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In seinem Werk 'Tolldreiste Geschichten' nimmt der renommierte französische Schriftsteller Honoré de Balzac die Leser mit auf eine fesselnde Reise durch die Pariser Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Mit seinem einzigartigen literarischen Stil, der von Realismus und Ironie geprägt ist, beleuchtet Balzac auf humorvolle und zugleich kritische Weise die sozialen und moralischen Verhältnisse seiner Zeit. Die Geschichten sind geprägt von scharfsinniger Beobachtung, feinem Gespür für menschliche Schwächen und einer gekonnten Darstellung des Lebens in der französischen Hauptstadt. 'Tolldreiste Geschichten' ist ein Meisterwerk der Weltliteratur und ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung des Realismus als literarische Strömung.
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Wes das Herz voll ist, des läuft der Mund über! sagte einst der Mann, der uns das Sprachgebäude schuf, so wie es uns nun seit Jahrhunderten lieb und wert geworden ist. Und doch muß ich schier nach Worten suchen, um Dir, wohledler Herre von Balzac, ein Lied des Preises anzustimmen: denn wo soll ich beginnen, wo bei des Segens Überfülle dasRechte, den Anbeginn richtig fassen? Soll ich Deiner so tiefen Menschenkenntnis vor allem gedenken, die mit ebensoviel Ernst als Anmut den Schleier vor der ‚Menschlichen Komödie‘ aufhob, soll ich Deiner unerschöpflichen Heiterkeit den Vorrang einräumen, die dem allverehrten Meister Rabelais nichts nachgab und Dir das vorliegende Werk in seiner knappen und doch so vieldeutigen Sprache diktierte? Oder soll Deines Lebens wundersam-buntes Puppenspiel den Anfang machen, um uns den Schlüssel zu Deinen Werken zu liefern? Nicht eines und nicht das andere wäre richtig, denn kaum das Ganze könnte Dich uns zurückzaubern so wie Du warst, so wie Du das Leben dichtetest, wie Du im Dichten lebtest! Wie Du die unvereinbarlichsten Gegensätze zu verschmelzen wußtest, ein unnachahmlicher Arbeiter und ein beneidenswerter Lebensgenießer zu sein, im Golde zu wühlen und doch nie einen Pfennig in Deiner Tasche zu haben, die wildeste Tragik in herzerquickenden Scherz zu hüllen, unter fast unerlaubt schrankenlosen Spaßen tiefernste Wahrheiten zu verstecken, Deine Träume zum Leben zu erheben und das Leben als Traum abzutun.
Bände brauchte ich, um Dich ganz zu werten, Bände voll zahlloser, engbedruckter Seiten so wie Du uns eine schier endlose Zahl solcher Bände schenktest, darin Du Dein Ich ausgeschüttet hattest. Deine Hand war so freigiebig, Dein Geberwille so grenzenlos, daß Du oft genug jene Mauern sprengtest, die ein wohlerzogenes Kunstwerk ausweisen sollte, um bis ins Letzte hinein vollendet zu sein. Dir wahrlich lief der Mund dessen über, wessen Dein Herz voll war. Und wenn auch der Feinschmecker Dir über Stock und Stein mit Freuden folgt, so gibt es doch bisweilen Nörgler, die sich an der Überfülle Deiner Gedankengaben in dem Titanenwerke der ‚Menschlichen Komödie‘ stoßen und ihren Bedarf auf einige wenige erlesene Werke wie vor allem ‚Eugenie Grandet‘ beschränken. Aber alle sind sie mit Dir in dem einen einig: »Daß Deine ‚drolligen Geschichten‘ Dir die Unsterblichkeit sichern werden, auch wenn all Deine anderen Werke verloren gingen!« So sagtest Du einst, und wenn wir auch die Erfüllung des Nachsatzes nicht erhoffen, so stimmen wir dem Vordersatze um so begeisterter zu. Nicht deshalb nur, weil Du in diesem Werke, wie gesagt, den Schritten Meister Rabelais in Geist und Sprache zu folgen wußtest. Eher schon, weil es Dir gelungen ist, es zugleich auch dem unsterblichen Boccaccio gleichzutun, dessen Dekameron in seiner sieghaften Pracht soviele Nachahmer, so wenig ernsthafte Nebenbuhler fand. Und als das Schicksal der Königin von Navarra die Feder aus der Hand nahm, also daß ihr kongeniales Werk mit der zweiundsiebenzigsten Geschichte ein jähes Ende fand, da war Gallia‘s Hoffnung auf ein französisches Dekameron endgültig geschwunden und man begnügte sich, ein »Heptameron« mit güldenen Lettern in seine Akten einzutragen. Aber das Schicksal hatte es anders bestimmt! Du selbst, wohledler Herre von Balzac, solltest das Werk der königlichen Dichterin zum Dekameron ründen, ohne Dir dessen bewußt zu sein! Als Du Dich an die Niederschrift der ‚Drolligen Geschichten‘ machtest, hattest Du den Plan gefaßt, ein neues Dekameron zu schreiben. Aber Du vermochtest das erste Viertelhundert nicht wesentlich zu überschreiten, – wie Du am Ende im Scherze sagtest, und wie Doré’s Schlußbild unterschrieben ist: »Wahrhaftig. es ist eine Schand-Arbeit, hundert drollige Geschichten auszudenken!« Nein, wohledler Meister, uns darfst Du solchen Bären nicht aufbinden! Dein nimmermüder Schöpfergeist konnte uns ein und gar mehrere Dekamerones bescheren, ohne dabei zu erlahmen. Aber es war Dir bestimmt, das Werk der königlichen Dichterin zu vollenden, das Du genugsam zu rühmen wußtest, nicht zum mindesten am Schlusse der zwölften Geschichte. Es war bestimmt, daß der Königin Margarethe»Heptameron« zusammen mit Deinen ‚drolligen Geschichten‘ das französische Dekameron bilden sollte, das mit gleichem Glänze neben seinem italienischen Vorgänger die Herzen der Leser labt und wärmt. [S. das “Heptameron”, Erzählungen der Königin von Navarra. Ins Deutsche übertragen von C. TH. V. Riba. (Mit Bildern des Marquis de Bayros.) Verlag Wilhelm Borngräber.]
So entstand Dein Meisterwerk, von dessen Geschichten Du sagtest, daß sie echt französisch sind durch ihre überschäumende Fröhlichkeit durch die ausgelassenen Bocksprünge, französisch vorn, französisch hinten; daß sie »mehr dazu geschaffen sind, die Moral der Freude zu predigen, denn durch Moralpredigten Freude zu schaffen.« O du tiefsinniger Spötter, wie hast Du Dich und die Deinen recht erkannt! Aber Du vergaßest zu sagen, daß sie alle rechte Balzac-Kindlein sind, die ihres Vaters Ruhm durch alle Lande tragen, und sein Spiegelbild dazu. Daß sie Dich konterfeien als den Mann, der in seinen Phantasien lebte, als wären sie die Wirklichkeit (man gedenke Deines Wortes, als jemand von Deiner kranken Schwester redete: »Das ist ja recht schön, aber bleiben wir bei der Wirklichkeit, sprechen wir lieber von Eugenie Grandet!«). Und konterfeien doch die Wirklichkeit in der sich Dein Leib erging: ein nicht gar großer, aber kugelrunder Genießerleib, der in den Zeiten, da er die Überhand über Deinen Geistesdrang gewann, von Fest zu Feste eilte, in Leckerbissen und köstlichen Weinen schwelgte, holde Frauen in Wonnen umfing, feine Behausung mit der Pracht eines Königs schmückte und mit jeder dieser Künste die Sinnefreuden als Meister bis auf den letzten Tropfen auszukosten, sie in schier unwahrscheinlichen Ausmaßen zu genießen, das wahrlich nicht prüde Paris in staunende Aufregung versetzte; der dann wieder wie ein Asket abgeschlossen und genügsam, die Höhen und Tiefen der Menschenseele durchmaß und auch die verborgensten Züge, die verhehltesten Geheimnisse rücksichtslos, aber mit unwiderstehlichem Lächeln ans Licht zog und so wechselseitig die beiden Grundzüge des menschlichen Lebens ineinanderstrahlen ließ, beide zu einem vollkommenen Ganzen verschmolz, ungleich den meisten seiner Kollegen, die die Gesamtheit sezierend zerlegen, vielmehr das Einzelne im Rahmen und durch die harmonische Gesamtheit hindurch darwies.
Nicht will ich hier mehr darauf hinweisen, wie lebenswahr Du die Zeiten wiedererwachen ließest, in denen sich die drolligen Geschichten abspielen, nicht die Daten Deines Lebens aufzählen, die man allerorten nachlesen kann. Denn alles das könnte zu Dem nichts hinzufügen, was Du selbst von Dir kündest, wenn Du in diesem Buche zu uns sprichst! So ziehe denn weiter Deinen Siegesweg, Du des Irdischen entkleideter Dichter, zieh hin mit Deinen drolligen Kindlein, und mag Dir keiner begegnen, der sich an Dir ärgert, weil Du seinen geheimen Fehlern allzuarg und offen auf die – Füße getreten hast!
St. Petersburg, im Frühjahr 1914
Theodor v. Riba.
Zum Gefolge des Erzbischofes von Bordeaux gehörte in der Zeit, da selbiger zum Konzile nach Konstanz kam, ein hübsches Pfäfflein aus der Touraine, das in Wort und Wesen gar gefällig war. Galt es doch auch allenthalben für einen Sohn der Soldée und des Gouverneurs. Der Erzbischof von Tours hatte ihn seinem Amtsbruder bei dessen Durchreise freundschaftlichst zum Präsent gemacht, wie das unter diesen Herren voll glaubensfrohen Dranges üblich ist. Solchermaßen kam das Pfäfflein also zum Konzil und fand im Hause seines sittenstrengen, hochgelahrten Prälaten Unterkunft. Diesem Gönner ein pflichtgetreuer und würdiger Untergebener zu sein, war Philippus von Mala (so hieß das Priesterlein) wohl entschlossen. Doch sah er bald, daß männiglich Besucher selbigen gottgelahrten Konziles ein gar lockeres Leben führten und dabei obendrein mehr Ablässe, Goldgulden und Pfründen einheimsten als fromme Tugendbolde. Und so blies ihm der Teufel in einer anfechtungsreichen Nacht den Gedanken ein, sichs lieber wohl sein zu lassen und gleich den andern aus dem Borne unserer heiligen Mutter Kirche zu schöpfen, des Unerschöpflichkeit allein gar wundersam des lieben Gottes Gegenwart erwiese. Das ging unserm Pfäfflein wohl ein und es schwur sich zu prassen und zu schlemmen, solange man nur seinem guten alten Erzbischof (der sich, allerdings nur mehr der Not gehorchend, derart einen Heiligenschein zugelegt hatte). Doch schuf ihm das oft schwere Anfechtung und trübselige Stunden, maßen er allenthalben die schmuckhaften, verführerischen Buhlerinnen sah, die gen Konstanz geeilt waren, um der Kirchenväter Sinne zu erleuchten. Er platzte schier vor Grimm über die Art, wie jene losen Elstern den Kardinälen, Würdenträgern, Fürsten und Markgrafen auf der Nase herumhüpften, als wären es arme Schlucker, derweilen er nicht wußte, wie er eine fangen könnte. Allabendlich nach dem Gebete erwog er zierliche Liebessprüche und wappnete sich für zärtliches Geplänkel. Traf er aber dann tags darauf solch eine Prinzessin, die in prunkender Sänfte inmitten reichen Geleites ihrer Fülle Pracht stolz darbot, dann blieb er mit offenem Maule stehen und klotzte ihr blinkes Antlitz an, bis ihm die Glut zu Kopfe stieg.
Der Sekretarius seines edlen Gönners tat ihm nun einmal kund, daß die hohen Herrschaften die Gunst jener zieren Kätzlein keineswegs so mir nichts, dir nichts gewännen, vielmehr Gold und Geschmeide in schwerer Menge dafür hingäben. So begann denn der ahnungslose Tropf die Groschen, die durch des Erzbischofes Güte für ihn abfielen, in seinem Strohsack zu sammeln, und er erhoffte solchermaßen einen Schatz zusammen zu sparen, mit dem er sich dann holde Gunst erkaufen wollte. Des weiteren gab er sich in Gottes Hand und wandelte nächtens lüstern durch die Gassen, wenngleich er in seiner schäbigen Gewandung einem Edelmanne nicht mehr glich, als eine nachthaubengeschmückte Ziege einem Edelfräulein. Ohne sich um die Hellebarden der Söldner zu scheren, schaute er zu, wie in den Häusern die Kerzen entzündet wurden und durch Fenster und Türen hinausblinkten, horchte auf das geile Lachen der schlemmenden Kirchenfürsten, die der Frau Venus ihr Halleluja sangen, und holte sich dabei gern einen Sack voll Püffe. Denn der Teufel verblendete ihn mit der Hoffnung, früher oder später auch bei solch holder Buhlin den Kardinal spielen zu können, und das machte ihm Mut.
So drang er denn eines abends tollkühn wie ein brünstiger Hirsch in das schönste Haus der Stadt, davor er schon so manche Haushofmeister, Offiziere oder Pagen ihrer Herren beim Fackelscheine harren gesehen hatte. »Ach, die da drinnen muß schön und zärtlich sein!« seufzte er. — Ein waffenstarrender Landsknecht vermeinte, jener gehöre zum Gefolge des bayrischen Kurfürsten (der soeben das Haus verlassen hatte) und käme mit einem Auftrage seines Herrn. Darum kam Philippus hinein und ließ sich, gleich einem Rüden auf der Spur einer läufigen Hündin, von süßen Düften stracks in das Gemach führen, wo sich die Herrin des Hauses von flinken Zofen umringt ihrer Gewänder entledigte. Verdutzt wie ein erwischter Dieb blieb er stehen. Schon war die Huldin ohne Rock und Mieder und bald stand sie hüllenlos in prunkender, anmutsvoller Nacktheit da, also daß dem beglückten Pfäfflein ein liebeheißes »Aah!« entfuhr.
»Was willst du, Kleiner?« fragte die Schöne.
»Bei Euch verscheiden,« ächzte er gierigen Blickes.
»So komm morgen wieder,« meinte sie, um ihn zu necken. Und Philippus, des Antlitz glühte, rief stracks: »An mir solls nicht fehlen!«
Da hub sie an wie toll zu lachen, also daß Philippus verblüfft, doch wohlgemut stehen blieb und lüsternen Auges weiter ihre wunderzieren Liebesreize bestaunte: ihr prachtvolles Haar, das zwischen lockigen Flechten den Zauber eines Nackens enthüllte — blink und blank wie Elfenbein; strahlende Augen, die feuriger waren als die Rubinen eines Geschmeides ob ihrer schneeweißen Stirn. Die schimmerten von den Tränen ihres hellen Lachens; und dieweil sich die Holde vor Kichern wand, entglitt ihr ein güldener Schuh und so kam ein nacktes Füßlein hervor, ein Füßlein, das schier kleiner war als der Schnabel eines Schwanes.
Ja, die Schöne war heut guter Laune; sonst hätte sie den Kleinen längst kühllächelnd zum Fenster hinauswerfen lassen. Und eine der Zofen meinte: »Er hat schöne Augen!« Eine andere fragte: »Woher mag er kommen?« Und die Herrin rief: »Das arme Kindlein! Seine Mutter wird ihn suchen. Wir müssen ihm den rechten Weg weisen!« Aber unser Pfäfflein ließ sich nicht aus der Fassung bringen und weidete sich wonneächzend an dem Anblick des brokatgeschmückten Lagers, darauf die Huldin alsbald ihren prangenden Leib betten sollte. Solch liebesdurstiger Augenschmaus entflammte die Einbildungskraft der Schönen, die darob halb scherzend, halb bereits verliebt wiederholte: »Also morgen!«, und den Burschen sodann mit einer Handbewegung, die keinen Widerspruch duldete, entließ.
»Ach, hehre Frau, da habt Ihr wieder einmal ein Keuschheitsgelübde in Liebessehnen verwandelt!« kicherte ein Zöflein. Und wieder platzten alle heraus, also daß das Gemach wie unter Hagelschlägen erzitterte. — Derweile machte sich Philippus von dannen, nicht ohne blindlings mit dem Kopf wider die Pfosten zu rennen. Denn der leckere Anblick hatte ihn völlig geblendet. Doch prägte er sich die Torwappen sorglich ein und kehrte voll lüsterner Teufeleien und schlechter Gedanken zu seinem biederen Erzbischofe zurück. In seinem Kämmerlein zählte er während der ganzen Nacht seine Batzen: mehr als vier Taler kamen freilich nie heraus, aber da dies sein einzig Gut war, das er so der Schönen hingeben wollte, vermeinte er, sie würde wohl zufrieden sein.
Dem Erzbischof ging seines Schreibers Seufzen und Ächzen mählig auf die Nieren. »Was ist Euch nur?« fragte er endlich. Und das Pfäfflein entgegnete kläglich: »Ach wehe, hoher Herr! Mir will nicht in den Sinn, daß so ein zieres, zartes Mägdelein einem also schwer das Herze bedrücken mag.« Da legte jener sein Brevier (darin der Edle für die andern las) zur Seite und erkundigte sich: »Welche ist’s denn?«
»Ach Jesus! Weh, edler Herr und Gönner, verdammt mich nicht. Gewißlich gehört die zum mindesten einem Kardinale an, in die ich mich vergaffte… Und nun weine ich, da mir noch manch verflixter Taler fehlt, um sie mit Eurer Erlaubnis zum Guten zu bekehren.« Der Erzbischof furchte die dachförmige Falte über seiner Nase unter bedenklichem Schweigen, also daß der Pfaff vor Angst zu beben anhub und sein Geständnis bereute. Doch schon fragte der heilige Mann weiter: »Sollte sie denn gar so viel kosten?« worauf jener ächzte: »Ach! schon manche Mitra hat sie geplündert, manchen Krummstab seiner Zier beraubt.«
»Ei, ei, Philippus: so du von ihr lässest, will ich dir dreißig Taler aus der Armenbüchse geben!« Aber das Kerlchen gierte nach dem Wonneschmaus, also daß es rief: »Oh, dabei käme ich noch immer zu kurz!«
»Philippus,« versetzte darob der gute Alte, »so willst du denn dereinst zur Hölle fahren, von Gott mißachtet gleich all unsern Kardinälen?« Und schmerzbewegt begann er zum Schutzherrn der Keuschlinge, dem heiligen Sabianus, für seines Dieners Heil zu beten. Und weiter mußte der Bursch niederknien und seinerseits den heiligen Philippus anflehen. Aber der verdammte Pfaff erbat insgeheim, daß der Heilige ihm morgen einen huldreichen Empfang bei der Dame beschere, und darum betete er so voller Inbrunst, daß der gute Erzbischof beglückt rief: »Nur Mut, der Himmel wird dich erhören!«
Tags darauf (derweile der edle Greis im Konzil wider die Schamlosigkeit geistlicher Hirten donnerte) verschleuderte Philippus seine sauer erworbenen Taler für Riechwässer, Bäder und ähnliches Gedüft. Wohl gesalbt wie ein Pomadenhengst wandelte er sodann durch die Stadt, bis er seiner Herzens-Königin Haus erspäht hatte. Als er aber jemanden fragte, wem denn selbiges Haus gehöre, das grinste der und rief: »Was für ein grindiger Schelm, der noch nichts von der schönen Imperia gehört hat!«
Nun ward dem Pfäfflein Angst, sein Geld zum Fenster hinausgeworfen zu haben, denn der Name lehrte ihn, in welch arge Schlinge er aus freien Stücken seinen Kopf gesteckt hatte. War doch Imperia die anspruchsvollste und launischste Dirne des Erdenrundes und nicht sowohl für ihre unübertroffene Schönheit, als für ihre Kunst bekannt, gleichermaßen Kardinäle, Leuteschinder und rauhe Krieger zu knechten. Die Höchsten wie die Kühnsten umwarben sie, ein Wink von ihr konnte einem das Leben kosten, und selbst unerbittliche Tugendbolde krochen bei ihr auf den Leim und tanzten gleich den andern nach ihrer Pfeife. Unserm Philippus ward bänglich zu Mut und so wandelte er in der Stadt umher, ohne an Essen und Trinken zu denken. Hatte ihm doch Imperias Anblick sogar die Lust nach andern Frauen verdorben.
Und als die Nacht kam, da hatte der Stolz den hübschen Bengel also gebläht, die Gier ihn gepeitscht und einige Flüche ihn soweit ermuntert, daß er kecklich zu der eigentlichen Königin des Konziles, vor der sich alle beugten, hineilte. Der Hausmeister, der ihn nicht kannte, wollte ihn freilich hinauswerfen, als just ein Zöflein oben vom Treppenabsatz rief: »Nicht doch, Meister Imbert! Das ist ja der Kleine von der Gnädigen!« Und schamrot wie ein Jüngferlein stolperte der arme Philippus wonnebebend die Treppe hinauf. Alldorten nahm ihn die Zofe bei der Hand und führte ihn in das Gemach, darinnen die Gnädige bereits vor Erwartung kochte und also leicht bekleidet war wie eine Frau, die mutvoll höheren Genüssen entgegenblickt. In strahlender Schönheit saß sie bei einem prunkhaft gedeckten Tische, dessen Leckerbissen jedem das Wasser in den Mund getrieben hätten — auch unserm Pfäfflein, wäre er nicht so über die Maßen verliebt gewesen. Denn alsbald ward Frau Imperia dessen inne, daß die Blicke des zieren Kleinen nur ihr allein galten. Und sie, die eigentlich an verliebte Demut geistlicher Herren gewöhnt war, ergötzte sich doch baß an seiner Huldigung, maßen sie sich seit gestern Nacht immer mehr in den Schlingel vernarrt hatte und er ihr tagsüber schon gar nicht mehr aus dem Sinn gekommen war. Nun waren die Vorhänge zu und die Gnädigste so holder Laune, als gälte ihr Empfang einem kaiserlichen Prinzen. Und als solcher fühlte sich der Bengel auch, da ihm die Gunst der hochheiligen Schönheit zu Kopfe stieg. Aufgebläht stolzierte er herzu und machte einen Kratzfuß, der nicht übel gelang. Alsbald beglückte den Wonneschaudernden ein glühender Blick und die Holde sprach: »Setzt Euch neben mich; ich sehe, Ihr habt Euch seit gestern verändert.«
»Ei freilich,« brüstete er sich. »Gestern liebte ich Euch — und heute lieben wir uns: so ward ich armer Schlucker reicher als ein König!«
»I du kleiner Strick,« kicherte sie, »mir scheint vielmehr, der junge Pfaff ist ein alter Teufel geworden.«
Damit kauerten sie sich zusammen vor dem Kaminfeuer hin, dessen Glut ihnen noch weiter einheizte. Sie mißachteten die guten Bissen auf dem Tisch und fraßen sich mit den Augen; und schon waren sie im besten Zuge, als sich vor der Tür ein groß Geschrei erhob und Hiebe prasselten.
»Was gibts?!« rief stracks die Gnädige, machtbebend wie ein König, den man kecklich stört.
»Der Erzbischof von Chur«, hauchte ein Zöflein.
»Hol’ ihn der Teufel! — Sag ihm, ich habe das Fieber, so lügst du nicht, denn dieses Pfäfflein macht mir heiß und kalt.«
Kaum hatte sie das gesagt und dabei des Philippus Hand so hold gedrückt, daß es dem in allen Gliedern zuckte, da tauchte schon der feiste Bischof wutschnaubend vor ihnen auf und hinter ihm seine Leute mit einer güldenen Schüssel, darauf eine Lachsforelle frisch und lecker prangte, mit vielerlei würzigduftenden Gerichten, mit Obst und Früchten und holden Schnäpsen, wie die heiligen Nonnen sie in den Klöstern brauen.
»Uf,« polterte der grob, »um zur Hölle zu fahren, brauche ich mich von dir nicht vorher peinigen zu lassen, mein Täubchen…«
»Euer Wanst wird eines Tages eine schicke Degenscheide abgeben,« erwiderte sie und furchte die Brauen, und ihre vorher so sanften, lieben Augen wurden hart und grausam.
»Und der Chorknabe hier soll wohl schon den Totengesang anstimmen?« pöbelte der Erzbischof weiter und wandte sein rotgedunsenes Antlitz wider den zieren Philippus. Der meinte: »Hochwürden, Madame will mir beichten.«
»Was!! kennst du nicht die Regeln?! Damenbeichten zu dieser Stunde sind den Bischöfen vorbehalten. Fort mit dir zu deinen Nonnen!«
»Nein, hiergeblieben!« schmetterte Imperia, die zugleich von Zorn und Liebe verschönt sich selbst übertraf, »Ihr seid hier zu Hause, teurer Freund« (da ward Philippus ihrer Liebe gewiß!) »Sind nicht, wie da geschrieben steht, alle Menschen vor Gott gleich? So sollt auch ihr beide vor mir gleich sein, da ich hinieden eure Göttin bin. Setzt euch und eßt!«
So sprach sie, denn der Lachs und die Schleckereien taten es ihr doch an. Ihrem Schlingel aber zwinkerte sie lsitig zu, daß er sich vor dem Dickwanst nicht zu bangen brauche, den sie bald abfertigen würde. So ward denn der Bischof von der Zofe am Tische verstaut und ein gewaltiges Prassen hub an. Das Pfäfflein freilich aß keinen Bissen, da ihn nach Imperia hungerte, und schweigend an sie geschmiegt redete er nur jene Sprache, die jedem Weibe auch ohne Laute und Buchstaben verständlich ist. — Der feiste Bischof war ein wüster Schlemmer: ein Gläslein Würzwein nach dem andern ließ er sich von zarter Hand darreichen und schon hallte fröhlich sein erster Rülpser, als von der Straße lautes Pferdegetrappel heraufscholl. Der Lärm ließ zum mindesten eines liebestollen Fürsten erwarten und richtig stürmte gleich darauf der Kardinal von Ragusa rücksichtslos ins Gemach. Dieser gerissene Italiener, des Anwartschaft auf den heiligen Stuhl man kannte, dieser langbärtige Haarespalter überblickte sofort die Situation. Von seiner Mönchsgeilheit hergetrieben, wollte er natürlich auf seine Kosten kommen, und so winkte er sich nach einer Sekunde Überlegung Philippen herbei.
»Komm ‘mal her, Freundchen!« — Der Ärmste war mehr tot wie lebendig, denn nun wurde die Sache brenzlich. Dienstbereit nahte er dem furchtbaren Rothute, und der führte ihn zur Stiege, sah ihm stracks in die Augen und sagte ohne langes Fackeln: »Schockschwerenot! du scheinst mir ein lieber Kumpan, den ich nicht gern um einen Kopf kürzen möchte. Also glatt heraus: willst du dich lieber mit einer Abtei auf Lebenszeit vermählen oder heut Nacht mit der Gnädigen, aber dann morgen verscheiden?«
Der arme Bengel murmelte ganz verzweifelt: »Aber wenn Eure Glut gestillt ist, Hochwürden, — dürfte ich dann wiederkommen?« — Der Kardinal verbiß sich das Lachen: »Galgen oder Mitra — wähle!«
»Na,« meinte unser Pfäfflein verständnisinnig, »wenn die Pfründe schön fett ist…« Da ging der Kardinal flugs ins Gemach zurück und schrieb ein Certificat aus. Der Schlingel suchte darin den Namen der Abtei zu entziffern und derweile grinste er: »Den Bischof von Chur werdet Ihr nicht so leicht abhalftern wie mich. Doch will ich Euch meine Dankbarkeit erzeigen und mich mit einem guten Rate aufdienen. Ihr wißt ja, wie ekel und ansteckend die Seuche ist, die in Paris wütet: sagt ihm also, Ihr kämet just vom Sterbebette des lieben alten Erzbischofes von Bordeaux — dann wird er verschwinden wie die Wurst im Spinde.«
»Hoho,« blökte der Kardinal, »du verdienst ja sogar noch mehr als eine Abtei — hier, Schockschwerenot! Freundchen, hier nimm noch hundert Gülden für die Reise…«
Als Imperia die Worte hörte und inne ward, daß Philippus aus dem wonnigen Bereiche ihrer liebesüßen Schmeichelaugen verduftete, da ahnte sie feigen Verrat und hub voll ingrimmiger Enttäuschung an zu schnauben wie ein Delphin. Die tödlichen Blicke, die sie dem Pfäfflein nachsandte, taten dem Kardinal natürlich wohl, denn nun durfte der italienische Lüstling hoffen, seine Abtei recht bald wieder zu bekommen.
Philippus indes ahnte nichts böses, nur trollte er sich davon wie ein begossener Kater. Und die Schöne tat einen tiefen Seufzer: hei, wie wäre sie jetzt gern mit dem Mannsvolk umgesprungen, wo lohe Glut sie erhitzte und draußen wie drinnen zu wabern schien. Denn das war, weiß Gott, das erste Mal, daß ein Pfaff sie verschmähte.
Derweile lächelte der verschmitzte Rothut und vermeinte, nun blühe sein Weizen erst recht. Stracks ging er den Bischof an: »Ach, liebwertester Gevatter, wie ich mich freue, diesen Nichtsnutz verjagt zu haben und nun Eure Gesellschaft genießen zu können. Wahrlich, der Bursch war der holden Frau nicht wert und zudem — wie leicht hätte er den Tod ins Haus bringen können…«
»Was?? Wieso?!«
»Aber er ust doch der Schreiber des Erzbischofes von Bordeaux, der sich heute früh die Pest…«
Des Bischofs Mund sperrte, als sollte er einen Käase schlucken: »Woher wißt Ihr?«
»Tja —« meinte jener, und ergriff des biedern Deutschen Hand, »ich habe ihm doch die letzte Wegzehrung gegeben und nun schwebt der Heilige dem Paradiese zu.« Schon zeigte der Bischof, daß Fettwänste auch mal springen können wie Gummibälle: hups, war er zur Tür hinaus und ohne Adieu kugelte er bereits angstschwitzend, schnaufend und totenbleich die Stiege hinab. Als er durchs Tor auf die Straße rollte, hub der Herre von Ragusa gewaltig an zu lachen:
»Na, mein Püppchen, bin ichs nicht wert, Papst, und mehr noch — heut Nacht dein Schatz zu werden?« Und da er Imperia bedrückt sah, trat er herzu, um sie schmeichlerisch zu umhalsen und bezärteln, was ja die Herren Kardinäle besser verstehen als jeder andere. Doch sie entwich und giftete:
»Hah, du toller Narr, du willst also meinen Tod!… dir geilem Bock geht das Vergnügen über alles, und was aus mir wird, schert dich nicht?! Pack dich mit deiner Pest fort, rühr’ mich nicht an, oder ich laß dich diesen Dolch kosten!« Und damit zückte sie ein zierliches Stilett, mit dem sie, für alle Notfälle gewappnet, gar wohl umzugehen verstand.
»Aber mein Herzenstäubchen,« entgegnete er lachend, »merkst du denn nicht den Braten?… Wie wäre ich denn anders den alten Bullen aus Chur losgeworden?!«
»Schon gut, ich werde ja sehen, ob ihr mich liebt. Trollt Euch auf der Stelle! Ich kenne Euch: habt Ihr die Pest im Leibe, dann macht Euch mein Tod auch keine Sorge mehr. Mir aber geht mein Leib und Eigen über alles. Seht, und hat Euch der Sensenmann inzwischen nicht erwischt, dann könnt Ihr ja morgen wiederkommen.«
»Imperia!« rief der Kardinal und warf sich ihr zu Füßen, »Du holde Heilige, verspotte mich nicht!«
»Nein —,« erwiderte sie, »mit heiligen und geweihten Dingen treibe ich auch keinen Spott.«
»Hah, verdammte Vettel! Exkommunizieren werde ich dich — morgen! Satansbraten — ach, du Holde, Feinsliebchen… Willst du mein ganzes Geld… einen Splitter vom heiligen Kreuz?… Hexe, umgarnt hast du mich! Auf den Scheiterhaufen mit dir!… Süßes, zieres Täubchen!… Den schönsten Platz im Himmel schaffe ich dir!… Wie? Was?… Du willst nicht?! Dann zum Henker mit dir, du Hexe!!« Und er schäumte vor geiler Wut. »Ihr werdet überschnappen,« spottete sie, »geht lieber heim!« — »Wenn ich Papst werde…« — »Werdet Ihr mir auch gehorchen müssen, jawohl!« — »Und was soll ich heut Abend tun, um dir zu gefallen?« — »Verduften…«
Und damit schlüpfte sie hurtig wie eine Bachstelze in ihre Kammer, schob flink den Riegel vor und ließ den Kardinal draußen wettern, bis er es satt bekam und abschob. Und als die Schöne dann einsam ohne ihr Pfäfflein vor dem Kamin hockte, da zerriß sie grimmig ihre güldenen Kettlein und murmelte: »Beim dreimal doppeltgehörnten Teufel! Wenn mir der Bengel diese Kardinalssuppe eingebrockt und mich zudem noch angesteckt hat, ohne daß ich meine Lust über und über an ihm gestillt habe, dann will ich ihn vor meinem Tode noch lebend geschunden und zerstückt vor mir sehen. — Ach wehe!« Und diesmal waren ihre Tränen echt! — »Was für ein Jammerleben, — für ein bischen Glück rackst man wie ein Hund und gibt noch sein Seelenheil daran.« Und sie heulte wie ein Schloßhund… als sie mit einem Male hinter einem venezianischen Spiegel das Pfäfflein gewahrte, das gar verschmitzt hervorlugte.
»I du Prachtkerl, du frecher, zuckersüßer Fratz!« rief sie. »Gibts denn in diesem heiligen, verliebten Konstanz noch einen zweiten Spitzbuben wie dich? Ach, komm, du Toller, du Zierer, Feiner, mein Herzensschatz, mein Wonneparadies! Laß mich deine Äuglein trinken, dich schlecken und vor Liebe fressen! Komm, kleiner Pfaff, ich will dich zum König, Kaiser, Papst — will dich glücklicher machen als alle zusammen!… Zeig deine Glut, nun bin ich dein, nun sollst du bald Kardinal sein, und sollte ich mein Herzblut vergießen, um dein Barett damit zu färben.«
Und mit glückzitternden Händen füllte sie des Bischofs güldenen Humpen mit griechischem Wein und bot ihn kniend ihrem Liebsten dar, sie, deren Füßlein die Fürsten der Welt inbrünstiger küßten als des Papstes Pantoffel. Aber das Pfäfflein blickte sie schweigend an mit liebesgierigen Augen, also daß sie wonneschauernd hauchte: »Still, Kleiner! Komm!… Greif zu!«
Einstens war der hochedle Herr Bruyn der das Schloß zu Roche-Corbon-lez-Vouvray an der Loire erbaute, ein übler Kumpan. Schon als Kiekindiewelt jagte er den Jüngferlein nach und übte das ‚Fensterln‘ und als gar sein Vater dahinschied, da ward er vollends ein Satansbraten, wie er im Buche steht. Ob der Art, wie er sein Geld verpraßte, verlumpte und verhurte, sah er sich bald von anständigen Menschen gemieden und auf die Freundschaft von Wucherern und Halsabschneidern angewiesen. Doch auch die wurden mordsmäßig widerborstig, als sich herausstellte, daß die ‚Rupes Carbonis‘ als Königslehen unantastbar war, und somit nur die Herrschaft Roche-Corbon als Pfand dienen konnte. So war Bruyn auf dem besten Wege, sich zum Strauchdiebe zu entwickeln, hätte ihm nicht darob eines Tages sein Nachbar, der Abt von Marmoustier, grambeschwert ins Gewissen geredet: sicherlich wäre ja ein derartiges Leben ein erfreulicher Beweis ritterlicher Tugenden, doch wäre es am Ende immerhin würdiger, wenn er zum Preise Gottes wider die Muselmänner das Schwert zücke, die das heilige Land verschandelten. Dann würde er zudem einst reichbeladen mit Schätzen und Ablässen heimkehren oder aber ins Paradies eingehen.
Dem wackeren Bruyn ging der kluge Vorschlag gar trefflich ein und vom Kloster gewappnet vom Abt gesegnet, machte er sich alsbald zur Freude seiner Nachbarn auf die Reise. Und nun ward gar manche Stadt in Asien und Afrika von ihm rücksichtslos gebrandschatzt und er metzelte nieder, was ihm unter die Klinge kam, gleichgültig ob Freund, ob Feind, Sarazenen, Griechen, Engelländer und anderes Volk. Solchermaßen war er für Gott, den König und sich selbst gar eifrig besorgt und schuf sich den Ruf eines guten Christen und getreuen Edelmannes. Schließlich aber bekam er die Sache doch satt und kehrte zum allgemeinen Staunen, schwer beladen mit Gold und Schätzen von seinem Kreuzzuge heim. König Philipp machte ihn zum Grafen und Seneschall und nunmehr ward Bruyn allenthalben geliebt und geehrt, zumal er neben seinen sonstigen Tugenden auch seine Frömmigkeit durch die Gründung der Kirche von Carmes-Deschaulx bewies. Aus dem üblen Nichtsnutz war eben ein gesetzter Mann geworden, des Glatze mählig und in Würden wuchs. Die Säle seines wundervollen alten Schloßes am Ufer der Loire wurden mit königlichem Prunk ausgestattet und mit morgenländischem Hausrat, Schmuck und Ziergerät prächtig geschmückt. Die reichen Ländereien, Mühlen und Gewässer brachten nun überreiche Erträge und das Volk schwelgte fügsam in wohliger Ruhe, maßen er es vor den Wegelagerern und Schnappsäcken schützte, auf die er äußerst scharf war: denn er wußte ja aus eigner Erfahrung, was dieses verdammte Raubzeug für Schaden stiften konnte. Wenn er mal jemand aufknüpfen ließ, so geschah das also um der lieben Gerechtigkeit willen und selbst die Juden ließ er nur dann zur Ader, wenn sie bereits am erwucherten Gelde schier erstickten. Solchermaßen erwarb er sich natürlich die Liebe und Achtung von Groß und Klein. Da begab es sich einmal, daß eine Bande Zigeuner in der Kirche St.-Martin heiliges Gerät stahl und obendrein zum Spott und Hohn für unseren wahren Glauben an der Stelle, da sich das Bild Unserer Lieben Fraue befunden hatte, ein verflixt schönes, blutjunges, splitterfaselnacktes Mädel zurückließ. Ob dieser unerhörten Freveltat beschlossen gleichermaßen die Vertreter des Königs wie die der Kirche, daß die Maurin für alle andern mitbüßen und dieserthalben auf dem Marktplatze lebendigen Leibes verbrannt werden solle. Aber der biedere Herr Bruyn erwies in hastiger Widerrede daß es bei weitem gottgefälliger sei, diese schwarze Seele für den wahren Glauben zu retten; und stäke wirklich der Teufel hartnäckig in diesem Mädchenkörper, dann würden ihm ja doch die Flammen des Scheiterhaufens nichts anhaben. Das fand der Herr Erzbischof über die Maßen fromm und christlich, also daß er ihm beipflichtete. Den Damen aber und den andern wohlgestellten Leuten, die da murrten, daß sie um solch schönes Schauspiel gebracht werden sollten, entgegnete der Seneschall: wenn die Heidin sanftselig in den Schoß der christlichen Kirche einginge, so gäbe das den Anlaß zu einem weitaus schöneren Feste, und er werde dann für wahrhaft königlichen Prunk sorgen, werde selbst Taufpate sein, und mit ihm eine holde Jungfrau als Gevatterin, maßen er ja selbst unbeweibt sei.
Die Maurin wählte nicht lange zwischen Taufe und Scheiterhaufen. Es dünkte ihr doch schöner, als Christin zu leben, denn als Zigeunerin verbrannt zu werden. Aber indem sie sich den glühenden Qualen weniger Augenblicke entzog, lieferte sie sich schlimmeren für ihr ganzes Leben aus: um nämlich ihrer Bekehrung ganz sicher zu sein, steckte man sie in ein benachbartes Kloster und nahm ihr das Gelübde der Keuschheit ab. Die angekündigte Festivität aber fand im Palaste des Erzbischofes statt, allwo zum Preise des Erlösers getanzt, gesprungen und getafelt wurde, daß es nur so eine Freude war. – Der gute alte Seneschall hatte als Gevatterin die Tochter des edlen Herrn von Azay-le-Ridel erkoren, der fern vor Acre einem Sarazenen in die Hände gefallen war. Um das geforderte fürstlich-hohe Lösegeld aufzutreiben, hatte sein Weib ihr Hab und Gut verpfändet oder hingegeben und nun harrte sie ihres Gemahls in einer ratzekahlen Stadtwohnung, doch stolz wie die Königin von Saba. Just um ihr gleichsam unvermerkt unter die Arme zu greifen, hatte der Seneschall das Töchterlein als Patin erwählt, und so gedachte er, seiner holden Gevatterin eine schwere güldene Kette, die er in Zypern erbeutet hatte, um den Hals zu hängen. Als er aber besagte Blanche von Azay eine Pavane tanzen sah (denn obgleich die Maurin bei diesem letzten Tanze ihres Lebens sich im Wirbeln, Springen und Biegen schier selbst übertraf, trug Blanche doch durch ihre jungfräuliche Anmut nach dem einstimmigen Urteil aller den Sieg davon). da blieb es nicht bei der Kette und Bruyn gab sich mit Gut und Habe, Haut und Haaren ihr zu Eigen.
Denn plötzlich ward er inne, daß seinem Heim ein Weib fehlte, und das warf ihn in tiefe Betrübnis. Was war denn ein Schloß ohne Schloßherrin? – ein Klöppel ohne Glocke! Und stracks beschloß er, sie zu ehelichen, und das um so bälder, als er auf ein allzulanges Erdendasein kaum mehr hoffen konnte. Doch dachte er im Grunde wenig an die achtzig Jahre, die seines Lebens Baum schon genugsam entblättert hatten. Vielmehr fand er seine Augen klar genug, um seiner Gevatterin Reize sich darin spiegeln zu lassen. Und als selbige, so wie ihre Mutter es ihr geheißen hatte, sich ihm in Blicken und Gebärden gar zutunlich zeigte, da schlug er vollends alles in den Wind und hub an, zunächst ihre Hand zu küssen, und dann immer mehr, den Nacken und – Hals … etwas tief, meinte der Erzbischof, der sie acht Tage später traute. Und die Hochzeit war schön, das schönste dabei aber war die Braut.
Blanche war wunderzart und frisch wie kaum eine; und dabei ein spiegelblinkes Jüngferlein, das von Liebesdingen auch nicht den Schimmer einer Ahnung hatte, das sich nicht träumen ließ, wozu so ein Bett alles gut sein könne und vermeinte, daß die Kindelein vom Storch gebracht würden. Denn so hatte ihre Mutter sie in aller Unschuldigkeit erzogen. – Was nun diese betraf, so bekam sie nach der Hochzeit eine ansehnliche Summe, mit der sie sich stracks nach Acre auf den Weg machte. Und sie erwies sich auch als eine überaus getreue Gattin. Denn als sie ihren Mann losgekauft hatte, stellte es sich heraus, daß er aussätzig war: aber sie betreute ihn so wohl, daß er dank ihrer Pflege wieder gesundete.
Als die Hochzeitsfeier (— die zur bassen Freude der Gäste drei Tage währte) zu Ende war, trug Bruyn sein junges Weib nach damaliger Sitte feierlich aufs Ehebett, das vom Abte gesegnet wurde. Alsdann streckte sich der neugebackene Ehemann ihr zur Seite hin. Und wie er nun so salbenduftend bei ihr ruhte, da küßte er zunächst ihre Stirn, dann das blinke, zarte Brüstelein … und weiter tat er nichts. Denn der alte Knickstiefel hatte sich weit überschätzt, als er geglaubt hatte, noch sonstiges leisten zu können. Zwar stärkte er sich mit dem Hochzeitstrunke, der dem Brauche gemäß in güldenem Pokale neben ihm stund; aber der wärmte ihm nur den Magen, ohne seiner Manneskraft auf die Beine zu helfen. Blanche ahnte natürlich nichts von diesem Mangel ehelicher Pflichterfüllung da sie von einer Heirat nichts anderes erwarten konnte als Prunk und Schmuck, Ehre und angenehme Stellung. Solchermaßen ergötzte sie sich baß an der reichen Pracht des Bettes, allwo ihre Jungfräulichkeit hätte begraben werden sollen, derweile jener zu spät seine Schuld begriff und törig auf die Zukunft vertraute, die doch nur Tag für Tag mehr von dem zerstören mußte, was heute schon nicht mehr den geringsten Ansprüchen gewachsen war. So füllte er einstweilen die Bresche mit lockenden Worten und versprach unter zartem Geplauder seinem Weiblein die Schlüssel für Kisten und Kasten, ja die unbeschränkte Herrschaft über Haus und Hof und alle Güter. Und sie hielt ihn darob für einen Musterehemann und schwärmte noch frohgemuter über das schöne Brokatbett, derweile sie sich aufsetzte und ihn anlächelte. Als nun aber der gerissene Alte merkte, daß sie zärtlich werden wollte, ward ihm bänglich zu Mute. Denn Jungfern waren ihm noch nicht viele über den Weg gelaufen und seine Erfahrung erstreckte sich auf lockere Dirnen, deren Tätscheln, Küssen und Liebkosen ihm einstmalen recht wohl getan hatte, jetzt aber eiskalt gelassen hätte. Somit retirierte er sich angstvoll zum Bettrande und sagte zu seiner leckeren Bettgenossin: »Ja, siehst du, mein Schatz, nun bist du Seneschallin, und was für eine!«
»Ach nein,« meinte sie.
»Wieso, nein?« bangte er, »Du bist doch mein Weib!«
»Keineswegs… Erst muß ich noch ein Kind haben.’«
»Sahst du die Wiesen?« lenkte er ab, »die sind dein.«
»Ei,« lachte sie, »wie werde ich dort Schmetterlinge haschen. Aber gebt mir doch auch einen Schluck von dem Trunk da, den uns der Schenk so sorglich gebraut hat.«
»Wozu denn, Liebchen. Der erhitzt dich nur.«
»Doch möchte ich,« schmollte sie, »denn ich will Euch schnellstens ein Kind bescheren und weiß sehr wohl, wozu der Trank gut ist.«
»Oho, du Kleinchen,« sagte der Seneschall, der hierin ihre engelsreine Unschuld erkannte, »dazu bedarf es zuvörderst Gottes Willen und zudem muß die Frau reif sein..«
»Und wenn werde ich dazu reif sein?” lächelte sie.
»Wenn es die Natur will,« lachte er zurück.
»Was kann man denn dafür tun?«
»O dazu gehört eine sehr gefährliche kabbalistisch-alchymistische Operation.«
»Aha,« meinte sie nachdenklich, »darum weinte auch meine Mutter beim Abschied so. Aber meine Freundin Bertha, die sich doch als Frau so wohlfühlt, meinte, das sei alles kinderleicht.«
»Das kommt aufs Alter an,« wand sich der greise Knabe. »Und zudem müssen beide Gatten vor Gott schuldlos dastehen, sonst wird das Kind ein arger Sündenlümmel. Darum lassen wir ja auch die Betten segnen, wie es hier der Herr Abt getan hat… Hast du die Gebote der Kirche nicht übertreten?«
»O nein,« ereiferte sie sich, »vor der Messe bekam ich Absolution und seitdem habe ich nicht die kleinste Sünde begangen.«
»Ja siehst du, aber ich habe geflucht wie ein Heide.«
»Ach – aber weshalb denn?«
»Weil der Tanz kein Ende nahm und ich dich deshalb nicht hierher tragen und abküssen konnte.« Und damit nahm der alte Fuchs zärtlich ihre Händchen, die er drückte und schleckte, derweile er ihr unschuldige Schmeicheleien zuraunte, die sie erfreuten und ganz ablenkten. Dann aber machte sich die Müdigkeit vom Tanz und den Feierlichkeiten bei ihr geltend, also daß sie sich bequem hinstreckte und nur sagte: »Morgen werde ich schon aufpassen, daß Ihr nicht mehr sündigt.« Und damit schlief sie ein.
Der alte Knabe aber genoß weiter den Rausch ihrer blinken Schönheit und zarten Anmut. Nur der Gedanke quälte ihn, wie er sie in ihrer Unschuld erhalten könne. Wohl ahnte ihm dunkel, daß die Sache einmal schlimm ausgehen würde, doch beschloß er, dies holde Kleinod nach Kräften zu hüten, und tränenden Auges küßte er ihr güldenes Haar, die Wimpern und den frischen, roten Mund – jedoch sachte, um sie nicht aufzuwecken. Und dann klagte er ob der Verwüstungen, die das Alter bei ihm angerichtet hatte und darüber, daß er nun eine Nuß knacken sollte, wo er doch keine Zähne mehr hatte, sie aufzubeißen.
Während der ersten Tage ihrer Ehe erdachte der Seneschall solchermaßen die hahnebüchensten Märchen, um sein Ehegesponst hinters Licht zu führen und bei ihrer beneidenswerten Unschuld fanden seine Lügen ein gläubiges Ohr. Und allgemach sagte sich Blanche, daß sie mit ihrem Gefrage dem biederen Greise lästig würde, indem er doch ob seines Alters genugsam Erfahrung haben müsse und daher sicherlich recht habe. Somit gab sie die Sache auf und dachte nur noch im Stillen an das Kindelein, nach dem ihr ganzes Trachten stand - das heißt, dieser Gedanke ließ ihr im Grunde keine Minute Ruhe, wie denn eben eine Frau, die sich etwas in den Kopf gesetzt hat, nicht eher zufrieden ist, bis sie das auch erreicht hat. Und Bruyn ging um die Kinderfrage herum wie die Katze um den heißen Brei. Eines Abends aber brachte er selbst die Rede darauf, als er von einem Bengel sprach, den er am Morgen wegen übler Streiche hatte verurteilen müssen. Und daran knüpfte er die Betrachtung: sicherlich stamme dieser Bengel von Eltern, die sich mit Todsünden beladen hätten.
»Ach,« meinte Blanche, »wolltet Ihr mir doch eines bescheren, auch ehe Ihr von Sünden frei seid, ich würde es so wohl anleiten, daß Ihr mit ihm zufrieden wäret.«
Da ward der Graf inne daß dieser glühende Wunsch sich bei seinem Weibe festgefressen hatte und es höchste Zeit war, wider ihre Jungfernschaft zu Felde zu ziehen, um sie zu meistern, zu vernichten oder einzuschläfern und so auszulöschen.
»Wie willst du denn Mutter werden, Liebste,« hub er an, »solange du die Würden deines Standes noch nicht kennst, noch sie zu üben gewohnt bist, wie sichs geziemt?!«
»Ach so!« entgegnete sie. »Um wahrhaft Gräfin zu werden und ein Gräflein zur Welt zu bringen, muß ich die vornehme Dame spielen? Das will ich gern und gehörig!«
Und fortan hetzte Blanche Hirsch und Hindin, setzte über Gräben, jagte auf ihrem Zelter über Berg und Tal, durch Wald und Wiesen, und ergötzte sich an den Freuden der Falkenjagd. Das hatte der Seneschall just gewünscht aber für Blanche hatte es die Folge, daß ihr Sehnen nur wuchs, gleich wie bei einer Nonne hinter Klostermauern. Und derweile sie derart herumtollte, gewahrte sie zudem das Liebesspiel der Vöglein und Tiere und lernte so in dem geheimnisvollen Buche der Natur zu lesen, und ihr Blut, das sich immer mehr erhitzte, tat das seine, um ihr die Lösung dieses alchymistischen Rätsels zu erleichtern. So ward dem alten Knacker mählig klar, daß er sich verrechnet hatte und nun erst recht auf glühende Kohlen gebettet war. Bald wußte er nicht mehr aus und ein und begriff, daß er in diesem Kampfe unterliegen müsse. Nur hoffte er mit Gottes Hilfe dieser argen Wunde wenigstens bei Lebzeiten zu entgehen und beschloß, alles seinen Gang gehen zu lassen und besagte Jungfrauenschaft fortan in Frieden zu lassen, indem er einiges auf die fromme Schamhaftigkeit und Ehrbarkeit seiner Eheliebsten baute. Immerhin schlief er doch nur mehr mit einem Auge, maßen er recht gut einsah, daß Gott die Jungfernschaft eigentlich geschaffen habe, damit man ihr einmal den Garaus mache wie etwa einem Rebhuhn.
Als es nun eines Morgens derart goß, daß nur die Schnecken sich aus ihrem Hause wagten, und somit just das rechte Wetter war. um trüben Gedanken und stillen Träumen nachzugehen, saß Blanche nachdenklich daheim auf weichem Pfühle. Und da es keinen Feuertrunk noch Reizetrank gibt, der eindringlicher wirkt als jene zarte Wärme, die aus inem Polster in den Leib eines Jungfräuleins sacht hineinstrahlt, so begann die Gräfin unvermerkt von ihrer Jungfernschaft gezwickt zu werden, also daß ihr der Kopf heiß ward und alles kribbelte. Der wackere Greis gewahrte voll Unmutes ihr sehnsüchtiges Grübeln, und um in ehelichem Übereifer ihre trüben Gedanken fortzuscheuchen hub er an: »Was quält dich, Liebchen?«
»Ach – die Schande!«
»Wer denn wagt es, dich zu beschimpfen?«
»Ist es etwa keine Schande, daß ich kinderlos bleibe und Euch mit keinem Leibeserben beschenke? Bin ich denn so ohne Kind überhaupt ein Eheweib? Nein, nein… Seht nur: alle Nachbarinnen haben welche, und ich – habe ich nicht dafür geheiratet, und hättet Ihr mir nicht längst eines schenken können?! Ach, hätte ich doch nur wenigstens ein Stücklein von einem Kinde wie würde ich es herzen und küssen, hegen und pflegen, und tagaus tagein hüpfen und spielen lassen gleich den andern allen.«
»Aber würden die Frauen nicht so leicht im Kindbett sterben und wärest du nicht noch viel zu zart und jugendschlank, dann würdest du längst Mutter sein!« rief der Seneschall, dem ihr Wortschwall an die Nieren ging. »Vielleicht wollen wir lieber ein fertiges kaufen? Das würde dich nicht so viel Qual und Schmerzen kosten.«
»Oh, die will ich ja gern erdulden, denn sonst würde es doch nicht unser rechtes Kind werden. Ich weiß sehr wohl, daß es aus mir heraus erstehen muß, maßen doch in der Kirche gesagt wird, Jesus sei die Frucht von Mariens Leibe.«
»Nun, dann wollen wir zu Gott beten, daß es also geschehe,« ächzte der Seneschal, »und zudem wollen wir zu der heiligen Jungfrau in Esgrignolles wallfahren. Schon manche Dame sah ihren Wunsch erfüllt, nachdem sie dorten ihre neuntägige Andacht gehalten hatte. Das wird auch bei uns zum Ziele führen.«
So machte sich denn Blanche bereits am gleichen Tage zu Unserer Lieben Frau nach Esgrignolles auf. Gleich einer Königin saß sie in einem grünen, goldbestickten Samtgewande, dessen Ausschnitt ihre Brust erschimmern ließ, auf ihrem Zelter. Prunkendes Geschmeide zierte ihren Hut und den güldenen Gürtel ob ihren schlanken Hüften und den ganzen Schmuck wollte sie der Jungfrau darbringen an dem Tage, da sie vom Wochenbette wieder erstünde. – Vor ihr trabte der Herre vonMontsoreau, blinkäugig wie einBussard, und sorgte dafür, daß nichts der Reiterschar in die Quere kam oder sie behelligte. Der Seneschall, der nahebei ritt, war ob der Hitze selbigen Augusttages eingedröselt und schwankte daher auf dem Sattel wie ein Diadem auf dem Kopfe einer Kuh. Wie nun eine Bäuerin, die am Wege auf einem Baumstümpfe hockte, solch altes Gerippe neben einer so lebensfrischen, anmutsvollen Maid erblickte, da fragte sie ein altes Lumpenweib, das ächzend ein paar Halme auflas: ob jene Prinzessin da im Begriffe sei, den Gevatter Tod ins Jenseits zu geleiten. »I wo,« gnauzte die Alte, »das ist ja die Schloßfrau von Roche-Corbon, die für ein Kindlein eine Wallfahrt macht.«
»Hahaha,« lachte die Bauerndirne mit pfiffigem Gesicht. Und dann wies sie auf den Rittersmann, der vorneweg trabte und rief: »Wenn sie sich an den da hielte, könnte sie sich Kerze und Gelübde sparen.«
»Ach, du loses Dingelchen,« meinte die Bettlerin »ich wundere mich vielmehr daß sie nach Esgrignolles wallfahrt, wo doch alle Pfaffen so gar häßlich sind. Würde sie lieber in der schattigen Kühle des Klosters zu Marmoustiers rasten, dann wäre sie bald gesegneten Leibes, denn dort versteht man das Handwerk.«
»Laßt doch das Pfaffengesindel,« rief eine andere dazwischen, »dort der Herre von Montsoreau ist genügend feurig und schmuck, um den natürlichen Weg zum Herzen der Dame zu finden.«
Und alle lachten hell heraus. Der Herre von Montsoreau wollte sie stracks für ihre losen Worte an der nächstbesten Linde aufknüpfen lassen, aber Blanche rief eifrig dazwischen: »Nicht doch! Sie haben noch nicht alles gesagt, und wenn wir zurückkommen, werden wir den Rest hören!«
Dann wurde sie knallrot und der Herre vonMontsoreau durchglühte sie mit einem Blicke, als wollte er sie auf einen Hieb mit allen Liebesenthüllungen spicken. Aber die Reden der Bauernweiber hatten schon das ihre getan und es fiel wie Schuppen von ihren Augen. Nun war ihre Jungfernschaft gleich einem Stücklein Zunder und ein einzig Wort mußte genügen, um sie hellauf-flammen zu lassen. So ward Blanche jach des Unterschiedes inne, der zwischen ihrem Ehekrüppel und besagtem Edelmanne, dem jungen Gauttier, bestand welchselben seine dreiundzwanzig Jahre recht wenig bedrückten, also daß er strick und stramm im Sattel saß und so frisch ausschaute wie der junge Morgen.
Alles das bedachte die Frau Seneschallin so wohl, daß sie bei der Ankunft in Tours bereits in den Herrn Gauttier bis über die Ohren verliebt war, wie es eben nur ein armes Jüngferlein sein konnte. Ja, es war eine wahrhaftige Jungfernliebe, die sie derart blendete, daß sie ihr altes Ehegesponst gar nicht mehr sah, sondern nur noch den jungen Rittersmann, der so gesundheitstrotzend prangte wie ein Pfaffenkinn. – Der Alte erwachte erst bei dem Hallo der gaffenden Menge, derweile man pomphaften Einzug hielt. Blanche begab sich zu der Kapelle. allwo man um Kinder zu beten pflegte, und betrat sie der Sitte gemäß allein während der Seneschall nebst Gefolge und mit ihnen die Gaffer vor dem Gatter warteten. Als nun der Priester herzutrat, fragte sie ihn, ob es viele kinderlose Frauen gäbe. Jener meinte, er könne nicht klagen und die Kirche hätte davon ihre schöne runde Einnahme. So fragte sie weiter: »Kommen oft so junge Frauen zu Euch, die so alte Männer haben, wie der Seneschall einer ist?«
»Recht selten,« entgegnete er.
»Aber diese Frauen wurden doch guter Hoffnung?«
»Stets,« grinste der Pfaffe verschmitzt.
»Und wenn die Männer jünger sind?«
»Auch dann meistens…«
»Wie denn? Bei Alten ist mehr Aussicht?«
»Aber freilich,« sprach er gewichtig, »denn bei den jüngeren hilft Gott allein, bei den Alten aber zumeist ein andrer Mann.« (Woraus man leichtlich ersehen kann, daß dermalen die Pfaffen die Weisheit mit Löffeln gegessen hatten).
Blanche also tat ihr Gelübde, das recht ansehnlich war maßen der Schmuck gut und gerne seine zweitausend Gülden wert war. Als dann der Seneschall auf dem Heimritte sah, wie sie ihren Zelter traben und tänzeln ließ, da meinte er: »Du scheinst strahlend froh zu sein!« »Natürlich!« rief sie, »jetzt bin ich ja sicher, ein Kind zu bekommen, und da, wie mir der Priester sagte, ein anderer mithelfen muß, so werde ich Gauttier nehmen…«
Den Seneschall traf schier der Schlag. Wäre der Spaß nicht zu teuer geworden, dann hätte er den Pfaffen am liebsten erwürgt; so entschloß er sich aber, ihn lieber mit Hilfe des Erzbischofes hintenherum seine Rache kosten zu lassen. Und bevor sie noch heimgekommen waren, bedeutete er dem Herren von Montsoreau, lieber daheim Schätze zu graben, was der junge Gauttier sich auch nicht zweimal sagen ließ, maßen er seines Herrn kurze Prozesse kannte. An seiner Statt ernannte der Seneschall den Sohn eines Lehnsmannes, einen Herrn von Jallanges. Das war ein junger Bursch von noch nicht vierzehn Jahren; er hieß René und wurde Page, bis er das Alter zum Schildknappen erreicht haben würde. Den Befehl über die Mannschaft aber vertraute Bruyn einem greisen Haudegen an, mit dem er einst Palästina unsicher gemacht hatte. Solchermaßen vermeinte der Biedere, seine entlaubte Stirn vor einem Geweih zu bewahren und auch fürder die widerspenstige Jungfrauenschaft seines Weibes zu bändigen, sosehr selbiges auch wider den Stachel löckte.
Am Sonntage nach Renés Eintreffen ging Blanche ohne ihren Eheliebsten zur Jagd. Und als sie so im Walde dahinzog, gewahrte sie einen Mönch, der sich anscheinend überaus gewalttätig über ein Mädel hermachte. Flugs sprengte sie herzu, indem sie ihrem Gefolge zurief: »Heda, verhindert doch, daß er sie tötet!« – Als sie aber dicht herankam, riß sie jach ihr Roß herum und das, was sie bei dem Mönche gesehen hatte, benahm ihr die Lust weiterzujagen. Nachdenklich ritt sie heim, denn ihr war plötzlich eine Stallaterne aufgegangen und tausenderlei Dinge, wie ihr solche auf Gemälden, in Dichtwerken oder in Gottes freier Natur aufgestoßen waren, bekamen nun erst die rechte Beleuchtung. Plötzlich hatte sie das holde Geheimnis der Liebe klar erkannt. O welche Narrheit, diese Dinge den Jungfräulein verbergen zu wollen! – Frühzeitig ging sie zu Bett, und alsbald erklärte sie dem Seneschall: »Bruyn. Ihr habt mich beschwindelt und Ihr müßt mit mir tun, was der Mönch heute mit dem Mädel tat.« Der Alte begriff gleich und merkte, was die Uhr geschlagen hatte. Aber die innere Glut belebte nur seine Augen, derweile er sänftiglich lispelte: »Ach, süßer Schatz, als ich dich zum Weibe nahm, war meine Liebe stärker als mein Leib und ich mußte auf dein Mitleid und deine Tugend bauen. Wahrlich, es ist der Gram meines Lebens, daß nur noch mein Herze jung ist. Aber das wird meinen Tod beschleunigen also daß du balde frei sein wirst. So gedulde dich bis dahin; nur um dies eine bitte ich dich, der ich dich doch tyrannisieren könnte: entehre nicht mein weißes Haar! Wie viele Männer schon haben in diesem Falle ihre Frauen getötet…
»Was?! Ihr wollt mich töten?! «
»Aber nein – dafür liebe ich dich viel zu sehr! Ach, du bist ja die Blume meines Alters, dein Anblick labt mich und wandelt selbst Kummer in Glück! Nein, du sollst in allem freie Hand haben, wenn du den armen Bruyn nur nicht zu sehr peinigst, der dir Reichtum und Ehren gegeben hat.« Und seine vertrockneten Lider netzten sich mit heißen Zähren, die über sein pergamentenes Antlitz auf Blanches Händlein troffen, also daß selbige von der übergroßen Liebe dieses Greises gerührt ward und ihm zulächelte: »Nein, nein, weinet nur nicht, ich werde warten!« Und so kam es, daß unser Jüngferlein den Greis völlig in die Hand bekam und unterjochte, also daß er um jenes zieren unbetretenen Venusgärtleins willen von Blanche so recht nach Weiberart drangsaliert wurde wie ein Packesel. Tagaus, tagein hieß es nur noch: Bruyn hier, Bruyn da! und nur seine eiserne Natur verhinderte, daß er nicht von dieser Jungfernschaft zu Tode gehetzt wurde. Eines Abends, nachdem Blanche wieder einmal das ganze Haus derart auf den Kopf gestellt hatte, daß wohl gar dem lieben Herrgott selber die Geduld ausgegangen wäre, sagte sie beim Schlafengehen zum Seneschall: »Mein lieber Bruyn, manchmal überkommt es mich also, daß es mich allenthalben zwickt und zwackt, mein Herze beklemmt, mein Hirn entflammt und mir die schlimmsten Gedanken eingibt; und nachts sehe ich im Traum immer jenen Mönch…«
»Ach, mein Herzchen,« entgegnete jener, »das sind höllische Anfechtungen, wider die man im Kloster wohl Rat weiß. Bist du also auf dein Heil bedacht, so beichte unserem Nachbar, dem würdigen Abte von Marmoustiers, der wird dich wohl beraten und auf den rechten Weg führen.«
»Gleich morgen gehe ich,« sagte sie. Und richtig, schon mit Tagesanbruch eilte sie hophop zum Kloster, allwo ihr holder Anblick die Mönche derart verzückte, daß sie am Abend gar manche Sünde begingen. Zunächst aber geleiteten sie die Schöne feierlich zu dem ehrwürdigen Abte. Selbiger weilte just bei dem kühlen Bronne eines versteckten Gärtleins, und seine verklärte Greisengestalt erfüllte Blanche mit tiefer Ehrfurcht. »Gott grüße Euch« hub er an. »Was führt Euch junges Blut in den Bereich des nahen Todes?«
»Weisen Rat zu holen,« entgegnete sie mit tiefer Verneigung. »Wolltet Ihr doch mich törig Beichtkind auf den rechten Weg leiten, wie wäre ich Euch von Herzen dankbar.«
»Meine Tochter,« sprach der Greis, mit dem Bruyn zuvor die ganze Komödie abgesprochen hatte, »mögen die hundert Jahre, die meine Schläfen entlaubt haben, mir zur Seite stehen. damit ich Euch den Weg zum Paradiese weisen kann.«
So begann die Seneschallin. sich zuvörderst aller kleinen Sünden zu entledigen, bis sie endlich mit ihrer Beichte bei dem berühmten post-scriptum anlangte: »Ach, mein Vater, und dann muß ich noch gestehen, daß ich Tag für Tag von dem Begehren nach einem Kinde gepeinigt werde. Ist das schlimm?«
»Nein,« sprach der Abt.
»Aber mein Mann hat, wie man so sagt, den Schlüssel verloren, und da sagte mir Frau von Jallanges, man beginge in diesem Falle keine Sünde, wenn man anderwärts dazu käme, dafern man nur weder Vergnügen noch Vorteil dabei habe.«
»Vergnügen schafft das immer,« erwiderte der Abt. »Und ist es so ohne Vorteil für Euch, ein Kind zu bekommen? Vielmehr lasset Euch gesagt sein: vor Gott ist es allezeit eine Todsünde, ein Kind mit einem Manne zu erzeugen, mit dem man nicht kirchlich getraut ist!«
»Ach wehe, mein Vater, so ist es also Gottes Wille, daß ich täglich dahinscheide, oder daß mir, die ich doch bei klarem Verstande bin, das Hirn verzehrt wird? Denn das steht mir sicher bevor, maßen es ja in mir wirbelt und loht, meine Sinne sich verwirren und ich alles darangeben würde, um nur einmal die Glut eines Mannes wie jenes Mönches, zu kosten. Und wie – Gott, der mir solch‘ heiße Liebessehnsucht gab, sollte mich darob verdammen?«
Der Pfaffe kratzte sich verlegen hinterm Ohr, denn diese Klagen und Spitzfindigkeiten des Jungfräuleins brachten ihn arg in die Klemme. »Meine Tochter,« hub er an, »zum Unterschiede von den Tieren verlieh uns Gott den Verstand, der uns helfen soll, die Klippen der Leidenschaften in stürmischen Augenblicken glücklich zu umschiffen. Und wider die Qualen erregter Sinne vermag man mit Fasten, strammer Arbeit und anderen weisen Maßnahmen sehr wohl anzukämpfen: betet also lieber, schlafet auf hartem Lager, schafft eifrig im Hause und hänget nicht dem Nichtstun nach!«
»Schön, mein Vater. Und nun sagt mir zum Schluß: wenn einmal meine Einsicht in die Brüche ginge, also daß ich meiner Sinne nicht mächtig , mich in den Schlingen der Liebe verfinge…«
»Dann,« versetzte unbedacht der Abt, »dann wäre es mit Euch wie mit der Heiligen Lidoria, die sich an einem heißen Sommertage, kaum bekleidet, mit weitgespreizten Gliedern bequem hingestreckt hatte und fest eingeschlafen war. Kam da sacht ein junger Bursch und stillte unversehens sein Begehr an ihr. Und besagte Heilige ahnte von dem Vorfall so wenig, daß sie ihres Leibes Schwellen für eine schlimme Krankheit hielt und baß erstaunt war, als sie eines Kindleins genaß. Sie hatte nur für eine läßliche Sünde zu büßen, sintemalen sie von dem Streiche nichts gemerkt hatte und der Schurke auf dem Blutgerüst gestand, daß die Heilige sich nicht geregt hatte.«
»Oh, mein Vater,« rief Blanche, »Ihr könnt sicher sein, daß ich mich so wenig regen werde wie die Heilige!« Und damit schlüpfte sie frisch und froh davon und überlegte lächelnd, wie sie wohl am besten solch eine läßliche Sünde ermöglichen könnte. Als sie daheim den Schloßhof betrat, erblickte sie den jungen Jallanges, der just ein Pferd zuritt und in festem Sitz mit sicherem Schenkel alle Sprünge und Launen des Rosses bändigte, kurz, in seiner jugendfrischen Gewandheit ein Bild zum Malen war und wohl gar der Königin Lukrezia gefallen hätte, die sich bekanntlich erdolchte, weil ein Mann sie gegen ihren Willen entehrt hatte.
»Ach wäre der Schlingel nur wenigstens fünfzehn Jahr alt,« seufzte Blanche, »wie gern ließe ich mich dann von ihm im Schlafe überraschen.« Doch trotz seiner großen Jugend beäugte sie bei allen Mahlzeiten sein schwarzes Haar, sein blinkes Gesichte und zumal seine lebensprühenden Augen. – Als sie nun nach der Vesper nachdenklich am Kamin saß, fragte sie der alte Bruyn, was ihr den Kopf schwer mache.
»Ich überlege eben, daß Ihr recht früh hinter den Röcken hergewesen sein müßt, da Ihr so ausgepumpt seid.«
»Freilich!« lachte er wie alle alten Knacker, die man nach jugendlichen Liebestaten ausfragt, »kaum über dreizehn schwängerte ich schon eine Zofe«
Mehr wollte Blanche gar nicht hören, denn nun wußte sie René hinreichend gewappnet. Und strahlender Laune hub sie an, den Alten zu zwicken und zu necken und selber vor innerer Wonne wie ein Kreisel zu tanzen.