Tommy - Gerhard Vohs - E-Book

Tommy E-Book

Gerhard Vohs

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Beschreibung

Eigentlich hatte ich meinen Alltag zufriedenstellend eingerichtet und organisiert. Es waren vor allem die Kleinigkeiten, die einem im Normalfall kaum bewusst wurden, zum Beispiel nicht über etwas zu stolpern, wenn ich durch die Wohnung ging, oder ungestört mal die Nachrichten im Fernsehen zu sehen, keiner, der mir in die Hacken sprang und ständig meckerte, wann es was zu fressen gab. Morgens hatte der Wecker durchaus noch seine Existenzberechtigung, nachts konnte ich ungestört durchschlafen und vor allem: mein Bett hatte ich für mich ganz alleine. Die Zimmerpflanzen gediehen prächtig, keine Tapeten wurden zerkratzt und der Gang in die Küche war möglich ohne die Verfolgung eines wahnsinnig Wahnsinnigen. Selbst morgens konnte ich hilflos vor der offenen Kleiderschranktür stehen, ohne dass vier Pfoten im Schrank verschwanden und dort so lange blieben, bis der schwarze Lieblingspullover übersät war mit Katzenhaaren und der Kater somit die Entscheidung über die Tageskleidung fällte, da das Entfernen der Haare zu lange dauern würde. Auch die Frage, ob Katzen Socken fressen, weil nach dem Durchsuchen der Waschmaschine nur ein Exemplar wieder aufgetaucht war, konnte fakultativ entschieden werden. Am PC vermochte ich alleine zu arbeiteten, brauchte keinen zimtfarbenen Kater, der die eBay-Auktionen überwachte, und auch der Drucker konnte unverletzt seine Arbeit verrichten. Und vor allem war ich der Boss im Haushalt. Dieses und vieles mehr änderte sich schlagartig, als das Samtpfötchen bei mir einzog. Ein vierjähriger Streuner, der es leid war, sich von stinkenden Kanalratten zu ernähren, es lieber vorzog, sein Maul mit Whiskas, Felix oder Sheba vollzustopfen und regelmäßig für Aufregung zu sorgen. Es ist wie der Gang zum Arzt um sich Blut abnehmen zu lassen. Man setzt sich noch für einen kurzen Augenblick ins überfüllte Wartezimmer und da man nicht zum Arzt braucht, weil die Arzthelferinnen einem das Blut abzapfen, wird man eigentlich schnell aufgerufen. Dann beim Aufstehen schaut man in die Runde und sagt: Tja, Privatpatient. Eine Äußerung mit der man einen Hals wie eine dänische Butterkeksdose erhalten könnte.

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www.tredition.de

Gerhard Vohs

Tommy

Mein Kater und ich

Eine Geschichte

über die Zufriedenheit,

Untertan der besten Katze der Welt

sein zu dürfen.

Foto Umschlagseite: Gerhard Vohs »Kater Tommy«

www.tredition.de

© 2013 Gerhard Vohs

Umschlaggestaltung, Illustration: Gerhard Vohs

Lektorat, Korrektorat: Jörg Querner

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-8495-4455-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Ich bin Tommy

Tommy aus der Sicht von Herrchen

Tommy

Mein Kater und ich

1Der Weckdienst

2Räuber oder Feind

3Gourmand oder Gourmet

4Fernsehen zu zweit

5Das Katzenklo

6Mein Laptop

7Der Drucker

8Besuch

9Eine schlaflose Nacht

10Eine fliegende Vuvuzela

11Der unerwünschte Staubsauger

12Döner for one

13Knisterndes Geschenkpapier

14Sportliche Aktivitäten

15Der Jagdinstinkt

16Malen

17Damals

Ich bin Tommy

»Hi, ich bin Tommy, ein männlicher Kater, dessen Bezeichnung oftmals mit einer schlechten körperlichen Verfassung nach einem Alkoholkonsum assoziiert wird. Ob dieser Zustand jedoch oft und gerne erlebt wird, ist fragwürdig. Immer wieder wird er als eine Art Erfolgserlebnis angesehen und dient dem Selbstnachweis der Trinkfestigkeit.

Auch die Verhärtung der Muskulatur wird als Kater bezeichnet, als Muskelkater. Er entsteht durch ein zu intensives Training von übergewichtigen Menschen, die mit ihrer Körpergröße von 1,80 Meter Kindergrößen tragen wollen, oder von harten Jungs, die mit ihren fischölverschmierten Körpern üben, wie man eine Anabolika-Spritze richtig setzt.

Aber kommen wir wieder zurück zu mir. Eigentlich heiße ich ja Fozzy, doch als mein Herrchen mich adoptierte, meinte er, dass der Name Tommy besser zu mir passen würde und durch das Namedropping, das ständige mich Ansprechen mit diesem Namen, versuchte er mir einzureden, dass ich bereits mit dem Namen Tommy geboren sei. Dabei klingt Fozzy viel schöner, F-O-Z-Z-Y. Ein Name mit vielen schönen Buchstaben, wie das F, das man getrost durch ein PH oder ein Vogel-V ersetzen kann, oder das O, ein bedeutender Teil von 00, das Z, der letzte Buchstabe im Alphabet, eine mutierte Form der 2, und das Ypsilon, das aufgrund seiner seltenen Verwendung als Autokennzeichen der Bundeswehr dient.

Auch die Militärdienstleistenden der britischen Arme wurden Tommy genannt, aber sehe ich aus wie einer dieser grün verkleideten Soldaten? Soll ohne langes Denken alles tun? Bäume sind auch grün, scheuen sich aber nicht vor der prallen Sonne. Kanarienvögel bekommen auch Drill, aber mit Jod-S-11-Körnchen. Ein Spießbraten muss keine Liegestützen machen und ein Panzergrenadier unterscheidet sich vom Igel durch seine hohe Bereitschaft zur Einfallslosigkeit.

Aber es gibt schlimmere Namen, wie Rainer Zufall, Peter Silie, Claire Grube, Wilma Bier, Brr-Igitt-Ähh, Sam N Erguss oder Erol, was sich wie eine chinesische Fehlermeldung anhört; Oliver, eine männliche Olive, frisch gepflückt und ziemlich bitter; Anton, der Einschaltknopf beim Radio. Klemens steht für Klemmt es? Andre für der andere? Eduard, Eh, du ARD? Und wie konnte man nur den Afroamerikanischen Austauschstudenten, der lange Zeit eine Zwangs-WG mit Robinson Crusoe führte, Freitag nennen?

Nun, Namen sind wie Schall und Rauch, zumindest war das früher so, als Menschen sich noch mit Rauchzeichen verständigten, bis festgestellt wurde, dass man den Mund nicht nur zum Saufen benutzen konnte, sondern dass man auch andere mit zufällig zusammengewürfelten Buchstaben nerven kann. Um sich voneinander zu unterscheiden, da die Menschen sich wie ein Ei dem anderen gleichen, fing man an, Buchstabenkombinationen zu bilden und teilte jedem eine Kombination mit. So entstand im Laufe der Geschichte die Namensgebung, Nomen est Omen. Doch oftmals wurde es eine Strafe für das restliche Leben, besonders dann, wenn man sie Detlev nannte, mit dem weichen T wie in Damentoilette, oder Mampfred, Pferdinand, Veranda.

Bei der Namengebung unterschied man zwischen Kindernamen, die man erst nach der Geburt erhält, weil es vorher keinen Sinn machte, Künstlernamen, um sich nicht für sein miserables Werk schämen zu müssen, Produktnamen, die in keiner Sprache einen Sinn ergeben, Gebäudenamen, in der Hoffnung, dass sie kämen, wenn man sie ruft, Mediennamen, die dazu benutzt werden, langweilige Sendungen attraktiver zu machen, und Tiernamen, weil man der Meinung ist, man könne sie wie Menschen behandeln, deswegen wohl auch mein Name Tommy.

Aber soll mein Herrchen mich nennen, wie er will, und wenn er mich nach seinem ersten Magengeschwür nennt. Hauptsache die Zahl meiner Leckerli stimmt, denn die kann ich vom Trockenfutter gut unterscheiden.

Ihr fragt euch bestimmt, woher weiß der das alles. Nun, ich bin eine Katze, kein Hund, der unterwürfig, übertrieben fröhlich, laut, herzerweichend treu, oft nass wie ein Seehund, stinkt, sabbert, überall hinscheißt und doof ist wie durchschnittliche Blondinen.

Wir Katzen hingegen sind weich, leise, manchmal sehr hungrig, aber nur manchmal, sind eigenwillig, besitzen unseren eigenen Kopf, sind äußerst intelligent und haben die erforderliche Anzahl Tassen im Schrank.

Unsere Hobbys sind hemmungsloses Fressen, ohne zu platzen, und lange Schlaffertigkeit. Eigentlich schlafen wir zu viel, manchmal bis zu 23 Stunden. Die übrige Stunde benötigen wir für das Fressen und den Weg zum Katzenklo. Manche Menschen sagen sogar, wir würden 24 Stunden am Tag schlafen, aber dann müssten wir ja im Katzenklo liegen und den Kopf im Fressnapf haben. Dafür reisen wir gerne mit unseren Träumen im Katzenhimmel umher und erfreuen uns an der Jagd nach Mäusen, Ratten und anderen Nagern.

Von Natur aus sind wir mit verschiedenen Retuschierwerkzeugen ausgestattet, wie zum Beispiel mit Zähnen, Krallen, Haarballen, Fettreserven und dem beeindruckenden Killerblick.

Gezeugt wurde ich irgendwann so vor drei bis vier Jahren und kam zwei Monate danach als Babykatze auf einen Bauernhof in Niederkatzen zur Welt. Dort verbrachte ich meine Jugend frei von traumatischen Einflüssen, wie Missbrauch durch Nachbars Ente oder Flugzeugabstürzen.

Hier lebte ich in einer Scheune, die am Feldweg links neben der Hecke jenseits der Mauer zum Nachbarn vor dem großen Wald unterhalb des Steinhügels lag, auf einem Bauernhof zwischen Milchkühen, Ziegen und Schafen.

Meine Nahrung musste ich mir selbst besorgen. Manchmal hatte ich Glück und sah einen dicken Köder mit dem Aussehen einer atomar mutierten Ratte, die gerade noch Zeit hatte, ein spitzes Quiiick von sich zu geben. Manchmal fand ich auch nur eine aufgerissene Corn-Flakes-Packung, die aufgeweicht in einer Pfütze Erbrochenem herumschipperte.

Jeden Tag flehte ich den Gott der Fellkugel an, dass er mir doch helfen sollte, doch der sprach nur: Lächle und sei froh, denn es könnte schlimmer kommen. Und ich lächelte und war froh und es kam schlimmer.

Ich landete in einer Familie, die Kinder hatten. Das waren verlauste, die Mittagsruhe durch lautes Schreien und Rennen störende kleine Menschen, für die Sport ein absolutes Fremdwort war, ganz im Gegensatz zu McDonalds und Burger King.

Sie kosten Unmengen an Geld und sind sie erst mal auf der Welt, gehen die Kosten für Windeln aufgrund der nicht vorhandenen Stubenreinheit ins Immense. Dafür wird am Essen gespart und man kommt mit stark fetthaltigen, industriell hergestellten Lebensmitteln vollkommen aus. Essen aus der Dose und stark zuckerhaltige Limonade sind preiswert zu bekommen und äußerst sättigend.

Das wirkte sich auch auf mein Futter aus, welches ebenfalls für inhaftierte Nagetiere verwendet wurde, um illegale Verhöre zu führen. Ja, ihr lacht, ich musste damit leben, schön war das nicht. Wenn das Leben dir Zitronen gibt, dann mach Limonade draus, wenn du keine Zitronen hast, dann geh aufs Klo und scheiß drauf.

Und dann immer dieser Stress mit den Pommeskindern: tu dies nicht, tu das nicht, komm her, geh weg, mach an, mach aus, leck mich am Arsch, leck mich nicht am Arsch.

Haupteinsatzgebiet für die heutigen Teppichratten ist die Lebensmittelindustrie, wo sie als günstiger Rohstoff für Werbemaßnahmen verwendet werden, die der Klassifizierung dumm wie Brot angehören und somit ein gewisses Maß an Lebensmitteltauglichkeit mitbringen.

Allerdings führt Werbung auch zu Missverständnissen wie die Waschmittelwerbung, die den Schmutz wie ein Magnet aus der Wäsche zieht. Hier wurde vergessen zu erwähnen, dass immer noch eine Waschmaschine von Nöten ist, um das Produkt sachgerecht zu nutzen. Und welche Vorteile hat ein Schokoriegel, der in der Milch schwimmt, warum bringt Meister Propper ein Alpenpanorama auf die Kacheln und was gibt es an einer Zigarette noch zu verbessern? Na klar, sie soll endlich so gesund wie Gemüse werden.

Aber man wird nie aufhören dumme Kinder in die Welt zu setzen, anders ist es nicht zu erklären, dass es immer mehr Vollhirne gibt und immer weniger Überflieger.

Eine Änderung trat erst ein, als ich an mein jetziges Herrchen weitergereicht wurde. Hier bekomme ich Menüs mit den klangvollen Namen Hühnerfilet an Spargelspitzen mit Käsesoße, Lachs und Forelle kleingeschnetzelt in feiner Sauce, Kalb und Truthahn an Grauburgunder mit Reis, Rind und Lamm raffiniert mariniert und Ente in leckerer Pate. Es sind Menüs, dessen Namen schon dafür sorgen, dass winzig kleine in der Mundschleimhaut verteilte Drüsen das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen.

Eigentlich ist mein Herrchen ein netter, wohlgefälliger Mensch, wenn er nicht jeden Morgen aussehen würde, als wenn er vom Gouda angebrüllt wurde.

Aber eigentlich ähneln wir Kater den männlichen Menschen in vieler Hinsicht, unterscheiden uns nur durch den Besitz von Kreditkarten und dass sie ihren Namen in den Schnee schreiben können, dass wir unser Revier mit Duftstoffen markieren, während sie ihr Territorium mit Bierdosen und gebrauchten Unterhosen kennzeichnen, und dass ihre rudimentäre Körperbehaarung sie nicht vor nackten Tatsachen schützt.

Na ja, und dann sein neurotischer Sauberkeitswahn, als wenn er ein Fabelwesen aus dem fernen Land Saubermachens ist. Jeden zweiten Tag rennt er mit seinem Flusenmoped durch die Wohnung, obwohl er lieber eine Kreissäge oder eine Bohrmaschine bedienen würde.

Ein Gerät, das mit der Saugkraft einer Gasturbine eines Luftkissenbootes und der Gier eines 100 km/h schnellen Tornados, Schmutz und Staub fachgerecht entsorgen kann und so zwangsläufig jedem Krümel an den Kragen geht. Nur das Geräusch, das wahrscheinlich von einer eingebauten Lochkartenwalze stammt und den Pegel von gehörten 120 Dezibel bei weitem übersteigt, schmerzt in meinen Ohren. Unsere Hörkraft ist um das Dreifache empfindlicher als die des Menschen, sodass wir selbst bei Dunkelheit leckere Mäuse orten können, um sie in uns hineinzustopfen. Sicherlich gibt es auch Katzen, die gegen solchen Lärm robust genug sind, dass man sie fast mit aufsaugen könnte. Aber ich zähle nicht dazu.

Ansonsten geht es mir in meinem neuen Zuhause wirklich gut: Ich werde von meinem Herrchen gestreichelt, wenn ich das will, er spielt mit mir, wann ich es will, und stört mich nicht, wenn ich faulenze; er ist nicht böse, wenn ich mal Dummheiten mache, ich kriege zu fressen, wenn ich hungrig bin, und habe meine eigenen Schlafplätze. Tja, im Gegensatz zu Hunden, die ein Herrchen haben, haben wir eben halt Diener.«

Tommy aus Herrchen-Sicht

Tommy erzählt da wieder totalen Blödsinn, hebt sich in den Himmel, als wenn die Menschen unter einer Globalverödung litten. Dabei ist er nicht anders als andere Katzen, eine bunte Mischung aus Angst und Neugier.

Er ist zwar unkompliziert, pflegeleicht, kratzt nicht an Möbeln, spuckt nicht und pieselt auch nicht daneben, ist wahrlich auch kein dynamisches Aktionbündel, sondern eher der Prototyp einer Schlafmütze, welche die Welt lieber mit einer Tüte Chips vom Sofa aus wahrnimmt.

Aber wenn es ihm einmal in den Sinn kommt, dann kann er ein richtiger Quälgeist sein, eine Nervensäge, ein Unruhestifter, der sich die Aufmerksamkeit durch auffälliges Stören erschleicht. Besonders wenn er Kohldampf hat – und das ist nicht einmal, sondern immer –, dann versuchst er mit allen Mitteln, einen aus der Reserve zu locken, genau wie letztens …

Tommy

Mein Kater und ich

1 Der Weckdienst

… als die geistige Aktivität in Form des Schlafens seine Wirkung verloren hatte, er mal wieder Hunger bekam, in die Küche ging und sah, dass die Fressnäpfe noch leer waren. So schlich er ins Schlafzimmer, um zu sehen, ob sein Herrchen, also ich, schon wach war, doch ich lag noch da und träumte so vor mich hin. Träumte von einer Frau mit rot geschminktem Mund, vollen Lippen, die in leicht nach oben strebenden Mundwickeln mündeten, einer ebenförmigen, nicht zu sehr geschwungenen Nase, hoch sitzenden Wangenknochen, von langen Wimpern umsäumten klaren blauen Augen, leicht gebräuntem Teint und einer makellosen Haut, die glatt und ausreichend feucht war. Von einer Frau in kurzem Rock, einer zum Zerreißen gespannten Bluse und mit einem Lächeln, das mich sogar im Traum verzauberte.

Sie war bei vielen Ehefrauen verhasst, weil sie hübscher und jünger aussah, dafür aber umso beliebter bei den Spekulanten. Es war die Lottofee eines Glückspiels, mit dem man theoretisch viel Geld gewinnen kann, aber in Wirklichkeit mehr Geld dabei verliert. Ich blickte auf die Bahn, auf der sich die Glückskugel rollte und die genau vor mir liegen blieb. Ein weiteres Mal rollte eine Kugel und ehe sie ganz still lag, konnte man die Zahl erkennen.

Wieder kam eine und daraufhin noch eine. »Zwei Zahlen noch und sie sind Millionär«, flüsterte die Glücksfee mir ganz leise ins Ohr. Ein Traum wird wahr, ein Traum von Reichtum, von Geld, was attraktiv und begehrenswert macht. Vier Zahlen hatte ich schon, vier Zahlen, die sich mit meinem Lottozettel deckten, vier Zahlen von sechs. Ein ausgekochtes Geldgeschäft war am Laufen, das mich reich, unabhängig und opulent macht, mir Wohlstand, Vermögen und Besitztum vermittelt, mich anlockend, charmant und unwiderstehlich wirken lässt.

Während dieser aufregenden trügerischen Hoffnung rutschte mein rechter Fuß unter der Decke heraus, was Tommy sofort bemerkte, daran schnupperte, sein Gesicht verzog und froh war, nicht im Flieger zu sitzen, denn da wären jetzt alle Sauerstoffmasken aus der Decke gefallen. Vorsichtig tippte er den Fuß an, doch der bewegte sich nicht, schien reglos, unbeweglich und starr zu sein. Dann folgte ein Seufzen von mir, ein Luftholen durch gefletschte Zähne. Ich drehte mich um, legte mich auf die Seite und zog meinen Fuß an, der daraufhin wieder unter der Decke verschwand.

Verdutzt sah der Kater, wie sein gerade neu entdecktes Spielzeug sich aus dem Staub gemacht hatte, und so ließ er sofort seine Vorderpfoten hinterherschießen, doch sie waren zu kurz, kamen einfach nicht an den Fuß heran.

Wieder bewegte sich die Bettdecke, wieder drehte ich mich um, lag nun auf dem Rücken, streckte meine beiden Füße lang aus und somit Tommy entgegen. Zwei imposante Füße, die jeweils mit fünf Zehen behaftet sind, von denen wir nur den großen Onkel und den kleinen Zeh mit Namen kennen, während wir bereits in der Grundschule gelernt hatten, was ein Daumen-, Zeige-, Mittel-, Ring- und kleiner Finger ist. Warum fehlen einem die Worte für die übrigen Zehen? Fehlt es bei der Namensgebung an der individuellen Kreativität? Oder an der ausgeprägten Fantasie?

Hunger machte sich bei Tommy wieder bemerkbar, eine unangenehme körperliche Empfindung, die nach Nahrung schrie, denn nur mit einem vollen Bauch war das Überleben gesichert. So stellte er sich mit den Vorderpfoten auf die Matratze, beugte sich vor, schnupperte zwischen den beiden großen Onkels hin und her, als müsse er sich für irgendeinen entscheiden.

Es ist wie die Entscheidung bei einer Wahl, wo dem Volk vorgegaukelt wird, die Zukunft selbst zu bestimmen. Hier wird der Bürger mit Versprechungen schnell zum Wähler und danach genauso schnell wieder zum normalen Bürger, wobei bei dieser Transformation auch sämtliche Versprechungen in kürzester Zeit in Vergessenheit geraten.

Tommy hatte sich entschlossen, der Rechte sollte es sein, so öffnete er sein Maul, legte die Zunge flach in seinen Unterkiefer und biss herzhaft und entschlossen zu. Ein Schrei wie der archaische Ruf des Dschungelkönigs ertönte, ein emotionaler, nicht kontrollierter Reflex, verbunden mit einer subjektiven Empfindung des Schmerzes.

»Aua, Tommy, bist du bekloppt, das tut weh!«, schrie ich, griff nach dem Zeh und knetete ihn kraftvoll mit den Fingern, in der Hoffnung, dass der Schmerz schnell wieder nachließe. »Kannst du denn nicht warten, bis der Radiowecker zu schreien anfängt oder ich von alleine wach werde?«

Verärgert saß ich da, den Fuß zum Bauch gezogen, rieb den Zeh mit den Händen und pustete ihm meinen warmen Atem zu.

»Ich hatte gerade einen so schönen Traum, hatte von der Lottofee geträumt, die mir gerade zeigte, wie man ganz einfach reich wird, ohne jahrelanges Rackern und Plagen. Ich schaute auf das Ziehungsgerät, ein Gerät wie ein Fortuna-Rad mit neunundvierzig nummerierten Tischtennisbällen, die über Glück und Schicksal, über Millionen und Millionäre entscheiden. Vier Zahlen hatte ich schon, vier Zahlen von sechs. Ein raffiniertes Handelsgeschäft, das reich macht und für Freiheit, Glück, Erfolg und Einfluss steht, doch dann musstest du mir in den Zeh beißen.«

Während ich geistig den Millionen hinterherjagte, hüpfte Tommy aufs Bett, schaute mich mit entschuldigenden Augen an und miaute tröstende Worte: »Mach dir nichts draus, Wünsche sind Träume und Träume sind Schäume.« Dann stupste er mit seinem zur Seite gelegten Kopf an meinem Kinn entlang, um mir zu zeigen, dass er mich auch ohne Geld lieb haben würde.

»Ich hab dich auch lieb«, antwortete ich und strich ihm über den Rücken, was er schnurrend entgegennahm. »Meinst du«, sprach ich dann weiter, »dass ich mal wieder Lotto spielen sollte, wenn man schon davon träumt, ein Millionär zu werden, ein Haus zu besitzen, mit einem riesengroßen Garten nur für dich, teure Autos fahren, eine Yacht im Hafen und Frauen haben, die das Geld unnötig verprassen? Oder besitzt die Traumwelt nicht den Charakter des Realen?«

Dabei schaute ich ihn fragend an, worauf er seinen Kopf wieder an meinem Kinn entlangzog und mehrmals in seinem unverständlichen Katzenslang miaute, was so viel besagte wie: »Mit dem Glücksspiel kann man theoretisch viel Geld gewinnen, aber in Wirklichkeit mehr Geld dabei verlieren. A-propos verlieren, wie sieht es mit Fresserchen aus, ich leide schon an Gewichtsverlust. Steh endlich auf, es ist bereits sieben Uhr.«

Ich rieb mir die Augen, reckte und streckte mich nach allen Seiten, schob die Decke beiseite und somit auch den Traum vom Reichtum. Irgendwie saß mir an diesem Morgen der Furz quer, ich fühlte mich schwach wie eine leere Flasche, war unausgeschlafen und Groggy. Kein Wunder, es war Montag.

Da hatte ich am Wochenende ein wenig relaxt, mich ausgeruht und entspannt und schon kam die Spaßbremse von einem Tag, der mir dann – jede Woche aufs Neue – vor Augen führt, wie beschissen doch das Leben sein kann. Niemand braucht diesen Tag, niemand hat nach diesem Tag gebettelt und niemand würde auch nur eine Träne vergießen, wenn dieser Tag für immer verschwände.

Torkelnd bewegte ich mich ins Bad, wollte schnell die Tür hinter mir schließen, doch Tommy war flinker, hatte sich noch schnell hineingezwängt, wie jeden Morgen, um während meiner Sitzung zu versuchen, mir auf dem Schoß zu springen, was ich ihm jedes Mal verwehrte und er sich daraufhin in meiner Hose laut schnurrend breitmachte.

»Tommy, findest du das lustig, jeden Morgen immer wieder in meiner Hose zu liegen? Schon ein bisschen eigenartig, was du da machst.« Er schaute mich mit fast zugekniffenen Augen an, hatte einen lächelnden Gesichtsausdruck und ließ dabei sein Schnurren noch lauter ertönen. »Ganz normal bist du nicht, so, und nun hoch mit dir, ich will duschen.«

Er stand auf, ging zwei Schritte weiter und ließ sich auf die Badezimmermatte fallen, so als könne er sich vor lauter Schwäche kaum noch halten. Dann ein klägliches, qualvolles, trostloses, bejammernswertes Miau, der Schrei eines Hungerleiders nach etwas Sättigenden. Anfangs hatte ich darauf sofort reagiert, mir Sorgen gemacht, mir ein schlechtes Gewissen eingeredet, doch inzwischen wusste ich, dass es unnütz war, Tommys Genusssucht jedes Mal mit einer Wochenration an Dosenfutter zu besänftigen.

Ich stieg in die Badewanne um zu duschen, und als Tommy das Geräusch der Dusche hörte, verschwand er aus dem Badezimmer, legte sich im Flur auf den Rücken, die Pfoten an den Körper gezogen und beobachtete kopfstehend und spiegelverkehrt das Geschehen durch den Spalt der Badezimmertür. Seine Augen müssen mit einem Umkehrprisma ausgestattet sein, das das erzeugte Bild sogleich nochmals dreht, um es seitenrichtig und aufrecht abzubilden. Dabei fielen ihm so langsam die Augen zu und er schlief ein.

Ich stieg aus der Dusche und fühlte mich immer noch total durch den Wind, unkonzentriert, verwirrt, einfach derangiert, lief an mir vorbei, schaffte es absolut nicht, mich einzuholen. So musste es passieren, dass ich meine Nase mit einem Hakle Feuchttuch ausschniefte, den Schaumfestiger mit dem Rasierschaum verwechselte, das Mundspray als Deo benutze und mich mehrmals beim Rasieren schnitt.