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Frivolität, Verderbtheit, Lebenslust. Bei den „Tolldreisten Geschichten“ von Honoré de Balzac handelt es sich um eine Sammlung von Erzählungen, die die Scheinmoral und Unsittlichkeit der hohen französischen Gesellschaft des Spämittelalters vorführen. Es ist der gelungene Versuch Balzacs, ein neues „Decamerone“ zu erschaffen. In den drei Mal zehn deftigen Geschichten porträtiert Balzac die französische Gesellschaft des späten Mittelalters als lüsternes Völkchen. Ehrenhafte Ritter und bodenständige Bauern, tugendhafte Edelfrauen und sittsame Nonnen, verführerische Schönheiten und hartgesottene Raufbolde – alle suchen das erotische Vergnügen und achten dabei keinerlei Standesgrenzen. »Das ist ein stark gepfeffertes Buch, ein Buch für die Kenner kräftiger und saftiger Bissen.« Dies ist der zweite Band. Die Ausgabe ist geschmückt mit zahlreichen Illustrationen von Gustave Doré.
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Seitenzahl: 353
BAND ZWEI
Illustrationen von
Gustave Doré
TOLLDREISTE GESCHICHTEN wurden in der französischen Fassung zuerst veröffentlicht von Charles Gosselin und Edmond Werdet, Paris 1832-37.
Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
1. Auflage 2022
V 1.0
Mit vielen Illustrationen von Gustave Doré.
In der Übersetzung von Benno Rüttenauer.
Anmerkungen zur Transkription: Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
Band 2
ISBN 978-3-96130-489-9
Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de
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Inhaltsverzeichnis
Tolldreiste Geschichten
Impressum
Biographische Übersicht
Zweiter Band
Prolog
Die drei Scholaren von Saint-Nicolas
Die Fasten König Franz' des Ersten
Seltsame Reden der Nonnen von Poissy
Wie das Schloß von Azay erbaut wurde
Wie eine schöne und tugendsame Frau zur Hure gemacht werden sollte
Die Hochzeit des Mönchs
Eine teure Liebesnacht
Die Predigt des lustigen Pfarrers von Meudon
Prolog zum Sukkubus
Der Sukkubus
Die abgeschnittene Wange
Epilog des zweiten Zehent
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Zu guter Letzt
1799 Honoré Balzac (das Adelsprädikat de legt er sich erst 1831 zu) wird am 20. Mai in Tours geboren. Sein Vater, einer Landarbeiterfamilie entstammend und durch Spekulationen zu Vermögen gelangt, leitet ein Proviantamt der Armee.
1807-1813 Zögling im Collège der Oratorianer in Vendôme.
1813 Rückkehr ins Elternhaus, Besuch des Gymnasiums in Tours.
1814 Übersiedlung der Familie nach Paris (Versetzung des Vaters).
1814-1816 Zögling im Institut Lepître und im Institut Ganser et Beuzelin, Paris, Besuch des Lycée Charlemagne.
1816-1819 Jurastudium an der École de droit, zugleich Ausbildung bei zwei Anwälten. Hört auch Literaturvorlesungen.
1819 Erstes Examen für das Baccalauréat du droit. Pensionierung des Vaters, Übersiedlung der Familie nach Villeparisis. Balzac will Schriftsteller werden, bezieht in Paris eine Dachkammer. ›Sylla‹ und ›Cromwell‹, Tragödien, u. a. erste Arbeiten.
1820-1824 Schreibt, z.T. gemeinsam mit Auguste Le Poitevin de l'Egreville und Etienne Arago, Kolportageromane, die unter den Pseudonymen Auguste de Viellerglé, Lord R'Hoone und Horace de Saint-Aubin erscheinen.
1821 Bekanntschaft mit Madame de Berny (1777-1836), die seine erste große Liebe wird und der er bis zu ihrem Tod in herzlicher Freundschaft verbunden bleibt.
1823 Im Sommer Besuch der heimatlichen Touraine.
1825-1828 Zusammenarbeit mit dem Journalisten Horace Raisson an einer Serie ›Codes‹ (Gesetzbücher), Betrachtungen über die Sitten der Zeitgenossen. Mit geliehenem Geld wirtschaftliche Unternehmungen – Verlagswesen, Druckereigewerbe –, die scheitern und ihn lebenslang hoch verschulden.
1826 Bekanntschaft mit der Herzogin von Abrantès.
1829 Tod des Vaters. Bekanntschaft mit Zulma Carraud. Der erste gewichtige Roman, ›Der letzte Chouan‹ (später: ›Die Chouans‹), erscheint unter eigenem Namen. ›Die Physiologie der Ehe‹ erweckt jedoch größere Aufmerksamkeit.
1830 Findet Zugang zu den Pariser Salons. Wird Mitarbeiter verschiedener Zeitungen und Zeitschriften, ›Gobseck‹. ›Das Haus mit der ballspielenden Katze‹.
1831 Großer Erfolg des Romans ›Das Chagrinleder‹, ›ein vortreffliches Werk neuester Art‹ (Goethe). ›Das unbekannte Meisterwerke ›Christus in Flandern‹, ›Die rote Herberge‹.
1832 Kurze Beziehung zur Marquise de Castries. Am 7. November erhält er den ersten Brief der Gräfin Hanska, der die Unterschrift ›l'Etrangere‹ (die Fremde) trägt. Das ›erste Zehent‹ der auf 100 Geschichten geplanten ›Tolldreisten Geschichten‹. ›Der Oberst Chabert‹, ›Louis Lambert‹. ›Die Frau von dreißig Jahren‹ (vollständig 1844).
1833 Im September erstes Zusammentreffen mit Eva von Hanska in Neuchätel, im Dezember Begegnung in Genf. Das ›zweite Zehent‹ der ›Tolldreisten Geschichten‹, ›Eugenie Grandet‹. ›Der Landarzt‹, ›Der berühmte Gaudissart‹.
1834 Entzieht sich seinen Gläubigern, wohnt unter falschem Namen in Paris. Besucht im Mai/Juni Eva von Hanska in Wien. Im Dezember Brand in Balzacs Wohnung, Verlust eines Teil der ›Tolldreisten Geschichten‹, ›Die Suche nach dem Absoluten‹, ›Die Herzogin von Langeais‹.
1835 ›Vater Goriot‹, ein Hauptwerk der 1833 geplanten ›Comedie humaine‹ (Menschliche Komödie), die bereits erschienene und künftige Werke, auch hinsichtlich der Personen, miteinander vereinen soll. ›Seraphita‹, ›Der Ehevertrag‹, ›Das Mädchen mit den Goldaugen‹, ›Die Lilie im Tal‹.
1836 Gründet die Zeitschrift ›Chronique de Paris‹, die im Jahr darauf ihr Erscheinen einstellt. Reist im Auftrag der Familie Visconti in Erbschaftsangelegenheiten nach Italien, begleitet von der als Page verkleideten Madame Caroline Marbuty.
1837 Erneut im Auftrag der Viscontis in Italien (Mailand, Venedig, Florenz). Konkurs seines Verlegers Werdet, Balzac ist mit betroffen. Erwirbt den zwischen Sevres und Ville-de'Avray gelegenen Landsitz Les Jardies; Landaufkäufe und Bauvorhaben stürzen ihn in zusätzliche Geldnöte. Das ›dritte Zehent‹ der ›Tolldreisten Geschichten‹, das Gesamtwerk – es bleibt bei 30 Geschichten – erscheint 1855, illustriert von Gustave Dore (1832-1883). ›Die alte Jungfer‹. ›Cesar Birotteau‹.
1838 Reise nach Sardinien. ›Das Haus Nucingen‹.
1839 Setzt sich vergeblich für den zum Tode verurteilten Notar Peytel ein. ›Das Antiquitätenkabinett‹.
1840 Verkauf seines Landsitzes mit großem finanziellem Verlust. Zieht in den Pariser Stadtteil Passy, Rue Basse 19 (heute: Rue Raynouard), jetzt Museum. Gründung der ›Revue parisienne‹, nur drei Nummern. Premiere des ›Vautrin‹.
1841 Angesichts von Raubdrucken Eingabe zu einem Gesetz über das Urheberrecht. Erschütterte Gesundheit durch ständige Nachtarbeit. ›Der Landpfarrer‹. ›Die Junggesellenwirtschaft‹.
1842 Schließt einen Verlagsvertrag über die Gesamtausgabe seiner ›Comédie humaine‹, dazu neues Vorwort. Erfährt vom Tod des im Vorjahr verstorbenen Grafen Hanski, sein Ziel ist die Heirat mit Eva von Hanska. ›Ursule Mirouet‹.
1843 Reise nach Sankt Petersburg zu Eva von Hanska. Rückreise über Berlin, Potsdam, Leipzig, Dresden, Brüssel. Kandidiert für die Académie Française. Hirnhautentzündung. ›Die Muse der Provinz‹. ›Eine dunkle Affäre‹.
1844 Schwere Gelbsucht. ›Glanz und Elend der Kurtisanen‹ Teil 1 (bereits 1838 unter dem Titel ›La Torpille‹) und Teil 2 - Teil 3 erscheint 1847. ›Die Bauern‹. ›Modeste Mignon‹.
1845 Im Mai Begegnung mit Eva von Hanska und ihrer Tochter in Dresden. Gemeinsame Reise nach Cannstatt, Paris, Belgien und Holland; im Herbst Reise nach Italien.
1846 Erneute Italienreise mit Eva von Hanska. Audienz beim Papst. Erwirbt für Eva den Pavillon Beaujon in der Rue Fortunée (heute: Rue Balzac).
1847 Februar bis April Eva von Hanska in Paris. Balzacs Gesundheitszustand verschlechtert sich. Im Oktober Reise zu Eva auf das Schloß Wierzchownia in der Ukraine. Besuch in Kiew. ›Vetter Pons‹. ›Die Base Lisbeth‹.
1848 Februar Rückkehr nach Paris. Erlebt die Februarrevolution. Im Herbst erneut Reise nach Wierzchownia.
1849 Verbringt das ganze Jahr kränkelnd in Wierzchownia. Die Académie Française lehnt seine Aufnahme ab, nur Hugo und Lamartine stimmen für ihn.
1850 Sein Befinden verschlechtert sich. Am 14. März Trauung mit Eva von Hanska in Berditschew bei Kiew. Im April Abreise der beiden nach Paris. Balzac wird bettlägerig, stirbt am 18. August. Bestattung am 21. August auf dem Friedhof Pére-Lachaise, die Grabrede hält Victor Hugo.
Einige Kritiker haben dem Autor vorgeworfen, von der Sprache der alten Zeit soviel zu verstehen als eine Kuh vom Spanischen. Ehemals hätte man ohne viel Federlesens derartige Leute Kannibalen geheißen, Lästermäuler, Sykophanten und sogar Sodomiter, aber der Autor will sie gern verschonen mit solchen Stilblüten älterer Schriftsteller und freut sich nur, daß er nicht in ihrer Haut steckt, weil er sich sonst verachten und vor sich selber schämen müßte. Für den niederträchtigsten Sudler würde er sich halten, ein armes Buch zu verleumden, weil es ganz und gar anders ist als die Bücher all dieser traurigen Tintenkleckser unsrer Tage.
Oh, ihr armseligen Gesellen! Ihr solltet ein wenig sparsamer mit eurer Galle umgehen. Ich meine, ihr könntet sie recht gut untereinander gebrauchen. Der Autor ist nicht unglücklich darüber, daß er nicht allen gefällt, er tröstet sich mit einem gewissen alten Tourainer ewigen Angedenkens, dem einst Buben vom gleichen Schlag so lange zugesetzt und mitgespielt haben, bis er es satt bekam und in einem seiner Dialoge erklärte, er sei entschlossen, kein Jota mehr zu schreiben. Andre Zeiten, andre Sitten. Nein, Herrgottsdonnerwetter, andre Zeiten, aber die nämlichen Sitten. Alles bleibt sich gleich, im Himmel oben wie hier unten bei den Menschen. Und also stützt sich der Autor lachend auf seinen Spaten und verschiebt die Rache an seinen Lästerern auf gelegenere Zeit. Er hat jetzt andres zu tun. Wahrlich, ein Hundert lustiger Geschichten kann man nicht so aus dem Boden stampfen und aus dem Ärmel schütteln. Das ist schon an sich kein leichtes Tagewerk, auch wenn es einem nicht dazu von andern noch erschwert wird, zuerst von Lumpen und Neidhammeln und zuletzt nicht weniger von den eignen Freunden, die einem zur Unzeit wie Unglücksraben mit ihrem Gekrächze über den Hals kommen. »Bist du verrückt?« sagen sie, »hast du dir's auch recht überlegt? Solche Geschichten und Schwanke hat nicht leicht einer hundertweis in seiner Gehirnkammer vorrätig, du hast, scheint uns, das Maul etwas allzuweit aufgemacht. Ein wenig bescheidener, guter Herr, ein wenig bescheidener, wenn wir bitten dürfen.« Das sind weder Misanthropen noch Kannibalen, ob Lumpe, ich weiß es nicht. Es sind aber, das ist keine Frage, gute Freunde. Aber ihre Freundschaft besteht darin, uns auf einem ohnehin schon harten Weg auch noch harte Worte zu geben und unliebsame Dinge zu sagen. Sie sind widerborstig wie ein Saurücken, stachlig wie eine Hechel und versichern uns dabei fortwährend, wie ergeben sie uns seien mit Leib und Seele, wie man auf sie rechnen könne im Unglück, auf ihr Gut und Geld und alles, aber sie wollen nicht eher etwas merken von unsrer Notlage, als bis man uns die Letzte Ölung bringt.
Wenn es diese Leute wenigstens an solchen kleinen Niederträchtigkeiten genug sein ließen. Aber kommt dann die Zeit und werden ihre albernen Ängstlichkeiten Lügen gestraft, rufen sie triumphierend aus:
»Siehst du, hab ich dir's nicht gesagt? Habe ich nicht gut prophezeit?«
Um nun so wohlgemeinte, wenn auch im Grund ganz und gar unerträgliche Freundschaftsbezeigungen nicht undankbar von sich zu stoßen, vermacht der Autor hiermit diesen Freunden seine alten durchlöcherten Pantoffel mit der beruhigenden Versicherung, daß er selber an fahrender Habe, die nicht bereits gerichtlich verpfändet wäre, nichts zurückbehält, als versteckt im Labyrinth seines Gehirns ein Stücker siebzig lustiger Schwanke, wohlgeratene Kinder seines Geistes, bei Gott! in zierliche Redewendungen gekleidet, mit Anspielungen jeder Art geschmückt, von der komischen Muse mit den allerfrischesten Blumen und Zweigen bekränzt; Schwanke, sagte ich, nämlich Geschichten und Historien von allen Tages- und Jahreszeiten, mit dem ganzen reichen Einschlag, den zu jeder Stunde, zu jeder Minute die Menschheit spinnt und webt, immerfort schaffend und webend an dem großen weltgeschichtlichen Komputus (der Gottheit unendlichem Kleid) von der Zeit an, wo die Sonne noch blind war und der Mond noch seinen Weg nicht wußte, bis auf den heutigen Tag. Doch hab ich auch nichts dagegen, wenn ihr anders denkt und wenn ihr meine siebzig Kinder ebenso viele liederliche Subjekte heißen wollt, nichtsnutzige, übertrutzige, schamlose, schlechte, tolldreiste Subjekte, elende Kreaturen, lose Buben, Spaßvögel der schlechtesten Sorte, und wenn ihr sagt, beim Teufel noch einmal, daß diese siebzig zusammen mit den zwanzig, die bereits ausgebrütet sind, auf die versprochenen hundert nur eine schwache Abzahlung seien.
Wahrlich, wenn die Zeit nicht so schlecht wäre für Bibliophile, Bibliomanen, Bibliographen, Bibliotheken, Bibliophagen und Bibliopolitiker, id est für Bücherfreunde, Büchernarren, Büchermacher, Bücherausträger, Bücherverleger und Bücherausleger, Bücherwürmer, mit einem Wort, wenn die Zeit nicht so schlecht wäre, sage ich, würde euch der Autor sein Hundert wahrlich wie einen Wolkenbruch und Hagelwetter über euren Köpfen ausgeschüttet und nicht so langsam vertröpftelt haben wie einer, der an der zerebralen Dysurie, id est Gehirnaustrocknung oder Gehirnverhaltung, leidet. Diese Schwäche, will sagen Infirmitas, kann ihm dennoch niemand vorwerfen, vielmehr wird man zugeben müssen, daß er auf volles Maß und Gewicht hält und oft mehrere Geschichten für eine gibt, wie das vorliegende Zehent beweist. Auch wolle man beachten, daß er unter seinem Vorrat stets eine strenge Auswahl trifft und euch nur die besten und saftigsten Stücke vorlegt. Da kann von Altersschwäche keine Rede sein. Mischt also etwas mehr Freundschaft in eure Gehässigkeiten und etwas weniger Gehässigkeit in eure Freundschaft. Auch wollet bedenken, wie sparsam die große Natur bis jetzt war in der Hervorbringung guter Erzähler, sparsam bis zur Geizigkeit, denn mehr als sieben werdet ihr nicht herausfischen aus dem ungeheuren Ozean des Weltschriftentums.
Einige unter euch, gute Freunde selbstverständlich, haben die Meinung geäußert, daß man in einer Zeit, wo jedermann schwarz gekleidet geht, wie wenn eine allgemeine Welttrauer wäre, nur solche Bücher und Schriftwerke zusammenkochen dürfe, die ebenso langweilig ernst und ernstlich langweilig sind wie unsre Tracht und Kleidung selber. Diese Freunde sind auch der Ansicht, daß heut jeder Skribifax für sein winziges bißchen Geist notwendig eine Wohnung brauche wie ein königliches Schloß und daß jeder im Finstern bleiben und ruhmlos dahinfahren müsse wie die Maulesel des Papstes, der nicht gleich Kathedralen und Paläste baut, an denen sich kein Stein verrücken läßt. Diese lieben Freunde möchte ich doch fragen, was ihnen lieber ist, eine Kanne guten Weins oder ein Fuder Bier, ein Diamant von zweiundzwanzig Karat oder ein zentnerschwerer Kieselstein, die Geschichte des Hans Calver von Rabelais oder so ein modernes Schulbubengeschmier. Ihr bleibt stumm? Was solltet ihr auch antworten? Also geht, laßt euch heimgeigen und bleibt in Zukunft bei euren Leisten, ihr Schuster!
Statt allem andern sage ich nur noch dies: Jener unvergleichliche Mann, dem wir gewisse unsterbliche Fabeln und Schwanke verdanken, hat sie vorher bei andern gefunden und genommen, er hat sie nur bearbeitet; aber mit seiner göttlichen Kunst, die er auf diese Figürchen verwendet hat, hat er ihnen erst Wert und Würdigkeit gegeben. Wie dem Meister Ludovico Ariosto hat man ihm den Vorwurf gemacht, seine Zeit und seine Gedanken an kindische Albernheiten zu vergeuden; aber ein schlechtes Insekt, von seiner Hand ziseliert, ist ein bleibenderes und sprechenderes Denkmal seines ewigen Ruhms als manche hochgemauerte Werke andrer. In der ganz besonderen Jurisprudenz unsrer fröhlichen Wissenschaft gilt eine einzige Seite, die der Autor aus dem Schoß der Natur und der Wahrheit geschöpft hat, mehr als eine ganze Bibliothek von flauen Bänden, die, so schön sie sein mögen, uns weder ein Lachen noch eine Träne zu entlocken imstande sind.
Man wird nicht unpassend finden, daß der Autor das alles sagt; er hat dabei nicht die Absicht, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und größer zu scheinen, als er ist. Hier handelt es sich um die Majestät der Kunst, nicht um seine eigne. Er selber ist nur ein armer Schreiber, und sein ganzes Verdienst besteht darin, Tinte in seinem Tintenfaß zu haben und ein gutes Ohr für das, was die Herren vom Hof erzählen und das er zu Protokoll bringt, wie er's gehört hat. Nur wie er's spinnt und webt, ist sein Verdienst. Der Flachs dazu ist auf vielen Äckern gewachsen. Von der Venus des Herrn Phidias, des Atheners, bis herunter zu dem Gänsemännlein am Grünen Marktbrunnen oder dem andern, das sie das Männeken Piß nennen, ist alles geschaffen nach den ewigen Gesetzen und Regeln der menschlichen Einbildungskraft und Nachbildungskraft, deren Stoff das Gemeingut aller ist. Glücklich die Diebe in diesem Staat oder Königreich, sie werden hier nicht gehängt, sondern sind geehrt und geliebt von allen. Aber ein Kamel, ein Trampeltier mit zwei Höckern, ist derjenige, der sich in die Brust wirft, die Nase hoch trägt und sich etwas zugute tut auf Vorteile, die ein reiner Zufall der Blutmischung sind; nur dessen, was der Mensch aus seinen Fähigkeiten macht, nur seiner Ausdauer, seines Fleißes kann er sich rühmen. Was dann das Geflöte gewisser zierlicher Schnäbelchen anlangt, die mit ihrem sanften Gezwitscher dem Autor ebenfalls im Ohr gelegen sind und sich beklagt haben über diese und jene Stelle des Buches wie über ein Weltunglück, ihnen kann ich nur antworten: Warum habt ihr nicht die Pfötchen davon gelassen?
Durch die verruchten Niederträchtigkeiten gewisser Leute sieht sich der Autor gezwungen, den Wohlwollenden eine Aufklärung zu geben, womit sie den verleumderischen Kakographen und Sudelhänsen das Maul stopfen können. Diese meine Geschichten sind erwiesenermaßen zu der Zeit geschrieben worden, da die Königin Cathérine aus dem erlauchten Hause der Mediceer in Frankreich das Heft in der Hand hatte und sich in alle öffentlichen Angelegenheiten mischte zum Besten unsrer heiligen Religion. Diese Zeit ist nicht sänftiglich mit den Leuten umgesprungen, es war eine Zeit, die viele große Kerle erwürgt hat, von unserem verewigten König Franz, dem Ersten seines Namens, bis zu dem Staatsstreich zu Blois, wo der geriebene Guise sich in der Falle fing. In dieser Zeit unaufhörlicher Kämpfe und Feldzüge, Kriege und Belagerungen, Friedensschlüsse und neuer Kriege und Kämpfe befand sich auch, wie jeder Schulbub weiß, die Sprache im Zustand großer Verwirrung und Zügellosigkeit, wo denn jeder Poet und Autor, wie übrigens heute auch, sich seine eigne Sprache zurechtmachte und seine gute Muttersprache schrieb, wie ihm der Schnabel gewachsen war, außerdem, daß er sie mit den buntscheckigsten Lappen und Flecken verbrämte, mit griechischen, lateinischen, italienischen, mit schweizerischen, deutschen und transatlantischen Wörtern und Wendungen, mit Phantastereien und spanischem Jargon: was sie alles kunterbunt untereinander mengten, geradeso wie auf den Schlachtfeldern die Nationen durcheinander wimmelten, also daß der Skriptophile dem babylonischen Wirrwarr gegenüber alle Freiheit und tausend Möglichkeiten hatte, die seither beträchtlich eingeschränkt wurden durch Leute wie die Herren von Balzac, Blaise Pascal, Furetière, Mesnage, Saint-Évremond, von Malherbe und andere, als welche zuerst unsere Muttersprache rein gekehrt, die fremden Wörter in Verschiß erklärt und den übrigen ein ausschließliches Bürgerrecht verschafft haben, zum bequemen und sichern Gebrauch für jedermann, daß selbst der Herr Ronsard davor kleinlaut werden müßte. So, da hat nun der Autor alles gesagt. Er geht nach Hause zu seinem Liebchen und wünscht ein Füllhorn voll Lust und guten Dingen allen denen, die ihn lieben, und seinen Feinden einen Sack voll hohler Nüsse. Sie verdienen nichts Besseres. Wenn die Schwalben wiederkehren, wird auch er wieder erscheinen und ein drittes und viertes Zehent mitbringen. Das verspricht er feierlich allen guten Pantagruelisten nebst Sippschaft durch alle Stockwerke hindurch, denen alles triste, trübe, traurige und gallsüchtige Geschreibe dieser Zeit ein Greuel ist.
Der Gasthof ›Zu den drei Karpfen‹ in der Stadt Tours war ehemals der Ort, wo man in der ganzen Stadt am besten aß. Der Wirt war berühmt als Papst aller Bratenkünstler weit und breit; bis Chastellerault, Loches, Vendôme und Blois mußte er alle Hochzeiten mit seinen Brühen würzen. Dieser alte Knickebein, übrigens ein wirklicher und perfekter Meister in seiner Kunst, zündete niemals eine Kerze an, solange es hell war, hätte sogar die Eier geschoren, wenn es möglich gewesen wäre, verkaufte alles und jedes teuer, Haare, Haut und Federn, hatte das Auge überall, ließ sich niemals um eine Zeche prellen und würde um einen Heller zuwenig sogar einem Fürsten Grobheiten gesagt haben.
Sonst war er ein Spaßmacher erster Güte, trank und lachte mit allen, die einen guten Zug in der Gurgel und die Leber auf der Sonnenseite hatten, und stand nie anders als sein Käppchen in der Hand vor Leuten, die reichlich fromme Sprüche im Mund führten als wie: ›Wo du nicht bist, Herr Jesus Christ ...‹ Er ermunterte sie zum Trinken und gab ihnen in lustigen Wendungen zu verstehen, daß der Wein teuer sei, daß man in Touraine nichts geschenkt bekomme, sondern alles kaufen, das heißt bezahlen müsse, kurz, er hätte, wenn es ohne Schande möglich gewesen wäre, angekreidet: soviel für die gute Luft und soviel für die Aussicht. Auch lebte er herrlich und in Freuden mit dem Geld andrer, wurde dick und rund wie ein Maltersack, wenn er voll ist, fett wie ein Schwein und ließ sich mit ›Herr‹ anreden. Nun war es bei der letzten Messe, da erschienen am Ort drei Gesellen, die bei einem Advokaten das Handwerk lernten und eher das Zeug zu drei Spitzbuben als zu einem einzigen Heiligen aufwiesen. Sie hatten schon so viel bei ihrem Advokaten profitiert, daß sie wußten, wie weit man gehen dürfe, ohne mit der Wehsaite der hohen Harfe, die man auch Galgen nennt, in Berührung zu kommen. Gut zu leben und sich lustig zu machen auf Kosten irgendeines Meßkrämers oder sonstiger harmloser Leute war die Beschäftigung, die sie sich vorgenommen hatten.
Diese losen Vögel von Schülern, richtige Teufelsbraten, waren also ihrem Advokaten ausgerissen, bei dem sie in der guten Stadt Angers die Kunst studierten, aus krumm gerade und aus gerade krumm zu machen, und kamen zur großen Messe nach Tours, wo sie in der Herberge ›Zu den drei Karpfen‹ abstiegen, die großen Staatszimmer in Beschlag nahmen, alles zuunterst und zuoberst kehrten, sich als die Verwöhnten aufspielten, auf dem Markt die Lampreten zum voraus für sich aufkaufen ließen und sich als Großkaufleute ausgaben, die bekanntlich, wenn sie reisen, nicht nötig haben, sich mit Waren zu schleppen.
Und der gute Wirt begann zu laufen, zu rennen, den Spieß in Bewegung zu setzen, vom Besten zu zapfen, kurz, ein wahres Advokatenessen für die drei Taugenichtse zuzubereiten, die schon für wenigstens hundert Taler Lärm gemacht hatten und die, wie man sie auch ausgequetscht hätte, nicht mehr von sich gegeben haben würden als zwölf Tourainer Kupferkreuzer, mit denen der eine unter ihnen in der Tasche klimperte.
Aber wenn sie auch kein Geld hatten, fehlte es ihnen doch nicht an andern Hilfsmitteln, und die Rolle von Jahrmarktsdieben wußten sie vortrefflich zu spielen.
Das war ein lustiges Handwerk, und zu essen und zu trinken gab es genug dabei; sie machten sich seit fünf Tagen mit solchem Geschick an die Marktvorräte heran, daß ein Fähnlein Landsknechte weniger verdorben hätte, als sie stibitzten. Jeden Morgen nach dem Frühstück, nach gutem Essen und Trinken, erschienen die drei Schnapphähne auf der Messe, und da war keine Bude, die sie nicht unsicher gemacht hätten. Sie mausten, grapsten, spielten, und dazwischen ergötzten sie sich mit kindischen Streichen, nahmen die Budenschilder ab, um sie auszuwechseln, machten das des Schusters an die Goldschmiedebude und das des Goldschmieds an die Seifensiederbude; sie warfen Staub und Schmutz auf die Waren, reizten und hetzten die Hunde, durchschnitten die Stränge der Pferde vor den Wagen, warfen unversehens eine Katze auf die Köpfe der Menge, schrien plötzlich: »Ein Dieb, haltet den Dieb!« oder fragten jedermann, der ihnen begegnete: »Seid Ihr nicht der Herr Arsch aus Angers?«
Dann gaben sie den Leuten unversehens heimliche Rippenstöße, machten Löcher in die Kornsäcke, suchten ihr Nasentüchlein in den Taschen der Damen, hoben dabei deren Röcke auf, taten, als ob sie ein Juwel suchten, jammerten und sagten: »Ach, es wird sich in ein Loch verkrochen haben.« Sie lockten die Kinder von ihren Eltern weg, tollten umher bis in die tiefe Nacht hinein, belästigten jedermann und bepißten und beschissen, was ihnen nur zugänglich war.
Kurz, der Teufel würde sich vernünftig und wohlerzogen ausgenommen haben neben diesen aus der Schule gelaufenen Strolchen, die sich lieber aufgehängt hätten, als eine ordentliche Handlung zu begehen, also daß es leichter gewesen wäre, von zwei aufeinander loshackenden Advokaten ein Almosen zu erhalten als von ihnen eine gute Tat.
Wenn sie ihres Treibens einmal müde waren, verließen sie das Marktfeld und ließen sich in den ›Drei Karpfen‹ auftragen, was nur das Zeug hielt, Essen und Trinken, bis zur Vesperstunde; daraufkehrten sie mit Fackeln zurück, und nach den Marktleuten kamen die Dirnen und Freudenmädchen daran, denen sie übel mitspielten und denen sie nichts gaben, als was sie erhielten nach dem Axiom des Justinianus: Suum cuique ius tribuere, das heißt, man soll jedem in seiner Münze herausgeben oder, wie es andre übersetzen, Jux mit Jux bezahlen. Endlich beim Nachtmahl, wenn sie niemand hatten, um ihn zu kujonieren, kujonierten und frotzelten sie sich untereinander, weil sie der Sache gar nicht genug kriegen konnten, und beschwerten sich beim Wirt über die Mücken, behaupteten, anderswo seien die Gastgeber so rücksichtsvoll, diese Viecher fein anzubinden, die die Frechheit haben, vornehmen Herren auf die Nase zu scheißen.
Als auf diese Weise ungefähr der fünfte Tag heranrückte, der bei Fiebern der kritische Tag ist, und der Wirt, wie sehr sich auch seine Augen aus ihren Höhlen hervorbohrten, noch niemals ein königliches Antlitz auf Goldgrund bei seinen Kunden gesehen hatte, abgesehen davon, daß noch lange nicht alles Gold ist, was glänzt, fing er an, ein schiefes Gesicht zu schneiden, und sein Gang, wenn die Herren Großkaufleute bestellten, wurde immer langsamer und schleppender. Er befürchtete bereits, ein schlechtes Geschäft mit den Herren zu machen, und begann ihnen ein wenig den Puls zu fühlen.
Als die Spitzbuben das merkten, befahlen sie ihm mit dem Aplomb eines Profosen, der einen armen Strauchdieb hängen läßt, ihnen unverzüglich ein gutes Nachtessen aufzutragen, da sie noch am Abend abzureisen gedächten. Ihre lustige Sicherheit tat bei dem Wirt die Wirkung, daß seine Sorgen ausflogen wie ein Bienenschwarm. Das mußten also doch ernste Leute sein. Er bereitete ein Mahl, das eines Domherrn würdig gewesen wäre, und tat außerdem alles, um sie zu berauschen; denn in diesem Zustand konnte er sie leichter, wenn es je dazu kommen sollte, den Kerkerknechten übergeben. Die drei losen Buben aber dachten nur daran, wie sie sich mit Glimpf aus der Schlinge ziehen könnten, und es war ihnen ungefähr so wohl in ihrer Haut wie einem Fisch im Stroh.
Um so wütender machten sie sich über das Essen und noch mehr über das Trinken her und schielten dabei nach den Fenstern, wie hoch sie seien und ob sie wohl als lose Vögel, die sie waren, durch diese Expedienz davonfliegen könnten; doch mußten sie den Gedanken daran als unausführbar aufgeben. Sie vermaledeiten ihre Lage und strengten vergeblich ihren Witz an. Der eine wollte im Freien unter dem Vorwand einer Kolik seine Hose ein wenig ausklopfen, der andre wollte für den dritten, der eine Ohnmacht heucheln sollte, einen Arzt suchen. Aber der verdammte Wirt war zwischen seinem Herd und dem Saal wie ein Pendel hin und her, ließ die Quidams nicht aus den Augen, machte einen Schritt vor, um von seinem Guthaben zu reden, und wich zwei zurück, um bei den hohen Herren nicht anzustoßen für den Fall, daß es wirklich hohe Herren sein sollten, kurz, benahm sich wie ein Wirt und Erzwirt, der das Geld liebt und die Prügel haßt. Aber unter dem Schein, dienstwillig aufzuwarten, hatte er stets ein Ohr im Saal und einen Fuß im Hof, glaubte jeden Augenblick, daß man ihn rufe, kam herbeigesprungen, sowie er ein Lachen hörte, zeigte ihnen sein breites Gesicht nicht anders, als wie man eine Rechnung vorweist, und sagte unaufhörlich:
»Was gefällig, meine gnädigen Herren?«
Als Antwort auf diese Frage hätten sie ihm am liebsten alle seine Bratspieße in die Gurgel gestoßen, denn er machte Miene, ab ob er recht wohl wisse, was ihnen gefiel oder vielmehr mißfiel in dieser Konjunktur. Diese war aber also beschaffen, daß für zwanzig vollwichtige Taler jeder einzelne ein Drittel seiner Seligkeit gegeben hätte. Nicht anders war es ihnen zumut, als wenn die Bank unter ihnen ein glühender Rost gewesen wäre, solchergestalt brannte ihnen der Hintere und kribbelte es ihnen in den Beinen. Schon hatte ihnen der Wirt die Birnen, den Käse und die Zuckerspeise unter die Nase gestellt; sie aber nippten nur noch an den Bechern, kauten, wie wenn sie Kieselsteine unter den Zähnen hätten, und blickten sich verstohlen an, ob nicht einer von ihnen noch zu guter Letzt, wenn nicht einen guten Dukaten, so doch einen guten Einfall aus dem Sack ziehen werde. Kurz, ihre Lustbarkeit war schließlich eine solche von der ganz traurigen Art. Der Pfiffigste unter ihnen, ein Burgunder, sah wohl, daß die bekannte Viertelstunde des Vaters Rabelais herannahte, er sagte lächelnd: »Meine Herren, ich beantrage Vertagung«, ganz wie wenn er der Vorsitzende einer Gerichtsverhandlung gewesen wäre.
Die andern beeilten sich zu lachen, so wenig es ihnen darum war.
»Was sind wir schuldig?« fragte derjenige, der die schon erwähnten zwölf Kupferkreuzer in seinem Beutel hatte; dabei schüttelte er sie, wie wenn er gehofft hätte, daß sie durch die heftige Bewegung Junge machen könnten.
Er war ein Pikarde, ein zorniger Teufel, der bereit war, unter dem nichtigsten Vorwand Händel anzufangen und den Wirt zu seinem eignen Fenster hinauszuschmeißen, ohne sich ein Gewissen daraus zu machen. Er stieß darum seine Frage in einem unhöflich barschen Ton hervor, wie wenn er eine Rente von tausend Dublonen unter der Sonne besessen hätte.
»Nur sechs Taler«, antwortete der Wirt und machte die Hand hohl.
»Ich werde nicht dulden, Baron, von Euch regaliert zu werden«, sagte darauf der dritte Scholar, der ein Angeviner und voller Listen war wie eine verliebte Frau.
»Noch ich«, rief der Burgunder.
»Ihr scherzt, meine Herren«, entgegnete der Pikarde, »ich bin euer gehorsamer Diener.«
»Schockschwerenot!« rief der Angeviner. »Ihr könnt nicht der Meinung sein, daß wir dreifach bezahlen sollen; unser Wirt würde es nicht annehmen.«
»Ich will euch einen Vorschlag machen, meine Herren«, sprach der Burgunder; »derjenige von uns, der den dreistesten Schwank erzählt, soll die Zeche bezahlen.«
»Und wer soll Richter sein?« fragte der Pikarde, indem er seine zwölf Kreuzer wieder einsackte.
»Unser Wirt natürlich«, beeilte sich der Angeviner zu antworten, »er muß sich darauf verstehen, er ist ein Mann von Geschmack. Auf, Meister Habenichts, setzt Euch dahin, schenkt fleißig ein und leiht uns Eure beiden Ohren. Die Akademie ist eröffnet.«
Und also setzte sich der Wirt zu seinen Gästen an den Tisch und fing sein Amt damit an, daß er sich selber reichlich einschenkte.
»Ich fange an«, sprach der Angeviner.
»In unserm Herzogtum von Anjou sind die Landleute sehr eifrige Anhänger unsrer heiligen katholischen Religion, und kein einziger unter ihnen würde auf seine Ecke im Himmel verzichten, indem er eine Buße versäumte, die ihm aufgegeben worden, oder einen Ketzer nicht erwürgte, wenn er ihm unter die Hände kam. Herrgott, wenn es einem Prediger dieser ›Liffer-loffers‹ einfallen sollte, sich in der Gegend sehen zu lassen, er müßte schnell ins Gras beißen und hätte nicht Zeit, sich vorher umzusehen, von wo der Junker Tod herkam. War also da ein Mann aus Jarzé, der kam eines Abends von der Vesper zurück, die in der Schenke ›Zum goldenen Tannenzapfen‹ gesungen wurde, und hatte mit dem Geist des Weins die viel schwächeren Geister, als Verstand, Besinnung und Gedächtnis, vollständig aus seinem Gehirn verjagt, derart, daß er sich vor seinem Hause in seine Mistlache legte, weil er sie mit seinem Bett verwechselte. Einer seiner Nachbarn, Godenot mit Namen, sah ihn dort liegen, als er schon fast eingefroren war, denn die Adventszeit hatte längst begonnen.
›Auf wen wartest du denn da?‹ fragte er scherzend.
›Auf Tauwetter‹, antwortete der Betrunkene, da er merkte, daß ihm die Krallen des Eises den Hals umklammerten.
Godenot war ein guter Christ, er befreite den Nachbar aus seiner eisigen Umkrallung und öffnete ihm die Türe seines Hauses, nicht zum wenigsten aus Hochachtung für den Wein, der der Patron unsers Landes ist. Drinnen aber fiel der gute Mann in das Bett seiner Magd, die jung war und nicht aus dem Munde roch. Er glaubte bei seiner Frau zu sein, der Wein in ihm tat seine Wirkung, und als erfahrener Pflüger, der er war, erstaunte er nicht wenig, so unvermutet auf jungfräulichen Boden zu stoßen, wo er doch glaubte, schon so oft nicht nur gepflügt, sondern auch geerntet zu haben.
Darüber erwachte die Frau und erhob ein ketzerisches Geschrei. Da merkte der Gute, daß er in einen neuen Irrtum gefallen und zum andern Male den Weg des Heils verfehlt habe, worüber der arme Pflüger so unglücklich wurde, daß es gar nicht auszusprechen ist.
›Ah!‹ rief er aus, Gott straft mich, weil ich neben die Kirche gegangen bin.‹ Dann entschuldigte er sich bei seiner Alten mit dem Wein, der seinem Hosenlatz das Gedächtnis verwirrt habe, und indem er zu seiner Frau unter die Decke kroch, versicherte er, daß er seine liebste Kuh darangäbe, um sich diesen Stein vom Gewissen zu wälzen.
›Das ist weiter nichts‹, sagte die Frau, bei der sich die Magd ausredete, indem sie behauptete, von ihrem Schatz geträumt zu haben. Sie bekam nichtsdestoweniger gehörig den Buckel voll, damit sie sich in Zukunft so lebhafte Träume abgewöhne. Der Mann aber, dem seine Sünde immer schwerer auf der Seele lastete, jammerte und weinte, teils weil er das besoffene Elend hatte, teils aus frommer Zerknirschung.
›Beruhige dich, dummer Schatz‹, sagte die Frau, ›geh morgen früh zur Beichte, so wird alles vergeben und vergessen sein.‹
Und also macht sich der gute Mann am andern Morgen auf, kommt in die Kirche, drückt sich scheu in den Beichtstuhl und erzählt in Demut seinen Fall dem Pfarrer, einem guten alten Priester, begabt genug, um dem lieben Gott im Jenseits als Pantoffel zu dienen.
›Irren ist menschlich‹, sagt der Priester, ›du sollst morgen fasten, und so spreche ich dich los und ledig.‹
›Fasten!‹meinte der Gevatter, ›mit Vergnügen, das erstreckt sich nicht aufs Trinken.‹
›Oho!‹ rief der Pfarrer, ›so war's nicht gemeint, du wirst fasten bei einem Viertel Brot und einem Apfel, und dazu magst du Wasser trinken, soviel dich gelüstet.‹
Und der Gevatter, der seinem Gedächtnis immer noch nicht recht traute, machte sich auf den Heimweg, die ihm auferlegte Buße immer vor sich hinmurmelnd. Im Anfang sagte er sein Sprüchlein auch ganz richtig:› in Viertel Brot und einen Apfel‹, ›ein Viertel Brot und einen Apfel‹; aber durch die ewige Wiederholung wurde er irre, und als er zu Hause anlangte, war er auch glücklich bei der Umkehrung angelangt:
›Einen Laib Brot und einen Viertelapfel‹, ›einen Laib Brot und einen Viertelapfel.‹
Er machte sich also daran, seine Fasten zum Heil seiner Seele zu beginnen. Die gute Hausfrau hatte ihm von der Brotkammer einen Laib, und nicht den kleinsten, ebenso von der Hürde einen Apfel heruntergelangt, und langsam und bedächtig fing er an, mit dem Säbel des Kain zu hantieren. Als aber noch ein Viertel des Brotes übrig war, wußte er wahrlich nicht mehr, wo er damit hin sollte, denn schon hing ihm die Menge des Verschlungenen zum Hals heraus. Seine Frau meinte, daß Gott ja nicht den Tod des Sünders wolle, und wegen eines Trumms mehr oder weniger würde es nicht gleich um die ewige Seligkeit gehen.
›Schweig, Versucherin!‹ rief er, ›und wenn ich verrecken muß, ich will mein Fasten halten.‹«
»Ich habe meine Schuldigkeit getan, an dir ist die Reihe, Baron ...«, fügte der Angeviner hinzu, indem er dem Pikarden listig zublinzelte.
»Die Kannen sind leer«, bemerkte der Wirt; »holla, Küfer, Wein her!«
»Bibamus, trinken wir!« rief der Pikarde, »besser fließt eine angefeuchtete Rede als eine trockene.«
Er schüttete sich seinen vollen Becher hinter die Halsbinde, daß auch nicht die Nagelprobe zurückblieb, und nachdem er wie alle berühmten Redner sich geräuspert, begann er also:
»Ihr müßt wissen, daß bei uns in der Pikardie die jungen Mädchen, ehe sie eine eigene Haushaltung anfangen, sich ihre Kleider, Geräte, Schränke, kurz, die ganze Heiratsausstattung selber zu verdienen pflegen. Zu diesem Zwecke nehmen sie Dienste in guten Häusern, sei es zu Peronne, zu Abbeville, Amiens und andern Städten; da werden sie Zimmermädchen, schwenken die Gläser, spülen die Schüssel, mangeln und bügeln das Weißzeug, tragen das Essen auf und lassen sich selber auftragen, was es nur aufzutragen gibt. Sie sind dann sehr begehrt von den Männern, da sie manches gelernt haben, was zur Ehe und Wirtschaft gehört, und außerdem in den Haushalt etwas mitbringen. Das gibt die besten Hausfrauen der Welt, sie kennen den Rummel im voraus.
Da war denn eine aus dem Dorf Azonville, demselben, wo mein Schloß und mein Gut liegt, das mir erb- und eigentümlich zugehört. Diesem Dirnlein hatte man von Paris erzählt, allwo sich niemand bücke wegen eines Weißgroschens und wo man schon satt werde, wenn man nur an den Garküchen vorüberging, so fett und nahrhaft sei da die Luft. Setzte sich darum die Kleine in den Kopf, nach Paris zu gehen, in der Hoffnung, von dort ein Vermögen mit nach Hause zu bringen. Sie machte sich also auf den Weg mit ihren zierlichen Füßen und kommt denn auch, ihr Körbchen am Arm, das wohlgefüllt war mit nichts und wieder nichts, wohlbehalten vor den Toren an, das heißt vor einem unter ihnen, das nach dem heiligen Dionysius genannt ist.
Hier befand sich gerade ein Fähnlein Landsknechte auf Posten, denn es war wieder einmal große Unruhe im Land wegen der Ketzer und Hugenotten, die nicht nur in ihren Predigten, sondern auch um ihre Predigten wie von jeher alle Ketzer ein ewiges Wesen und Gerumor machten. Wie nun der Weibel die Dorfpomeranze im weißen Häubchen erblickt, schiebt er seinen Schlapphut aufs rechte Ohr, schüttelt die Feder zurecht, dreht sich den Schnurrbart in die Höhe, wirft sich in die Brust, macht ein Paar Augen wie Holofernes, stemmt die Arme in die Hüften und hält kurzerhand die Pikardin an, wie wenn er sich überzeugen müsse, ob sie vielleicht ihre Jungfernschaft bei sich habe, womit sie ohne Zoll nicht eingelassen werden dürfte. Scherzend, aber mit strenger Miene fragte er sie, in welcher Absicht sie komme; wie wenn er sie für fähig gehalten hätte, Paris im Sturm einzunehmen. Das unschuldige Mädchen antwortete, daß sie eine gute Stelle suche, um sich etwas zu verdienen, daß sie aber gewiß nichts Böses im Schild führe.
›Das habt Ihr gut getroffen, Gevatterin‹, sagte der Spaßvogel, ›ich bin Euer Landsmann, Ihr könnt bei mir eintreten, man wird Euch behandeln, wie eine Königin nur wünschen kann, öfter behandelt zu werden, und überdies sollt Ihr nicht leer ausgehen.‹ Er führte sie dann in die Wachtstube und sagte ihr, daß sie den Boden zu kehren, die Töpfe zu spülen, das Feuer anzumachen und sonst zu tun habe, was es zu tun gebe; dafür solle sie einen halben Taler von jedem seiner Leute bekommen, wenn man mit ihrem Dienst zufrieden wäre. Die Mannschaft sei hier für einen Monat, sie könne also einen Haufen Geld gewinnen. Außerdem könne sie bei den andern bleiben, die nachfolgten und die sie jedenfalls auch nicht schlechter behandeln würden, also daß sie eines Tages, beladen mit Gold und vielen Geschenken, lauter Pariser Artikeln, in ihre Heimat zurückkäme. Sofort machte sich das gute Mädchen daran, die Stube zu kehren, alles zu reinigen, das Essen zuzurichten, dabei immer trillernd und zwitschernd, dergestalt, daß die Soldaten ihre Spelunke am Abend wie umgewandelt fanden; und wahrlich: im Refektorium einer Benediktinerabtei hätte es nicht netter und sauberer aussehen können. Sie waren auch sehr zufrieden, und jeder zahlte mit Vergnügen den ausbedungenen Lohn.
Sie setzten sich zum Schmaus, und nach einem reichlichen Zechen hießen sie das Mädchen schlafen gehen im Bette ihres Kommandanten, der in der Stadt bei seiner Frau zu Besuch war. Als philosophische Soldaten, id est solche, die in alles verliebt sind, was vernünftig ist, brachten sie das gute Kind unter viel Besorgtheiten, Aufmerksamkeiten und Zärtlichkeiten unter die Decke, und um Streit und Händel zu vermeiden, zogen sie das Los, und nach der Ordnung der gezogenen Nummern, hübsch friedlich in der Reihe, einer nach dem andern, gingen sie ohne Lärm und Getöse in die Kammer zu der Pikardin, jeder wohlversehen mit seiner Pike.
Das war ein harter Nachtdienst für das gute Mädchen, wie sie ihn nicht gewohnt war; aber sie hielt tapfer aus auf ihrem Posten und schloß die ganze Nacht nicht das Auge noch anderes. Gegen Morgen, nachdem sie die Landsknechte eingeschlafen sah, erhob sie sich von ihrem Lager, glücklich, mit ganzer Haut davongekommen zu sein; und nur ein wenig ermüdet von den Strapazen der Nacht, machte sie sich mit ihrem Lohn auf den Weg, wo sie das freie Feld gewann und bald einer Freundin begegnete, die, lüstern gemacht durch der andern Beispiel, ebenfalls im Begriffe stand, in Paris ihr Glück zu suchen, und sie über den Dienst befragte. ›Ich rate dir, Perrine, bleib weg‹, sagte die Gewitzigte, ›da muß man einen eisernen Hintern haben, und dann hält er's noch nicht aus. ‹«
»An dir ist die Reihe nun, Dickbauch von Burgund«, rief der Pikarde, indem er seinem Nachbar auf den dicken Podex einen Klatsch versetzte wie ein Feldweibel; »huste uns deine Geschichte oder bezahle.«
»Bei der Königin der Knackwürste!« rief der Burgunder. »Bei meiner Treue! Bei der Pest! Bei Gott! Beim Teufel! Ich weiß nur Historien vom Hof von Burgund, und die haben nur Kurs zusammen mit unsrer burgundischen Münze.«
»Brav, Kamerad«, schrie der andre, »wir sind hier nicht in Abstinenzlingen ...« Und er wies den Wirt auf die leeren Kannen.
»Ich werde euch also ein Abenteuer erzählen, das in Dijon jedermann kennt und das sich zugetragen hat in der Zeit, wo ich dort ein Kommando hatte; auch hat es gewiß irgendein Schreiber in ein Buch gesetzt. War da ein gewisser Gerichtsbüttel namens Muffler, dessen Haut war nichts als ein alter Sack voller Niederträchtigkeiten, er brummelte, schimpfte, fluchte in einem fort, machte jedem ein Gesicht, wie wenn er ihn fressen wollte, und nie geschah es, daß er einem armen Teufel, den er zum Galgen führte, den Weg durch einige lustige Scherze verkürzt hätte; kurz, er war ein Kerl, um auf einem Kahlkopf Läuse und sogar beim lieben Gott Fehler zu finden.
Diesem Meister Muffler, so ziemlich der Abscheu von jedermann, fiel es eines Tages ein, sich eine Frau zu nehmen, und aus Zufall geriet er an eine, die zart und weiß war wie die Haut einer Zwiebel und die, als sie die Schäbigkeit und Hinfälligkeit des alten Schinderhannes sah, sich mehr Mühe gab, sein Haus zu einer Wohnung des Glücks zu machen, als eine andre getan hätte, um seinen Kahlschädel in einen Wald hörnerner Gewächse zu verwandeln.
Aber obwohl sie sich eine Lust daraus machte, ihm in allen Stücken gehorsam zu sein, und um des lieben Friedens willen ihm am liebsten lauter Goldstücke in den Nachttopf gemacht hätte, wenn es Gottes Wille gewesen wäre, hatte das Scheusal dennoch fortwährend an ihr auszusetzen und war mit Prügel so verschwenderisch gegen die gute Bettgenossin wie ein Schuldenmacher mit Versprechungen am Verfalltag. Diese Mißhandlungen hörten nicht auf, trotz der Engelsgeduld der armen Frau und ihrer Sorgen und Mühen; sie konnte sich aber mit der Zeit keineswegs daran gewöhnen und nahm endlich ihre Zuflucht zu ihren Verwandten.