Traumtänzer - Marie Louise Fischer - E-Book
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Marie Louise Fischer

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Beschreibung

Es ist Liebe auf den ersten Blick bei Monika und Oliver. Doch Monika ist bereits einem anderen Mann versprochen, und ihre Mutter versucht mit allen Mitteln, das Glück der Tochter zu zerstören. Für ihre Liebe ist Monika bereit, alles aufzugeben – ihre Familie, ihre Heimat und ihren Job. Die Beziehung des jungen Paars wird rasch auf eine harte Probe gestellt, als Oliver seine Arbeit verliert. Wird die Liebe der beiden stark genug sein, um alle Widerstände zu überwinden?

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Marie Louise Fischer

Traumtänzer

Roman

Monika Stuffer saß auf einem Bretterstapel hinter der flach gestreckten Fabrikhalle, hatte den weiten Leinenrock bis zum Ansatz ihres Höschens hochgeschoben, die Ärmel aufgekrempelt und hielt ihr junges Gesicht der Frühjahrssonne entgegen. Dabei biss sie kräftig in einen grünen Apfel.

Dieser Apfel und ein Knäckebrot waren ihre Mittagsmahlzeit. Bis vor vier Monaten, als ihr Vater noch lebte, war sie immer mit ihm nach Hause gefahren, wo die Mutter mit dem Essen auf sie gewartet hatte. Aber seit seinem Tod hatte sich das geändert. Sie wohnten auf dem Berg, fünf Kilometer oberhalb der Fabrik und der Autobahn, eine Strecke, die hin und zurück in anderthalb Stunden zu Fuß oder mit dem Rad nicht zu bewältigen war. Das Mofa musste sie mit ihrer älteren Schwester teilen, die es meist für sich in Anspruch nahm. Sich mit Gabriele auseinanderzusetzen, hatte keinen Zweck, denn sie fühlte sich zu sehr überlegen. Vielleicht war sie es ja auch, musste Monika zugeben, denn während sie selber mit einem Abschluss der mittleren Reife von einer Handelsschule abgegangen war, besuchte Gabriele das Gymnasium in Rosenheim.

Monika musste, wie immer, eine leise Eifersucht unterdrücken, wenn sie an die Schwester dachte. »Was soll’s?«, versuchte sie sich zu trösten. »Kann ja sein, dass sie wirklich klüger ist als ich, aber ich verdiene schon seit fast zwei Jahren, und wann sie das erste Geld an Land zieht, steht ja noch in den Sternen!«

Während Gabriele ganz davon in Anspruch genommen wurde, sich auf das Abitur vorzubereiten, büffelte sie jetzt für den Führerschein und war entschlossen, ihn mit achtzehn in der Tasche zu haben.

Sie hatte genug gespart, um sich dann ein Auto leisten zu können, natürlich gebraucht. Das würde sie aber nicht mit der Schwester teilen, schwor sie sich, fürchtete aber doch, dass es anders kommen würde.

Monika hatte den Apfel aufgegessen, mitsamt dem Butzen, schnellte den Stiel fort und verzehrte ihr Knäckebrot. Natürlich wurde sie nicht satt davon, aber das war nur gut so. Sie war froh, dass sie seit dem Weglassen des regulären Mittagessens einige Pfunde losgeworden war. Früher hatte sie sich allzu pummelig gefunden, jetzt aber konnte sie mit ihrer Figur zufrieden sein. Zum Glück war sie groß, gute 1,76, das war auch etwas, das sie Gabriele voraushatte.

Zu dumm, dass sie sich dauernd mit Gabriele vergleichen musste! Warum nur? Sie wusste die Antwort: Gabriele war immer Vaters Liebling gewesen, sein ganzer Stolz. Sie, Monika, hatte immer nur die zweite Geige gespielt. Ob Mutter auch so fühlte? Das war schwer zu sagen. Jedenfalls hatte sie sich immer Mühe gegeben, gerecht zu sein und ihre Liebe gleichmäßig zu verteilen. Vielleicht war sie aber auch nur deshalb ein bisschen netter zu ihr gewesen, weil sie beim Vater immer zu kurz gekommen war. Jedenfalls kümmerte auch sie sich jetzt viel mehr um Gabriele, so als hätte ihr, Monika, Vaters Tod viel weniger ausgemacht.

Aber das war gar nicht wahr. Ihr hatte er ja nicht nur zu Hause, sondern auch in der Firma gefehlt. Sie war doch ganz darauf eingestellt gewesen, sich nach seinen Anweisungen zu richten. Von heute auf morgen hatte sie sich gezwungen gesehen, selbstständig zu werden, denn Sepp Mayr war zwar ein erstklassiger Schreinermeister, aber bis dahin hatte er mit dem ganzen Bürokram gar nichts zu tun gehabt und musste sich selber erst einarbeiten.

Der gute Sepp! Monika wurde es warm ums Herz, wenn sie an ihn dachte. Welch ein Glück, dass Vater ihn vor zwei Jahren in den Betrieb genommen hatte! Ihnen wäre bestimmt bei Vaters plötzlichem Tod alles über den Kopf gewachsen, wenn Sepp ihnen nicht zur Seite gestanden hätte. Sie war ihm so dankbar, und sie wusste, Mutter war es auch. Nur Gabriele wusste ihn natürlich nicht zu schätzen und glaubte, auf ihn herabsehen zu können, weil er nur ein Handwerker war. Aber was war Vater denn mehr gewesen, auch wenn er die Fabrik aufgemacht hatte? Auch nur – und Monika dachte das »nur« in Anführungszeichen – ein Schreinermeister. Aber in Gabrieles Augen war er nicht sensibel genug, ihren Schmerz zu verstehen. Ihm fehlte die »höhere Bildung«. Wer nicht Klavier spielte und keine Lateinkenntnisse besaß, war für sie ein Mensch zweiter Klasse.

Unwillkürlich lachte Monika auf. Das war doch zu komisch! Nein, eigentlich war es sogar dumm. Vielleicht war Gabriele trotz ihrer guten Noten gar nicht so klug, wie sie selber glaubte.

Im Hof ertönte eine Autohupe.

Monika blickte auf ihre Armbanduhr; noch eine halbe Stunde Mittagspause. Möglicherweise war Sepp schon zurück, aber er hätte nicht gehupt, sondern wäre einfach in sein Büro gegangen. Niemand, der sich hier auskannte, würde hupen. Also konnte es sich nur um einen Fremden handeln.

Warum sollte sie sich stören lassen? Sie beschloss, ihn zu ignorieren, und schloss sogar die Augen.

Aber da ertönte wieder ein Hupsignal, diesmal von einer jener italienischen Dreiklanghupen, wie sie in Deutschland verboten sind.

Jetzt wurde Monika doch neugierig. Sie sprang vom Holzstoß, krempelte die Ärmel herunter und lief um das Gebäude herum. Auf dem Hof stand ein kleines rotes Cabriolet mit offenem Verdeck und Münchner Nummer. »Ein Auto zum Verlieben!«, war Monikas erster Gedanke.

Dann erst richtete sich ihr Interesse auf den Fahrer, der neben dem Auto stand, noch einmal hineinjagte und kräftig auf die Dreiklanghupe drückte. Er war schlank, feingliedrig, fast zierlich, hatte braune Locken und war in einem grauen Flanellanzug, wie Monika fand, fast ein wenig zu korrekt und elegant gekleidet. Immerhin trug er das hellblaue Hemd offen und ohne Krawatte.

»Grüß Gott!«, sagte sie, näher kommend.

»Wieso lässt sich denn kein Mensch hier blicken?«, rief er ungeduldig.

»Bin ich etwa kein Mensch?«, entgegnete sie schnippisch.

Es war, als sähe er sie erst jetzt; er musterte sie intensiv von den Füßen, die in roten Sandaletten steckten, über die langen, schlanken, braun gebrannten Beine, die schmale Taille, den festen runden Busen, den kräftigen Hals, der aus der weißen Rüschenbluse stieg, bis in das frische Gesicht. »O doch«, gab er lächelnd zu, »und was für ein Prachtexemplar!«

Sie ärgerte sich, dass sie unter seinem Blick errötete, und wusste nicht sogleich etwas zu erwidern.

»Aber warum haben Sie sich erst so lange locken lassen?«, fuhr er fort.

»Mittagspause!«, erklärte sie lakonisch.

»Und da macht der ganze Betrieb dicht?«

»Ja. Die Leute wohnen hier so nahe, dass sie zum Essen nach Hause gehen!«, erklärte sie und fügte, als ihr bewusst wurde, dass diese Aussage nicht ganz wahrheitsgemäß war, hinzu: »Oder fahren.«

»Und was machen Sie dann hier?«

»Für mich lohnt es sich nicht. Ich habe in der Sonne gesessen. Aber eigentlich geht Sie das gar nichts an.«

Er lachte und in der braunen Iris seiner Augen funkelten helle grüne Pünktchen. »Dann muss ich mich wohl ganz besonders für Ihre Liebenswürdigkeit bedanken.«

»Hören Sie auf, mich zu verarschen!«

»Das liegt nicht in meiner Absicht!«

»Was wollen Sie eigentlich?«

»Ich habe ein Date …« Er verbesserte sich, als befürchtete er, sie könnte ihn nicht verstehen: »Eine geschäftliche Besprechung mit Ihrem Chef!«

»Aber bestimmt nicht um diese Zeit.«

Er zog ein Notizbuch aus der Innentasche seines Jacketts und blätterte es auf. »Sie haben recht. Um zwei Uhr.«

Monikas runde blaue Augen verengten sich ein wenig. »Dann kommen Sie von der Firma ›Arnold und Corf‹.«

»Erraten, schönes Kind.«

»So was brauche ich nicht zu erraten. Ich weiß es. Ich bin die Sekretärin des Chefs. Ich mache auch die Termine.«

»Donner!«, rief er.

Sie wusste nicht recht, ob er beeindruckt oder nur belustigt war. Er wirkte dauernd irgendwie belustigt. Aber vielleicht lag das nur daran, dass er, obwohl sein Gesicht sonnengebräunt war, einige noch dunklere Sommersprossen auf dem Nasenrücken hatte.

»Zu früh gekommen«, erklärte sie lehrhaft, »ist auch unpünktlich. Der Chef liebt so was gar nicht.«

»Sagen Sie das nicht! Im Allgemeinen haben die Herren es gern, wenn man auf sie wartet.«

»Herr Mayr jedenfalls nicht.«

»Wo steckt er denn? Auch beim Mittagessen? Vielleicht könnten Sie ihn schonend darauf vorbereiten, dass ich schon da bin.«

»Auf einer Baustelle. Oder unterwegs.«

»Dann können Sie ihn also nicht erreichen?«

»Doch«, entgegnete sie nicht ohne Stolz, »er hat ein Autotelefon.«

»So weit hab’ ich es noch nicht gebracht«, stellte er bedauernd fest.

»Aber Sie haben ein tolles Auto!« Sie streichelte das Cabriolet mit einem bewundernden Blick. »Ist das ein Firmenwagen?«

»Nein. Bei so einem Prachtwetter fahre ich lieber mit meinem eigenen.«

»Ist er sehr schnell?«

»Wollen Sie ihn mal probieren?«

»Ich hab’ noch keinen Führerschein«, bekannte Monika bedauernd.

»Noch nie am Steuer gesessen?«

»Doch. Schon. Ich habe Fahrstunden.«

»Also dann, worauf warten Sie? Hier im Hof können Sie doch eine Runde drehen. Das kann Ihnen niemand verbieten.« Einladend öffnete er die Wagentür.

Monika konnte der Versuchung nicht widerstehen; sie rutschte auf den Sitz. Er flankte von der anderen Seite in das Auto. Der Zündschlüssel steckte. Monika kuppelte, legte mit einigen Schwierigkeiten den ersten Gang ein und gab Gas. Fast im Schritttempo fuhren sie drei Runden durch den Hof.

»Das klappt ja wunderbar!«, rief er begeistert.

Sie hatte ganz rote Wangen bekommen. »Ein herrliches Gefühl!«

»Jetzt legen Sie mal den zweiten Gang ein! Er liegt ein Stück weiter hinten … ja, so ist’s recht!«

»Ich werde zu schnell!«

»Dann fahren Sie raus!«

Glücklich lenkte Monika das Cabriolet durch die Ausfahrt, vorbei an mächtigen Bretterstapeln, und stoppte am Straßenrand. Weder von links noch von rechts kam ein anderes Auto. Aber als sie wieder anfahren wollte, zog der Motor nicht.

»Oh, verdammt!«, sagte sie bestürzt.

»Kein Grund zur Aufregung!«, tröstete er sie. »Sie haben vergessen zu schalten. Also noch einmal ganz von vorn … erster Gang!«

Monika schaffte die Linkskurve, blieb einige Hundert Meter auf der Hauptstraße und bog dann ab. »Das ist ein Wirtschaftsweg!«, rief sie ihrem Begleiter zu. »Der führt nur zu einer Baumschule … und zu einem Bauernhof! Da kann kaum was passieren!«

»Bisschen eng«, meinte er skeptisch.

Tatsächlich war die Straße so schmal, dass zwei Autos nicht aneinander vorbei konnten. Aber Monika, die hier oft mit dem Mofa gefahren war, fühlte sich ganz sicher.

»Es macht unheimlich Spaß!«, rief sie.

Er beobachtete sie von der Seite, das klare Profil mit der leicht stupsigen Nase, die vollen Lippen, die sie jetzt vor Eifer aufeinanderpresste, die runde Stirn, aus der sie das blonde Haar zurückgebürstet und zu einem dick geflochtenen Zopf gebunden hatte, der ihr fast bis in die Taille fiel. »Man sieht’s Ihnen an!«, sagte er und strich ihr eine kleine Locke, die sich gelöst hatte, mit einer zärtlichen Geste aus der Stirn.

»Oh, nicht! Bitte, nicht! Sie irritieren mich!«

Erst in diesem Augenblick gewahrten beide den kleinen Lieferwagen, der genau auf sie zukam.

»Stopp!«, rief er. »Gas weg! Zieh die Handbremse!«

Auch der Lieferwagen hatte einen knappen Meter vor ihnen abgebremst. Das Fenster wurde herabgekurbelt, und eine alte Frau mit verwittertem Gesicht, ein Tuch um das graue Haar gebunden, streckte den Kopf heraus. Sie fluchte herzhaft. Dann, als sie die Fahrerin erkannte, fügte sie etwas milder hinzu: »Ach, du bist’s, Monika! Wusste ja gar nicht, dass du schon den Führerschein hast!«

»Entschuldige, Tante Anna! Ich habe wohl nicht aufgepasst!«

»Scheint mir auch so! Drei Meter hinter dir ist die Ausweichstelle! Ist das dein Auto?«

»Leider nicht.«

»Seien Sie nicht böse, gute Frau!«, mischte er sich ein. »Aller Anfang ist schwer.«

»Wer nicht fahren kann, sollte es lieber lassen! So was ist ja gemeingefährlich!«

»Fahren Sie zurück!«, bat er.

»Wieso ich?«, brummte die alte Frau. »Die Ausweichstelle …«

Er fiel ihr ins Wort. »Kennen Sie denn die Straßenverkehrsordnung nicht? Wer am Berg von oben kommt, muss zurück!«

»Unverschämt san’s, die jungen Leut’ von heut’!«, schimpfte die Alte, ließ aber doch den Motor an, wandte das Gesicht nach hinten und setzte ihren Lieferwagen zurück.

»Jetzt ist sie wütend«, stöhnte Monika.

»Mach dir nichts draus! Erstens sind wir im Recht, und zweitens hättest du es unmöglich geschafft, bei all der Aufregung den Rückwärtsgang zu finden!«

»Stimmt schon«, gab sie zu, »aber wie kommen Sie eigentlich dazu, mich zu duzen, wo ich noch nicht mal Ihren Namen kenne?«

»Oliver Baron, Betonung auf der ersten Silbe! Aber sag einfach Oliver zu mir und duz mich zurück!«

»Jetzt muss ich erst mal sehen, wie ich hier von der Stelle komme!«

»Anfahren am Berg! Noch nie geübt?«

»Im letzten Moment die Handbremse lösen, ja?«

»Ganz richtig! Mach’s, wie du es in der Fahrschule gelernt hast! Du hast Zeit. Deine Tante muss erst ein gutes Stück hinauf.«

»Sie ist nicht meine Tante«, sagte Monika und mühte sich, den Motor wieder in Gang zu bringen und anzufahren, ohne zurückzurollen, »ich nenn’ sie nur so.«

»Aha!«

»Geschafft!« Monika atmete auf, als sie weiter den Berg hinauffuhren; sie lächelte versöhnlich in Richtung der alten Frau, als sie den Lieferwagen passierten, wagte aber nicht die Hand vom Steuer zu nehmen und ihr zuzuwinken, wie sie es am liebsten getan hätte.

Auch Oliver lächelte und machte eine Geste der Dankbarkeit. »Jetzt müssen wir aber bald umkehren«, sagte er.

»Das geht erst bei der Baumschule!« Nun, da die Aufregung überwunden war, fuhr sie mit größerer Sicherheit. »Mit dem Duzen, das habe ich mir inzwischen überlegt. Es geht nicht!«

»Und warum denn nicht? Ich bin zwar ein paar Jährchen älter als du …«

»Wie alt?«, unterbrach sie ihn.

Er grinste. »Vierundzwanzig. Nicht verlobt und nicht verheiratet.«

»Das hatte ich gar nicht wissen wollen!«, protestierte sie.

»Ich hab’s dir freiwillig gesagt. Und was ist mit dir? Bist du schon in festen Händen?«

Das war eine schwierige Frage. Monika musste überlegen, bevor sie antwortete. Es war noch niemals ganz deutlich ausgesprochen worden, aber sie wusste, dass Sepp Mayr sie heiraten wollte. Das wäre auch ganz im Sinn ihrer Mutter gewesen, eine praktische Lösung, die einige der Probleme, die durch den Tod ihres Vaters entstanden waren, gelöst hätte. Sie mochte Sepp und konnte es sich gut vorstellen, seine Frau zu werden – nicht so schnell, aber doch in zwei, drei Jahren. Aber warum sollte sie das diesem hergeschneiten Oliver auf die Nase binden? Eine wirkliche Verlobung oder Absprache bestand ja doch noch gar nicht. »Eigentlich nicht«, erklärte sie.

»Uneigentlich also doch!«, folgerte er sofort.

»Das kann Ihnen doch egal sein!«

»Ist es aber nicht! Wollten wir nicht Du zueinander sagen? Ich denke, ihr Leute vom Land duzt euch alle untereinander.«

»Sie sind aber keiner von uns, sondern ein Stadtmensch!«

»Du sagst das, als käme ich vom anderen Stern.«

»So ähnlich ist es ja auch! Du hast ja keine Ahnung!«

»Na endlich!«, sagte er. »Du hast den Bann gebrochen!«

»Das war nur ein Versehen! Du musst … ich meine, Sie müssen sich nichts dabei denken. Natürlich würde ich Sie gerne duzen, wenn es nach mir ginge. Warum auch nicht? Aber meinem Chef würde es bestimmt nicht passen, wenn ich gleich so vertraut mit einem wie Sie täte, den ich gerade erst kennengelernt habe.«

»Ist er so konventionell?«

»Konventionell?«, wiederholte sie und dachte nach, was der Ausdruck bedeutete. »Ja, schon, er hält am Hergebrachten fest. Alles muss seine Ordnung haben. Er sieht’s nicht gern, wenn ich mit den Arbeitern oder den Azubis spaße. Ich gehöre ins Büro, und damit bin ich was Besseres. Ich darf auch nicht mit Jeans zum Dienst kommen. Ganz ausgeschlossen. Und das Haar muss ich ordentlich tragen.«

»Aber das brauchst du dir doch nicht gefallen zu lassen!«

»Und was soll ich dagegen tun? Meine Mutter denkt genauso.«

»Und dein Vater?«

»Lebt nicht mehr.«

»Das tut mir leid … das heißt, was soll ich dazu sagen? Wenn ich es geahnt hätte, hätte ich nicht danach gefragt.«

»Halb so schlimm. Sie konnten es ja nicht wissen. Übrigens war er genauso … so konventionell, noch konventioneller. Zum Teil hatte er wirklich ganz überholte Ansichten. Kein Wunder, er war ja auch fast schon fünfzig.«

Sie waren bei der Baumschule angekommen und während Monika das Wendemanöver durchführte, hielt er den Mund, um sie nicht abzulenken. Erst als sie dann bergab fuhren, sagte er: »Dann haben wir doch schon was Gemeinsames. Mein Vater war auch sehr streng, und er lebt nicht mehr.« Er legte seine linke Hand auf ihre rechte, die das Lenkrad noch übermäßig fest umklammert hielt. »Wir Waisenkinder sollten zusammenhalten.«

Seine Berührung elektrisierte sie; mühsam bat sie: »Bitte, lassen Sie das … bitte!«

»Was?«, fragte er unschuldig.

»Sie wissen es genau! Wenn Sie nicht sofort Ihre Pfote wegnehmen, fahre ich noch in den Graben!«

»Es wäre mir ein Vergnügen, mit dir im Graben zu liegen!«

»Mumpitz!«, sagte sie, härter, als es sonst ihre Art war.

Als er seine Hand zurückzog, empfand sie ein ganz unerwartetes Gefühl der Enttäuschung, der Leere, des Verlassenseins; sie hätte es nicht in Worte fassen können, aber sie spürte einen Verlust.

»Du tust mir leid«, behauptete er.

»Ah, ja? Und warum?«, fragte sie gereizt, weil sie sich im Augenblick selbst bedauerte, ohne recht zu wissen, warum.

»Es ist doch ein Jammer, dass ein so schönes Mädchen wie du hier auf dem Land versauert! Warum musst du ausgerechnet auf dieser Klitsche in Niedermoos roboten? In München …«

»Unsere Fabrik ist keine Klitsche! Mein Vater selbst hat sie aufgebaut und sie ist ein gut geführtes, gut gehendes Unternehmen!«, sagte sie heftig und fügte dann einschränkend hinzu: »Soweit eine Fabrik für Fenster und Türen heutzutage noch gut gehen kann.«

Er schwieg einen Augenblick verdutzt, dann sagte er: »Dann bist du also die Tochter von Georg Stuffer ›Stuffer Fenster und Türen‹!«

»Du hast’s erfasst.«

»Dann erbst du das alles eines Tages?«

»Oder auch nicht. Zunächst mal hat meine Mutter geerbt, und die ist noch keine vierzig. Außerdem habe ich noch eine Schwester.«

»So sieht das also aus. Aber was hält dich dann noch hier? Ich nehme an, du wirst bald achtzehn …«

»Im Juni.«

»Dann kannst du doch endlich tun und lassen, was du willst, brauchst dir keine Vorschriften mehr machen zu lassen. Du ahnst ja nicht, was dir auf dem Land alles entgeht!«

»Mir gefällt’s ganz gut.«

»Dann ist dir nicht zu helfen.«

Sie schoss ihm einen funkelnden Blick zu. »Ich kann mich nicht erinnern, Sie um Hilfe gebeten zu haben!«

»Lass die Augen bloß auf der Straße, sonst passiert noch was!«, mahnte er. »Ich wusste übrigens gar nicht, dass du so wild werden kannst.«

»Du weißt überhaupt nichts von mir!« Plötzlich überfiel sie der unwiderstehliche Wunsch, dass er sie verstehen sollte, und sie erklärte: »Ich habe gleich nach der Schule in unserer Firma angefangen. Das alte Fräulein Berger hat mich eingearbeitet. Als sie in Rente ging, bin ich Vaters Sekretärin geworden. Nach seinem Tod musste ich dem neuen Chef, Josef Mayr, erst helfen, eine Übersicht zu bekommen. Wie könnte ich denn jetzt daran denken, einfach alles hinzuschmeißen? Den Betrieb im Stich zu lassen? Meine Mutter? Sie ist noch längst nicht über Vaters Tod weg.«

»Entschuldige«, bat er, wenn auch nicht gerade sehr zerknirscht, »darüber habe ich nicht nachgedacht.«

»Jetzt weißt du es! Und, bitte, keine Vertraulichkeiten mehr, Herr Baron! Ich kann es nicht leiden, wenn jemand so scharf rangeht!«

»Zu Befehl, gnädiges Fräulein!«

»Ach, lassen Sie doch die Faxen!«, erwiderte Monika, wurde sich aber bewusst, dass sie sich in seiner Gegenwart so gut unterhalten hatte wie schon lange nicht mehr, und fügte freundlicher hinzu: »Trotzdem danke ich Ihnen für die Spazierfahrt. Ich glaube, ich habe was dazugelernt.«

Auf dem für ihn reservierten Parkplatz stand Sepp Mayrs schwere Limousine, schon einige Jahre alt, die er nach dem Tod von Josef Stuffer übernommen hatte. Der Betrieb war wieder in vollem Gang, und bis auf den Hof hinaus klang das Schrillen der Elektrosägen und das Brummen der Motoren. Aber sie fanden ihn nicht in dem kleinen Büro, das ganz und gar nicht auf Präsentation, sondern nur nach praktischen Gesichtspunkten eingerichtet war.

Monika nahm den Telefonhörer in die Hand. »Ich werde ihn suchen!«

Aber ehe sie noch den Anschluss in die Werkshalle wählen konnte, wo sie Sepp Mayr vermutete, trat er schon ein, ein großer blonder Mann Anfang 30, der sich zur Schonung seines Anzugs einen weißen Kittel übergezogen hatte.

Er sah, aus der Helle des Frühlingstages kommend, im ersten Augenblick nur Monika. »Wo hast du gesteckt?«, fragte er barsch.

»Tut mir leid, Sepp!«

»Wie oft muss ich dir noch sagen, dass wir den Leuten ein Vorbild geben müssen?«

»Du tust, als wenn mir so was alle naselang passieren würde!«

Jetzt trat Oliver Baron, der im Schatten der Tür gestanden hatte, einen Schritt vor. »Schimpfen Sie nicht mit Fräulein Stuffer!«, bat er. »Es war meine Schuld!«

»Und wer sind Sie?«

»Oliver Baron«, erwiderte er mit einer leichten Verbeugung, »von der Firma ›Arnold und Corf‹.«

Sepp Mayr blickte auf seine Armbanduhr. »Ich hatte Sie vor einer Viertelstunde erwartet.«

»Ich war zu früh und Fräulein Stuffer hat sich netterweise erboten, mir die Gegend zu zeigen.«

»Was gibt es denn hier zu sehen?«, fragte Sepp Mayr, ehrlich erstaunt.

»Wir sind ein bisschen den Berg hinauf und haben nicht so genau auf die Zeit geachtet.«

Sepp Mayr blickte mit gerunzelter Stirn von ihm zu Monika und wieder zu ihm; das Blau seiner Augen unter den hellen Brauen war sehr intensiv und wurde noch verstärkt durch die dunklen Wimpern. »Na, wir wollen keine Staatsaffäre daraus machen«, entschied er. »Ich nehme an, Sie haben die Papiere mitgebracht?«

»Unterschriftsreif!« Oliver beeilte sich, seine Aktentasche zu öffnen.

»Sepp, ich muss dir, glaub ich, noch etwas gestehen!«, sagte Monika.

»So?« Er hatte sich eine Brille aufgesetzt und sah sie über deren Gläser hinweg flüchtig an, um sich dann sogleich dem Kaufvertrag zuzuwenden, den Oliver ihm vorgelegt hatte.

»Er hat mich ans Steuer gelassen!«

»Sehr unvernünftig!« Sepp Mayr nahm hinter dem Schreibtisch Platz und wies Oliver mit einer Handbewegung den gegenüberstehenden Sessel zu. »Hast du dem Herrn … wie war noch der Name?«

»Baron!«, half Oliver.

»… Herrn Baron nicht gesagt, dass du noch keinen Führerschein hast?«

»Doch, das hat sie!«, sagte Oliver rasch. »Aber ich finde, dass doch nicht der Führerschein, sondern das Können ausschlaggebend sein sollte! Man liest doch immer wieder, wie viele junge Leute verunglücken, sobald sie den Führerschein haben.«

»Aber dann zahlt wenigstens die Versicherung«, entgegnete Sepp Mayr trocken.

»Es ist ja nichts passiert, Sepp«, sagte Monika begütigend.

»Es hätte gar nichts passieren können«, fügte Oliver hinzu: »Ich habe neben ihr gesessen und auf sie aufgepasst … und natürlich auch auf mein Auto.«

»Und wer hat dich dabei gesehen?«, fragte Sepp Mayr, während er die Zeilen des Vertrags überflog.

»Wie kommst du jetzt darauf?«

»Sonst hättest du es mir wohl kaum erzählt.«

»Ich bin immer ehrlich!«, verteidigte sie sich.

»Ja, wenn du fürchtest, erwischt zu werden!«

»Du tust gerade so …«

Er schnitt ihr das Wort ab. »Vergessen wir die ganze Geschichte.« Über die Gläser seiner Brille hinweg sah er Oliver an. »Ich soll also wirklich so ein Ding kaufen?«

»Unbedingt, Herr Mayr! Schon nach ein paar Monaten werden Sie nicht mehr wissen, wie Sie ohne Computer haben auskommen können.«

»Wenn sich aber dann herausstellt, dass ich eine zusätzliche Arbeitskraft brauche …«

»Bestimmt nicht. Ein MCX ist kinderleicht zu bedienen. Das lernt Fräulein Stuffer ganz schnell. In der Firma sagte man, dass Sie sich gerade deshalb für diesen Typ entschieden haben. Sie haben sich doch, soviel ich weiß, fast alle in Frage kommenden Typen vorführen lassen.«

»Warum hast du mich dazu nicht mitgenommen?«, fragte Monika, die sich inzwischen an die Schmalseite des Schreibtischs gesetzt hatte, den Platz, an dem sie auch ihre Stenogramme aufzunehmen pflegte.

»Ich hatte in München zu tun und brauchte dich im Büro«, erwiderte er kurz angebunden.

»Sie hatten sich doch schon entschieden, Herr Mayr!«

»Wissen Sie, Ihre Kollegen haben ein sehr geschicktes Verkaufsgespräch mit mir geführt. Man hat mich überzeugt … nur leider so sehr, dass ich dabei doch auch das Gefühl hatte, überredet zu werden. Deshalb habe ich mir ja auch Bedenkzeit ausgebeten.«

»Aber Mutter und du, ihr hattet euch doch schon seit Langem entschlossen, einen Computer einzusetzen!«

»Ja, aber ob sich ein Kauf wirklich lohnt? Ob wir nicht lieber einen mieten sollten?«

»Das bleibt ganz Ihnen überlassen«, erklärte Oliver. »Es wäre auch eine Kombination möglich … erst ›Leasing‹ und später dann Kauf. Im Moment wäre es billiger, den Computer zu ›leasen‹, aber auf Dauer gesehen, wäre ein Kauf das bessere Geschäft. Sie sollten auch bedenken, dass wir in jedem Fall Lieferzeiten haben. Gerade der MCX ist sehr gefragt. Je eher Sie ihn anfordern, desto früher kommt er Ihnen ins Haus.«

Sepp Mayr schraubte den Füllhalter auf, den er nur für Unterschriften benutzte, ließ ihn dann aber wieder sinken. »Das Wichtigste für mich ist, dass dann aber auch das Programm stimmt … dass es ganz speziell auf meinen Betrieb zugeschnitten ist.«

»Deshalb bin ich selber zu Ihnen herausgefahren, Herr Mayr! Ich bin Programmierer bei der Firma ›Arnold und Corf‹. Man hielt es für richtig, dass ich die Einzelheiten der Software schon mit Ihnen bespreche. Grundprogramme, wie Sie sie wünschen, liegen natürlich sowieso vor. Die meisten Firmen haben sich ja bereits auf Computer umgestellt.«

»Es sollten alle Aufträge, die Liefertermine und die Außenstände gespeichert werden.«

»Das ist selbstverständlich!« Oliver holte ein dickes Merkbuch aus seiner Aktentasche und machte sich Notizen. »Dafür brauchen Sie zwei Disketten.«

»Was ist eine Diskette?«, fragte Monika interessiert. Er hob den Kopf und lächelte sie an. »Man nennt die Dinger so, die man in den Computer hineinschiebt und auf denen die Aufzeichnungen gespeichert werden! Wie beim Musikrekorder oder Videorekorder die Kassetten.«

»Und warum gleich zwei?«, wollte Sepp Mayr wissen.

»Sicherheitshalber. Denn so eine Diskette ist hochempfindlich. Wenn man sie versehentlich auf die Heizung legt oder eine Flasche Cola oder den Inhalt einer Kaffeetasse darüber vergießt … Sie werden es kaum glauben, aber so etwas passiert immer wieder … ist sie nicht mehr zu gebrauchen, und alle Unterlagen sind gelöscht.«

»Also muss man die ganze Arbeit doppelt machen?«, fragte Monika. »Ich meine, es ist doch Arbeit, all diese Daten einzutragen?«

»Halb so wild. Wir liefern ein gut durchdachtes Schema, und Sie tippen die Daten dann ein. Jeder, der mit zwei Fingern eine Schreibmaschine beherrscht, kann das auch. Außerdem brauchen Sie es nur einmal zu machen. Der Computer überträgt es dann selbstständig von der einen Diskette auf die andere.«

»Aha!«, sagte Monika und kam sich nicht eben geistreich vor; die bevorstehende Umstellung auf EDV faszinierte und erschreckte sie zugleich.

»Außerdem möchte ich«, verlangte Sepp Mayr, »dass der Computer die Daten sämtlicher Mitarbeiter aufnimmt, ihr Alter, Eintritt in die Firma, Lohn, Zahl der Überstunden und so weiter.«

Oliver machte sich eine Notiz. »Dafür brauchen wir wohl ein zweites System.«

»Kann man mit einem Computer nicht auch Geschäftsbriefe schreiben?«, fragte Monika. »Mahnungen und so? Die meisten Briefe haben doch immer den gleichen Wortlaut!«

»Nein, das macht der MCX nicht. Dazu bräuchten Sie ein Zusatzgerät für Ihre Schreibmaschine. Was für ein Modell benutzen Sie?«

»Eine ganz moderne, elektronische. Mit Display.«

»Bei uns gekauft?«

»Nein, in Rosenheim.«

»Darf ich sie mir mal ansehen?«

»Noch mehr Unkosten!«, stöhnte Sepp Mayr.

»Ach, bitte, Sepp, bitte! Es ist so langweilig, immer die gleichen Briefe zu schreiben!«

»So ein Speicher wäre wirklich eine große Entlastung«, erklärte Oliver.

»Und wie willst du dir dann im Büro die Zeit vertreiben?«

Monika lachte. »Notfalls kann ich ja stricken!« Sie sprang auf. »Darf ich Ihnen meine Maschine mal zeigen, Herr Baron? Ob es überhaupt geht?«

»Das ist im Moment nicht wichtig«, entschied Sepp Mayr. »Befassen wir uns erst mal weiter mit den Programmen.«

Monika setzte sich zögernd. »Aber danach, Sepp, bitte, ja!«

Es dauerte noch eine gute Stunde, bis Sepp Mayr endlich zufrieden war und seine Unterschrift gab; seine Langsamkeit und Gründlichkeit bildeten einen starken Gegensatz zu Oliver Barons flotter, beweglicher Art.

»Ich danke Ihnen sehr, Herr Mayr«, sagte Oliver, als er die Aufträge in seine Aktentasche steckte, »Sie werden Ihren Entschluss bestimmt nicht bereuen.«

»Wollen wir’s hoffen!«

»Jetzt müssen wir nur noch überlegen, wo wir den Computer aufstellen.«

»In Fräulein Stuffers Büro selbstverständlich.«

Das war für Monika das Stichwort, wieder auf den ersehnten Speicher zurückzukommen.

»Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen«, sagte Sepp Mayr, erhob sich und ging zur Tür, »du kannst dich aber gerne erkundigen. Entschuldigen Sie mich jetzt. Ich habe zu tun.«

Monikas Büro war sehr klein und noch bescheidener eingerichtet als das Chefzimmer. Aber es war hell und sie hatte das Fensterbrett mit einem Strauß selbst gepflückter Feldblumen in einem Marmeladenglas geschmückt. Die neue Schreibmaschine war das einzige Glanzstück.

Oliver sah sie sich an. »Ja, es geht«, stellte er fest. »Ein gutes Stück. Schweizer Fabrikat. Die hätten Sie auch von mir haben können.«

»Aber da kannte ich Sie ja noch gar nicht!«

»Auch wieder wahr!«

»Oliver, Sie müssen mir helfen, dass ich das Zusatzgerät kriege!«

»Aber natürlich, Monika. Nur immer hübsch eins nach dem anderen. Ihr Chef ist kein Mensch, der sich überfahren lässt.«

»Er war ziemlich schwierig, nicht wahr?«

»Halb so schlimm. Er weiß wenigstens, was er will. Viel schwieriger sind die Kunden, die heute dies und morgen jenes wünschen.« Oliver drehte sich in dem kleinen Raum.

»Ziemlich eng hier, nicht?«, fragte Monika. »Als Fräulein Berger noch hier arbeitete, war’s manchmal unerträglich.«

»Das kriegen wir schon hin. Der Aktenschrank muss natürlich raus.«

»Aber den brauche ich!«

»Nicht mehr, wenn Sie einen Computer haben, dann können Sie das, was Sie noch an Papierkram haben, leicht in einem Unterbau unterbringen.« Er öffnete seine Aktentasche und zog zu Monikas Überraschung einen Zollstock heraus. »Wollen wir mal messen!« Er tat es und trug die Daten in sein Notizbuch ein. »Ja, so ginge es«, stellte er zufrieden fest. »Hierher der Tisch mit dem Computer und hierher der Drucker …«

»Wieso denn Drucker? Was ist das überhaupt?«

»Ein kleiner Apparat, der die gespeicherten Daten aus dem Computer auf Papier überträgt.«

»Aber so was brauchen wir nicht!«

»Doch. Ganz bestimmt sogar. Wenn Sie den Computer erst ein paar Wochen haben, werden Sie es feststellen. Sonst ist das so: Wenn du ein ›date‹, eine Gegebenheit, aus dem Computer abrufen willst, drückst du ein paar Knöpfchen, und die Information erscheint auf dem Bildschirm.« Unvermittelt war er wieder zum ›Du‹ übergewechselt. »Aber bis du damit im Chefzimmer bist …«

»Es ist doch gleich nebenan!«

»Vielleicht musst du den Chef aber auch erst in der Werkstatt aufsuchen, oder er fragt erst Stunden später danach …«

»Ich kann’s ja aufschreiben!«

»Das ist natürlich eine Möglichkeit, aber sie ist umständlich, altmodisch und uneffektiv. Nein, du wirst sehen, du brauchst einen Drucker. Dann bedienst du nur eine andere Taste, der Apparat macht ratatata und spuckt alles schriftlich aus, was du wissen willst. Zack, du reißt das Papier ab und kannst es vorzeigen.«

»Das finde ich nun wieder umständlich.«

»Wart erst mal ab, bis du Erfahrungen mit deinem MCX gemacht hast!«

»Aber wenn es wirklich so ist, wenn man einen Drucker braucht …« Unwillkürlich ging auch sie zum »Du« über. »… warum hast du das nicht vorhin gesagt? Drinnen? Zu Sepp Mayr?«

Er grinste. »Immer schön eins nach dem anderen, mein liebes Mädchen! Wenn es dir schon nicht einleuchtet, wie hätte ich es dann deinem Chef klarmachen können?«

»Nun, ich finde, du hättest es wenigstens andeuten müssen.«

»Wozu die Pferde scheu machen?«

Das heimliche »Du« und das nahe Zusammensein in dem kleinen Raum schafften eine seltsame Atmosphäre der Intimität, die Monika verwirrte.

»Ach, Oliver, du bist ein unmöglicher Mensch«, sagte sie und wich einen Schritt zurück, als müsste sie sich in Sicherheit bringen.

Er lächelte und in seinen braunen Augen tanzten die grünen Fünkchen. »Das sagt meine Mutter auch immer.«

»Sie hätte dich besser erziehen sollen.«

»Strenger, meinst du? Das findet sie auch!« Er folgte ihr und blieb dicht vor ihr stehen. »Hör mal, du solltest sie kennenlernen.«

»Wozu?«

»Weil sie meine Mutter ist. Ihr beide würdet euch bestimmt prächtig verstehen.«

Sie stand jetzt beim Fenster, so dicht, dass sie fast das Blumenglas mit dem Ellbogen umgestoßen hätte; sie konnte es gerade noch rechtzeitig mit der anderen Hand auffangen. Dabei sah sie, dass draußen Gesellen und Arbeiter in Gruppen vorbeizogen. »Feierabend!«, stellte sie fest. »Wir müssen raus hier, sonst werden wir noch eingeschlossen!«

»Wäre vielleicht gar nicht mal so übel!«

»Red’ keinen Mumpitz! Los, gib den Weg frei!«

»Nur gegen Lösegeld!«

»Du musst verrückt sein!«

»Einen Kuss!«

Er stand so nahe vor ihr, dass sein Atem ihre Wange streifte. Sie musste gegen den Impuls kämpfen, sich in seine Arme zu werfen. Es verstörte sie. Ihre Augen weiteten sich, und er merkte es, deutete es aber falsch.

»Hast du etwa Angst?«

»Ich kann auch aus dem Fenster springen!«

»Dann tu’s doch, wenn es dir Spaß macht!«

»Soll ich?« Mit einem Ruck riss sie den Fensterflügel auf. »Dann stehst du aber ganz schön blöd da!«

»Wieso ich?«

»Na, was glaubst du, was die Leute sich für einen Reim darauf machen werden? Und Sepp Mayr?«

Das ernüchterte ihn; er gab den Weg frei und ließ sie vorbei, konnte sich aber nicht enthalten zu fragen: »Hat er dir etwa auch was in deinem Privatleben zu sagen?«

»Hier in der Firma bin ich nicht privat!« Sie holte ihre Umhängetasche aus dem Schreibtisch, streifte den Riemen über die Schulter und trat auf den Hof hinaus.

Oliver folgte ihr. »Kommst du noch mit auf ein Bier?«

»Nein, danke.«

»Also gehörst du zu denen, die auf Kaffee und Kuchen stehen? Soll mir auch recht sein.«

»Weder noch. Ich muss nach Hause.«

»Dann fahre ich dich!« Sie streifte mit einem sehnsüchtigen Blick seinen roten Flitzer und sagte weicher: »Danke, Oliver, das ist lieb von dir. Aber es geht leider nicht. Meine Schwester holt mich ab. Mit dem Mofa.« Sie sah auf ihre Armbanduhr. »Sie müsste eigentlich schon hier sein.«

»Vielleicht hat sie dich versetzt.«

»Nein, das traut sie sich denn doch nicht. Warten lässt sie mich ja öfter.«

»Dann spielen wir ihr jetzt mal einen Streich und fahren einfach los! Komm schon, sei nicht fad! Was soll schon sein? Sie wird doch merken, dass du nicht mehr da bist.«

»Eigentlich hast du recht«, sagte sie, schon halb gewonnen.

»Und uneigentlich auch!« Er warf seine Aktenmappe auf den Notsitz. »Los, steig ein! Aber diesmal fahre ich!«

Sie folgte seiner Aufforderung und ließ sich mit einem zufriedenen Seufzer auf den Beifahrersitz fallen. »Ist mir auch lieber so! Zum zweiten Mal am gleichen Tag würde ich es nicht riskieren!«

Er kurvte aus dem Hof, auf dem jetzt nur noch zwei, drei Fahrzeuge standen, unter ihnen Sepp Mayrs Limousine.

»Was treibt der Chef noch hier?«, fragte Oliver.

»Weiß nicht. Er arbeitet oft länger.«

»Muss er ja wohl. Weil er ein Langsamdenker ist.«

»Das darfst du nicht sagen!«, protestierte sie, obwohl sie sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte. »Er ist sehr tüchtig! Mein Vater hat große Stücke auf ihn gehalten.«

»Und du?«

»Ich auch.«

»Sonst ließest du dir wohl nicht so viel von ihm gefallen.«

»Tu ich ja gar nicht!«

»Gib doch zu, dass du einen Riesenbammel vor ihm hast!« Fast im gleichen Atemzug fragte er: »Und wohin jetzt?«

»Immer den Karberg hinauf! Nicht den Wirtschaftsweg, die Hauptstraße!« Sie sah ihn von der Seite an. »Dir macht es wohl Spaß, die Leute zu ärgern?«

»Ja«, gab er zu.

»Das versteh’ ich nicht.«

»Versetz dich mal in meine Lage! Tag für Tag sitze ich bei ›Arnold und Corf‹, starre auf die Mattscheibe und entwickle Programme, muss mir von meinen Chefs sagen lassen, was ich tun und lassen soll und mich noch von den Kunden anmeckern lassen. Dass ich mal unterwegs sein kann wie heute, ist eine glückliche Ausnahme und für mich ein Grund, ein bisschen vergnügt zu sein.«

»Das heißt aber doch nicht, dass du mich ärgern musst.«

»Irgendwie muss ich meine Freude doch loswerden.«

Sie lachte. »Armer Junge!«

»Ich habe es wirklich nicht leicht«, behauptete er.

»Obwohl du im sagenumwobenen München leben darfst? Das hast du mir doch noch vorhin so schmackhaft zu machen versucht. Siehst du, das ist der Unterschied zwischen uns: Ich lebe auf dem Land und bin ganz glücklich und zufrieden.«

»Bist du es wirklich?«

Sie fuhren die kurvenreiche, mit Hecken umsäumte Straße hinauf, vorbei an satten Weiden und Gruppen frühlingsgrüner Bäume. »Ist es nicht schön hier?«, fragte sie mit einer weit ausholenden Handbewegung.

»Ja, sehr! Aber das habe ich dich nicht gefragt.«

»Ob ich wirklich glücklich bin?«, wiederholte sie nachdenklich. »Das Leben ist eben so, wie es ist, und so muss man es auch nehmen.«

»Das hat dir deine Mutter eingetrichtert! Aber hast du dir nicht doch schon einmal überlegt, ob es wirklich so sein muss? Ob man es nicht ändern könnte? Hast du niemals die Sehnsucht, auszubrechen?«

Sie spürte diese Sehnsucht ganz stark, gerade in diesem Augenblick, mit ihm weiter zu fahren und immer weiter, ziellos und sorglos. Aber das mochte sie nicht zugeben, sondern sagte stattdessen mit einer Stimme, die brüchig wirkte, weil sie sich so sehr beherrschen musste: »Wohin denn? Komm mir jetzt nicht wieder mit München. Du hast ja eben selber zugegeben, dass dort auch nicht das Glück auf der Straße liegt.«

»Irgendwohin!«

»Irgendwohin?«, wiederholte sie, und es sollte spöttisch klingen, kam aber ganz versonnen heraus; sie merkte es selber und zwang sich zu lachen. »Du kannst einen vielleicht auf Ideen bringen!«

Dann entdeckte sie Gabriele, die ihnen aus einer Kurve kommend mit dem Mofa entgegenfuhr. »Da ist sie endlich!«, rief sie. »Meine Schwester!«

»Da hättest du aber ganz schön lange warten können!«

Monika zückte ein Taschentuch und winkte Gabriele zu. »Juhu!«

Schon waren das Mofa und das Cabriolet aneinander vorbeigesaust.

Monika blickte sich über die Schulter nach ihrer Schwester um. »Jetzt wird sie ganz schön sauer sein!«

»Recht geschieht’s ihr!«

Monika lachte. »Da will ich dir gar nicht widersprechen! Aber, bitte, halte bei der nächsten Gelegenheit. Sie kommt bestimmt zurück, und dann kann ich bei ihr aufsitzen.«

»Nein«, widersprach er, »jetzt fahre ich dich auch noch ganz bis nach Hause.«

»Aber warum …«

Er fiel ihr ins Wort. »Weil ich gern mit dir zusammen bin.« Sie errötete und kam sich dumm vor, weil sie darauf nichts zu erwidern wusste.

»Das kann dich doch nicht überraschen«, sagte er, »das musst du doch schon längst gemerkt haben.«

Sie nestelte an ihrem Taschentuch. »Nett, so etwas zu hören.«

»Das müssen dir doch schon viele Burschen gesagt haben!«

»Da kennst du die Hiesigen nicht! Denen kommt kein Kompliment über die Lippen!«

»Es war auch kein Kompliment, sondern die Wahrheit.«

Verschiedene Antworten schossen ihr durch den Kopf, »Hör auf damit!« und »Du machst mich ganz verlegen«, aber dann bekannte sie offen: »Ich bin auch gern mit dir zusammen, Oliver!«

»Na, wunderbar! Also … wann sehen wir uns wieder?«

Höhenmoos tauchte vor ihnen auf, ein vor dem Hintergrund der Alpen gelegenes Dorf mit schönen alten Bauernhöfen, deren Gärten zur Straße hin hübsch bepflanzt waren, und Neubauten im alpenländischen Stil.

»Wir müssen quer durchs Dorf«, erklärte sie, »das letzte Haus ganz hinten rechts ist es.«

»Ich habe dich etwas gefragt, Monika.«

»Ich hab’s gehört. Aber so einfach kann ich darauf nicht antworten.«

»Du wirst doch wenigstens in deinem Privatleben deine Freiheit haben?«

»Nicht unbedingt. Natürlich kann ich ausgehen, wann und mit wem ich will.«

»Na also!«

»Aber nicht mit einem Wildfremden.«

»Na hör mal! Ich stehe zu eurer Firma in Geschäftsbeziehungen.«

»An denen dir einiges gelegen sein sollte.«

»Natürlich ist das so.«

Sie waren jetzt vor Monikas Elternhaus angekommen, einem zweistöckigen Gebäude mit tief gezogenem Dach, Daubenfenstern an der ausgebauten Mansarde und einem Balkon mit gedrechselten Stützen, der um das ganze Obergeschoss führte. Auf ein Zeichen von Monika hatte Oliver gebremst, ließ aber den Motor laufen.

»Dann ist ein Flirt mit mir das Letzte, was du dir erlauben könntest.«

»Wer spricht denn von einem Flirt?«

»Ist doch egal, wie man es nennt, du weißt schon, was ich meine. Heimlichkeiten mag ich nicht, und es würde meine Mutter beunruhigen, wenn ich mich mit dir träfe. Sie würde mit Sepp Mayr sprechen, sie sieht ihn ohnehin fast jeden Tag, und es könnte ihm durchaus einfallen, sich in Zukunft an eine andere Computerfirma zu wenden, um meiner Mutter diese Sorge aus der Welt zu schaffen.«

»Soll er doch!«

»Und was wird aus dem Drucker, den du ihm noch verkaufen wolltest? Und dem Zusatzgerät für meine Schreibmaschine?«

Oliver lachte. »Die kauft er dann eben anderswo oder gar nicht! Bildest du dir denn ein, es wäre so entsetzlich, wenn ›Arnold und Corf‹ einmal das Nachsehen hätten?«

Monika, die von klein auf gehört hatte, wie wichtig es war, dass die Fabrik genügend Aufträge hatte und dass alle Kunden zufriedengestellt wurden, sah ihn mit großen Augen an. »Das verstehe ich nicht«, sagte sie ehrlich.

»Dass du mir mehr bedeutest als ein paar Maschinchen?«

Das Gespräch wurde von Gabriele unterbrochen, die auf ihrem Mofa neben ihnen hielt. Sie war ganz anders als ihre Schwester, klein, zierlich, mit braunen Augen, braun gelocktem Haar und einer sehr geraden, fast spitzen Nase.

»Grüß dich!«, sagte sie mürrisch. »Du hättest mich wenigstens anrufen können, wenn du mich nicht brauchst!«

»Aber, Gaby, ich …«, wollte Monika sich verteidigen.

Oliver ließ sie nicht zu Wort kommen. »Ich habe mir erlaubt, Ihre Schwester nach Hause zu fahren, nachdem sie zuerst vergeblich auf Sie gewartet hat!«

»Vergeblich? Ich habe mich ein paar Minuten verspätet. Was ist schon dabei? Ich habe schließlich mehr zu tun, als sie hin und her zu kutschieren!«

»Niemand macht Ihnen einen Vorwurf. Ich versuche nur, die Dinge richtigzustellen.«

»Gaby«, sagte Monika rasch, »das ist Oliver Baron von der Firma ›Arnold und Corf‹ … und das ist meine Schwester Gabriele!« Sie nahm die Gelegenheit wahr, aus dem Auto zu klettern.

»Sie sollten Ihren Motor abstellen«, bemerkte Gabriele mit einem schiefen Blick: »Sie verpesten noch die ganze Umgebung!« Sie schob das Mofa zur Garage.

»Reg dich nicht auf! Er fährt ja schon ab!«, rief Monika hinter ihr her und wandte sich wieder Oliver zu. »Also … bis dann!«

»Bis wann, Monika?«

»Bis wir uns wiedersehn!« Sie lächelte ihm zu, spürte, dass ihr Tränen in die Augen schossen, drehte sich rasch um, lief auf das Haus zu und verschwand hinter ihrer Schwester in der Garage.

Oliver warf noch einen Blick auf das schöne, gut erhaltene Gebäude, dann wendete er und fuhr in Richtung Niedermoos und Autobahn zurück.

»Was war denn das für ein Typ?«, fragte Gabriele und stellte das Mofa neben das kleine Auto der Mutter.

»Ich hab’s dir doch gesagt!«

»Und wie bist du an den gekommen?«

»Er war wegen des Computers da! Jetzt stell dich doch nicht blöd! Sepp und Mami haben in letzter Zeit doch immerzu davon gesprochen!«

Gabriele zuckte die Achseln. »Du weißt, das interessiert mich nicht.«

»Aber Oliver Baron?«

»Den kannst du dir an den Hut stecken! Ein aalglatter Typ in einer Angeberkiste. Wer so einen Wagen fährt, hat’s nötig!«

Sie traten durch die innere Garagentür, die tagsüber nie abgeschlossen war, und den Hausflur in das Wohnzimmer. Frau Barbara Stuffer saß am Schreibtisch, hatte einige Rechnungen vor sich und war dabei, Schecks auszustellen; sie hob den Kopf. »Da seid ihr ja, ihr beiden«, sagte sie freundlich.

»Hallo, Mami!«, grüßte Monika, lief zu ihr hin, beugte sich zu ihr herab und gab ihr einen leichten Kuss auf die Wange. Barbara Stuffer war eine sehr gut aussehende, fast schön zu nennende Frau, kleiner als Monika, ihr aber sehr ähnlich. In einem der schwarzen Gewänder, die sie seit dem Tod ihres Mannes trug und die ihre zarte Blässe noch unterstrichen, wirkte sie rührend und etwas hilfsbedürftig. Tatsächlich aber war sie, obwohl ihre Trauer echt war, durchaus imstande, mit Belastungen des Alltags alleine fertig zu werden.

»Stell dir vor, Mami«, berichtete Gabriele sofort, »Monika hat sich einen Typ angelacht!«

»Ist ja gar nicht wahr!«, protestierte Monika.

»Wie kannst du das leugnen? Ich hab’ es doch selber gesehen! Du hättest mich gar nicht so jagen müssen, Mami. Sie hat sich von ihm nach Hause bringen lassen. In einem offenen Sportcoupé.«

»Ist das wahr, Monika?«

»Warum fragst du das?«, rief Gabriele. »Ich lüge dir doch nichts vor!«

»Ich möchte nur wissen, was Monika dazu zu sagen hat.«

Monika legte ihre Umhängetasche ab, warf sich in einen der kleinen bequemen Sessel, die um den Couchtisch gruppiert waren, und streckte die Beine von sich. »Er hat’s mir angeboten, und als Gaby sich dann nicht blicken ließ, habe ich mich von ihm fahren lassen.«

»Er heißt Oliver Baron«, ergänzte Gabriele, »und ist Vertreter von einer Computerfirma.«

»Programmierer«, verbesserte Monika.

»Kommt doch aufs Gleiche raus.«

»Seit wann kennst du ihn?«, fragte die Mutter.

»Überhaupt nicht.«

»Und dann steigst du in sein Auto?«

»Nicht privat, habe ich gemeint. Er war heute in der Firma, um mit Sepp über die ›Software‹ zu sprechen, die wir für den Computer brauchen.«

»Hat er ihn jetzt wirklich gekauft?«, fragte die Mutter interessiert.

»Er hat ihn bestellt, und Herr Baron bemüht sich, das Programm unseren Bedürfnissen anzupassen, damit es fertig ist, wenn wir die ›Hardware‹ geliefert bekommen.«

»Ich hoffe, du verstehst dein Fachchinesisch«, spottete Gabriele.

»Ich schon und Mutter auch! Nicht wahr, Mami?«

»Ob es richtig ist, den Betrieb auf EDV umzustellen?«, fragte die Mutter und malte Kringel auf ein Stück Papier. »Vater war immer dagegen.«

»Aber du warst doch schon seit Langem dafür«, erinnerte Monika und war froh, dass das Gespräch sich nicht länger um Oliver Baron und ihre Heimfahrt drehte, »gib’s doch zu! Und ich finde das auch ganz richtig. Man muss mit der Zeit gehen.«

»Wer soll euren Computer denn bedienen?«, erkundigte sich Gabriele.

»Ich natürlich«, sagte Monika und stand auf, »ich freu’ mich schon darauf.« Sie nahm ihre Umhängetasche und ging zur Tür.

»Wo willst du hin?«, fragte ihre Mutter.

»Mich frisch machen und umziehen!«

»Ich schwing’ mich auch«, verkündete Gabriele, »ich muss noch lernen.«

Als sie hintereinander die Treppe zum Dachgeschoss hinaufgingen, in dem sie beide ihre Zimmer hatten, sagte sie: »Da bist du noch mal mit ’nem blauen Auge davongekommen!«

»Das war nicht dein Verdienst! Du musstest ja unbedingt versuchen, mich reinzureißen.«

»War doch nur Spaß.«

»Schöne Späße. Ich verpetz’ dich nie.«

»Weil’s bei mir nichts zu verpetzen gibt.«

»Und deine Knutscherei mit Hans? Letzten Samstag vor dem Wirtshaus?«

»Das war doch harmlos. Mit so einem Bauerntölpel würde ich mich nie einlassen.«

»Mami hätte es aber bestimmt nicht gefallen.«

»Ach ja, Mami. Wie kommst du überhaupt darauf, dass ich geknutscht hätte? Du warst doch gar nicht draußen.«

»Aber genügend andere. Das ganze Dorf weiß Bescheid.«

»Das verdammte Dorf! Gott, werde ich froh sein, wenn ich hier endlich wegkann!«

»Du willst fort?«

»Dumme Frage! Warum, glaubst du, büffle ich so? Weil mir die Schule Spaß macht? Ich will ein anständiges Abi bauen, damit ich anschließend einen Studienplatz bekomme. Kennst du etwa eine Hochschule in Rosenheim und Umgebung?«

»Das Holztechnikum!«, erwiderte Monika prompt.

»Lass mich bloß damit in Frieden! Meinst du, ich will mich später abplagen wie Vater? Er hätte nicht so früh sterben müssen, wenn …« Gabriele brach ab, lief in ihr Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

Unwillkürlich machte Monika ein, zwei Schritte hinter ihr her, besann sich dann aber anders, weil ihr bewusst wurde, dass sie die Schwester doch nicht trösten konnte. Sie ging in das kleine Bad, das zwischen ihren Zimmern lag, zog sich aus, steckte sich den langen Zopf hoch und duschte gründlich. In ihrem eigenen Zimmer zog sie dann frische Unterwäsche an, Jeans und ein T-Shirt, statt der Sandaletten Turnschuhe. Den wadenlangen Rock hängte sie über einen Bügel, die Rüschenbluse und die Unterwäsche stopfte sie zu den Schmutzsachen. Sie löste den Zopf und bürstete ihr Haar, das ihr jetzt in einer blonden Woge bis über die Taille hinabfiel, mit langen, kräftigen Strichen. Das war ein merkwürdiger Tag gewesen. Dieser Oliver Baron, der so plötzlich in ihrem Leben aufgetaucht war! Noch nie hatte sie einen jungen Mann kennengelernt, der sich so benahm. Sie hatte schon oft erlebt, dass jemand zudringlich geworden war, nie aber, dass jemand so unverschämt gewesen war wie Oliver. Aber konnte man sein Benehmen wirklich als unverschämt bezeichnen? Er hatte bloß von Anfang an und ohne jede Schüchternheit vorausgesetzt, dass er ihr gefiel und auch sein Cabriolet. Damit hatte er ja auch durchaus recht gehabt.

Vielleicht war sie es gewesen, die ihn durch ihr Verhalten ermutigt hatte. Oder benahm er sich allen Mädchen gegenüber so? Auch das war möglich. Einen Jungen wie ihn konnte sie nicht einstufen, dazu fehlte es ihr an Erfahrung. Ein aalglatter Typ, wie Gabriele behauptet hatte, war er jedenfalls nicht.

Dieses seltsame Gefühl, das sie an seiner Seite im Auto überkommen hatte, dieser brennende Wunsch, bei ihm zu bleiben, immer weiter und weiter mit ihm zu fahren, irgendwohin und nie mehr zurück und schon gar nicht nach Hause. Das war, so fand sie, ein richtiger Anfall von Verrücktheit gewesen. Dabei hatte sie nicht einmal einen Funken Vertrauen zu ihm und konnte nie ausmachen, ob er das, was er sagte, ernst meinte oder ob er das nur daherredete. Sie verstand sich selber nicht mehr.