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Frivolität, Verderbtheit, Lebenslust. Bei den „Tolldreisten Geschichten“ von Honoré de Balzac handelt es sich um eine Sammlung von Erzählungen, die die Scheinmoral und Unsittlichkeit der hohen französischen Gesellschaft des Spämittelalters vorführen. Es ist der gelungene Versuch Balzacs, ein neues „Decamerone“ zu erschaffen. In den drei Mal zehn deftigen Geschichten porträtiert Balzac die französische Gesellschaft des späten Mittelalters als lüsternes Völkchen. Ehrenhafte Ritter und bodenständige Bauern, tugendhafte Edelfrauen und sittsame Nonnen, verführerische Schönheiten und hartgesottene Raufbolde – alle suchen das erotische Vergnügen und achten dabei keinerlei Standesgrenzen. »Das ist ein stark gepfeffertes Buch, ein Buch für die Kenner kräftiger und saftiger Bissen.« Dies ist der erste Band. Die Ausgabe ist geschmückt mit zahlreichen Illustrationen von Gustave Doré.
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Seitenzahl: 344
BAND EINS
Illustrationen von
Gustave Doré
TOLLDREISTE GESCHICHTEN wurden in der französischen Fassung zuerst veröffentlicht von Charles Gosselin und Edmond Werdet, Paris 1832-37.
Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
1. Auflage 2022
V 1.0
Mit vielen Illustrationen von Gustave Doré.
In der Übersetzung von Benno Rüttenauer.
Anmerkungen zur Transkription: Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
Band 1
ISBN 978-3-96130-488-2
Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de
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Inhaltsverzeichnis
Tolldreiste Geschichten
Impressum
Biographische Übersicht
Erster Band
Prolog
Die schöne Imperia
Die läßliche Sünde
Wie der ehrenwerte Ritter Bruyn zu seiner Frau kam
Wie sich der zahnlose Seneschall mit der Jungfernschaft seiner Frau herumbiß
Welchergestalt eine Todsünde zu einer läßlichen Sünde wird
Welchergestalt und von wem die läßliche Sünde begangen wurde
Das Ende der läßlichen Sünde, wie sie gesühnt wurde und wie sie über Blancheflor Trauer und groß Herzeleid brachte
Das Königsliebchen
Der Erbe des Teufels
Die Belustigungen König Ludwig des Elften
Die Frau Konnetable
Die Jungfrau von Thilhouze
Der Waffenbruder
Der lustige Pfarrer von Azay-le-Rideau
Die schöne Wäscherin von Portillon
Epilog des ersten Zehent
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Zu guter Letzt
1799 Honoré Balzac (das Adelsprädikat de legt er sich erst 1831 zu) wird am 20. Mai in Tours geboren. Sein Vater, einer Landarbeiterfamilie entstammend und durch Spekulationen zu Vermögen gelangt, leitet ein Proviantamt der Armee.
1807-1813 Zögling im Collège der Oratorianer in Vendôme.
1813 Rückkehr ins Elternhaus, Besuch des Gymnasiums in Tours.
1814 Übersiedlung der Familie nach Paris (Versetzung des Vaters).
1814-1816 Zögling im Institut Lepître und im Institut Ganser et Beuzelin, Paris, Besuch des Lycée Charlemagne.
1816-1819 Jurastudium an der École de droit, zugleich Ausbildung bei zwei Anwälten. Hört auch Literaturvorlesungen.
1819 Erstes Examen für das Baccalauréat du droit. Pensionierung des Vaters, Übersiedlung der Familie nach Villeparisis. Balzac will Schriftsteller werden, bezieht in Paris eine Dachkammer. ›Sylla‹ und ›Cromwell‹, Tragödien, u. a. erste Arbeiten.
1820-1824 Schreibt, z.T. gemeinsam mit Auguste Le Poitevin de l'Egreville und Etienne Arago, Kolportageromane, die unter den Pseudonymen Auguste de Viellerglé, Lord R'Hoone und Horace de Saint-Aubin erscheinen.
1821 Bekanntschaft mit Madame de Berny (1777-1836), die seine erste große Liebe wird und der er bis zu ihrem Tod in herzlicher Freundschaft verbunden bleibt.
1823 Im Sommer Besuch der heimatlichen Touraine.
1825-1828 Zusammenarbeit mit dem Journalisten Horace Raisson an einer Serie ›Codes‹ (Gesetzbücher), Betrachtungen über die Sitten der Zeitgenossen. Mit geliehenem Geld wirtschaftliche Unternehmungen – Verlagswesen, Druckereigewerbe –, die scheitern und ihn lebenslang hoch verschulden.
1826 Bekanntschaft mit der Herzogin von Abrantès.
1829 Tod des Vaters. Bekanntschaft mit Zulma Carraud. Der erste gewichtige Roman, ›Der letzte Chouan‹ (später: ›Die Chouans‹), erscheint unter eigenem Namen. ›Die Physiologie der Ehe‹ erweckt jedoch größere Aufmerksamkeit.
1830 Findet Zugang zu den Pariser Salons. Wird Mitarbeiter verschiedener Zeitungen und Zeitschriften, ›Gobseck‹. ›Das Haus mit der ballspielenden Katze‹.
1831 Großer Erfolg des Romans ›Das Chagrinleder‹, ›ein vortreffliches Werk neuester Art‹ (Goethe). ›Das unbekannte Meisterwerke ›Christus in Flandern‹, ›Die rote Herberge‹.
1832 Kurze Beziehung zur Marquise de Castries. Am 7. November erhält er den ersten Brief der Gräfin Hanska, der die Unterschrift ›l'Etrangere‹ (die Fremde) trägt. Das ›erste Zehent‹ der auf 100 Geschichten geplanten ›Tolldreisten Geschichten‹. ›Der Oberst Chabert‹, ›Louis Lambert‹. ›Die Frau von dreißig Jahren‹ (vollständig 1844).
1833 Im September erstes Zusammentreffen mit Eva von Hanska in Neuchätel, im Dezember Begegnung in Genf. Das ›zweite Zehent‹ der ›Tolldreisten Geschichten‹, ›Eugenie Grandet‹. ›Der Landarzt‹, ›Der berühmte Gaudissart‹.
1834 Entzieht sich seinen Gläubigern, wohnt unter falschem Namen in Paris. Besucht im Mai/Juni Eva von Hanska in Wien. Im Dezember Brand in Balzacs Wohnung, Verlust eines Teil der ›Tolldreisten Geschichten‹, ›Die Suche nach dem Absoluten‹, ›Die Herzogin von Langeais‹.
1835 ›Vater Goriot‹, ein Hauptwerk der 1833 geplanten ›Comedie humaine‹ (Menschliche Komödie), die bereits erschienene und künftige Werke, auch hinsichtlich der Personen, miteinander vereinen soll. ›Seraphita‹, ›Der Ehevertrag‹, ›Das Mädchen mit den Goldaugen‹, ›Die Lilie im Tal‹.
1836 Gründet die Zeitschrift ›Chronique de Paris‹, die im Jahr darauf ihr Erscheinen einstellt. Reist im Auftrag der Familie Visconti in Erbschaftsangelegenheiten nach Italien, begleitet von der als Page verkleideten Madame Caroline Marbuty.
1837 Erneut im Auftrag der Viscontis in Italien (Mailand, Venedig, Florenz). Konkurs seines Verlegers Werdet, Balzac ist mit betroffen. Erwirbt den zwischen Sevres und Ville-de'Avray gelegenen Landsitz Les Jardies; Landaufkäufe und Bauvorhaben stürzen ihn in zusätzliche Geldnöte. Das ›dritte Zehent‹ der ›Tolldreisten Geschichten‹, das Gesamtwerk – es bleibt bei 30 Geschichten – erscheint 1855, illustriert von Gustave Dore (1832-1883). ›Die alte Jungfer‹. ›Cesar Birotteau‹.
1838 Reise nach Sardinien. ›Das Haus Nucingen‹.
1839 Setzt sich vergeblich für den zum Tode verurteilten Notar Peytel ein. ›Das Antiquitätenkabinett‹.
1840 Verkauf seines Landsitzes mit großem finanziellem Verlust. Zieht in den Pariser Stadtteil Passy, Rue Basse 19 (heute: Rue Raynouard), jetzt Museum. Gründung der ›Revue parisienne‹, nur drei Nummern. Premiere des ›Vautrin‹.
1841 Angesichts von Raubdrucken Eingabe zu einem Gesetz über das Urheberrecht. Erschütterte Gesundheit durch ständige Nachtarbeit. ›Der Landpfarrer‹. ›Die Junggesellenwirtschaft‹.
1842 Schließt einen Verlagsvertrag über die Gesamtausgabe seiner ›Comédie humaine‹, dazu neues Vorwort. Erfährt vom Tod des im Vorjahr verstorbenen Grafen Hanski, sein Ziel ist die Heirat mit Eva von Hanska. ›Ursule Mirouet‹.
1843 Reise nach Sankt Petersburg zu Eva von Hanska. Rückreise über Berlin, Potsdam, Leipzig, Dresden, Brüssel. Kandidiert für die Académie Française. Hirnhautentzündung. ›Die Muse der Provinz‹. ›Eine dunkle Affäre‹.
1844 Schwere Gelbsucht. ›Glanz und Elend der Kurtisanen‹ Teil 1 (bereits 1838 unter dem Titel ›La Torpille‹) und Teil 2 - Teil 3 erscheint 1847. ›Die Bauern‹. ›Modeste Mignon‹.
1845 Im Mai Begegnung mit Eva von Hanska und ihrer Tochter in Dresden. Gemeinsame Reise nach Cannstatt, Paris, Belgien und Holland; im Herbst Reise nach Italien.
1846 Erneute Italienreise mit Eva von Hanska. Audienz beim Papst. Erwirbt für Eva den Pavillon Beaujon in der Rue Fortunée (heute: Rue Balzac).
1847 Februar bis April Eva von Hanska in Paris. Balzacs Gesundheitszustand verschlechtert sich. Im Oktober Reise zu Eva auf das Schloß Wierzchownia in der Ukraine. Besuch in Kiew. ›Vetter Pons‹. ›Die Base Lisbeth‹.
1848 Februar Rückkehr nach Paris. Erlebt die Februarrevolution. Im Herbst erneut Reise nach Wierzchownia.
1849 Verbringt das ganze Jahr kränkelnd in Wierzchownia. Die Académie Française lehnt seine Aufnahme ab, nur Hugo und Lamartine stimmen für ihn.
1850 Sein Befinden verschlechtert sich. Am 14. März Trauung mit Eva von Hanska in Berditschew bei Kiew. Im April Abreise der beiden nach Paris. Balzac wird bettlägerig, stirbt am 18. August. Bestattung am 21. August auf dem Friedhof Pére-Lachaise, die Grabrede hält Victor Hugo.
Das ist ein stark gepfeffertes Buch, ein Buch für die Kenner kräftiger und saftiger Bissen, die vom Guten und Besten der Welt den Geschmack auf der Zunge haben, und eines für solche Zecher am Spundloch des Lebens, die schon dem unsterblichen François Rabelais, unsrem Tourainer Landsmann ewigen Angedenkens, die liebste Kumpanei und Jüngerschaft waren.
Nicht daß der Autor sich einbildet, etwas andres zu sein als ein guter Tourainer und etwas andres zu können, als den guten Gesellen dieses fetten und famosen Landes ein paar Schöpflöffel einer nicht alltäglichen Brühe zu kredenzen; – dieses Landes, das fruchtbarer ist an gehörnten und hörnerpflanzenden Spaßvögeln als irgendein Land der Welt, darunter nicht wenige sind, vor denen unser ganzes Volk salutiert und noch einige Völker der Erde mit ihm, wie der Meister Courier selig, der nun niemand mehr kitzelt, oder Meister Verville mit seinem Buch ›Wie die Welt will beschissen werden‹ und andere, die jedermann kennt, den edlen Meister Cartesius ausgenommen. Denn der war ein fast düsterer Geist und hat seine Wolkenträume und Hirngespinste höher gestellt als die guten fetten Bissen und die klaren Tropfen, also daß die Waffelbäcker und Garköche der guten Stadt Tours nichts von ihm wissen noch hören wollen und, wenn man seinen Namen nennt, ein Gesicht machen, als ob sie sagen wollten: ›Ist mir nicht vorgestellt.‹
Dieses Buch aber gehört zu den Früchten, wie die lustigsten und ausgelassensten Stunden unsrer guten alten Mönche sie hervorbrachten und wovon man hier und da in alten Klöstern und Schlössern noch Überbleibsel findet, wie in den weiland fetten Abteien Marmoustiers und Turpenay oder etwa auf Azay und Roche-Corbon und sonst in verstaubten Typotheken jovialer Chorherren und alter Edeldamen, die oft ganze Sammlungen davon lebendig mit sich herumtragen. Sie haben die gute alte Zeit gekannt, wo man noch wußte, was Lachen heißt, und man nicht gleich jemand ängstlich ansah, ob ihm nicht ein Heuwagen aus dem Munde komme, wenn's ihm herausplatzte und den Bauch schütterte, wie es heut bei den jungen Damen Sitte ist, die so gravitätisch dasitzen und deren Art zu unserm lustigen Lande paßt wie ein Nachtgeschirr auf das Haupt einer Königin. Und da das Lachen ein Privilegium des Menschen ist, daran keine andere Kreatur teilnimmt, und wir Grund genug zur Traurigkeit haben in diesen Tagen der sogenannten politischen Freiheit, also daß wir den heiligen Philisterernst, der uns überall anglotzt, nicht auch noch durch Bücher zu vermehren brauchen – habe ich geglaubt, ein ganz verflucht patriotisches Werk zu tun, indem ich meinen Zeitgenossen so ein Körbchen voll Lustigkeit schenkte. Wahrhaftig, die Zeit tut mir leid. Wie ein feiner Regen rieselt die Langeweile auf uns hernieder und sickert in uns durch alle Poren mit ihrer schleimigen Feuchtigkeit, daß es kein Wunder ist, wenn alles die Gehirnerweichung kriegt und unsre alten Sitten zum Ammenmärchen werden, die Sitten von dazumal, wo uns die öffentlichen Angelegenheiten, oder wie man die Lumpereien nennen mag, nur so weit interessierten, als sie uns Stoff zu Spott und Hohngelächter gaben. Immer seltener werden sie, die alten Pantagruelisten, die keine Zeit hatten, dem König und dem lieben Gott ins Handwerk zu pfuschen, weil ihnen Lachen und Lustigsein eine wichtigere Sache dünkte; mir scheint, sie sterben aus, und so befürchte ich, daß man die genannten Überbleibsel jener ehemaligen lustigen Breviere, ich fürchte, sage ich, daß man sie verketzern, verleumden und verschimpfieren, daß man sie anspeien und mit Kot bewerfen, daß man sie bepissen und beschmeißen wird, was einem Menschen, der noch Respekt hat vor ehrwürdigen Trümmern und Altertümern, nicht Wurscht sein kann und nicht Schwartenmagen.
Wollt auch bedenken, ihr gelbsüchtig-galligen und gar nicht gallischen Kritiker, Phrasendrescher und Wortverdreher, die ihr nichts könnt, als die Aspirationen und Inspirationen anderer zu verdächtigen, wollet bedenken, sage ich, daß wir nur als Kinder lachen und daß uns mit der Zeit das Lachen ausgeht wie einer Lampe das Öl. Daraus könnt ihr sehen, daß man zum Lachen unschuldig und reinen Herzens sein muß. Wo ihr aber zusammengekniffene Lippen, hochgezogene Brauen, gerunzelte Stirnen, kurz, finstere Gesichter seht, da dürft ihr sicher sein, daß auch das Herz finster ist und voll Unrat. Nehmt an, dieses Buch sei eine Bildgruppe oder Statue; wollt ihr denn, daß der Autor sie verstümmeln und ihr da und dort ihre natürliche Beschaffenheit rauben soll? Er wäre ein Esel in der siebenundzwanzigsten Potenz, wenn er auch nur ein Feigenblatt dranklebte, da solche Werke ebenso wie dieses Buch ja nicht für Nonnenklöster bestimmt sind. Immerhin habe ich aus meinen Manuskripten zu meinem großen Ärger und Leidwesen manche kräftigen alten Wörter ausgestrichen, weil ich wohl weiß, daß an so vielen Leuten nichts keusch ist als die Ohren. Mit Recht können solche Ohren verlangen, daß man Rücksicht auf sie nehme. Wir wünschen nicht, daß eine jener tugendhaften Damen mit drei Liebhabern im Zorn über uns die schmalen Lippen kräusle. Und kein kleines Verbrechen wäre es, gewissen Jungfrauen ohne Jungfernschaft die Schamröte ins Gesicht zu treiben. Man muß den speziellen Lastern unserer Zeit Rechnung tragen. Auch ist ja die Umschreibung kitzliger als das nackte Wort.
Wir sind aber mit der Zeit alt geworden. Lang gesponnene Albernheiten sind uns lieber als die kurzen Frechheiten unsrer Jugend, man kann länger dran saugen und suckeln. Seid also nicht gar zu aufgebracht gegen mich, lest auch mein Buch lieber bei Nacht als bei Tag, und vor allem gebt es keiner Jungfrau, wenn sie es noch ist, in die Hand, das arme Buch könnte Feuer fangen.
Mich selber mögt ihr in Grund und Boden verfluchen. Um das Buch ist mir aber nicht angst, es hat denselben Quell und Ursprung wie so viele Dinge, die sich die Welt erobert haben, als zum Beispiel die königlichen Orden vom Goldenen Vlies, vom Heiligen Geist, der großbritannische Badeorden, der Orden vom Hosenband (Honni soit qui mal y pense) und andre hohe und weltberühmte Institutionen, unter deren Schutz und Schirm ich mich stelle.
›Also seid mir lustig und aufgeräumt, meine Lieben, und lest dies mit fröhlichem Sinn, daß sich eure Lenden und Eingeweide dabei wohl fühlen; wenn ihr mich aber verleugnet, nachdem ihr mich gelesen, so mög euch der Beelzebub reiten.‹
Diese Worte sind von Meister Rabelais, vor dem wir alle ehrfurchtsvoll den Hut abziehen als vor dem König der Wissenschaft und aller göttlichen und menschlichen Komödie.
Als sich der Erzbischof von Bordeaux nach dem Konzil von Konstanz begab, hatte er in seinem Gefolge ein Pfäfflein, einen Tourainer, der von feiner, zierlicher Rede und gar einnehmendem Wesen war, denn er galt für einen Sohn der damals weitberühmten schönen Soldée und des königlichen Statthalters. Der Erzbischof von Tours hatte ihn seinem Amtsbruder bei dessen Durchreise durch diese Stadt überlassen, quasi zum Geschenk gemacht; solche Geschenke sind unter Erzbischöfen üblich, die wohl wissen, daß, wenn einen die Theologie irgendwo juckt, man einen guten Theologen braucht, um sich kratzen zu lassen.
Und also kam das Pfäfflein zum Konzil und wurde im Hause seines Prälaten einquartiert, der ein Mann war von guten Sitten und hoher Gelehrtheit. Philipp von Mala, so war der Name des Priesters, war entschlossen, sich gut zu führen und seinem Beschützer gewissenhaft zu dienen; aber er sah auf diesem Konzil hochheiliger Gottesgelahrtheit viele Leute, die weniger ein gottesgelehrtes als ein gottesgeleertes und lästerliches Leben führten, aber darum nur ein mehreres an Ablässen, Goldgulden und Pfründen gewannen als die andern, die sich eines würdigen und frommen Lebenswandels befleißigten. Eines Nachts also, da seine Tugend einmal wieder schwere Anfechtungen zu bestehen hatte, flüsterte ihm der Teufel ins Ohr und Hirn, er solle doch nicht so dumm sein und Hunger leiden, während ihm der große Brotkorb vor der Nase hänge; könne doch jeder am Busen unsrer heiligen Mutter, der Kirche, sich satt trinken, ohne daß die Quelle je versiege, durch welches Wunder allein schon die Gegenwart Gottes in seiner Kirche bewiesen werde. Der junge Priester aus unsrem allzeit lustigen Tourainer Land ließ sich das gesagt sein. Er nahm sich vor, zu bankettieren wie die andern und sich die deutschen Braten mitsamt der Brühe, Fasttage hin, Fasttage her, wohlschmecken zu lassen, wo sie nichts kosteten; denn der gute Jüngling war arm wie eine Kirchenmaus.
Da er sehr enthaltsam lebte, dabei immer seinen alten Erzbischof als Muster vor Augen, der nicht mehr sündigte, weil er es nicht mehr konnte, und darum für einen Heiligen galt, hatte sein Fleisch fast immer böse Anfechtungen, und seine Seele wurde darüber voll Traurigkeit, um so mehr, als er nirgends jenen verführerischen Frauenzimmern ausweichen konnte, die so offen und freigebig ihre Reize zur Schau trugen, aber kalt waren wie Eis, wenn es sich um einen armen Teufel handelte. Sie waren aus der ganzen Welt zusammengekommen, um mit dem Licht ihrer Schönheit die Köpfe der versammelten Patres zu erleuchten. Und also war das Pfäfflein voll Verzweiflung, weil er kein Mittel fand, sich eine von den glänzenden Elstern zu zähmen, die sogar mit Kardinälen, mit Äbten, mit Hoch- und Großmeistern, mit Oberappellationsräten, Legaten, Bischöfen, Fürsten, Herzögen und Markgrafen manchmal so wenig Federlesens machten, wie wenn es arme Schreiber gewesen wären ohne einen Pfennig in der Tasche.
Oft, wenn er abends sein Gebet verrichtet hatte, dachte er sich aus, wie er eine der Kostbaren anreden wolle; er komponierte sich selber eine Art Liebesbrevier mit Anreden und Antworten, mit Antiphonen und Responsorien für alle Fälle. Und wenn er dann tags darauf nach der Vesper einer dieser Prinzessinnen begegnete, wie sie mit ihrer fleischlichen Üppigkeit sich in ihrer Sänfte breitmachte, von dienenden Pagen begleitet, gebläht von Stolz, da stand er mit offenem Mund verlegen wie ein Hund, der vergeblich nach einer Fliege schnappt, und starrte nur idiotisch in das Feuer ihrer Augen, das ihm das Herz versengte wie ein Licht die arme graue Motte.
Der Sekretär von Monsignore, ein Edelmann aus dem Perigord, hatte ihm gestanden, daß die Patres, Prokuratoren und Appellationsräte den Beutel weit aufmachen müßten, weil sie anders keinen Zutritt fänden bei den vornehmsten dieser verhätschelten Katzen, die nicht für irgendein Stück Heiligenknochen noch Ablaßversprechen, sondern nur für Schmuck und Geschmeide in Gold und Edelstein guter Laune gemacht werden könnten und von denen eine jede unter den obersten Herrschaften des Konzils ihren besonderen Protektor habe. Da kam der arme Tourainer, sosehr Nestling und unflügg er war, auf den Einfall, sich einen Schatz anzulegen; und er sammelte in seinem Strohsack all die Silberlinge, die ihm der gute Erzbischof für seine Schreibereien zukommen ließ, und hoffte eines Tages genug zu haben, um der Leibhure eines Rotmantels ein wenig aufzuwarten. Das übrige stellte er Gott anheim.
Seine Ausstattung war von Kopf bis zu den Füßen so schäbig, daß man eine Ziege mit einer Nachthaube auf den Hörnern eher für ein Fräulein als ihn für ein Ebenbild Gottes gehalten hätte. Aber von der Begierde angestachelt, trieb er sich jede Nacht in den Straßen von Konstanz herum, unbekümmert um sein Leben und ewig in Gefahr, die Hellebarde eines Landsknechts ins Gedärm zu bekommen. So lauerte er den Kardinälen auf, die nächtlich zu ihren Schönen schlichen.
Da sah er, wie in dem Haus die Wachskerzen angezündet und alle Fenster und Kreuzstöcke hell wurden. Wenn er dann horchte, hörte er, wie die geweihten Äbte und andre sich lustig machten, wie sie vom Besten tranken und das geheime Halleluja der Liebe anstimmten, ohne sich viel aus der Musik zu machen, die man ihnen dazu aufspielte. Die Küche tat auch wahre Wunder und sorgte dafür, daß die Hora nicht langweilig wurde. Präludiert wurde mit fetten, kräftigen Brühen, die Metten wurden mit Schinken eingeläutet, dann kam die Bratenvesper, und verzuckerte Früchte und andere leckere Bissen machten als die Laudes den Beschluß. Nach langer tumultuöser Fresserei und Sauferei trat dann Silentium ein. Die Pagen spielten mit Würfeln auf den Stufen der Treppe, die Maultiere, die auf der Straße warteten, schlugen und bissen nacheinander, um doch auch einen Zeitvertreib zu haben. Alles ging zum besten. Wahrlich, da war noch Glaube und Religion, und darum haben sie auch den Gevatter Hus verbrannt. Und der Grund dafür? Er wollte in die Schüssel langen, ohne daß ihn jemand aufgefordert hatte. Es ist ihm recht geschehen; warum wollte er auch ein Hugenotte sein, ehe die Hugenotten erst erfunden waren!
Um auf den allerliebsten kleinen Philipp von Mala zurückzukommen. Er erwischte wohl manchen Schlag und Rippenstoß, aber der Teufel flößte ihm Mut ein, indem er ihm zuflüsterte und ihn in dem Glauben und der Zuversicht stärkte, daß früher oder später die Reihe an ihn kommen müßte, Kardinal zu werden, wenigstens bei der Hure eines Kardinals. Die Begierde machte ihn tolldreist gleich einem Hirsch in der Zeit der Brunst, so sehr, daß er sich eines Abends in das schönste Haus von Konstanz einschlich, auf dessen hoher Staffel er öfter ein hochnäsiges Pack von Bedientenvolk bemerkt hatte: Stallknechte, Kammerdiener, Pagen, Läufer, die mit brennenden Fackeln ihre Herren erwarteten, als da waren Herzöge, Könige, Kardinäle und Erzbischöfe.
»Ah«, seufzte er, »die da muß wohl über alle Maßen schön und verführerisch sein.«
Ein bewaffneter Landsknecht ließ ihn durchschlüpfen, weil er glaubte, daß er zum Gefolge des Kurfürsten von Bayern gehöre, der gerade das Haus verlassen und vielleicht etwas vergessen hatte, was er durch seinen Kaplan wollte zurückholen lassen. Schnell und geschmeidig wie ein Windhund erstieg Philipp von Mala, vom Liebesteufel getrieben, die Treppe, und ein deliziöser Duft von Spezereien brachte ihn, er brauchte nur seiner Nase nachzugehen, in die Nähe des Gemachs, wo gerade die Herrin mit ihren Frauen über ihren Schmuck und Anzug parlamentierte und beratschlagte. Ein jäher Schreck durchfuhr ihn. Wie ein Dieb, vor dem plötzlich die Häscher auftauchten, stand er da. Die Schöne war ohne Häubchen und Kleid, und die Dienerinnen und Zofen, damit beschäftigt, ihre Dame für die Nacht zu schmucken, hatten gerade den weißen Kern, ich will sagen ihren Körper, blink und blank aus seinen Hüllen herausgeschält, daß das arme Pfäfflein unter der Tür wie in einen Zauberspiegel zu blicken vermeinte und ein ›Ach‹ ausstieß, daß die ganze Not seiner Seele und seines Körpers verriet.
»Was willst du, Kleiner?« fragte die Schöne.
»Euch meine Seele bringen«, antwortete er, indem er sie mit den Augen verschlang.
»So komm morgen wieder her!«
Das klang höhnisch und wenig einladend; aber Philipp, rot bis über die Ohren, antwortete mit Anstand:
»Ich werde nicht verfehlen, schöne Frau.«
Sie brach in ein schallendes Gelächter aus. Philipp verstummte, blieb aber lüstern und lauernd stehen, immer die begehrlichen Blicke auf sie geheftet. Er schlug durchaus nicht die Augen nieder vor all den enthüllten Heimlichkeiten, wie etwa diesem aufgelösten üppigen Haar, das über den Rücken niederfloß, der schimmerte wie poliertes Elfenbein und zwischen den dunklen welligen Strähnen wollüstig aufleuchtete. Sie trug auf der schneeweißen Stirn einen geschliffenen Rubin, der aber weniger Feuer ausstrahlte und Blitze warf als ihre schwarzen Augen, in denen die Lachtränen schimmerten. Mutwillig warf sie ihren Schnabelschuh in die Höhe, der mit Gold gestickt war wie ein Meßgewand, dabei machte sie eine unzüchtig kitzlige Bewegung und zeigte einen Fuß, kleiner als der Schnabel eines Schwans. Sie war diesen Abend gut aufgelegt, sonst hätte sie das tonsurierte Männlein zum Fenster hinausschmeißen lassen, ohne sich mehr um ihn zu kümmern als um ihren ersten Bischof.
»Er hat schöne Augen, Herrin«, sagte eine der Zofen.
»Aus was für einem Mausloch ist er denn herausgeschlüpft?« fragte die andere.
»Das arme Kind!« spottete die Herrin, »seine Mutter wird ihn suchen, man muß ihn auf den rechten Weg zurückbringen.«
Der Tourainer kam aber nicht aus der Fassung; er betrachtete mit Verzückung und Bewunderung das Bett von Goldbrokat, das diesen Leib voll Wollust in sich aufnehmen durfte. Dieser Blick, der so beredt von tiefer Liebe sprach, erregte die Phantasie der Dame. Halb noch scherzend, halb schon verliebt in den Kleinen wiederholte sie ihr ›Morgen!‹ und entließ ihn mit einer Geste, vor der selbst Papst Johann sich geduckt hätte, um so mehr, da der Arme jetzt eine Schnecke war ohne Gehäuse, indem das Konzil ihn soeben entpapstet hatte. »Da habt Ihr, Herrin, schon wieder ein Gelübde der Keuschheit in sündige Begier verwandelt«, sagte eins der Zöfchen.
Und von neuem ein tolles Gelächter. Philipp aber schlich sich davon, stieß gegen die Täfelung, er war betäubt wie ein berauschter Gimpel von dem Anblick dieses Geschöpfes Gottes, das weißer leuchtete und heftiger zum Zugreifen reizte als eine richtige Sirene, wenn sie just aus den Wellen des blauen Meeres auftaucht.
Er merkte sich die eingemeißelte Schilderei vor der Haustür, irgendein phantastisches Tier; und Seele und Leib voll Teufeleien und sündiger Gedanken, kam er nach Hause zu seinem guten alten Erzbischof. Er stieg sein Kämmerlein hinauf und zählte die ganze Nacht seine Silberlinge, konnte aber nie mehr als vier herausbringen. Da das nun sein ganzer St. Habemus war, dachte er, die Dame werde wohl zufrieden sein, wenn er ihr alles gäbe, was er auf der Welt sein eigen nenne.
»Was ist denn mit Euch, Philipp?« fragte ihn der fromme Erzbischof, der auf das unruhige Wesen und das verstohlene Geseufz seines Schreibers aufmerksam geworden war.
»Ach, gnädiger Herr«, antwortete der arme Priester, »ich wundre mich, wie ein so zierliches und sanftes Wesen von Frau einem so schwer auf dem Herzen liegen kann.«
»Welche denn?« erwiderte der Erzbischof, indem er sein Brevier auf die Seite legte, das dieser Gute für die andern betete.
»Beim Erlöser«, antwortete Philipp, »Ihr werdet böse auf mich werden, mein gnädiger Herr und Protektor, denn ich habe eine gesehen, die das Liebchen von wenigstens einem Kardinal ist. Und ich mußte weinen, da es mir schien, daß mir mehr als ein verdammter Taler fehle, um die Harte auch nur halbwegs zur Mildtätigkeit zu bekehren und...«
Der Erzbischof verzog den Accentum circumflexum, der ihm auf der Nase saß, und sagte kein Wort, also daß der bescheidene Priester zitterte in seiner armen Haut und es bitter bereute, seinem Vorgesetzten gebeichtet zu haben. Aber da sagte der heilige Mann plötzlich: »Ist sie denn so teuer?«
»Oh«, rief der Jüngling, »sie hat sich von mancher Mitra die Borten abgetrennt und aus mehr als einem Krummstab die Rubinen ausgebrochen.«
»Philipp«, antwortete der Erzbischof, »wenn du mir versprichst, nicht mehr an sie zu denken, will ich dir dreißig Silberlinge aus dem Armenfonds geben.«
»Gnädiger Herr, dabei würde ich zuviel verlieren«, sprach der junge Priester, dessen Kopf voll war von den Vorstellungen an die leckere Schüssel, die er sich versprach.
»O Philipp«, entgegnete ihm der gute Bordelenser, »du willst also dem Teufel in die Arme rennen und Gott mißfallen wie unsere Kardinäle?«
Und der fromme Seelenhirt, innerlichst von Schmerz bewegt, wandte sich im Gebet an den heiligen Gatian, den Patron der Keuschen, und empfahl ihm das Heil seines Dieners. Diesen ließ er niederknien und forderte ihn auf, auch den heiligen Philipp, seinen eigenen Patron, um seinen Schutz anzurufen. Aber das verflixte Pfäfflein flehte heimlich den Heiligen um eine ganz andre Hilfe an, nämlich ihm Kraft zu geben, daß er in Ehren bestehen möge, wenn die Schöne ihm morgen gnädig und barmherzig sein sollte. Der gute Erzbischof war aber sehr erbaut von dem inbrünstigen Gebet seines treuen Dieners, er rief: »Mut, mein Sohn, der Himmel wird dich erhören!«
Am andern Tag, während der Erzbischof auf dem Konzil gegen die schamlosen Ränke und Frechheiten dieser Apostel der Christenheit vergebens ankämpfte, war Philipp von Mala damit beschäftigt, seine Silberlinge, die er im Schweiße seines Angesichts verdient hatte, für Bäder, Spezereien, kostbare Salben und andere Allotria auszugeben. Er salbte sich wie eine Braut am Hochzeitsmorgen, dann machte er sich auf in die Stadt, ob er auch das Haus seiner Herzenskönigin noch fände; und als er einen Vorübergehenden fragte, wem der Palast gehöre, lachte ihm der Mann unter die Nase und sagte: »Ist der dumme Kerl von heute, daß er noch nichts weiß von der weltberühmten schönen Imperia?«
Da war der gute Klerikus fast sicher, daß er seine armen Silberlinge dem Teufel in den Rachen geschmissen hatte; der stadtbekannte Name ließ ihn das Verzweifelte seines Unternehmens im hellsten Lichte sehen.
Die schöne Imperia war längst beschrien in der ganzen Welt als die hochmütigste und launenhafteste Dame ihres Handwerks. Sie galt außerdem für die strahlendste Schönheit, und man sagte ihr nach, daß Kardinäle, Soldatenführer und andre rohe Leuteschinder sich von ihr nur so um den Finger wickeln ließen. Sie hatte zu ihrer eigenen Verfügung tapfere Hauptleute, Bogenschützen und Kavaliere, die bereit waren, ihr in jeder Sache zu Befehl zu sein. Ein Zucken ihrer schönen Wimpern genügte, um einen jeden ermorden zu lassen, der es gewagt hatte, ihr auch nur ein Haar zu krümmen. Für ein halbes Lächeln brachte man ihr so viel abgeschlagene Menschenköpfe, als sie haben wollte. Ein gewisser Herr von Baldricourt, ein Kriegshauptmann des Königs von Frankreich, fragte sie oft im Scherz, ob heute nicht jemand für sie umzubringen sei; und mancher Abt oder Erzbischof, der zugegen war, erblaßte bei dem Witz.
Nur mit den höchsten Kirchenfürsten nahm sie sich zusammen, sonst ließ sie alle Welt an ihrem Schnürchen tanzen und schwang lachend dazu ihre Rute, so groß war der Zauber ihrer gottverdammten Schönheit und die Anziehungskraft ihrer Liebespraktiken. Nie versagte diese Leimrute. Die Tugendhaftesten und Unempfindlichsten verfingen sich daran wie die Gimpel. Darum war sie auch mit Respekt umgeben wie die wahren Damen und Prinzessinnen. Jedermann nannte sie Frau und Herrin. Und als einmal eine stolze und tugendhafte Dame sich bei dem Kaiser Sigismund deswegen beklagte, antwortete er:
»Ihr, würdige Frau, Ihr rühmt Euch mit Recht, die Hüterin frommer Sitten zu sein, dafür ist Frau Imperia die Hüterin der weniger frommen, aber um so angenehmeren Sitten, die sich von der Göttin Venus herschreiben; eines schickt sich nicht für alle ...« Wahrhaft christliche Worte, die den ehrenhaften Damen sehr zum Ärgernis gereichten, aber ganz mit Unrecht.
Philipp dachte an den berauschenden Trank seiner Augen in der vergangenen Nacht und fürchtete sehr, daß es bei diesem Vorgeschmack bleiben möchte. Da überkam ihn eine dumpfe Traurigkeit. Ohne an Essen oder Trinken zu denken, trieb er sich in der Stadt umher und harrte so der Stunde entgegen; denn er war viel zu wählerisch und feinschmeckerisch, um sich mit einer andern zu begnügen, die leichter zugänglich gewesen wäre als Frau Imperia.
Die ungestüme Begierde peitschte ihn, ein vorweggenommener Stolz ließ ihn über sich selbst hinauswachsen; dann wieder glaubte er ersticken zu müssen an seiner Leidenschaft, und als die Nacht endlich gekommen war, schlich er sich wie ein Aal in das Haus derer, die sich in Wahrheit die Königin des Konzils nennen durfte; denn vor ihr beugten sich alle Autoritäten, alle göttlichen und menschlichen Wissenschaften, alle Lehrer und Väter der heiligen Kirche. Der Hausmeister, der ihn nicht kannte, machte gerade Miene, ihn zur Tür hinauszuschmeißen, aber eine Zofe, die oben an der Treppe erschien, tat ihm Einhalt:
»Meister Imhof«, rief sie, »das ist der Kleine unsrer Frau.« Und der arme Philipp, rot und voll Seligkeit wie eine Brautnacht, stolperte berauscht die Treppe hinauf. Die Zofe nahm ihn bei der Hand und führte ihn in den Saal, wo die Herrin, vorläufig nur leicht geschmückt, ungeduldig der Dinge harrte, die da kamen. Sie saß vor einem Tisch, der mit goldverbrämtem Samt bedeckt und ganz mit Schüsseln und Tellern und tausenderlei kostbaren Gefäßen überfüllt war. Neben Trinkschalen standen zierliche venezianische Gläser und neben hohen geschliffenen Flaschen dickbäuchige Krüge voll alten Zyperweins. Hippokras und andere gewürzte Getränke dufteten aus riesigen Kannen neben ganzen Körben voll Spezereien und leckerer Süßigkeiten; Schüsseln voll grüner Kapern, geräucherte Schinken, gebratene Pfauen luden zu derberen Genüssen ein. Dem Priester wäre zu andrer Stunde das Wasser im Munde zusammengelaufen, doch ihm stand jetzt einzig der Sinn nach Frau Imperia. Sie merkte, daß er nichts sah außer ihr, und obwohl an die ketzerische Devotion der tonsurierten Häupter und ihre Andacht vor dem Altar des Strohsacks gewöhnt, fühlte sie sich dennoch sehr geschmeichelt; denn sie hatte sich wahrhaftig über Nacht in den armen Tourainer verliebt, und auch den ganzen Tag war er ihr nicht aus dem Sinn gekommen.
Die Fenster waren geschlossen, die ganze Zurichtung und die Buhlerin selbst sahen danach aus, als ob sie mindestens einen Fürsten des Römischen Reiches erwarte. Dem Schlingel von Pfaffen, ganz in Ekstase vor der allerheiligsten Schönheit der Imperia, dämmerte übrigens die Ahnung, daß weder ein Kaiser noch Burggraf, noch Kardinal und Papstkandidat heute abend gegen ihn aufkommen werde, gegen ihn, das arme Pfäfflein, das nichts in seiner Hosentasche und seinem Hosenlatz beherbergte als den Amor und den Teufel. Er benahm sich auch ganz wie ein großer Herr, warf sich in die Brust und machte eine höfische Verbeugung, die gar nicht linkisch ausfiel; die Dame warf ihm einen flammenden Blick zu, und mit einer einladenden Handbewegung sagte sie:
»Setzt Euch neben mich, ich möchte wissen, ob Ihr Euch seit gestern verändert habt.«
»Nicht wenig«, antwortete er.
»Wieso?« fragte sie.
»Gestern«, erwiderte der Schlauberger, »gestern habe ich Euch geliebt... heute lieben wir uns; ein armer Schlucker war ich gestern, und reicher als ein König bin ich heute.«
»Kleiner, Kleiner«, rief sie belustigt, »du hast dich wirklich verändert: aus einem dummen Pfaffen bist du, wie ich sehe, ein geriebener kleiner Teufel geworden.«
Und beide setzten sich zusammen vor das Kaminfeuer, das gleichsam wie ein Widerschein ihrer innern Glut das Gemach mit wohliger Wärme erfüllte. An Essen und Trinken dachten sie nicht, sie schnäbelten sich mit den Augen und rührten nicht an die Schüsseln. Als es so den beiden gerade am schönsten behagte, entstand plötzlich ein wüster Lärm vor der Tür, wie wenn man sich draußen raufte und zankte.
»Herrin«, rief die Zofe, die in Eile hereinstürzte, »nun wird gleich eine andere Tonart anheben.«
»Was?« schrie die Dame zornig und mit dem Ton eines übelgelaunten Tyrannen, den man stört.
»Der Bischof von Chur will Euch sprechen.«
»Hol ihn der Teufel!« rief sie, indem sie Philipp einen verliebten Blick zuwarf. »Er hat durch den Spalt Licht gesehen und macht einen wahren Höllenlärm.«
»Sage ihm, daß ich Fieber habe, und du wirst nicht lügen; denn ich bin wahr und wahrhaftig krank an dem Pfäfflein hier, das mir den Sinn verrückt hat.«
Aber sie hatte ihre Rede, wobei sie die heiße Hand Philipps inbrünstig drückte, noch nicht zu Ende gebracht, als der dicke Bischof von Chur zorngerötet und pustend hereinpolterte. Seine Läufer folgten ihm, sie trugen eine riesige Lachsforelle, frisch im Rhein gefangen, auf einer Schüssel von eitel Gold, auch Spezereien in kunstreichen Schalen und tausend leckere Bissen nebst zauberkräftigen Essenzen und Likören, wie die Nonnen seiner Abtei sie zu bereiten pflegten.
»Schockschwerenot!« keuchte und schnaubte der Bischof, »ich kann es abwarten, bis mich der Teufel holt, mein süßer Schatz; wenn du mich aber etwa vor der Zeit zum Teufel schicken wolltest ...«
»Euer Wanst wird eines Tages eine gute Degenscheide geben«, antwortete sie. Ihr Blick, kurz zuvor noch so sanft und lieb, wurde drohend wie ein gezückter Dolch.
»Und der Chorknabe da, kommt der schon für die Seelenmesse?« fragte der Bischof geringschätzig, indem er sein breites, rotes Gesicht dem zierlichen Philipp zuwandte.
»Gnädiger Herr«, erwiderte dieser, »die schöne Frau hat mich für ihre Beichte rufen lassen.«
»Oho! bist du so unwissend im kanonischen Gesetz? Die Frauen zur Beichte hören, zu solcher Stunde der Nacht und an einem Orte, der den Bischöfen vorbehalten ist. Auf, bleib bei deinem Leisten, Schuster, bleib bei deinen Nönnlein, Mönch; unter Strafe der Exkommunikation verbiete ich dir, hierher zurückzukommen.«
»Nein, bleibt!« schrie in flammender Empörung die schöne Imperia, die aber im Zorn noch schöner war als in der Liebe, schon deswegen, weil hier beides zusammen war, Liebe und Zorn. »Bleibt, mein Freund, Ihr seid hier zu Hause.«
Da erkannte er, daß er geliebt sei.
»Steht es nicht in Eurem Brevier und vor allem in den Evangelien, daß wir alle gleich sind vor Gott im Tal Josaphat?« fragte sie den Bischof.
»Das ist eine Erfindung des Teufels«, schrie der fette Koloß, »er hat die Bibel gefälscht; aber geschrieben steht es«, setzte er ruhig hinzu, indem er nach der gedeckten Tafel schielte.
»Und also seid ihr beide auch gleich vor mir, die ich hier auf Erden eure Göttin bin«, erwiderte die Imperia. »Wenn es Euch aber nicht gefällt«, wandte sie sich an den Bischof, »so werde ich Euch eines Tages zwischen Kopf und Schultern mit aller Zärtlichkeit strangulieren lassen, das schwöre ich Euch bei der Allmacht meiner Tonsur, die mindestens soviel wert ist wie die des Papstes.«
Da es aber schade gewesen wäre, wenn man die Forelle hätte kalt werden lassen, und da ihr auch die goldene Schüssel, die Konfektschalen und die Essenzen in die Augen stachen, lenkte sie geschickt ein:
»Setzt Euch«, sagte sie, »esset und trinket.«
Ihrem Liebling gab das durchtriebene Weibsbild, das diese geistreiche Komödie nicht zum ersten Male aufführte, durch einen Wink zu verstehen, daß er nur keine Angst haben solle vor dem fetten Deutschen, der gar bald über dem Bacchus den Amor gründlich vergessen werde.
Die Zofe war dem dicken Bischof behilflich, sich am Tisch bequem zurechtzurücken, Philipp aber fand vor Wut kein Wort. Er sah bereits sein ganzes Glück in Rauch aufgehen und wünschte dem Schmerbauch von Prälaten mehr Teufel auf den Hals, als es Mönche in Rom gibt.
Sie waren schon weit in der Mahlzeit vorgerückt, und der junge Priester hatte noch keinen Bissen berührt; ihn hungerte allein nach der Herrin des Hauses, er schmiegte sich eng an sie und brachte kein Wort über die Lippen. Um so beredter war er in jener Sprache, die die Damen verstehen auch ohne Kommata, ohne Punkte und ohne Ausrufungszeichen, ohne Akzente, ohne große und kleine Buchstaben, ohne Tropen und Metaphern, ohne Glossen und Randbemerkungen und Illustrationen. Der dicke Bischof, ein großes Leckermaul und sehr besorgt um das geistliche Gewand von geweihter Haut, in das ihn seine verstorbene Mutter eingenäht hatte, ließ sich von der zarten Hand der Herrin ein Glas nach dem andern vollschenken, mit Zyperwein, mit Hippokras, mit Lacrimae Christi und was es sonst geben mochte.
Als er aber zum ersten Male vernehmlich rülpste, hörte man plötzlich auf der Straße den lauten Tumult einer Kavalkade. Die Menge der Pferde, die lauten ›Hoho‹, ›Hollaho‹ und ›Brr! Brr!‹ der Stallknechte zeigten an, daß mindestens ein Fürst im Begriff stand, den Tempel der Liebe zu stürmen.
So war's; die Saaltür wurde aufgerissen, und der Kardinal von Ragusa, dem die Hausknechte in den Weg zu treten nicht gewagt hatten, trat breitspurig in das Gemach. Bei diesem Anblick zuckte die Imperia zusammen wie ein Hund, dem man auf den Schwanz getreten, und ihrem Kleinen fiel das Herz in die Hosen; denn leichter war mit dem Teufel Kirschen essen denn mit diesem Rotmantel, um so mehr, als man im Augenblick nicht wußte, wer am andern Tag Papst sein werde, da die drei Prätendenten zur Beruhigung der Christenheit freiwillig auf die dreifache Krone verzichtet hatten.
Der Ragusa, ein ganz durchtriebener Italiener mit schönem schwarzem Bart, ein Schlaukopf ersten Ranges, der größte Kabalenmacher des Konzils, brauchte nur halb hinzusehen, um zu wissen, wo Barthel den Most holt. Im Nu war sein Plan bedacht, wie er hier manövrieren müsse, damit er mit seinem Appetit nicht zu kurz komme. Er war geil wie ein Mönch, und wenn man ihm seine Beute streitig machte, hätte es ihn wenig gekostet, sieben Nebenbuhler niederzustoßen und im Notfall seinen Splitter vom heiligen Kreuz zu verkaufen, was doch ein großes Sakrilegium gewesen wäre. Mit einem Wort rief er Philipp zu sich heran.
Der arme Tourainer war mehr tot als lebendig; er ahnte gleich, daß ihm der Teufel da eine böse Suppe eingebrockt habe. »Was beliebt Eurer Eminenz?« sagte er kleinlaut zu dem fürchterlichen Kardinal.
Dieser nahm ihn am Arm, führte ihn nach der Treppe, und ohne erst nach einer Laterne zu rufen, bohrte er seine Augen in die des jungen Priesters.
»Bei der Mutter Gottes«, rief er, »du bist kein übler Geselle, und ich möchte nicht gezwungen werden, deinen Kopf darüber zu belehren, wie schwer dein Wanst ist...; eine solche Genugtuung könnte mich in meinem Alter eine fromme Stiftung und einen Beutel Dukaten kosten...; also wähle: entweder dich mit einer Abtei zu verheiraten für dein ganzes Leben oder mit Frau Imperia für diesen Abend und morgen sterben.«
Der arme Tourainer war in Verzweiflung.
»Und wenn Ihr abgekühlt seid, gnädiger Herr, darf ich dann wiederkommen?«
Da hätte der Kardinal fast gelacht, er sagte aber streng: »Wähle das hänfene Halsband oder die Mitra!«
»Aber nicht wahr«, sagte das Pfäfflein boshaft, »eine große, fette Abtei!«
Der Kardinal trat in den Saal, griff nach einem Schreibzeug und kritzelte auf einen Fetzen Papier eine Anweisung an den Botschafter von Frankreich.
»Gnädiger Herr«, erlaubte sich der Tourainer zu bemerken, indem er den Namen der Abtei buchstabierte, »der Bischof von Chur hier wird aber nicht so schnell wegzukriegen sein wie ich, denn er hat mehr Abteien in seiner Diözese, als die Soldaten Kneipen haben in der guten Stadt Tours. Übrigens ist er besoffen wie ein Landsknecht. Und seht, um Euch meinen Dank abzustatten für die herrliche Abtei, bin ich Euch wohl eine Warnung schuldig... Ihr wißt, wie bösartig die verdammten schwarzen Blattern sind, die unheimlich um sich greifen und im letzten Jahre ganz Paris grausam verheert haben. Also sagt ihm, daß Ihr geradeswegs von Eurem alten Freund, dem Erzbischof von Bordeaux, kommt, dem Ihr die Sterbesakramente gebracht. Ihr werdet sehen, wie er wegstiebt, gleich der hohlen Spreu, wenn ein Windstoß in sie fährt.«
»Oh!« rief der Kardinal, »du verdienst mehr als eine Abtei. Bei der Mutter Gottes, mein kleiner Freund, hier sind tausend Goldgulden für deine Reise nach der Abtei Turpenay. Ich habe sie gestern im Spiel gewonnen, ich schenke sie dir.«