(Un)menschlich. Teil 2 - Gabriela Hochleitner - E-Book

(Un)menschlich. Teil 2 E-Book

Gabriela Hochleitner

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Beschreibung

Die Energie der Menschen beginnt zu steigen. Das passiert allerdings nicht so gleichmäßig, wie es zunächst scheint... Natürlich hat der Teufel seine Finger im Spiel und hofft auf einen endgültigen Sieg über Gott und seine Engel. Gleichzeitig ist Annies Job für die WG zum Verhängnis geworden: Ein Mandant, für dessen Freilassung sie persönlich gesorgt hat, ist hinter Beth her. Es wird nicht leicht für die Engel, die schon dabei sind, die Menschen aufzugeben und dabei selbst verzweifeln. Werden Jerome und Gott eine Lösung finden? Und kann ein gemeinsamer Plan überhaupt ausreichen? Der Teufel hat schließlich immer ein Ass im Ärmel...

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Gabriela Hochleitner

[UN]menschlich.

Zwischen Hölle und Menschlichkeit

Band 2

Gabriela Hochleitner

[UN]menschlich.

Zwischen Hölle und

Menschlichkeit

Band 2

Impressum

Texte:

© 2023 Copyright by Gabriela Hochleitner

Umschlag:

© 2023 Copyright by Gabriela Hochleitner

Lektorat: Janna Mariko

Verantwortlich

für den Inhalt:

Gabriela Hochleitner

Schulstraße 5 / Tourismusbüro

94169 Thurmansbang

[email protected]

Druck:

Kindle Direct Publishing

KDP Amazon

www.zeilenherz.de

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei meiner Familie bedanken, die mir stets tatkräftig und unterstützend zur Seite steht. Ihr alle lest meine Bücher und teilt mir eure Meinungen mit – das weiß ich sehr zu schätzen. Auch bei meinen Buchbloggern bedanke ich mich herzlich. Ihr habt mich schon so wunderbar bei dem ersten Teil unterstützt. Vielen Dank dafür.

Außerdem danke ich Janna Mariko, die nicht nur das Hörbuch zu Band 1 eingesprochen, sondern auch das Lektorat dieses Bandes übernommen hat. Die Zusammenarbeit mit ihr macht mir einfach Spaß und ihre Meinung ist mir sehr wichtig geworden.

Ich bedanke mich bei euch allen von ganzem Herzen für eure Zeit, eure Meinungen, eure Ehrlichkeit und Vorschläge.

Besonders hervorheben möchte ich jedoch meinen Mann, Fabian Hoffmann. Er ist nicht nur der erste und vor allem kritischste Testleser, sondern unterstützt mich und meine Autorenkarriere auf jede erdenkliche Art und Weise. Noch kein Buch wurde ohne sein „GO“ oder seine Meinung veröffentlicht und ich bin mir bewusst, wie viel Zeit er in mich und meinen Traum investiert. Ich danke dir von Herzen.

Ich liebe dich.

Rückblick

Die Menschen auf Erden wurden durch all das Yoga und die Meditationen so entspannt, dass sie immer weniger starke Emotionen wie Hass und Liebe empfanden. Gott und der Teufel hatten sich daher vereint, um Engel und Dämonen auf die Erde zu schicken. Als Menschen. Sie sollten dort für ein wenig Wirbel sorgen, um wieder mehr Energie aus den Emotionen zu erzeugen und nutzen zu können. Erst als die Energie mehr wurde, konnten einige der ehemaligen Engel und Dämonen zurückkommen und wieder Gottes oder des Teufels Werk verrichten. Dazwischen gab es einen Tausch. Leila, die sich in einen Engel verliebt hatte, wurde durch einen Dämon getäuscht, wodurch sie wieder zur Dämonin wurde. Mika gab ihr Leben, um sie zurückzuholen. Seit über einem Jahr sind sie nun auf der Erde. Einiges hat sich bereits geändert und vieles wird sich noch ändern …

Dieses Buch widme ich allen, die tagtäglich ihr Bestes

geben, um diese Welt zu einem guten Ort zu machen.

Danke, dass es euch gibt.

K A P I T E L 1

Leiser Verdacht

Leila schließt die Wohnungstür hinter sich. Bereits im Treppenhaus konnte sie die frische Farbe riechen, doch jetzt steigt ihr der Geruch intensiv in die Nase. Es riecht nach Umschwung. Nach Neuanfang. Sie legt die Taschen aus dem Baumarkt ab und hängt ihre Jacke an die Garderobe, um einen kleinen Blick in Mikas ehemaliges Zimmer zu werfen. Ihr fehlt die quirlige Art und dennoch freut sie sich für sie, dass sie das Unmögliche geschafft hat: Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, als Ex-Dämonin ein Engel zu werden und sie hat es tatsächlich geschafft. „Das werde ich dir nie vergessen“, seufzt Leila dankbar in den leeren, hallenden Raum und wird dabei ein wenig sentimental. Ohne Mikas Tausch für ihr Menschenleben, könnte Leila schließlich nicht hier sein. Alles, was sie seither erleben und erfahren durfte, hat sie ihr zu verdanken. Den Tränen nahe, versucht Leila das enge Gefühl in ihrem Bauch abzuschütteln. Sie will nicht Trübsal blasen - das hätte die kleine rothaarige Freundin ja schließlich nicht gewollt. Als sie das Zimmer verlässt, wird ruckartig Annies Türe aufgerissen. Sie balanciert mit einem großen Karton im Arm aus dem Zimmer und hat für ihre Verhältnisse sogar ein wenig zerzauste Haare. „Annie, kann ich dir helfen?“, fragt Leila, während sie bereits nach dem Karton greift. „Dankeschön!“, schnaubt Annie erleichtert und versucht, sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht zu pusten. „Wie gesagt, du musst nicht rüberziehen. Bleib doch einfach“, versucht Leila sie zu überreden. „Nichts für ungut, Leila, aber ich habe schon viel zu lange mit dir und Gabriel im Liebesnest rumgekuschelt. Da werd ich ja lieber zum Engel wie Mika!“, lacht Annie, für die es wohl nichts Grausameres gäbe. Die einzig motivierte Dämonin, die noch für Unheil sorgt, ist mit großem Abstand nach wie vor sie. Leila schüttelt lachend den Kopf. Nachdem sie wieder in ihr Menschenleben und vor allem zu Gabriel zurück durfte, hatten die Engel und Dämonen nun nach einem Jahr besprochen, dass die beiden ja zusammen die Wohnung nehmen könnten. Für Gabriel und Leila macht das kaum einen Unterschied, schließlich ist Gabriel sowieso meistens hier und Annie hat mehr als nur ein Zimmer zur Auswahl in der Engel-WG. „Aber findest du es tatsächlich besser, mit Engeln zu wohnen?“, forscht Leila provokant aber schmunzelnd nach, während sie die Wohnungstür der Nachbarwohnung aufstößt. Annie entgegnet ihr mit teils amüsiertem, teils herausforderndem Blick: „Schätzchen, lieber lebe ich mit hundert Engeln, als mit einem knutschenden Liebespaar. Nein, danke. Wirklich nicht. Ich habe auch meinen Stolz, weißt du. Außerdem würde ich Katie nicht als Engel zählen.“

„HEY! Das habe ich gehört!“, ruft Katie aus dem Wohnzimmer. Annie und Leila kichern ein wenig im Gang und bemerken den Kopf einer wütenden Katie, den sie mit ihren ewig langen Haaren von der Couch in den Gang streckt. „Nimm es mir nicht übel, Katie, aber du weißt ja…“, lacht Annie. „Fick dich doch, Annie!“, ruft ihr Katie nach, muss aber selbst ein wenig schmunzeln. Bei dieser Aussage schnalzt Beth mit der Zunge und bewegt leicht den Kopf von links nach rechts, wie eine schockierte alte Dame. „Was denn? Strick ruhig weiter, Ömchen“, winkt Katie ab und schaut wieder auf ihr Handy.

Leila und Annie haben in der Zwischenzeit den Karton in Gabbys ehemaligem Zimmer abgestellt. Annie stellt prüfend fest: „Gut, dass ich noch nicht so lange auf der Erde bin. Ich habe jetzt schon so viele Sachen - da wird man ja nie fertig mit einem Umzug.“ Leila stimmt ihr zu. Gabriel und sie haben auch nicht gerade wenig. Ein kleiner Nachteil, wenn man auf der Arbeit täglich von den neuesten Klamotten umgeben ist und natürlich auch die neuesten Trends tragen sollte. Deshalb haben sie auch vor, Mikas Zimmer in einen begehbaren Kleiderschrank zu verwandeln, um in Leilas ein großes Bett zu stellen. Annies Zimmer wird vorerst bleiben, wie es ist. Schließlich ist Leila auch zurückgekommen. Vielleicht kehrt noch ein Engel oder eine Dämonin wieder zurück auf die Erde. Auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, aber man kann ja nie wissen.

Als Annie und Leila aus dem Zimmer kommen und die Türe schließen wollen, betrachtet Leila noch einmal die gegenüberliegende Wohnungstür. Sie hält kurz inne: „Aufregend ist das alles schon“, denkt sie bei sich. „Unsere erste gemeinsame Wohnung.“

Lächelnd und mit funkelnden Augen dreht sie sich seufzend um und bemerkt Annies hochgezogene Augenbraue sowie ihren mehr als belustigten Gesichtsausdruck. Annie schaut kurz nach oben und fängt an zu beten: „Teufel? Megan? Wenn ihr mich hören könnt, dann bitte ich euch ganz dringend darum, mich nie so enden zu lassen wie dieses verliebte Häufchen hier, welches einmal Leila war. Haltet die Liebe fern von mir und helft mir, so böse wie möglich zu sein. Danke.“ Zufrieden grinsend steht sie da und betrachtet Leila kopfschüttelnd. Sie verdreht noch einmal die Augen, um ihre Meinungsbekundung abzuschließen und geht dann voran ins Wohnzimmer. Während sie sich auf die Couch fallen lässt, verkündet Leila grinsend: „Leute, es ist soweit: Annie wird menschlich.“ Katie lacht laut auf, während Annies zufriedenes Lächeln durch einen eiskalten, tödlichen Blick ersetzt wird. Beth ist nun ganz Ohr und legt ungeduldig die Stricknadeln zur Seite: „Oh! Das ist ja wundervoll! Wie kommst du darauf, Leila? Annie, das ist nicht schlimm. Wir sind nun mal Menschen.“ Beth tätschelt tröstend ihr Bein. Die anderen würden Annie gerade lieber nicht berühren wollen.

Leila lehnt sich entspannt zurück und betrachtet weiter Annies Todesblick. Sie klärt auf: "Annie hat gerade gebetet.“ Nun ist Beth außer sich vor Freude und quietscht beinahe: „Oh!!! Das ist ja wirklich wundervoll, Annie!“

„Ich habe zum Teufel und zu Megan gebetet!“, ruft Annie, fassungslos über Leilas Aussage.

„Gebetet ist gebetet“, schmunzelt Leila und zuckt mit den Schultern. Katie stimmt nickend zu. „Ja. Definitiv. Du verweichlichst, Fräulein Annie. Willkommen auf der Erde.“

„Ihr seid das Letzte!“, schnaubt Annie, verdreht die Augen und verschränkt die Arme.

Beths erfreutes Funkeln erlischt und sie schaut etwas traurig auf ihre Stricknadeln. „Schade … Ich dachte, du hättest wirklich gebetet“, gesteht Beth, nimmt ein wenig Wolle von ihrem Knäuel und legt sich automatisch wieder die Schnur um den Finger, um traurig weiter zu stricken. In diesem Moment tut Leila ihr Scherz schon wieder leid. Sie wollte keine Hoffnung bei Beth schüren oder sie verletzen. Doch sie bemerkt auch, wie Annies Kälte wieder nachlässt, nach Beths trauriger Aussage. „Annie ist schon lange nicht mehr der Eisbrocken, für den sie sich gibt. Sie will es wohl nur noch nicht wahrhaben“, überlegt Leila, als sie von vorne erneut die Wohnungstür ins Schloss fallen hört.

Mary kommt nun auch vom Einkaufen nach Hause und trägt die Tüten in die Küche. Für gewöhnlich ist sie mit sich selbst im Reinen, doch heute beschäftigt sie irgendetwas. Alle merken es gleich bei ihrem hastigen ‚Hallo‘. „Alles ok?“, fragt Leila und wartet auf eine Antwort aus der Küche. Mary zögert wohl kurz, denn es ist für einen Moment komplett still in der Küche. Katie und Leila drehen sich um, richten den Blick zur Küche und warten auf eine Antwort. Mary steht mit dem Rücken zu ihnen, lehnt sich an die Arbeitsfläche und scheint zu überlegen. Diese Pause macht den Rest der Gruppe schlagartig noch neugieriger. Mary kommt hastig zu den anderen und steht nun mitten im Wohnzimmer. Sie grübelt. Annie wird ungeduldig und schnaubt. Mary versucht zweimal anzufangen, bis sie es beim dritten Mal endlich schafft, Worte zu finden: „Irgendetwas stimmt nicht, glaube ich.“ Sie schüttelt stirnrunzelnd ihr goldenes Haar. Annie hebt genervt die Augenbraue und wartet mit immer noch verschränkten Armen, welches Drama wohl jetzt wieder heraufbeschworen wird. Beth ist mit großen Augen eingefroren und wartet auf die nächste Hiobsbotschaft. Mary erklärt: „Findet ihr nicht auch, dass die Menschen zur Zeit unausstehlich sind?“ „Es sind Menschen. Natürlich sind sie unausstehlich“, antwortet Annie mit einem sarkastischen Lachen, als würde die Antwort doch klar auf der Hand liegen. Mary winkt ab und redet weiter: „Also ich meine es ernst. Irgendwie kommt es mir komisch vor - als wären die Menschen momentan einfach schlechter drauf. Ich habe es mir die letzten zwei Wochen im Club schon gedacht. Aber auch beim Einkaufen sind die Menschen immer so gehetzt und irgendwie wütend.“

Leila versucht sie zu beruhigen: „Denkst du nicht, dass das vielleicht auch am Wetter liegen könnte? Die Leute werden depressiv, weil es immer wieder mal schneit, kalt und grau ist. Das hat man doch letztes Jahr schon gemerkt.“

„Vielleicht“, überlegt Mary nun schulterzuckend, bleibt aber ernst. Sie wirkt irgendwie ratlos, kraftlos und selbst ihr Haar scheint gerade den goldenen Schimmer und sanften Schwung verloren zu haben.

Katie beginnt zu schimpfen: „Sind die Menschen nicht generell ewig schlecht drauf? Wenn es heiß ist, ist es zu heiß, wenn es kalt ist, ist es zu kalt. Man kann's denen eh nicht recht machen. Sie zu mehr Liebe zu führen, scheint mir manchmal echt unmöglich.“

„Ja kann sein. Vielleicht reagiere ich einfach über und es ist tatsächlich nur wegen des Wetters. Aber ich behalte das im Auge. Dieses Jahr kommt es mir einfach anders vor – dunkler. Sie sind alle so gehässig. Es ist selbst für mich schwer geworden, nett zu ihnen zu sein“, gibt Mary verzweifelt zu. „Ich probier es oft schon gar nicht mehr“, zuckt Katie mit den Schultern und schüttelt den Kopf.

Beths große besorgte Augen und der offene Mund wandern einige Male zwischen Katie und Mary hin und her. Bestürzt sagt sie: „Hey! Ihr dürft die Menschen nicht aufgeben! Was ist los mit euch?“

„Also ich bin fleißig am Werk“, meint Annie und hebt unschuldig lächelnd die Hände.

„Aber für die falsche Seite!“, schimpft Beth fast ein wenig und schaut verärgert drein. Leila und Annie können sich ein Kichern nicht verkneifen, entschuldigen sich aber sofort dafür. Beths strenger und beleidigter Gesichtsausdruck macht es einfach fast unmöglich, ernst zu bleiben.

Mary versucht, sich ebenfalls zu entschuldigen: „Ich weiß, ich will ja Liebe verbreiten. Aber es ist wirklich schwierig, momentan nett zu sein … zu diesen …“

„Undankbaren, gehässigen Biestern?“, ergänzt Katie ihren Satz.

Mary nickt: „Ja, genau“.

Nun hat Beth genug. Sie legt endgültig ihre Stricknadeln beiseite, steht auf und stemmt die kleinen Fäuste in die Hüften. Mit wild fuchtelndem Zeigefinger fängt sie an: „So meine Damen, jetzt reicht es mir aber! Habt ihr denn komplett vergessen, weshalb wir hier sind?“

Daraufhin legt sogar Katie ihr Handy weg und hört gespannt, wenn auch mit ein wenig Ironie im Gesicht, zu. Beth erinnert Katie gerade an Tinkerbell, weshalb sie sich sehr konzentrieren muss, bei der Sache zu bleiben.

„Mary, wieso fällt es dir so schwer? Es ist unser einziger Job hier, den Menschen Liebe zu vermitteln!“

Mary zuckt mit den Schultern: „Na ja, aber wir haben auch unsere Jobs, müssen einkaufen und uns um unser eigenes Leben kümmern.“ Mary als das Engeloberhaupt so ratlos zu sehen, macht nun auch Annie aufmerksam. Es muss ihr wohl wirklich ernst sein.

„Aber das ist doch alles Nebensache! Versucht euch wieder zu konzentrieren!“, motiviert Beth die Truppe. Sie verschränkt nun die Arme und überlegt, während sie etwas auf- und abgeht. „Vielleicht sollten wir wieder klein anfangen“, schlägt sie vor. „Immer gleich ganz viel Liebe zu verbreiten, ist schwierig. In kleineren Schritten wäre es einfacher.“

Leila und Annie schauen sie fragend an. Schließlich sind auch sie interessiert daran, mit welchen Methoden die Engel arbeiten. „Wie wärs, wenn wir einfach jeden Tag versuchen, jemandem eine Freude zu bereiten? Wir könnten dadurch jeden Tag etwas auf unserer Liste abhaken und verlieren das Ziel nicht aus den Augen.“

„Ja, kann sein. Vielleicht wollen wir zu viel auf einmal. Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut“, gibt Mary zu, wirkt aber immer noch nicht hundertprozentig überzeugt.

„Das klingt wirklich gut“, stimmt Katie überraschenderweise zu.

So richtig euphorisch sind die Engel zwar nicht mit ihrem Besprechungsergebnis, aber gerade hat wohl niemand Lust, mehr darüber zu reden. Jeder macht sich zuvor selbst nochmal seine Gedanken dazu. Mary nickt nachdenklich, steht wieder auf und macht sich daran, die Einkäufe in den Kühlschrank zu packen. Katie schaut wieder auf ihr Handy und Beth gibt sich weiter grübelnd ihrer Strickkunst hin. Annie gefällt Marys Stimmung gar nicht, aber nochmal nachzufragen, scheint ihr zu engelhaft zu sein. „Mary behält wohl die Menschen im Auge und ich behalte Mary im Auge“, beschließt Annie in Gedanken.

Leila und Annie nicken sich zu und verschwinden wieder in die noch gemeinsame Wohnung.

Als die beiden wieder in Annies Zimmer sind, schauen sie einander an. Annie beginnt das Gespräch: „Was war das eben? Mrs. Himmel zweifelt an der Menschheit? Was zur Hölle.“

„Ich weiß“, sagt Leila nachdenklich, „und das Schlimmste ist, uns ist es nicht aufgefallen. Dir etwa?“

Annie versteht die Frage nicht: „Es ist mein Job, Leute wütend zu machen. Ich bin daher nicht geschockt, wenn die Leute um mich herum sauer sind. Aber wenn es einem Engel auffällt, ist das irgendwie schon interessant.“ Optimistisch und beinahe fröhlich grübelt sie weiter und Leila erzählt: „Durch all den Alltagstrott ist mir das gar nicht so aufgefallen, aber wo sie es jetzt gesagt hat und ich darüber nachdenke, empfinde ich es schon ein wenig so... Also, was ich halt auf der Arbeit so mitbekomme.“

„Tatsächlich?“, fragt Annie freudig.

Leila schluckt und nickt besorgt: „Bedeutet das etwa, die Hölle gewinnt?“ Ihr Bauch wird ganz flau, während Annies Augen tiefblau vor Freude funkeln.

„Vielleicht liegt es wirklich am Wetter und sie übertreibt einfach. Aber was, wenn nicht? Was, wenn die Menschen wirklich gehässiger werden? Leila, dann könnten wir alle wieder Dämonen sein!“, freut sich Annie.

Leilas Gefühlswelt ist gerade eine ganz andere. Ihr Magen zieht sich bei diesem Gedanken förmlich zusammen und ihr Gesicht wird bleich. „Denkst du, sie würden mich dann zurückholen, obwohl meine Entscheidung für die Menschlichkeit war?“, fragt sie blass und kann ihren Puls deutlich spüren. Sie würde sich selbst verfluchen, wenn sie Gabriel erneut allein auf der Erde zurücklassen müsste. So schlecht kann kein Mensch sein. Und kein Mensch, vor allem kein Mensch wie Gabriel, hätte so etwas verdient. Zweimal von einer Dämonin verlassen zu werden - der Gedanke bricht ihr selbst das Herz und lässt endgültig die letzte Farbe aus ihrem Gesicht weichen.

„Jetzt schau nicht so, war ja bloß ein Scherz. Na ja, eher eine Hoffnung, aber ich weiß, ich weiß, du willst bei Gabriel bleiben. Ihr zwei seid so peinlich.“

„Aber was, wenn sie recht hat? Und das Gleichgewicht wirklich nicht stimmt?“, fragt Leila angespannt und beinahe schon hysterisch.

„Na, dann sind wir zumindest nicht auf der Verliererseite“, entgegnet Annie und versteht nicht, wieso Leila sich nicht mehr freut. Ein Gewinn für die Hölle müsste doch auch sie freuen, selbst wenn sie nun ein Mensch ist.

„Aber Gabriel nicht! Kannst du vielleicht ein einziges Mal nicht nur an dich denken?!“, wird Leila nun wütend. Ihre sonst so sanften braunen Augen, wirken dabei beinahe schwarz.

„Zum Glück denke ich wenigstens noch klar. Das kann man von dir ja wohl nicht behaupten“, zickt Annie zurück und schwingt gekonnt hochnäsig ihren Pferdeschwanz zurück hinter die Schulter. Sie verharrt in ihrer arroganten Kühle, während Leila ihr einen giftigen Blick zuwirft und sich daran macht, das Zimmer zu verlassen. Sie hat gerade kein Interesse daran, das Gespräch mit einer herzlosen Person wie Annie weiterzuführen. Sie versteht nicht, wie jemand so egoistisch sein kann. Sind denn nicht alle mittlerweile auch Freundinnen geworden? Ist Annie das alles denn einfach egal?

Als Leila die Tür öffnet und daraus verschwinden will, versucht Annie das Ruder nochmal herumzureißen: „Leila, jetzt entspann dich doch mal. Wieso sollte denn plötzlich etwas aus dem Gleichgewicht geraten sein? Vermutlich ist es wirklich so, dass Mary einfach nur maßlos übertreibt und es liegt eigentlich nur am Jahreszeitenwechsel, oder was weiß ich. Das ist unser zweites Jahr auf der Erde. Was wissen wir denn schon? Wir behalten das im Auge und gut.“

„In Ordnung“, meint Leila knapp und schließt die Tür hinter sich.

Alles, was sie gerade will, ist, Gabriel zu sehen und in den Arm zu nehmen. Plötzlich überkommt sie eine Panik bei dem Gedanken, dass sie wieder schicksalhaft getrennt werden könnten. Die Flucht in ihr eigenes Zimmer ist gerade Leilas einzige Option. Sie versucht, sich zu beruhigen, doch ihr schmerzendes, wild klopfendes Herz macht es ihr nicht gerade leicht. Eine Welt, in der Gabriel wieder allein zurückbleibt? In einem Leben voller Hass, Gier und Sünde, wenn die Hölle tatsächlich gewinnt? Unvorstellbar. Sie setzt sich, schließt die Augen und atmet tief ein und aus. „Ich verlasse dich nicht, auf keinen Fall, lieber sterbe ich“, denkt Leila verzweifelt. Als sie sich rückwärts ins Bett fallen lässt, um kurz die Augen zu schließen und nachzudenken, fällt ihr etwas ein. Sie dreht sich auf dem Bett und krabbelt an den hinteren Bettpfosten. Dort hatte sie damals ein Foto von sich und Gabriel beim Picknicken versteckt. Beinahe hätte sie diesen geheimen Ort für den heimlichen Liebesbeweis sogar selbst vergessen. Seit sie als Mensch zurückgekehrt ist, hatte sie nicht mehr daran gedacht. Sie greift hinter das Bett und fühlt … Nichts. Was zur … Nun richtet sie sich auf. Es müsste doch eingeklemmt zwischen Bett und Wand gewesen sein? Sie fackelt nicht lange, springt auf und schiebt das Bett nach vorne, in der Hoffnung, das Foto würde auf den Boden fallen. Aber es passiert nichts. Kein Geräusch und keine Spur. Sie inspiziert das Bett und fragt sich, ob sie es auf der anderen Seite versteckt haben könnte. Ihr Bett steht nun mitten im Raum und sie tigert darum herum. Wo kann das Foto nur hingekommen sein? Es muss da sein. Selbst Gabriel wusste nicht, dass sie es ausgedruckt hatte. Natürlich könnte sie es erneut ausdrucken. Aber es geht ihr ums Prinzip. Wo ist es nur, verdammt!? Es war der einzige geheime Beweis dafür, dass sie und Gabriel ein Paar waren. Wer hätte es denn hier finden können? Und wer würde es einfach mitnehmen? Und vor allem wann? Es könnte seit knapp einem Jahr fehlen und sie hätte es nicht bemerkt. Verwirrt rückt sie das Bett mit einem trotzigen Tritt wieder an die Wand und lässt sich schmollend darauf fallen. Was für ein seltsamer Tag. Sie kramt ihr Handy hervor und schreibt Gabriel eine Nachricht: Ich liebe dich über alles!

In das Kissen gekuschelt, stellt sie sich vor, er wäre jetzt bei ihr. Sie kann sein Lächeln vor sich sehen, wenn sie die Augen schließt und vermisst seinen Herzschlag, der sie sonst so sanft klopfend beruhigt. „Ach Gabriel … wärst du doch gerade hier.“

K A P I T E L2

Bitteres Erwachen

Gott und der Teufel helfen nach wie vor mit, die Energie zu steigern. Es lohnt sich nämlich, nicht nur Hass und Liebe zu erzeugen, sondern auch zu sparen. Deshalb besuchen sie nun, inspiriert von Jeromes Ausflug damals, immer wieder die Erde. Wöchentlich. Donnerstags zum Stammtisch. Ihnen gefällt die Atmosphäre mit den gemütlichen Männern in Jeans und karierten Hemden, die immer wieder einzeln auftauchen und sich dazusetzen. Als sie sich als Gott und Teufel vorstellten, hatte niemand großartig Zweifel daran. Es wurde hingenommen, kurz genickt und dann gefragt, ob sie denn Watten oder Meiern könnten. Ein Spiel, in dem man lügen muss, wäre ja perfekt für den Teufel, hatten sie gemeint. Nach einer kurzen Erklärung waren die beiden Feuer und Flamme - oder Wolke und Flamme? Sie waren so begeistert, dass sie am liebsten jede Woche dieselben Spiele gespielt hätten, aber die Herren hatten ihnen erklärt, dass man Abwechslung brauche. Sie sind nun geschult in allerlei Karten- und Würfelspielen und setzen sich auch jetzt mit an den langen Tisch. Die Männer nicken ihnen grüßend zu, nur einer verzieht den Mund: „Immer wenn der Teufel kommt, verliere ich mein Geld. Ich bin raus, vergesst es. Ich spiele heute nicht mit.“

Der Teufel grinst böse über beide Ohren und klimpert mit seinem Geldbeutel: „Aber Klaus, ich hab es doch wieder dabei, du kannst heute auch alles gewinnen.“

Dieser winkt ab und antwortet sofort: „Nein, nein, darauf bin ich letztes Mal schon reingefallen. Du bringst mich noch um Haus und Hof!“ Die Männer lachen und die Bedienung bringt ihnen ein Helles, stellt es auf die Untersetzer und macht jeweils einen Strich darauf. „Woher willst du wissen, dass wir heute ein Bier trinken? Vielleicht wollen wir mal was anderes.“, stichelt der Teufel.

Die Bedienung lehnt sich an den Tisch, stemmt locker die andere Hand in die Hüfte und fragt: „Ach, willst du denn heute etwas anderes?“

Der Teufel überlegt kurz und Gott antwortet, um sie nicht länger aufzuhalten: „Ich denke eigentlich nicht.“

„Na, also!“, murrt die Bedienung und stampft zurück an die Theke. Der Teufel funkelt ihr vergnügt hinterher: „Was für eine Frau.“ Gott stupst Klaus in die Seite und meint: „Heute könntest du Glück haben, er ist etwas abgelenkt.“

Sie lachen und entscheiden sich für eine Partie mit Würfelglück, um herauszufinden, wer die erste Runde bezahlen wird.

Zwei Bier später sammelt der freudestrahlende Sieger – der Teufel – gerade seinen Gewinn ein und bezahlt davon gnädigerweise die Rechnungen seiner Mitspieler. Als diese sich wehren, da sie das Spiel nun mal verloren hätten, meint der Teufel: „Aber, aber! Lasst mich bezahlen. Das ist doch das Mindeste, wenn ich euch euren Lohn schon immer abzwacke.“

„Wie freundlich“, meint die Bedienung zynisch und der Teufel fühlt sich nun irgendwie nicht mehr so wohl, während er das Wechselgeld bekommt. Er gibt ihr noch Trinkgeld, das sie schweigend in den großen Geldbeutel fallen lässt. Sie schnappt sich gleich ein paar leere Gläser und geht zurück hinter die Theke, ohne den Teufel auch nur eines Blickes zu würdigen. „Was hast du ihr denn getan?“, fragt Gott leise und beugt sich zu ihm herüber.

„Das würde ich auch gerne wissen“, grübelt der Teufel.

Kurz beobachtet er noch die offensichtlich erboste Frau, nimmt aber dann doch wieder am unterhaltsamen Tischgespräch teil.

Wenig später machen die ersten Männer sich auf den Heimweg und die Bedienung räumt die letzten Gläser für heute ab. Der Teufel kann sich eine freche Frage nicht verkneifen: „Resi, Schatzerl, könntest du mich heute vielleicht ein Stückchen mitnehmen?“

Ohne einen Hauch von Gefühl lehnt sie sich an den Tresen und meint: „Erstens, ich bin nicht dein Schatzerl. Und überhaupt, wieso soll ich dich mitnehmen? Kommen Gott und du denn nicht immer zusammen?“

Auch Gott ist über des Teufels Frage erstaunt, schließlich müssen sie ja bloß um die Ecke und wieder verschwinden.

„Nein, Gott hat noch zu tun. Er hat jetzt eine Freundin, die in der anderen Richtung wohnt, verstehst du? Er kann mich nicht mehr mitnehmen. Aber wenn das ein Problem ist, kann ich mir auch ein Taxi rufen.“

Skeptisch schaut sie zwischen Gott und Teufel hin und her.

Gott winkt ab: „Ich habe keine Freundin.“

„Wie alt bist du, Gott? Schämst du dich jetzt immer noch, eine Freundin zu haben?“, bringt der Teufel ihn in Verlegenheit.

„Schon gut“, seufzt die Bedienung, der es herzlich egal ist, ob Gott nun eine Freundin hat oder nicht und willigt ein, den Teufel mitzunehmen: „Wenn es denn sein muss.“ Schließlich möchte sie Feierabend machen und nicht noch länger mit dem Teufel allein auf sein Taxi warten müssen.

Sie kümmert sich im Hintergrund um die letzten Handgriffe, während Gott nun streng zum Teufel blickt. „Vergiss nicht unsere Abmachung“, erinnert er ihn eindringlich. „Entspann dich, Gott. Ich tu ihr schon nichts. Als Menschen sind wir unparteiisch, bla, bla.“ Gott versteht den Hintergrund zwar nicht, macht sich nun aber auf den Weg zurück in den Himmel und lässt den Teufel mit ungutem Gefühl zurück. „Was will er bezwecken?“, fragt sich Gott, während er das Wirtshaus verlässt.

„Hast wohl einen schlechten Tag, was?“, fragt der Teufel Resi, als sie wortkarg neben ihm im Auto sitzt und seine Fahrerin spielt. „Nein, ich hatte sogar einen guten Tag“, erwidert sie. Er beobachtet sie und würde ihr zu gerne Höllenqualen bereiten, doch seine Abmachung mit Gott hindert ihn daran. Oder ist es ihr Desinteresse und die Abneigung, die sie ihm gegenüber hegt, welche ihm imponiert? Er betrachtet ihr dunkelblondes fades Haar, das zu einem Dutt zusammengeknebelt wurde. Dieser passt perfekt zu ihren strengen Gesichtszügen und dem emotionslosen, kalten Gesichtsausdruck. Er fragt sich, was er ihr denn bloß getan hat. Gleichzeitig überlegt er, ob Gott wohl misstrauisch wegen seines kleinen Umwegs ist. Soll er ruhig denken, dass er an der Resi interessiert ist. In Wirklichkeit werden diese wenigen Minuten viel dunkle Energie ausgleichen, die er vorhin verbotenerweise für das Spiel gebraucht hat. Ein böses Funkeln huscht über sein amüsiertes Gesicht und sein Blick bleibt wieder an Resi haften. „Was ist dein Problem mit mir?“, will er neugierig wissen, in der Hoffnung, das Schlechteste und Ekelhafteste zu hören.

„Ich mag dich nicht. Fertig“, antwortet sie schroff.

„Wieso?“, fragt er wissbegierig nach.

„Du betrügst die Männer“, deckt sie auf.

Einerseits wundert es ihn, dass sie ihn entlarvt hat, andererseits muss er sich bemühen, sich nicht zu freuen und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Gönnerhaft lehnt er sich ans Fenster und antwortet: „Na ja, aber ich bin dadurch der mächtigste Mann am Tisch, findest du nicht? Außerdem hast du ja auch von meinem Gewinn profitiert.“

Resi setzt den Blinker beim Hotel, in dem der Teufel angeblich nächtigt und stellt den Wagen am Straßenrand ab. Sie kramt in ihrer Rocktasche und drückt dann dem Teufel das reichliche Trinkgeld wieder in die Hand. „Hier. Ich will nicht von deinen Machenschaften profitieren. Ich will eigentlich gar nichts mit Männern wie dir zu tun haben. Deshalb kannst du dir etwas anderes überlegen, um in Zukunft hierher zu kommen. Ich werde dich nicht mehr mitnehmen.“

Der Teufel fühlt sich herausgefordert, sie zu überzeugen: „Du willst nichts mit erfolgreichen Männern zu tun haben?“

Entnervt schaut sie ihn an und erklärt: „Du bist für mich kein Mann. Ein richtiger Mann gewinnt mit Ehre und Stolz. Ein Gewinn mit unfairen Mitteln ist nichts wert. Abfall, verstehst du?“

Sie deutet ihm an, aus dem Auto zu steigen und der Teufel folgt der Anweisung. Wutentbrannt schlägt er die Autotür zu und schaut dem wegfahrenden Auto nach. „Grandios, diese Resi“, denkt der Teufel bei sich. „Ich habe nicht nur Energie gespart, sondern auch noch Hass ohne Ende erzeugt. Bei mir selbst. Wie ich sie und ihre Ansicht hasse … Grandios.“Was ihm allerdings missfällt, ist die Art, WIE sie es ihm gesagt hat. Ohne Hass, ohne Zorn – Gleichgültig. „Diese Resi werde ich schon noch dazu kriegen, mich zu hassen“, überlegt der Teufel und weiß auch genau, wie er das anstellen kann. Es ist ihr ja bereits aufgefallen. Ungerechtigkeit – Früher oder später wird dadurch jeder zum Hass getrieben und auch ihre Wut wird er dafür noch ernten.

Gott hatte sich seinen Tagesverlauf wohl etwas anders vorgestellt. Als er seine Bürotür öffnet, wartet dort bereits Jerome auf ihn. Anfangs lächelt Gott und meint, er solle doch endlich mal mitkommen zum Stammtisch, doch als Jeromes Gesichtszüge weiter kühl bleiben, wird er besorgt. „Was ist los?“, fragt Gott.

„Wir sollten da über etwas reden. Und vielleicht solltest du dich nicht zu sehr mit dem Teufel anfreunden …“, erklärt Jerome und deutet auf einige Zettel, die er Gott auf den Schreibtisch gelegt hat. Dieser setzt sich und betrachtet die von Jerome markierten Stellen.

„Wie kann das sein?“, schüttelt Gott verständnislos den Kopf.

„Man erkennt deutlich, dass die schlechte Energie seit Monaten steigt. Anfangs nur ganz leicht, mittlerweile steigt sie deutlich“, sagt Jerome ernst.

„Woran liegt das? Wir haben doch gleich viele Engel und Dämonen zurückgeholt. Wieso sind seine Dämonen effektiver als meine Engel?“, will Gott wissen und lässt sich ratlos in den Bürostuhl fallen.

„Eben nicht“, erklärt Jerome und setzt sich. Er legt die Diagramme wieder in die richtige Reihenfolge und zeigt auf die Kurven. „Wir haben monatlich unsere Meetings. In den monatlichen Übersichten steigt die Kurve nur minimal. Ich bin der Sache nachgegangen und habe die Anzahl bemerkt, die diese Kurven hervorrufen. Wenn man die Tage nun einzeln betrachtet, sieht man, dass der Teufel experimentiert. Immer wieder senden sie ein, zwei Dämonen zurück, die auf die Menschen losgelassen werden und zügeln sie dann gleich wieder, um unauffällig immer mehr zu werden und gleichzeitig die monatliche Bilanz im Zaum zu halten. Das Gleichgewicht ist aber nicht mehr gegeben.“

„Dieser Mistkerl!“, schimpft Gott nun erbost und wirft die Zettel quer über den Tisch.

Er weiß nicht, was ihn wütender macht. Die Tatsache, dass ihn sein Freund betrogen und ihm vorne herum immer ins Gesicht gelacht hat, oder seine Leichtgläubigkeit, die die Menschen nun ins Verderben stürzen könnte.

Gott grübelt laut: „Wir dürfen es ihn nicht wissen lassen, dass wir es entdeckt haben. Ansonsten ist es sofort aus mit dem Himmel.“

„Es tut mir leid. Ich hätte es sehen müssen“, nimmt Jerome die Schuld aufrichtig auf sich.

„Mach dir keine Vorwürfe. Er hat uns alle hinters Licht geführt. Ich hätte die Zahlen genauer betrachten müssen. Ginge es nach mir, wäre immer noch alles gut, während er immer mehr Dämonen um sich schart. Ich bin dankbar und erleichtert, dass es dir aufgefallen ist. Aber ich bin tief enttäuscht, dass eine ehrliche und gemeinsame Vorgehensweise einfach nicht möglich ist“, seufzt Gott und schüttelt den Kopf. Angespannt streift er über seinen Bart und blickt nun von den Zahlen entschlossen auf, direkt in Jeromes Augen.

„Er darf auf keinen Fall davon erfahren. Er muss weiterhin denken, dass wir ihm blind vertrauen“, sagt Gott beharrlich.

„Eine List sieht dir nicht ähnlich, aber mir fällt ehrlich gesagt auch nichts Besseres ein“, gesteht Jerome.

„Für einen Pakt mit dem Teufel muss man mit allen Wassern gewaschen sein. Die Menschen sind sonst verloren. Wir müssen die Liebe auf der Erde pushen. Oder den Hass verringern. Wir sollen ja nicht stärker werden, nur das Gleichgewicht wiederherstellen, so, wie vereinbart. Aber wie ich dich kenne, hast du bestimmt schon einen Plan zum Gegensteuern parat, oder?“, fragt Gott.

„Definitiv … Aber ob diejenigen mitspielen, ist die andere Sache“, beginnt Jerome zu erklären, während Gott ganz Ohr ist. Er horcht Jeromes Plänen und überlegt, ob Jerome nicht vielleicht die wichtigste Person für die Menschheit ist. Das Gleichgewicht der Erde - viel wichtiger als Licht und Schatten, Gutes oder Böses.

K A P I T E L3

Riskante Bitte

Wenige Tage später kommt Annie ahnungslos von der Arbeit nach Hause. Sie hängt ihre Jacke an die Garderobe und will nur kurz in ihr Zimmer, um die Aktentasche abzulegen. Als sie diese verstaut hat und das Zimmer verlassen will, schließt sich die Tür blitzschnell wie von selbst und Annie fährt erschrocken hoch. Sie dreht sich um und hat plötzlich Jerome und Gott vor sich stehen. Augenblicklich holt sie aus, doch Jerome wehrt ihren Schlag ab. „Das nenne ich mal Reflexe“, lacht Gott und Annie schaut perplex zwischen beiden hin und her. Erschrocken weicht sie einen Schritt zurück und entschuldigt sich genauso reflexartig, wie sie gerade noch zuschlagen wollte. Sie versteht nicht, aus welchem Grund die beiden in ihrem Zimmer stehen. Fragend betrachtet sie Gott und überlegt, ob er wohl gerade ein Mensch ist und ob sie ihn theoretisch töten könnte. Das Katz- und Maus-Spiel zwischen Himmel und Hölle wäre dadurch dann wohl endgültig geklärt. Gleichzeitig ist sie unsicher. Schließlich können sie ihre Gedanken vermutlich gerade hören. „Was macht ihr hier?“, fragt sie nun misstrauisch.

Jerome versucht nicht lange um den heißen Brei zu reden: „Annie. Wir benötigen deine Hilfe.“

Diese Aussage scheint sie sehr zu amüsieren und sie wiederholt überheblich: „Ihr braucht meine Hilfe? Gott persönlich steht in meinem Zimmer und braucht meine Hilfe?“ Sie lacht laut auf, als sie begreift, dass es tatsächlich ihr Ernst ist und versucht, sich wieder zu beruhigen. Ihr fällt ein, dass die anderen auch in der Wohnung sind. Sie will nicht, dass jemand nach ihr sieht und dann Gott im Zimmer sitzt. Das würde ja so aussehen, als ob sie sich heimlich mit den beiden verbünden würde. Soweit kommt es noch.

Die Gesichter ihrer Besucher bleiben unverändert ernst und Gott meint: „Wegen der anderen brauchst du dir keine Sorgen machen. Niemand kann hören, was in diesem Raum gerade vor sich geht.“

Annies Blick wird giftig und sie faucht Gott an: „Nur über meine Leiche würde ich dir helfen!“

Jerome räuspert sich und versucht sachlich zu bleiben: „Annie, uns ist klar, dass diese Aktion ganz schnell nach hinten losgehen könnte. Schließlich hast du die Möglichkeit, all die kommenden Informationen gegen uns zu verwenden. Es wäre daher gut, wenn du dich zum Schweigen verpflichten könntest.“

Genervt verdreht sie die Augen, zögert kurz, gibt aber letztendlich widerwillig nach. Sie tippt mit ihrem Zeigefinger auf ihre Lippen und streckt danach die offenen Handflächen nach vorne zu Gott und Jerome. „Mein Schweigen ist euch sicher“, verspricht sie ihnen. Die beiden nicken sich zu. Kein Engel oder Dämon würde einen solchen Schwur ehrlos brechen.

Jerome versucht es nun mit Fakten, um eine weniger emotionale Reaktion bei ihr hervorzurufen: „Die Erde ist nicht mehr im Gleichgewicht.“

Annies Augen blitzen kurz auf. „Marys Beobachtungen waren wohl richtig“, denkt sie bei sich und ist sich sicher, dass die dämonische Seite im Vorteil sein muss. Warum wären sie sonst bei ihr? „So ein Pech.“, zuckt sie mit den Schultern und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Gott blickt kurz zu Jerome. Dieser bleibt ruhig und hat weiterhin kühl den Blick auf Annie gerichtet. Er versucht zu erklären: „Das Gleichgewicht muss wiederhergestellt werden. Der Teufel hat betrogen und heimlich mehr Dämonen zur Erde geschickt als vereinbart. Sinn eures menschlichen Lebens ist es ja, beide Energien zu gleichen Teilen zu erhöhen, um das Überleben der Hölle und des Himmels überhaupt zu gewährleisten. Ein Pakt zwischen Gott und dem Teufel. Es war nicht der Plan, dass eine Seite dies ausnutzt und dadurch die andere bezwingt. Das war ein klarer Verstoß gegen die Abmachung. Wenn das alles vorbei ist, können sich alle wieder gegenseitig bekämpfen. Aber soweit sind wir noch nicht.“

„Und was wollt ihr dann von mir? Solltet ihr nicht mit dem Teufel darüber sprechen, statt mir etwas vorzujammern?“, fragt Annie entnervt und verzieht die schmalen Lippen. Gott erklärt: „Wenn wir den Teufel jetzt ansprechen, wird er den Überfluss seiner Energie gegen uns nutzen. Die Auswirkungen wären verheerend. Aktuell hat der Teufel noch keine Ahnung, dass wir von seinem Betrug wissen.“

Jerome beendet den Satz: „Und das verschafft uns einen kleinen Vorsprung.“

„Ich verstehe nach wie vor nicht, was ihr nun von einer Dämonin wollt?“, fragt Annie misstrauisch, „Soll ich jetzt nicht mehr böse sein, damit Gott einen Puffer hat?“

„Nicht ganz richtig, aber schon nah dran“, nickt Gott ihr zu.

Fassungslos schaut sie Jerome an: „Das könnt ihr euch abschminken! Ich liebe es, gemein zu sein! Ich bin eine Dämonin, verdammt nochmal. Vergesst es!“

An Jerome perlt ihre Aussage einfach ab. Ohne auch nur die geringste Regung zu zeigen, sagt er: „Du sollst nicht nur nicht mehr böse sein, du sollst sogar gut sein, wäre unser Plan.“

Das ist zu viel für Annie. Sie beginnt, unkontrolliert zu lachen und ist sich nicht sicher, ob sie da gerade eben richtig gehört hat.

„Ich soll gut sein!?“, wiederholt sie lachend.

Gott und Jerome schauen sie weiter an, ohne eine Miene zu verziehen.

Sie wischt sich die Lachtränen aus den Augen und meint: „Scheiße, ich muss das Lachen einstellen, nicht dass ich noch sowas wie Glück oder Freude empfinde.“

Sie schüttelt sich ab, kann das Ganze aber nach wie vor nicht ernst nehmen.

„Überleg es dir, Annie. Du bist ganz klar sein bestes Pferd auf der Erde. Wenn du aufhörst, böse Energie zu verbreiten und auch noch gut zu den Menschen bist, wäre es ein enormer Rückgang.“

„Es ist deine Aufgabe, hier auf der Erde die Energie zu erhöhen, ja. Es war nie die Rede davon, dass eine Seite gewinnt. Die Energien sollen gleichermaßen steigen. Das war der Deal und der einzige Grund, weshalb ihr hier seid“, erläutert Gott.

Die Argumente leuchten ihr ein, dennoch entgegnet sie: „Ihr habt sie doch nicht alle. Ihr seid absolut verrückt geworden! Wisst ihr, was der Teufel mit mir macht, wenn er erfährt, dass ich euch helfe? Was natürlich nicht der Fall sein wird, schließlich bin ich nicht geisteskrank!“

„Niemand wird deine Gedanken zu diesem Thema hören können. Dafür ist gesorgt“, versichert ihr Jerome.

„Vergesst es!“, faucht sie nun und will, dass sie mit ihrer unzumutbaren Forderung sofort verschwinden.

„Vergiss nicht, wofür ihr auf der Erde seid“, schaut Gott sie eindringlich an.

„Wenn ich jetzt auch noch nett werde, wie soll das denn bitte gut ausgehen? Die anderen sind alle Weicheier! Ich bin doch die Einzige, die noch richtig Gas gibt für die Hölle. Und genau deshalb könnt ihr euch sicher sein, dass ich euch niemals helfen würde. Ihr helft im Endeffekt gerade dem Teufel selbst, indem ihr mich hier zur Weißglut treibt!“, ruft sie außer sich vor Wut und frisst die beiden förmlich mit ihren funkelnden eisig-blauen Augen auf.

„Überleg es dir, Annie. Du musst dich nicht sofort entscheiden“, legt ihr Jerome ein Nachdenken nahe.

„Da gibt es nichts zu entscheiden“, knurrt Annie entschlossen.

Die drei schauen sich noch kurz schweigend an, ehe Gott und Jerome wieder verschwinden.

Annie steht nun allein im Zimmer. Ihr Herz bebt vor Zorn. Sie hat sich hier etwas aufgebaut und ist wirklich gut in dem, was sie tut. „Die beiden sollen zur Hölle fahren“, ist sie sich sicher. Es wäre das Letzte, jetzt auch noch nett zu werden. Soll aus ihr ein liebevoller Mensch werden? Selbst wenn sie wollte, könnte sie es nicht. Es ist gegen ihre Natur. Und auch eine Rückkehr in die Hölle wäre unmöglich oder selbst für sie sehr unangenehm, würden die anderen Dämonen das herausfinden. Ein Verrat am Teufel - in dieser Haut möchte sie definitiv nicht stecken.

„Was hältst du von ihrer Reaktion?“, fragt Gott, der nachdenklich im Bürostuhl sitzt.

„Schwer zu sagen“, meint Jerome.

„Sie ist ein Mensch. Es ist unmöglich, dass sie gar keine Gefühle hat“, ist Gott sich sicher.

„Definitiv. Dennoch ist sie sehr verbissen. Sie will unbedingt zurück als Dämonin. Andersrum wäre es aber genauso schwierig. Stell dir vor, wir würden Engel bitten, böse zu sein“, überlegt Jerome laut.

„Vielleicht sollten wir an einem Plan B arbeiten“, versucht Gott, sich selbst zu motivieren.