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„Das, was wir vor der bewussten Wiederbegegnung mit unserem Trauma unbedingt verborgen halten mussten, was niemand von uns je wissen durfte, das bringen wir hervor – und das heilt uns!“ Den Weg aus der toxischen Scham, die jedes Trauma hinterlässt, hat Mike Hellwig in jahrzehntelanger Erforschung gesucht, die Essenz seiner Arbeit legt er nun in diesem Buch vor: Die Radikale Erlaubnis für alles, was in uns ist. In dem zweiten Band seines groß angelegten Radikale Erlaubnis Projekts geht Mike Hellwig den Schritt vom unterweisenden Therapeuten zu einem Menschen, der sich schonungslos ehrlich offenbart und vollumfänglich zu seiner Verwundung bekennt. So spricht der bekannte Therapeut offen über seine eigene, von schwerem Kindheitstrauma geprägte Geschichte und zeigt gleichzeitig auf, wie die bewusste Wiedererfahrung unseres Traumas zu einer Aussöhnung in der tiefsten Tiefe mit uns selbst führt.
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Mike Hellwig
Traumaheilungdurch Radikale Erlaubnis
Mein Leben mit Trauma und meine Therapie der Radikalen Erlaubnis
(Radikale Erlaubnis Projekt Band 2)
2. überarbeite Auflage 2021
Mike Hellwig, c/o AutorenServices.de, Birkenallee 24, 36037 Fulda
Copyright 2016 Mike Hellwig
Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Verbreitung, Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren), auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe, sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mit Hilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Autors untersagt. Alle Übersetzungsrechte vorbehalten.
Cover- und Textgestaltung: Monika Orend
Coverbild: Mike Hellwig, Selbstportrait 1992
Autorenfoto: privat
Abbildungen: Mike Hellwig
Mike Hellwig
Traumaheilungdurch Radikale Erlaubnis
Mein Leben mit Trauma und meine Therapie der Radikalen Erlaubnis
(Radikale Erlaubnis Projekt Band 2)
Bisher vom Autor erschienen
Sachbuch
Befreie dein inneres Kind (2007)
Wie wir uns vom Positiven Denken heilen (2011)
Radikale Erlaubnis: Energetischen Missbrauch erkennen und beenden (2014)
Traumaheilung durch Radikale Erlaubnis: Mein Leben mit Trauma und meine Therapie der Radikalen Erlaubnis (2016)
Radikale Kreativität: Befreie deine schöpferische Energie (2017)
Belletristik
Das Rauschen in der Tiefe (2020)
Paradise Beach (2020)
Hörbuch
gelesen von Mike Hellwig
Radikale Erlaubnis
Das Rauschen in der Tiefe
Paradise Beach
Dieses Buch
„Das, was wir vor der bewussten Wiederbegegnung mit unserem Trauma unbedingt verborgen halten mussten, was niemand von uns je wissen durfte, das bringen wir hervor – und das heilt uns!“
Den Weg aus der toxischen Scham, die jedes Trauma hinterlässt, hat Mike Hellwig in jahrzehntelanger Erforschung gesucht, die Essenz seiner Arbeit legt er nun in diesem Buch vor:
Die Radikale Erlaubnis für alles, was in uns ist.
In dem zweiten Band seines groß angelegten Radikale Erlaubnis Projekts geht Mike Hellwig den Schritt vom unterweisenden Therapeuten zu einem Menschen, der sich schonungslos ehrlich offenbart und vollumfänglich zu seiner Verwundung bekennt.
So spricht der bekannte Therapeut offen über seine eigene, von schwerem Kindheitstrauma geprägte Geschichte und zeigt gleichzeitig auf, wie die bewusste Wiedererfahrung unseres Traumas zu einer Aussöhnung in der tiefsten Tiefe mit uns selbst führt.
Der Autor
Mike Hellwiggeboren 1964, wandte sich nach einem Studium der Germanistik der Psychologie zu und entwickelte die „Radikale Erlaubnis“.Seit 2017 widmet er sich verstärkt der Literatur und Malerei. Er lebt und arbeitet in Hamburg.
Inhalt
Bisher vom Autor erschienen
Dieses Buch
Der Autor
Einleitung
Teil 1 Über dem Nadelöhr: Im Bann des Traumas
Kapitel 1: Wächter-Energie
Wir glauben, was wir denken
Regression und Projektion
Die ewige Wiederkunft des Immer Gleichen
Sich absichtlich identifizieren
Kapitel 2: Simulierte Präsenz
Wächter simulieren den Kontakt
Das Wächter-Feld stoppen
Die energetische Wahrnehmung
Kapitel 3: Echte Präsenz
Anderen vormachen, alles sei okay
Energetisch geblockt werden
Der bedingungslos liebende Therapeut
Bei den Eltern präsent bleiben
Kapitel 4: Wie die Wächter uns beherrschen
Innere Kinder übernehmen uns
Der innere Kritiker will uns vor Schmerz schützen
Nie mehr Schokolade essen
Wächter steuern unsere Beziehungen
Radikal ehrlich kommunizieren
Erlauben, was sich wehrt
Den inneren Kritiker einfangen
Die Veränderung wirklich erfahren
Kapitel 5: Durch das Nadelöhr gehen
Der innere Kritiker übernimmt
Verschmolzen mit dem inneren Kritiker
Der innere Rebell reagiert
Wenn das verlassene innere Kind hochkommt
Kapitel 6: Wächter - Allianzen
Allianzbildung
Idealisierung und Abwertung
Borderline: hermetische Allianzen
Sucht: Versinken in der Rebellion
Depression: Die totale Abkündigung
Kapitel 7: Fetisch-Sex und die Erotisierung der Verlassenheitswunde
Hemmungslose Lust
Mit der tiefsten Wunde spielen
Erlauben statt Transformieren-Wollen
Kapitel 8: Eintritt ins Nadelöhr
Der nach innen geholte Verrat
Die unaushaltbare Zone
Die dunkle Nacht der Seele
Teil 2 Im Nadelöhr: Wiedererfahrung des Traumas
Kapitel 9: Die dunkle Nacht der Seele
Kapitel 10: Todesangst
Kapitel 11: Durchbruch durch das Nadelöhr
Kapitel 12: Kein Wunder, dass ich so bin, wie ich bin
Teil 3 Unter dem Nadelöhr: Ins Ungewisse gehen
Kapitel 13: Hingabe an den Schmerz
Liebeskummer
Über das Nichtdenken nachdenken
Die Identifizierung anerkennen
Kapitel 14: Das Unvollkommenheitsgefühl
Die Trance, heil sein zu wollen
Das Leben verpassen
Die Leere ist die Fülle
Spirituelles Bypassing
Kapitel 15: Kontakt mit der Lücke
Die Lücke heilt
Den Schmerz achten
Das große Lachen
Da ist nichts
Dem Drachen begegnen
Kapitel 16: Radikale Ehrlichkeit heilt
Wagnisse eingehen
Kapitel 17: Sich dem Dunklen stellen
Der Sex
Die Scham
Das Böse
Giger
Dämonenarbeit
Anhang
A. Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln
B. Übungen der Radikalen Erlaubnis
Das Spüren in den Körper
Übung 2: Der innere Kindergarten
C. Weiterführendes Angebot
I. Ein Kurs in Radikaler Erlaubnis
II. Bücher: Das Radikale Erlaubnis Projekt
III. Seminarvideos
IV. Radikale Erlaubnis Demonstration
V: Eintauchen in das, was ist – TV-Interview
D. Literaturverzeichnis
Für alle, die gedemütigt wurden
Einleitung
Wenn wir uns dafür anstrengen müssen, herauszufinden, was wir wirklich fühlen, wenn wir nicht in Echtzeit authentisch für uns einstehen können, sondern stattdessen uns von dem abspalten, was wir wirklich erleben, dann sind wir traumatisiert worden. Wir befinden uns im Bann der Scham, die jedes unverarbeitete Trauma hinterlässt.
Von Traumaenergie getroffen worden zu sein, hat eine tiefe Wunde in uns geschlagen: Manche von uns können diese Wunde verdecken und schaffen es, ein normales, angepasstes Leben an der Oberfläche zu führen; bei anderen, wie bei mir, ist diese Wunde so tief, dass wir, wenn wir versuchen, sie zu kompensieren, untergehen.
Wir alle sind davon betroffen, dass wir das echte, vitale Kind, das wir einmal waren und das gar nicht abspalten konnte, aufgeben mussten. Seitdem ist unsere Persönlichkeit fragmentiert, wir erleben uns als Teilpersönlichkeiten, die in Filmen aus der Vergangenheit feststecken und versuchen, in der Gegenwart doch noch das zu finden, was sie damals nicht bekommen haben. Wenn wir unsere Wunde in dieser Weise kompensieren, sie vor uns und anderen verdecken, strengen wir uns dauernd an. Wir stehen ständig unter Druck und immer fehlt uns etwas.
Wenn wir durch unser Trauma voll bewusst hindurchgehen, werden wir nicht mehr dieselben sein. Wir machen die erlösende Erfahrung, dass wir verletzbar sind. Dass das so verwundete Kind von damals nicht gestorben ist, sondern in uns lebt – dieses Kind in uns ist unser echter Kern! Haben wir unser Trauma anerkannt, machen wir uns selbst und niemand anderen mehr vor, dass wir stärker sind als wir sind. Anstatt zu verleugnen, was uns wehtut und tief innen drinnen damit einsam zu sein, fühlen wir unseren Schmerz und unsere Angst und bekennen sie! Das, was wir vor der bewussten Wiederbegegnung mit unserem Trauma unbedingt verborgen halten mussten, was niemand von uns je wissen durfte, das offenbaren wir, das bringen wir hervor – und das heilt uns.
In der Scham, in der wir uns seit unserem Trauma befinden, spalten wir unsere Gefühle ab, anstatt mit ihnen in Kontakt zu gehen und sie direkt zu fühlen. Als Trauma-Überlebende können wir das: Wir können unseren Körper aufgeben, ihn verlassen, wir können unser Innenleben abschalten und einfach nur noch funktionieren. In unserer Kindheit, als uns die Traumaenergie traf, hat uns diese Fähigkeit das Leben gerettet. Wir konnten damit überleben, es ist eine Überlebensstrategie. Als solche müssen wir sie erkennen. Sie taugt zum Überleben, nicht zum Leben.
Wenn wir im Bann von Trauma stehen, leben wir ein Leben der Kompensation. Jede Intensität ist für uns gefährlich, jedes Loslassen bedeutet Gefahr. Das Fühlen, wenn es intensiv wird, wenn es die Gefahr des Energieanstiegs mit sich bringt, uns mit unserer Angst, Eifersucht und Verlassenheit in Kontakt bringt, müssen wir sofort unterdrücken. Bindung, intensive Bindung, die auch immer bedeutet, ein gesundes Abhängigkeitsgefühl zuzulassen, müssen wir verhindern, um nicht verletzt zu werden.
Nicht verletzt zu werden, das ist unser Motto. Das ist unser großer Wahrnehmungsfilter, alles und jedes, was uns passiert, aus diesem Blickwinkel, aus diesem einen einzigen Bullauge heraus zu betrachten: Kann es mich verletzen oder nicht? Und da alles, was intensiv ist, immer auch die Gefahr mit sich bringt, uns verletzen zu können, haben wir einen Automatismus in uns, der sofort auf jeden Anstieg von Gefühlsintensität mit Hemmung und Dissoziation reagiert: Wir gehen aus unserem Körper heraus und konstruieren die Wirklichkeit, anstatt sie einfach zu fühlen.
So beherrscht uns dieser Schutzmechanismus immer dann, wenn unser Leben interessant werden könnte. Dann treten wir auf die Bremse und verhindern die Intensität, machen uns vor, wir sind noch nicht soweit, wir brauchen Zeit, das überfordert uns, das ist jetzt noch zu viel. Dadurch, dass wir uns beständig zur Intensität auf Distanz halten, stocken und bremsen und unterbinden wir das Aufkommen unserer vitalen Gefühle. Wir unterdrücken das Lebendige in uns, sobald es stark wird. Als Überlebende eines Traumas haben wir diese Möglichkeit, wir können uns einfach davon abspalten: es nicht mehr fühlen, es außerhalb unserer Wahrnehmung setzen. Und wir können uns ein Leben aufbauen, das zwar keinen Spaß macht, das aus lauter faulen Arrangements besteht, aber das die Sicherheit mit sich bringt, nicht in Kontakt mit unseren vitalen Gefühlen zu gehen. Wir können bei einem Partner bleiben, der uns nicht gewachsen ist, der uns langweilt, den wir beherrschen und manipulieren, und bauen uns das als eine gelingende Beziehung hin, weil sie scheinbar sicher ist, weil es scheinbar keine gravierenden Konflikte gibt. Den Rest wollen wir nicht sehen, wir schauen da einfach nicht hin. Dass wir in dieser Beziehung einander nie wirklich begegnen, nie wirklich Kontakt haben, nie wirklich intim sind, also den anderen gar nicht kennenlernen, sondern einander nur in geschützten, unbewusst vereinbarten Rollen begegnen, mag schon alles sein, was wir vom Leben verlangen. Das ist aber kein Leben, sondern ein Überleben. Wir leben zwar, aber wir leben unsere Zeit nur ab. Unsere wirklichen Konflikte, das, was in uns nach Ausdruck ringt, bringen wir nicht ans Licht, und das erzeugt eine Depression, eine Resignation in der Tiefe unserer Existenz – eine Sehnsucht nach der großen Abkündigung, nach dem Ende dieses fahlen, schalen, sinnlosen Vegetierens mit seinen kleinen Freuden, die uns lediglich bei der Stange halten.
Wer ein Buch über Trauma schreibt, der sollte meiner Meinung nach wissen, wovon er spricht: Erfahren haben, was es heißt, vom Trauma erschüttert worden zu sein und ein Leben im Bann der Scham zu führen. Und der sollte erlebt haben, was es bedeutet, sich seinem Trauma zu stellen und aus dem Bann der Scham herauszutreten. Ich bringe diese Qualifizierung mit, weil ich selbst schwer traumatisiert wurde, überlebt habe, und mich seit rund dreißig Jahren damit beschäftige, den Weg aus der Scham zu finden. Ich bin nicht vom Himmel herabgestiegen und habe mich ohne Notwendigkeit den Großteil meines Lebens hiermit befasst. Ich habe es getan, weil mir nichts anderes übrig blieb. Weil das Leiden an der Existenz schon von Anfang an so schlimm war, so bohrend, so vernichtend, dass mir nie etwas anderes übrig blieb und ich von nichts anderem getrieben war, als mich zu heilen.
Ich bin 1964 geboren. In der Zeit meiner therapeutischen Ausbildungen habe ich gescherzt, im Wettbewerb, wer die schlechteste Kindheit und das schlimmste Herkunftssystem hat, bin ich ganz vorne dabei. Aber das ist eine sarkastische Aussage. Dahinter steckt soviel Leid. Ich habe einen Sohn, den ich aus vollem Herzen liebe und unterstütze und ihm gegenüber völlig offen meine Gefühle ausdrücke und kommuniziere. Ihm geht es gut, er ist ein so lebensfroher, intelligenter, sensibler und hochkreativer Mensch. Das beruhigt mich ungemein. Ich habe alles versucht, um das Trauma, das auf mich einwirkte, nicht an ihn weiterzugeben. Das scheint gelungen. Gleichzeitig, wenn ich ihn erlebe, wenn ich erlebe, wie unbelastet er ist, wie unbelastet er seine Kreativität ausdrückt, welche Möglichkeiten und Unterstützung er von mir erfährt, welche Sicherheit ihm seine Mutter schenkt, dann reißt ein sengender, tiefer, tiefster Schmerz über den Jungen auf, der ich einmal gewesen bin und der das alles nicht bekommen hat. Der Schmerz meiner verlorenen Kindheit ist für einen Teil in mir riesig, überwältigend, vernichtend. Manchmal sehe ich meinen Sohn an, und dann habe ich diese Überblendung, dass ich mir vorstelle, er wäre damals an meiner Stelle gewesen und ihm wäre das angetan worden. Das zerreißt mich. Ich verstehe dann nicht, wie mein Umfeld alles getan hat, um diesen Jungen fertig zu machen. Wie konnten sie das über das Herz bringen? Ich habe etwas in mir, das bekenne ich hiermit, das niemals, nie, nie, niemals diese Schande vergeben wird. Nicht meinen Eltern, nicht meinem Bruder und nicht Gott. Dieser Teil in mir vergibt keinen von ihnen das vernichtende Verbrechen, das sie an diesem Jungen begangen haben.
Ich habe vier Sachbücher geschrieben, psychologische Ratgeber, die meine Methode der Radikalen Erlaubnis darstellen, aber indirekt dabei immer mein Leben erzählt. Meine Bücher drehen sich darum, diesen verlassenen Jungen in mir, der so unendlich gelitten hat, zu erlauben und mich zu ihm zu bekennen. Da zu sein, während er da ist. Mit ihm verbunden zu sein, diese Verbindung nicht mehr und nie mehr aufzugeben, weil sie das Kostbarste ist, was ich in mir habe. Die Wunde von mir zu zeigen, in Echtzeit Bekenntnis abzulegen, was wirklich in mir ist. Alles, was in mir lebt, wahrzunehmen und leben zu lassen, unzensiert. Das bewegt mich deshalb so sehr, weil es eine Zeit gegeben hat, in der dieser Junge in mir schon fast tot war. Es gab eine Zeit, in der habe ich versucht, alles in mir abzutöten, was noch kindlich war und was dem entgegenstand, ein guter, ehrenhafter, hochspiritueller und sündenfreier Mensch zu sein: Vier Jahre lang war ich in einer Sekte, die sich um einen Konzentrationslager-Überlebenden gesammelt und den höchsten Idealen von Menschlichkeit verschrieben hatte. In dieser Zeit, ich war Anfang zwanzig, habe ich mir die Sexualität verboten und wollte sie transformieren. Ich wollte so schnell wie möglich erleuchtet und von mir erlöst sein. Ich habe in dieser Zeit Yoga betrieben und alles an östlicher Philosophie verschlungen, was ich in die Hände bekommen konnte. Heute erscheint es mir, als habe ich damals in dem Versuch, die reine Menschlichkeit zu leben, die absoluteste und gnadenloseste Unmenschlichkeit hervorgebracht. Ich verbot mir alles, was Spaß machte. Eines Tages, die Sonne schien und ich war in meiner Wohnung, da fühlte es sich an, als ob sich der Boden öffnen und mich verschlucken und zerdrücken würde. Es gab nur Druck in meinem Leben. In Wahrheit hielt ich mich für ein Stück Scheiße, und nur die Anstrengung und der ungeheure spirituelle Veränderungsdruck, den ich auf mich ausübte, verlieh mir eine Art von Wert.
Damals tat ich einen großen Schritt: Ich entschloss mich, lieber unterzugehen, lieber zu scheitern und zu sterben, als so weiterzumachen. Ich verließ die Sekte, obwohl ich wusste, dass die Wenigen, die es vor mir gewagt hatten, diesen „Weg der Menschlichkeit“ wieder zu verlassen, ihr Leben verwirkten: Sie hatten Unfälle, begingen Suizid oder scheiterten auf andere Weise tragisch. Auch mein Lehramtsstudium, das ich unter dem Einfluss der Sekte aufgenommen hatte, brach ich kurz vor dem Staatsexamen ab. Da meine Verdammnis gewiss war, erlaubte ich mir alles, was ich mir zuvor verboten hatte: Ich begann als Schriftsteller zu leben – und landete in einer 13 qm großen Wohnung im Grindelhochhaus: mit Kakerlaken, die im Ausguss wimmelten, und einer Dusche zwischen den Fahrstühlen, die von den Tauben zugeschissen wurde. Freitag- und Samstagnacht fuhr ich Taxi. Ich lernte eine Prostituierte kennen und lebte monatelang mit ihr zusammen. Sie kaufte mir aus Eifersucht die Taxischichten ab, ging aber selbst an diesen Nächten ins Bordell, um die Kohle ranzuschaffen. Ich trank, ich rauchte, ich kiffte, und alles mit ihr drehte sich um fiesen, linken Sex, Hauptsache, er spottete jener aufgesetzten Menschlichkeit Hohn. Es war ein erster Befreiungsschlag, all die jahrelang unterdrückten Impulse durchzulassen und nicht mehr zu hemmen. Ich hatte eine riesige Wut in mir auf alles, was mich einengte oder mir vorschrieb, wie ich zu leben hatte. Aber ich war damals noch weit davon entfernt, mich dem verlassenen Jungen in mir zu stellen. Ohne es zu wissen, rannte ich vor ihm davon. Ich stand immer noch unter dem Bann des Traumas, hatte mich in der Sektenzeit ganz und gar mit dem inneren Kritiker identifiziert, um meinen Schmerz nicht zu fühlen – und war nun im Rebellen gelandet, der sich gegen jeden Druck empörte. Auch das war eine Überlebensstrategie, ein Weglaufen vor meiner Wunde. Im Grunde hoffte ich, dass das Schicksal oder Gott mich retten würden. Dieser Anspruch, dass mir das Leben für das Leid, das mir widerfahren war, etwas schuldete, trug ich unbewusst vor mir her. Diese Wut, diese Anklage an das Leben, schützte mich davor, meinen Schmerz fühlen zu müssen und Verantwortung für den verlassenen und verwundeten Jungen in mir zu übernehmen. Diese Verantwortung übertrug ich einer äußeren Macht. Darin versteckt war der Schrei, doch noch die liebenden, sorgenden Eltern zu bekommen, die ich nie gehabt hatte. Ich umging die Trauer meiner verlorenen Kindheit und hoffte, sie doch noch nachgereicht zu bekommen. Damit flog ich wortwörtlich auf die Fresse. Mein Versuch, mich als Schriftsteller durchzusetzen, scheiterte. Stattdessen war ich im Taxi gelandet, ich war arm, und nichts passierte mehr. Das Leben hatte mich vergessen, und es scherte sich nicht um meine Empörung. Ich lernte die bittere Lektion, aus purer Verzweiflung Verantwortung für mein Leben zu übernehmen. Es war eine harte Zeit. Nachts fuhr ich Taxi, tagsüber ging ich in die teure Heilpraktikerschule, das dauerte drei Monate, dann konnte ich das nicht mehr machen. Ich war dauernd krank, und das Geld reichte nicht. Ich brach die Heilpraktikerschule ab, brachte mir den Stoff selbst bei, und innerhalb von drei Monaten schaffte ich die Heilpraktikerprüfung.