Total Pain in der Palliativen Geriatrie - Katharina Heimerl - E-Book

Total Pain in der Palliativen Geriatrie E-Book

Katharina Heimerl

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Beschreibung

Interdisziplinäre Dimensionen des Total Pain in der Palliativen Geriatrie Im Zentrum von Total Pain stehen die spirituellen, existenziellen und sozialen Herausforderungen, vor denen Menschen am Lebensende oder mit schweren, fortschreitenden Erkrankungen stehen. Dies berührt auch diejenigen, die sie begleiten und betreuen. Als Konzept steht Total Pain inhaltlich im Zentrum von Palliative Care. Das Fachbuch geht nun einen weiteren Schritt und verknüpft das Konzept mit der Palliativen Geriatrie. Die Auseinandersetzung mit Total Pain ist immer interdisziplinär und interprofessionell zu denken und erfordert besondere (Er)kenntnisse. Die Herausgeberinnen, Autorinnen und Autoren sind Fachexpertinnen und -experten im Bereich der Palliativen Geriatrie, ihre Beiträge skizzieren länderübergreifend die Perspektiven der unterschiedlichen Berufsgruppen und beschreiben die Besonderheiten der jeweiligen Versorgungssettings: Teil 1: Total Pain von hochbetagten Menschen – Einführung Teil 2: Einsamkeit und Trauer Teil 3: Biografischer und spiritueller Schmerz im hohen Alter Teil 4: Körperliches Leid Teil 5: Man kann doch etwas tun – vom gelingenden Umgang mit Total Pain. Darüber hinaus stehen die hochbetagten Menschen in zahlreichen Geschichten und Erzählungen im Zentrum des Bandes.

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Katharina Heimerl

Sabine Millius

(Hrsg.)

Total Pain in der Palliativen Geriatrie

Vom Umgang mit dem existenziellen Schmerz im hohen Alter

Unter Mitarbeit von

Manfred Baumann

Carmen Birkholz

Karin Böck

Christoph Cina

Ursula Costa

Gert Dressel

Susanne Hirsmüller

Malcolm Johnson

Helen Kohlen

Marina Kojer

Roland Kunz

Erich Lehner

Andreas Lüdeke

Caterina Mosetter

Dirk Müller

Eva Müller Eggenberger

Hannah Müller-Pein

Hedwig Neu

Ursa Neuhaus

Simon Peng-Keller

Franzisca Pilgram-Frühauf

Sabine Pleschberger

Angela Pototschnigg

Johanna Püringer

Elisabeth Reitinger

Michael Rogner

Gerda Schmidt

Margit Schröer

Patrick Schuchter

Claudia Sollberger

Verena C. Tatzer

Klaus Wegleitner

Paulina Wosko

Total Pain in der Palliativen Geriatrie

Katharina Heimerl, Sabine Millius (Hrsg.)

Programmbereich Gesundheitsberufe

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Gesundheitsberufe

Sophie Karoline Brandt, Bern; Jutta Berding, Osnabrück; Heidi Höppner, Berlin; Sinje Gehr, Göttingen; Heike Kubat, Feldbach; Christiane Mentrup, Zürich; Sascha Sommer, Bochum; Birgit Stubner, Nürnberg; Ursula Walkenhorst, Osnabrück; Claudia Winkelmann, Berlin

Katharina Heimerl, Dr. med., Master of Public Health, Gesundheitswissenschaftlerin, Assoziierte Professorin am Institut für Pflegewissenschaft der Universität Wien.

Sabine Millius, Pflegefachfrau BSc HES-SO in Nursing, MAS Palliative Care (Universitätslehrgang), Fachverantwortliche Gesundheit & Lebensbegleitung, Institut Neumünster in Zollikerberg, Zürich.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Gesundheitsberufe

z. Hd. Barbara Müller

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41 31 300 45 00

[email protected]

www.hogrefe.ch

Lektorat: Barbara Müller

Herstellung: Daniel Berger

Umschlagabbildung: Scott F. Van Manen, Getty Images

Umschlag: Claude Borer, Riehen

Satz: Claudia Wild, Konstanz

Format: EPUB

1. Auflage 2024

© 2024 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96220-7)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76220-3)

ISBN 978-3-456-86220-0

https://doi.org/10.1024/86220-000

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

VorwortRoland Kunz

Vorwort und Danksagung der Herausgeberinnen

Teil 1: Total Pain von hochbetagten Menschen. Einführung

1 Frau Gerber denkt über ihr Leben nach. Eine Geschichte zu BeginnMarina Kojer

2 Total Pain. Das ganzheitliche Leiden von hochbetagten MenschenKatharina Heimerl und Sabine Millius

2.1 Die Anfänge von Palliative Care

2.2 Geschichten erzählen und zuhören

2.3 Total Pain – Überlegungen zur Übersetzung des Begriffs

2.4 Immer eine persönliche Erfahrung

2.5 Den Menschen in Dimensionen zerlegen?

2.6 Hochaltrigkeit

2.7 Der Schmerz hochbetagter Menschen

2.8 Total Pain und Sorge

3 Schmerz und KommunikationMarina Kojer

3.1 Total Pain bei zerebral intakten Hochbetagten

3.2 Heilsame Kommunikation mit zerebral intakten Hochbetagten

3.3 Total Pain bei demenzkranken Hochbetagten

3.4 Heilsame Kommunikation mit Menschen mit Demenz

3.5 Fazit

4 Total Pain und die Perspektive der Care-EthikHelen Kohlen und Manfred Baumann

4.1 Thematische Annäherung über eine Fallgeschichte

4.2 Total Pain

4.3 Care-Ethik

4.4 Total Pain aus der Perspektive der Care-Ethik

4.5 Resümee

5 Geschlecht, Alter und Schmerz. Weshalb es wichtig ist darüber nachzudenkenElisabeth Reitinger und Erich Lehner

5.1 Körperlichkeit und Spiritualität

5.2 Schmerzerleben von Frauen und Männern

5.3 Schmerzhafte Trauerprozesse

5.4 Nachdenklich werden: geschlechtersensibel, reflexiv, aber auch kritisch

6 Lernen und Lehren zu Total Pain in der Palliativen Geriatrie mit Hilfe von Geschichten. Der narrative AnsatzUrsa Neuhaus

6.1 Sieben Kompetenzen in der Palliativen Geriatrie

6.2 Lernen aus Geschichten über Total Pain in der Palliativen Geriatrie

6.3 „In Geschichten verstrickt“ (Wilhelm Schapp)

6.4 Geschichten erzählen – eine narrative Psychologie

6.5 Konsequenzen für das Lernen und Lehren zu Total Pain in der Palliativen Geriatrie

6.6 In Geschichten verstrickt

6.7 Desiderata

Teil 2: Einsamkeit und Trauer

7 Das Wunder von Paulinendorf. Eine Geschichte aus der PraxisKarin Böck

8 Der Einsamkeit im hohen Alter und im Sterben begegnenSabine Millius

8.1 Begegnung mit dem Schmerz der Einsamkeit in der Palliativen Geriatrie

8.2 Gesundheitliche Auswirkungen von Einsamkeit

8.3 Einsamkeit im hohen Alter und im Sterben

8.4 Empfehlungen im Umgang mit der Einsamkeit in der Palliativen Geriatrie: erkennen, anerkennen und lindern

8.5 Ausblick: Sorgekultur und interprofessionelle Zusammenarbeit gegen Einsamkeit im Alter

9 Verluste und Trauer im hohen AlterSusanne Hirsmüller und Margit Schröer

9.1 Hohes Alter – „Was alle werden wollen, aber keiner sein will“

9.2 Besondere Situation hochaltriger und langlebiger Menschen

9.3 Verluste und Trauer in späten Lebensjahren

9.4 Trauer – Versuch einer Annäherung

9.5 Möglichkeiten der Begleitung oder Unterstützung

10 Suizidalität im hohen LebensalterHannah Müller-Pein

10.1 Epidemiologie

10.2 Risikofaktoren

10.3 Schutzfaktoren

10.4 Suizidprävention

10.5 Suizidprävention und assistierter Suizid

11 Soziale Teilhabe von Bewohner*innen im Pflegeheim. Lehren aus der PandemieAndreas Lüdeke und Katharina Heimerl

11.1 Soziale Teilhabe und Einsamkeit: zwei Seiten einer Medaille

11.2 Zum Umgang mit alten Menschen während der Corona-Pandemie

11.3 Ansätze zur Förderung sozialer Teilhabe im Pflegeheim

11.4 Fazit

12 Sinnvolle Handlung im hohen Alter. Impulse aus Ergotherapie und HandlungswissenschaftVerena C. Tatzer und Ursula M. Costa

12.1 Hohes Alter, Gesundheit, Handlung und Partizipation

12.2 Ergotherapeutisch-handlungswissenschaftliche Zugänge zu Gesundheit

12.3 Betätigungsdeprivation

12.4 Lebensfreude – im Alltag tun, was gut tut®

12.5 Sinnvolle Handlungen von und für Menschen mit mittelschwerer bis schwerer Demenz in der Langzeitpflege

12.6 Conclusio

Teil 3: Biografischer und spiritueller Schmerz im hohen Alter

13 Ich habe es (nicht) geschafft. Eine Geschichte aus der PraxisClaudia Sollberger

14 Spiritualität, biografischer Rückblick und biografischer Schmerz alter Menschen am LebensendeMalcolm Johnson

14.1 Das vierte Lebensalter leben

14.2 Der Tod in der Provinz des Alters

14.3 Erinnern unter Schmerzen

14.4 Biografischer Schmerz

14.5 Spiritualität im späten Leben

14.6 Das Leben schmerzt: Jenseits von erfolgreichem Altern

14.7 Das Spirituelle und das Biografische

15 Biografisches Erzählen kann Schmerz und Leid lindern. Ein Mosaik in mehreren GeschichtenGert Dressel

15.1 Biografische Gepäckstücke von Hochbetagten

15.2 Über diesen Beitrag

15.3 Biografiearbeit im Alltag

15.4 Erzählen braucht Vertrauen

15.5 Erzählen benötigt Zuhören

15.6 Zugehörigkeit durch Erzählen

15.7 Soziale Teilhabe durch Erzählen

15.8 Erzählen als hospizlich-palliative Praxis

16 Total Pain oder Sinn-Totale? Zum Spannungsfeld des spirituellen Schmerzes im AlterFranzisca Pilgram-Frühauf

16.1 Spiritueller Schmerz und transzendente Hoffnung

16.2 Am Fenster: symbolische Kommunikation am Lebensende

16.3 Spirituelle Begleitung

16.4 Ausblick: Sinnsuche als gemeinsame Aufgabe

17 Spiritual Care für hochbetagte MenschenSimon Peng-Keller

17.1 Die Vielfalt spiritueller Not

17.2 Spirituelle Ressourcen

17.3 Gesundheitsberufliche und spezialisierte Spiritual Care

17.4 Formen der Spiritual Care

17.5 Symbolische Kommunikation

Teil 4: Körperliches Leid

18 Frau Dubs hat Rückenschmerzen. Eine Geschichte aus der PraxisSabine Millius

19 Schmerz mit Herz. Wie körperliche Schmerzen von hochbetagten Menschen erkannt werden könnenEva Müller Eggenberger

19.1 „Wo tut es denn weh?“ Schmerzhäufigkeit und Lokalisation

19.2 „Tut es sehr weh?“ Schmerzqualität und Schmerzquantität

19.3 „Komm bitte einmal schauen, die Patientin ist heute so anders …“. TOOLS für die Schmerzerkennung von kognitiv beeinträchtigten alten Menschen

20 Ganzheitlicher Schmerz in der Betreuung zu Hause. Erfahrungen eines HausarztesChristoph Cina

20.1 Eine wahre Geschichte

20.2 Die Wichtigkeit unserer Grundbedürfnisse im Zusammenhang mit Total Pain in der palliativen Geriatrie

20.3 Ganzheitliche Betreuung von hochbetagten Menschen zu Hause

20.4 Der Betreuungsplan und der runde Tisch

20.5 Zusammenfassung

21 Wenn körperlicher Schmerz ganzheitlich wird. Erfahrungen einer Pain Nurse in der häuslichen Pflege (Spitex)Caterina Mosetter

21.1 Leiden am Schmerz

21.2 Das Schmerzmanagement aus Expert*innensicht

21.3 Die Pain Nurse und ihre Aufgabengebiete

21.4 Schmerzen im Kontext der ambulanten Pflege

21.5 Fazit

Teil 5: Man kann doch etwas tun. Vom gelingenden Umgang mit Total Pain

22 Die Sorgenetze von alleinlebenden älteren Menschen und ihr Beitrag zur Linderung von SchmerzenSabine Pleschberger und Paulina Wosko

22.1 COVID-19-Pandemie als Brandbeschleuniger für sozialen Schmerz

22.2 Zuhause leben/bleiben trotz alters- und krankheitsbezogener Einbußen

22.3 Alleine leben im Alter

22.4 OPLA-Studie (Older People Living Alone)

22.5 Resümee

23 Der Schmerz von hochbetagten Menschen mit Demenz muss Gehör finden!Hedwig Neu

23.1 Validation nach Naomi Feil

23.2 Demenz und Schmerz

23.3 Die vier Phasen der Aufarbeitung nach Naomi Feil

24 Tut es im Alter „anders“ weh? Schmerztherapie in der AltersmedizinEva Müller Eggenberger

24.1 Damit man sein Schmerz-„Pulver“ nicht gleich verschießt – Faktoren, die in der Schmerztherapie beim alten Menschen zu bedenken sind

24.2 Grundprinzipien der Schmerztherapie im Alter

24.3 „Die Pulver helfen gut, Frau Doktor“ – Medikamentöse Optionen zur Schmerztherapie und Linderung

24.4 Was sonst noch gut tun kann … Möglichkeiten der multimodalen Schmerztherapie

24.5 Die Komplexität eines Problems ist kein Argument gegen es selbst

25 Schmerzliche Prozesse und Ermutigung zur sozialen Teilhabe für Menschen mit kognitiven EinschränkungenAngela Pototschnigg und Johanna Püringer

25.1 Schmerzliche Prozesse

25.2 Person mit kognitiven Einschränkungen oder Selbstvertreterin?

25.3 Ermutigung zur sozialen Teilhabe

25.4 Persönliche Assistenz – Voraussetzungen und Gewinn für soziale Teilhabe

26 Die unerkannte Trauer von Menschen mit DemenzCarmen B. Birkholz

26.1 Leben mit Vergesslichkeit (was man noch Leben mit Demenz nennt)

26.2 Trauer

26.3 Trauer und Total Pain als Themen der Organisationsentwicklung

27 Wenn die Organisation schmerzt. Bürokratische Hürden und andere organisationale SchmerzenKatharina Heimerl und Dirk Müller

27.1 Warum ist der Blick auf die Organisation wichtig?

27.2 Wenn die Organisation Schmerzen hat

27.3 Wenn die Organisation Schmerzen zufügt

27.4 Organisationale Schmerzen lindern

27.5 Organisationale Schmerzen lindern – ein Resümee

28 Das mäeutische Pflege- und Betreuungsmodell. Linderung für alle Dimensionen des SchmerzesGerda Schmidt

28.1 Die Entstehung des mäeutischen Pflege- und Betreuungsmodells

28.2 Gemeinsamkeiten von Palliative Care, Palliativer Geriatrie und Mäeutik

28.3 Der verletzliche Mensch

28.4 Die Verhaltensbilder von Menschen mit Demenz

28.5 Die Bewohner*innen-Besprechung

28.6 Resümee

29 Institutionelle Perspektiven und Organisationsentwicklung. Total Pain im PflegeheimMichael Rogner

29.1 Institutionelle Perspektiven – Haltung und Kompetenz

29.2 Organisationale Perspektiven – Konzept und Strategie

29.3 Praktische Perspektiven – Ausgewählte Methoden und Instrumente

29.4 Fazit

30 Den sozialen Schmerz lindern als Aufgabe sorgender Gemeinschaften. Sorgepotenziale von Caring Communities im Umgang mit Total PainKlaus Wegleitner und Patrick Schuchter

30.1 Brücken aus dem Total Pain Konzept in die Caring Communities

30.2 „To keep on listening“ als Auftrag für Palliative Care und Caring Communities

30.3 Politik der Sorge – Ausblicke

31 Frau Annas Flucht nach innen. Eine Geschichte zum AbschlussMarina Kojer

Anhang

Nachwort. Es gibt keine Hierarchie der Schmerzen!Marina Kojer

Anhang

Herausgeberinnen und Autor*innen

Sachwortverzeichnis

|15|Vorwort

Roland Kunz

Wer sich mit dem Thema Palliative Care beschäftigt, begegnet sehr schnell dem von Cicely Saunders geprägten Begriff des „Total Pain“. In unserer Sprache wird vom totalen oder globalen, vom umfassenden oder multidimensionalen Schmerz gesprochen. Eigentlich enthält der englische Begriff Pain bereits diese Mehrdimensionalität, findet man doch in den Wörterbüchern nebst dem Wort Schmerz als Übersetzungsvorschläge auch Begriffe wie Leid, Qual, Mühe, Kummer oder Strafe. Pain und unser deutscher Begriff Pein leiten sich vom lateinischen Poena ab, was Sühne, Busse, Strafe und Qual bedeutet. Dieser kleine sprachliche Exkurs erklärt bereits ein Stück weit das Konzept von Total Pain: es ist eine Erfahrung, die sehr viel mit persönlichen früheren und aktuellen Umständen, Verletzungen und lebensgeschichtlichen Ereignissen und deren Integration im Lebensvollzug zu tun hat.

Schmerz ist kein Befund wie ein erhöhter Blutdruck oder eine Blutarmut, die messbar sind, sondern ein individuelles Erleben, das nur der Betroffene beschreiben kann, das wir nicht objektivieren und quantifizieren können, höchstens erahnen. John Locke, der englische Philosoph und Arzt, brachte es im siebzehnten Jahrhundert auf den Punkt mit seiner Aussage „Freude und Schmerz lassen sich nicht beschreiben, man kann sie nur aus der Erfahrung kennenlernen“. Wir wissen nie genau, was unser Gegenüber spürt und erlebt, die heute häufig verwendeten Schmerzskalen reduzieren ein persönliches multidimensionales Erleben auf ein eindimensionales Resultat, das auf einer Linie zwischen eins und zehn eingeordnet wird. Das reicht nicht, um zu verstehen, was unser Gegenüber erlebt. Nur durch eine einfühlsame, verstehende Kommunikation können wir uns dem Schmerz eines anderen Menschen annähern, ihn ein Stück weit verstehen und mitfühlen. Dabei ist wichtig, dass wir nicht nur über den aktuell erlebten Schmerz und seine Intensität reden, sondern seine Bedeutung zu verstehen suchen, indem wir etwas über Lebensziele und Rückschläge, Unfertiges und Missglücktes, also über die persönliche Biografie erfahren.

In den letzten Jahrzehnten hat die Schmerztherapie in allen Bereichen der Medizin mehr Beachtung gefunden. Neue Analgetika wurden entwickelt, die Angst vor der Anwendung von Opiaten hat abgenommen, neue Anwendungsformen wie Pflaster haben auch die Verwendung bei Hochbetagten erleichtert. Zusammen mit der breiten Anwendung von Schmerzerfassungstools führte dies dazu, dass wir gerne glauben, jeder Schmerz sei mit dem richtigen Analgetikum auf null reduzierbar, wir müssten nur den richtigen Griff in den Medikamentenkasten tun. Oft werde ich konsiliarisch angefragt, was an einer Medikation zu ändern sei, wenn trotz verschiedener Versuche die Schmerzen nicht verschwunden sind. Dann läuten bei mir die Alarmglocken – man ist dem Glauben erlegen, der Schmerz sei ein rein körperliches Phänomen, das mit dem richtigen Medikament beseitigt werden kann. Dass jeder Schmerz ein Total Pain ist, wird im Alltag gerne vergessen. Auch ein alltäglicher Schmerz wie beispielsweise ein verstauchter Fuß ist ein umfassender Schmerz. Die Verletzung bringt meine Pläne durcheinander, ich ärgere mich über die Person, |16|die eine Stolperfalle hinterlassen hat oder fürchte mich, dass der Fuß gebrochen sein könnte. Diese Umstände integriere ich in mein aktuelles Schmerzerleben.

Es gibt viele Bilder alter Menschen von berühmten Malern, die uns bewusst oder unbewusst ein Bild vom Total Pain vermitteln und uns erahnen lassen, dass diese Personen leiden, nicht nur an körperlichen Beschwerden, sondern auch an ihrer Lebensgeschichte und -situation. Diesen Darstellungen stehen die heutigen Bilder alter Menschen in der Werbung gegenüber: fitte Senior*innen, die Sport treiben und ihr Leben genießen. Sie vermitteln ein Soll-Bild des erfolgreichen Alterns in Selbstständigkeit und Leistungsfähigkeit. Zwangsläufig müssen die vielen Hochbetagten, die in Abhängigkeit und Pflegebedürftigkeit leben, ihre Defizite und ihre Lebenssituation umso schmerzhafter erleben. Hier helfen nicht Schmerzmittel, sondern unser Verständnis und unsere Bemühungen, in der aktuellen Situation wieder Selbstwirksamkeit und Nützlichkeit erfahren zu können, aber auch die überhöhten Erwartungen zu relativieren.

Die steigende Prävalenz chronischer Schmerzen im Alter ist nicht nur Folge von degenerativen Veränderungen, sondern von schwierigeren Lebensumständen und vom Wiederauftauchen erlebter Verletzungen im Lebensrückblick. Die zu beobachtende großzügigere Verschreibung von Analgetika – insbesondere auch von Opiaten – an geriatrische Patient*innen löst das Problem nicht, sofern das Total Pain Konzept nicht Teil jeder geriatrischen Versorgung wird, sowohl zu Hause wie in der Institution.

Die Beiträge in diesem Buch beleuchten die verschiedenen Facetten von Total Pain aus unterschiedlichen Blickwinkeln und zeigen anhand von eindrücklichen Beispielen, wie Total Pain sich in der Pflegepraxis präsentieren kann und wie wir ihm begegnen können.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch einen wichtigen Hinweis. Obwohl in diesem Buch immer vom Total Pain gesprochen wird, dürfen wir nicht ausblenden, dass auch alle anderen physischen Symptome, die in der letzten Lebensphase die Lebensqualität beeinträchtigen können, ein „Total Symptom“ sind. Übelkeit, Appetitlosigkeit oder Atemnot sind im selben Maße umfassende Symptome wie der Schmerz, denen wir nur durch den beschriebenen mehrdimensionalen Zugang gerecht werden können.

Zürich, 21. September 2022

Dr. Roland Kunz

|17|Vorwort und Danksagung der Herausgeberinnen

So grundlegend das Konzept Total Pain für Palliative Care ist und so viel es auch in Lehrbüchern vorkommt, so erstaunlich wenig wird dazu geforscht1. Jedenfalls ist in allen diesen Zusammenhängen vom ganzheitlichen Schmerz von Menschen mit Tumorerkrankungen die Rede. Total Pain für hochbetagte Menschen unterscheidet sich von jenem für Patient*innen in Hospiz und Palliative Care und erfordert auch besondere (Er)kenntnisse. Auch wenn es sehr gute Fachliteratur zum Erkennen und Lindern von Schmerzen in der Palliativen Geriatrie gibt, so hat doch das Konzept von Total Pain für hochbetagte Menschen bisher in der Fachdiskussion zu wenig Aufmerksamkeit erhalten. Wir verdanken es der Pionierarbeit von Marina Kojer und Roland Kunz, dass der Blick auf den ganzheitlichen Schmerz alter Menschen gelenkt wird. Mit diesem Band soll ein Betrag dazu geleistet werden, diese Lücke weiter zu schließen.

Interdisziplinarität, in diesem Buch primär auf die wissenschaftlichen Disziplinen bezogen, und Interprofessionalität, hier als Zusammenarbeit verschiedener Professionen verstanden, bilden die Grundlage von Total Pain in der Palliativen Geriatrie. Diese Grundlage gilt als charakteristische Herangehensweise für Palliative Care, was mit diesem Band verdeutlicht wird.

Schmerz und Leiden sind hochkomplexe Themen. Wir streben in unserem Leben danach, Leiden zu verringern, Linderung von Schmerz ist ein wichtiges Ziel von Palliative Care. Total Pain legt den Fokus auf die spirituellen, existenziellen und sozialen Herausforderungen, vor denen Menschen am Lebensende oder mit schweren, fortschreitenden Erkrankungen und jene, die sie begleiten und betreuen, stehen. Was dies für die Betreuung hochaltriger Menschen bedeuten kann, versuchen wir in diesem Buch aufzuzeigen.

Das Buch zeichnet sich durch Praxisnähe und Reflexivität aus. Der erste Teil befasst sich einführend mit grundlegenden Aspekten von Total Pain in der Palliativen Geriatrie. In den anschließenden Kapiteln wird auf die unterschiedlichen Dimensionen von Schmerz eingegangen, wobei das Leiden der betroffenen Menschen in seinen spezifischen Ausprägungen im Vordergrund steht. Der abschließende Teil des Bandes handelt vom gelingenden Umgang mit Total Pain in der Palliativen Geriatrie und es werden lösungsorientierte Umsetzungsmöglichkeiten für die Praxis beschrieben.

Die Autor*innen sind Fachexpert*innen aus relevanten Disziplinen und Professionen und betrachten Total Pain in der Palliativen Geriatrie vor dem Hintergrund ihres jeweiligen Expert*innenwissens. Auch die Betroffenenperspektive ist vertreten. Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen sollen zu einem ganzheitlichen Bild verhelfen, wobei der hochaltrige Mensch mit seiner Sichtweise im Mittelpunkt steht. Dies ist insbesondere in den „Geschichten aus der Praxis“ der Fall, diese ergänzen immer wieder die fachlichen Inhalte und verdeutlichen sie.

Hinter uns liegen zwei Jahre der intensiven und bereichernden Arbeit als Herausgeberinnen. Aus ganz unterschiedlichen beruflichen |18|Hintergründen kommend war diese Herausgeberinnenschaft geprägt durch wahrhaft interprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit, in der wir viel voneinander lernen konnten.

Der Band ist aus einer institutionellen Zusammenarbeit entstanden: Die Kooperation zwischen dem Schweizer Institut Neumünster, das sich als ein interdisziplinäres Kompetenzzentrum für Entwicklung im Gesundheitswesen versteht und Teil der Stiftung Diakoniewerk Neumünster – Schweizerische Pflegerinnenschule in Zollikerberg, Zürich ist – einerseits – und der länderübergreifenden Fachgesellschaft Palliative Geriatrie, eine gemeinnützige Organisation aus Altenpfleger*innen Wissenschaftler*innen, Ärzt*innen, Hospiz- und Palliative Care-Fachkräften und Ehrenamtlichen. Sie wurde 2015 gegründet und setzt sich zum Ziel, den überregionalen Austausch im deutschsprachigen Raum und die Weiterentwicklung der Palliativen Geriatrie zu fördern.

Wir wurden als Herausgeberinnen auf dem Weg zu diesem Band tatkräftig unterstützt und möchten uns dafür sehr herzlich bedanken: Zuallererst bei Marina Kojer, die als Pionierin der Palliativen Geriatrie uns mit großer Sachkenntnis, Empathie, Erfahrung und Geduld immer wieder beraten, Texte kommentiert, beim Übersetzen unterstützt und so ihre Hand über diesen Band gehalten hat.

Danken wollen wir auch der Stiftung Diakoniewerk Neumünster – Schweizerische Pflegerinnenschule und dem Team des Instituts Neumünster, insbesondere der Institutsleiterin Eliane Pfister Lipp für die Förderung und Unterstützung dieses Buches sowie dem geschäftsführenden Vorstand der Fachgesellschaft Palliative Geriatrie (Dirk Müller, Roland Kunz, Ursa Neuhaus und Gerda Schmidt), die dieses Kooperationsprojekt unter anderem durch ihre Beiträge zu diesem Band bereichert und unterstützt haben. Wir bedanken uns sehr herzlich bei den Autor*innen für ihre Beiträge, mit denen sie das ganzheitliche Verständnis von Schmerz und Leid hochbetagter Menschen in diesem Band mitgestaltet haben.

Unser Dank gilt Ilona Wenger, die alle Texte sorgfältig korrigiert und lektoriert hat, ohne diese wichtige Qualitätssicherung wäre der Band undenkbar. Last but not least geht ein großer Dank an unsere Verlegerin Barbara Müller im Verlag Hogrefe, die das Publikationsprojekt mit vielfältigem Rat und großem Wohlwollen begleitet hat.

Wir wünschen Ihnen nun eine erkenntnisreiche, inspirierende Lektüre und anregende Gespräche – mögen daraus viele gute Ideen, Projekte und Umsetzungswege für hochaltrigen Menschen, die unter Total Pain leiden, entstehen.

Wien und Zürich, 30. April 2023

Katharina Heimerl und Sabine Millius

1

Eine Ausnahme bildet die Forscher*innengruppe um David Clark und Marian Krawczyk an der University of Glasgow.

|19|Teil 1: Total Pain von hochbetagten Menschen. Einführung

|21|1  Frau Gerber denkt über ihr Leben nach. Eine Geschichte zu Beginn

Marina Kojer

Ich bin 93 Jahre alt oder vielleicht schon 94? Ist doch egal. Die Zeit rinnt an mir vorbei. Wozu noch leben? … Meine Hände tun mir weh. Die Fingergelenke sind schon lange geschwollen, knotig aufgetrieben. Mit den Jahren ist es immer schlimmer geworden. Ich kann die Finger nicht mehr richtig abbiegen. Nicht einmal einen Knopf kann ich mir selbst zumachen, ich muss mich anziehen lassen wie ein kleines Kind. Wozu das alles? Hat doch alles keinen Sinn mehr. Mein ganzes Leben hat keinen Sinn mehr …

Dabei habe ich ein gutes Leben gehabt. Mein Mann ist schon lange tot. Es war keine Liebesehe, aber er war ein guter Mann. Wir haben immer zusammengehalten … Wir haben viel gearbeitet, ich habe die Buchhaltung für unser kleines Gemischtwarengeschäft geführt und viele Stunden am Tag unsere Kunden bedient … neben dem ganzen Haushalt und den Kindern. Schon bald nach dem Krieg ist es langsam bergauf gegangen. Unser Geschäft war in der ganzen Gegend sehr beliebt, wir haben viele Stammkunden gehabt. Sie sind über viele Jahre zu uns gekommen. Ich habe alle persönlich gekannt, auch ihre Sorgen und wie es der Familie geht. Es war eine gute Zeit … Was ist geblieben? Nichts davon ist geblieben. Vorbei, alles vorbei … für niemanden mehr wichtig. Die viele Arbeit, die Kraft, die Liebe, die wir da hineingesteckt haben. So etwas braucht heute keiner mehr. Es gibt jetzt die großen Supermärkte, wo keiner einen kennt, keiner mit einem spricht, keiner einen anschaut.

Sophie, meine Tochter, ist auch schon tot. Niemand, der es nicht selbst erlebt, hat kann sich vorstellen, wie das ist, wenn das eigene Kind stirbt. Warum musste sie schon mit 68 sterben und ich lebe noch immer? Wozu bin ich noch gut? Für wen bin ich noch wichtig? … Mein Sohn ist jetzt schon länger in Pension. Ich sehe ihn nur selten. Er lebt seit Jahrzehnten mit seiner Frau in Tirol, das ist weit weg von Wien. Mit seinen Kindern habe ich nie sehr viel Kontakt gehabt. Sie sind meine Enkelkinder und ich kenne sie kaum. Mein Sohn zeigt mir Fotos, wenn er zu Besuch kommt, aber ich kann die Gesichter nicht richtig erkennen, meine Augen sind zu schwach.

Ich war das jüngste Kind in der Familie. Meine beiden Brüder und meine Schwester sind schon lange tot. Meine beiden Freundinnen leben auch nicht mehr. Ich habe fast nur mehr liebe Menschen auf dem Friedhof. Und mit den wenigen, die noch leben, Sohn, Enkel, Urenkel habe ich viel zu wenig Kontakt. Sie haben keine Zeit für mich. Sie leben ihr eigenes Leben. Eine langjährige Nachbarin, mit der ich mich auch immer recht gut verstanden habe, ist schon länger in einem Heim … wie ich jetzt. Es gibt niemanden mehr, zu dem ich sagen kann: „Erinnerst Du Dich noch?“ Das tut so weh.

Mein Rücken tut weh. Er ist auch ganz krumm. Es fällt mir schwer den Kopf lange Zeit oben zu halten, er sinkt immer wieder auf meine Brust. Die Ärztin sagt, meine Knochen sind schon brüchig, kaputt, ich habe Osteoporose … Schmerzen, immer Schmerzen. Alles tut weh.

Die beiden Kinder meiner Tochter kommen mich manchmal besuchen. Das ist dann schön. Im Sommer führen sie mich im Rollstuhl in den Garten. Wenn sie da sind, geht es mir gut. Leider kommen meine Enkel nur sehr selten. Sie leben ihr eigenes Leben. Ich verstehe das.

|22|Die beiden Kinder meiner Tochter kommen mich manchmal besuchen. Das ist dann schön. Im Sommer führen sie mich im Rollstuhl in den Garten. Wenn sie da sind, geht es mir gut. Leider kommen meine Enkel nur sehr selten. Sie leben ihr eigenes Leben. Ich verstehe das.

Als ich in das Heim übersiedeln musste, vor einem Jahr … oder ist es schon länger her … das war das Schlimmste. Mein Zuhause hat mir Sicherheit gegeben. Da war ich noch jemand. Jetzt bin ich nur mehr eine Heimbewohnerin, eine uralte, nutzlose Frau, die allen zur Last fällt. Meine Wohnung … meine letzte kleine Heimat aufzugeben, darüber komme ich nicht hinweg. Wir haben Jahrzehnte dort gewohnt, mein Mann, die Kinder, zuletzt lange Zeit nur mehr ich. Nach dem Krieg war es schwer alles neu anzuschaffen. Jedes Möbelstück hatte seine Geschichte. Wir haben lange auf den großen Kleiderkasten gespart … war das eine Freude, als wir es geschafft hatten! Der Tisch, um den wir bei den Mahlzeiten mit unseren Kindern gesessen sind … So viele Erinnerungen. Marion, meine Enkelin sagt, dass das alles weg musste … abgewohntes, altmodisches Zeug, das keiner mehr haben will … jetzt kann ich mich nicht einmal mehr hinträumen … „War ja doch nur mehr altes Gerümpel“, hat Marions Sohn Jakob, mein einziger Urenkel unlängst gesagt, er wollte mich trösten … Trösten? Wir, der Franz und ich, haben dafür gearbeitet, gespart … für die Jungen ist es altes Gerümpel … wie ich auch.

Die Welt hat sich verändert. Alles ist so schnell, so hastig geworden. Ich verstehe die moderne Sprache nicht mehr. Ich empfinde sie als unhöflich, respektlos, kalt und nüchtern. Ich bin für niemanden mehr wichtig, ich bin nichts mehr wert. Ich bin doch für nichts mehr nütze, mache anderen nur Arbeit, koste Geld … Ich bin eben für nichts mehr nütze und warte nur mehr auf den Tod … Was soll ich noch hier? Ich bin eine unnütze Esserin, sonst nichts.

Dabei hätte ich so viel zu erzählen … es gab kein Telefon, keinen Fernseher, kein Internet. Im Winter konnte nur ein Raum geheizt werden. An den Abenden wurde gespielt, gesungen, viel erzählt. Das war schön. Niemand hat etwas weggegeben, was noch zu brauchen war. Das Geld war knapp, aber die Menschen haben zusammengehalten und zusammengeholfen. Wir haben auch viel gelacht, damals … Es war eine gute Zeit. Wer interessiert sich jetzt noch dafür?

Ich möchte so gerne für jemanden wichtig sein, noch immer gebraucht werden, noch immer für etwas gut sein … ich wünsche mir so sehr, dass mich noch einmal jemand in den Arm nimmt … trotz allem … Aber niemand nimmt jetzt noch wirklich Anteil an mir, niemand interessiert sich für mein langes Leben, für alles, was in dieser Zeit geschehen ist, Freude und Leid …

Wenn Schwester Ursula in mein Zimmer kommt, geht es mir besser. Ich glaube, sie hat mich gern und versteht mich. Manchmal hat sie ein bisschen Zeit, dann setzt sie sich kurz zu mir und ich erzähle ihr von früher …

Meine Hände tun so weh. Sie sind jetzt wieder mehr geschwollen … Und ich kann nicht einmal mehr allein aufs Klo gehen … Der Rücken tut mir weh. Alles tut mir weh. Wenn ich das der Ärztin sage, schaut sie mich mitleidig an und ein bisschen von oben herab, als ob ich nicht mehr ganz richtig im Kopf wäre. „Ich gebe Ihnen ein paar Tropfen, dann geht es Ihnen gleich wieder besser“, sagt sie und tätschelt freundlich meine Wange. Ich mag das nicht … Sie nimmt mich nicht ernst, weil ich alt, hilflos, mühsam und unnütz bin. Sie hat ja recht … Ich bin nichts mehr wert, ich bin nur mehr eine Last … ich gehöre schon lange weg …

|23|2  Total Pain. Das ganzheitliche Leiden von hochbetagten Menschen

Katharina Heimerl und Sabine Millius

2.1  Die Anfänge von Palliative Care

In einer Geschichte erzählt Cicely Saunders von ihrem Gespräch mit Ms. Hinson, einer Patientin im St. Joseph Hospice. Die Geschichte ist seither fast zur Legende geworden, Cicely Saunders erzählt sie immer wieder. Sie gilt als der Ursprung des Total Pain-Konzepts und vielen auch als die Geburtsstunde von Hospiz und Palliative Care. Für Cicely Saunders (2000) war die Beschäftigung mit Schmerz der Schlüssel zum Umgang mit anderen Problemen. Sie schloss daraus, dass es vielfache Interventionen und interdisziplinäre Zusammenarbeit braucht, um diese Probleme zu lösen (Clark, 1999; Seymour, 2012).

„Eine Person gab mir mehr oder weniger die folgende Antwort, als ich ihr eine Frage zu ihren Schmerzen stellte, und in ihrer Antwort bringt sie die vier Hauptbedürfnisse zum Ausdruck, die wir in dieser Situation zu berücksichtigen versuchen. Sie sagte: ‚Nun, Frau Doktor, die Schmerzen begannen in meinem Rücken, aber jetzt scheint es, dass alles an mir nicht stimmt.‘ Sie schilderte verschiedene Symptome und Beschwerden und fuhr dann fort: ‚Mein Mann und mein Sohn waren wunderbar, aber sie waren in der Arbeit und hätten sich freinehmen müssen und hätten ihr Geld verloren. Ich hätte für die Pillen und Injektionen weinen können, obwohl ich wusste, dass ich es nicht sollte. Die ganze Welt schien gegen mich zu sein und niemand schien es zu verstehen.‘ Und dann hielt sie inne, bevor sie sagte: ‚Aber es ist so wunderbar, sich wieder sicher zu fühlen.‘ Ohne weitere Fragen zu stellen, hatte sie über ihre seelischen und körperlichen Leiden, über ihre sozialen Probleme und ihr spirituelles Bedürfnis nach Sicherheit gesprochen.“ (Saunders, 1964).2

Wie viele Tabus Cicely Saunders durch das Erzählen der Geschichte von Ms. Hinson gebrochen hat, können wir heute erfreulicher Weise nur mehr erahnen. Saunders hat – beginnend mit dieser Geschichte – eine langjährige Tradition in der Sterbebegleitung aufgegriffen, die in der Nachkriegszeit weitgehend in den Hintergrund getreten war. Aufbauend auf dem Konzept von Total Pain hat sie die Verwendung von Opioiden in der Schmerztherapie zu einer Zeit revolutioniert, als die Ansicht noch weithin verbreitet war, dass die Verabreichung solcher Medikamente zu Abhängigkeit und zu vorzeitigem Tod führen (Seymour, 2012).

Kein anderes Konzept nimmt das ganzheitliche Menschenbild von Palliative Care besser auf als Total Pain. Total Pain wurde daher zu einem Leitmotiv für Saunders, weil es zum Ausdruck bringt, dass der Schmerz im Endstadium – anders als der akute Schmerz, „eher eine Situation als ein Ereignis ist: Er ist immer mit dem Körper verbunden, findet aber im größeren Rahmen des Lebens des Patienten statt“, formuliert Joe Wood (2021, S. 6).

|24|Haltung und Kultur in Palliative Care – auch Organisationskultur – bauen idealer Weise auf diesem ganzheitlichen Verständnis vom Menschsein auf. In der Geschichte von Ms. Hinson werden erstmals die vielen Gesichter des Schmerzes (Kojer, 2022a) sichtbar: die psychische, die körperliche, die soziale und die spirituelle Dimension. Ms. Hinson sagt im Gespräch mit Cicely Saunders auch zwei Sätze, die weit über die vier einzelnen Dimensionen von Total Pain hinausweisen. Sie macht deutlich, dass Schmerz eine Erfahrung ist, die sowohl aus dem inneren Erleben („alles an mir stimmt nicht“) als auch aus der Interaktion mit der Umgebung entsteht („die ganze Welt schien gegen mich zu sein“). Der Schmerz von Ms. Hinson betrifft sie als ganze Person und überwältigt sie, er ist existenziell, eben total. Diese beiden Sätze machen deutlich, dass es beim ganzheitlichen Schmerz um „alle aufrüttelnden Sorgen, alle mitmenschlichen Probleme und existenziellen Sinnfragen“ (Müller, 2017, S. 407) geht, mit denen wir Menschen am Lebensende konfrontiert sind. Die Tatsache, dass das Leben zu Ende geht, schmerzt (Wood, 2020).

2.2  Geschichten erzählen und zuhören

Von Anfang an hat Cicely Saunders das Verständnis von ganzheitlichem Schmerz mit dem Erzählen von Geschichten und mit der Biografie verbunden (Clark, 2000). Die erzählten Patient*innengeschichten stehen für das vielleicht wichtigste Prinzip von Palliative Care: die Person und ihre Erfahrung von Krankheit stehen im Zentrum, viel mehr als nur der Körper und seine Manifestationen von Krankheit. Das Erzählen von Geschichten, das Narrative, ist jene Evidenz, die dieser Haltung entspricht (Wood, 2021). Auch die Ganzheitlichkeit des Schmerzes vermittelt sich am besten in Erzählungen, das macht nicht nur die Geschichte von Ms. Hinson klar. Das wird auch in der damals bahnbrechenden Publikation „On death and dying“ (auf Deutsch „Interviews mit Sterbenden“) deutlich, in der Elisabeth Kübler-Ross (1969) – neben Cicely Saunders eine der beiden Gründerinnen der modernen Hospizbewegung in Europa – von ihren zahlreichen Begegnungen mit Sterbenden erzählt, die teilweise langen Gespräche mit ihnen wörtlich wiedergibt und sie interpretiert. Diese Erzählungen stehen für (Mit)Menschlichkeit, für Empathie und für Respekt vor den Bedürfnissen der Betroffenen.

Cicely Saunders betont ganz besonders den Wert des Zuhörens für den Umgang mit Schmerzen, so erzählt sie von einem Patienten: „Der Schmerz schien wegzugehen, alleine durch das Reden.“ (Clark, 2014, o.SZ)3. Entscheidend ist, dass der Gesamtschmerz mit einem Sinn für die Erzählung und die Biografie verknüpft wird. Das unterstreicht die Bedeutung des Zuhörens und des Verständnisses für die Leidenserfahrung in einer vielschichtigen Weise. Betont werden soll hier, dass es sich – im Gegensatz zu den langen Interviews, die Elisabeth Kübler-Ross in ihrem Buch veröffentlicht – bei den Erzählungen, die Cicely Saunders nutzt, um Total Pain zu veranschaulichen, nicht um eigentliche Narrative handelt, sondern oft nur um Fragmente von Erzählungen (Wood, 2021), die am ehesten mit dem Konzept der „small stories“ zu beschreiben sind (Bamberg & Georgakopoulou, 2008), also um kurze Erzählungen zu einem inhaltlichen Fokus, die einen bestimmten Ausschnitt aus der (Berufs)Biografie beleuchten und erläutern.

Erzählen zu können und gehört zu werden kann helfen, als einzigartiger Mensch gesehen und erkannt, im eigenen Schmerz wahrgenommen zu werden, wohltuende Resonanz zu spüren und Leiden zu lindern (Fachgesellschaft Palliative Geriatrie, 2021; Kohn, 2021). Besonders hochbetagte Menschen haben aufgrund körperlicher Einschränkungen, verringerter sozialer Teilhabe und Zugehörigkeit nur wenige bis keine Möglichkeiten, zu erzählen (Dressel et al., 2023). Dies, obwohl es für sie aufgrund des |25|hohen Alters und des nahenden Lebensendes um letzte Gelegenheiten geht, zu erzählen. Manchmal geht es auch darum, wichtige oder schmerzhaft erfahrene Lebenserkenntnisse an die jüngere Generation weiterzugeben. Das erfordert jedoch auch ein Gegenüber, das zuhört. Nicht selten bedeutet das für Betreuende und Begleitende in der Palliativen Geriatrie einem Menschen zugewandt zu bleiben, auch dann, wenn dieser klagt, über Alter, Verluste und über seinen schmerzenden Körper. Zugewandt zu bleiben auch dann, wenn Trauer und Verzweiflung die Betroffenen überwältigen, wenn sie sich in ihrer Einsamkeit verloren fühlen und die Frage nach dem Sinn unausweichlich im Raum steht. Dass sich die erzählende Person ernst genommen fühlt, auch wenn das zuhörende Gegenüber den Schmerz nicht spürt, vielleicht nicht einmal nachvollziehen kann, tröstet (Millius, 2021). Angelika Feichtner (2016) spricht in diesem Zusammenhang vom „Wert der Klagemauer“. Sie beschreibt es als wirkmächtig, jemandem sein Leid klagen, seinen Gefühlen Ausdruck verleihen und diese so bewältigen zu können. Dafür braucht es einen Menschen, der „die Klage aushält und der zuhören kann, ohne zu werten“ (Feichtner, 2016, S. 46). Um Zuzuhören braucht es keinen akademischen Grad, sondern in erster Linie eine Haltung von Zugewandtheit und Respekt (Dressel, 2020). Hochbetagten Menschen wirklich zuzuhören erfordert somit eine Haltung, die auf wertschätzenden Altersbildern gründet.

2.3  Total Pain – Überlegungen zur Übersetzung des Begriffs

Total Pain bedeutet ganzheitlicher Schmerz. Menschen, die mit belastenden Erzählungen über die Schrecken des Nationalsozialismus im zweiten Weltkrieg aufgewachsen sind, erinnert das deutsche Wort total zunächst an den Totalen Krieg. Manche assoziieren mit total auch das Totalitäre von menschenverachtenden Diktaturen. Eine ganz andere Bedeutung von total haben wir mit dem englischen Begriff Total Pain kennengelernt. Hier meint es „ohne Ausnahme alles umfassend“ oder „in vollem Umfang“ (Duden, 2022). „Total“ verweist hier darauf, dass das Konzept von Respekt und Wertschätzung für die gesamte Persönlichkeit des Menschen getragen ist (Heimerl, 2021).

Der Begriff Pain ist vieldeutig und vieldimensional, mehr als das deutsche Wort Schmerz, mit dem Pain meist übersetzen wird. Beim Schmerz steht die körperliche Dimension im Vordergrund: Schmerz ist eine „durch Krankheit, Verletzung o. Ä. ausgelöste, sehr unangenehme körperliche Empfindung“, schreibt das Wörterbuch Duden (2022). Auch die Weltschmerzorganisation, auf deren Definition wir weiter unten eingehen werden, versteht Schmerz vor allem in körperlicher Hinsicht. Schmerz wird in der Medizin klassischerweise als Warnfunktion gesehen, die darauf aufmerksam macht, dass eine Schädigung im Körper vorliegt oder droht. Schmerz fordert zum Handeln auf.

In bestimmten Redewendungen ist der Begriff Schmerz jedoch nicht nur auf den Körper bezogen, wir reden auch bei psychisch, sozial oder spirituell wehtuenden Zuständen von Schmerz: Herzschmerz, Weltschmerz, das tut mir in der Seele weh, …. Wenn wir von Schmerzen sprechen, die sich nicht rein auf den Körper beziehen, können wir vielleicht auch von einer Warnfunktion sprechen: sie machen uns darauf aufmerksam, dass etwas mit uns nicht stimmt, etwas aus dem Gleichgewicht ist.

Gleichzeitig bedeutet Pain laut Duden (2022) auch Schmerz im Sinn von „tiefer seelischer Bedrückung; Kummer“ und „Leid“, jener Aspekt des Schmerzes, der eine tiefe spirituelle Dimension enthält. Für den Duden (2022) hat Leid zwei Bedeutungen: „Tiefer seelischer Schmerz als Folge erfahrenen Unglücks einerseits und Unrecht, Böses, das jemandem zugefügt wird andererseits“. Leid wird häufig im Zusammenhang mit unsäglich, unaussprechlich oder namenlos verwendet – ein Hinweis darauf, wie schwer es ist, die spirituelle, existenzielle Dimension des Leids in Worte zu fassen. |26|Schmerz im Sinne von Leid – oder Leiden als das Erleben von Leid (auf Englisch suffering) – erfahren wir auch ohne, dass ein Schaden am Körper vorliegt.

Das englische Wort Pain und das deutsche Wort Pein haben eine gemeinsame sprachliche Wurzel, und dieser Bedeutung wollen wir hier noch einmal nachspüren: Pein bedeutet „heftiges körperliches oder seelisches Unbehagen; etwas, was jemanden quält“ (Duden, 2022). Synonyme sind Leid, Qual und Schmerz. Auch hier wird deutlich: Pain und Pein sind zwar zunächst körperlich zu verorten, aber die Seele leidet mit.

2.4  Immer eine persönliche Erfahrung

Schmerz (Pain) ist laut Definition der Weltschmerzorganisation „… ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit einer tatsächlichen oder potenziellen Gewebeschädigung verbunden ist oder dieser ähnelt. Wobei Schmerz immer eine persönliche Erfahrung ist, die in unterschiedlichem Maße multidimensional beeinflusst ist“ (International Association for the Study of Pain [IASP], 2022). Erkenntnisse aus der Neuropsychologie stützen das multidimensionale Schmerzverständnis und weisen auf Zusammenhänge zwischen Nozizeption, Kognition, Emotion und sozialer Ebene hin (Ahles et al., 1983 zitiert in Eychmüller, 2015). In der Wissenschaft werden auch weitere Zusammenhänge zwischen psychologischen und sozialen Faktoren zur Wahrnehmung des Schmerzes diskutiert (Brown et al., 2008; Horlemann & Zieglgänsberger, 2009; Eisenberger et al., 2003).

Schmerzen sind subjektiv und trotz modernster Verfahren wie PET oder fMRI nicht beweisbar, im besten Fall ist eine vermehrte Aktivität in gewissen Hirnarealen bei diesen Untersuchungen zu sehen (Agosti, 2000). Margo Caffery (1968), Pflegewissenschaftlerin und Pionierin im Bereich Schmerzmanagement, definiert Schmerz so: „Schmerz ist das, was immer die erlebende Person sagt, dass es ist und existiert, wann und wo immer die Person sagt, dass er existiert“4 und drückt damit aus, dass Schmerz eine radikal subjektive Erfahrung ist, die sich objektiven Messverfahren entzieht. Die Weltschmerzorganisation hat diesen Gedanken in ihre Definition von Schmerz mit aufgenommen, auch wenn sie die Aussage durch die Formulierung „sollte“ im Vergleich zu Margo McCaffery abschwächt: „Die Schilderung einer Person über ihre Schmerzerfahrung sollte als solche akzeptiert und respektiert werden.“ (IASP, 2022).

Total Pain ist eine interprofessionelle Praxis der Sorge für Menschen, die an Schmerzen leiden, die die Person in ihrem ganzen Menschsein erfassen, alles durchdringen, sich in den Vordergrund drängen und danach rufen, gelindert zu werden. Zugleich geht es um eine Herangehensweise, um das Finden und Legitimieren von Wegen, die vielfältigen Situationen als Schmerz zu lesen und dafür empfänglich zu werden (Gunaratnam, 2012). Immer geht es auch um die Frage nach Sinn in der Erkrankung, im Schmerz und im Leben, inspiriert von Viktor Frankl (1972) (Krawczyk et al., 2018). Menschen mit lebensbegrenzenden Krankheiten berichten über ein außergewöhnlich hohes Maß an psychosozialem und existenziellem Leiden in Verbindung mit körperlichen Schmerzen. Marian Krawczyk (2019) nennt dieses Phänomen „kumulatives Leid“.

2.5  Den Menschen in Dimensionen zerlegen?

Was sind nun die Grenzen des Total Pain-Konzepts? Der Mensch wird aus der Sichtweise des Palliative Care-Konzeptes nicht in Dimensio|27|nen separiert, sondern diese Dimensionen sind miteinander verbunden und der Mensch wird als Ganzes gesehen. Die Linderung des multidimensionalen Leidens steht dabei vor dem diagnosebestimmenden Behandlungspfad. Die Unterteilung in die Dimensionen physisch, psychisch, sozial und spirituell kann helfen, Komplexes zu vereinfachen und zu strukturieren. Dabei gilt es, nicht zu vergessen, dass ein Mensch komplex ist. Giovanni Maio (2020) erinnert dringlich daran, dass es im Umgang mit kranken Menschen nicht um die Herstellung einer Sache geht, sondern dass es vielmehr Fähigkeiten braucht wie Reflexivität, Umgang mit Komplexität, ein professionelles Abwägen und auch Bewältigung von Unsicherheit. Das Leiden an den Folgen einer unheilbaren Diagnose, schweren Krankheit oder fortschreitenden Gebrechlichkeit hat daher immer eine Auswirkung auf den ganzen Menschen und nicht nur auf eine Dimension. Cicely Saunders war in ihrem späteren Leben darauf bedacht, darauf hinzuweisen, dass jede Unterteilung des Gesamtschmerzes in körperlichen, psychischen, sozialen, spirituellen und sogar personellen Schmerz eine künstliche Unterteilung einer „überwältigenden Gesamterfahrung“ darstellt (Wood, 2021). Die vereinfachenden Darstellungen mit Hilfe der Dimensionen führen dazu, dass der Gesamtschmerz zerlegt wird und die Gesamtintegration nicht mehr gelingt (Krawczyk et al., 2018).

2.6  Hochaltrigkeit

Wen meinen wir mit hochaltrig? Wir können das hohe Alter kalendarisch festlegen, dann sprechen wir von Menschen über dem 80. Lebensjahr. Wir können auch, so wie Malcolm Johnson (2016) vom „vierten Lebensalter“ sprechen, jener letzten Lebensphase, die durch Krankheit und Gebrechlichkeit und durch zunehmende Abhängigkeit gekennzeichnet ist.

Im hohen Alter überwiegen die Frauen gegenüber den Männern. In Deutschland waren im Jahr 2018 etwas über 2 Millionen Männer und 3,3 Millionen Frauen 80 Jahre und älter, das heißt, fast zwei Drittel aller Hochbetagten waren Frauen (Bundesinstitut für berufliche Bildung [bpb], 2022, eigene Berechnungen).

Menschen sind im hohen Alter körperlich verletzlich. Zunehmend häufiger erkranken Hochaltrige an Demenz, das macht sie „außerordentlich verletzlich“ (Gastmans, 2013, S. 146). Das hohe Alter ist von kognitiven Verlusten geprägt, die Häufigkeit der Demenz steigt im Verlauf des Alters deutlich an. In der Altersgruppe 80 bis 84 Jahre waren in Europa im Jahr 2021 etwa 15 % betroffen, im Alter 85 bis 89 Jahre fast 23 % und bei jenen über 90 waren es 36 % (Deutsche Alzheimer Gesellschaft, 2022). In vielen Fällen bringt die Diagnose Entlastung – nicht nur für die Betroffenen, sondern für das gesamte Sorgenetz. Entlastend ist die Diagnose dann, wenn Begleitung zur Verfügung steht, im Sinne von „post-diagnostic support“ (Innes & Kelly, 2016). Menschen mit Demenz brauchen in allen Phasen eine Umgebung, die sie versteht und akzeptiert als die, die sie sind. Persönliche Assistenz und demenzfreundliche Gemeinden und Organisationen fördern ihre soziale Teilhabe (Heimerl et al., 2018). Insbesondere Menschen mit fortgeschrittener Demenz brauchen Pflege und punktuelle medizinische Hilfe. Die Tatsache, dass die kognitiven Fähigkeiten verloren gehen, schmerzt die Betroffenen, aber auch ihre Angehörigen.

Verletzlichkeit und Reife (Kruse, 2017)

Die Gruppe der Hochaltrigen ist so heterogen, wie wir Menschen es insgesamt sind, auch in Bezug auf ihren Gesundheitszustand. In der Österreichischen Interdisziplinären Hochaltrigenstudie (ÖIAS) gab über die Hälfte der Befragten an, dass ihr Gesundheitszustand „gut“ ist, ein Drittel meinte, ihr Gesundheitszustand sei „labil“ und nur 10 % gaben an, „gebrechlich (frail)“ zu sein. Frauen sind im Allgemeinen stärker von gesundheitlichen Einschränkungen betroffen als Männer, so die Studie. Dies hängt auch damit zusammen, dass der sozioökonomische Sta|28|tus den stärksten Einfluss auf Gesundheit im hohen Alter hat. Frauen sind (nicht nur) im hohen Alter sozioökonomisch schlechter gestellt als Männer (ÖPIA, 2015). Das hohe Alter zeichnet sich durch Multimorbidität, Polypharmazie und kognitive Verletzlichkeit aus, dies betrifft aber nur einen Teil der hochaltrigen Menschen. Die Österreichische Hochaltrigenstudie (ÖIHS) kommt zum Schluss, dass eine relativ große Gruppe von Männern und Frauen im hohen Alter mit vergleichsweise gutem Gesundheitszustand, hoher Selbständigkeit und autonomer Lebensführung leben. Dies steht im „Widerspruch zum vorherrschenden und überwiegend defizitorientierten Altersbild (Assoziation des hohen Alters mit Krankheit und Pflegebedürftigkeit)“ (Österreichische Plattform für interdisziplinäre Alternsfragen [ÖPIA], 2015, S. 15).

Es muss nicht immer alles schrecklich sein im Alter. Im Umgang mit hochaltrigen Menschen begegnet uns nicht selten eine bewundernswerte Gelassenheit und teils Unbeschwertheit. Das hohe Alter ist als Lebensphase sowohl von körperlicher Verletzlichkeit als auch von seelisch-geistiger Reife geprägt, es „können sich in der inneren Auseinandersetzung mit Verletzlichkeit Reifeschritte vollziehen“ (Kruse, 2017, S. V). Heinz Rüegger (2021) plädiert dafür „Ja“ zu sagen zum hohen Alter und dies als Lebensphase anzuerkennen, als eine weitere der verschiedenen Lebensphasen, die wir als Menschen durchleben. Auch in dieser Lebensphase sind wir wieder mit spezifischen Aufgaben konfrontiert, wir können uns weiterentwickeln und zu der Person werden, die wir sind.

In einer Befragung meint die 82jährige Mieterin einer Alterswohnung dazu: „Ich denke, es ist auch eine Aufgabe vom Alter, dass man halt … die einten Leute verliert.“5

Das hohe Alter ermöglicht „eine neue Wertschätzung des Seins vor allem Tun. Dass menschliches Leben sich nicht durch die eigene Leistung rechtfertigt, sondern einen Wert im eigenen Sein als solchem besitzt …“ Rüegger (2021, S. 263). Er spricht vom „gelingenden Alter(n)“. Eine Haltung von „Pro-Aging“ anstatt „Anti-Aging“ soll dabei helfen, positive Altersbilder zu entwickeln und den Fokus auch auf die Ressourcen und Gestaltungsmöglichkeiten im hohen Alter zu legen. Schmerzhafte Erfahrungen im hohen Alter werden dabei nicht negiert, sondern durch die vermehrte Konfrontation mit Grenzerfahrungen, Verlusten und der Endlichkeit des Lebens wird die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage intensiviert (Rüegger, 2022). Dies kann neue Erkenntnisse und Reife bringen.

„Das ist jetzt die Erkenntnis, toleranter zu werden. Ich muss lernen, auch Menschen, die ganz anders sind, zu akzeptieren. Im Nachhinein denke ich oft, ich bin früher zu eingleisig gefahren. Und jetzt ist der Fächer größer“, so beschreibt dies eine 86jährige Mieterin in derselben Befragung.

Palliative Geriatrie

Im Zentrum der Palliativen Geriatrie stehen die hochbetagten Menschen mit und ohne Demenz und ihre Angehörigen. Palliative Geriatrie ist ein bewusst interprofessioneller Betreuungsansatz „mit dem Ziel, multimorbiden hochbetagten Menschen mit und ohne Demenz bis zuletzt ein gutes Leben zu ermöglichen und ihren Angehörigen in schweren Zeiten beizustehen“ (Fachgesellschaft Palliative Geriatrie [FGPG], 2020a).

Die Palliative Geriatrie ist an der Schnittstelle von Palliative Care und Geriatrie angesiedelt (Kunz, 2022b). Roland Kunz (2022a) bezeichnet sie als die „Haute Couture“ der Pflege und |29|Medizin. Im Gegensatz zur „geriatric palliative medicine“, die von Mediziner*innen dominiert wird (Pautex et al., 2010), legt die Palliative Geriatrie den Schwerpunkt auf die interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit. Palliative Geriatrie ist ein relativ junges Fach, ihre Gründung geht auf die 1970er Jahre zurück (Kojer, 2022a). Seit 2015 wird das Anliegen im deutschsprachigen Raum von der Fachgesellschaft Palliative Geriatrie getragen.

Der Blick auf Patient*innen und ihre Angehörigen prägt nicht nur die Palliative Geriatrie, sondern auch das Total Pain-Konzept. Wenn ein Mensch leidet, leiden immer auch seine nächsten Angehörigen. Sie sind immer auch mitbetroffen. Total Pain ist in diesem Sinn auch der Schmerz eines Systems oder auch systemischer Schmerz. Steffen Eychmüller (2015) empfiehlt hier einen weiteren Ansatz von Cicely Saunders, die „Unit of Care“, bei der die Angehörigen zur Betreuungseinheit dazugehören, mit dem Total Pain-Konzept zu verknüpfen.

Auch die Sorge für die Sorgenden ist der Palliativen Geriatrie ein wichtiges Anliegen, dazu gehört es, sich für angemessene Rahmenbedingungen in Organisationen, die hochbetagte Menschen betreuen, aber auch gesamtgesellschaftlich einzusetzen (FGPG, 2020a).

2.7  Der Schmerz hochbetagter Menschen

Schmerz ist ein häufig auftretendes und auch gefürchtetes Symptom, in jedem Alter. Es ist davon auszugehen, dass alle Hochbetagten Bekanntschaft mit jeder Form von Schmerz gemacht haben, mit körperlichem, psychischem, sozialem und spirituellem Schmerz (FGPG, 2020b). Es gibt kaum hochbetagte Menschen, die keine Schmerzen haben (Ruth & Konrad, 2021). Schmerz ist für alte Menschen ein „Daseinsthema“ (Kruse, 2017) von mittlerer bis großer Bedeutung und es ist nachgewiesen, dass alte Menschen häufiger unter Schmerzen leiden als jüngere (Kunz, 2022c).

Die Schmerzerfassung und -therapie im hohen Alter hat ihre eigenen Herausforderungen, die einerseits darin liegen, dass die Kommunikation mit alten Menschen erschwert ist, insbesondere, wenn sie an Demenz erkrankt sind (Kunz, 2003). Andererseits macht die medikamentöse Therapie wegen der Wechselwirkungen mit den oft zahlreichen anderen Medikamenten, die sich im hohen Alter aufschichten, Probleme.

Menschen mit Demenz erfahren darüber hinaus Schmerzen, die für uns kaum vorstellbar sind, weil wir uns so schwer in ihre Situation hineindenken können. Sie erleben die Erkrankung und ihre oft unbegreifliche Umwelt als schmerzende Bedrohung, auch schmerzt es, dass sie sich nicht mehr ausdrücken können und sich nicht zurechtfinden. Sie fühlen sich oft hilflos und ausgeschlossen, erleben Respektlosigkeit und Demütigung (Kojer, 2022b) – alles das schmerzt in einer „totalen“ Weise.

Verschiedene Verlusterfahrungen, die oftmals die Lebensphase des hohen Alters begleiten, können hierbei einen Einfluss haben. Sei es die Selbständigkeit, die langsam verloren geht, das soziale Netz, das sich ausdünnt oder quälende Gedanken zur Sinnhaftigkeit des gelebten und aktuellen Lebens. Das bekannte Quartier verlassen zu müssen, um ein neues Zuhause zu finden, beispielsweise in einem Pflegeheim, oder die Furcht davor, dass der Körper nicht mehr mitmacht, wie man es gerne möchte, kann schmerzen. Wichtige Angehörige sterben oder werden selbst krank und fehlen, um in schmerzvollen Situationen jeglicher Art ihre früher unterstützende Rolle einzunehmen.

„Ich kann tausend Kontakte haben, aber meine Frau kann niemand ersetzen“, meint der 89-jährige Bewohner eines Alterszentrums.

Diese verschiedenen Schmerzen müssen nicht zwingend bei jedem hochaltrigen Menschen auftreten, wenn sie jedoch da sind, bedürfen sie |30|der Aufmerksamkeit durch die Betreuenden (Millius, 2021).

Biografischer Schmerz

Das vierte Lebensalter ist auch die Phase des Nachdenkens über das eigene Leben, in der wir das Leben rückwärts verstehen müssen, obwohl wir es vorwärts leben mussten, um ein Zitat von Kierkegaard6 abzuwandeln. Dieser Lebensabschnitt ist geprägt von biografischem Schmerz, der entsteht, wenn wir Zeit haben über das gelebte Leben nachzudenken und gleichzeitig verstehen, dass wir begangenes und erlittenes Unrecht nicht mehr gut machen können (Johnson, 2016). Wir wollen in diesem Band unter anderem mit dem Blick auf die Palliative Geriatrie über den „biografischen Schmerz“ (Johnson, 2016) als einen Ausdruck von spirituellem Schmerz (siehe u. a. Peng-Keller, 2017) nachdenken.

Das Anerkennen von biografischen Schmerzen und der empathische Umgang mit ihnen lässt sich als Prävention für den sogenannten „Bilanzsuizid“ im Alter verstehen, der ein Zeichen allerhöchster Verzweiflung, sozusagen Total Pain in vollster Ausprägung ist (Müller-Pein & Lindner, 2020). Viele, bei weitem nicht alle, biografische Schmerzen können gelindert werden. Auch im hohen Alter kann es eine Versöhnung mit den Brüchen in der Biografie geben, vor allem dann, wenn alte Menschen mit ihren biografischen Schmerzen ernst genommen werden und wenn ihnen Sorgende begegnen, die ihnen zuhören (Kojer, 2022a; Johnson, 2016).

Körperlicher Schmerz und darüber hinaus

Solange der körperliche Schmerz nicht gelindert ist, ist es undenkbar, dass wir uns um den psychischen, sozialen oder spirituellen Schmerz kümmern. Das Lindern des körperlichen Schmerzes ist eine „absolute Notwendigkeit“ (Seymour, 2012), hat absoluten Vorrang, gerade in der Palliativen Geriatrie (Kojer, 2022a, 2022b). Priorität hat es, dass die Sorgenden sich darum kümmern, dass die Schmerzen der Hochbetagten ein erträgliches Ausmaß haben.

Und umgekehrt: Das Verständnis von ganzheitlichem Schmerz ist eine Voraussetzung dafür, dass körperlicher Schmerz gelindert werden kann (Mehta & Chan, 2008). Eine rein medikalisierte Haltung, die unreflektiert umgesetzt wird, möchte Schmerzen einstellen (wie eine präzise Schweizer Uhr), möchte sie beherrschen (wie die Bürger*innen in einem totalen Regime) oder kontrollieren (wie einen Blutdruck, der entgleist ist), mit dem Ziel der Schmerzfreiheit. Doch trotz all unseren engagiertesten Bemühungen, werden Schmerz und Leiden wohl immer Teil unseres Lebens sein, wie auch der Tod Teil unseres Lebens ist. In Palliative Care und in der Palliativen Geriatrie geht es darum, Schmerzen zu lindern und zu verhindern, dass sie unerträglich werden. Es gibt Situationen, bei denen Schmerzfreiheit im engeren Sinn nur um den Preis von hohen Medikamentendosierungen, die das Bewusstsein trüben oder andere starken Nebenwirkungen zeigen, zu erreichen ist. Die Trübung des Bewusstseins macht es dann schwer bis unmöglich, mit der Ganzheitlichkeit der Schmerzen umzugehen, psychischen, sozialen, spirituellen oder biografischen Schmerz zu bearbeiten. Einer solche Tabuisierung von Leid, die Leid generell als untolerierbar konzeptualisiert (Streeck, 2020), kann und soll aus unserer Sicht nicht Ziel des Umgangs mit Total Pain sein.

Was es bedeutet, wenn alte Menschen – aber nicht nur sie – auf ihre körperlichen Aspekte allein reduziert werden, zeigt uns die derzeitige Corona-Krise. Die Fokussierung auf virologische Gesundheit legt Maßnahmen nahe, die die psychische, soziale und spirituelle Dimension des Menschseins vernachlässigen. Auch Einsamkeit tut weh. Diese Erfahrung mussten sowohl Bewohner*innen als auch Angehörige und Mitarbeiter*innen in der Altenhilfe anlässlich der Maßnahmen gegen COVID-19 machen. Menschen im Pflegeheim, die über Wochen keinen Besuch bekommen dürfen, leiden nicht nur psychisch, sondern auch ihr kognitiver und ihr kör|31|perlicher Zustand werden schlechter. Die Einsamkeit als Ausdruck von sozialem Schmerz erfasst hochbetagte Menschen und insbesondere Menschen mit Demenz als ganze Persönlichkeit, in allen ihren Dimensionen.

2.8  Total Pain und Sorge

Wir sind als Menschen grundsätzlich aufeinander angewiesen, das ist eine der Kernaussagen der Care-Ethik (Conradi, 2001). Schmerzen, seien es heftige oder leise bohrende, chronische oder akute, machen uns auf unsere Verwiesenheit aufmerksam. Viele hochbetagte Menschen haben gelernt, mit ihren Schmerzen umzugehen, wissen, was sie entlastet. Aber in nicht wenigen schmerzhaften Situationen sind sie darauf angewiesen, dass ihnen jemand zuhört, ihre Schmerzen versteht und ernst nimmt, statt sich auf den Standpunkt zu stellen, dass Schmerzen im Alter unvermeidlich sind.

Diese Verwiesenheit auf die Sorge durch andere gilt vor allem dann, wenn alte Menschen wahrnehmen, dass ihre kognitiven Fähigkeiten abnehmen, eine Situation, die mit psychischem, sozialem und auch spirituellem Schmerz verbunden ist. Sorge, als ein Ausdruck des Umgangs mit der Angewiesenheit, ist nicht ausschließlich als Umsorgt-Werden zu verstehen:

„Dabei ist auch mit Blick auf Sorgebeziehungen im hohen Alter hervorzuheben, wie wichtig ein Geben und Nehmen von Hilfe und Unterstützung für die Akzeptanz erfahrener Sorge ist. Die fehlende Möglichkeit, die empfangene Sorge zu erwidern, macht es schwer, Sorge anzunehmen.“ (Kruse, 2017, S. 89)

Menschen mit und ohne Demenz bis in ihr hohes Alter soziale Teilhabe zu ermöglichen, ist damit eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe von Sorge (Heimerl et al., 2019) und eng verbunden mit der sozialen und spirituellen Seite von Total Pain. Das Entwickeln wertschätzender Altersbilder und das gemeinsame, intergenerationale Beschreiten neuer Wege mit hochbetagten Menschen mit und ohne kognitive Einschränkung könnte so manchem Total Pain vorbeugen oder ihn lindern und einem guten Miteinander bis ins hohe Alter auch für uns selbst und die nächste Generation förderlich sein.

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Übersetzung aus dem Englischen durch die Autorinnen

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Übersetzung durch die Autorinnen

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„It’s whatever the experiencing person says it is, existing whenever and wherever the person says it does.“ Übersetzung aus dem englischen Original durch die Autorinnen

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Diese Zitate stammen aus Interviews, die im Rahmen des Projektes „Soziale Einsamkeit im Alter. Erkennen, vorbeugen und lindern“ durch das Institut Neumünster (2020) im Auftrag des Alterszentrums Hottingen kurz vor der Covid-19 Pandemie durchgeführt wurden. Online-Zugriff auf den Abschlussbericht siehe Literaturverzeichnis.

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Zitiert nach Rentsch (2013)

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