7,49 €
Mein Kind ist tot! Was macht jetzt noch Sinn? Hört dieser unaushaltbare Schmerz jemals wieder auf? Wie kann ich weiterleben? Das fragen Eltern oft, die gerade ihr Kind verloren haben. In diesem Buch erzählen Mütter, die schon vor vielen Jahren ein Kind durch Krankheit, Unfall oder Suizid hergeben mussten von ihrem Balanceakt auf dem Drahtseil des Überlebens nach dem Tod des eigenen Kindes. Jede erzählt von ihrem ureigenen Trauerweg und was ihr geholfen oder nicht geholfen hat, einen wie auch immer gearteten Weg zu beschreiten. Das Buch soll Mut machen durch den Schmerz zu gehen, ihn nicht zu vermeiden. Denn viele der Mütter empfinden, dass der Schmerz bleibt, aber dass sie harmonischer weiterleben, wenn sie den Schmerz als Wegbegleiter akzeptieren. Und manche sagen sogar, dass das Loch, in das sie fielen, zur Quelle wurde, aus der sie heute schöpfen. Die Erzählungen und Einsichten dieser Mütter sind nicht nur für verwaiste Eltern interessant. Jeder, der schon einmal einen Verlust erlebt hat, kann sich hier wiederfinden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 422
Wir widmen dieses Buch
unseren wunderbaren einzigartigen Kindern
Einleitung
Amélie Louisa H.
Andi B.
Benjamin S.
Benjamin Z.
Bernhard-Sebastian S.
Colin Noel P.
Emil H.
Fabian M.
Finia H.
Florian G.
Franziska B.
Frédéric G.
Fynn Sch.
Heribert (Harry) H.
Jacob B.
Jenny F.
Jenny P.
Jonna N.
Joshua W.
Julien R.
Kawe F.
Kevin P.
Lea M.
Lena St.
Lennard J.
Leon P.
Leonie Galina H.
Levi David M.
Lina Sch.
Lisa B.
Marcel Sch.
Mats M.
Mirjam Sophie G.
Richard D.
Sarah W.
Tom-Finn K.
Wir üben das Balancieren zwischen Diesseits und Jenseits, um unseren wunderbaren Kindern nah zu bleiben!
Mein Kind stirbt. Die Welt steht still. Raum und Zeit aufgehoben.
Gehen, Weitergehen - wie? Nichts hat mehr Bestand, nichts ist sicher.
Der Schmerz um das eigene Kind katapultiert mich aufs Drahtseil, verwandelt Leben in einen Balanceakt. Im Wunsch, meinem Kind nachzufolgen, klammere ich mich an meinen Balancierstab, schiebe mich Millimeter für Millimeter vom Diesseits zum Jenseits vor, um dann die Richtung zu wechseln und den Rufen meiner Lieben zu folgen, die mit mir hinterblieben sind.
„Wie können wir weiterleben?“, fragen frisch verwaiste Eltern oft. „Hört dieser unaushaltbare Schmerz jemals wieder auf?“
„Ja, wie war das?“ fragten wir uns. Wir, das sind „alt“ verwaiste Eltern, die sich 2010 auf Facebook kennengelernt und zu einer Gruppe zusammengefunden haben und deren Kinder nicht erst im letzten Jahr die Seite gewechselt haben, sondern schon viele Jahre zuvor.
Wie war, wie ist mein Weg durch die Trauer? Hat mein Schmerz einmal aufgehört? Wurde er aushaltbar? Wie wurde er aushaltbar und wann veränderte er sich? Was hat ihn verändert? Wie habe ich mich verändert? Was hielt mich auf dem Seil? Wie erlangte ich Sicherheit auf dem Seil? Und was diente mir als Balancierstab?
Aus unseren Fragen wuchs die Idee, ein Buch zu veröffentlichen, in dem wir von unserem Weg durch die Trauer schreiben. Es soll ein Buch sein von verwaisten Eltern für verwaiste Eltern.
Es maßt sich nicht an trösten zu wollen, weil niemand trösten kann, wo es keinen Trost gibt. Es maßt sich nicht an, Ratschläge zu geben. Denn wir wissen, dass Ratschläge Schläge sind und dass es so viele Trauerwege wie Menschen gibt. Jeder geht seinen ureigenen Trauerweg.
Das Buch soll im schönsten Fall Mut machen durch den Schmerz zu gehen, ihn nicht zu vermeiden. Denn viele von uns empfinden, dass der Schmerz bleibt. Aber dass wir harmonischer weiterleben, wenn es uns gelingt, die Trauer und den Schmerz in unser Leben zu integrieren, wenn wir die Trauer rechts und den Schmerz links als Gewichte an unseren Balancierstab hängen.
Martina Steinberg für Whisper von Soul e.V.
Wiederaufbau
In Stücke zerfallen
und trotzdem leben.
Wie geht das?
Warum geht das Leben weiter,
obwohl ich bereits gestorben bin
mit meinem Kind?
Wie lässt sich Sinn finden,
wenn das Leben in seiner Gesamtheit in Frage steht?
Was hält mich?
Warum wage ich den Spagat zwischen den Welten als ein
Lebender und ein Toter?
Zerrissen und doch wachsend.
© Martina Steinberg
*29.05.2008 +29.08.2014
Meine süße Amélie, unsere Püppie, Du warst und bleibst für immer unser Sonnenschein, unsere Haukikkizessin.
Ich habe nicht mehr damit gerechnet, noch einmal Mama sein zu dürfen oder dass Lara gar eine „große Schwester" sein dürfte, doch Du hast Dich still und heimlich, ganz überraschend in unser Leben und in unsere Herzen geschlichen.
Was in dem Moment allerdings niemand von uns ahnte, mit welch schwerem Gepäck Du auf diese Welt gekommen bist und mit Deiner Geburt der härteste Kampf meines Lebens begonnen hat. Den Tag der Diagnose, sechs Monate später, werde ich wohl nie vergessen, denn da wurde mir zum ersten Mal der Boden unter den Füßen weggerissen.
Doch Du warst von Anfang an eine Kämpferin, und man kann mit Fug und Recht sagen, dass Du eine kleine Persönlichkeit warst, die es mit ihrem Charme immer wieder schaffte, jeden um ihre kleinen Finger zu wickeln. Jeder, der Dich kannte, war Dir rettungslos verfallen.
Dein Wille zu leben war ungebändigt, Deine Kraft scheinbar unendlich, doch seit fünf Jahren ist es unglaublich still geworden. Wir vermissen Dich so sehr, dass es weh tut, aber jeder Tag, der vergeht, ist auch ein Schritt, den wir wieder aufeinander zugehen.
Ich weiß, dass wir uns wiedersehen und Du auf uns am anderen Ende des Regenbogens wartest. Daran glaube ich ganz fest. Der 29. August 2014 hat für uns alles verändert. Seither habe ich zwei Leben, eines vor und eines nach Deinem Tod. Dazwischen gibt eine klare und spürbare Grenze.
Wer trauert liebt und wie hat sich meine Trauer über die Zeit verändert.
Amélie steckte mal wieder in einer tiefen Krise und wie so oft war ich absolut optimistisch, dass wir auch die Hürde wieder meistern werden. Doch am Nachmittag dieses Tages drehte sich die Situation um 180 Grad. Innerhalb nur einer Stunde bekam unsere Püppie ganz plötzlich ihre Flügel und ist in meinen Armen zum schönsten Schmetterling geworden und davongeflogen.
Ich war fassungslos, erstarrt, schockiert und noch nicht einmal in der Lage, richtig zu weinen. Alles an mir war gelähmt und ich fühlte mich wie ferngesteuert.
Wir wussten, dass dieser Moment irgendwann auf uns zukommen würde, aber darauf vorbereiten kann sich keiner. Warum, warum, warum und immer wieder warum. Die Auseinandersetzung mit dem Tod hat uns ab dem Zeitpunkt der Diagnose begleitet, und durch die regelmäßigen Aufenthalte im Kinderhospiz oder diversen Krankenhäusern haben wir viele Kinder von lieb gewonnenen Freunden gehen sehen. Der Schmerz war jedes Mal unermesslich und die Vorstellung, dass uns eines Tages der Weg auch bevorsteht, war unbeschreiblich. Allerdings habe ich nicht damit gerechnet, mit welcher Macht und dem Vielfachen mehr dieser Schmerz über uns herab brechen würde. Darauf kann sich niemand vorbereiten, denn das Herz wird einem aus dem Körper gerissen. Brachial und erbarmungslos.
Nachdem, was ich als Mama außerdem in den Wochen und Monaten zuvor von einem Arzt ertragen musste, machte mein Leben plötzlich keinen Sinn mehr. Alles in mir fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen, und die Zeit blieb stehen. Viele waren und sind über diese Aussage schockiert, aber die Schuldgefühle übermannten mich. Ich machte mir schwere Vorwürfe, dass ich nicht erkannt habe, was bei uns ablief. Dieser Mensch stellte sich über alles, stampfte mein Bauchgefühl in den Boden und gab Dinge von sich, die ich hier nicht wiederholen kann. Ich selbst mache mich immer noch verantwortlich für den Tod unserer Püppie. Gerade weil ich, von außen betrachtet, nicht weiß, was sie gefühlt oder gedacht hat, weil ich all das nie erfahren werde, hört sie für mich nicht auf zu sterben. Immer wieder habe ich diese Momente vor Augen und sie verfolgen mich bis in meine Träume. Die Frage nach dem *Warum* wird ein stetiger Begleiter bleiben. Meine Umwelt versteht mich, auch nach fünf Jahren, nur bedingt. Man könnte meinen, es gäbe ein für trauernde Eltern nicht einsehbares Protokoll, welches einen bestimmten Ablauf in der Trauer festlegt und worin verankert ist, wann man was zu machen oder wie zu fühlen hat. Hinzu kommt außerdem ein ganzes Repertoire an Sprüchen. Sprüche, die jeder von uns zur Genüge kennt.
Du musst dies, mach doch mal jenes, die XYZ hat es doch auch geschafft, warum Du nicht?
Besonders gern benutzt man „Die Zeit heilt alle Wunden", „Du bist noch jung, Du kannst doch noch weitere Kinder bekommen", „Meinst Du nicht, dass es langsam mal gut ist mit Deiner Trauer", „Jetzt geht es ihr ENDLICH besser" u. v. m., um nur mal einige zu nennen. Gerade der letzte Spruch schmerzt besonders, denn wo um alles in der Welt soll es einem Kind besser gehen, als bei seiner Mama, seiner Familie? Die Krönung war an Heiligabend meine Oma, die mich als nicht mehr zurechnungsfähig erklärte. Wie man nach „so langer Zeit" – wohl bemerkt, dass es zu diesem Zeitpunkt gerade mal vier Monate waren – immer noch so ein Geschiss machen könnte, dass das doch nicht normal und ich ein Fall für die geschlossene Anstalt sei. Kaum zu glauben, dass sie selbst ein Kind, meine Mama, sehr früh verloren hat. Je mehr Zeit verging, desto größer und fester wurde die Mauer, welche ich um mich errichtete. Sie umschloss mich wie ein Korsett, welches mir die Luft zum Atmen nahm. Gefangen in mir selbst mit meinen Gefühlen und Gedanken. Ich fühle mich verloren und alleine, auch wenn ich es im eigentlichen Sinn nicht wirklich bin. Mich machen dabei die Mitmenschen unsagbar wütend, welche der Meinung sind, mich bewerten und darüber urteilen zu können, wie und wie lange ich in ihren Augen trauern „darf". Ich habe gelernt, mich mehr und mehr zu verkleiden und eine perfekte Maskerade aufrecht zu erhalten Es gibt nur wenige Menschen, die mein Innerstes kennen, mit denen ich mich austauschen kann und wir uns über Hunderte von Kilometern verstehen und sich keiner dem Anderen erklären muss, da wir einfach wissen, dass es für Trauer keine Zeit gibt. Wir können uns liebevoll über unsere Kinder unterhalten, ohne dass der Andere die Augen verdreht.
Trauer kann man nicht miteinander vergleichen, das wäre, als würde man einen Apfel mit Gottweißwas vergleichen wollen … Jeder trauert anders, manche finden verhältnismäßig „schnell" einen Weg in dem neuen Leben und andere, so wie ich, irren in einem Labyrinth aus unzähligen Gängen und Abzweigungen umher, ruhe- und rastlos. Ich bin mir dessen bewusst, dass viele nicht wissen, wie sie mit uns umgehen sollen, aber warum kann man das nicht einfach sagen? Mir ist es lieber, wenn jemand auf mich zukommt und ganz ehrlich sagt: „Es tut mir unendlich leid, aber ich weiß nicht, was ich dir jetzt sagen könnte.“ und mich in den Arm nimmt oder ähnliches. Die Realität sieht aber anders aus. Es geht mir unheimlich auf die Nerven, dass die Leute meinen, mir schlaue Ratschläge über meine Zukunft erteilen zu müssen. Manche Menschen sollten sich mit ihren Mitleidsbekundungen einfach zurückhalten, statt jemandem Dinge um die Ohren zu hauen, die noch mehr Salz in die Wunde streuen. Sterben ist etwas, worüber keiner reden will. Es ist etwas, was nur die anderen betrifft. Ich weiß, manchmal sind auch wir als trauernde Eltern ungerecht, werfen alle in einen Topf und können nicht mehr unterscheiden, wer es wirklich ehrlich meint oder wer nur wieder dumm daher labert.
Doch warum darf man sich nicht wehren, ohne gleich als hysterische Mutter/Vater, die ihr Kind verloren hat, abgestempelt zu werden? Wieso fühlen wir uns dann so schlecht/schuldig und meinen, uns entschuldigen zu müssen, während andere mit der Keule um sich schlagen und uns blöde Aussagen um die Ohren hauen „dürfen"? Amélie ist tot und ich soll mit meinem Unglück klarkommen? Sie ist tot und ich soll mich neu erfinden? Fünf Jahre sind keine Zeit und auch jetzt hängt der Tod unserer Püppie immer noch wie ein unheilvolles Gewitter über mir. Manche Dinge kann man auch einfach nicht beschreiben. Da werden die einfachsten Aufgaben zu einer Herausforderung, einem Marathon, den es zu schaffen gilt. Der Telefonhörer ist zentnerschwer und man wünscht sich, dass doch eine der viele Reden schwingenden Personen anruft und einen aus dem Tief herausholt.
Und dann gibt es wieder so Momente, in denen man mit spontanen Schutzbehauptungen einen Ausweg sucht, um unangenehmen Situationen aus dem Weg zu gehen. Weil man letztendlich doch alleine klarkommen muss und es viel zu kompliziert wäre, wem anderen zu erklären, was einen umtreibt.
Wer, außer anderen trauernden Eltern, kennt den Schmerz, der sich wie Gift in Deinem Körper verbreitet und wie Feuer durch Deine Adern fließt, wenn Erinnerungen, Düfte oder Musik einem den Boden unter den Füßen wegreißen. Von jetzt auf gleich wird man in andere Zeiten katapultiert, in Zeiten vor dem Tag X – in Dein altes Leben, das „Davor-Leben". Den Weg, wie ich mit meiner Trauer umgehe, muss niemand verstehen, aber ich wünsche mir, dass er einfach akzeptiert bzw. respektiert wird. Mein größter Dank gilt hier meiner großen Tochter Lara. Sie ist mein Fels in der Brandung, und ich bin unglaublich stolz auf sie, denn wir schaffen etwas, was nicht allen gelingt. Wir können miteinander reden und unsere Trauer teilen. Sie geht ihren Weg und ich bin stolz darauf, was sie alles geschafft hat, bei den vielen Steinen, die auch sie in den Weg gelegt bekommen hat. Wir sprechen jeden Tag von Amélie, erzählen uns Geschichten oder amüsieren uns, wenn wir durch irgendwelche Begebenheiten an sie erinnert werden. In den vergangenen fünf Jahren sind wir noch mehr zusammengewachsen. Wir sind ein Team mit einem ganz besonderen Schutzengel an unserer Seite. Den Schmerz darüber, den Tod unserer Prinzessin anzunehmen, werde ich bis zu dem Tag, an dem ich selbst dieses Leben verlasse, nicht akzeptieren. Sie ist meine Tochter, die kleine Schwester meiner Großen.
Amélie begleitet uns auf allen Wegen. Sie sitzt auf ihrem Stern, und wir wissen, dass sie von dort oben zu uns herabschaut und uns zulächelt. Sie hat uns beigebracht, die Welt mit ihren Augen zu sehen. Uns verbindet ein Band und das kann auch der Tod nicht trennen. Egal was passiert, unsere Prinzessin wird immer ein Teil unseres Lebens sein, denn die Liebe kennt keine Grenzen. Ich bin mir sicher, dass einige aus meinem Umfeld geschockt sein werden, sollten sie das lesen, aber ich habe keine Lust, ständig eine Maskerade aufrecht zu erhalten. Genau aus diesem Grund habe ich mich u.a. dazu entschieden, bei diesem Projekt mitzumachen. Für mich hat sich in den letzten fünf Jahren an meiner Trauer nichts Wesentliches verändert. Doch ich habe gelernt: – die schwersten Kämpfe kämpft man allein und – die Zeit heilt absolut gar nichts!!!
In ewiger Liebe zu unserer „Zessin“
Katja H.
*14.02.2007 +26.08.2013
Mein lieber Andi, mein Butzerl, unser Superheld, unser Engel …,
als du geboren wurdest, hast du unsere Familie komplett und unser Leben perfekt gemacht.
Wir waren einfach nur glücklich. Das, was wir hatten, war alles, was wir uns je gewünscht und erträumt hatten – eine glückliche und gesunde Familie.
Dann wurdest du krank, schwer krank … und das zog uns den Boden unter unseren Füßen weg.
Wir hatten große Angst. Aber wir hofften und glaubten, dass du das schaffen würdest … immer mit uns an deiner Seite. Du warst so tapfer und stark.
Doch das Schicksal hat dich betrogen und dir keine Chance gegeben.
Gerade als wir dachten, jetzt ist und bleibt endlich alles gut … Nun bist du schon mehr als sechseinhalb Jahre nicht mehr bei uns und wir vermissen dich noch genau so sehr wie vor zwei Jahren … wie vor vier Jahren … wie vor sechs Jahren. Wir werden dich immer lieben … darum werden wir dich auch immer vermissen. Wie sollte sich das auch je ändern? Und darum werden wir auch immer um dich trauern – bis wir uns eines Tages am Ende des Regenbogens wiedersehen.
Egal, wie lange es dauert, ich bin auf dem Weg zu dir.
Deine dich immer für ewig liebende Mama.
Wir sind zu fünft, weil Andi immer ein Teil von uns bleiben wird. Und doch sind wir nur zu viert, weil Andi nicht mehr an unserer Seite sein darf. Wir – das sind Andis Papa, Andis Bruder, Andis Schwester und ich, Andis Mama.
Wir alle vermissen ihn so sehr. Und wir alle trauern um ihn. Doch jeder auf seine eigene Art und Weise. Ich werde in meinem Kapitel nur von meiner Trauer schreiben, weil meine Familie, wenn ihr danach ist, von sich und ihrer Trauer zu erzählen, das selbst tun möchte.
Ich trauere seit über sechs Jahren um unseren Sohn. Andi starb (nach einem dreijährigen Kampf gegen zwei verschiedene Krebserkrankungen) an einer seltenen Autoimmunerkrankung – nachdem wir dachten, jetzt würde alles gut werden, weil er endlich krebsfrei war.
Andi war so tapfer, geduldig, mutig, stark und trotz allem lebensfroh. Er hätte für seinen Kampf mit dem Leben belohnt werden müssen – wie alle Kinder, die um ihr Leben kämpfen müssen.
Doch er wurde nicht belohnt. Andi durfte nur sechs Jahre, sechs Monate und zwölf Tage „alt'' werden. Er lag in unseren Armen, als sein Herz aufhörte zu schlagen … und wir konnten nichts dagegen tun.
Wir waren machtlos, hilflos … unsere Welt brach zusammen, stand still … und seitdem ist alles anders.
Als vor zehn Jahren der kleine Sohn meiner Freundin starb, dachte ich: „Das ist das Schlimmste, was einem passieren kann … sein eigenes Kind zu überleben … sein eigenes Kind beerdigen zu müssen.“ Allein der Gedanke daran, eins meiner Kinder zu verlieren, nahm mir den Atem … Wie schlimm es wirklich ist, weiß ich erst jetzt. Ich weiß jetzt, dass ich damals nicht die leiseste Ahnung hatte …, dass dieses „ … nahm mir den Atem“ NICHTS(!) war im Vergleich zu dem, wie es sich wirklich anfühlt.
Nach sechs Jahren kann ich sagen, dass die Trauer und der Schmerz nicht weniger werden, dass es nicht besser wird, dass es nicht leichter wird – … nur anders.
Einige Dinge ändern sich im Laufe der Zeit … andere nicht …
In den ersten Jahren nach Andis Tod war es sehr wichtig für mich, dass unter unserem Weihnachtsbaum eingepackte Geschenke für drei Kinder lagen. Auch für Andi. Es hätte sich falsch angefühlt, ihn nicht mehr zu beschenken. Er war und bleibt doch auch unser Kind.
Wenn dann später am Abend seine Geschenke von uns ausgepackt wurden, legten wir die Sachen in sein Zimmer.
Ähnlich war es mit seinen Geburtstagsgeschenken – … ein Geschenk, das wir in sein Zimmer legten und ein Geschenk, das wir zu seinem Grab brachten.
Heute kann ich es nicht mehr ertragen, dass er seine Geschenke nicht mehr selbst auspacken kann und dass die Spielsachen, die wir in sein Zimmer legen, unberührt bleiben.
Wir bringen ihm „nur noch“ Geschenke für seinen „Garten“.
Anfangs brauchte ich genau zwölf brennende Kerzen auf Andis Grab, um ihn „etwas beruhigter allein dort zurücklassen zu können“, wenn ich nach meinem Besuch bei ihm wieder nach Hause fuhr. Es musste hell leuchten bei ihm, damit er keine Angst im Dunkeln hatte. Mit der Zeit wurde mir bewusst, dass ich mich damit selbst unter Druck setzte, täglich eine Tüte voll Grabkerzen mit zum Friedhof nehmen zu müssen, um immer alle Kerzen, die nicht mehr brannten, auswechseln zu können.
Nach einiger Zeit reduzierte ich die Kerzenanzahl von zwölf auf fünf … ich brauchte einfach nur eine Zahl (an Kerzen), die eine besondere Bedeutung für mich hatte.
Irgendwann ließ ich fünf ganz persönliche LED-Grabkerzen extra für Andi gestalten … und seitdem brennt „nur noch“ eine echte Kerze in seinem „Garten“ – eine Kerze für unseren Engel – neben vielen hellen und bunten Solar- und LED-Lichtern.
In der ersten Zeit besuchte ich das Grab meines Kindes zwei- bis dreimal täglich, um zu sehen, ob alle Kerzen noch brennen. Und weil ich förmlich „hingezogen“ wurde, weil es mich (immer noch) innerlich zerreißt, ihn „dort ganz allein zu wissen“. Mein Tagesablauf richtete sich komplett nach meinen Friedhofsbesuchen und irgendwann merkte ich, dass ich mich auch damit selbst unter Druck setzte. Heute „reicht“ es mir, einmal täglich dort zu sein. Meistens abends … um zu sehen, ob seine Kerze noch brennt und ob all seine Solar- und LED-Lichter leuchten (es ist immer noch sehr wichtig für mich, dass es nachts hell ist in seinem „Garten“) und um ihm eine Gute Nacht zu wünschen.
Ich liebe es, ihn zu besuchen und ich hasse es, ihn „dort“ besuchen zu müssen.
Aber ich musste all das selbst merken … ich musste selbst bereit dazu sein, die Kerzenanzahl zu reduzieren oder nur noch einmal am Tag zum Friedhof zu fahren. Ratschläge, wie z.B. „Es ist doch nicht schlimm, wenn nur eine Kerze brennt.“ oder „Du musst doch nicht mehrmals täglich hinfahren.“ Usw. – hätten nichts genützt … eher im Gegenteil. Ich hätte mich bevormundet gefühlt und das ist etwas, was Trauernde nicht brauchen können – Bevormundung.
Denn WIE man trauert und ob man zulässt bzw. zulassen kann, dass die Trauer sich mit der Zeit ändert, liegt ganz allein am Betroffenen selbst und – vor allem – er muss bereit dafür sein.
Das Beispiel mit den Kerzen auf Andis Grab mag für manche etwas verrückt klingen … und genau so ist es auch! „Verrückt“! Nicht normal! Denn es ist nicht normal, dass Eltern ihr Kind zu Grabe tragen müssen. Passiert das doch, spielen die Gedanken in der Trauer und im Schmerz schon mal „verrückt“ – was aber doch wieder normal ist …
Es ist schwer. Vor allem ist es auch sehr schwer, zu erklären, was in einem vorgeht. Diese Gefühle zu beschreiben ist nahezu unmöglich.
Was sich bisher nicht verändert hat, ist Andis Zimmer. Es ist alles noch genau so, wie es war, als er starb. Auch Andis Jacken hängen immer noch an seiner Kindergarderobe, seine Schuhe stehen immer noch im Schuhschrank, seine Turnsachen sind immer noch in seinem Turnbeutel, sein Platz am Küchentisch ist immer noch „sein Platz“, seine Zahnbürste ist immer noch im Bad, sein Handtuch wird immer noch mit allen anderen Handtüchern ausgewechselt …
Ich weiß nicht, ob ich jemals bereit sein werde, diese Dinge zu verändern … wegzuräumen …
Es gibt viele Arten der Trauer, die andere Menschen (teilweise sogar Selbstbetroffene) nicht nachvollziehen können. Aber das ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass der Trauernde selbst das Gefühl hat, dass das, was er tut, gut für ihn ist.
Außenstehende müssen diesen Weg, den der Trauernde geht, nicht gut finden. Sie haben aber auch nicht das Recht, ihn zu kritisieren oder gar zu verurteilen!
„Jeder Mensch trauert anders, jeder auf seine eigene Art und Weise.“ „Jeder Mensch fühlt anders und geht deswegen auch anders mit Schicksalsschlägen um.“ Unzählige Male habe ich diese Sätze in den letzten Jahren gesagt/geschrieben … und noch öfter habe ich folgende Sätze gehört/gelesen: „Trauer sieht anders aus.“ „Man trauert im Stillen.“…
Es gibt immer wieder Menschen, die denken, Trauernden vorschreiben zu können, wie und wie lange sie trauern sollen/dürfen … Menschen, die glauben, es gäbe Richtlinien/Regeln, an die man sich halten müsse, …“ Menschen, die annehmen, dass nur ihre eigene Art, mit der Trauer umzugehen, die einzig richtige Art ist …
Und ich werde nicht müde, solche Menschen immer wieder darauf hinzuweisen, dass Trauer individuell ist. Und dann sind da noch die Menschen, die nach einer gewissen Zeit denken, dass „es doch irgendwann mal wieder gut sein müsste“. Man bekommt Sachen zu hören, auf die man im ersten Moment keine Antwort findet, weil man nicht glauben kann, was man da gerade gehört hat, weil man vielleicht auch noch gar nicht realisiert hat, was eigentlich passiert ist und weil man auf solche Bemerkungen nicht vorbereitet ist.
Folgende „Floskeln“, die Trauernden oft und „gerne“ an den Kopf geworfen werden, und meine Einstellung dazu hab ich vor einigen Jahren in einem Text für „Kunst gegen Kinderkrebs“ zum Thema Trauer aufgeschrieben:
„Das Leben geht weiter!“
Ja, es geht weiter … aber WIE?
Und DASS es weiter geht, ist unbegreiflich. Das Wichtigste in unserem
Leben wurde uns genommen und das Leben geht einfach so weiter, als wäre nichts passiert. Für alle anderen geht das Leben normal weiter … für uns nicht! Alles ändert sich! Wirklich ALLES!
„Du hast ja zum Glück noch andere Kinder!“
Ja, die habe ich! Und ich liebe alle meine Kinder! Aber das macht den Verlust kein bisschen leichter! Denn keins meiner anderen Kinder kann mein verstorbenes Kind ersetzen! Niemals!
„Trauerst du immer noch?“
Ich habe vor einiger Zeit einen Satz gelesen, den ich zukünftig auf diese Frage antworten werde: „Ja, mein Kind ist ja auch immer noch tot!“
„Frau X. trauert anders, die macht das alles anders …“
JEDER Mensch trauert anders! Es gibt für Trauer keine Richtlinien, weil
JEDER seinen eigenen Weg finden muss! …
„Dein Kind würde nicht wollen, dass du traurig bist … weinst …“ oder „Dein Kind würde wollen, dass du glücklich bist … lachst …" usw. …
Für mich persönlich etwas, das überhaupt nicht geht! NIEMAND kann wissen, was mein Kind wollen würde! Nicht mal ICH weiß es genau …
„Du musst endlich loslassen.“ Ich habe bereits losgelassen!
Ich habe die Seele meines Sohnes losgelassen, als ich ihm ins Ohr flüsterte, dass es in Ordnung ist, wenn er nicht mehr kämpfen möchte oder kann und zu den Engeln fliegt. Ich habe die Hand meines Sohnes losgelassen, bevor sich der Sarg für immer schloss.
MEHR loslassen muss ich nicht!
„Die Zeit heilt alle Wunden.“
Nein. Das stimmt nicht. Es gibt Wunden, die die Zeit NICHT heilt. Aber man lernt mit der Zeit, mit diesen Wunden und dem Schmerz zu leben.
Wie? Ich weiß nicht „wie“ … irgendwie! Man findet einen Weg. Seinen eigenen(!) Weg.
(u. v. m.)
Dann findet man vielleicht einen Weg, den dann aber manche Menschen nicht akzeptieren können, sondern kritisieren und verurteilen. Und das macht es trauernden Eltern oft noch schwerer, mit ihrer Trauer umzugehen, weil ihnen viel zu oft gesagt oder ihnen das Gefühl gegeben wird, etwas falsch zu machen. Als wäre es nicht so schon schwer genug …
Leider gibt es auch die Menschen, an deren Bemerkungen man erkennt, dass es ihnen wirklich egal ist, wie es einem geht, die nicht mit diesem Schicksal belästigt werden wollen oder sogar genervt davon sind:
„The show must go on.“
„Die trägt immer noch schwarz, die ist doch krank.“
„Hab dich nicht so. Andere haben auch ihr Kind verloren und haben sich nicht so.“ …
oder Menschen, die deine Trauer nicht ernst nehmen:
„Die lacht ja schon wieder, dann kann es ja nicht so schlimm sein!“
u. v. m …
All das sind meine persönlichen Erfahrungen und ich spreche hier nur für mich. Denn jeder trauert anders, jeder empfindet anders, jeder geht anders damit um. Trotzdem denke ich, dass es schon auch viele Gemeinsamkeiten gibt, was unsere Mitmenschen und ihren Umgang mit 'uns' (verwaisten Eltern) angeht.
Wenn man sein eigenes Kind verliert, ist der Schmerz unsagbar groß … das schwarze Loch, in das man fällt, ist unendlich tief. Das Gefühl, nicht mehr rauszukommen … unterzugehen … zu ersticken … kann einen fast um den Verstand bringen.
Und in dieser Zeit ist das Umfeld wichtig. Entweder es wird verwaisten Eltern noch schwerer gemacht, als es ohnehin schon ist … oder man wird aufgefangen, gestützt, auf seinem Weg begleitet.
Kurz nach dem Tod unseres Sohnes waren „erstmal“ viele Menschen in unserem Umfeld für uns da.
Doch ich habe mich verändert. Der Tod meines Kindes hat mich verändert … hat alles verändert.
Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich einmal war. In vielerlei Hinsicht. Ich bin in verschiedenen Situationen schnell überfordert. Ein „einfacher“ Telefonanruf kann zu schwer für mich sein.
Ich bin weniger belastbar als früher. Eine spontane Planänderung kann mich total aus der Fassung bringen.
Ich bin empfindlicher geworden, was Kritik angeht. Habe ich mir anfangs noch ziemlich alles angehört, was mir gesagt wurde, kontere ich heute umso mehr.
Wenn ich mir Kritik anhören muss und ich der Meinung bin, dass sie ungerechtfertigt ist oder dass es (eigentlich nachvollziehbare) Gründe dafür gibt, warum ich mich gerade so verhalte, wie ich mich verhalte, wehre bzw. verteidige ich mich. Vor allem, wenn es darum geht, dass und wie ich mich verändert habe.
Ich mag/kann nicht mehr unter Menschen (Feste, Veranstaltungen o. ä.) gehen …
Ich will vermeiden, Bekannten zu begegnen und kritisiert zu werden, weil ich „immer noch schwarze Kleidung trage“ oder weil ich „immer noch trauere“. Ich will vermeiden, mir kluge Ratschläge anhören zu müssen – meistens von Menschen, die nicht wissen, wovon sie sprechen, weil sie (glücklicherweise!) kein Kind verloren haben.
Verschiedene Situationen, Erinnerungen, Lieder, Erlebnisse sorgen dafür, dass sich meine Stimmung von „Heute gehts eigentlich!“ schlagartig zu „Ich möchte mich verkriechen, nichts hören, nichts sehen … einfach nur schreien!“ ändern kann … und ziehen mich in ein tiefes, schwarzes Loch, aus dem ich nur sehr schwer wieder herauskomme.
Manchmal brauche ich Hilfe … manchmal schaff ich es allein … manchmal hab ich das Gefühl, unterzugehen, nicht mehr atmen zu können …
Manchmal weiß ich selbst nicht, was mir gerade helfen würde. Ich möchte reden, schweige aber. Ich möchte allein sein, fühl mich dann aber einsam.
Es gibt Tage, da mache ich wohl den Eindruck „wie immer“ bzw. „wie früher“ zu sein. Wie viel Kraft das kostet, sieht jedoch niemand.
Das macht mich manchmal wütend und hilflos und ich frage mich: „Warum muss ich mich zusammenreißen? Nur um es meinem Umfeld leichter zu machen, mit mir „klarzukommen“?
Das sind dann diese Tage, an denen mir die nötige Kraft fehlt und auch der Wille … da merkt man mir an, dass es mir schlecht geht. Dann bin ich angespannt, nervös, leicht reizbar, nicht sehr gesprächig, den Tränen nah …
Und viele Menschen können mit all dem nicht umgehen …
Ich wurde von einigen Menschen im Stich gelassen, weil ich zu kompliziert geworden bin …, weil es schwer wurde, mit mir umzugehen …, weil ich mich verändert habe … Und DAS hat mich noch ein Stück mehr verändert.
Aber auch ICH habe mich zurückgezogen, wenn ich merkte, dass einige Menschen nichts mehr mit mir anfangen konnten und mir das Gefühl gaben, mich und meine Trauer nicht ernst zu nehmen. Mein Vertrauen, mich auf Menschen verlassen zu können, wurde erschüttert.
Andere Menschen wiederum sind an meiner Seite geblieben, hören mir zu und geben mir Halt.
Und es sind Menschen in mein Leben getreten, die mit dem gleichen Schicksal leben müssen, die zu Freunden geworden sind. Sie verstehen mich ohne viele Worte. Und umgekehrt.
Seit Jahren sind da so viele verschiedene Gefühle, die in meinem Herzen und in meinem Kopf herumschwirren. Gefühle, die ich nicht kontrollieren kann. Oft wechseln sie sich ab. Oft sind sie alle gleichzeitig da. Sie kommen und gehen … manchmal kündigen sie sich an … manchmal überkommen sie mich ganz plötzlich …
Leere, Dankbarkeit, Schuldgefühle, Liebe, Hass, Freude, Traurigkeit, Angst, Zuversicht, Sehnsucht, Schmerz, Wut, Zorn, Hoffnung, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Einsamkeit, Hilflosigkeit …
Es ist ein Auf und Ab …
Ich habe drei Kinder und ich werde immer drei Kinder haben. Die Liebe zu meinen drei Kindern hört nie auf. Auch nicht nach dem Tod. Sie gibt mir immer wieder aufs Neue Kraft. Ich bin dankbar, dass Andi bei uns war und auch nach seinem Tod immer bei uns bleiben wird. In unseren Herzen – in unseren Gedanken.
Ich bin dankbar für Andis Geschwister, dass es sie gibt, dass sie ihren Weg gefunden haben und dass sie meinem Leben trotz allem einen Sinn geben. Ich bin dankbar, dass ich die Kraft, für meine Kinder zu kämpfen, sie zu verteidigen und immer für sie da zu sein, nicht verloren habe. Dank ihnen lernte ich wieder, Freude zuzulassen, Spaß an etwas zu haben und zu lachen. Jedoch überkommt mich nach solchen Situationen oft ein schlechtes Gewissen … „Wie kann ich lachen, wenn doch mein Kind tot ist?“
Schuldgefühle und Verzweiflung, weil ich mein Kind nicht retten konnte. Jedes Elternteil, das sein Kind so sehr liebt, würde sein Leben für sein Kind geben … würde alles tun, um sein Kind zu retten. Doch manchmal ist man machtlos …
Schuldgefühle und Selbstvorwürfe, weil ich mein Versprechen „Ich werde dich immer beschützen!“ nicht halten konnte. Schuldgefühle, Momente nicht „genutzt“ zu haben. Fragen wie „Warum hab ich das nicht mehr mit ihm gemacht?“, „Hab ich ihm oft genug gesagt, dass ich ihn liebe?“, „Was hätte ich besser machen können?“, „Was hab ich übersehen?“ oder einfach nur „WARUM???“ quälen mich immer und immer wieder …
Mit jedem Tag, der vergeht, vermisse ich mein Kind mehr. Und der Schmerz ist manchmal kaum auszuhalten. Ich bin wütend und traurig, weil Andi viel zu früh gehen musste. Dabei sollte jedes Kind groß werden dürfen … sein Leben genießen dürfen … sich verlieben dürfen … Abenteuer erleben dürfen …
Manchmal fühl ich mich hilflos und allein, wenn mich ganz plötzlich Erinnerungen „überfallen“.
Erinnerungen an die Zeit, als Andi krank war und um sein Leben kämpfte.
Erinnerungen, die immer wieder wie ein Film vor meinen Augen ablaufen.
Erinnerungen an den Moment, als das Herz meines Kindes in meinen Armen aufhörte zu schlagen.
Erinnerungen, die mich verfolgen werden, bis ich selbst die Augen schließe.
Ich habe Angst, dass es „danach“ nichts mehr gibt und ich Andi nie wiedersehe … und dennoch die Hoffnung, dass er eines Tages am Ende des Regenbogens auf mich wartet.
All diese Gedanken und Gefühle … ich kann nicht verhindern, dass sie plötzlich da sind.
Aber ich habe mit der Zeit gelernt, sie „wegzuschieben“ und komme so „gut“ durch den Tag. Ich kann lachen, Freude empfinden, Spaß haben …
Nicht immer, aber manchmal. Allerdings holen mich „weggeschobene“ Gedanken dann zu einem späteren Zeitpunkt ein.
Abends, nachts …, wenn es um mich herum ruhig wird. Panikattacken, Schlafprobleme … sind der „Preis für gute Tage“.
Und obwohl ich manchmal das Gefühl habe, immer noch nach „meinem Weg“ zu suchen, geh ich ihn wohl schon stückchenweise …
Mein Weg ist meine Familie, die für mich da ist und die ich über alles liebe. Und auch wenn wir manchmal verschiedene Abzweigungen nehmen, ist unser Ziel dasselbe – dieses Leben gemeinsam zu meistern. (Ich bin froh und dankbar, dass es euch gibt!)
Mein Weg ist Andis Grab – ihn dort täglich zu besuchen und es liebevoll zu gestalten und dekorieren. All meine Liebe, die ich meinem Kind nicht mehr direkt geben/zeigen kann, ist in seinem „himmlischen Garten“.
Mein Weg ist, Andis „Motto“ nicht zu vergessen:
Never Ever Give Up
Mein Weg ist das Schreiben … meine „Briefe“ an Andi … oder nun schon zum zweiten Mal ein Kapitel in einem Buch, das von verwaisten Eltern geschrieben wird.
Mein Weg ist „Kunst gegen Kinderkrebs“, wo ich helfen darf, krebskranke Kinder und ihre Familien zu unterstützen … wo ich helfen darf, anderen Betroffenen einen Raum zu geben, über ihr Schicksal zu sprechen, weil ich weiß, wie wichtig das für manche Menschen ist … und wo ich selbst Raum bekomme, zu schreiben und meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Es gibt mir unheimlich viel, Teil dieses tollen Teams sein zu dürfen.
Ich habe schon sechseinhalb Jahre ohne Andi (und doch mit ihm) geschafft. Und auch wenn ich nicht ganz genau sagen kann, WIE ich es geschafft habe, hoffe ich, es irgendwie weiter zu schaffen.
Für meine Familie und mit meiner Familie an meiner Seite und mit Andi in meinem Herzen.
Claudia B.
* 22.6.1986 +22.02.2017
Die Achterbahn meiner Gefühle fing am 22.4.16 an, als Benjamin mich anrief und mir sagte, dass bei ihm gerade Krebs diagnostiziert wurde. Nun wurde vieles verständlich: seine sehr häufigen Infekte, sein nächtliches Schwitzen, seine wiederkehrende Müdigkeit, usw. Um mich zu beruhigen (und er sich selber wohl auch) meinte er, dass es gut eine Krebsform sein könnte, welche gut behandelbar sei. Später stellte es sich heraus, dass diese Hoffnung vergebens war.
Ich rief meinen Mann Wolfgang (Benjamins Vater) und unsere Tochter (Benjamins Schwester A.) an. Da mein Mann gerade selber einen Infekt hatte und unseren Sohn nicht anstecken wollte, machte sich unsere Tochter umgehend von ihrer Heimat, 500 km von Hamburg entfernt, auf den Weg zu Benjamin nach Hamburg. Ein paar Tage später löste mein Mann sie in Hamburg ab. Seit seiner Diagnose und Behandlung im UKE in Hamburg waren fast durchgehend entweder Wolfgang oder A. in Hamburg, um Benjamin während der extrem harten Chemotherapie-Behandlungen zu begleiten. Erst als Benjamin sechs Monate später zum Palliativpatient wurde, kam er für die letzten drei Monate seines Lebens zu uns nach Kassel.
Benjamin hat sich ab dem Tag seiner Diagnose als Lebender und nicht als Sterbender bezeichnet und das auch so weit wie möglich gelebt. Sogar zwölf Stunden bevor er starb, sagte er zu mir: „Mama, ich habe den richtigen Schalter noch nicht gefunden, aber ich suche ihn weiter“. Doch er fand diesen Schalter nicht mehr.
Weil Benjamin so überzeugend seinen Weg zur Wiederherstellung seiner Gesundheit suchte, und weil ich, genau zehn Jahre davor, etwas unerwartet, aber glücklicherweise meine schwere Krebserkrankung überlebt hatte, glaubte ich oder wollte ich glauben, dass Benjamin seinen Kampf gewinnen würde. Entsprechend gab es auch keine Art von Abschiedsgespräch mit irgendeinem von uns, auch nicht mit seiner Freundin.
Als Benjamin starb, war ich im Schockzustand. Ich funktionierte wie in Trance, sowie auch mein Mann und unsere Tochter. Es gab so viel zu organisieren! Während der Beerdigung neun Tage später war ich immer noch im Schockzustand. Es gab eine sehr große Beerdigung mit ca. 300 Gästen, wovon Verwandtschaft und Freunde überall aus Deutschland, England, Israel, und USA angereist waren. Da ich jüdisch bin und es üblich im Judentum ist, mit Freunden und Verwandten eine Woche gemeinsam zu trauern (das heißt Schiwa-Sitzen), waren wir nicht alleine, und langsam brach die Trauer immer mehr bei mir heraus. Immer häufiger brach ich weinend zusammen. Ich fühlte mich, als ob ich im falschen Film war, leer, irreal. Meinem Mann und A. ging es ähnlich. Es gab auch gelegentlich Spannungen unter uns bei den notwendigen Vorbereitungen für die Beerdigung. Benjamin fehlte. Das Familien-Gleichgewicht war aus dem Lot, alles schwankte, so wie es bei einem Mobile sein würde, wenn plötzlich ein Teil abgeschnitten würde.
Mein Mann rief sehr bald nach der Beerdigung einen befreundeten Psychotherapeuten an und fragte, ob er uns eine/einen Trauerberater/in empfehlen könnte. Das tat er, und daraufhin rief mein Mann gleich bei Frau
Weißenfels an und machte einen Termin für uns beide bei ihr. (Am nächsten Tag war zufällig auch ein überzeugendes – eine Seite umfassendes – Interview mit ihr in der Kasseler Zeitung.) Zum Glück hatte Frau Weißenfels sehr bald Zeit für uns.
Zu diesem Zeitpunkt war die Trauer bei meinem Mann, unserer Tochter und bei mir voll ausgebrochen. Parallel dazu organisierten ca. sieben Freunde von Benjamin mit uns eine tolle große Feier für Benjamin in Hamburg, sechs Wochen nach seinem Tod für seine Freunde und Verwandten, von denen viele nicht bei der Beerdigung sein konnten. Benjamin hatte zwar kein Testament gemacht (er plante ja weiter zu leben), aber eine kleine Auflistung, wer einiges seiner Gegenstände erben sollte, sollte er doch sterben, hatte er hinterlassen. Dabei bat er, dass seine übrigen Cocktailzutaten und Alkoholika bei einer Feier für seine Freunde in Hamburg verwendet werden sollten. Und so war es. Es kamen ca. 150 Menschen zu dieser außergewöhnlichen Feier und feierten und bedachten Benjamin. Mein kleinerer Anteil in der Planung für diese Feier war wichtig für mich, weil sie mich von meiner tiefen Trauer etwas ablenkte. Parallel zu der Planung sammelte ich Fotos aus Benjamins letztem Lebensjahr und von der Beerdigung für Fotobücher, die ich noch plante zu machen. Und wir ließen große Fotos von Benjamin abziehen, die bis heute in unserem Haus verteilt hängen.
Nach der großen Feier fiel ich zunächst in ein Loch. Die geteilte Trauer mit meinem Mann (und unserer Tochter) half mir jedoch, eine gewisse Stabilität in mein Leben zu bringen. Und die 14-tägigen Sitzungen bei Frau Weißenfels waren so sehr wichtig. Durch sie lernte ich, dass unsere Gefühle bei der Tragödie „normal“ waren. Und an den Punkten, wo mein Mann und ich mich verzwickten, half sie uns sehr, den anderen zu verstehen und zu akzeptieren. Während dieser zweistündigen Termine, die zunächst alle vierzehn Tage stattfanden, bekam ich immer wieder mehr Boden unter meinen Füßen. Dort konnten wir unsere Gefühle richtig fühlen und zulassen. Wir erzählten auch viel über unseren wunderbaren Sohn. Sie hörte uns immer zu und stellte auch öfters Fragen, die uns weiterbrachten.
Kurz nach Benjamins Tod bin ich mehreren Facebook-Seiten für trauernde Eltern beigetreten. Auch diese waren und sind mir immer noch sehr wichtig. Es tut mir gut, von Menschen, die Ähnliches erlebt haben, zu hören und mit ihnen zu kommunizieren. Mit der Zeit verfolgte ich diese Seiten etwas seltener. Aber sie sind wie gute Freunde für mich, wo ich mich in meiner Trauer verstanden und weniger alleine fühle. Auch kurz nach Benjamins Tod schrieb ich jeden Abend eine andere Erinnerung über ihn auf. Das tat ich zwei Jahre lang. Dann merkte ich, dass es mir lästig wurde, das jeden Abend zu machen. Es kam bei der Trauerberaterin zur Sprache. Da merkte ich, dass diese Erinnerungsarbeit fast zu einem Zwang für mich geworden war. Ich hatte damit angefangen, weil ich Angst hatte, irgendein Erlebnis über ihn oder gar ihn selber zu vergessen. In dem Beratungsgespräch wurde mir klar, dass dieses nie passieren wird. Es war eine Erleichterung für mich, die zweijährige Gewohnheit abzulegen.
Bald nachdem Benjamin gestorben war, mussten wir sein Wohngemeinschaftszimmer räumen. Das war sehr, sehr schwer. Ich ließ dabei die Trauer nur selten zu. Zum Glück halfen mehrere Freunde von Benjamin bei dieser Aufgabe. Wir behielten einiges, weil wir uns stark damit verbunden fühlten. Und diese Sachen mit vielen Fotos sind in unserem Gästezimmer, das wir auch als Benjamins Erinnerungszimmer hergerichtet haben und so bezeichnen.
Da Benjamin an einem 22. eines Monats geboren wurde, seine Krebsdiagnose erhielt und auch an einem 22. starb, fing ich schon einen Monat nach seinem Tod an, in meiner und seiner Facebook-Seite zum 22. jeden Monats Fotos von ihm und eine kleine Geschichte über ihn dort einzustellen. Ich mache das immer noch, auch weil diese Posts viel Anklang bei seinen und meinen FreundInnen finden. Ich glaube, somit bringe ich ihn immer wieder bei seinen FreundInnen zum Leben, und auch ich trauere im positiven Sinne ganz erheblich hierdurch. Langsam gehen mir hierfür die Fotos, die ich dort noch nicht gezeigt habe, aus. Ich weiß nicht, wie lange ich dieses Ritual weiterführen werde. Es ist mir klar geworden, dass er von anderen nicht vergessen wird und dass er in meinem Herz immer weiterleben wird.
Nach der großen Feier in Hamburg waren mein Mann, unsere Tochter und ich tief in der Planung für den Grabstein für Benjamin eingebunden. Er sollte zu ihm passen und seine Lebensfreude und seine Liebe zur Natur widerspiegeln. Es war für uns Drei ein sehr großes Projekt, in dem ich auch meine Trauer ein Stück weiterverarbeiten konnte. Am Ende waren und sind wir sehr zufrieden mit dem Resultat. Am 24. Juni 2018 wurde dieser Grabstein eingeweiht. Danach hatte ich erstmals Angst, wie die Verarbeitung meiner Trauer weiter gehen könnte.
Die Einweihung von Benjamins Grabstein lag 16 Monate nach seinem Tod. Ich merkte, dass ich mich nicht in dem Schockzustand befand, wie es war, als er ins Grab gelegt worden war. Mir liefen dieses Mal die Tränen, aber ich fühlte mich etwas getragen durch unsere und Benjamins Freunde, die mit uns bei der Grabsteineinweihung dabei waren. Es waren vor allem Benjamins Freunde, die seit seinem Tod uns in unserer Trauer begleitet und mitgetragen haben. Bisher kamen sie aus verschiedenen Ecken Deutschlands, um seiner an seinen Geburtstagen und Todestagen zu gedenken. Dabei helfen sie auch mir, mit Benjamins Tod ein Stück besser umzugehen.
Ich fühle mich eher von Benjamins Freunden als von meinen Freunden durch meine Trauer getragen. Meine Freunde scheinen weniger gut damit umgehen zu können. Sie vermeiden das Thema „Benjamin“. Im Gegensatz dazu sprechen Benjamins Freunde mit uns über ihn. Und jedes Mal, wenn sie kommen, merke ich, dass ich besser mit der Trauer umgehen kann und immer besser den Grund wieder unter meinen Füßen finde.
Benjamins dritter Geburtstag ohne ihn liegt seit Kurzem hinter uns. Dieses Mal haben wir seinen Geburtstag mit seiner Patentante gemeinsam gewürdigt. Wir waren länger an seinem Grab, wo wir seiner gedachten. Am selben Abend haben wir ein Foto von ihm aufgestellt, eine schöne Rose in einer Vase daneben gestellt und eine Kerze zu seinem Gedenken für ihn angezündet. Dann lasen wir nochmals seine Grabrede. Und dann tranken wir ein Glas Sekt auf sein Leben und auf seinen Wunsch, nicht in tiefer Traurigkeit zu verweilen, sondern zu versuchen, unsere Leben so auszufüllen, so wie auch er es sich für uns gewünscht hatte.
Seit Benjamins Tod haben mein Mann und ich in jedem der drei Jahre Urlaub in Cuxhaven gemacht. Dort waren wir weder ohne noch mit Benjamin je gewesen. Wir hatten jedes Mal mindestens ein gutes Foto von ihm dabeigehabt. Der erste Urlaub in 2017 war sehr schwer, der zweite etwas weniger schwer und der letzte wurde nicht mehr so stark von unserer Trauer und Sehnsucht nach Benjamin überschattet. So würde es Benjamin sich auch wünschen. Das wissen wir alleine schon durch seine Grabrede. Aber ein Teil meines Herzens wird mit Sicherheit immer gebrochen bleiben. Damit versuche ich mich, immer noch abzufinden. Vermissen werde ich ihn täglich bis zum Ende meines Lebens.
Benjamin Bahr war das Zweite unserer Kinder. Geboren wurde er an dem sonnigen Sonntag des 22.6.1986. Benjamin war ein Glückskind. Ihm fiel das Lernen leicht, er war von früh auf sehr beliebt, recht sportlich und sah gut aus. Er hatte die Gabe, anderen gut zuzuhören, und war sehr hilfsbereit und großzügig. Sein Großvater bezeichnete ihn mal als „Glückskind“. Und so verlief sein Leben bis zu seiner späten Jugend. Ab dem Zeitpunkt wurde er immer häufiger krank. Er achtete verstärkt auf seine Ernährung, machte Sport und versuchte sein Leben so gesund zu gestalten wie möglich. Dennoch, seine Bemühungen halfen nicht. Als er sich im April 2016 vollkommen durchchecken ließ, erhielt er die niederschmetternde Krebsdiagnose: Gemischter Keimzellentumor im oberen Mediastinum. Zehn Monate brutale Chemotherapie, Bestrahlungen und Alternativmedizin folgten, ohne Erfolg.
Benjamin hinterließ eine Grabrede auf Englisch. Diese hatte er heimlich drei Monate vor seinem Tod geschrieben und seinen Chef gebeten, sie im Falle seines Todes zu verlesen. Sein Chef rief uns an, als er erfuhr, dass Benjamin gestorben war und wies uns darauf hin, dass es eine Rede in Benjamins digitalen Daten geben müsste. Es folgte eine intensive Suche danach, und wir hatten Glück, dass ein Freund von ihm sie noch rechtzeitig für Benjamins Begräbnis in Benjamins Notebook gefunden hatte und eine gute Freundin von Benjamin sie noch rechtzeitig ins Deutsche übersetzen konnte. Hier ist sie:
Liebe Familie und liebe Freunde,
Danke, dass Ihr hier bei mir seid.
Danke, dass Ihr im Laufe meines Lebens bei mir gewesen seid.
Danke, dass Ihr jetzt bei mir seid.
Ja, jetzt.
Mein Körper vermag vielleicht nicht mit Euch zu sein.
Aber ich bin es.
Ich bin mit Euch in Euren Erinnerungen
Ich bin mit Euch, wenn Ihr Euch alleine fühlt
Ich bin mit Euch, wenn Ihr liebt und wenn Ihr Euch freut!
Nun habe ich mich wiedervereint mit den weniger physikalisch greifbaren Aspekten dieses Universums:
Mit der wunderbaren Energie, die durch alle Wesen fließt
Mit dem Wind, der durch die Bäume weht
Mit einem schönen Lied, Bild, oder Moment, was immer uns berührt
Mit der tieferen Weisheit, die wir spüren, wenn wir auf unsere Herzen hören
Mit dem warmen Gefühl der Liebe im Innersten von uns allen
Vielen Dank für Eure Unterstützung in den letzten Monaten!
Sie hat mich so schön getragen! Bitte denkt nicht auch nur für einen Moment, dass Eure Gebete, Eure Gedanken, und Eure Hilfe zu nichts geführt hätten!
Ich versichere Euch, sie haben viel gebracht!
Ich habe den Kampf gegen den Krebs nicht gewonnen, aber dank Eurer
Gebete, Eurer Gedanken, Eurer Hilfen, waren die Monate, in denen ich gegen den Krebs kämpfte, mindestens so erhebend und erfreuend wie andere Zeiten meines Lebens, wenn nicht noch mehr.
Ich glaube, dass die Welt in Zyklen wirkt, nichts dauert in seiner Form.
Es gibt eine Zeit der Geburt und eine Zeit des Sterbens, beide gehören gleichermaßen zum Leben.
Aber in der Mitte, da ist Lebendigkeit!
Oh, ich liebe das Leben! Und ich möchte Euch alle ermutigen Eure Flügel so weit auszubreiten, wie Ihr könnt und das Leben zu leben!
Hört auf Euer Herz. Es weiß den Weg.
Vertraut Euch selbst. Traut Euch, Euren Träumen nachzugehen. Traut Euch so zu sein, wie Ihr in Eurem Herzen schon lange wisst in Wahrheit zu sein, ein Sein, in das Ihr hineinwachsen könnt.
Es ist, dass wir jeden Lebensmoment tiefer wertschätzen können, weil unserem Leben Grenzen gesetzt sind.
Ich habe eine Bitte an Euch alle: Bitte versinkt nicht meinetwegen in tiefe Traurigkeit. Ich habe das auch nicht getan. Stattdessen, denkt bitte an die Freude, die wir zusammen hatten. Das Wunder des Lebens, das wir zusammen erlebt haben. Die Liebe, die wir geteilt haben. Nehmt Euch selbst, und somit auch mich, zu den schönsten Momenten, die wir zusammen hatten.
Und lasst diese Momente in Euren Herzen aufleuchten. All diese Positivität bleibt als ewige Schöpfung zwischen uns und der Energie des Universums. Wenn Ihr wirklich etwas für mich tun wollt, dann teilt diese Freude, teilt dieses Wunder, teilt diese Liebe. Teilt sie mit anderen. Teilt sie mit der Welt. Und, was am allerwichtigsten ist, teilt sie mit Euch selbst.
Ich habe schon immer an das angeborene Gute der Menschen geglaubt. Ich bin so glücklich, dass die letzten Monate meinen Glauben mehr als nur bestätigt haben. Das Gute, das ich empfangen durfte, kommt aus Eurem tiefsten Inneren. Ich sehe, dass Euer Herz strahlt. Ich sehe, dass Eure Seele leuchtet. Ich sehe Euch. Und es ist wunderschön!
Ich danke Gott für das Leben,
Und ich danke Euch, dass Ihr daraus ein tolles
Leben gemacht habt!
Ich werde Euch immer lieben.
Nun, lasst uns gemeinsam das Leben feiern.
Euer Benjamin
Barbara B.
*10.03.1991 +03.10.2012
Mein Sohn Benjamin Ziegler wurde am 10.3.1991 als jüngstes meiner vier Kinder geboren. Er verstarb am 3.10.2012 an einem Hirntumor, Glioblastoma multiforme Stufe IV, inoperabel, da am Stammhirn sitzend.
Ich erlebte mit Benjamin eine schöne Schwangerschaftszeit, mit komplikationsloser Geburt. Obwohl ich vierzehn Monate zuvor meine Tochter per Kaiserschnitt entbunden hatte, war dieses wieder eine Spontangeburt und wie einige Monate zuvor bei seiner Schwester, fiel der Tag der Geburt wieder auf einen Sonntag.
Mein Benni war ein sonniges, fröhliches Kind, mit einem ungezügelten Temperament, man nannte es hyperaktiv. Diese Hyperaktivität wurde auch bei mir im Alter festgestellt, habe ich ihm wohl mitgegeben.
Seine Geschwister, Marc, Jens und Linda, waren bei seiner Geburt zwölf, zehn und ein Jahr alt, er wurde von allen Geschwistern geliebt und betüdelt. Sein Name, Benjamin war Programm.
Ich bin in meiner zweiten Ehe verheiratet, mit Georg, meinem Mann, jetzt schon seit 20 Jahren zusammen. In dieser für mich sehr schweren Zeit wurde ich immer von ihm unterstützt. Er hat mir geholfen und ist mit mir immer gemeinsam den Weg der Trauer gegangen.
Zu seiner Schwester Linda hatte „Benni“, wie er von allen liebevoll genannt wurde, ein besonderes Verhältnis, und da die beiden nur vierzehn Monate trennte, teilten sie sich einen fast gemeinsamen Freundeskreis, bis auf wenige Ausnahmen.
Benjamin war, zu dem Zeitpunkt der Diagnose, die er kurz nach seinem einundzwanzigsten Geburtstag bekam, als Ordner bei unserem Fußballverein BVB Dortmund, den er sehr liebte, angestellt. Die Deutsche Meisterschaft 2012 des BVB, worüber er sich sehr freute, wurde auch trotz seiner kurz zuvor festgestellten Erkrankung noch ausgiebig mit Freunden und Geschwistern gefeiert.
An den Tag der Diagnose, 24.04.2012, erinnere ich mich noch ganz genau.