Emigrant oder Immigrant - Gerhard Vohs - E-Book

Emigrant oder Immigrant E-Book

Gerhard Vohs

2,1

Beschreibung

Leben, da wo andere Urlaub machen. Sich mit der einheimischen Bevölkerung verbunden fühlen; das milde Klima, die günstigen Lebensunterhaltungskosten, die Freizügigkeit, die nicht so perfekt geordnete Arbeitsweise und auch die Lockerheit des Lebens in der Türkei genießen. Wer möchte das nicht? Obwohl manchmal Dinge passieren, die man aus der so perfekt geordneten und verwalteten Heimat nicht gewohnt ist. Als Rentner muss man mit großen Einschränkungen leben, mit immer weiter steigenden Haushaltskosten, höheren Besteuerungen, Senkung des Rentenniveau und, und, und. Leben in einem fremden Land, indem sich teils beschwerliche teils absurde Hindernisse in den Weg stellten? Warum nicht! In dieser Geschichte wird die Wohnungssuche, der Möbelkauf und auch die Renovierung zu einer wahren Odyssee. Ganz besonders die Handwerker, die sich heute mit dem Backen von Brot, Brötchen und Kleingebäck ihr Geld verdienen, sind morgen für Maurer-, Beton-, Putz- sowie Abdichtungs- und Entwässerungsarbeiten zuständig. Auch die Bürokratie hat vor der Türkei keinen Halt gemacht. Sie ist eine flächendeckende Krankheit, die sich wohl auf der ganzen Welt verbreitet hat. Hier hilft nur grenzenlose Gleichgültigkeit und warten bis zur eigenen Konservierung. Doch einen ganz besonderen Eindruck erhielten wir, als wir an einer Iman-Ehe teilnahmen. Türkei ist eben ein Land, das Träume verwirklichen kann. Abendland und Morgenland, Neuzeit und Antike, moderner Lebensstil und starke Tradition, eine bunte Kombination, die das Leben prägte.

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Foto Umschlagseite: aj-dl, „Alanya“, CC-Lizenz (BY 2.0) http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de

Bild stammt aus der kostenlosen Bilddatenbank www.piqs.de

Inhaltsverzeichnis:

Erster Teil: Land der Byzantiner, Seldschuken und Osmanen

1.1 Historie

1.2 Die Paranoia Urlaub zu machen

1.3 Ein symmetrisches Paar

1.4 Die erste Begegnung

1.5 Ein vorsintflutlicher Kaufvertrag

1.6 Das Tabuamt

1.7 Der Weg führt nach Manavgat

1.8 Die Einrichtung

1.9 Der Tag der Entscheidung

Zweiter Teil: Leben als Emigrant oder Immigrant

2.1 Das Ikamet

2.2 Das Auto ummelden

2.3 türk. Handwerker

2.3.1 Fenstereinbau

2.3.2 Rückbau der Küche

2.3.3 Der Fliesenleger

2.3.4 Die Montage

2.3.5 Eine Korbmarkise

2.4 Lebensbescheinigung

2.5 Wenn Steinstufen knarren könnten

2.6 Green Canyon

2.7 Touristische Anstalten mit fünf Sternen

2.8 Imamehe

Dritter Teil: Alanya, Stadt der Deutschen

3.1 Die Betriebsküche

3.2 Alaiye, Stadt des Ala

Vierter Teil: Unterwegs auf der D400

4.1 Antalya, das heißt Sonne, Meer und Stress

4.2 Peripherie

Erster Teil: Land der Byzantiner, Seldschuken und Osmanen

1.1 Historie

D ie Türkei, ein Land mit der gleichen Einwohnerzahl auf einer fast dreimal so großen Fläche wie Deutschland. Sie erstreckt sich über zwei Kontinente, dem anatolischen Teil, der mit 97 % der Gesamtfläche in Asien liegt und den 3 % umfassenden europäischen Teil, das östliche Thrakien.

Dazwischen fließt der Bosporus, direkt durch die Hauptstadt Istanbul. Eine Seestraße mit knapp 32 Kilometer Länge und zwischen 660 Meter und 3,4 Kilometer breite, der das Marmarameer mit dem Schwarzen Meer verbindet und Europa von Asien trennt. Damit ist Istanbul die einzige Stadt auf der Welt, die auf zwei Kontinenten liegt, wo Türken sich Asiaten und Europäer nennen dürfen und daher keiner weiß, wem sie sich zugehört fühlen.

Das heißt jedoch nicht, dass die Türkei eine europäische Nation ist, nein, sie darf zwar bei der EM mitspielen, soll aber weitgehend in Ruhe ihr Ding weiter machen, wobei Experten sich uneinig darüber sind, was "ihr Ding" eigentlich sei.

Besser so, denn die Europäische Union wird sowieso schon von Schuldenbergen durchzogen, einem Hochgebirge, dessen Höhe unüberschaubar ist. So zieht sie den einigermaßen wirtschaftlich arbeitenden Staaten möglichst viel Geld aus der Tasche, um damit die völlig überschuldeten Kooperationspartner zu subventionieren.

Eine Selbsthilfegruppe, die aus 28 Staaten und 24 Amtssprachen besteht und dessen Aufgabe es unter anderem ist, stundenlang darüber zu diskutieren, wie man den Bürger immer weiter entmündigen kann. Hier wird dann mit aller Gewalt versucht, Rauchverbote durchzusetzen, Staatsverordnungen zu beschließen, Gesundheitsgefährdungen zu dramatisieren, Feinstaubrichtlinien zu verordnen und vieles mehr.

Aber was passiert, wenn irgendwann mal jeder Bürger eine rote, grüne oder gelbe Plakette tragen muss, wenn er sein Haus verlässt, nur weil er sich vorher von exotischen Genüssen stark riechender Speisen ernährt hatte. Doch das hatte bereits Bata Illic 1969 mit seinem Lied "Dich erkenne ich mit verbundenen Augen" erkannt und damit ein Denkmal für die Zurückhaltung der Atempflege geschaffen.

Und wie ist es bei den Rauchern, wenn immer weniger zur Zigarette greifen? Die Antwort ist so einfach wie simpel: Die Steuersätze werden erhöht, wie es bereits in den Jahren 2002, 2003, 2004, 2005, 2011, 2012, 2013 gewesen ist und für 2014 und 2015 geplant wurde. Das hat natürlich zwei Vorteile, zum einen wird das Rauchen für viele unbezahlbar, was einer diktatorischen Entmündigungserklärung gleichkommt und zum anderen sichert jede Erhöhung die Diäten der Politiker.

Diäten spielen für Abgeordnete eine besonders große Rolle, denn so paradox, wie es klingt, ohne Diäten bekommen Abgeordnete keinen Speck auf die Rippen, sondern ein ganz schmales Konto. Das ist natürlich ein Grund und im Interesse aller Politiker, dass Diäten in regelmäßigen Abständen erhöht werden müssen, gegebenenfalls wird hierfür über eine neue Steuer beschlossen, um das zu finanzieren. Mal ehrlich, wer will denn nicht durch unermesslich viele Diäten dick und fett werden?

Um ein gutes Vorbild zu sein, brauchen nicht nur Frauen Diäten, sondern ganz speziell Politiker resp. Abgeordnete, um zu zeigen, dass sie mit einem Hungerlohn auskommen können und sich so einen Dienstwagen stellen lassen müssen, der auch für private entfernte Urlaubsreisen genutzt werden darf.

Doch kommen wir zurück zu den Türken dessen eigentliche Heimat Mittelasien ist. Die ständigen Auseinandersetzungen und Kriege mit China waren unter anderem der Auslöser dafür, dass sie immer weiter nach Westen zogen. Auf ihren langen Wegen ließen sich manche Gruppen an günstigen Plätzen nieder. Altertumswissenschaftler behaupten, dass sie die Urväter der turkmenischen Republik seien und dass sich Selçuklular und die Osmanlı Imparatorluğu, also Seldschuken und Osmanen, in Anatolien niederließen.

Die Seldschuken waren sunnitische Muslime, ein Volk, das die größte Glaubensbildung im Islam bildete. Mit ihrer Schlacht in Manzikert übernahmen sie die Herrschaft in Anatolien.

Der byzantinische Kaiser Romanos IV Diogenes hatte bereits zuvor in den Jahren 1068 und 1069 zwei entscheidende Schlachten gegen die Seldschuken für sich entschieden. Doch der Kaiser fühlte sich weiterhin bedroht und so zog er 1071 von Byzanz, heutiges Istanbul, mit einer Streitmacht gegen Osten. Dort traf er nördlich des Van Sees bei Manzikert auf die Seldschuken, wo er trotz seines zahlenmäßig überlegenden Heeres vernichtend geschlagen wurde.

Romanos IV. Diogenes geriet in Gefangenschaft, konnte aber mit dem Seldschuken Sultan Diya ad-Din Adud ad-Daula Abu Schudscha Muhammad Alp Arslan eine Vereinbarung treffen. Gegen Lösegeldzahlung und jährlichen Tributen, sowie Auslieferungen der Gefangenen und Stellung von Hilfstruppen, erhielt er zunächst seine Freiheit wieder.

Doch obwohl man die Sicherheit seiner Person garantiert hatte, wurde er nach Thronaufgabe, dessen Verzicht durch einen Bürgerkrieg entstanden war, geblendet, das heißt, ihm wurden die Augen mit rotglühenden Eisen ausgebrannt.

Alp Arslan, was so viel bedeutet wie mutiger oder tapferer Löwe, führte das Reich zum Höhepunkt seiner Macht und leitete damit die türkische Besiedlung Anatoliens ein. Mit seinem Nachfolger Sultan Malik Şah und dem persischen Wesir Nezam al Molk erreichte das Sultanat einen politischen und kulturellen Meilenstein.

Mit der Ermordung des Wesirs Nezam al Molk durch die Assassinen, eine politische Attentat verübende Gruppe, die Dolch- und Giftmorde an hochgestellte Persönlichkeiten verübte, sowie auch den Tod von Malik Şah bewirkte, brachen bald Thronkämpfe innerhalb der Seldschuken aus, die zur Teilung des Reiches führte. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts traten die aufstrebenden Osmanen das Erbe der Seldschuken in Anatolien an und brachten das Reich zu einem der größten der Weltgeschichte, aus der die Seidenstraße ein Begriff geworden ist. Als Seidenstraße bezeichnete man ein Netz von Karawanenstraßen, die das Mittelmeer auf dem Landwege mit Mittel- und Ostasien verband. Unter anderen wurde hier auch Seide befördert, was letztendlich auch zu den Namen führte. Des Weiteren diente sie auch der Sicherheit vor Überfällen. Ein Kollektivschutz, wo eine Vielzahl durch die gleiche Gefahr bedrohter Reisende sich zusammenschlossen.

Bei jedem Transport von China bis nach Europa, der komplett durch ihr Reich führte, wurden Transitabgaben verlangt, eine Art Maut, Wegelagerei oder auch Karawanenvignette, die zur Finanzierung bestehender und zukünftiger Feindseligkeiten genutzt wurde. Die zu kontrollierenden Grenzen zogen sich von Mitteleuropa, über die Küste Nordafrikas, einschließlich Ägyptens, bis nach Mittelasien. Doch im Laufe der Zeit setzte sich immer mehr der Schiffstransport durch, wodurch die Seidenstraße langsam ihre Bedeutung verlor.

Im 16. Jahrhundert erlebte das Osmanische Reich unter der Herrschaft von Süleyman I., auch Süleyman der Prächtige genannt, ihre Blütezeit. Während der sechsundvierzig jährigen Herrschaftszeit als zehnter Sultan des Osmanischen Reiches und als bedeutendster Osmanenführer, erreichte die geografische Ausdehnung und die Macht des Reiches, ihren Höhepunkt.

So eroberte Süleyman 1521 Belgrad, da die Stadt ein großes Hindernis auf den Weg nach Europa darstellte und somit beseitigt werden musste; 1522 belagerter er die unter Herrschaft des Johanniterordens stehende Insel Rhodos, die nach sechsmonatiger Blockade und schwerer Artillerie kapitulierte; 1526 wurde das ungarische Reich unter König Ludwig II von Böhmen und Ungarn vernichtend geschlagen; 1529 stand Süleyman mit seinen Truppen vor Wien, worauf 1533 ein Friedensvertrag geschlossen wurde, der die damaligen Besitzrechte des unabhängigen Ungarns überwiegend an das Osmanische Reich übertrug und ein kleiner noch nicht eroberter Teil unter habsburgische Herrschaft gestellt wurde.

Zwischenzeitlich verliefen die Grenzen des Osmanischen Reiches von Batumi, eine Hafenstadt am Schwarzen Meer und Hauptstadt der autonomen Republik Adscharien im südwestlichen Georgien, bis hin nach Basra im Süden Iraks nahe dem Persischen Golf. Auch Ägypten gehörte zum Osmanischen Reich, sowie die gesamte Ostküste des Mittelmeers einschließlich Zypern, Griechenland, Kreta. Außerdem im Norden die Insel Krim und das Gebiet Khanat am Asowschen Meer, ein Nebenmeer des Schwarzen Meeres.

Mit dem Tod 1566 endete auch die Ära von Süleyman I. und mit ihm die glanzvolle Epoche des Osmanischen Reiches. Grund war unter anderem, dass ein Sultanat jedes Mal vom Vater auf den Sohn übertragen wurde, was dazu führte, dass immer mehr unfähigere und letztendlich Kinder auf den Thron landeten, die eigentlich erst mal das Schreiben und Lesen lernen sollten, bevor sie versuchten ökonomisch zu denken. Frei nach der Devise: Erst die Schule beenden, dann Karriere machen.

Doch die Sultane lebten in prächtigen Palästen, hatten mehrere Ehefrauen und nur ein Hobby: Kinder machen und das nur, weil viele behaupteten, dass Sex und Brotbacken fast identische Vorgänge seien.

Gleichzeitig waren die islamischen Herrscher einerseits Sultane und anderseits Kalifen mit einer religiösen und politischen Neigung, sodass beim Verwalten des Reiches überwiegend religiöse Gesetze zur Anwendung kamen. Auch führten der Patriotismus, die vielen verschiedenen Rassen und die unterschiedliche Religionszugehörigkeit zur weiteren Schwächung des Osmanischen Reiches. 1918 brachte das Ende des Ersten Weltkrieges, in dem die Türken an der Seite Deutschlands und Österreich-Ungarns kämpften, die Auflösung des Osmanischen Reiches.

Doch die Türkei ist nicht nur für ihre antiken Ruinen und Ausgrabungsstätten bekannt oder für ihre Sehenswürdigkeiten, die Geschichten des Landes erzählen, nein sie ist auch bekannt für ihre traumhaften, kilometerweiten weißen Strände; für das kristallklare vom Türkis bis ins tiefblau gehende Wasser, für ihre satte täglich durchschnittlich neun Stunden strahlende Sonne; für ihre Basare und den Lockruf der Händler: "Eh kaufsch du hier, isch habe billigschde und beschdte Ware"; für Abenteuer, wobei man unterscheiden muss zwischen einem komatösen Abenteuer und einem mit nicht so viel Stress. Auch die Romantik für Verliebte kommt nicht zu kurz, die perfekte Gestaltung ohne McDonalds und ohne ins Fettnäpfchen zu treten sowie das gewisse Außergewöhnliche, als wenn eine Lamakuh schielt und sie damit ein einzigartiges und faszinierendes Verhalten zeigt.

Abendland und Morgenland, Neuzeit und Antike, moderner Lebensstil und starke Tradition, eine bunte Kombination, die das Leben in der Türkei prägt.

1.2 Die Paranoia Urlaub zu machen

Von der Euphorie gepackt, mal richtig zu faulenzen, sich auszuruhen, bevor man Müde wird, blätterten wir mal wieder in einem dieser Reisekataloge herum und fanden das Objekt unser Begierde.

Eigentlich plant ein Deutscher weit im Voraus, bucht jedes noch so kleine Detail, vom zusätzlich Handtuchwechsel bis hin zum Sitzplatz am Notausgang mit mehr Beinfreiheit. Hinzu interessieren ihm noch die Öffnungszeiten des dem Hotel nächstgelegenen Bäckers sowie die Preise eines Herrentrockenhaarschnittes von den Friseuren des gesamten Dorfes.

Für unsere kurzentschlossene Reise fanden wir ein Appartement mit fünf Sternen in einer Hotelanlage mit viereinhalb Sternen und einem Preis, der mich vom Hocker riss.

Avsallar hieß das Dorf, eine junge Ferienregion zwanzig Kilometer westlich von Alanya und hundert Kilometer von Antalya entfernt. Hier sollen sich Buchten, mit langen Liegeflächen auf feinkörnigen Sand vor majestätischen Hügeln im Hinterland, eröffnen.

Avsallar war bis vor wenigen Jahren ein Dorf mit kitschigem ländlichem Ambiente, wo Autos und Kühlschränke nicht selbstverständlich waren, wo Teestuben als reine Männerdomäne galten und nur für Backgammonspieler existierten und wo die Gummistiefeldisco noch an die unzivilisierte Jugend erinnerte.

Ein Monat später der letzte Reisecheck für einen dreiwöchigen Auslandsaufenthalt, eine Art Sicherheitsprüfung vor Reisebeginn.

Für sie: Flipflops und geblümte Bermudashorts; Sonnenmilch LSF 50+ und Sonnenbrille extragroß, extra bunt, extra teuer; Kleidung, Hygieneartikel, Schminke und sieben Paar Schuhe.

Für mich: Digitalkamera, Schweizer Messer mit Holzsäge, Schere, Metallfeile, Korkenzieher, Zahnstocher, Pinzette und Hammer, sowie Geld.

Es kam der Tag der Abreise und wir checkten am späten Nachmittag ein. In einer Boeing 737 der türk Hava Yollan, der türkischen Airlines ließ ich mich auf einen Platz direkt am Fenster nieder, neben mir mein geliebtes Weib. Sie schaute mich mit ihren blauen Augen an, die so schön im Schein der Spots leuchteten. Sie gaben einen aufhellenden Charme von sich, strahlten Natürlichkeit und Klarheit aus und durch ihre Form, den Augenwimpern und der Größe erhielten sie einen spitzbübischen Ausdruck. Gleichzeitig griff sie nach meiner Hand, die sofort mit ihrer zusammenklebte, als hätte man Magnete eingepflanzt.

Der dritte Platz in unsere Reihe, direkt am Gang, wurde von einem Türken besetzt. Er hielt ein Tesphi in der Hand, eine Kette mit Glasperlen, als Fingerspielzeug zum Zeitvertreib oder als Anti-Stress-Kette zur Entspannung. Gelegentlich dient sie auch als Meditationshilfe für Geist und Seele.

Langsam rollt das Flugzeug zur Startbahn. Es ist äußerst ruhig in der Maschine. Alle sitzen angeschnallt da und warten gespannt auf den Start. Nur das leichte Surren der Strahltriebwerke, die noch nicht voll angelaufen sind, war zu hören.

Die Stewardess beginnt mit der Sicherheitsunterweisung: »Sollte es zu einem Druckabfall in der Kabine kommen, öffnet sich eine Deckenklappe und Sauerstoffmasken kommen zum Vorschein. In diesem Fall ziehen sie die Maske zu sich heran und platzieren diese fest auf Mund und Nase. Danach helfen sie Kinder und hilfebedürftige Personen.

Unter dem Sitz befindet sich eine Schwimmweste. Auf Anweisung der Besatzung ziehen sie diese über den Kopf, befestigen die Verschlüsse vorn und ziehen die Gurte fest. Erst bevor sie das Flugzeug verlassen, ziehen sie an den Auslösegriffen um die Weste aufzublasen.

In der Sitztasche des Vordersitzes befindet sich ein Informationsblatt mit allen Sicherheitshinweisen. Bitte beachten sie besonders die Lage der Notausgänge, welche deutlich mit dem Wort "Exit" gekennzeichnet sind. Leuchtstreifen im Boden führen sie direkt dorthin.«

Aufmerksam hörte ich der Stewardess zu. Es sind äußerst attraktive Frauen, die die Fluggesellschaften repräsentieren und gleichzeitig Botschafter des Landes sind, wo die Fluggesellschaft ihren Sitz hat.

Innerhalb kürzester Zeit müssen sie Flugzeuge evakuieren, Brände bekämpfen und unverzüglich Notfallmaßnahmen ergreifen können, ohne dabei in Panik zu geraten.

Plötzlich hörte ich eine klack, noch ein klack und wieder ein klack. Ich schaute mich um und sah unseren Turkmenen, der anfing, mit seinem orthodoxen Rosenkranz zu spielen. Ein Geräusch wie die Klick-Klack-Kugeln aus den 70er Jahren, wo die Kugeln durch gleichmäßige Pendelbewegungen rhythmisch gegeneinanderstießen oder wie ein Kugelstoßpendel, wo nur die beiden äußeren schwankten, während die mittleren in Ruhe verblieben.

Dann kam der Schub, die Antriebskraft, die zur Beschleunigung des Flugzeuges dient und zum Start führte. Die Hand meiner Frau, die bisher zärtlich die Meinige streichelte, entpuppte sich plötzlich zu einem Folterinstrument. Mit der Kraft eines Gorillas beim Armwrestling war sie dabei, von den 27 Knochen meiner Hand, die Mittelhandknochen und die Fingerglieder zu zerquetschen. Es war wie die Wahrheitsfindung durch Daumenschrauben, als wenn zwei miteinander verbundene Backen durch ein Gewinde zusammengezogen wurden, wie der Schraubstock bei einer Drehbank.

Als wir in der Luft waren, lösten sich unsere Hände. Mit einem äußerst kräftigen Druck rieb ich mit der Handfläche über den Mittelhandknochen und versuchte so, den Schmerz ein wenig zu besänftigen.

Drei Stunden später landeten wir auf Antalyas Havalimani. Ein Flughafen, der mittlerweile aus einem nationalen sowie aus zwei internationalen Terminals bestand und so Anlaufpunkt für die Touristen der türkischen Riviera geworden ist. Innerhalb der Türkei nimmt er nach Istanbul beim Passagieraufkommen den zweiten Platz ein.

Tourismus ist für viele Länder eine willkommene Einnahmequelle, ohne die sie implodieren würden. So auch für die Türkei, die unter anderem in den Verkauf von edlen Armbanduhren, hochwertige Designerklamotten und Louis Vuitton Taschen einen wichtigen Exportartikel gefunden hat. Auch wertlose Kieselsteine, die von Urlaubern am Strand gefunden und mitgenommen wurden, erzielten schon mal ein Preis von mehreren Tausend Euro, nachdem der Urlauber seinen Aufenthalt unfreiwillig um ein halbes Jahr verlängern durfte.

Mit dem Transfer-Bus ging es über die Schnellstraße D 400 in unser circa 100 Kilometer entferntes Domizil. Die D400 ist eine Fernverkehrsstraße an der Mittelmeerküste, die auf der Datça Halbinsel beginnt und sich nach über zweitausend Kilometern am Grenzübergang Esendere im Iran mit der Road 16 verbindet.

Die Abenddämmerung trat ein, überall erleuchteten die Lampen. In der Kurve einer überhöhten Straße, der wunderschöne Ausblick auf die Bucht von Avsallar, dem feinsandigen Strand und der Hotelbeleuchtung. Eine Skyline, die wie hochgepumptes Magma aussah und sich im Meer, wie die graue Tatsache einer farbenfrohen Welt widerspiegelte.

Eine dreispurige Straße führte in dieses Dorf. Die auf dem Mittelstreifen, zwischen Palmen, Hibisken und Oleander, befindlichen Straßenlampen erhellten es wie ein Fußballstadion mit Flutlicht.

Wenige Meter noch und wir befanden uns in unserem Appartement, in einer Hotelanlage, umgeben von Bougainvilleen in Magenta Farben, blühende Hibisken in Rot, Weiß und Lachs, Palmen voll im Fruchtstand und Ringelblumen, die jegliches Unkraut versteckten.

Die nächsten Tage nutzten wir dazu, die Gegend und das Dorf zu inspizieren. Dabei fiel uns auf, dass das Dorf zwei vollkommen verschiedene Gesichter hatte. Wenn man von Antalya kommt, erblickt man rechter Hand das Mittelmeer mit den Hotelanlagen verschiedenster Kategorien. Da gab es Hotel Asosyal, Hotel Sempatik, Hotel siz Yildiz und auch Hotels mit çok Yildiz sowie für die sichere Aufbewahrung von Touristen, eine große Ansammlung von Strand und Meer.

Auf der anderen Straßenseite hatten sich Wirtschaftszweige unterschiedlichster Art und Größe etabliert, die Ware zu einem bestimmten aber doch überhöhten Preis verkauften. Dadurch verdienten die Händler Geld, können sich dann beim Nachbarn was kaufen und flugs ist das verdiente Geld wieder futsch. Vielleicht sollte man den Käufer der Ware bitten gleich beim Nachbarn zu bezahlen, dann wäre der Nachbar wieder flüssig, könnte beim Händler einkaufen und schon wäre das Geld wieder am rechten Fleck.

Von dem ganz einfachen kleinen Dönerstand bis hin zum Souvenir-Shop, über Schmuckgeschäfte, Lederwaren- und Taschenläden, Lokalen und Restaurants, gibt es alles, was dem Urlauber sein Geldbeutel schmälern lässt. Bei den Restaurants sollte man allerdings unterscheiden zwischen denen, wo keine Stars geboren, sondern nur Karrieren beendet wurden und denen die so sauber sind, dass selbst Ratten Haarnetze tragen müssen. Auffallend viele Butiken waren zu sehen, die meistens von Frauen frequentiert wurden, um sich mit außergewöhnlichen Stoffen auszustaffieren, damit sie sich auf dem Paarungsmarkt behaupten können.

Nichts auf der Welt ist älter als das Tragen von Garderobe. Schon der arbeitslose Adam und die Hobbygärtnerin Eva glaubten, nachdem sie von dem mit Aphrodisiakum hoch dosierten Apfel gegessen hatten, es sei ästhetisch, sich ein Blatt zwischen die Beine stecken zu müssen.

Als ihr Ziehvater Gott bemerkte, dass das Blatt einen Hauch brillanter war als der Verstand von den beiden und damit die Unbefleckte Empfängnis hinfällig geworden war, schmiss er das Paar kurzerhand aus dem ökologischen Paradies raus. Doch leider waren sie nicht nur denk-, sondern auch lernresistent, zeugten innerhalb von wenigen Jahren eine ganze Horde von Blagen und vererbten die unnötig kostende und ihrem Nutzen umstrittene Unbedachtheit weiter.

Wir gingen runter zum Strand, wo Sonnenanbeter bewegungslos da lagen und sich von der Sonne martern ließen. Die schlaffen kaffeebraunen Körper waren so stark eingefettet, dass der Geruch von siedendem Öl und verbranntem Fleisch in meine Nase stieg.

Mit klatschenden Badelatschen stampften wir zwischen den Reihen von toten hinunter zum Wasser, wo kleine Wellen sich friedlich entrollten, zurückebneten und leise zischend winzige Kiesel mit sich zogen. Das Sonnenöl von Tausenden von Leuten schillerte auf der Wasseroberfläche, ein Mann mit Tauchermaske taucht auf und sieht die Welt in einen lieblichen Schleier gehüllt.

Im seichten Wasser spielten Kinder, wobei die einen sich mit nassem Sand und Steinen beschmissen, andere umklammern lieber furchterregend ihre Luftmatratze oder trampelten klatschnass über Radiogeräte, Groschenromane und Picknickkörben anderer Touristen.

Ein dicker Junge tauchte einen anderen dicken jüngeren Jungen unter Wasser, setzte sich auf ihn und fand die Welt in Ordnung. Seine Mutter stürzte herbei, nahm den Jungen am Arm und ohrfeigte ihn mehrmals, der daraufhin sofort anfing zu plärren, was einem instinktiven Welpenschutzreflex gleich zu setzen war. Der andere Junge, der das halbe Meer ausgesoffen hatte, tauchte auf, spuckte den Sandanteil ins Meer zurück, holte tief Luft und tauchte dann wieder ein, um den Meeresspiegel weiter von unten zu betrachten.

Daneben trieben bewegungslos diverse Schwimmbadminen mit Badekappen und 5XL Badeanzügen, die das Rückgrat der darunter hindurchtauchenden mit ihren Fußnägeln zerkratzten.

Ein Anabolikainhalierer, mit Taschentüchern in der Hose um aus einem Regenwurm eine Anakonda zu machen, trank gerade seinen Testosterondrink, als ihn von hinten ein Ball gegen den Kopf donnerte. Er drehte sich um, nahm den Fußball und schoss ihn mit einem beeindruckten Vollspann aus einem Meter Entfernung dem Gegner direkt ins nette Gesicht, der daraufhin sofort nach hinten umfiel.

Ein Hund war damit beschäftigt, das Schnitzelbrötchen eines badenden Gastes zu fressen, um anschließend in dessen Schuhe zu scheißen.

In geringer Entfernung sahen wir Wolken, die das Aussehen einer Herde sanftmütiger Schafe hatten. Ein Flugzeug flog hindurch und glänzte in der Sonne wie ein Silberpfeil.

An der Landzunge machten wir kehrt und von hier sahen die Sonnenanbeter aus, wie Hotdogs, die auf dem Holzkohlegrill brutzelten.

Schon von weiten sah ich den Jungen wieder, der diesmal ein Mädchen unter Wasser tauchte und vergnügt auf ihr sitzen blieb. Prompt kam abermals die Mutter, nahm ihn am Arm, schüttelte ihn und das ohrenbetäubende Geplärre eines mit Füßen stampfenden Jungen drang von weiter Entfernung in mein Ohr.

Plötzlich das Geräusch eines Donners. Ich schaute nach oben und sah, wie sich die Wolkendecke schloss. Ein weiterer Donner ertönte. Ein sinnloser Lärm ohne irgendeinen praktischen Nutzen.

Eine Frau mit Reiterhosensyndrom, oben ohne, erhob sich von der Liege und die zuvor brav neben ihrem Körper liegenden Medizinbälle landeten auf ihren Oberschenkeln. Als sie sich ganz von der Liege erhob und zum Himmel schaute, bemerkte ich, wie sich optisch ein Pfeil auf ihren Hintern abzeichnete. Es war eine Art Kleidungsstück brasilianischer Herkunft, das mich mit Blindheit schlug.

Ihre Oberschenkel hatten leicht hässliche Wucherungen bis hin zu tiefen Kratern, was man auch Cellulite nennt, eine sehr billige Imitation der Orangenhaut. An den Oberarmen hing das Wellfleisch herunter, wie Fische in der Räucherkammer, welche zuvor von der Sonne konserviert wurden.

Die ersten Regentropfen fielen auf den neben ihr liegenden Mann, der sich daraufhin so langsam wie ein Koalabär im Eukalyptusbaum erhob. Sein haarloser Kopf erinnerte der Form nach stark an eine Glühbirne oder einem Bratapfel und deutete durch die rote bis dunkelrote Schale auf eine Hummerbräune hin.

Seinen dicken aufgeblähten Bauch hätten Kindern als Hüpfburg benutzen können und die fleischreichen langen Beine zum Stelzenlauf. Wenn dieser Mann ein Schwimmbecken verlässt, müssen alle Springtürme wegen fehlender Wassertiefe gesperrt werden. Seine extrem kurze, enganliegende farbneutrale Badehose, die bemerkenswerterweise über einen Eingriff verfügte, hätte er lieber gegen eine Pluderhose eintauschen sollen.

Die Tochter dieses anschaulichen Ehepaares sah aus wie ein Siebenmonatskind, welches im Brutkasten hochgepäppelt wurde. Mit ihren zwei Stofffetzen sah ihr Bikini aus, wie eine Bananen-Hängematte.

Im Nu war Donnerwetter angesagt. Es regnete in Strömen und auf einmal jagte eine ganze Menschenherde zu einer plötzlichen und anscheinend sinnlosen Massenflucht auf. Eine unkontrollierte Stampede, die mit der Besetzung der Lobbys naheliegender Hotels endete. Eine Massenveranstaltung mit dem Potential eines Rummelplatzes.

Dabei das Geschrei von zwei Frauen, als wenn sie morgens mit altem Motoröl und Eisenspäne gegurgelt hatten. Ein lautes Geräusch, bei denen andere Frauen sich erschraken und selber anfangen zu schreien, was zu einer unendlichen Kettenreaktion führte.

Ich stellte mich in den Regen, breitete die Arme aus und schaute in den Himmel, dachte, wie schön es doch war, dass er auf alle fiele, auf die Guten und auf die Bösen, und keinen Unterschied machte zwischen Jung und Alt, zwischen Arm und Reich.

Kindererinnerungen stiegen in mir auf. Ich hatte oft mit dem Regen fangen gespielt, nach ihm geschnappt und ihn verschlungen. Häufig stand ich draußen, blickte zum Himmel und ließ mich sanft von ihm berühren. Seine warmen Tropfen prickelten auf der Haut, wie Sprudelwasser. Ich ließ mich von ihm umarmen, umarmen von den Tropfen, die meine Haare durchnässten und meine Kleidung schlaff am Körper hängen ließ.

Immer noch schaute ich nach oben, wusste gar nicht mehr, wie angenehm es war, die Tropfen zu spüren. Meine Frau stellte sich neben mir, blickte mit mir zu den Wolken und wir ließen die Tropfen auf unsere Gesichter fallen, ließen uns von ihnen quasi küssen. Es rann in den Kragen des T-Shirts, lief schaurig den Rücken herunter und sammelte sich am Hosenbund.

Ich hielt ihre Hand, die feucht und verregnet war. Wassertropfen rannten von den Haaren, den Augenbrauen und der Nase, als sie mich zärtlich küsste, mir Sonne in mein Herz zauberte. Es sind Augenblicke, wo Worte überflüssig waren, weil sie meine Gedanken verstanden hatte und weiß, dass eine Umarmung mehr sagte, als tausend Worte.

Geschütz unter überdachten Stellen standen Menschen und schauten uns zu, hielten uns für bekloppt, als wir weiter gingen an diesem schlagartig leer gefegten Strand. Es dauerte keine fünf Minuten, da schien auch schon wieder die Sonne und langsam füllte sich wieder der Strand. Es war ein Platzregen, eine einzige Wolke, die aufgerechnet hier sich entleeren musste.

Als wir zurückkamen, waren sie alle wieder da. Der dicke Junge, der immer wieder einen dummen gefunden hatte, um ihn unter Wasser zu ducken; die Mutter, die kreischend versuchte diesen Jungen zu erziehen; die 5XL Doppel Whopper, die gerade mit ihrer Kohlsuppendiät beschäftigt waren; der testosteronbewusst lebende Anabolikainhalierer, der versuchte mit 45er Oberarmen und geschwellter Brust junge Mädchen zu imponieren; und die Familie, die aus einer Hungerwarteschleife, der prallsten Juniortüte der Welt und aus einem Mann bestand, dessen Hemden auf einer Einfahrt gebügelt werden müssten.

Das sind so die Momente, wo man am liebsten da wohnen möchte, wo andere ihren Urlaub verbringen, wo Touristen um die halbe Welt fliegen, nur um nach wenigen Tagen wieder in das gewohnte Elend zurückzukehren. Dazu nehmen sie die Hilfe eines Reisebüros in Anspruch und sind darüber hinaus bereit, ihr Konto drastisch zu überziehen.

Schon die Anreise wird zum Stressfaktor Nummer eins. Alle fahren komischerweise zur gleichen Zeit, was zu verstopften Straßen führt. Ein Stau nach dem anderen. Die erste Nacht wird somit im Hotel "Auto" verbracht, bis man vom Standstreifen abgeschleppt wird.