Und der Ozean war unser Himmel - Patrick Ness - E-Book

Und der Ozean war unser Himmel E-Book

Patrick Ness

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Beschreibung

In der Tiefe lauern Monster, doch die schlimmsten erschaffen wir selbst ...

Die stolzen Wale in Bathsebas Herde leben für die Jagd, riskieren alles in dem ewigen Krieg gegen die Welt der Menschen. Als sie ein treibendes Schiff attackieren, rechnen sie mit leichter Beute. Doch stattdessen stoßen sie auf die Spur einer Legende, eines Monsters, vielleicht des leibhaftigen Teufels selbst ...


Die brillant illustrierte und packende Geschichte des #1 New-York-Times-Bestsellerautors von »Sieben Minuten nach Mitternacht« hinterfragt aufrüttelnd den Wert von Macht, Loyalität, Besessenheit und warum wir aus anderen Monster machen.

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Seitenzahl: 107

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Patrick Ness

Illustrationen von Rovina Cai

Aus dem Amerikanischen von

Bettina Abarbanell

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Für Jared und Anne, meine Freunde

© 2021 der deutschsprachigen Ausgabe

cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Text: © 2018 Patrick Ness · Illustrationen: © 2018 Rovina Cai

Die englische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel: »And the Ocean Was Our Sky« bei Walker Books Ltd., London

Übersetzung: Bettina Abarbanell

Zitate aus »Moby Dick« nach der Übersetzung von Wilhelm Strüver

Umschlagkonzeption: Geviert, Grafik & Typografie unter Verwendung der Illustration von © Rovina Cai

MP · Herstellung: UK

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-24443-9V001

www.cbj-verlag.de

»Auf dich wälze ich mich zu,

der du alles vernichten, aber nicht besiegen kannst!

Bis zum letzten will ich mit dir ringen!

Mit einem Herzen, das mit Höllengedanken erfüllt ist,

steche ich nach dir! Weil ich dich hasse,

speie ich dir meinen letzten Atem entgegen!«

Herman Melville, Moby Dick

1

NENNTMICH BATHSEBA.

So heiße ich nicht, aber es ist der Name, den ich mir für diese Geschichte gegeben habe. Ein Name, so hoffe ich, der frei ist von Prophezeiungen, frei von der Last einer ihm vorausgesagten Zukunft, frei von einem Schicksal, das ihn mir aus den Händen reißen würde und Welten in die Zerstörung führen.

Ihr glaubt, ich übertreibe?

Da irrt ihr euch.

Wir sind ein Volk der Prophezeiungen, und als ich ein Kind war und noch ein dummes Kalb, das über nichts Bescheid wusste, was jenseits unseres Stücks vom Meer lag, hatte meine Großmutter schlicht gesagt: »Du wirst jagen.«

Es hatte das Gewicht einer Prophezeiung.

»Aber wir sind doch keine Jäger«, hatte meine Mutter entgegnet und meine Großmutter dabei so ängstlich-verdutzt angeschaut, wie sie es meistens tat. »Wir jagen nicht. Wir haben nie gejagt.« Ihre Stimme hatte jenen so hoffnungsvollen wie hoffnungslosen Ton, der mich damals zur Weißglut brachte, während mir heute die Erinnerung daran fast das Herz bricht. »Es sei denn, du meinst kleine Jagden«, sagte meine Mutter hoffnungslos-hoffnungsvoll, »solche, wie sie jede Familie –«

»Die meine ich nicht«, sagte meine Großmutter.

Die meinte sie nicht.

Und alles, was ich hätte sein, die verschiedenen Zukunftswege, die ich hätte einschlagen können, all meine potenziellen Leben und Tode, die ja in endlosen Möglichkeiten existierten, wurden mit einer einzigen Wiederholung dieser drei Worte ausgelöscht. »Du wirst jagen.«

War es eine Prophezeiung? Hatte sie eine regelrechte Vision gehabt? Oder war es ein Befehl, wie es ja Prophetenworte so oft sind? Wenn man die Zukunft vorhersagt, wenn man es entschieden tut und nicht davon abweicht, wie viel von dieser Zukunft führt man dadurch selbst herbei?

Das sind Fragen, die mich verfolgen.

Damals allerdings durften diese Fragen keine Rolle spielen, denn ich musste sofort mit der Ausbildung beginnen – meine Mutter war nie stark genug, um meine Großmutter zu überstimmen –, eine ganz neue Lebensweise erlernen, bis ich im Alter von sechzehn, dem Lehrlingsalter, dort angekommen war, wo diese Geschichte beginnt: mit Harpunen auf dem Rücken neben dem großen Jagdschiff Alexandra herschwimmend, dessen Segel sich in den Strömungen blähten, unter uns den Abgrund, unseren Himmel, den Ozean, über uns.

Und alles, was möglich gewesen wäre, war es da schon lange, lange nicht mehr.

Denn ich, ein einfacher, aber emsiger Dritter Lehrling, war im Begriff, auf die letzte Jagd zu gehen, die es je gab. Die Jagd nach einer Legende, einem Mythos, einem Teufel.

Betet für unsere Seelen.

Denn diese Geschichte handelt davon, wie wir ihn fanden.

2

»BEEILTEUCH«, SAGTE KAPITÄNIN ALEXANDRA. Nach alter Tradition führte unser Schiff ihren Namen, so wie ihr Körper fast das ganze Gewicht des Schiffes mit sich führte, dessen Bugtaue an ihre Schwanzflossen gebunden waren, so breit wie jede einzelne von uns drei jungen Kameradinnen. Die Kapitänin zieht ihr Schiff, so soll es sein, so ist es Sitte.

Wir segelten leise über den Abgrund.

Ich, Wache links, schwamm ein Stück oberhalb und links der Kapitänin, der Erste Lehrling Treasure weiter vorne und der Zweite Lehrling Wilhelmina, genannt Willem, als Wache rechts auf der anderen Seite.

Wir ließen den Blick über den Wasserspiegel des Abgrunds schweifen, dessen Sonne zu uns herabschien, sodass es war, als segelten wir über kochendes Licht.

Hinter uns, auf der Alexandra, machten unsere Matrosen das Schiff klar. Die Kapitänin witterte Beute.

Sie könne sie buchstäblich riechen, sagte sie, was zwar unwahrscheinlich klang, aber in den Monaten dieser Reise hatten wir gelernt, sie nicht anzuzweifeln. Sie niemals anzuzweifeln.

Kapitänin Alexandra war so berühmt wie berüchtigt, abgesehen von ihrem Erfolg bei der Jagd aus einigen guten Gründen. Jeder wusste von der kurzen, rostigen Harpunenspitze, die in ihrem gewaltigen Kopf stak. Sie war die Kapitänin, die überlebt hatte, die Kapitänin, die, obwohl die Menschen-Harpune ihre Echoortung doch in irgendeiner Form behindern musste, unbeirrt weitermachte, Erfolg hatte, ja zu dem wurde, wofür alle, alle sie hielten: die beste Jägerin im ganzen Meer.

»Da nähert sich etwas«, sagte sie, Augen geradeaus, heftiger mit der Schwanzflosse schlagend. »Da erhebt sich etwas.«

»Wo?«, flüsterte Willem zu meiner Rechten, verzweifelt in die weiße Gischt unter uns blickend.

»Still«, erwiderte Treasure. Sie war unser Ober-Lehrling. Wie oft, glaubt ihr wohl, ließ sie uns das vergessen?

Das Wasser füllte sich mit dem Klicken unserer Echoortung. Die Kapitänin überließ das uns; sie vertraute, soweit ich wusste, ihrem Geruchssinn, ihren Augen, ihrer Hellsichtigkeit.

»Weniger als eine Wegstunde«, sagte Treasure. »Mitte rechts.«

»Beeilt euch«, sagte die Kapitänin erneut.

»Ja«, antwortete Willem. »Ja. Ich hab’s geortet.«

»Und unsere Bathseba?«, fragte die Kapitänin, ohne sich umzudrehen.

Denn ich war stumm geblieben. Hatte es noch nicht geortet.

Wütend sandte ich das Klicken von der großen Kugel aus wächserner Flüssigkeit in meiner Stirn aus, wartete darauf, dass die Antworten mich erreichen würden. Treasure und Willem gaben sich so sicher. Ich klickte wieder – nichts. Ich nahm nichts als den weiten leeren Ozean wahr. Kaum ein Jahr dabei, war ich zwar der unerfahrenste Lehrling, aber deshalb noch lange nicht unfähig. Und obwohl meine Anspannung wuchs, regte sich in mir der Verdacht, dass Treasure und Willem logen, um ihre Kapitänin zu beeindrucken, und dabei vielleicht in eine der Fallen tappten, die diese unachtsamen Lehrlingen, wie selbst ich schon wusste, gelegentlich stellte.

»Bathseba?«, fragte die Kapitänin erneut, so leichthin wie drohend, als wäre ich die Gejagte und nur dank einer Laune meines Jägers noch am Leben.

Ich klickte. Wieder nichts. Noch einmal, und –

Ich wandte mich scharf nach links. »Nicht Mitte rechts«, sagte ich, selbst überrascht, und klickte noch einmal. Ich war nervös. Aber ich hatte keinen Zweifel. »Eine Drittelwegstunde. Links und wieder links.«

»Nein –«, begann Treasure.

»Stimmt das?«, fragte Willem.

»Ganz recht, Bathseba«, sagte die Kapitänin, schnellte voran und zog das große Schiff hinter uns nach links und dann wieder ein Stück nach links.

»Ich hab’s gefunden!«, rief Treasure zu laut, doch zu spät.

»Es steigt auf«, sagte die Kapitänin. Und die Jagd begann.

3

LASSTMICHEINSVON ANFANGANKLARSTELLEN. Ich hasse die Jagd, aber damals liebte ich sie. Jetzt allerdings, nach allem, was vorgefallen ist, nachdem alle tot sind, nachdem ich auf Rettung gewartet habe, die vielleicht nie kommen wird, dürfte niemand es mir übelnehmen, dass ich sie hasse.

(Obwohl es immer eifriges Geflüster gibt, auch heute noch, einen aufgeregten Blick, eine zaghafte Andeutung, ob ich nicht vielleicht meine Geschichte des Nervenkitzels wegens erneut erzählen wolle. Wessen Nervenkitzel soll das sein? Meiner nicht.)

(Ich habe mit Soldaten darüber gesprochen, und sie haben es mir bestätigt, ja, es gibt welche, die die Jagd ebenso verklären wie den Krieg; die sich Heldentum ausmalen, einen Platz in der Geschichte, einen Stolz, der zwar nicht ihre Kinder ernähren, sie aber über ihre Nachbarn erheben wird; nie malen sie sich die Verzweiflung aus; nie das Blut und das Leid; nie das wieder und wieder sterbende Herz; und wie fast jeder Soldat habe auch ich, bevor unsere Kriege endlich vorbei waren, Zuflucht in eisernem Schweigen gefunden, über das nur die Einfältigsten sich hinwegzusetzen wagen.)

Aber jetzt, hier, schreibe ich meine Geschichte auf, ein für alle Mal. Ich bin nicht mehr die, die ich damals war. Ich habe gesagt, ich sei ahnungslos gewesen, und das war nicht falsch, aber dass die Menschen andersherum lebten als wir, dass für sie der Ozean unten und der Abgrund oben war und unsere Schwerkräfte sich am Wasserspiegel trafen, hatte ich durchaus schon verstanden. Und auch, dass selbst einige unserer Schriftsteller Mutmaßungen über Welten anstellten, in denen Wale diesem von Menschen erdachten Bild entsprechend lebten. Dass diese also emporstiegen, um den Menschen zu begegnen, anstatt zu ihnen hinunterzuschwimmen, aber für uns war das schlicht Blasphemie, eine Fantasie, übernommen von Menschen, die sich eine für sie unerreichbare Überlegenheit anmaßten.

Und ich hatte von unserer beiderseitiger Geschichte gehört, davon, dass Wal und Mensch seit Tausenden von Jahren Jagd aufeinander machten, während unsere Gesellschaften einander spiegelten und gemeinsam wuchsen, weil der Krieg beide zu immer weiteren Innovationen antrieb.

Kurz, ich hatte gelernt, die Jagd zu lieben, nicht nur um ihrer selbst, sondern um ihrer Geschichte willen, ihres Anteils an meiner Identität. Und ich liebte sie wirklich. Ich hatte dafür inzwischen auch meine eigenen Gründe, aber als Grund für jeden jungen Wal genügte ohnehin die Tatsache, dass die Menschen uns seit ewigen Zeiten jagten und Menschen zu jagen unsere Antwort darauf war. Wenn es der Prophezeiung entsprach, war es die Pflicht eines Wals, und ich nahm sie bereitwillig an.

Aber das war damals. Wenn ihr mir zugehört habt und euch trotzdem wünscht, dabei zu sein, Helden zu sein, Jäger zu sein, dann habe ich entweder als Erzähler versagt oder ihr seid Narren.

4

BINNEN SEKUNDENFLOGDIE DRITTELMEILEDAHIN. Diesen Teil mochte ich am liebsten: den Kick der Jagd. Wenn das Wasser an uns vorbeirauschte, wenn wir mit voller Geschwindigkeit schwammen und die mächtigen Segel unseres Schiffes – versiert gehandhabt von unserer sechsköpfigen Crew, jeder von ihnen fuhr schon länger zur See, als ich lebte – sich in den Strömungen blähten, um das Tempo, mit dem unsere Kapitänin es zog, noch zu steigern. Ein Vorwärtspreschen, ein Vorwärtsdrängen, alles absichtsvoll und zielstrebig, während die Sonne mit Strahlen aus wirbelndem Licht zu uns heraufblendete.

Die Welt, springlebendig.

»Harpunen klarmachen«, sagte die Kapitänin, und schon manövrierten wir drei Lehrlinge die Harpunen mit Flossenschlägen auf das an unsere Seiten geschnallte Geschirr und schoben die Waffen in die spiralförmigen Schussgeräte, die wir eng an die Brust gedrückt hielten. Unsere Technik war damals schon so fortgeschritten, dass wir nur einen Muskel in der Nähe der Brustflosse anzuspannen brauchten, um sie abzufeuern.

»Gleich müssten wir es sehen können«, sagte Treasure. »Jeden Moment jetzt.«

»Wirklich?«, sagte unsere Kapitänin. »Ist es nicht noch eine Wegstunde entfernt, Mitte rechts?«

Das stopfte Treasure immerhin das Maul. Es war ein Fehler, jemals anzunehmen, dass unsere Kapitänin etwas nicht bemerkte oder vergaß.

Aber wir waren tatsächlich nahe dran. Ich schwamm auf der günstigeren Seite, und meine Klicke sausten mit zunehmender Häufigkeit vor und zurück. Sehen konnten wir noch nichts, zumal der Wasserspiegel unruhiger wurde, schaumiger, und alles vernebelte, was unsere Augen hätten erkennen können.

»Netze klarmachen!«, rief unsere Kapitänin zum Schiff zurück. Die Matrosen hatten den Plan ihrer Kapitänin vorausgesehen, die Netze waren zum Auswerfen bereit. Wir würden unsere Beute mit Harpunen in den Tod befördern oder tödlich verletzen, und die Matrosen würden die Kadaver hereinholen. Jeder Teil der Beute würde verwendet werden, die Knochen für Talg und Seifen, die Haut für Segel, das Fleisch – für uns ungenießbar – als Köder für die riesigen Beuteschwärme, die, einmal angezogen, nach Belieben von uns vertilgt werden konnten.

Hauptsächlich aber, das Paradox aller Kriege, jagten wir, um nicht selbst gejagt zu werden, genauso wie sie.

»Schaut!«, rief Willem.

Und dort, im Schaum des Abgrunds auf und ab schaukelnd, sahen wir – den gewölbten Rumpf eines Menschenschiffs.

5

DIE KAPITÄNINSCHWENKTEPLÖTZLICHNACHLINKS, mitten in meine Bahn hinein. Ich wich gerade noch rechtzeitig aus.