LiveRillen No. 5 - Paul Bartsch - E-Book

LiveRillen No. 5 E-Book

Paul Bartsch

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Beschreibung

Livekonzerte sind unvergessliche Momente - sowohl für Musikerinnen und Musiker als auch für ihr Publikum. Viele dieser Momente sind auf Vinyl konserviert und finden als Teil unseres Lebens Eingang in unsere persönliche Erinnerungskultur. Die Buchreihe "LiveRillen" setzt genau dort an und erweckt diese emotionalen Ereignisse zu neuem Leben, indem die vorgestellten Konzertausschnitte mit Daten, Namen und Fakten angereichert, durch zeitgeschichtliche Aspekte erweitert und durch Querverweise und Anekdoten ergänzt werden. Die Buchreihe basiert auf den gleichnamigen monatlichen Radiosendungen, die der Literaturwissenschaftler, Buchautor, Journalist und Musiker Paul Bartsch seit dem Frühjahr 2018 auf Radio Corax präsentiert.

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Seitenzahl: 269

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Hinweise in eigener Sache:

Aufgrund der Vielzahl und des Alters der im Text erwähnten Schallplatten ist es schier unmöglich, die jeweiligen Bild- und Urheberrechte für die Cover bei den größtenteils nicht mehr existierenden Labels zu klären. Ich habe die Cover hier in durchaus werbender Absicht in den Text eingefügt. Als Quelle sind die konkreten Plattenausgaben mit Label und Erscheinungsjahr angegeben. Sollte(n) sich der oder die Inhaber der jeweiligen Rechte dennoch benachteiligt fühlen, bitte ich um entsprechende Information – sicher finden wir gemeinsam eine probate Lösung.

Falls Sie Interesse haben, die eine oder andere LiveRillen-Sendung komplett nachzuhören, stelle ich Ihnen diese gern zur Verfügung. Die mp3-Datei wird Ihnen per WeTransfer übertragen und ist ausschließlich für den privaten Gebrauch gedacht!

Anfragen richten Sie bitte per Mail an: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Noch ’ne Rille vorneweg

No. 51: Paul McCartney | Brian Wilson | Ronnie Wood

No. 52: Carlos Santana wird 75

No. 53: Give Peace A Chance – Songs Against War

No. 54: Hot Strings – die Violine in der populären Musik

No. 55: Eiskalter Blues und heißer Country-Folkrock

No. 56 Soul Music – Wenn die Seele singt

No. 57: Ein rundes Dutzend – Mein Konzertjahr 2022

Sonder-LiveRille: Meine Top-Erwerbungen 2022

No. 58: Mey, Wader, Wecker – Das deutsche Liedermacher-Triumvirat

No. 59: Famous Female Voices

No. 60: Staubtrocken? Country und Blues aus dem Süden der USA

No. 61: Superdrumming – der Herzschlag des Rock

No. 62: Unterwegs auf der vierspurigen Straße: Crosby, Stills, Nash & Young

Index der Bands, Musiker und Stichworte

Nachsatz

LiveRillen live – eine musikalische Lesung

Im Schatten großer Brüder – eine musikalische Lesung

Noch ‘ne Rille vorneweg

Only bad News seien good News, wird behauptet? Von wegen! Hier kommen wirklich gute Nachrichten, liebe Schallplatten-Freunde: Der Boom hält nämlich ungebrochen an! Erstmals seit über 35 Jahren wurden in den USA im Jahr 2022 mehr Schallplatten als CDs verkauft – 41 Millionen mal Vinyl gegenüber 31 Millionen Silberscheiben. Die Umsätze bei Schallplattenverkäufen wuchsen damit um 17 Prozent auf 1,2 Milliarden US-Dollar, es handelt sich um das 16. Wachstumsjahr in Folge. Im Zuge der Verbreitung von Streaminginhalten haben sich allerdings die Präferenzen der Hörer offenbar geändert: Wer unkompliziert Musik hören will, verwendet heute meist Spotify, Apple Music, Tidal oder einen anderen Streamingdienst – und keine CDs. Der Schallplatte hängt mittlerweile dagegen ein Retro-Bonus an; viele Menschen unterschiedlicher Generationen scheinen deren Klang und Handhabung als etwas Besonderes zu empfinden. 1

Wohl auch deshalb genießen Schallplatten seit einigen Jahren wieder mehr Wertschätzung, heißt es bei „Musiker-Online“ weiter; es habe sich zwischenzeitlich ein regelrechter Hype um die (meist) schwarzen Scheiben entwickelt. Mittlerweile ist es ja nicht unüblich, dass auch bekannte Künstler neue Alben zusätzlich (und manchmal sogar ausschließlich) auf Vinyl herausbringen. Nach dem Siegeszug der CD in den 1980er und 1990er Jahren war der Schallplattenmarkt zunächst eingebrochen, das Medium gar totgesagt, da die Compact Disc wesentlich praktischer schien und eine vermeintlich bessere Audioqualität bot – was Vinyl-Puristen schon seinerzeit bezweifelten und mit letztlich stark subjektiv gefärbten Argumenten und „Beweisen“ zu widerlegen suchten. Nun, wie dem auch sei – ich persönlich bin sehr froh, vor sieben, acht Jahren den Salto rückwärts vollzogen zu haben und (nachdem ich trotz vinylorientierter Jugend auch zweieinhalb Jahrzehnte lang auf die CD gesetzt hatte) zur Schallplatte zurückgefunden zu haben. Inzwischen stehen rund 1200 Alben in meinen Regalen – ausschließlich Konzertmitschnitte, was ahnen lässt, dass da noch Material für etliche weitere LiveRillen wartet.

In einem Interview mit dem Rolling Stone kam übrigens auch Helge Schneider, der selbsternannte Kulturromantiker, jüngst auf diverse Retrotrends zu sprechen, die er als wichtigen Teil seiner Welt so beschreibt: „Zum Beispiel Schallplatten. Manche haben jetzt erkannt – was ich wiederum schon lange weiß –, dass eine Schallplatte anders klingt als eine Kassette, anders klingt als eine CD und vor allem noch mal anders als Spotify. Wer heute mit einer Plattenfirma verhandelt, kriegt zu hören: Das muss aber auch bei Spotify rein! Der Künstler verdient daran bekanntermaßen null. Streamingdienste sind völliger Quatsch. Die Atomsphäre eines Konzerts ist eins zu eins nicht übertragbar. Natürlich kann sich nicht jeder eine Plattensammlung leisten. Aber ich bemerke die Tendenz, dass immer mehr Leute ein Stück Kultur in den Händen halten und mit nach Hause nehmen wollen. Vinyl sieht besser aus als eine CD und besser als die Musik auf dem Handy, denn in dem Handy befindet sich ja nichts, zumindest kein Tonträger. Diese virtuelle Welt ist auf dem Vormarsch – aber es gibt eben immer noch das andere. Und das andere finde ich gut.“2

Danke, Helge – du sprichst mir aus dem Herzen! Nicht zuletzt deshalb gestalte ich nun im sechsten Jahr die monatliche LiveRillen-Sendung auf Radio Corax und darf mit Freude konstatieren, dass eine wachsende Zuhörerschaft diese doppelte Leidenschaft – Livemusik und Schallplatten – mit mir teilt. Zumal die LiveRillen offenbar auch kommunikationsfördernd sind, wenn ich an die zahlreichen Rückmeldungen per Mail denke, die mich nach den Radiosendungen oder auch nach der Lektüre der LiveRillen-Bücher erreichen und durch die einige Fehler oder Ungenauigkeiten in den Texten korrigiert und ergänzt werden konnten – vielen Dank, Freunde!

Eventuell hat das Plattenhören ja sogar noch einen positiven gesundheitlichen Effekt? Ich darf dazu noch einmal aus dem Helge-Schneider-Interview zitieren: „Und dazu kommt die Bewegung des Hörers. Man steht auf, man nimmt den Tonträger in die Hand, man macht was mit ihm. Das wünsche ich mir mal von meiner 15-jährigen Tochter: Dass sie vom Bett aufsteht, um Musik zu hören. Einen Tonarm aufsetzt, ohne gleich einen Kratzer auf der Platte zu machen. Dann kann sie sich von mir aus wieder hinlegen und die Platte hören. Und wieder aufstehen, um die andere Seite aufzulegen. Das passiert aber nicht mehr. Die jungen Leute liegen den ganzen Tag im Bett mit ihren Handys. Nach einem Jahr sehe ich das Kind dann mal wieder, nicht mehr im Bett, sondern aufrechtstehend – und sie ist seitdem zehn Zentimeter gewachsen! Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, manchmal sieht man noch Kinder mit Schallplatten in der Hand.“3

Kann man es besser, optimistischer sagen? Ich schließe mich jedenfalls vollinhaltlich an und übergebe dieses Buch voller Schallplatten allen Kindern, Eltern und Großeltern als Köder, sich doch mal wieder vom Fernseher zu lösen, die Spotify-Kopfhörer abzustreifen, die Plattensammlung zu entstauben und sich von ihrem Klang gefangen nehmen zu lassen. Oder einfach mal wieder selbst in ein gutes Konzert zu gehen. Vielleicht sehen wir uns dort sogar?

Ein erster Schritt wäre ja, hin und wieder mal in die aktuellen Sendungen hineinzuhören?!

Die LiveRillen auf Radio Corax laufen nach wie vor am ersten Freitag des Monats von 16 bis 18 Uhr sowie als Wiederholung am jeweils dritten Sonntag desselben Monats von 12 bis 14 Uhr auf UKW 95.9 (Raum Halle/Leipzig/ Magdeburg) und weltweit im Netz unter https://radiocorax.de/ > Livestream.

Und nun – viel Freude und gute Unterhaltung bei der Lektüre des fünften Bandes der LiveRillen…

1 Vgl. https://www.musiker-online.com/erstmals-seit-1987-mehr-platten-als-cds-verkauft/.

2https://www.rollingstone.de/helge-schneider-im-interview-kulturelle-aneignung-nicht-die-bohnerelevant-2552501/.

3 Ebenda.

No. 51: Paul McCartney | Brian Wilson | Ronnie Wood

Juni 2022

In dieser LiveRillen-Ausgabe weht uns der Atem der Rockhistorie sozusagen ganz direkt an, denn es gilt, anlässlich ihrer Geburtstagsjubiläen drei Protagonisten zu würdigen, die seit Jahrzehnten bereits ganz oben auf dem Olymp der populären Musik residieren – als da wären der Beatles-Mitbegründer Sir Paul McCartney, der kreative Kopf der Beach Boys, Brian Wilson, und schließlich Ron Wood, der manchen Puristen bis heute nicht als „echter Rolling Stone“ gilt, obwohl er die selbsternannte größte Rock’n’Roll-Band der Welt nun schon seit 47 Jahren verstärkt. In diesen LiveRillen soll deshalb nachgewiesen werden, dass Ron Wood weit mehr ist als nur der Sideman der Herren Jagger und Richards! Doch der Reihe nach…

Und die beginnt mit Paul McCartney, der im Juni seinen 80. Geburtstag begehen und somit auf eine schier unglaubliche, mehr als sechs Jahrzehnte währende Karriere zurückblicken kann, die durchaus Höhen und Tiefen beinhaltet. Die in Gänze auszubreiten würde unsere Sendezeit hoffnungslos überfordern; zudem gehe ich mal davon aus, dass euch Vieles bekannt sein dürfte. Also in Kurzform:

Am 18. Juni 1942 in Liverpool als Sohn eines Baumwollhändlers zur Welt gekommen; ein Kriegskind also, das in der Schulzeit zum leistungsstarken und kunstinteressierten Musterschüler heranwuchs. Als Teenager 4 stieg der Linkshänder in die Skifflegruppe Quarrymen ein, die ein gewisser John Lennon gerade gegründet hatte. Dass daraus wenige Jahre später eines der erfolgreichsten Songwriter-Duos der Popgeschichte werden sollte, war da noch nicht abzusehen. Nachdem mit George Harrison ein weiterer Gitarrist zur Gruppe gestoßen war, die sich nunmehr Johnny and the Moondogs nannte, und schließlich mit Pete Best ein Schlagzeuger hinzukam, trat das nunmehrige Quartett Ende Dezember 1960 erstmals unter dem Namen The Beatles im Gemeindesaal eines Liverpooler Vororts auf. Durch den Gitarristen Stu Sutcliffe zum Quintett The Silver Beatles erweitert, gelangte die Gruppe auch nach Hamburg, wo sie im Star Club den britischen Barden Tony Sheridan begleiten durfte. Da war von eigenem Profil allerdings noch wenig zu spüren.

Der entscheidende Schritt erfolgte 1962, und das recht dramatisch: Stu Sutcliffe verstarb an einem Hirntumor, Ringo Starr ersetzte den kränkelnden Pete Best am

Schlagzeug, der im Schallplattenhandel zu Geld gekommene Brian Epstein übernahm das Management, und mit George Martin wurde bei EMI ein Produzent gefunden, der den vier Rohdiamanten den soundtechnischen Feinschliff verlieh.

Vor knapp 60 Jahren – im Oktober 1962 – erschien die erste Beatles-Single „Love Me Do“, die immerhin auf Platz 17 der britischen Charts kam, bevor ein Vierteljahr später die zweite Single „Please Please Me“ die Spitzenposition erreichte. Nun folgte Hit auf Hit, ohne dass die Lennon/McCartney-Produkte nach Fließband klangen, und brachte weltweit die „Beatlemania“ ins Rollen, und auch modisch setzten die Pilzköpfe nun bis zu ihrer Trennung am Ende des Jahrzehnts Maßstäbe innerhalb der Jugendkultur.

Zur Erinnerung an die Geburtsstunde der Beatmusik hier nun drei Liveaufnahmen der Beatles aus ihren Anfangsjahren. Zunächst „From Me To You”, aufgenommen im Juni 1963 für eine BBC-Radiosendung im Londoner Playhouse Theatre. Danach ein Mitschnitt aus der Hollywood Bowl aus dem Jahr 1964, als die Beatles längst auch die Neue Welt erobert hatten: „Things We Said Today“. Und schließlich aus der Budokan Hall in Tokio „I Feel Fine“ – das Konzert fand am 30. Juni 1966 statt. Alle drei Stücke tragen sowohl kompositorisch als auch stimmlich die unverkennbare, harmoniebetonte Handschrift von Paul McCartney…

The Beatles: From Me To You / Things We Said Today / I Feel Fine

Dabei war in der Beatles-Ära zweifellos die kreative Auseinandersetzung mit John Lennon der wichtige Katalysator, der diese frühen Höchstleistungen ermöglichte, an die Paul McCartney nach der Trennung der Beatles nicht wieder herankam – ohne sein späteres Werk damit schmälern zu wollen.

Dass Verschwörungstheorien, mit denen wir in den vergangenen beiden Jahren ja reichlich konfrontiert waren, auch vor Paul McCartney nicht haltmachen, zeigt die Tatsache, dass seit dem Ende der 1960er Jahre das Gerücht kursiert, er wäre bereits 1966 bei einem Autounfall ums Leben gekommen und durch einen Doppelgänger ersetzt worden. Ein US-Radiomoderator führte seinerzeit das LP-Cover von „Abbey Road“ als Beweis an – ihr kennt die ikonische Szene mit den Fab Four auf dem Zebrastreifen: McCartney geht als Einziger der Vier barfuß, was in England als Todessymbol gedeutet werde; zudem halte er – bekanntlich Linkshänder – die Zigarette in der rechten Hand. Nun ja, wem das als Beweis reicht, der mag bis heute daran glauben… (müsste aber wohl zugeben, dass auch der angebliche Doppelgänger seine Sache keineswegs schlecht gemacht hat). Wikipedia hat dieser Fabel unter dem Titel „Paul Is Dead“ inzwischen eine eigene Seite eingeräumt…

Aus dem Reich der Fantasie zurück zu den Fakten.

Bis Sir James Paul McCartney – so sein voller Name, seitdem ihn die Queen 1997 in den Adelsstand erhoben hat – zum erlauchten Kreis der Milliardäre zählt, scheint es nicht mehr weit: Das Vermögen Magazin gibt seinen Reichtum aktuell mit 910

Millionen Euro an, wobei 50 Millionen allein in diesem Jahr (2022) hinzukommen werden.5 Die Tantiemen sprudeln also, selbst wenn er keine neuen Songs veröffentlicht und keine Bühne betritt: Beatles-Songs laufen im Radio hoch und runter, werden noch immer …zigtausendfach von Musikportalen gestreamt, in immer neuen Kompilationen und tontechnischen Überarbeitungen auf den

Musikkonservenmarkt geworfen und natürlich auch gern von anderen Künstlern gecovert. All das bringt Geld – und in McCartneys Fall viel Geld!

Verdientermaßen, steht er doch in der vom Rolling Stone 2015 veröffentlichten

Liste der 100 weltbesten Songschreiber auf Platz Zwei 6 und damit immerhin einen Rang vor seinem langjährigen Kontrapunkt John Lennon. Platz Eins – das nur am Rande – gebührt dort Bob Dylan…

Zwei ganz unterschiedliche Beispiele, wie man Beatles-Titel auch darbieten kann, habe ich mal rausgesucht: Zunächst „Yesterday“, das trotz der üblichen

Zuschreibung Lennon/McCartney wohl allein aus Pauls Feder stammt und der meistgecoverte Song der Popgeschichte sein soll – hier eine Beatles-Liveversion aus dem schon erwähnten Japan-Konzert der Fab Four und anschließend der US-amerikanische Country-Star Willie Nelson, der sich Mitte der 1970er Jahre daran versuchte. Und da wir gerade beim Geld waren: In einem Ranking der erfolgreichsten Songs der Musikgeschichte wird „Yesterday“ auf Platz 4 gelistet; zudem sei es das zweithäufigste im Radio gespielte Lied aller Zeiten: Insgesamt werde „Yesterday“ bis jetzt auf einen Wert von 30 Millionen Dollar beziffert. 7

Danach „I Saw Her Standing There“ – erst als Beatles-Mitschnitt aus einer BBC-Sendung Mitte 1963 und anschließend eine Version, die 1978 auf dem Doppelalbum „What Do You Want From Live?“ der US-amerikanischen The Tubes zu finden ist, die Siegfried Schmidt-Joos in seinem Rock-Lexikon „für ihre hemmungslose Mischung aus Rock, Theater und Satire“ lobte. Das hören wir uns doch gleich mal an…

The Beatles / Willie Nelson: Yesterday The Beatles / The Tubes: I Saw Her Standing There

Nach der Trennung der Beatles geriet Pauls erste Solo-LP zum Flop. 1971 gründete er mit den Wings eine neue Band. Das war keineswegs eine Supergroup, wie sie McCartney nach eigener Aussage auch hätte gründen können – nein, er wollte bewusst nach der Beatlemania „eine neue Ochsentour … (als) Therapie gegen die Depressionen wegen des Beatles-Splits“8, wie in der Musikzeitschrift GoodTimes zu lesen war. Immerhin war der Moody-Blues-Mitbegründer Denny Laine als Gitarrist mit von der Partie; Schlagzeuger Denny Seiwell hatte zuvor vor allem im Studio getrommelt, und Linda McCartney, die Paul 1969 geheiratet hatte, war zwar eine begnadete Fotografin, aber an den schwarzweißen Keyboardtasten eine absolute Anfängerin. So ätzte der Rolling Stone nach Erscheinen der ersten Wings-LP „Wild Life“ denn auch, diese sei „musikalisch eher schlaff und lyrisch impotent, trivial und unberührend“. Harte Worte, die auch ein Ex-Beatle erstmal verdauen musste. Seine Antwort war eine erste Tour mit der neuen Band, nicht etwa in den großen Hallen, sondern an britischen Universitäten.

Die politisch ziemlich naive und musikalisch simple Single „Give Ireland Back To The Irish“ erschien 1972 nicht einmal vier Wochen nach jenem „Blutigen Sonntag“, an dem britische Fallschirmjäger im nordirischen Derry dreizehn Bürgerrechtler, darunter sechs erst 17jährige Jugendliche, erschossen hatten.

Immerhin ungewohnt deutliche Worte, die McCartney für das Desaster gefunden hatte.

Eine Europatour der Wings im Sommer desselben Jahres geriet fast zur Nebensache, als Paul und Linda in Schweden wegen des Besitzes von Marihuana zu 1200 Dollar Geldstrafe verurteilt wurden. Weiteren Auftrieb brachte der erste James-Bond-Film mit Roger Moore in der Hauptrolle: „Live And Let Die“, zu dem die McCartneys den Titelsong beisteuerten.

Und damit wird es Zeit für Livemusik von den Wings. Von ihrem opulenten, Ende 1976 erschienen Dreifach-Album „Wings Over America“ habe ich „Long And Winding Road“ ausgewählt, das hier – anders als in der schwülstigen, streicherbetonten Beatles-Version – zur schlichten Pianoballade wird, und danach den Bond-Song „Live And Let Die“.

Wings: Long And Winding Road / Live And Let Die

Im Folgejahr hatte die Band mit „Mull Of Kintyre“ und schottischen Dudelsäcken ihren einzigen Nummer-Eins-Hit in Deutschland, doch diverse Umbesetzungen – einzig Denny Laine blieb als Konstante –, dazu eine gewisse Tourmüdigkeit, die inzwischen auf drei Kinder angewachsene McCartney-Familie und die Arbeit an einem neuen Projekt, das sich Rockestra nannte, brachten zum Ende der 70er das Aus für die Wings.

Ein letztes Mal live zu erleben waren sie Ende Dezember 1979 bei einem mehrtägigen Benefiz für die unter dem Terror der Roten Khmer leidende Bevölkerung von Kambodscha, zu dem McCartney unter anderem The Who, Queen,

The Clash und die Pretenders ins Londoner Hammersmith Odeon eingeladen hatte und bei dem mit Rockestra nun auch eine echte Supergroup unter seiner Leitung agierte.

Dem illustren Ensemble gehörten beispielsweise Robert Plant und John Bonham von

Led Zeppelin, Gary Brooker von Procol Harum, der Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmour, Dave Edmunds von Rockpile, ex-Small-Faces-Drummer Kenney Jones und der Who-Mastermind Pete Townshend an. Das gesamte Konzertereignis – einige erinnern sich vielleicht? – habe ich in der 20. Sendung der LiveRillen im November 2019 ausführlich vorgestellt – nachzulesen auch im Band 2 der Buchausgabe der „LiveRillen“.

Und so beende ich die Gratulation für Sir Paul heute mit zwei Titeln aus den „Concerts For The People Of Kampuchea“ – zunächst „Coming Up“, das dann 1980 die Solo-LP „McCartney II“ eröffnen sollte und in dieser Liveversion als Single bis an die Spitze der US-Charts kletterte, und danach das unverwüstliche „Let It Be“ mit der Unterstützung der gesamten Rockestra-Besatzung.

Wings: Coming Up / Let It Be

Unverkennbar – die Stimme von Paul McCartney, der am 18. Juni sein achtes Lebensjahrzehnt vollendet. Privat durchlebte er nach dem Krebstod von Linda, die 1998 starb und deren Fotos uns bis heute immer wieder in Ausstellungen intime Momente der Stars jener Jahre nahebringen, etliche Höhen und Tiefen. Die zweite Ehe mit dem ex-Model Heather Mills endete in einem teuren Rosenkrieg, eine junge Deutsche strengte eine letztlich erfolglose Vaterschaftsklage gegen den ex-Beatle an, der seit nunmehr 11 Jahren in dritter Ehe mit der Geschäftsfrau Nancy Shevell verheiratet ist. Seit Jahrzehnten ernährt sich McCartney streng vegetarisch; schon mit Linda hatte er sich seinerzeit für den weltweiten Tierschutz engagiert, und vor einem Auftritt in Alfred Bioleks Fernsehshow „Mensch Meier“ im Frühjahr 1989 kam es fast zum Eklat, als das Ehepaar am Flughafen Köln-Bonn von einer Limousine mit echten Ledersitzen abgeholt wurde – ein absolutes NoGo für die engagierten Tierschützer! In einem Interview mit GoodTimes auf die zunehmende Umweltzerstörung angesprochen, sagte McCartney: „Einige scheinen den Ernst der Lage … nicht erkannt zu haben. Noch immer werden in Südamerika tagtägliche riesige Flächen Regenwald abgeholzt, werden weltweit Luft und Wasser verschmutzt … Wenn unsere Natur zerstört ist, gibt es für die Menschen keine Überlebenschance mehr. Wir müssen die Erde gemeinsam retten. … Ich jedenfalls fühle mich verpflichtet, etwas zu unternehmen.“9 Worte, die heute aktueller denn je sind – möge Sir Paul für sein Engagement noch lange Kraft und Gelegenheit haben!

Zum nächsten Jubilar leite ich über mit der ebenfalls in GoodTimes dokumentierten Behauptung, seine Komposition „God Only Knows“ sei „bis heute Paul McCartneys absoluter Lieblingssong“,10 wie dieser selbst gesagt habe. Und wenn es eine weitere Verbindung zwischen ihm und McCartney bräuchte, dann wäre wohl die Tatsache, dass die Beach Boys in den 1960er Jahren in den USA zeitweise einen ähnlichen Stellenwert besaßen wie die Beatles, nicht zu weit hergeholt. Dass Brian Wilsons Leben einen insgesamt weit tragischeren Verlauf genommen hat als das von Paul McCartney, werden wir gleich etwas näher beleuchten. Zunächst aber drei Songs der Beach Boys, die Brian Wilson, der am 20. Juni 80 Jahre alt wird, komponiert hat: zunächst besagtes „God Only Knows“ vom legendären Album „Pet Sounds“, danach mit „Do It Again“ und „Wouldn’t It Be Nice“ weitere typische Beispiele für den unverwechselbaren Sound der kalifornischen Strandjungs. Die Aufnahmen stammen von der 1970 bei Capitol erschienen LP „The Beach Boys Live In London“. Einziger Wermutstropfen: Die Stimme von Brian Wilson ist auf keiner dieser Liveaufnahmen zu hören – dazu dann gleich mehr.

Beach Boys: God Only Knows / Do It Again / Wouldn’t It Be Nice

Tja – Wäre es nicht schön, wenn wir älter wären und am Morgen gemeinsam aufwachen könnten? Vielleicht wird es wahr, wenn wir denken und wünschen und hoffen und beten / Oh, Baby, dann gäbe es nichts, was wir nicht tun könnten… - die vielen Konjunktive in diesem Text über eine junge Liebe lassen sich unschwer auf das Schicksal des musikalischen Kopfes der Beach Boys übertragen: Brian Wilson. Wäre es nicht schön, wenn er die Unbeschwertheit und Lebensfreude, die viele seiner Kompositionen beschwören, selbst hätte ausleben können. Aber nein, der älteste der Wilson-Brüder war ganz im Gegensatz zum gewollten Image der Band keineswegs ein Strandjunge, kein sportlich durchtrainierter und braungebrannter Surfer-Sunny-Boy, sondern ein korpulenter, etwas unbeholfener und ängstlicher Grübler, der schon Mitte der 1960er Jahre seinem ehrgeizigen und tyrannischen Vater Murray, der die Beach Boys als Familienband der Brüder Brian, Dennis und Carl Wilson sowie ihres Cousins Mike Love initiiert hatte und mit harter Hand managte, erklärte, er, Brian, werde nie mehr mit den anderen gemeinsam auf die Bühne gehen. Er sah sich viel mehr als Komponist abseits der ausgetretenen Pop-Pfade, als Soundtüftler, als Innovator bei den Studioaufnahmen, die er gern im Alleingang durchzog. Die Texte, die anfangs vor allem vom Cousin Mike Love gekommen waren, lieferte nun der Werbetexter Tony Asher, der schon für die Carpenters geschrieben hatte. Mike Love anerkannte zwar die Qualität der Asher-Lyrics, die die jeweiligen inhaltlichen Vorgaben von Brian Wilson in sangliche Worte fassten, zeigte sich aber frustriert, dass er selbst keinerlei Credits als Songtexter erhalten hatte. Die musste sich der einzige in der aktuellen Beach-Boys-Besetzung verbliebene Gruppenmitbegründer (81 Jahre alt ist er inzwischen!) erst später vor Gericht erstreiten…

„Pet Sounds“, die bereits erwähnte LP, die als Brians Antwort auf die Beatles-Platte „Rubber Soul“ konzipiert war und zu einem Meilenstein der Rockgeschichte werden sollte, erschien dann im Mai 1966. Zum Desaster allerdings geriet die Arbeit am geplanten Nachfolger „Smile“, für den der US-amerikanische Musiker und Schauspieler Van Dyke Parks als Texter verpflichtet worden war. Mike Loveerinnerte sich später so an diese Phase: „Besonders schlimm wurde es, als Brian … mit dem Musiker Van Dyke Parks zusammenarbeitete. Brian und er hauten sich Drogen rein ohne Ende, bis zur totalen Besinnungslosigkeit. … Ich habe Brian deutlich meine Meinung gesagt, und es kam zu einem heftigen Streit.“11

Auch Brians 1964 geschlossene Ehe mit der damals erst 16jährigen Marylin Rutherford wurde in dieser Zeit ein Opfer der harten Drogen, und „Smile“, geplant als „Teenage Symphony to God“ 12, blieb unvollendet im Archiv. Erst 2004 erschien der Songzyklus als Platte unter dem Titel „Brian Wilson Presents Smile“, nachdem dieser sich gemeinsam mit Parks erneut an das Großprojekt gewagt hatte.

Der Musikexperte Lutz Stolberg fasst in seinem Oldie-Buch über die 60er Jahre die komplizierte Persönlichkeit von Brian Wilson so zusammen: „Eigentlich müsste Brian die Musik fürchten, denn sie war das Diktat des Vaters. Aber sie erschien ihm als Zufluchtsstätte. Sie enttäuschte ihn nie. Sie sprach zu ihm, und er sprach durch sie. Und sie half ihm, trübe Stimmungen zu verscheuchen.“13

Ganz ist ihm das aber doch nicht gelungen; exzessiver Drogenkonsum kam hinzu und verstärkte die psychischen Probleme des Genies, die auch zahllose Therapieversuche nicht wirklich lösen konnten. Der 2014 erschienene Spielfilm „Love & Mercy“ in der Regie von Bill Pohlad bebildert die Leidensgeschichte des Brian Wilson eindrucksvoll. Heute lebt der inzwischen sechsfache Großvater sehr zurückgezogen mit seiner zweiten Frau Melinda Ledbetter, die er 1995 heiratete und die auch seine Geschäfte führt. Er komponiert noch immer, wie man hört, und ich wünsche ihm von hier aus alles Gute zum 80. Geburtstag!

Die beste Gratulation ist zweifellos seine Musik, die ihm unter den besten Songschreibern aller Zeiten14 immerhin Rang 12 sichert. Vom 1973 erschienenen Doppelalbum „The Beach Boys In Concert“, das Mitschnitte aus New York und Los Angeles präsentiert, hier zunächst „Help Me, Ronda“, das 1965 als Single aus der LP „The Beach Boys Today!“ ausgekoppelt wurde.

Danach „Good Vibrations“, das eigentlich schon auf dem „Pet-Sounds“-Album erscheinen sollte, aber nicht rechtzeitig fertig geworden war. So kam der Song erst Ende 1966 als Single heraus und eroberte die Charts in England und den USA im Sturm – jeweils Platz Eins! Und schließlich mit „Fun, Fun, Fun“ noch einer dieser sonnigen Surfer-Songs, in denen Brian Wilson den Rock’n’Roll der späten 50er Jahre a la Chuck Berry auf geniale Weise mit dem Harmoniegesang von

Vokalgruppen wie den Delroys oder den Four Freshmen verschmolz – der Titel erreichte 1964 immerhin Platz Fünf der Billboard Hot 100 in den USA.

Beach Boys: Help Me Ronda / Good Vibrations / Fun, Fun, Fun

Was wäre aus den Beach Boys ohne ihr scheues Genie geworden: Brian Wilson, der seine jüngeren Brüder Carl und Dennis überlebt hat, was bei seinem jahrelangen Drogenmissbrauch und den damit verbundenen psychischen Problemen fast an ein Wunder grenzt. Alles Gute zum 80. Geburtstag!

Wenn in einer Sendung die Beatles und die Beach Boys zu ihrem Recht kommen, dann dürfen sie natürlich nicht fehlen – die Rolling Stones. Und falls es auch dafür einer weiteren Begründung bedarf: Ron Wood, der zur verschworenen Jagger/Richards-Gemeinschaft passt wie der jüngere Bruder von Keith, ist am 1. Juni 75 Jahre alt geworden. Ihm gehört die restliche Sendezeit, denn natürlich hat Ronnies Musiker-Dasein weder mit den Rolling Stones begonnen noch ist es auf die größte Rock’n’Roll-Band der Welt begrenzt geblieben – und damit meine ich nicht nur den Umstand, dass er sechs Kinder mit drei Frauen gezeugt hat. Aber der Reihe nach…

Der gebürtige Londoner Ronald David Wood ist in einer Sozialsiedlung im Nordwesten der Stadt aufgewachsen, wenn er nicht gerade mit seinen Eltern, die Binnenschiffer waren, auf den südenglischen Kanälen zwischen London, Stratford-upon-Avon und Manchester herumschipperte. Die Atmosphäre seiner Kindheit beschreibt Ron Wood so: „Musik lag unserer Familie immer am Herzen. Wir sind von der Abstammung Roma. Gypsy-Blut passt temperamentsmäßig perfekt zum Rock’nRoll.“15 Irgendwann müssen ihm dabei zeitgleich eine Gitarre und eine Farbpalette in die Hände gefallen sein; bis heute ist die Malerei für ihn mehr als ein Hobby, und in Kunstkreisen werden seine Bilder nicht nur wegen des Promi-Bonus geschätzt – immerhin hat er das berühmte Ealing Art College in London besucht.

Musikalisch habe ihn in seiner Jugend vor allem Chuck Berry geprägt, gibt Ron Wood immer wieder gern zu Protokoll – vor wenigen Jahren hat er ihm mit „Mad Lad“ eine ganze Platte gewidmet. Mit 17 Jahren spielte er bereits in einer Band, wurde dann Mitglied der Jeff-Beck-Group, wo er den Bass zupfte, und zeitweise auch von

Creation. Ob deren Hit „Painterman“ sich auf den malenden Gitarristen bezieht, ist allerdings nicht überliefert… 1969 stieg er gemeinsam mit dem Sänger der aufgelösten Jeff-Beck-Group, Rod Stewart, bei den Small Faces ein, die den Weggang von Steve Marriott kompensieren mussten. Das „Small“ im Bandnamen entfiel, und die Faces waren geboren, die fünf Jahre lang einen ziemlich rauen, ungeschliffenen Rhythm&Blues zelebrierten, bei dem sich Ron Wood bereits als Songschreiber beweisen konnte, zu dessen Kompositionen Rod Stewart häufig die Lyrics beisteuerte. Dafür nun ein aussagekräftiges Beispiel: „Stay With Me“, aufgenommen im Oktober 1973 während einer US-Tour der Band. In den Linernotes auf dem Plattencover heißt es, Ron Wood habe als Leadgitarrist dem früheren Sound eine ganz neue Dimension hinzugefügt. Und so klang das…

Faces: Stay With Me

Unverkennbar, das Reibeisen-Organ von Rod Stewart und dazu passend die raue Bluesgitarre des Mittzwanzigers Ronnie Wood. Verantwortlich für die gemeinsamen Jahre bei den Faces war übrigens letztlich deren Bassgitarrist Ronnie Lane. Als sich nämlich die Rolling Stones 1969 vom untragbar gewordenen Exzentriker Brian Jones trennten, rief Mick Jagger persönlich bei den gerade gegründeten Faces an, um Ron Wood als neuen Mann an der Gitarre zu verpflichten. Ronnie Lane ging zufällig ans Telefon und gab Mick eine knappe Abfuhr; Ron Wood fühle sich sehr wohl bei den Faces und habe kein Interesse, vielen Dank! Die Stones engagierten dann bekanntlich Mick Taylor, und Ron Wood selbst erfuhr davon erst Jahre später… Nun gut, es sollte ja dann doch noch klappen mit den Rolling Stones, aus deren Bewunderung Ron Wood keinen Hehl macht: „Ich war immer Stones-Fan“16, lässt er sich gern zitieren – wohl nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die erste Single der Rolling Stones mit „Come On“ einen Titel seines Idols Chuck Berry präsentierte.

Bevor ich das Stones-Kapitel aufschlage, will ich noch zwei besondere Konzertaufnahmen vorstellen, an denen Ron Wood maßgeblich beteiligt war. Zunächst ein Mitschnitt aus dem Rainbow-Concert, das im Januar 1973 dem immer mehr im Drogensumpf versinkenden Eric Clapton zurück auf die Bühne verhalf. Pete Townshend, Gitarrist von The Who, hatte befreundete Musiker eingeladen, und mit Steve Winwood, Jim Capaldi, Ric Grech und eben Ron Wood waren etliche namhafte Größen der damaligen Bluesrock-Szene gefolgt. Zehn Tage lang wurde in Ronnie Woods Haus in Richmond geprobt, dann stand die illustre Riege als Eric Clapton and the Palpitations für einen Abend auf der Bühne des Londoner Rainbow Theatre, wobei das Konzert eher biografisch als musikalisch bedeutsam ist; Clapton selber sagte später, er habe wenig mitbekommen, weil er noch immer zugedröhnt gewesen sei.

„Die Star-Truppe spielt eher lässig als konzentriert“, ist über das Konzert zu lesen, „und Claptons Solo-Features lassen seine Genialität relativ selten richtig strahlend aufblitzen; mehr als mittelmäßige Durchschnittskost aber liefert der Ausnahmegitarrist allemal.“17

Seinerzeit erschien mit sechs Titeln nur ein kleiner Ausschnitt des Konzertes auf Vinyl; sehr viel später gab es eine remasterte CD-Ausgabe mit 14 Songs. Ich greife natürlich zur Platte und lege „Roll It Over“ auf, das Clapton gemeinsam mit Bobby Whitlock, dem Keyboarder von Derek And The Dominos, geschrieben hat und das 1970 als Single erschienen war. Trotz der erwähnten Einschränkungen begeistert mich hier das kraftvolle Zusammenspiel der drei Gitarristen Clapton, Townshend und Wood. Danach dann ein neuerliches Zusammentreffen von Ronnie Wood mit Clapton, das unter einem sehr viel besseren Stern stand: 2004 hatte der inzwischen geläuterte Ex-Junkie Eric Clapton das Crossroads Guitar Festival initiiert, das in der Folge alle drei Jahre herausragende Könner auf den sechs Saiten zu einem guten Zweck versammelte: Die Einnahmen der Konzerte sowie der Plattenverkäufe kommen dem Crossroads Centre zugute, einem Drogentherapiezentrum auf Antigua, das Clapton eingedenk der eigenen bitteren Erfahrungen in den 1990er Jahren gegründet hatte. 2010 war auch Ronnie Wood zum Festival eingeladen, und gemeinsam mit den Bluesmusikern Buddy Guy und Jonny Lang zelebrierte er „Five Long Years“, einen Standard, den der Bluespianist und Sänger Eddie Boyd 1952 veröffentlicht hatte.

Rainbow Concert: Roll It Over Crossroads Festival: Five Long Years

Nun müssen wir aber das Rolling-Stones-Kapitel endlich aufschlagen, das für Ron Wood keineswegs erst 1975 begann. Bereits im Jahr zuvor hatte er den Herren Jagger und Richards geholfen, „It’s Only Rock’n’Roll (But I Like It)“ zu komponieren, auch wenn sein Name (wie üblich) bei den Credits keine Erwähnung fand. Keith Richards hatte zudem auf der ersten Solo-LP von Ron Wood, die 1974 unter dem Titel „I've Got My Own Album To Do“ erschienen war, kräftig mitgemischt.

Zur Arbeit am neuen Stones-Album „Black And Blue“ wurde Wood dann nach München eingeladen, und da die Faces ohnehin in Auflösung begriffen waren, nahm er das Angebot gern an. Im Studio durfte er hin und wieder auch zum Bass greifen, und spätestens diese Vielseitigkeit gab den Ausschlag: 1975 ersetzte er den Interims-Gitarristen Mick Taylor, der sich wohl nie so recht wohl in seiner Rolle neben den Glimmer-Twins Jagger und Richards gefühlt hatte. Ab 1976 galt für Ron Wood dann so eine Art Angestellten-Status bei der größten Rock’n’Roll-Band der Welt, aber erst 1993 – nach dem Ausstieg des Stones-Bassisten Bill Wyman – wurde er vollwertiger Finanzpartner im bis heute florierenden Wirtschaftsunternehmen Rolling Stones. Auch für die Bühnenpräsenz der Stones war und ist Ronnie Wood eine echte Bereicherung; wenn er sich tänzelnd und grinsend auf die Gitarrenduelle mit seinem Kumpel Keith Richards einlässt, dann geht die Post richtig ab. Beispiele gefällig? Aber gern!

Zunächst vom 1977 erschienenen Doppelalbum „Love You Live“, das in Paris und Toronto mitgeschnitten wurde, „Tumbling Dice“ vom 72er Meilenstein „Exile On Mainstreet“ – seinerzeit hatte Mick Taylor übrigens den

Bass eingespielt, da Bill Wyman mal wieder im Studio fehlte.

Danach vom Album „Still Life“, 1981 in den USA mitgeschnitten, „Let Me Go“, das im Jahr zuvor auf „Emotional Rescue“ erschienen war. Die Rolling Stones mit Ronnie Wood an der Gitarre.

Rolling Stones: Tumbling Dice / Let Me Go

Gerade gehen sie wieder auf Tour, die ganz im Gedenken an den im Vorjahr verstorbenen Schlagzeuger Charlie Watts stehen wird. Dass diese jahrzehntelange Gemeinsamkeit noch immer funktioniert, ist wohl auch der Tatsache geschuldet, dass alle Stones neben dieser Band noch eine ganze Reihe eigener Aktivitäten betreiben. Charlie Watts hat in einer Bigband getrommelt, Bill Wyman sich dem Oldtime-Jazz gewidmet, Mick Jagger auf Solopfaden sogar mit dem Discosound geliebäugelt, und Keith Richards sein geschundenes Stimmorgan bei den X-Pensive Winos eingesetzt. Und auch