... und das ist noch nicht alles - Paul Bartsch - E-Book

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Paul Bartsch

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Beschreibung

Der Liedermacher Paul Bartsch, 1954 als Generationsgefährte von Gundermann und Wenzel geboren und seit langem in Halle (Saale) lebend, ist von Hause aus eigentlich Literaturwissenschaftler. So liegt es nahe, dass viele seiner Texte literarische Anspielungen, Motive und Bezüge enthalten, wobei sich die Welt der Märchen und Mythen als besonders ergiebig erweist. Dabei geht es ihm keineswegs um ein "Es war einmal, sondern eher um die poetisch-politische Erkenntnis, dass die Märchen aus kommenden Tagen eben kein "Weiter so" beschwören sollten, sondern ein "Es könnte sein": Kluge und neugierige Texte über das Leben zwischen Kindheit und Altern, über die trotzige Sehnsucht nach einer besseren Welt und das existenzielle Bedürfnis nach Liebe, Heimat und Geborgenheit. Unterstützt von den Musikern seiner langjährigen Band garniert Paul Bartsch seine optimistische Liedpoesie mit einem kraftvollen Gemisch aus Folk, Blues, Rock und Chanson. So entsteht ein unterhaltsames, mitunter nachdenkliches, aber stets ermutigendes Vergnügen als Suche nach dem Möglichen in einer Zeit des heftigen Wandels. Als klingende Ergänzung zu dieser repräsentativen Textauswahl passt bestens die 2023 erschienene Doppel-CD von Paul Bartsch und Band: "STADTMUSIKANTEN stimmen nochmal ihre alten Lieder an".

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Inhaltsverzeichnis:

Ein paar Sätze vorab

Irgendwo hinter den sieben Bergen

Irgendwer

Traum vom Apfelbaum

Irgendwo

Hans im Glück

Stadtmusikanten

Stadtmusikanten (Reprise)

Buttje

Geschlechterfragen

Märchen

Des Königs Sänger

WunschLos

Das Wasser am Hals (Auszug)

Sisyphos

Arche

Odyssee

Supermans freier Tag

Schlachtross

Zauberlehrling

E.T.

Ballade vom Drachen im Walde

Bumerang

’ne Handbreit Hoffnung unterm Kiel

Der Bordkapelle Ouvertüre

Stechen in See

Kleiner Leuchtturm – I

Reggae der Roten Matt-Rosen

Kleiner Leuchtturm – II

Abschied der Matrosen

Kleiner Leuchtturm – III

Rudern im Kreis

Kleiner Leuchtturm – IV

Der Bordkapelle letzter Schluss

Wenn ich Flügel hätt‘, dann flög‘ ich

Unbekanntes Land

Toskana-Blues

Sicherheit

Kopf oder Zahl

Brückenkopf

’n Gläschen Buttermilch dabei

Ostalgie-Blues

Ballade von dem, was es so niemals gab

Irgendwann

Trierer Ballade

Wer weiß schon wie

Heimat

Wälder meiner Kindheit

Häuschen im Grünen

Und wir leeren das Glas bis zur Neige

Freund sein

Viel zu früh

Beinah die Ewigkeit

Aber vorher!

Endlich

Anfang und Ende

Geheimnis

Weißt du noch

Was bleibt

Diese Kinder

Spatz in der Hand

Fliegenschwimmengehn

Grade eben noch

Doch will ich das Träumen nicht lassen

Bruchpiloten

So was passiert

Nach all den Jahrn

Dickes Fell

Lindenblatt

Schere im Kopf

Tanzende Hunde

Winter am Kamin

Eiszeit

Robinson

Haltbarkeitsdatum

Gefunden?

Ich bin doch nicht jeder

Freiheit

Gute Macht, Freunde

Testlauf > Reset

Nicht mit mir!

Uff’m Sandberg Schlitten fahrn

Alternative für D.

Liebesland

Tango von der Schwarmintelligenz

Gewagte Assoziationen?

Platt-Walzer

Glaubensfragen

Mach mich nicht nass

Blues vom richtigen Streiten

Trommellied

Doch nicht jeder

Vom Regen in die Traufe

Wolkenkuckucksheimerbauer

Alter grauer Hai

HimmelReich

Nach der Schlacht

Weil ich ein Gegenüber brauch

Mensch mir gegenüber

Ermutigung III

Der Mensch ist im Grunde

Was könnten wir

Der Teufel nimmt die ganze Hand

Nie zu spät

Doch das ist noch nicht alles

Vogellied

Lebensplan

Noch nicht alles

Momente

Blues vom Schmieden des eigenen Glücks

Blues vom kurvenreichen Leben

Hilf mir!

Der Morgen war sonnig und klar

Vorsehung

Fahrerflucht

Bergnot

Eigentlich ganz einfach

Sprachkapriolen

Alter weißer Mann

Drei Wochen im Jahr

Inselleben

Zu gegebener Zeit

Zeit zu gehn

Ungeheuer retro

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

In der Mitte des Flusses

Klotz am Bein

Wenn du mich vermisst

Über Gott, den Tod und das Leben

Lied auf den Weg

Nach diesem Abend

Das letzte Wort

Diskographie

Ein paar Sätze vorab

Wer schreibt, der bleibt. Ein schöner Gedanke, oder? Und was man schwarz auf weiß besitzt, ja, ja… Schreibend ordnen sich die Dinge, öffnen sich Türen, weitet sich der Blick. Und obwohl das Schreiben in einer Zeit der reichlich bebilderten Sprachnachrichten immer mehr ins Hintertreffen gerät, ist und bleibt es für mich meine Art, über mich und die Welt nachzudenken. Schreiben ist ein langsamer, stiller Vorgang, und ich bin wohl auch ein eher langsamer und stiller Mensch. Also zumindest, wenn ich über mich und die Welt nachdenke.

Dabei meint Welt nicht unbedingt das Große und Ganze, sondern auch den unmittelbaren Horizont der Partnerschaft und der Familie, der Freunde und der Arbeit, der Stadt, in der ich lebe, der Heimat eben. Das wollte ich nie aus dem Blick verlieren, auch wenn sich zeitweise globale Themen wie Krieg und Frieden, Umwelt und Klimakrise, Kapital und soziale Ungleichheit in den Vordergrund drängten. Ich habe versucht, auch das in meinen Texten nie abstrakt werden zu lassen, sondern mich zu fragen, was das mit mir zu tun hat, was das mit mir macht und was ich daraus machen kann. Franz Fühmann hat mal sinngemäß gesagt, man müsse schreiben, um zu erfahren, und nicht, um Erfahrenes wiederzugeben. So geht es auch mir.

Vornehmlich sind aus dem Schreiben Lieder geworden, wohl um die fünfhundert in all den Jahren. Dazu kommen Prosastücke, Bühnentexte, zwei kleine Romane, diverse Notate und vieles, was im Umriss zwar vorgedacht, aber noch nicht aufgeschrieben worden ist. Und noch immer fällt mir Neues ein, noch immer regen mich Dinge an und auf, noch immer bin ich unterwegs und auf der Suche nach mir. Doch bei alldem muss es auch ein Innehalten geben, einen Moment der Rückschau und der Reflexion. Wann, wenn nicht jetzt, habe ich mir gesagt, als sich neben dem beruflichen Ruhestand auch noch ein ziemlich runder Geburtstag ankündigte. Gute Gelegenheit, dachte ich und kramte aus den diversen Mappen und Dateien sowie dem unzuverlässigen Gedächtnis hervor, was mir einer zusammenschauenden Betrachtung wert schien.

Natürlich bin ich dann doch nicht rechtzeitig fertiggeworden zum

70. Geburtstag, aber was soll’s – ich will mich da persönlich gar nicht so wichtig nehmen.

Hier ist sie jedenfalls, meine literarische Selbstversicherung, dass es noch längst nicht alles sei, aber eben doch schon eine ganze Menge. Eine zwingende Ordnung der ganz unterschiedlichen Texte ist mir nicht eingefallen. In den lockeren Themenblöcken geht es bunt durcheinander. Wie im Leben halt auch. Gut so!

Mancher wird fragen, ob es denn nötig sei, seine Texte nachträglich zu erklären. Die Frage ist berechtigt, denn das wäre fatal. Und so ist die Zusammenstellung auch nicht intendiert. Aber da den fertigen Texten in aller Regel ja Gedanken vorausgehen und sie wiederum andere nach sich ziehen, zudem Querverbindungen und wechselseitige Bezüge entstehen oder sich unterschiedliche Facetten zum selben Thema ergeben, wurde diese Auswahl und Zusammenstellung für mich selbst zu einer oft überraschenden und auch ein bisschen abenteuerlichen, mitunter nachdenklichen und durchaus auch heiteren Reise durch mein bisheriges Leben, an der ich euch und Sie hiermit teilhaben lassen möchte. Als Leser muss man dabei meinen Spuren keineswegs sklavisch folgen. Man sollte eher neugierig umherstreifen in der literarischen Landschaft, die sich durch die Texte auftut. Dass wir uns dabei zwangsläufig begegnen werden, liegt auf der Hand, jedoch stets ohne den Druck, meine subjektive Sichtweise zu übernehmen.

Aber natürlich wäre es noch besser, zu den Worten auch die Vertonungen, die Interpretationen zu erfahren. Deshalb gibt es am Ende des Buches eine Übersicht der Tonträger, aus denen ersichtlich ist, wo und wann welche Titel erschienen und ggf. noch verfügbar sind. Und die 2023 anlässlich unseres 20jährigen Band-Jubiläums zusammengestellte Doppel-CD „STADTMUSIKANTEN … stimmen ihre alten Lieder an!“ passt unmittelbar zu dieser Auswahl, da alle 38 Titel des Tonträgers im Buch enthalten sind. Die außerdem noch lieferbaren CDs finden sich zudem auf meiner Website www.zirkustiger.de im Webshop.

Auf jeden Fall freue ich mich über das Interesse, mit dem Sie dieses Buch in die Hand nehmen. Vielleicht haben Sie Lust, mir Ihren Eindruck anschließend mitzuteilen, Nachfragen zu stellen oder Ihre eigene Sicht auf die Dinge darzulegen? Dann schreiben Sie mir doch einfach eine Mail an [email protected]! Die Antwort kommt garantiert.

Und damit genug der Vorrede.

Irgendwo hinter den sieben Bergen

Die menschliche Kultur ist ein gewaltiger Steinbruch an Mythen, Märchen und Legenden, und ich ziehe gern los wie ein Archäologe, um die zahllosen Relikte vorsichtig freizulegen, sie abzuklopfen, zu entstauben und zu schauen, was sie mir heute noch zu sagen haben.

Oft sind es ja zeitlose Fragen, die da verhandelt werden – Fragen nach Schuld und Sühne, nach Leben und Tod, nach Reichtum und Macht versus Armut und Leid, nach dem großen oder dem kleinen Glück und dem Ort, wo man es finden kann.

Ich habe selbst mehrere Märchenphasen durchlebt. Natürlich (ich empfinde es zumindest als natürlich) bin ich als Kind in der Welt der Grimmschen Märchen aufgewachsen, nach und nach auch mit Andersen, Storm und E.T.A. Hoffmann, Tieck oder Brentano.

Später habe ich die alten Geschichten meinen Kindern und dann auch den Enkeln vorgelesen, jeweils mit neuem Erkenntnisgewinn. Und als Literaturwissenschaftler habe ich mich auch gern mit Märchen beschäftigt. Der bereits erwähnte Franz Fühmann hat ihre Weisheit gelobt. Und dass in den alten Mythen viele Modelle des heutigen Lebens enthalten sind, liegt auf der Hand – nicht von ungefähr haben sie Eingang in unsere Alltagssprache gefunden, auch wenn leider das Hintergrundwissen, was es mit der Sisyphos-Aufgabe, dem Feuer des Prometheus, dem verführerisch-tödlichen Gesang der Sirenen oder dem schwebenden Damokles-Schwert auf sich hat, merklich nachlässt. Immerhin hat sich das Trojanische Pferd in die Computer-Language retten können…

Dass mich auch biblische Metaphern reizen, lässt sich nicht leugnen. Der verlorene Sohn, das drückende Kreuz, der Kampf des David gegen Goliath oder die rettende Arche finden sich – mitunter in Kombination mit anderen Bildern – in meinen Liedern wieder.

Nicht zuletzt sind es auch jüngere literarische Motive, die mich herausgefordert haben – der spanische Ritter von der traurigen Gestalt etwa, dem ich mich durchaus verwandt fühle, wenn ich – wie er seine Rosinante – immer wieder meine alte Holzgitarre sattle und hinausreite, um die Welt ein wenig freundlicher zu gestalten.

Oder der Goethesche Zauberlehrling, dessen offen auf der Hand liegende Erfahrungen wir so selten beherzigen.

Und selbst die modernen Mythen unserer Zeit können anregend sein, was man an Texten wie „Supermans freier Tag“ oder „E.T.“ sehen kann.

Also – hinein in die Welt der Mythen, Märchen und Legenden!

Irgendwer (2003/2007)

Irgendwer muss doch wissen, wo's lang geht,

irgendwer hat doch sicher 'n Plan.

Irgendwer muss doch wissen, was ansteht –

irgendwer, irgendwo, irgendwann.

Sind wir alle sieben in die weite Welt gezogen,

ham sie nach Befehl und unserm Bild zurecht gebogen,

und die Barrikaden waren hoch, die Gräben tief,

und wir standen grade und die Andern lagen schief.

Einer hatte scharfe Augen, einer gute Ohrn,

einer hat noch nie geschwitzt und einer nie gefrorn.

Einer hat durch seine Klugheit jedes Ding geschafft,

einer durch die Schnelligkeit und einer mit viel Kraft.

Einszweidreivierfünfsechssieben – so war alles klar,

weil die Welt in Gut und Böse einzuteilen war.

Links und rechts, zurück und vorwärts – es gab schwarz und weiß,

und nun liegen wir dazwischen und drehn uns im Kreis ...

Irgendwer muss doch wissen, wo's lang geht ...

Keiner kann mehr sagen, wo ist unten, wo ist oben,

hat man uns ganz einfach auf ‘n totes Gleis geschoben,

und wir sitzen ziemlich dumm in unserm Bunker rum,

warten auf Befehle, doch das Funkgerät bleibt stumm.

Und die Helden werden müde und sie fühln sich schwach

und des Läufers Schnelligkeit lässt auch bedenklich nach.

Schweiß bricht aus den Poren und so 'n Frösteln auf der Haut,

alles ist so finster hier und irgendwie zu laut.

Einszweidreivierfünfsechssieben – noch sind alle da,

und manchmal erklingt sogar 'n heimliches Hurra!

Dann hat wieder einer 'von geträumt, wie schön es wär',

wenn so 'n neuer Führer käme, ganz egal woher ...

Irgendwer muss doch wissen, wo's lang geht ...

Traum vom Apfelbaum (2011/2023)

Vorab muss hier natürlich auf die Klaus-Renft-Combo und den von Peter „Cäsar“ Gläser nach einem metaphernreichen Text von Gerulf Pannach komponierten und mit sonorer Stimme gesungenen „Apfeltraum“ verwiesen werden. Die 1975 verbotene Gruppe und ihre Lieder sind untrennbar mit meiner musikalischen Sozialisation verbunden, was man auch an anderen Texten erkennen wird.

Hier meine 2011 geschriebene Reminiszenz an den leider schon 2008 mit nur 59 Jahren verstorbenen Leipziger Gitarristen und Sänger, auf dessen Label „cäsar music“ übrigens 2005 unsere CD „Stechen in See“ erscheinen durfte.

Und so träumen wir oft von den einfachen Dingen,

die uns umgeben und die wir doch nicht sehn,

und dann fangen die Dinge an, in uns zu singen

und sich auf der Spieluhr des Lebens zu drehn –

im Tanz zu drehn.

Und so tilgen wir unsere Schulden in Träumen,

all den Alten und Kranken was Gutes zu tun,

und wir schütteln beizeiten das Obst von den Bäumen,

eh‘ wir in ihrem kühlen Schatten ruhn –

eh‘ wir ausruhn.

Und die Goldmarie bricht uns vom Brot, das noch warm ist,

und reicht uns den Krug mit dem köstlichen Wein,

und die Sicherheit, dass da ein schützender Arm ist,

die soll immer in unsern Träumen sein –

die soll in uns sein.

Irgendwo (2003/2023)

Ja, klar hatte ich beim Schreiben dieses Textes die Lausitz vor Augen. Die gewaltigen Braunkohlentagebaue mit den Fraßspuren der riesigen Förderanlagen an unserer sensiblen Erdrinde, die verwüstete Landschaft, die Perspektivlosigkeit der Menschen, die nun – am Ende einer Ära – ihre Arbeit verloren, ihre Sicherheiten, ihr bisheriges Leben. Und natürlich schaute mir dabei Gundi über die Schulter, der schon Jahre zuvor, nachdem auch sein Bagger verschrottet worden war, seinen Schutzengel freigelassen hatte über dem Revier und der – 1998 verstorben – dennoch mit seinen Liedern, seinem Leben und auch seinem Tod auf immer mit dieser Region verbunden sein wird.

In diesen staubigen Nestern

zwischen Kohle und Kiefern und Sand

bist du gefangen im Gestern

und jede Straße führt ins Niemandsland.

Und in den staubigen Herzen

ist längst alle Hoffnung verdorrt

und du reißt dich mit Schmerzen

samt deiner Wurzeln aus und willst fort.

Irgendwo hinter den sieben Bergen,

da soll es Länder geben, die noch blühn,

und du hoffst, mit den sieben Zwergen

morgen wieder ins Bergwerk zu ziehn.

Irgendwo hinter den sieben Meeren

da lebt man noch von der Hand in den Mund.

Ach, könnten wir das wieder lernen, wir wären

nicht immer satt, doch an der Seele nicht so wund.

Und die Giganten verrosten

und sterben im Sand vor sich hin.

Wo die Dinge nichts kosten,

da verliern sie ihren Wert und ihren Sinn.

Irgendwo ...

Und wenn die Alten erzählen,

war alles, was früher war, so gut,

und in den durstigen Kehlen

ertränken sie den Staub und ihren Mut.

Irgendwo ...

Hans im Glück (2018)

Du sagst, Hans war erst glücklich, als er die Last abgeworfen hat;

so ‘n Klumpen aus Gold, der wiegt schwer, den hat er bald satt.

Tauscht ihn gegen das Pferd, die Kuh und das Schwein

und am Ende noch gegen den Schleifstein,

den schmeißt er in’n Brunnen, um endlich ganz frei zu sein –

ganz frei zu sein.

Du träumst diesen Traum, auf ‘ner Insel zu leben

und gleichzeitig wie im Schlaraffenland:

Da musst du zum Sattsein den Hintern nicht heben,

dich um nichts kümmern, dem andern nichts geben,

da brauchst du den Kopf nicht und auch nicht das Herz und die Hand.

Denn auch Hans war erst glücklich, …

Sich bloß nicht an irgendwas binden,

frei sein von jeglicher Pflicht,

aus Angst, sich so lange zu schinden,

bis man zerbricht.

Doch Hans kennt da Dinge im Leben,

die man nicht so einfach ablegt:

Ganz frei zu sein hieße, all das aufzugeben,

was man allein nicht erträgt.

Der Hans ist im Glück, aber du musst dich plagen,

und um das zu zeigen, gehst du so gebückt.

Doch kannst du die Lasten alleine nicht tragen,

mein Freund, mach den Mund einfach auf, um zu fragen;

ich schieb meine Schulter mit unter das Kreuz, das dich drückt.

Stadtmusikanten (2023)

Die Brüder Grimm haben uns alternden Musikern in ihren Kinder- und Hausmärchen eine verlockende Perspektive aufgezeigt: nach Bremen zu gehen, um dort Stadtmusikant zu werden: „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall“! Aber angenommen, alle alternden deutschen Musiker gingen nach Bremen – so ein Dauerlärm würde den Bewohnern der schönen Hansestadt wohl nicht gefallen.

Also schaue ich mich immer schon mal nach Alternativen um …

Älter werden – Abschied nehmen,

grau geworden ist das Fell.

Frisch gewagt, im fernen Bremen,

da lockt ’ne Musikantenstell‘!

Katzen bellen, Esel krähen,

hört nur, wie es lustig klingt –

so kanns ewig weitergehen,

bis der Sensenmann uns winkt!

Esel, Katze, Hahn und Hund,

die Musik hält uns gesund,

Esel, Katze, Hund und Hahn

stimmen noch mal ihre alten Lieder an!

Ach, wir haben all die Jahre

für die Herrschaft musiziert.

Unsre Kunst war eine Ware.

Ham uns selber wohl kastriert.

Tag für Tag dieselbe Plage,

unsre Träume starben still.

Nun, auf meine alten Tage,

da weiß ich endlich, was ich will.

Esel, Katze, Hahn und Hund…

Tief im Wald mit dunklen Tannen

kamen wir zum Räuberhaus

und eh die sich recht besannen,

da schmissen wir die Räuber raus.

Schaun uns um in dieser Hütte

und stell‘n fest, dass sich‘s hier leben lässt,

denn da steht schon in der Mitte

für Musikanten ein Podest!

Ach, was soll‘n wir da in Bremen?

Hier gibt’s doch auch ein Publikum,

dessen muss man sich nicht schämen,

also nehmt es uns nicht krumm,

dass wir heut‘ hier musizieren

grad so, als seien wir bestellt;

wir ham nichts mehr zu verlieren,

doch zu gewinnen eine Welt!

Esel, Katze, Hahn und Hund…

Stadtmusikanten | Reprise (2023)

Ach, der Hund hat kaum noch Zähne

und der Kater stumpfe Kralln

und des Esels grauer Mähne

sind die Haare ausgefalln.

Aber wenn wir musizieren

mit gewaltigem Tamtam,

schwillt dem Hahn beim Dirigieren

immer noch der rote Kamm.

Esel, Katze, Hahn und Hund –

wo wir aufspiel‘n, da geht‘s rund;

Esel, Katze, Hund und Hahn,

jeder bringt das, was er kann!

Esel, Katze, Hahn und Hund –

die Musik hält uns gesund;

Esel, Katze, Hund und Hahn

stimmen nochmal ihre alten Lieder an!

Buttje (2013/2024)

Erstaunlich, dass das Grimmsche Märchen vom Fischer un sin Fru den selbsterklärten Sprach-, Kultur- und Sittenwächter*/_Innen bisher entgangen ist! Während anderswo bedenkliche Worte zuhauf eliminiert wurden und nicht mehr zeitgemäß erscheinende Botschaften der woken Zensur zum Opfer fielen, blieb selbst den feministischsten Aktivistinnen offenbar verborgen, wer denn die eigentliche Schuld trage am Elend der armseligen Fischerkate, in der beide Protagonisten am Ende des Märchens wieder landen. Nun – es ist eindeutig: die Frau! Sie schickt ja den geduldigen Fischer immer wieder hinaus, vom goldenen Butt mehr und immer mehr zu fordern: das feste Haus, das Schloss, den Palast… Und zum Schluss sitzen sie wieder da, wo die Geschichte begann. Weil Ilsebill den Hals nicht voll genug bekommen konnte! Das passt nun wirklich nicht mehr in unsere Zeit, nicht wahr?! Und deshalb habe ich mich daran gemacht, eine gegenderte Fassung des Märchens herzustellen, die nachweist, dass auch wir Männer Wünsche haben. Dürfen!

Ich will ein kleines, feines Häuschen mit ‘nem regendichten Dach, mit dicken Wänden und mit Fenstern, die gut schließen gegen Krach, und rundrum einem grünen Garten hinter einem roten Zaun; Komm, Buttje, Buttje in der See – das kannste mir doch sicher baun!? Ich will ‘ne Bank am Waldesrand, gut abgeschirmt vorm rauen Wind, dass ich am Berg, den ich besteigen wollte, meine Ruhe find’t.

Ich lass die Wolken weiterzieh‘n und weiß, dass ich nichts mehr verpass’; Komm, Buttje, Buttje in der See – zieh aus ‘m Ärmel dieses Ass!

Lang schon hatt‘ ich nichts gefangen,

leerer Magen, leerer Tisch.

Nun bist du mir ins Netz gegangen,

schöner, goldner Fisch.

Gib mir die Kraft, die nötig ist, zu ändern, was sich ändern lässt.

Gib mir die Einsicht zu ertragen, was zu starr ist und zu fest.

Und zu erkennen, wo sich’s lohnt, dass ich die Kräfte investier‘;

Komm, Buttje, Buttje in der See – diese Weisheit wünsch ich mir!

Lang schon hatt‘ ich nichts gefangen …

Schenk mir zu guter Letzt ein Wesen, das mir wichtig ist und gut. Ein Schuppenweib, das nicht davon schießt mit der nächsten Flut Du Nixe mit dem Silberschaum im Haar, du lässt mich nicht allein; Komm, Buttje, Buttje in der See – vielleicht wird es so sein?!

Geschlechterfragen (Blogeintrag, 2020)

Es gibt Tage, die gehen vorüber, ohne dass ich mich über irgendwas aufregen könnte. Nicht, dass ich mit allem einverstanden wäre, was da so passiert oder angedeutet, verbreitet, erklärt und behauptet wird, aber als Aufreger reicht es halt nicht. Dann aber gibt es Momente, da möchte ich aus der Haut fahren. Und es ist ungesund, dies nicht zu tun.

So will und muss ich mich heute erregen über all die strengen Sittenwächter*innen und *außen, die gendern, was das Zeug hält (das Zeug – Neutrum!), die Sternchen verteilen, um damit eine ganz eigene Wertung vorzunehmen, und die Gaps aufreißen, über die ich nicht nur sprechend schwer hinwegkomme. Besonders brisant wird es für mich, wenn es der Kunst an den Kragen bzw. ans Geschlecht – im übertragenen wie wörtlichen Sinne – geht. Wie hat mich da jüngst das „Eiskalte Aufklärungsmanifest“ von Maxim Biller im Feuilleton der ZEIT (24/2020) erfreut, denn auch ihm geht da manches gegen den Strich.

Konkreter Anlass war allerdings keineswegs ein Strich, sondern eher das Gegenteil: „der erstklassige Penis“ (Zitat!) nämlich von Rammstein-Röhre Till Lindemann…, nun gut, das soll – wer will – dort selbst nachlesen. Allerdings übertrug sich der öffentliche Vorwurf männlicher Härte dann aufs poetische Werk des einstigen DDR-Schwimmkaders (die Frage, inwieweit das Staatsdoping zu dieser Härte im einen wie anderen Fall beigetragen haben könnte, stellt sich mir in diesem Zusammenhang, bleibt aber unbeantwortet und damit auch hier außen vor).

Und damit wird es zum leider nicht neuen Problem in Zeiten, da Eugen Gomringer, endlich als altlüsterner Bewunderer der Frauen entlarvt, nicht ungestraft eine Hochschulfassade betexten darf, hinter der heutige Student*/_Innen ihre feminine Militanz ausleben (dass Gomringers Schlüsseltext der Konkreten Poesie inzwischen an einer anderen Fassade ganz in der Nähe wiedererstanden ist, sei mit Dank an die Berliner Wohnungsgenossenschaft „Grüne Mitte“ vermerkt – es gibt noch Mut in dieser Welt!).

Nun will ich gar nicht versuchen, Gomringer und Lindemann auf eine Stufe zu stellen; Vergleiche hinken ohnehin. Aber wenn schon, denn schon: Konsequenterweise empfehle ich, endlich den ollen Goethe vom Sockel zu schubsen, in Weimar und anderswo: „Und der wilde Knabe brach’s / Röslein auf der Heiden. / Röslein wehrte sich und stach, / half ihm doch kein Weh und Ach, / musst es eben leiden…“ – aber hallo! Das ist die reinste Vergewaltigungslyrik, meine Herr*innen!

Und wer beim nächsten Abend mit Schubert-Liedern nicht bei der Forelle entrüstet aufspringt, gehört ausgepeitscht: Eine dreiste Verführung wird da besungen mit Lug und Betrug! Christian Friedrich Daniel Schubart, der Textdichter, sagt es in der letzten Strophe (die Schubert übrigens unvertont beiseite ließ?!) sehr deutlich: „Meist fehlt ihr nur aus Mangel / Der Klugheit; Mädchen, seht / Verführer mit der Angel – / Sonst blutet ihr zu spät“!

Da kann dieser Schubart noch so sozialkritisch und antifeudal gedichtet haben, wie er will – so ein Text gehört auf den Scheiterhaufen der Geschichte. Und wenn der schon entzündet wird, werft bitte Heinrich von Kleist mit hinein: „Die Marquise von O.“ hat es verdient (bzw. derjenige, der laut Kleist ihre Ohnmacht für Dinge ausnutzte, die zu schildern sich in einem für Jugendliche unter 18 Jahren frei zugänglichen Beitrag selbstredend verbietet). Von den Gebrüdern Grimm ganz zu schweigen, denn welche Moral muss man aus der Geschichte „Vom Fischer un sin Fru“ extrahieren? Genau: Das gierige Weib ist schuld am Unglück, in dem am Schluss der Story beide wieder sitzen! Der brave Mann kann nix dafür – außer dass er keinen A… in der Hose hatte, um sich gegen die zänkische Alte mal durchzusetzen.

So, nun geht es mir schon viel besser. Und eines ist sicher: Es gibt noch viel zu tun!

Märchen (2003)

Ganz hinten liegt das verschloss‘ne Zimmer

im dunklen Haus und kein Schlüssel zur Hand.