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Callboys scheinen Stella Grayson neuerdings zu verfolgen. Nicht nur, dass sie nach einer durchfeierten Nacht neben einem besonders attraktiven Exemplar im Bett aufwacht, braucht sie jetzt auch noch einen männlichen Begleiter für die Hochzeit ihrer Schwester. Um nicht mit dem schrägen Sohn der Nachbarin ihrer Eltern dort aufkreuzen zu müssen, erfindet Stella in ihrer Not einen neuen Freund, den es gar nicht gibt, und ist so gezwungen, sich einen Mann über eine Begleitagentur zu organisieren, den sie als ihre neue große Liebe verkaufen kann. Stella staunt nicht schlecht, als sie beim ersten Zusammentreffen herausfindet, wer der neue Mann auf Zeit an ihrer Seite ist. Und bald schon verschwimmen die Grenzen zwischen erkaufter und wahrer Zuneigung ...doch, sich in einen Callboy zu verlieben, war noch nie eine gute Idee, oder?
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Inhaltsverzeichnis
PROLOG
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EPILOG
TRAUMMANN FÜR GEWISSE STUNDEN
Ein Pink Powderpuff Books Roman
Copyright 2017 Daniela Felbermayr
Covergestaltung: www.rausch-gold.com, Catrin Sommer
Unter Verwendung von Shutterstock
Korrektorat: SW Korrekturen e.U.
www.pink-powderpuff-books.com
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Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Personen und Handlungen sind frei erfunden, eventuelle Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.
Stella Grayson erwachte an diesem Samstagmorgen aus einem tiefen, traumlosen und erholsamen Schlaf. Das Erste, was sie feststellte, während die Sonne ins Zimmer flutete und den Raum nahezu in gleißendes Licht tauchte, war, dass das nicht ihr Bett und nicht ihr Schlafzimmer zu Hause in Manhattan waren, in dem sie lag. Zuerst einmal lag sie auf der völlig falschen Seite des Bettes. Ihr Appartement in der City hatte zwar auch raumhohe Fenster, dafür aber keine dunklen Rahmen und keinen grau-beigefarbenen, fluffigen Teppichboden. Außerdem bot die Aussicht ihres eigenen Schlafzimmerfensters eigentlich nur strahlend blauen Himmel und in weiterer Ferne die Skyline des Einkaufsviertels – die Fifth, die Madison, die Park und die Lexington. Nachdem ihre Augen sich hier jedoch an die Helligkeit gewöhnt hatten, entdeckte sie gegenüber ein rechteckiges, unscheinbares Gebäude, an dessen Front sich ein Balkon neben den anderen reihte. Der Anzahl der Fenster und Balkone nach zu urteilen, musste dieses Gebäude – zweifellos ein Hotel – an die zweihundert Zimmer haben.
Natürlich war Stella nicht in ihrem Appartement in Manhattan. Sie war am vergangenen Abend, nach einem Marathonmeeting im Büro, bei dem sie den Werbeetat für einen Sportwagenhändler an Land gezogen hatte, der staatenweit agierte, hierhergekommen, um mit ihrer besten Freundin Patricia deren fünfunddreißigsten Geburtstag zu feiern. Eigentlich hätte Stella an jenem Abend nichts lieber getan, als nach Hause zu fahren, ein ausgiebiges Bad zu nehmen, sich in eine Decke einzuhüllen und irgendeinen Film – vorzugsweise mit Bradley Cooper oder Patrick Dempsey – anzusehen. Doch Pat wurde nur einmal im Leben fünfunddreißig und auf den Trip nach Atlantic City hatte sie sich schon seit Monaten gefreut. Also war Stella um kurz vor acht aufgebrochen, um knappe zwei Stunden später völlig übermüdet im Seaside Inn einzuchecken, wo für Patricia Adams eine Suite reserviert worden war, in der in dieser Nacht der Teufel los sein sollte.
Als Stella aus dem Lift gestiegen war und sie die laute Musik sowie das Stimmengewirr vernommen hatte, das aus der Suite kam, die Pats Schwestern für die Party angemietet hatte, sehnte sie sich einmal mehr danach, aus ihren Stöckelschuhen zu steigen, ein heißes Bad zu nehmen, in ihren Pyjama zu schlüpfen und den Tag bei einer Tasse Kakao und einer Tafel Schokolade ausklingen zu lassen. Sie musste kurz an die Hangover-Filme denken, als sie den Flur entlang auf Suite 1291 zuging, in der es ganz offensichtlich hoch hergehen musste. Pat hatte von knapp vierzig Gästen erzählt, die sie zum Teil selbst noch nicht einmal kannte. Pats Schwestern hatten ihrerseits Freundinnen eingeladen, die wiederum dazu animiert worden waren, jemanden mitzubringen, damit aus einer gemütlichen Frauenrunde – so war der Abend eigentlich geplant gewesen, als Stella und Pat ihn vor einigen Monaten ins Leben gerufen hatten – eine legendäre Party wurde.
Stella war generell nicht gerade der Typ Frau, der die Nacht zum Tag machte, und gerade dieser Tag heute war ziemlich anstrengend gewesen. Die Verhandlungen mit Don Cleaver, dem „König der Sportwagen“, wie er sich selbst nannte, waren ziemlich mühselig und nervenaufreibend gewesen. Der Mann mochte zwar der „König der Sportwagen“ sein, in Sachen sozialer Kompetenz und Professionalität war er eher auf dem Level eines Bettlers. Zu allem Überfluss hatte Stellas Mutter angerufen und fast die ganze Fahrt über von der Hochzeit geschwärmt, die sie für Stellas jüngere Schwester Jennifer ausrichten würde. Jennifer – siebenundzwanzig und seit der Highschool mit ihrem Verlobten David zusammen – würde in wenigen Wochen in den Hafen der Ehe einlaufen. Angela Grayson kam dabei natürlich nicht umhin, Stella mehrfach mitzuteilen, wie froh sie sei, doch zumindest eine ihrer Töchter unter der Haube zu wissen. Und dass Stella, wenn sie tatsächlich selbst noch einmal gedachte, zu heiraten, sich langsam, aber sicher umsehen musste, weil sie eben „mit großen Schritten auf die Vierzig zuging“. Nicht gerade ein Kompliment, wenn man bedachte, dass Stella gerade erst vierunddreißig geworden war.
Das Erste, was Stella wahrnahm, als sie die Tür der Suite öffnete, war eine völlig aufgelöste, verheulte Pat, die zusammengesunken wie ein Häufchen Elend in einem modernen Loungestuhl hockte. Ihre Schwestern und zwei Kolleginnen aus Pats Büro standen um sie herum, reichten abwechselnd Taschentücher, klopften auf ihre Schulter und sahen sie mitleidig an.
„Hey, was ist denn hier los?“, fragte Stella. Sie ging vor Pat auf die Knie und sah in ihr verheultes Gesicht.
„O mein Gott, Stella, es ist so schrecklich“, heulte Pat los und warf sich in ihre Arme.
Stella sah fragend abwechselnd von Pats Schwestern zu ihren Kolleginnen, von denen erst aber niemand einen Ton sagte. „Kann mich vielleicht jemand aufklären?“, fragte sie.
„Ach, Pat ist mit dem Stripper nicht einverstanden, den wir gebucht haben, und jetzt macht sie ein Drama“, sagte Phoebe, Pats jüngere Schwester, während sie demonstrativ auf einem Kaugummi herumkaute wie eine patzige Siebenjährige.
„Nicht einverstanden?“
Pat drehte sich um und sah ihre Schwester aus funkelnden, nassen Augen an.
„Stella, die haben mir einen Callboy gebucht, keinen Stripper. Der Typ wollte mit mir schlafen. Er meinte sogar, wir könnten eine Live-Show draus machen, wenn meine Freundinnen zusehen wollen!“
Wieder begann Pat zu schluchzen und Stella musste sich ein Grinsen verkneifen. Für Pat, die tatsächlich noch etwas verstaubte Ansichten hatte, was Ehe und Beziehungen anging, musste es einem Weltuntergang gleichkommen, wenn ein Kerl ihr anbot, mit ihr Sex vor ihren Freundinnen zu haben. Pats Make-up, das sie sorgsam aufgetragen und wofür sie bestimmt eine halbe Ewigkeit gebraucht hatte, lief in dunklen Streifen ihr Gesicht hinab.
„Mein Gott, er hätte auch nur für dich getanzt, hat er doch gesagt“, warf Lori, Pats ältere Schwester, ein, die immer irgendwie gelangweilt und gar nicht bei der Sache wirkte.
„Richtig. Der Typ hat außerdem ein Vermögen gekostet – vorab. Und jetzt sitzt er dort hinten und säuft unsere Cocktails leer!“
Phoebe zeigte mit dem Finger auf eine Couch, auf der ein gut aussehender dunkelhaariger Typ in Anzughose und weißem Hemd saß und ziemlich fehl am Platz wirkte, so, wie er sich an seinem Cocktailglas festhielt.
Stella erinnerte sich daran, wie sie mit Pat ins Bad gegangen war und ihr geholfen hatte, die Tränen aus dem Gesicht zu wischen und ihr Make-up zu korrigieren. Seit sich die Idee, ihren Fünfunddreißiger ganz groß zu feiern, in Pats Kopf festgesetzt hatte, hatte sich das Fest von Tag zu Tag zu einer riesigen Party formiert. Mit Stripper, einem Krönchen und einer Schärpe, mit einer Limousine und einer Suite in einem teuren Hotel, in der Cocktails und Champagner nur so flossen. Als Stella sie jetzt weinend und enttäuscht vorm Badezimmerspiegel stehen sah, hatte sie Mitleid mit ihr. Pat nahm sich Dinge immer viel zu sehr zu Herzen, und so wie es jetzt aussah, standen alle Zeichen auf Sturm, dass die Geburtstagsparty, die so großartig hätte werden sollen, ins Wasser fiel. Stella hatte Pat wieder auf Vordermann gebracht, neues Make-up aufgelegt und die Spuren, die die Tränen auf ihrem Gesicht hinterlassen hatten, weggeschminkt. Schließlich hatte Pat sich doch wieder zu den anderen gesellt und sogar ihr Lächeln wiedergefunden. Stella selbst war hinaus auf den großzügigen Balkon gegangen, hatte eine Flasche Champagner und ein Glas mitgenommen und wollte ein paar Minuten dem Trubel, der sich drinnen abspielte, entrinnen. Die Mädels hatten gerade beschlossen, das dem Hotel angeschlossene Kasino unsicher zu machen, weil sie herausgefunden hatten, dass die Drinks kostenlos waren, solange man spielte. Stella selbst wollte nur noch ins Bett und nahm sich vor, nur mehr ganz kurz mit nach unten zu gehen. Würde sie sich jetzt abmelden, wäre das Pat gegenüber nicht fair, immerhin war sie kaum eine Stunde hier, weil der „König der Sportwagen“ das Meeting so derart überzogen hatte, dass sie erst viel zu spät aus Manhattan weggekommen war. Sie würde noch ein paar Augenblicke hierbleiben und dann gemeinsam mit den anderen auf eine Runde Roulette oder Blackjack nach unten gehen, vielleicht einen Drink nehmen und sich dann entschuldigen. Immerhin war sie wirklich hundemüde und hatte einen langen Tag hinter sich.
Sie hatte am Balkongeländer gestanden, in die Nacht und auf den Atlantik geblickt, der seine Ausläufer immer wieder als Gischt an den Strand sendete, als jemand hinter ihr „Hi“ sagte.
Sie drehte sich um und blickte in haselnussbraune Augen, die zu dem vermeintlichen Callboy gehörten, der eben noch drinnen auf der Couch gesessen und ziemlich fehl am Platz gewirkt hatte …
„Na, gut geschlafen?“
Stella schrak hoch und hätte beinahe laut aufgeschrien, als sich eine Männerhand von hinten um sie schlang, sich auf ihrem Bauch ablegte und sie zu dem Körper heranzog, der zu der Männerhand gehörte. Sie spürte straffe Bauchmuskeln, Brustmuskeln, und die Wärme, die von der Hand ausging, strömte durch ihren ganzen Körper. Stella drehte sich um und blickte in dieselben haselnussbraunen Augen wie am Vorabend auf dem Balkon.
„O mein Gott, o mein Gott, o mein Gott, o mein Gott, o mein Gott.“
Stella saß, zusammengesunken wie ein Häufchen Elend, auf dem Bett in Pats Suite, die immer noch ziemlich nach Party aussah, und hatte völlig die Fassung verloren. Nachdem sie festgestellt hatte, dass sie die Nacht mit dem Callboy verbracht hatte und nichts weiter als ihre Unterwäsche am Leib trug, war sie wie vom wilden Affen gebissen und ohne ein Wort zu sagen aus ihrem Zimmer und in Pats Suite gestürzt.
„Stella, beruhige dich doch erst einmal“, versuchte es Pat, die selbst noch nicht aussah wie das blühende Leben, „vielleicht ist ja gar nichts passiert!“ Pat gähnte. Den Ringen nach zu urteilen, die sich unter ihren Augen breitgemacht hatten, und dem Rest Make-up in ihrem Gesicht musste es bei den anderen ziemlich spät geworden sein.
Stella sah auf.
„Ach komm. Wir sind, nur in Unterwäsche und vermutlich mit einem im Tee im selben Bett aufgewacht. UND der Typ ist ein Callboy, der von deinen Schwestern bereits im Vorfeld bezahlt worden ist. Die Chancen, dass nichts passiert ist, sind ungefähr so hoch wie die, dass Miley Cyrus in einen Franziskanerorden eintritt.“
„Wenigstens haben meine Schwestern ihn dann nicht umsonst bezahlt“, konnte Pat es sich nicht verkneifen, erntete dafür aber einen bösen Blick ihrer besten Freundin. Stella war völlig aus dem Häuschen.
„O Gott … ich hatte einen One-Night-Stand. Mit einem Callboy. Und es hat noch nicht einmal viel dazu gebraucht. Bloß zwei Cocktails, einen harten Tag und ein hübsches Gesicht. O Gott … Ich bin eine Nutte.“
„Du bist doch keine Nutte“, sagte Pat. „Wenn überhaupt … ist er eine.“ Sie lachte.
Stella sank noch ein bisschen mehr auf dem Bett zusammen. Bislang hatte sie ihr Leben immer im Griff gehabt. Dinge, die sie plante, setzte sie für gewöhnlich durch. Niemals ließ sie sich zu etwas verleiten, was unüberlegt war und sie vielleicht in Schwierigkeiten bringen konnte. Und gerade in Sachen Liebe war sie besonders vorsichtig. Was auch an ihrem Exfreund George lag, der so ziemlich das größte Arschgesicht war, das auf dem Planeten herumlief.
„So schlimm ist das nun auch wieder nicht“, setzte Pat an. „Ich meine, du und George seid jetzt seit drei Monaten getrennt, richtig? Außerdem habe ich kürzlich gelesen, dass sich viele Karrierefrauen hin und wieder einen Callboy gönnen, weil es viel einfacher und unkomplizierter ist, als eine Beziehung aufzubauen.“
„So schlimm ist das nun auch wieder nicht?“
Stella sah ihre beste Freundin ungläubig an.
„Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein, oder? Ich habe mit einem Callboy geschlafen. Der vor mir schon Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Frauen hatte. Wenn das irgendjemand erfährt, bin ich das Gespött von ganz Manhattan.“
„Meine Güte, es ist eben passiert. Und es erfährt schon keiner. Wir beide sind die Einzigen, die davon wissen. Und selbst wenn, warum sollst du zum Gespött von ganz Manhattan werden? Du hattest einen harten Tag und es hat sich ganz einfach eben ergeben.“
„Pat, komm wieder zu dir. Es hat sich eben ergeben? Es hat sich eben ergeben, dass ich mir letzte Woche einen Song von Justin Bieber runtergeladen habe. Und es hat sich eben ergeben, dass ich mich letztes Jahr in diesem Fitnessstudio in der 32. Straße angemeldet habe, in dem ich nie war. Aber es kann sich nicht einfach so ergeben, dass ich mit einem fremden Mann in der Kiste lande bei der allerersten Gelegenheit, die sich mir bietet. Ich bin eine Nutte.“
„Du bist keine Nutte. Du hast eben einmal im Leben etwas getan, was du vorher nicht geplant hast. Du hast einmal im Leben die Kontrolle abgegeben. Das kann man als Erfahrung verbuchen.“
Stella sah ihre Freundin resigniert an. Pat konnte gut verstehen, wie Stella sich jetzt fühlte. Stella hatte ihr Leben von A bis Z durchgeplant und diesen Plan bislang auch durchgezogen. Sie arbeitete für eine bekannte Werbeagentur in New York und war vor Kurzem zur Senior-Kontakterin befördert worden. Sie leistete großartige Arbeit in ihrem Job und war, obwohl sie eine steile Karriere hinter sich hatte, eine warmherzige, liebevolle Person. Nur in der Liebe lief es für sie nicht gerade rosig. Mit Mitte zwanzig hatte sie ihren Exfreund George kennengelernt, der sich nach einigen Jahren aber als Kontrollfreak und Arschloch entpuppt hatte. Während Stella Karriere machte, gelang es George nicht, sich in seinem Job zu etablieren. Seit dem College arbeitete er als Projektleiter für ein kleines Unternehmen, das Rettungsboote für Kreuzfahrtschiffe baute. Er machte seit über zehn Jahren tagtäglich denselben Job und projizierte seine schlechte Laune deswegen mehr und mehr auf Stella. Irgendwann war er dazu übergegangen, persönlich zu werden. Mäkelte an ihrer Figur, an ihrem Aussehen, an ihrem Wesen und eigentlich an allem herum, was sie tat und wer sie war. Ab diesem Zeitpunkt war es eigentlich nur mehr eine Frage der Zeit gewesen, bis die beiden getrennte Wege gingen. Nach der Trennung von George hatte Stella sich geschworen, die Finger von Männern zu lassen und sich erst dann wieder auf einen zu konzentrieren, wenn sie sicher sein konnte, dass er es ernst meinte. Sie war nie der Typ Frau gewesen, der sich leichtfertig auf One-Night-Stands oder Affären einließ. Vor George hatte sie lediglich drei Männer im Bett gehabt, mit denen sie aber ebenfalls in festen Beziehungen gewesen war. Dass die Nacht mit dem Callboy sie jetzt in ihren Grundfesten erschütterte, war deshalb naheliegend.
„Aber vielleicht ist ja wirklich nicht ALLES gelaufen, vielleicht hast du nur mit ihm geknutscht“, versuchte Pat es wieder. „Hast du ihn denn gefragt? Was hast du gesagt?“
„Gar nichts“, sagte Stella. „Als ich seinen Arm gespürt und seine Stimme gehört habe, habe ich Reißaus genommen.“
Pat sah sie an.
„Das heißt, er ist immer noch in deinem Zimmer?“
„Weiß ich nicht. Kann sein.“
„Du musst nachsehen. Und ihn fragen, ob und was gelaufen ist.“
„Auf gar keinen Fall!“
„Warum nicht?“
„Ich kann doch da nicht rübergehen und fragen, ob wir miteinander geschlafen haben. Vielleicht noch, ob ich gut war und ob er Vorschläge hat, wie ich’s beim nächsten Mal besser machen kann? Eher würde ich im Erdboden versinken. Ich will diesen Typen am besten gar nicht mehr sehen, und wenn ich dafür in meiner Unterwäsche nach Hause fahren muss!“
„Dann frag ich ihn!“
Pat war aufgestanden und hatte sich ihr dunkelblondes schulterlanges Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
„Bist du verrückt geworden? Wir warten eine Weile, bis wir sichergehen können, dass er verschwunden ist. Dann hole ich mein Zeug und vergesse diese Angelegenheit am besten so schnell wie möglich wieder.“
Pat drehte sich um.
„Es wäre gut möglich, dass du es eines Tages bereust, wenn du die Sache jetzt nicht klärst.“
„Bereuen? Ich hatte käuflichen Sex mit einem Callboy. Mit einem Typen, der sein täglich Brot damit verdient, mit fremden Frauen ins Bett zu steigen. Ich denke nicht, dass ich es irgendwann bereue, diesen Kerl nicht nach allen Details auszufragen.“
Pat sah Stella an.
„Langsam bekomme ich Hunger. Wollen wir was frühstücken gehen?“
„Dir ist schon klar, dass ich nur in Unterwäsche vor dir stehe und gerade eine Krise habe, oder?“, fragte Stella.
„Mein Magen knurrt aber trotzdem.“ „Und ich fühle mich so schlecht, dass ich für den Rest meines Lebens überhaupt nichts mehr essen werde“, jammerte Stella.
„Vielleicht ist er unter der Dusche? Wir könnten zu deinem Zimmer schleichen, lauschen, ob wir Wasser laufen hören, und wenn ja, läufst du rein, holst dein Zeug und die Geschichte ist erledigt.“ „Ich wäre eher dafür, abzuwarten, bis er von sich aus verschwindet. Er wird ja nicht ewig in dem Zimmer bleiben.“ „Das werden wir aber auch nicht. Wir müssen um elf raus. Und jetzt ist es …“ Pat sah auf ihre Uhr. „Viertel nach zehn.“
„O mein Gott. Das heißt, mir bleibt gar nichts anderes übrig, als tatsächlich wieder rüberzugehen.“ Einmal mehr wünschte Stella sich, am Vorabend einfach abgesagt zu haben und zu Hause geblieben zu sein.
„Vielleicht ist er ja wirklich schon weg?“, versuchte es Pat. „Meinst du?“ „Immerhin bist du wie vom wilden Affen gebissen aus dem Zimmer geflüchtet, als du ihn gesehen hast. Das ist ja nicht gerade ein Kompliment für ihn.“
„Oder er wartet dort auf mich und macht sich über mein kindisches Getue lustig. Ich meine … wir haben miteinander geschlafen, und ich stürme aus dem Zimmer, als wir aufwachen.“
„Vielleicht will er eine zweite Runde einfordern“, neckte Pat Stella.
„Glaub ich kaum. Deine Schwestern haben ihn doch nur für eine Runde bezahlt, oder?“ Stella zwinkerte ihrer besten Freundin zu und fühlte sich schon etwas besser.
Wenig später schlichen Stella und Pat den Hotelflur entlang, als wären sie zwei Einbrecherinnen, die nicht erwischt werden wollten. Stella, immer noch nur in Unterwäsche, dafür aber mit einer Überdecke aus Pats Zimmer um sich selbst herumdrapiert, sodass sie aussah wie eine eigenwillige Superheldin mit Cape, schickte ein Stoßgebet nach dem anderen gen Himmel, dass nicht plötzlich die Tür aufging und der Callboy aus ihrem Zimmer oder der Putztrupp um die Ecke gebogen kam und sie in diesem schrägen Aufzug hier auf dem Flur vorfand.
Vor der Tür zu Stellas Zimmer blieben sie stehen.
„Sieh nach, ob er noch da ist“, sagte Stella.
„Willst du das nicht lieber selber tun?“, entgegnete Pat.
Stella schüttelte vehement den Kopf.
„Auf gar keinen Fall.“ Sollte der Callboy tatsächlich noch im Zimmer sein, würde Stella Reißaus nehmen, so schnell, wie sie nur konnte. Egal, ob sie ihre Klamotten, ihr Handy und ihre Brieftasche zurücklassen musste.
Pat griff nach dem Türknauf und drehte ihn so langsam und leise, als würde es um Leben und Tod gehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie die Tür endlich einen Spaltbreit geöffnet und steckte vorsichtig den Kopf hinein. Stella kamen die Sekunden vor wie Stunden. In ihrem Bauch kribbelte es, ihre Knie waren weich, und sie betete, dass der Callboy verschwunden war. Was sie zu ihm sagen würde, würde er immer noch in ihrem Zimmer sein, wusste sie nicht. Und überhaupt, was für eine merkwürdige Situation würde es wohl sein, wenn Pat mit im Zimmer war und „aufpasste“, während sie ihre Siebensachen zusammensuchte? Im nächsten Moment riss Pat die Tür auf und trat in das Zimmer. Stella folgte ihr und sah sich um.
„Er ist weg“, stellte sie fest und Stella fiel ein Stein vom Herzen.
Das Zimmer war tatsächlich leer, das Bett auf einer Seite gemacht. Die Seite, auf der Stella geschlafen hatte, war zerknüllt und zerknautscht und eines der Kissen lag auf dem Boden, doch das Bett selbst ließ keine Rückschlüsse darauf zu, dass jemand es sich mit ihr geteilt hatte. Und erst recht nicht, dass eine wilde Nacht darin stattgefunden hatte. Stellas Klamotten lagen ordentlich gefaltet über der Lehne eines Stuhles, neben dem auch ihre Reisetasche stand. Ein weiteres Indiz dafür, dass sie in der letzten Nacht keinen Sex gehabt hatte. Wer würde schon in einem Anflug von Leidenschaft seine Klamotten ordentlich zusammenlegen und sie über eine Stuhllehne hängen? Von einem Mann war weit und breit nichts zu sehen.
„Er ist weg“, stellte Stella nun ebenfalls verblüfft fest. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder sauer sein sollte, dass der Mistkerl einfach so ohne ein Wort oder eine Nachricht zu hinterlassen verschwunden war. Andererseits: Callboys hinterließen für gewöhnlich keine Nachrichten, oder?
Pat ging einige Schritte ins Zimmer hinein und drehte sich um die eigene Achse.
„Bist du sicher, dass er überhaupt da war?“, fragte sie. „Das Bett sieht irgendwie nicht nach einer heißen Liebesnacht aus.“
„Natürlich. Glaubst du, ich hab mir das nur eingebildet?“
Stella öffnete die Badezimmertür und den Wandschrank und kam sich unsagbar dämlich dabei vor. Die Dusche war unbenutzt und die Handtücher lagen, knochentrocken und gefaltet, auf dem Waschtisch.
„Im Schrank sitzt er schon mal nicht“, sagte Pat. Stella sah sie an. War es wirklich möglich, dass sie sich das alles nur eingebildet hatte? Hatte sie vielleicht eine Art Wachtraum gehabt? Waren Traumelemente, kurz nachdem sie aufgewacht war, mit in die Wirklichkeit geschwappt und hatten ihr diesen Streich gespielt? Konnte so was überhaupt möglich sein und wenn ja, konnte es sich tatsächlich so real anfühlen?
„Na ja, immerhin sind gestern mehrere Cocktails geflossen. Und Shauni aus meinem Büro hatte diese kleinen Absinth-Fläschchen dabei, von denen du auch zwei oder drei getrunken hast. Vielleicht … hast du dir das alles wirklich nur eingebildet. Ich meine, irgendwo mal gehört zu haben, dass Absinth Halluzinationen hervorruft. Oder es war ein unglaublich realer Traum. Du hast dich gestern eine ganze Weile lang mit dem Typen unterhalten, aber mehr auch nicht. Vielleicht hat dir dein Gehirn einen Streich gespielt. Der stressige Tag, deine Mutter mit der Hochzeit, der Alkohol und dann dieser attraktive, nette Typ, der obendrein auch noch Callboy ist. Vielleicht war das alles ein Hirngespinst.“
„Hältst du mich für so verrückt, dass ich nicht unterscheiden kann, was Realität und was Einbildung ist?“, fragte Stella. Sie musste allerdings zugeben, dass Pat Recht haben könnte. Immerhin war sie kaum fünfzehn Minuten nicht in ihrem Zimmer gewesen, sie hatten einige Zeit auf dem Hotelflur herumgestanden und hatten sich eine halbe Ewigkeit darum herumgedrückt, die Tür zu öffnen. Hätte der Callboy es also tatsächlich schaffen können, in dieser kurzen Zeit aufzustehen, das Bett zu machen, sich anzuziehen, Stellas Kram über die Stuhllehne zu hängen und sämtliche Beweise für seinen Aufenthalt in ihrem Zimmer zu beseitigen? Sie hätten ihn dann doch zumindest auf dem Flur oder vorn bei den Aufzügen warten sehen müssen, oder etwa nicht? So wie es aussah, war er genauso überstürzt aus dem Zimmer getürmt wie Stella selbst.
„Natürlich nicht“, entgegnete Pat, „aber der Typ scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein.“
Stella setzte sich auf das Bett, dessen linke Seite so aussah, als hätte noch nie jemand darin geschlafen.
„Ich habe mir das doch nicht einfach nur eingebildet“, sagte sie.
„Vielleicht ist er abgehauen. Ich meine, der Typ ist Callboy, der hätte die Nacht gar nicht hier verbringen dürfen. Für gewöhnlich suchen die das Weite, sobald ihr … Job … erledigt ist.“
Stella rollte mit den Augen.
„Oder vielleicht habe ich doch einfach nur zu viel getrunken gestern Abend“, sagte sie, obwohl sie genau wusste, dass das nicht stimmte. Klar, sie hatte zwei Cocktails, etwas Champagner und zwei dieser kleinen Absinth-Fläschchen getrunken, und ja, sie hatte sich mit Jeremy, so hieß der Callboy, über ihren Job unterhalten. Sie hatte Jeremy von dem Deal mit dem Sportwagenhändler erzählt und davon, dass ihre Schwester bald heiratete, und er hatte ihr erzählt, dass er zwar einen Abschluss in Architektur an der Columbia gemacht hatte, jedoch mit seinen Einnahmen als Callboy mehr verdiente als in dem Job, den er studiert hatte. Sie erinnerte sich, dass er erwähnt hatte, dass er in Boston aufgewachsen war und dass sie sich über ihre Lieblingssorten Champagner unterhalten hatten. An etwas Körperliches konnte Stella sich nicht erinnern, allerdings hatte sie auch sonst keine anderen Erinnerungen an den weiteren Abend. Das Letzte, was sie wusste, war, dass sie und Jeremy auf den Loungemöbeln auf dem Balkon gesessen, auf den Ozean geblickt und Piña Colada getrunken hatten.
Drei Stunden später stiegen Stella und Pat in Stellas Audi und machten sich auf den Weg zurück nach Manhattan. Die beiden hatten mit dem Rest von Pats Geburtstagshaufen gefrühstückt, danach ihre Sachen gepackt und ausgecheckt, und obwohl Stella den einen oder anderen verstohlenen Blick auf die anderen Hotelgäste geworfen hatte, hatte sie Jeremy nicht darunter entdecken können, was ja auch verrückt war. Der Typ war Callboy, der würde sich bestimmt nicht auch noch in dem Hotel ein Zimmer nehmen, in dem eine seiner „Kundinnen“ nächtigte. Bestimmt lebte er hier irgendwo in der Nähe. Atlantic City war immerhin eine Hochburg, was Partys und Feiern betraf. Vermutlich hatte er hier irgendwo ein kleines Appartement und ging in diesem – und anderen – Hotels ein und aus. Gut möglich, dass er in wenigen Stunden bereits wieder hier im Seaside Inn gebucht war und das nächste Zimmer mit einer neuen Kundin unsicher machte. Ihr wurde übel, wenn sie daran dachte, die wievielte Nummer sie in seiner langen Liste an Frauen sein musste, mit denen er im Bett gewesen war. Stella wurde unwohl. Sie wusste zwar nicht sicher, ob und was zwischen ihr und Jeremy gelaufen war, doch jetzt, da sie auf dem Weg nach Hause war, fühlte sie sich seltsam. Die drei Kerle, mit denen sie bislang geschlafen hatte, hatte sie „danach“ immer wieder gesehen. Es waren feste Beziehungen gewesen, die auf Ehrlichkeit und Vertrauen aufgebaut hatten. Und … es waren Gefühle von beiden Seiten vorhanden gewesen – sogar bei George, der sich erst im Laufe der Zeit zu einem Arschgesicht entwickelt hatte. Diese Sache hier war merkwürdig. Man war sich so nah … und doch war man sich derart egal, dass der eine einfach so und ohne ein Wort verschwand – nachdem die andere wie verrückt aus dem Zimmer geflohen war.
„Weißt du, was ich seltsam finde?“
Pat riss Stella aus ihren Gedanken, als sie den Garden State Parkway bereits eine Weile entlangfuhren.
„Was?“
„Dass der Typ bei dir übernachtet hat.“
Stella sog die Luft scharf zwischen ihren Zähnen ein.
„Pat, wir wissen doch gar nicht …“ Sie fügte den Nachsatz „ob er überhaupt wirklich oder nur in meiner Fantasie existiert“ in ihren Gedanken hinzu.
„Sicher wissen wir’s. Wir wissen beide, dass du dir das nicht ausgedacht hast.“
„Vielleicht doch. Ich habe gestern kaum was gegessen, der Tag war unglaublich stressig und dann der Champagner, diese Cocktails und die kleinen Absinth-Fläschchen, die ich runtergekippt habe wie Wasser, wer weiß also …“
„Ihr habt euch den ganzen Abend über unterhalten, ich habe euch beobachtet. Das ist schon ein Indiz dafür, dass ihr euch sympathisch wart. Es gab da eine gewisse Chemie zwischen euch, das kann man nicht leugnen.“
„Das bedeutet gar nichts. Ich unterhalte mich auch oft mit dem fetten Kerl, der vor unserem Büro Hotdogs verkauft. Das heißt noch lange nicht, dass ich mit ihm in der Kiste lande. Und außerdem wäre der Typ in seinem Job bestimmt ziemlich übel, wenn es ihm nicht gelingen würde, mit den Frauen auch so gut auszukommen.“
„Aber … der Typ gestern … Jeremy … schien dir gutzutun. Du hast gewirkt, als würdest du dich wohlfühlen. Nicht so genervt und verspannt wie früher bei George immer.“
„Ich bitte dich. Ich hatte zu viel getrunken, mit einem attraktiven Mann geflirtet und mich unterhalten. Ich glaube, so etwas ist nicht mit einem Besuch beim Zahnarzt zu vergleichen.“
„Ich finde trotzdem, dass du unglaublich locker und glücklich gewirkt hast.“ Pat ließ nicht locker. „Vielleicht hättest du ihn nach seiner Nummer fragen sollen.“ „Wozu das denn? Um ihn mir noch einmal zu mieten, falls mir mal wieder einsam ums Herz sein sollte?“ Stella schüttelte den Kopf.
„Na ja, ich meine …“ Pat sprach nicht weiter.
„Ich hatte zu viel getrunken“, sagte Stella eindringlich.
„Und dennoch ist es seltsam, dass Jeremy – gesetzt den Fall, es ist etwas zwischen euch gelaufen – bei dir übernachtet hat.“
„Du meinst, weil er ein Callboy ist und die normalerweise nie über Nacht bleiben?“
Stella schmunzelte.
„Bingo. Normalerweise sind die doch, gleich nachdem sie ihren Job zu Ende gebracht haben, wieder weg. Jeremy blieb. Vielleicht … will er mehr von dir.“
„Pat, du bist ja verrückt. Zum einen ist noch nicht einmal sicher, ob wir überhaupt miteinander im Bett gelandet sind. Zum anderen hatte er genauso viele Cocktails wie ich, vermutlich noch einige mehr, bestimmt war er nur müde und wollte nicht mehr fahren.“ Als Stella all den Alkohol Revue passieren ließ, stellte sie sich obendrein die Frage, ob jemand, der doch so einiges an Champagner und Cocktails intus hatte, überhaupt noch in der Lage war, zu …
„Ja, weil du ihn so ausgepowert hast“, prustete Pat los. „Jedenfalls … ist es was Besonderes.“ „Wenn du meinst“, sagte Stella, die Pats Gedankengang zwar kurz nachvollziehen konnte, ihn dann aber gleich wieder verwarf, weil alles, was mit diesem Callboy zu tun hatte, unrealistisch war. Er hatte einfach grenzgenial gut ausgesehen, und sie hatte es genossen, die Aufmerksamkeit eines so attraktiven Mannes auf sich zu ziehen. Zu bemerken, wie interessiert er an ihr war, auch, wenn ihr – zu Anfang zumindest – noch bewusst war, dass er das nur tat, weil er fürstlich dafür entlohnt worden war. Niemals im Leben hätte der Typ aus freien Stücken bei ihr übernachtet, wenn es nicht unbedingt nötig gewesen war. Er hätte jede andere hier auf Pats Fest haben können. Niemals hätte er sich da einfach so für eine wie sie entschieden, das war ihr klar. Das hatte George ihr im Laufe ihrer Beziehung mehr und mehr eingebläut, und auch wenn sie wusste, dass George ein Arsch war, so hatten sich seine Vorwürfe so tief in Stella manifestiert, dass sie gerade in einer Situation wie der jetzigen damit zu kämpfen hatte. George hatte während ihrer Beziehung ganze Arbeit geleistet, was es betraf, Stellas Selbstbewusstsein in den Keller zu fahren. Nicht selten hatte er ihr vorgeworfen, sie sei hässlich und fett und kein anderer würde sie jemals auch nur mit der Kneifzange anfassen. Stella hatte mit diesen Vorwürfen immer schon entsprechend umgehen können. Sie blendete sie einfach aus, sagte sich, George meinte sie nicht so, dass er nur ein Ventil brauchte, um seinen anstrengenden Arbeitstag zu überstehen, dass er eben einfach mit dem falschen Fuß aufgestanden war. Und dennoch hatten sich die Beleidigungen ihr Aussehen betreffend tief in ihr Bewusstsein gefressen, auch wenn sie es niemandem zeigte. Niemals im Leben hätte sie auch nur gewagt, anzunehmen, dass ein Mann wie Jeremy „mehr“ von ihr wollen könnte. Vielleicht hatte er bloß ein schlechtes Gewissen, weil er von den Mädels bezahlt worden war. Vielleicht wollte er seinen Job einfach erledigen, egal mit wem. Oder vielleicht hatte er Mitleid mit Stella gehabt, die ihm von George, von der Hochzeit ihrer Schwester und von ihrer nervigen Mutter erzählt hatte, die ihr ständig damit in den Ohren lag, noch nicht verheiratet zu sein.
„Du solltest dir trotzdem keine Hoffnungen machen, dass du hier die umgekehrte Version von Pretty Woman hautnah miterlebst“, sagte sie schließlich und lächelte.
„O Mum, ich kann es gar nicht erwarten. Die Hochzeit wird einfach großartig. Ich denke schon seit Wochen an nichts anderes mehr. Ich kann mich nicht konzentrieren, ich gehe in Gedanken immer und immer wieder den Ablauf durch, ich bin absolut nicht ich selbst.“ Stellas Schwester Jennifer kam aus dem Schwärmen nicht mehr heraus.
„Und wir können wirklich diese kleinen Partnertörtchen bestellen? Billig sind sie ja nicht gerade.“ „Könnte ich meiner Tochter einen Wunsch zu ihrer Hochzeit abschlagen?“
Angela Grayson lächelte liebevoll.
„Du findest sie doch auch gut, oder, Stella?“ „Köstlich.“ Stella schob sich noch eines der kleinen Törtchen, die kunstvoll verziert waren und eine Offenbarung in Sachen Geschmack darstellten, in den Mund. An sich fand sie es viel zu schade, solche kleinen Kunstwerke überhaupt zum Verzehr anzubieten. Die Törtchen waren mit kleinen 3-D-Elementen aus Zuckerguss aufgehübscht, die man mit Hochzeit, Ehe und Liebe in Verbindung brachte. Es musste ein unglaublicher Aufwand sein, sie herzustellen, erst recht, wenn man bedachte, dass sie innerhalb weniger Sekunden verputzt waren.
„Wie war überhaupt Patricias Geburtstagsfeier in Atlantic City?“, wandte Angela sich nun an Stella.
„Großartig. Etwas turbulent zwar, aber alles in allem sehr gelungen.“ Stella verzichtete darauf, ihrer Mutter von dem Callboy zu erzählen.
„Habt ihr Roulette gespielt?“, wollte Jennifer wissen.
„Wir waren ganz kurz in der Spielhalle. Aber ich war so hundemüde, dass ich ziemlich bald ins Bett gegangen bin. Der Tag im Büro war total hektisch.“
„Und hast du jemanden kennengelernt?“, fragte Angela. Stella rollte mit den Augen.
„Nein, Mum, ich habe niemanden kennengelernt, das war ein Abend für Frauen“, antwortete Stella und setzte in Gedanken hinzu: „Bis auf den Callboy, mit dem ich im Bett gelandet und am nächsten Morgen aufgewacht bin und bei dem es durchaus möglich ist, dass wir heißen Sex miteinander hatten, woran ich mich aber nicht erinnern kann, weil ich zu betrunken gewesen bin.“
„Aber deshalb gibt es doch in Atlantic City trotzdem Männer. Männer, die nicht zu Patricias Party eingeladen waren.“ „Richtig. Aber es ist nun mal nicht so ganz mein Ding, mich an fremde Typen zu klammern, die keinen Ring am Finger haben, weißt du?“, sagte Stella und schob sich noch ein Törtchen in den Mund.
„Stella, du solltest nicht zu maßlos zulangen bei diesen Törtchen. Gerade in deiner Situation ist es wichtig, etwas auf sich zu achten.“ Stella sah ihre Mutter fragend an.
„In meiner Situation?“ „Dein Gewicht. Du bist Single, mein Kind, in deinen Dreißigern, und du kennst kein Halten bei Süßigkeiten. Wie sollen wir dich denn jemals an den Mann bringen, wenn du ohne Grenzen Törtchen in dich hineinstopfst? Du willst doch nicht so werden wie Cousine Molly, oder?“ „Der Mann, der mich wegen meiner Törtchenleidenschaft ablehnt, ist ohnehin nicht der Richtige für mich. Und Cousine Molly liegt den ganzen Tag auf der Couch herum, stopft Süßkram und Kartoffelchips in sich hinein und hält nicht viel von Bewegung. Außerdem ist Molly verheiratet. Das heißt vielleicht, wenn du mich an den Mann bringen willst, sollte ich noch etwas an Gewicht zulegen.