mal aus deinem Leben. Ich gehe nach Indien, trage einen Turban und eröffne ein Pfandhaus in Bombay, also adios, meine liebe Bridget. Und ich warne dich, Süße: Meine Geduld hat ihre Grenzen. Man kann dieses Spiel auch andersherum spielen. Versuchst du es noch einmal, und sollte ich herausfinden, dass du immer noch hinter mir her bist, kriege ich dich, ist das klar? Unentdeckt zu bleiben ist für dich sehr viel schwerer als für mich. Ich habe immerhin schon zwölf Jahre Übung.«

»Drohst du mir etwa?«

»Aye, das tue ich.«

»Erstens, Michael: Du bist nicht in der Position, mir zu drohen, verdammt noch mal. Zweitens: Ich will dich weder anschmieren noch reinlegen. Alles, was ich gesagt habe, entspricht absolut der Wahrheit«, sagte sie.

»Da bin ich mir sicher. Genauso wie damals das Ich liebe dich und das Lass uns zusammen abhauen. Bridget, dieser kleine Plausch hat mir unbändig Spaß gemacht. Lass uns doch einfach in Kontakt bleiben. Und denk mal darüber nach, was ich gesagt habe. Ich würde dich ungern eines Nachts umbringen müssen, so wie deinen Freund damals. Aber das werde ich, wenn du weiter an mir dranbleibst. Und jetzt muss ich auflegen, meine Liebe, die federales sind im Anmarsch, um mich abzuholen und mich in die Stadt mitzunehmen. Ich an deiner Stelle würde also lieber nichts anzetteln.«

»Leg nicht auf, Michael, leg nicht auf, hör mir zu, hör mir einfach nur zu. Alles, was ich gesagt habe, stimmt. Meine Tochter Siobhan ist in Belfast verschwunden. Wir haben hier Urlaub gemacht, wir kommen jeden Sommer her. Am Samstag wollte sie spazieren gehen und ist danach nicht ins Hotel zurückgekommen. Sie hat gesagt, dass sie sich einen Milchshake holen will, aber in dem Laden hat niemand sie gesehen. Michael, sie ist wie vom Erdboden verschluckt. Die Polizei sucht nach ihr, du kannst die Hotline für Hinweise zu dem Fall anrufen, wenn du mir nicht glaubst. 01232-PSNI-TIP. Bitte, Michael, ich will, dass du mit an Bord bist. Ich verliere noch den Verstand, ich habe jeden Einzelnen, den ich hier drüben kenne, gebeten, mir zu helfen. Die Polizei, alle. Ich bin auch bereit, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Reinen Tisch zu machen. Du musst nur kommen und mithelfen. Ich weiß, du bist gut in dem, was du tust, du bist besser als alle, die ich kenne. Ich will dir gar keinen Honig ums Maul schmieren, Michael, aber du bist der Beste, der mir je untergekommen ist. Das hier ist deine Stadt, und du kannst sie finden, ich weiß, dass du das kannst. Bitte komm. Bitte.«

Und jetzt fing sie tatsächlich an zu weinen. Sie weinte und weinte.

Ich spürte, wie der Boden unter meinen Füßen in Bewegung geriet, als würde er von der Brandung weggespült. Ich blinzelte. Ich kämpfte dagegen an, konnte mir aber nicht helfen. Ich glaubte ihr.

Scheiße.

Was war ich bloß für ein Idiot.

»Nicht weinen, Bridget, bitte, wein doch nicht«, sagte ich.

Das Geschluchze ging noch eine geschlagene Minute weiter.

»Okay, das reicht jetzt, ich komme«, sagte ich.

Bridget putzte sich die Nase. Schniefte.

»Ich liebe sie doch. Sie ist mein Ein und Alles, Michael.«

»Hab ich begriffen. Ihr geht’s sicher gut. Manchmal hauen Kinder einfach so ab. Vor allem in diesem Alter. Höchstwahrscheinlich ist es so ein Mutter-Tochter-Ding. Mach dir keine Sorgen wegen ihr. Wir kriegen sie schon wieder.«

»Danke, Michael. Der Mann, der mit dir in Kontakt getreten ist, gibt dir fünfzehntausend Dollar für deine Unkosten und ein Ticket nach Dublin. Der Flieger geht in einer Stunde, wenn du den kriegen willst, musst du dich ein bisschen beeilen«, sagte Bridget.

»Erst rufe ich diese Hotline an, ich muss mir das bestätigen lassen. Wie lautet ihr vollständiger Name?«, fragte ich.

»Siobhan Callaghan. Elf, bald zwölf Jahre alt. Sie gleicht mir bis aufs Haar.«

»Mit anderen Worten: eine Herzensbrecherin.«

»Sie ist mein Leben, Michael, ich wünsche mir sehr, dass du mir hilfst.«

»Okay, wenn die Sache koscher ist, bin ich im Flieger. Aber ich warne dich, Bridget, auf schwere Kost reagiere ich heftig. Wenn in Irland deine Totschläger auf mich warten, bringe ich sie um, und du hörst nie wieder was von mir. Und wenn es eine Falle ist, mache ich dich fertig, das garantiere ich dir. Ich habe nämlich langsam gehörig die Schnauze voll davon.«

»Danke, Michael. Es ist keine Falle. Ich hasse dich. Ich kann dich auf den Tod nicht ausstehen. Aber ich brauche dich. Deswegen ziehe ich alle Register – du hast freie Bahn.«

»Okay.«

Sie legte auf. Ich bedeutete dem Jungen, wieder zu mir zu kommen.