Tote Augen lügen nicht - Christian Klinger - E-Book

Tote Augen lügen nicht E-Book

Christian Klinger

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Beschreibung

Der ehemalige Chefinspektor der Wiener Polizei Alfons Seidenbast ist der Versuchung erlegen und hat sich mit der sichergestellten Beute aus einem Raubüberfall ins Ausland -abgesetzt. Dort hat er sich mittlerweile eine neue Existenz aufgebaut und seine Identität geändert. Doch die Vergangenheit lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Getrieben von Schuld und Angst, will er einen Schlussstrich ziehen und sich seiner Verantwortung stellen. Doch seine Rückkehr nach Wien wird von turbulenten Ereignissen überschattet, die ein neues Licht auf einen alten Fall werfen. Dieser wanderte, nachdem man Seidenbast davon abgezogen hatte, als abgeschlossen zu den Akten. Doch an der offiziellen Version hatte er schon damals gezweifelt. Seidenbast beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. Dabei führt die Spur zu einem Politiker, der mit seinem Rechtsaußen-Kurs mittlerweile Karriere gemacht hat. Dadurch gerät Seidenbast allerdings in das Visier seiner ehemaligen Kollegen. So wird aus dem Jäger gleichzeitig der Gejagte. Aber er hat einen Plan, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen.

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Seitenzahl: 335

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Inhalt

Titelseite

Impressum

Sabina, Stefan und Thomas, meinen Vorbildern, gewidmet

Die Rückblende

Teil I – Zeitsprünge

Juli 2006

Frühsommer 1998

Ende Juli 2006

August 1998

Teil II

Das Jetzt

TOTE AUGEN LÜGEN NICHT

Christian Klinger

Impressum:

eISBN: 978-3-902672-61-2

E-Book-Ausgabe: 2012

2008 echomedia buchverlag

A-1070 Wien, Schottenfeldgasse 24

Alle Rechte vorbehalten

Produktion: Ilse Helmreich, Helmut Schneider

Produktionsassistenz: Brigitte Lang

Covergestaltung: Anja Merlicek

Gestaltung: Rosi Blecha

Layout: Andrea Wimmer

Lektorat: Regina Moshammer

Herstellungsort: Wien

Besuchen Sie uns im Internet:

www.echomedia-buch.at

Sabina, Stefan und Thomas, meinen Vorbildern, gewidmet.

Danken möchte ich Frau Mag. Fröhlich für die erste Korrektur des Textes.

Ebenso möchte ich dem Team des echo medienhauses danken, ohne das dieses Buch nicht möglich gewesen wäre.

Mein besonderer Dank gilt meiner Kollegin Beate Maxian für ihre Anregungen.

Die Handlung dieses Romans ist frei erfunden.Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personenist zufällig und nicht beabsichtigt.

Die Rückblende

Es war ein ungewöhnlicher Sommer gewesen. Eine der Kuriositäten war, dass noch im Herbst eine Vielzahl von Nachtfaltern den Wienerwald bevölkerte. Aus einem solchen Schwarm hatte sich ein Pärchen herausgelöst. Angelockt von den verführerischen Strahlen der Straßenlaterne, zog es flatternd seine Kreise durch die Nacht. Auf einmal wurde es aus seiner Bahn geworfen. Eine andere Lichtquelle hatte es in ihren Bann gezogen. Orientierungslos zog es die Insekten abwechselnd mal hierhin, mal dahin, bis es zu spät war und sie ein mörderischer Luftwirbel erfasste.

Seidenbast betätigte den Scheibenwischer. Zu seinem Ärger machte der die matschigen Flecken auf der Windschutzscheibe aber noch größer. Er wunderte sich über die Insekten, die der Wischerarm da verteilte. Die gab es sonst nur im Sommer. Er drückte den Knopf für die Reinigungsflüssigkeit. Langsam wurde die Sicht besser. Seidenbast schaltete einen Gang zurück und beschleunigte. Der Wagen schlingerte dabei durch die Kurve. Der herbstliche Nebel hatte das Kopfsteinpflaster mit einem feuchten Film überzogen. – Nur nicht zu schnell in die Kurve. – Der Inspektor folgte angestrengt den weißlichen Kegeln, die die Autoscheinwerfer in die Nacht hineinprojizierten. Er hetzte über Grinzing und die Höhenstraße Richtung Cobenzl. – Nurnicht zu spät kommen. – Wahrscheinlich war er nicht der Einzige, der durch den Anruf gewarnt worden war. Es war ein Spiel, gestand er sich ein. Es war immer nur ein Spiel. Letztlich hatte es der Anrufer geschafft, aus dem Jäger zugleich den Gejagten zu machen. Obwohl er gar nicht zuständig war, hetzte er jetzt womöglich einem Phantom hinterher. Er war raus, das war ihm bewusst, aber Zeit, den Dienstweg einzuhalten, war nicht geblieben. Es galt das Hier und Jetzt – ohne Wenn und Aber.

Seidenbast schaltete einen Gang zurück. Der Motor drehte hoch. Er riss das Steuer nach rechts und folgte dem Schild zum Parkplatz. Gleich hinter dem Landgut der Gemeinde fand sich versteckt im Wald die Villa des Baumeisters. Er parkte den Wagen vor der Einfahrt. Das Haus wirkte im Dunkel der umstehenden Bäume auf eine sonderbare Weise bedrohlich: Obwohl es in modernem Stil gebaut war, umgab es eine modrige Atmosphäre. Seidenbast stürmte zum Eingang. Ein von einem Bewegungsmelder gesteuerter Scheinwerfer erhellte plötzlich den Vorplatz. „Heribert Lackner“ stand in geschwungenen Buchstaben auf dem Messingschild neben dem Portal. – Dumusst wichtige Freunde haben, Heribert Lackner, wenn mandich hier bauen lässt. – Seidenbast führte die Hand zum Klingelknopf, hielt aber mitten in der Bewegung inne und ergriff den Türknauf. Er ließ sich drehen. Im nächsten Moment stand er im dunklen Flur. Im gesamten Haus schien kein Licht zu brennen.

„Herr Lackner?“

Er lauschte angespannt in die Dunkelheit. Sein Herz schien stillzustehen oder hatte sich woanders versteckt. Vielleicht im Hals, denn irgendein Kloß schnürte seine Kehle zu. Nach wenigen, für Seidenbast sehr langen und adrenalinhältigen Sekunden herrschte immer noch Stille. Das Kratzen von Tatzen auf Stein blieb aus. Kein Hecheln, kein Knurren. Gott sei Dank, kein Hund! Erleichtert versuchte er sich nun zu orientieren.

Ein schmaler Lichtstreifen fiel von draußen auf die Stufen, die in das Obergeschoß führten. Er hetzte hinauf. „Herr Lackner!“ Wieder nichts. Keine Antwort, kein Mucks. Schnelle Blicke ins Halbdunkel. Doch dann fiel es Seidenbast auf: Entfernt war das Geräusch eines laufenden Motors zu vernehmen. Sein erster Gedanke war, eine Flucht zu verhindern. Immerhin war der Baumeister ein Verdächtiger und der Anrufer von vorhin hatte ihn schwer belastet. Und ihn auch vielleicht, wie er es angekündigt hatte, gewarnt. Das Auto war wahrscheinlich noch in der Garage, die es zu finden galt. Dafür sprach jedenfalls das gedämpfte Brummen des Motors, das jetzt im Dunkeln besser zu hören war. Das Außenlicht hatte sich vorhin ausgeschaltet. Es stimmte schon, dass die Dunkelheit die Sinne schärfen konnte. Seidenbasts hausbackenem Architekturverständnis zufolge waren Garagen in einem Anbau oder neben einem Seitenflügel zu finden. Er rannte wieder ins Freie. Das Licht ging abermals an. Die Einfahrt in die Garage auszumachen, war keine detektivische Meisterleistung. Der dunkle Asphalt hob sich von den hellen Natursteinen vor der Villa ab. Seidenbast wunderte sich über das Gefälle. Mit einer Tiefgarage hatte er in dieser Gegend nicht gerechnet. Er lief zum verschlossenen Tor und rüttelte daran. Das Geräusch war deutlicher geworden. Seidenbast erkannte, dass es der Baumeister nicht auf Flucht angelegt hatte. Zumindest nicht mit dem Auto. Er ging zurück ins Haus, knipste nun das Licht an und suchte den Abgang zum Keller. Dort stank es bereits stark nach Autoabgasen. Er öffnete die Tür, die nach seinem Dafürhalten in die Garage führen musste. Es verschlug ihm den Atem. Er holte noch einmal tief Luft, dann rannte er auf die andere Seite, wo der Türöffner für das Garagentor angebracht war. Vorbei an dem Mercedes, der tuckernd sein Gift verbreitete. Der Rest war polizeiliche Routine. Ungefährlich, wenn auch nicht angenehm. Er öffnete die Fahrertür und beugte sich über den Leichnam des Baumeisters, um den Zündschlüssel abzuziehen. Der Motor erstarb. Seidenbast war bemüht, nicht am toten Körper anzustreifen. Seine Abscheu gegenüber Leichen hatte er auch all die Jahre bei der Kriminalpolizei behalten. Er balancierte seinen gebeugten Oberkörper geschickt am Körper des Toten vorbei. Dabei musste er sich leicht verdrehen. Sein Blick verfing sich für einen kurzen Moment in den toten Augen des Baumeisters. Sie waren weit aus ihren Höhlen hervorgetreten und starrten ihn vorwurfsvoll an. Seidenbast schnellte zurück. Dieser Blick verriet Furcht. Furcht und Qualen, die dieser Mensch in den letzten Momenten seines Lebens durchgemacht haben musste.

Seidenbast hustete. Die Luft war immer noch von den Abgasen verpestet. Er eilte hinaus. Erst jetzt registrierte er die Fahrzeuge, die soeben vor der Villa anhielten und den Ort mit ihrem Blaulicht, das Lichtblitze an die Hausfassade warf, zu einem Einsatzort machten. Der im Dunkel der Nacht schlummernde Wald, der das Grundstück säumte, wurde ebenfalls vom rotierenden Licht der Polizeiautos bestrahlt. Dabei erschienen Seidenbast die Bäume wie wankende Riesen. Bedrohlich. Mystisch. Plötzlich eine Stimme.

„Hearst Seidel, warum bist denn so weiß?“

„Servus Kittinger. Wann wirst du mich endlich für voll nehmen?“

„Warast du voll, warst a Krügel.“

Seidenbast begrüßte Kittinger. Die Spurensicherung war erstaunlich schnell da gewesen. Er hatte die Kollegen gleich nach dem Anruf verständigt. Er blickte auf die Uhr. An die vierzig Minuten war das her. Er führte Kittinger zur Garage hinunter. Zwei uniformierte Beamte durchsuchten das Erdgeschoß.

„Pah! Dicke Luft hier drin!“ Kittinger wachelte mit der Hand vor seinem Gesicht.

„Siehst“, meinte Seidenbast schadenfroh. Sein Gesicht hatte von der frischen Luft wieder eine gesündere Farbe angenommen.

„Wo is denn unser Model?“ Loidl gesellte sich zu ihnen. Er hielt seine Kamera im Anschlag. Seidenbast deutete auf den Mercedes. Während Kittinger seinen Koffer öffnete und Plastikhandschuhe überstreifte, begann Loidl von verschiedensten Positionen aus Fotos zu schießen.

„Hast irgendwas angriffen?“ Kittinger breitete seine Utensilien aus.

„Die Autotür hab ich aufgemacht, um den Motor abzustellen. Und den Türöffner für die Garage.“

„Und die Leiche?“

„Gott bewahre!“ Seidenbast dachte mit Schaudern an die Begegnung zuvor. Sein Blick war jetzt auf den Toten gerichtet. In diesem Moment drückte Loidl auf den Auslöser. Der Blitz brachte die verzerrten Gesichtszüge noch stärker zur Geltung. Warum ihn diese Augen so anstarrten, fragte sich Seidenbast. Vielleicht war es so, dass die Augen Sterbender in diesem letzten Moment noch eine Antwort vom Leben forderten. Vielleicht reduzierte sich die Sinnfrage auf diesen Augenblick. Seidenbast hatte noch nicht viele Leichen gesehen. Und es war das erste Mal, dass er eine Leiche gefunden hatte. Zumeist wurde er zu einem bereits gesicherten Tatort gerufen. Die Geschäftigkeit der anderen Kollegen nahm einem solchen Ort ein wenig von seinem Schrecken.

„Da hamma, glaub ich, nicht viel zu tun. Is wahrscheinlich a Selbstmord!“ Kittinger zog seine Handschuhe wieder aus.

„Brauchts also keine Fotos mehr?“, fragte Loidl.

Kittinger zündete sich eine Zigarette an und schüttelte den Kopf. Dann Richtung Seidenbast: „Oder was meinst du?“

„Umschauen müssen wir uns auf jeden Fall.“ Seidenbast blickte nachdenklich den toten Baumeister an.

Teil I – ZeitsprüngeJuli 2006

Seidenbasts Körper zuckte kurz, als ihn die Erinnerung einholte. Er richtete sich die Krempe seines Huts, die ihm beim Eindösen ins Gesicht gerutscht war, zurecht. Was er hatte vergessen wollen, war wieder präsent, schlich sich in seine Träume. Er setzte sich in seinem Schaukelstuhl auf. Die Sonne brannte auf die Veranda. Sogar der sonst Kühle spendende Fliesenboden war heiß geworden. Seidenbast kniff die Augen zusammen. Aus zwei dünnen Schlitzen betrachtete er die von der Hitze geschärften Konturen der Landschaft. Die Bäume in seinem Garten waren, ebenso wie die geschotterten Wege, von einem gleißenden Schleier überzogen, darüber das Flimmern der Luft.

Es sind diese Augen, immer diese Augen.

Seidenbast sah sie oft in letzter Zeit. Beim Öffnen des Kleiderschranks, nachts auf dem Flur oder vor dem Einschlafen, wenn er die Lider geschlossen hatte. Es war ein durchdringendes Starren, das von den hervorgetretenen Augäpfeln ausging. Es war der gleiche Blick, den Illiescu aufgesetzt hatte, nachdem Seidenbast den Abzug des Revolvers betätigt hatte. Ein Knall, dann noch einer – und dann zwei Augen, die ihn bis heute noch fordernd fixierten.

Seidenbast löste die am Gaumen klebende Zunge. Er richtete sich auf und griff nach dem Glas neben sich, das auf einem kleinen Tisch mit schmiedeeisernen, geschwungenen Füßchen abgestellt war. Das Wasser war warm, zu warm, um ihn zu erfrischen. Durst! Der Durst hatte nun alle anderen Gedanken verdrängt. Seidenbast erhob sich. Er merkte, dass es ihn zu drehen begann, und er sah schwarze Flecken. Der Kreislauf, dachte er. Ich brauche schnell kühles, frisches Wasser. Er stützte sich auf die Sessellehne und ging dann schnellen Schrittes über den heißen Boden, der unter seinen nackten Füßen wie ein Saunaofen glühte, in die Küche. Warm, immer nur warm. Was sein Wunschtraum gewesen war, entpuppte sich nach und nach als Fluch. Er griff nach einer eiskalten Flasche Mineralwasser im Kühlschrank und trank direkt daraus. Einen langen Zug. Die Kohlensäure kitzelte ihn am Gaumen, die Flüssigkeit stürzte seinen Hals hinab. Sie schwemmte seine Mundhöhle aus. Wie gischtende Wassermassen, die nach einem Dammbruch das vertrocknete Land überschwemmen. Er setzte die Flasche ab, stützte sich auf die Spüle neben dem Kühlgerät. Dann tat er einen langen Rülpser, fast so lange, wie er getrunken hatte. Er hatte ein Gefühl. Das Gefühl, dass eine Veränderung bevorstand. Oder eine Rückkehr.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!